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Als Sampson Potter seinen Sohn in Chantilly verlassen und sich aus der ersten in die dritte Klasse gesetzt hatte, um seine Cigarre zu genießen, war er der Verzweiflung näher, als je sonst einmal in seinem ereignisreichen Leben. Diese ganze schreckliche Geschichte war so plötzlich und unerwartet über ihn hereingebrochen, daß er sich in einem halbbetäubten Zustande befand.
So lange er seinen Feind, den Detectiv, in Sicht hatte, so lange war er munter und hoffnungsvoll geblieben, aber nun, da ihm sein Gegner entschwunden war, rauchte er seine Cigarre in trübseliger, verzweifelter Stimmung und fand das Kraut schlecht, was es durchaus nicht war. Aus diesem Zustande wurde er indessen durch Schnapper aufgeschreckt. Kaum hatte der Zug Chantilly verlassen, als ihn der Hund dadurch erzürnte, daß er, anscheinend ohne jede Veranlassung, das Futter der Ueberziehertasche Potters zu zerreißen versuchte.
Grimmig sagte er: »Pst! Schnapper! Ruhig!«
Allein Schnapper war nicht ruhig und machte verzweifelte Anstrengungen, um mit Potter und seinem Ueberzieher ans andere Ende des Wagens zu gelangen. Wenn er sich überhaupt fortbewegen wollte, so blieb ihm allerdings nichts anderes übrig, denn Potter hatte, weil die Nacht kalt geworden war, die Taschenklappe zugeknöpft. Das Hündchen wiederholte seine Bemühungen in so leidenschaftlicher Weise, daß Potter sich umsah, um die Ursache zu entdecken, und bei sich dachte: »Wir müssen Ratten hier haben.«
Plötzlich fuhr er auf, denn Schnapper suchte sich seinen Weg durch die Tasche durchzubeißen und drängte so entschieden nach der andern Seite des Wagens hin, daß ein plötzlicher Gedanke Potters Kopf durchzuckte: »Wenn es keine Ratten sind, so ist es sein Herr!«
Nun war der Texaner wieder bei der Hand und durchspähte mit seinen roten, glühenden Augen die Wagenabteilung, die durch eine Oellampe matt erleuchtet war.
Die Bank, auf der Herr Potter saß, war die der Lokomotive zunächst gelegene und lief quer durch das ganze Coupé. Es blieb also nur noch eine Bank zu untersuchen, und auf dieser saßen ein französisches Bauernweib von etwa fünfzig Jahren und drei Männer; zwei der letzteren schienen kleine Krämer und miteinander befreundet zu sein, der dritte war seinem Anzuge nach ein Matrose und suchte eine französische Zeitung zu entziffern, die er dicht vor sein Gesicht hielt. Mit einem Seufzer der Enttäuschung sank Potter in seine Ecke zurück, nachdem er sie alle betrachtet hatte. Sergeant Brackett war nicht in dem Wagen.
Allein wieder fing Schnapper an zu zerren und seine Versuche, aus dem Ueberzieher herauszukommen, zu erneuern. »Zum Kuckuck, vielleicht wird er ruhig, wenn ich ihm den Willen thue!« dachte Potter und setzte sich ans andre Ende seiner Bank.
Allein der Dämon der Rastlosigkeit schien von dem kleinen Geschöpf Besitz ergriffen zu haben, denn nun wollte er auf die andere Bank hinüberspringen, und dies würde ihn gerade dem Matrosen in den Schoß geführt haben. Potter sah sich sein Gegenüber näher an, und sein Blick wurde starr. Zwar konnte er nicht das ganze Gesicht des Matrosen sehen, denn er verbarg es hinter der Zeitung, allein auf der wettergebräunten Stirn des Mannes stand trotz der kalten Nacht ein dicker Schweißtropfen. Nun ließ Schnapper ein tolles Winseln vernehmen, und der Schweißtropfen fiel mit einem leichten Geräusch auf die Zeitung hinunter, die der Matrose las.
