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I. Die religiöse Entwicklung des Judentums im Altertum

1. Die Grundgedanken der biblischen Religion

Die Religion der Bibel hat ihre Eigenart in dem ethischen Personalismus ihres Gottesbewußtseins. Der Gott der Propheten ist sittlicher Wille, der dem Menschen fordernd und gebietend, verheißend und drohend gegenübertritt, der frei und unbedingt die Menschen und die Natur beherrscht. Diese Gottesvorstellung hat sich in der Geschichte der israelitischen Religion erst allmählich herausgebildet. Weder die Einzigkeit und Weltüberlegenheit Gottes noch sein reiner Willenscharakter sind von Anfang an da. Aus dem Volksgott Israels ist erst in einer langen Entwicklung der Weltengott geworden, und ebenso bedurfte es einer langen Entwicklung, damit er die naturhaften Züge seines Wesens abstreifte und ganz im personalen Sinne verstanden wurde. Es lassen sich wohl die Züge der ursprünglichen israelitischen Gottesvorstellung aufzeigen, die sie befähigten, zum Ausgangspunkt einer solchen Entwicklung zu werden, aber doch nur zum Ausgangspunkt einer Entwicklung, aus der ein ganz Neues und Ungeahntes hervorging. Für uns kommt nicht diese Vorgeschichte der israelitischen Gottesvorstellung in Betracht. Wir haben es mit der Form der Gottesvorstellung zu tun, die seit dem Beginn der Schriftprophetie die israelitisch-jüdische Religion beherrscht und die seither bei allem selbstverständlichen Wandel im Einzelnen ihren Grundzügen nach doch die gleiche geblieben ist [R1]. Sie ist nicht das Produkt philosophischer Reflexion, sondern ist aus der Unmittelbarkeit des religiösen Bewußtseins selbst hervorgegangen. In der Krise, die zum Untergang des israelitischen und jüdischen Staates führte, hat diese neue Gottesvorstellung ihre endgültige Prägung empfangen. Der Untergang Israels wurde als Strafgericht seines eigenen Gottes gedeutet, und dieser stieg damit zum Weltengott auf, der sich der Großmächte als seiner Werkzeuge bedient und den Lauf der Geschichte nach seinem Willen bestimmt. Diesem Grunderlebnis, aus dem der jüdische Monotheismus hervorgegangen ist, verdankt er alle die Züge, die seine religiöse Eigenart ausmachen und die sich dann auf Christentum und Islam übertragen. Er ist kein Monotheismus einer abstrakten Gottesidee, sondern der Monotheismus einer göttlichen Willensmacht, die als lebendige Realität die Geschichte beherrscht. Dieser sittliche Voluntarismus schließt den persönlichen Charakter der Gottesvorstellung unmittelbar in sich und gibt ihm seinen spezifischen Sinn. Mit der gleichen Unmittelbarkeit erwächst aus ihm die Eigenart der Beziehung von Gott und Mensch. Sie ist nur als sittliche Willensbeziehung möglich und kann als solche nur als ein Verhältnis von Ich und Du, von sittlicher Person zu sittlicher Person erfaßt werden. Der göttliche Wille setzt dem menschlichen seine Aufgabe, an der er seines Verhältnisses zu Gott gewiß wird. Die Gemeinschaft mit Gott ist sittliche Willensgemeinschaft. Alle Gottesnähe und Gottesferne wird von hier aus bestimmt. Das läßt inhaltlich die verschiedensten Möglichkeiten offen. Wird bei Amos vor allem die gebietende Hoheit des göttlichen Willens empfunden und von hier aus das Verhältnis Gott und Mensch erfaßt, so wird schon bei seinem unmittelbaren Nachfolger Hosea der göttliche Wille zum Liebeswillen, der auf die Liebesgemeinschaft zwischen Gott und seinem Volke gerichtet ist. Wenn Jesaja der göttlichen Majestät gegenüber die Demut als das religiöse Grundverhalten fordert, so lebt in den Psalmen das Bewußtsein der Nähe von Gott und Mensch. Überall aber bleibt der personale Charakter der Beziehung gewahrt, und es ist nur die Art der Beziehung, die sich nach diesen verschiedenen Seiten hin sondert. Dem entspricht endlich auch das Verhältnis zur Welt. Gott ist der Herr der Welt, der sie nach seinem Willen leitet und seine Ziele in ihr verwirklicht. Seine Beziehung zu ihr ist