In höchstem Staunen sank Potter in seine Ecke zurück und stöhnte: »Ha, ich bin starr!«
Potter wurde von seinen Empfindungen überwältigt, aber die Bracketts waren noch weit schrecklicherer Art, denn der Seemann war wirklich der fürchterliche Detectiv, der auf den Gedanken gekommen war, sich zu verkleiden, um seinen Verfolger irre zu führen.
Sobald er also das Café chantant verlassen und sich bei Lieutenant Potter in Besitz des Schriftstückes gesetzt hatte, fuhr er zu einem Maskenverleiher, wo er sich den Matrosenanzug kaufte und sein Gesicht dem Charakter entsprechend malen und schminken ließ, als ob er auf einen Maskenball ginge. Er behielt nur seinen Ueberzieher bei sich und ließ sich seine Alltagskleider nach Boulogne nachschicken. Da er fand, daß er noch Zeit genug dazu hatte, war der Detectiv vorsichtshalber nach Saint Denis hinausgefahren und erst dort in den Zug nach Boulogne eingestiegen.
Sein Päckchen sicher in der inneren Rocktasche, hatte er sich in ein Coupé dritter Klasse gesetzt und war sich, sowohl was Person als Geld betraf, so recht gesichert vorgekommen, denn die fünfhundert Pfund von Lady Annerley waren ihm so gut wie verdient, bis der gewissenlose Potter einstieg, um sich seiner Cigarre zu erfreuen.
Ein paar begnadete Augenblicke lang hoffte er, nicht erkannt zu werden, aber sobald Schnapper sein ungewöhnliches Wesen annahm, wußte er, daß er verloren sei. Als es Schnapper dahin brachte, daß Potter sich ihm gegenüber setzte, stieg seine rasende Angst aufs äußerste, was der verräterische Schweißtropfen nur allzu deutlich zeigte.
»Guter Gott!« dachte Brackett, als der Texaner seinen unterdrückten Ausruf hören ließ, »jetzt bin ich verloren!«
Und das wäre er auch gewesen, hätte sich Potter seiner Sache völlig sicher gefühlt; denn dann hätte der Detectiv niemals mit dem Schriftstück in der Tasche lebendig diesen Wagen verlassen.
Allein die Sitten der Civilisation sind andere als die der Barbarei, und der alte Grenzler wußte nicht, daß in Paris manche Maskenverleiher ihre Läden bis spät in die Nacht hinein aufbehalten. Selbst wenn ihm der Anzug verdächtig gewesen wäre, so erschien doch das Gesicht des Matrosen echt, denn der Texaner verstand nichts von der Kunst des Gesichtermalens, und die Vorzüge richtig angewandter Fettschminke waren ihm völlig unbekannt. Er brummte vor sich hin: »Wenn ich nur wirklich sicher wäre –,« denn er sagte sich, daß er einem Menschen nicht gerade eine Kugel durch den Kopf jagen dürfe, nur weil ein Hund ihn beriechen wollte, und beschloß deshalb, die Identität des Matrosen mit allen ihm zugänglichen Mitteln zu erkunden.
Zuerst versuchte er es mit der Unterhaltung und sprach ihn englisch an, aber der Mann antwortete nur mit einem verständnislosen Lächeln. Dann befreite er Schnapper aus seiner Tasche, und als das kleine Tier mit freudigem Winseln dem Matrosen in den Schoß sprang, liebkoste dieser das niedliche Geschöpf, streichelte es, pfiff ihm und lächelte es freundlich an, während er erwartet hatte, der Mann würde es, falls es Brackett war, von sich stoßen. Dieses Mal hatte der Detectiv, wie es bei sehr beschränkten Menschen manchmal vorkommt, etwas recht Kluges gethan.
Durch seinen Erfolg angefeuert, beschloß Brackett nun, einen Hauptschlag auszuführen. Mit einem gezwungenen Lächeln, das durch die gemalten Runzeln ganz abscheulich wurde, schob er Schnapper plötzlich in die Tasche seines Ueberziehers, von der er wußte, daß der Hund sie wegen der kalten Handschellen darin nicht leiden mochte. Bei deren frostiger, harter Berührung schreckte denn auch Schnapper winselnd zurück und zog sich mit einem vorwurfsvollen Blicke auf seinen Herrn wieder zu Potter zurück, dessen Taschen, wie er wohl wußte, weich und warm waren.