nicht naturhaft gebunden, sondern ausschließlich durch die freie Willenssetzung Gottes bestimmt. Diese Auffassung löst den Schöpfungsgedanken der älteren Überlieferung von allen Verflechtungen mit mythologischen Elementen ab und durchdringt ihn ganz mit ihrem Wesen. Die bestimmende Macht des göttlichen Willens offenbart sich am deutlichsten darin, daß die Welt als Werk dieses Willens begriffen wird. Der Schöpfergott ist kein Glied der Welt mehr, sondern Welt und Gott stehen einander als Schöpfer und Geschöpf gegenüber. In der Entwicklung des Schöpfungsgedankens tritt dieser Zug immer reiner heraus. Wird die Schöpfung zunächst als ein Tun Gottes verstanden, so ist es schließlich das göttliche Schöpfungswort, das die Welt ins Dasein ruft. Der göttliche Willensakt genügt, um die Welt hervorzubringen. Der Schöpfungsgedanke will nicht den Ursprung der Welt theoretisch erklären, sondern er ist die Form, in der sich das religiöse Bewußtsein des Verhältnisses von Gott und Welt ausspricht.

Dieser personalistische Charakter stellt die biblische Religion in durchgreifenden Gegensatz zu dem anderen Typus geistiger und universaler Religion, der der Mystik und dem Pantheismus bei aller Verschiedenheit ihres Wesens doch gemeinsam zugrunde liegt. Je reiner und eindeutiger dieser Typus sich ausprägt, um so klarer wird es, daß ihm eine ganz andersartige Vorstellung von Gott und seiner Beziehung zur Welt zugrunde liegt [R2]. Nicht als die die Welt beherrschende Willensmacht, sondern als das sie durchflutende Leben oder als der verborgene Urgrund, dem die Welt entstammt, wird Gott hier erfaßt. Daß es sich hier nicht um eine Differenz in der gedanklichen und vorstellungsmäßigen Bestimmung des Gottesbegriffs, sondern um einen Gegensatz der religiösen Grundeinstellung handelt, ergibt sich aus der völligen Andersartigkeit der religiösen Beziehung von Mensch und Gott auf beiden Seiten. Für Pantheismus und Mystik besteht zwischen Gott und Mensch keine Gemeinschaft sittlich personaler Art. An deren Stelle tritt hier das Einssein mit Gott, mag es als religiöse Tatsache erlebt oder als Ziel der religiösen Sehnsucht erstrebt werden, mag es die Einheit mit dem göttlichen All-Leben oder das Eingehen in den verborgenen göttlichen Urgrund des Seins bedeuten. An Stelle der Gemeinschaft von Person und Person tritt hier das Auslöschen der personalen Besonderung, die als die uns von Gott trennende Schranke empfunden wird. Dieser Unterschied bleibt, wenn man von Misch- und Übergangsformen absieht, auch da bestehen, wo beide Formen der Religion scheinbar dieselbe Sprache reden. Der » amor dei« des Pantheisten und die Gottesliebe des Mystikers sind etwas Wesensanderes als die Gottesliebe personalistischer Religiosität, auch wenn diese noch so überschwänglich die Seligkeit der Gottesnähe empfindet, und nicht minder ist das mystische Erschauern vor der verborgenen Tiefe Gottes grundverschieden von dem Erlebnis der Erhabenheit und Majestät der persönlichen Gottheit. Das Gesagte bestätigt sich noch einmal in der Betrachtung des Verhältnisses von Gott und Welt, bei dem es sich wiederum nicht nur um einen Unterschied gedanklicher Art, sondern um einen religiösen Grundgegensatz handelt. Die Überweltlichkeit des personalen Schöpfergottes ist der Gottesvorstellung des Pantheismus und der Mystik ihrem Wesen nach fremd, weil die Welt für sie nicht unter der Herrschaft des göttlichen Willens steht. Das bedarf für die Auffassung Gottes als des die Welt erfüllenden Lebens keiner näheren Ausführung. Lehrreicher ist es, den Akosmismus des göttlichen Weltgrundes, wie er besonders für die mystische Gottesvorstellung charakteristisch ist, mit der Überweltlichkeit des Schöpfergottes zu vergleichen. Theoretisch drückt sich der Unterschied so aus, daß der göttliche Urgrund der Mystik die Welt nicht schafft, sondern aus sich entläßt. Religiös aber heißt dies, daß Gott nicht als der die Welt bestimmende Wille, sondern als das jenseits der Welt in sich ruhende Sein erfaßt wird. Die Erhebung zu Gott bedeutet darum Ablösung von der Welt, Zurückziehen der Seele aus der Verflechtung in die verwirrende Mannigfaltigkeit des Weltgetriebes, Durchbrechen der Schranken, welche die Welt zwischen ihr und Gott aufrichtet. Die Jenseitigkeit Gottes ist hier eine viel radikalere als bei dem persönlichen Schöpfergott, der bei aller seiner Überweltlichkeit doch auf die Welt bezogen ist und ihr einen religiösen Sinn gibt. Dabei aber hat hier das Verhältnis zwischen Gott und Welt doch eine eigentümliche Dialektik. So sehr der Gegensatz zwischen beiden das religiöse Bewußtsein beherrscht, ist die Welt doch auch wieder die Manifestation Gottes. Besonders dann, wenn der Übergang zwischen Gott und Welt als ein gradueller vorgestellt und zwischen Gott und die Sinnenwelt eine übersinnliche Welt eingeschoben wird, verwischt sich der radikale Gegensatz von Gott und Welt. Während der Schöpfergott der Welt als Ganzem als ein schlechthin Anderes gegenübersteht, wird er hier zum Prinzip der übersinnlichen Welt, und auch der Aufstieg der Seele zu Gott wird nur die höchste Vollendung ihres Eingangs in die übersinnliche Welt. Damit hängt die religionsgeschichtlich sehr wichtige verschiedenartige Stellung zum Polytheismus zusammen. Pantheismus und Mystik konnten neben dem göttlichen Urgrund des Seins auch die Mannigfaltigkeit seiner Manifestationen als göttliche Wesen anerkennen und gewannen damit die Möglichkeit, die Gestalten des Volksglaubens zu tolerieren. Der personale Monotheismus hat für solche Konzessionen keinen Platz. Auch wo er im Engelglauben eine Welt überirdischer Wesen anerkennt, wird die grundsätzliche Scheidung zwischen Gott und Welt, die Einzigkeit Gottes niemals angetastet.

Mystik und Pantheismus sind der jüdischen Religion erst lange nach der biblischen Zeit auf ihrem Wege begegnet, und nur zum Zwecke ihrer genaueren gedanklichen Erfassung haben wir sie mit diesen anderen Formen der Religion verglichen. Unmittelbare geschichtliche Bedeutung dagegen hat ihr oft hervorgehobener Gegensatz zu der Welt der Magie und des Mythos, und die Loslösung der Religion von den magischen und mythischen Motiven, die ursprünglich auch der biblischen Religion innewohnten, gehört zu den wichtigsten Konsequenzen des biblischen Monotheismus. Sie ergibt sich notwendig aus dessen Grundcharakter. Denn Magie und Mythos sind nur da möglich, wo die Gottheiten naturhaft aufgefaßt und im Wirken und Leiden als Naturmächte betrachtet werden. Wenn es als die Eigenart des mythischen Denkens gilt, das Naturgeschehen personifizierend aufzufassen, so bedarf das doch der Ergänzung dahin, daß das personale Sein durchaus den Kategorien der Natur unterstellt wird und daß beide Sphären noch ungesondert ineinandergehen. Die kosmogonischen Mythen mit ihrem Ineinander von göttlichen Handlungen und dinglichen Prozessen geben davon ein klares Bild. Dieselbe Denkweise aber ist auch die Grundlage alles magischen Handelns, das Götter und Dämonen einem dinglichen Zwange unterworfen denkt. In der Willensreligiosität des biblischen Monotheismus wird die personale Auffassung Gottes aus diesen Verflechtungen mit einer naturhaft dinglichen Anschauung herausgehoben. Der Kampf gegen die Magie in der vorprophetischen Zeit ging freilich nicht von der Überzeugung aus, daß sie unwirksam ist, er hält es vielmehr für frevelhaft, auf Gott einen magischen Zwang üben zu wollen. Schon hierin aber drückt sich das religiöse Bewußtsein aus, daß mit der religiösen Beziehung zu Gott das magische Verhalten unvereinbar ist. Dieselbe Richtung des religiösen Bewußtseins hebt dann die Gottesvorstellung zu einer Höhe empor, die jeden Gedanken einer magischen Beeinflussung ausschließt. Indem sich der menschliche Wille dem göttlichen schlechthin unterordnet und damit die religiöse Beziehung zu Gott in voller Reinheit verwirklicht wird, wird zugleich der