Dies schien die Sache endgültig zu erledigen und der Texaner brummte vor sich hin: »Himmel und Hölle! Wieder genarrt!« und sank in seinen Sitz zurück, da der Zug eben in Creil einfuhr.
Creil ist ein großer Knotenpunkt, an dem nicht weniger als fünf Bahnlinien zusammenlaufen, und hier beschloß Brackett, den Zug zu verlassen, um auf irgend einem Umweg nach Boulogne zu gelangen, da ihm alles annehmbarer erschien, als Potters Nachbarschaft.
Dies that er auch mit ziemlicher Kaltblütigkeit; er wartete, bis der Zug nur noch eine oder zwei Minuten Aufenthalt hatte, und dann stand er auf und verließ die Wagenabteilung.
Nun erregte aber schon das Aussteigen des Matrosen Potters Argwohn aufs neue, außerdem aber wurde Schnapper, der seinen Herrn vermißte, sofort wieder unruhig. Dies und die Thatsache, daß der Texaner des Mannes nach Boulogne lautende Fahrkarte deutlich gesehen hatte, gab ihm zu denken.
Er stieg auch aus und wartete; kehrte der Matrose in den Zug zurück, so hatte er sich höchst wahrscheinlich getäuscht, wo nicht, so wollte er ihm folgen.
Dreißig Sekunden später dampfte der Zug weiter, und Potter eilte in das Erfrischungszimmer des Bahnhofes, in dem er den Matrosen hatte verschwinden sehen.
Eine halbe Minute ist ein großer Vorsprung, und Potter konnte den Seemann nirgends entdecken. Er stürzte durch den Ausgang nach der Stadt hinaus, – auch hier niemand. Nun aber fing er plötzlich an zu laufen, denn Schnapper, der sich irgendwie aus seiner Tasche herausgemacht hatte, sah einen Wagen und flog, diesen verfolgend, durch die öde Straße der Stadt.
Schweigend lief Potter hinter dem Hündchen drein, und bald sollte er sich belohnt sehen.
Nachdem sie zwei oder drei Minuten gerannt waren, holte Schnapper die Droschke ein und sprang bellend an ihr hinauf. Dann wurde ein Kopf vorsichtig herausgestreckt, der Texaner aber wurde offenbar nicht bemerkt, denn eine Stimme, bei deren Klang Potters Herz vor Freuden hüpfte, rief: »Hollah, alter Freund, so sind wir beide dem Lumpen glücklich entwischt.«
Der Wagenschlag öffnete sich, und Schnapper lag in den Armen seines geliebten Herrn.
Unterdessen holte aber auch der Texaner das Fuhrwerk ein und schwang sich neben den Kutscher hinauf, wie es schien zu dessen Zorn und Schrecken, wenigstens stieß derselbe furchtbare französische Flüche aus und suchte den Texaner vom Bock herunter zu stoßen.
»Still! Keinen Lärm gemacht!« flüsterte Potter mit nachdrucksvoller Strenge, »oder ich mache Sie kalt!«
Allein der Kutscher schrie nur um so lauter.
»Sie nicht sabé mich, Franzos,« äußerte der Texaner mit furchtbarem Ernst, »aber vielleicht Sie sabé dies.« Und dabei drückte er seine Pistole gegen die Stirn des sich wehrenden Kutschers.
Die Wirkung des Revolvers war augenblicklich und schrecklich. Der Kutscher stieß einen Schrei aus, der einen Siebenschläfer hätte erwecken können, sprang rückwärts und fiel auf das Wagendach, während Potter, dem näher kommende Stimmen verrieten, daß sie verfolgt wurden, auf die Pferde lospeitschte und eine Minute oder länger mit rasender Schnelligkeit weiterfuhr.