reine Begriff der Personalität Gottes erreicht und allem naturhaften Sein übergeordnet. Von der Sinnbestimmtheit des göttlichen Willens aus empfangen nunmehr alle Zusammenhänge des religiösen Lebens neuen Sinn. Das Wunder scheidet sich in klarer Bestimmtheit vom Zauber nicht nur dadurch, daß es freie Tat Gottes wird, sondern vor allem dadurch, daß es den verständlichen Zielen des göttlichen Willens dient. Ebenso unterscheidet sich die Offenbarung von aller magischen Wahrsagekunst. Das Geheimnis der Zukunft wird nicht durch eine unbegreifliche magische Kausalität enthüllt, sondern zu bestimmtem Zweck von Gott offenbart. So sehr die ekstatischen Zustände der Propheten äußerlich denen der magischen Ekstase gleichen, so grundsätzlich ist die Prophetie ihrem Sinne nach von allem Wahrsagezauber geschieden [R3]. Derselben Wandlung unterliegt endlich das ganze Gebiet des Kultus und des Ritus. Ein großer Teil der biblischen Ritualvorschriften hatte ursprünglich magische Bedeutung. Aber wenn der biblische Monotheismus sie auch ihrem Inhalte nach bestehen läßt, wird doch ihr Sinn ein vollkommen neuer. Viele von ihnen werden auch ihrem konkreten Inhalte nach ethisch gedeutet. Selbst wo das indessen nicht geschieht, werden sie doch in ihrer Gesamtheit zu Geboten des göttlichen Willens und verlieren damit ihren magischen Charakter. Auf den ethischen Inhalt des göttlichen Willens wird letztlich das Ganze der Wirklichkeit bezogen und empfängt so einen rational verständlichen Sinn. Freilich hat sich die jüdische Religion der von allen Seiten andrängenden magischen Anschauungen auf die Dauer niemals ganz erwehren können. Sowohl im späteren Altertum wie im Mittelalter sind die verschiedensten Formen des Zauberwesens und ist insbesondere auch die Astrologie in jüdischen Kreisen heimisch gewesen [R4]. In die Beziehung zu Gott aber haben sich diese magischen Elemente nicht einzudrängen vermocht, und auf den Höhepunkten der jüdischen Religionsgeschichte ist der Kampf gegen sie immer aufs neue aufgenommen worden.

Die eben entwickelten Gesichtspunkte gelten in der gleichen Weise für das Verhältnis des biblischen Monotheismus zum Mythos. Es ist insbesondere an dem Beispiel des Schöpfungs- und des Sintflutmythos oft gezeigt worden, wie der biblische Monotheismus überkommenem mythischem Gut seinen Geist aufprägt. Anderwärts werden mythische Gestalten in rein dichterischem Sinne verwendet. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich vereinzelte Rudimente mythischen Denkens erhalten. Grundsätzlich jedenfalls sondert sich die Religion wie von der Magie auch vom Mythos, und es sind dieselben Grundkräfte, die hier wie da die Scheidung herbeiführen. Entscheidend für den Gegensatz zum Mythos ist die Schöpfungsvorstellung, die jedes naturhafte Hervorgehen der Welt aus Gott ausschließt und den freien Willen Gottes allein zu ihrer Ursache macht. Auch hier ist es der reine Willens- und Personcharakter Gottes, der die Grenze gegen den Mythos bildet und an Stelle der halb willens- halb naturmäßigen Kausalität der mythischen Kosmogonien die freie Spontaneität des göttlichen Schaffens setzt. Daraus ergibt sich zugleich eine durchaus veränderte religiöse Haltung der Natur gegenüber. Die Natur ist im eigentlichen Sinne »entgöttert«, aus einer Stätte göttlichen Lebens ist sie ein Werk Gottes geworden. Der Schöpfungsbericht des 1. Kapitels der Genesis ist ganz von dieser Auffassung der Natur erfüllt. Sie hat in ihm kein eigenes Leben mehr, sondern wird rein sachlich aufgefaßt und unter die ihr selbst fremden göttlichen Zwecke gestellt. Den Abschluß, das Ziel der Schöpfung bildet der Mensch, der nicht mehr als bloßes Glied der Natur betrachtet, sondern ihr als Ebenbild Gottes entgegengesetzt wird. Diese »anthropozentrische« Auffassung, die dem Menschen die Bestimmung erteilt, sich die Erde zu unterwerfen, und den Zweck der Gestirne darin sieht, die Erde zu beleuchten, löst das religiöse Gefühl völlig von der Natur ab und konzentriert es ganz auf den überweltlichen Gott. Über die Naturgewalten, die in aller Naturreligion als göttliche Mächte empfunden werden, fühlt sich der Mensch jetzt als Wesen einer höheren Art hinausgehoben. Die Naturpoesie der Bibel drückt das gleiche religiöse Grundempfinden aus; auch wenn sie die Herrlichkeit der Natur als Offenbarung der Größe Gottes empfindet, bleibt jedes pantheistische Naturgefühl ihr fremd. Die Natur bleibt für sie immer die Schöpfung und auch in ihr tritt der Gedanke der Naturüberlegenheit des Menschen immer wieder hervor. Der Gegensatz von Mensch und Natur hat dabei keinerlei metaphysischen Sinn und insbesondere hat er nichts mit dem Gegensatz sinnlicher und übersinnlicher Wirklichkeit gemein. Der Mensch gehört durchaus dem Zusammenhange der irdischen Welt an und es ist nur sein Charakter als Person, der ihn über die Dinge der Natur erhebt. Man begreift, wie in der späteren Geschichte der monotheistischen Religionen gerade Zeiten strenger personalistischer Frömmigkeit oft eine Neigung zu mechanistischer Auffassung der Natur bekundeten und unter Ablehnung jeder Metaphysik einer der praktischen Beherrschung der Natur dienenden mechanistischen Naturwissenschaft freundlich gegenüberstanden.

Von ihren ersten Anfängen an hat die israelitische Religion ihren Gott als einen Gott der Geschichte betrachtet. Sie führt ihre Entstehung auf einen Bundesschluß zwischen JHWH und Israel zurück, und dieser Bund bewährt sich von Seiten Israels in der Erfüllung des göttlichen Gebotes, von Seiten seines Gottes in der Fürsorge für sein Volk. Das geschichtliche Leben des Volkes war so die Stätte, an der es seines Gottes inne wurde. Diese geschichtliche Konzeption wurde in der Religion der Propheten zu weltgeschichtlicher Höhe gesteigert. Die dem israelitischen Staate von den Weltmächten des Vorderen Orients drohende Vernichtung wurde, wie bereits erwähnt, als Strafgericht seines eigenen Gottes gedeutet, der sich der Weltmächte als seiner Werkzeuge bediente. Er wurde zum Weltengotte, indem er zum Gott der Weltgeschichte wurde. Von hier aus spannte sich der Blick in die Zukunft wie in die Vergangenheit. Unmittelbar lag in dem Bewußtsein der Propheten die Richtung auf die Zukunft. Der Untergang des Volkes, den sie androhten, war nicht ein Letztes, sondern ihm folgte die Erneuerung, die eine neue Gemeinschaft zwischen Gott und Israel und damit ein neues Heil brachte. Das Heil dieser Zukunft aber blieb nicht auf Israel beschränkt, es vollendete sich in dem Gottesreich, an dem alle Völker Anteil hatten. Die religiöse Zukunftshoffnung schafft so eine die ganze Völkerwelt umspannende Einheit des Zieles, auf das alle Geschichte gerichtet ist. Die religiöse Geschichtsbetrachtung aber greift zugleich in die Vergangenheit zurück und faßt die verschiedenartigsten überlieferten Elemente zur Einheit eines Geschichtsbildes zusammen. Die Geschichte Israels und die Stammessagen von seinen Vorfahren werden mit den mythischen Stoffen von der Entstehung der Welt und der Menschen und den Schicksalen der ersten Menschengeschlechter zu einem Geschichtsbilde verbunden, das nach einem einheitlichen göttlichen Plan gestaltet ist. So ergibt sich ein religiöses Geschichtsbild, das Vergangenheit und Zukunft zu einem großen Ganzen zusammenschaut, eine religiöse Weltansicht, die ganz auf dieses einmalige Werden der Geschichte bezogen ist [R5]. In dem geschichtlichen Werden und nicht in dem gleichförmigen Sein der Natur liegt die eigentliche Offenbarung des göttlichen Willens, die Erfüllung und Befriedigung aller religiösen Sehnsucht. Nirgends ist der Gegensatz zu dem zeitlos in sich ruhenden Gott der Mystik deutlicher als hier. Für die Religion der Bibel versinkt die Welt der Zeit nicht in ein wesenloses Nichts, für ihre sittliche Aktivität verwirklicht sich in ihr die göttliche Ordnung, die eine Ordnung sittlichen Willens und Lebens ist.