Dann hielt er plötzlich die schnaubenden Pferde an, sprang vom Bock, öffnete den Schlag, richtete den Revolver auf Sergeant Bracketts Herz und sagte: »Das Paket, das Sie von meinem Sohne erhalten haben – oder Sie sind ein toter Mann!«
Bei diesen Worten gerann dem Detectiv das Blut in den Adern. Er hatte den Kampf auf dem Kutscherbock so gut gehört, wie das, was er für des Kutschers Todesschrei gehalten hatte, und wäre längst aus dem Wagen gesprungen, wenn ihn nicht die gefährliche Geschwindigkeit der Fahrt daran verhindert hätte. Unterdessen hatte er aber seine Zeit zu etwas anderem verwendet.
Mit schwacher Stimme murmelte er: »Sie können mich töten, aber ich habe es nicht!«
»Sie haben es nicht?« kreischte der Texaner. »Großer Gott! Meine Doochter!« und einen Augenblick wurde ihm ganz elend zu Mute, denn bei jedem Mißerfolg in dieser unseligen Sache dachte Herr Potter an seine Tochter, und dies verursachte eine Kleinmütigkeit bei ihm, die kein Unheil, das ihn selbst betroffen, hätte hervorrufen können.
Sergeant Brackett hielt diese Weichheit für Angst und überraschte Potter in diesem Augenblick durch die Worte: »Samuel Potts, ich verhafte Sie im Namen der Königin! Ich habe einen Haftbefehl für Sie, und ein Auslieferungsgesuch an die französische Regierung bei mir. Es wäre besser, Sie leisteten keinen Widerstand, denn ich höre die Gendarmen kommen.«
»So?« flüsterte der Texaner grimmig, »zeigen Sie mir die Papiere.«
»Hier sind sie!« Und damit händigte Brackett Potter zwei offizielle Schriftstücke ein, die der ehrenwerte Sampson bei dem Schein der Wagenlaterne eilig überflog, während der Sergeant mit großem Stolz ein Paar glänzender Handschellen zum Vorschein brachte.
»Ja, die sind in Ordnung,« gab der Texaner zurück und steckte die Papiere ein.
»Dann sind Sie verhaftet, Samuel Potts. Halten Sie Ihre Hände in die Höhe.«
»Halten Sie die Ihren in die Höhe.«
»Mein Gott!«
»Die Hände auf! Rasch! Fesseln Sie sich, oder ich erschieße Sie. Rasch!«
»Mein Herr und mein Gott!«
»Nicht lange geschwatzt. Sie sind kaput, ehe Sie das Knacken des Hahnes hören. – So ist's recht,« schloß Potter, als Brackett, von sich selbst gefesselt, in den Wagen zurücksank, als der allerverwundertste und entsetzteste Detectiv, der je einen Verbrecher verfolgt hat.
»Nun den Schlüssel zu diesen Armbändern.«
»Ich – ich habe ihn fallen lassen.«
»Den Schlüssel – oder Sie haben nicht mehr Zeit genug, ein Vaterunser zu sprechen.«
»Er – ist in meiner Hosentasche.«
»Schon recht! Ich habe ihn!« brummte Potter und schloß die Handschellen, nachdem er noch extra untersucht hatte, ob sie auch fest genug sitzen. »Und nun das Paket, das Sie von meinem Sohn haben!«
Allein ehe noch einer ein Wort weiter sprechen konnte, war der Wagen von Gendarmen umgeben, an deren Spitze sich der Kutscher befand, den Potter so energisch von seinem Bock entfernt hatte.
Herr Potter erinnerte sich der Ermahnung seines Sohnes und versuchte es nicht, mit ganz Frankreich fertig zu werden, sondern blieb unbeweglich stehen, bis der Sergeant der Gendarmen dicht an ihn herangetreten war, dann händigte er dem Beamten schweigend die beiden Schriftstücke ein und deutete, während der französische Beamte die Papiere beim Schein der Wagenlampe untersuchte, auf den Namen Sergeant Brackett in dem französischen Auslieferungsgesuch und schlug sich dann gegen die Brust.