Noch in einem anderen Sinne ist die biblische Religion geschichtlich bestimmt. Sie sieht ihren Ursprung in dem Akt geschichtlicher Offenbarung, in dem Israel zu dem Volke Gottes geworden ist. Alle spätere Offenbarung weist immer wieder auf diesen Urakt zurück und knüpft an ihn an. Auch die Propheten haben nicht das Bewußtsein, etwas vollkommen Neues zu offenbaren, sondern wollen den ursprünglichen Glauben Israels in seiner Reinheit wieder herstellen. In der Zeit der lebendigen Prophetie ist das freilich keine Bindung an ein äußerlich Gegebenes, sondern nur die Überzeugung, daß dieselbe Wahrheit, die ihnen von Gott verkündet wird, auch den Vätern mitgeteilt worden ist. Allmählich aber nimmt die Bindung an die Geschichte festere Gestalt an. Mose gilt als der größte Prophet, dessengleichen in Israel nie wieder erstanden ist. Die ihm zuteil gewordene Offenbarung, die den Glauben Israels begründet, steht über aller späteren Offenbarung. Der entscheidende Schritt auf diesem Wege liegt darin, daß ein heiliges Schrifttum entsteht, dem mosaischer Ursprung zugeschrieben wird, und daß schließlich der gesamte Pentateuch als das Werk Moses gilt. Diese Offenbarungsurkunde, die an den Anfang der israelitischen Religionsgeschichte gestellt wurde, war nun die unverbrüchliche Norm der religiösen Wahrheit, die von aller späteren Offenbarung nur bestätigt und befestigt werden konnte. Als vollends die Prophetie erlosch und auch ihrerseits in die Geschichte rückte, beherrschte der geschichtliche Offenbarungsbegriff das religiöse Leben ganz und gar. Die religiöse Wahrheit galt als ein geschichtlich Gegebenes, und ihre Fortbildung und ihr Ausbau war nur in der Gestalt möglich, daß neuauftretende religiöse Vorstellungen als Bestandteil der geschichtlich gegebenen Religion angesehen wurden. Der damit geschaffene Typ der geschichtlichen Offenbarungsreligion war von um so größerer Bedeutung, weil in ihr die religiöse Wahrheit schlechthin ihren Ausdruck fand. Der biblische Monotheismus, der allen Göttern des Polytheismus das Dasein absprach, nahm für sich die ausschließliche Wahrheit in Anspruch, und diese allein gültige religiöse Wahrheit war in der göttlichen Offenbarung endgültig niedergelegt. Mit der Tiefe des religiösen Gehalts verband sich diese Festigkeit des religiösen Wahrheitsbegriffs, um es zu ermöglichen, daß alles religiöse Leben wie alles religiöse Denken der Norm dieser gegebenen religiösen Wahrheit unterstellt wurde. Auch in dieser Beziehung wurde das Judentum für Christentum und Islam vorbildlich. Es schuf den Begriff der Offenbarungswahrheit, der aller späteren Auseinandersetzung zwischen Religion und Philosophie zugrunde liegt.