»Ah – ah, der Herr Sergeant Brackett!« sagte der Franzose mit einer höflichen Verbeugung, denn er las und verstand das in seiner Sprache abgefaßte Gesuch an seine Regierung und erriet, was der englische Haftbefehl gegen Samuel Potts enthielt.
» Oui,« erwiderte Potter nachdrücklich; dann deutete er mit dem Finger auf den Namen des Verbrechers und gab zu verstehen, daß der gefesselte Brackett der Mann sei.
» A–ah! Le voleur! Samuel Pot–tes!« sagte der französische Polizeibeamte, und seine Leute zogen den Detectiv aus dem Wagen, der versuchte, ihnen in recht schlechtem Französisch seine Identität zu erklären.
»Er ist gefesselt! Verkleidet!« rief der französische Sergeant, nachdem er die Malerei auf Bracketts Gesicht einer kurzen Untersuchung unterzogen hatte.
Und nun erkannte auch der Kutscher zu Potters großer Erleichterung in Brackett den Mann, der ihn im Dunkeln mit der Pistole bedroht hatte, und schimpfte in heller Wut den unseligen Detectiv: » Assassin! Meurtrier! Le vieux larron!« und gab ihm andere auf Bracketts mutmaßliche Verbrechen Bezug nehmende Bezeichnungen.
Sie verfügten sich nun alle nach der Polizeistation, wohin sie den Gefangenen im Wagen beförderten. Brackett füllte die Zeit damit aus, daß er seine Handschellen nach Potter schüttelte und in einem unverständlichen Gemisch von Französisch und Englisch aus dem Fenster schrie. Da sie nach der Erzählung des Kutschers alle den Detectiv für ziemlich gefährlich hielten, schenkte ihm niemand weitere Aufmerksamkeit.
Auf der Polizeistation angelangt, wurde Sergeant Brackett trotz seines heftigen Sträubens in eine dunkle Zelle gesperrt und allein gelassen.
Nun machte sich Potter daran, die Räder der Gerechtigkeit zu schmieren, indem er dem Kutscher zwanzig Franken gab und durch Zeichen bedeutete, er solle mit seinem Wagen warten. Dann ließ er aus einem benachbarten Wirtshause eine Unmenge Wein holen und wurde so bei der französischen Polizei rasch beliebt. Es fand sich auch ein Mann, der ein wenig englisch sprach und bereit war, den Dolmetscher zu machen. Da ihn Potter schon im Voraus für seine Mühe belohnte, fiel die Geschichte, die er dem französischen Sergeanten erzählte, völlig befriedigend aus. Dann führte er diesen Beamten beiseite und hielt ihm schweigend einen Hundertfrankenschein hin.
» Ah, monsieur, n'importe!« sagte der Sergeant mit Achselzucken, nahm aber das Geld.
Und nun ließ Potter durch den Dolmetscher erklären, er wolle seinen Gefangenen durchsuchen, denn obgleich er genötigt gewesen war, seine Zeit abzuwarten, so hatte er doch nur einen Gedanken gehabt – den an das Briefpaket!
Die Thür der Zelle wurde aufgeschlossen, und ohne viel Umstände zu machen, durchsuchte er Brackett von Kopf zu Fuß, fand aber zu seinem Entsetzen nichts. Dann fing er an, den Detectiv um seiner Tochter willen anzuflehen, er solle ihm sagen, was er mit den Schriftstücken gemacht habe. Da er aber keine Antwort erhielt, weil er schon ganz den Eindruck eines Rasenden machte, und Brackett es ihm nun nicht mehr zu sagen wagte, hielt er sich nicht mehr lange mit Drohungen auf, sondern eilte nach dem Wagen, um diesen zu durchsuchen. Er stellte diese Nachforschung mit Hilfe der Wagenlampe an und fand auch wirklich einige Schnitzel Papier, die ihn erschreckten. Sofort nahm er seinen Fund mit in das Polizeibüreau und untersuchte ihn genauer. Die Papierfetzen waren in weiblicher Handschrift beschrieben, und er wurde bleich, und Angstschweiß trat auf die Stirn dieses starken Mannes, als er leise murmelte: »Mein Gott! Meine Doochter!« Denn er wußte nun, daß der letzte Beweis seiner Unschuld zerstört war; immer aber dachte er nur daran, was dies für sie sein werde.
Doch plötzlich springt er auf und läßt durch seinen Dolmetscher große Belohnungen darbieten für Stücke dieses Dokumentes, das der Verbrecher vernichtet hat, und alle nehmen Laternen und gehen auf die Straße, durch die der Wagen gefahren ist, und Potter zeigt ihnen, wo sie sie suchen müssen.
Nach kurzer Zeit bringen die französischen Gendarmen, der Dolmetscher und der Kutscher, die sich sämtlich an dem Suchen beteiligen, Papierschnitzel, die denen gleichen, die er in dem Wagen gefunden hat. Je nach ihrer Größe bezahlte er sie mit fünf, zehn, fünfzehn, ja selbst zwanzig Franken das Stück.
Durch diese Belohnungen angefeuert, werden die Leute sehr eifrig und finden eine große Menge Stücke, von denen einige sehr groß sind, denn Sergeant Brackett hatte sein Werk in Eile verrichtet, und die Nacht war sehr windstill gewesen.
So arbeiteten sie stundenlang und suchten die gleiche Strecke Weges gar manchmal ab, bis schließlich ein Gendarm ein großes Stück Papier brachte, bei dessen Anblick Potter einen Freudenschrei ausstieß und dem Mann eine Fünfpfundnote einhändigte, denn es war der ganze Umschlag des Paketes, von Lady Annerleys Hand adressiert, selbst das Band, mit dem es zusammengebunden war, hing noch daran. Bei diesem Anblick fuhr dem alten Texaner ein schlauer Gedanke durch den Kopf.
Nachdem sie noch etwas länger gesucht hatten, glaubten sie, nichts weiter finden zu können, und kehrten nach der Polizeistation zurück. Potter befand sich in entsetzlicher Stimmung, aber die andern waren alle sehr gut aufgelegt. Sofort verständigte er sie mit Hilfe des Dolmetschers darüber, daß er seinen Gefangenen mit dem Frühzug nach Boulogne befördern wolle.
Dann ging er mit bleichem Angesicht zu Brackett und flüsterte ihm zu: »Sie wissen nicht, was Sie gethan haben, aber ich weiß es! Beten Sie die ganze Nacht zu Gott, daß er diese Angelegenheit zum Guten wende, denn sonst bringe ich Sie um; ich habe damit noch nie einem Mann gedroht, ohne daß er hin gewesen wäre, ehe ich das letzte Wort gesprochen hatte. Es wird jedenfalls geschehen, wenn Sie irgend einem Menschen gegenüber auch nur davon schnaufen, ehe ich mit ihr abgerechnet habe.«
Damit knebelte er Brackett, um sich seines Schweigens zu versichern, ging hinaus und steckte seinen Revolver wieder zu sich, denn er hatte ihn draußen abgelegt, als er den Gefangenen besuchte, damit er seinen Feind gewiß nicht umbringe, denn dies hätte den Plan verdorben, den er sich ausgedacht hatte. Dann telegraphierte er dem Lieutenant.
Von dem französischen Sergeanten unterstützt, führte Potter das Programm aus, das er seinem Sohn geschickt hatte, und richtig traf er bei seiner Ankunft in Boulogne diesen jungen Mann auf dem Bahnhofe. Von da führten sie Herrn Brackett in einem Wagen nach einem bescheidenen Zimmer, das der Lieutenant in einem abgelegenen Gasthofe bestellt hatte, und dort hatten Potter und sein Sohn eine lange Unterredung miteinander, die der Vater mit den Worten schloß: »Es ist zwar ein verzweifelter Kniff, aber ich denke, ich werde damit den Knoten zerhauen.«