Noch innerhalb der biblischen Zeit erfahren die dargelegten Grundgedanken der biblischen Religion in einem Punkte eine bedeutsame Weiterbildung. Im Mittelpunkt des religiösen Denkens der Propheten, das durch die Daseinskrisis Israels erweckt worden war, stand die Beziehung Gottes zum Volksganzen. Mit Israel als Volk hatte Gott einen Bund geschlossen, die Sünde des Volkes hatte das göttliche Strafgericht heraufbeschworen, in dem politischen Schicksal des Volkes vollzog sich diese Strafe, dem Volk oder dem von ihm verbleibenden Rest der Frommen verhieß Gott die künftige Erlösung. Durchweg war so das Volk das Subjekt der Religion. Auch der Universalismus der prophetischen Geschichtsbetrachtung behielt diese politische Richtung bei. Die Menschheit, deren Begriff die Propheten bildeten, war die Gemeinschaft der Völker. Demgegenüber war das Individuum zunächst zurückgetreten. Die schon in der vorprophetischen Volksreligion bestehende Beziehung Gottes zum Individuum war von den älteren Propheten nie geleugnet worden, aber das Pathos ihrer religiösen Geschichtsbetrachtung war an ihr vorübergegangen. Schon bei den späteren Propheten aber trat sie als religiöses Problem hervor. Auch die Sphäre der individuellen Religiosität wurde nunmehr vom Standpunkte der prophetischen Gottesvorstellung aus betrachtet. Bei Jeremia und besonders bei Ezechiel wird zunächst die sittliche Selbstverantwortung des Individuums, wenn auch nicht entdeckt, so doch zuerst zu völliger Klarheit gebracht. Vor Gott ist jeder Einzelne für sein Tun verantwortlich und nur nach seiner Tat, nicht nach Verdienst und Schuld der Väter wird er von Gott beurteilt. Dieser Gedanke der individuellen Selbstverantwortung wird in Einem mit dem Gedanken der individuellen Vergeltung gewonnen. Die göttliche Gerechtigkeit offenbart sich nicht nur an dem Volksganzen, sie erstreckt sich ebenso auf das Individuum, ohne daß freilich dessen Zusammenhang mit dem Schicksal der Volksgemeinschaft dadurch aufgehoben wird. In der nachexilischen Literatur gewinnt diese individuelle Seite der Religion immer mehr an Bedeutung. Sie wächst dabei weit über die Sphäre von Lohn und Strafe hinaus. In den Psalmen besonders wird auch für das Individuum der Gedanke einer Liebesgemeinschaft von Gott und Mensch erreicht und die Gottesnähe wird zum höchsten Glücke des Frommen. Aber freilich verliert darum der Gedanke der göttlichen Vergeltung nicht an seiner Bedeutung. Er wird zum Ausgangspunkt des Problems der Theodizee. Schon Jeremia erhebt die Frage nach dem Wohlergehen der Frevler und dem Leid der Frommen, und die nachexilische Literatur ist auf das stärkste von dieser Frage bewegt, die bei den nachexilischen Propheten wie in den Psalmen das religiöse Denken beschäftigt und in dem Buche Hiob die großartigste religiöse Gedankendichtung der Bibel erzeugt hat. Die mannigfachen Formen, in denen die Frage ihre Beantwortung findet, brauchen uns nicht im einzelnen zu beschäftigen. Bald wird allen Zeugnissen der äußeren Erfahrung gegenüber daran festgehalten, daß jedes Leiden Folge einer Sünde ist, bald wird das Leid der Frommen als Mittel der Läuterung verstanden; im Deutero-Jesaja tritt der Gedanke auf, daß der Gottesknecht die Sünde des Volkes mitträgt, das Buch Hiob endlich endet in dem Glauben an die über alles menschliche Fragen erhabene göttliche Größe. Wichtig ist, daß nirgends der Gedanke an eine jenseitige Vergeltung zur Lösung der Frage verwendet wird. Der Glaube an eine solche jenseitige Vergeltung war offenbar noch nicht vorhanden, und die einzige Form, in der ein Fortleben nach dem Tode angenommen wurde, war die volkstümliche Vorstellung eines schattenhaften Lebens der Seele in der Unterwelt. Ersichtlich aber haben diese Fragen dazu geführt, daß der Gedanke einer jenseitigen Vergeltung in die jüdische Religion eingedrungen ist. Er tritt in ihr in der doppelten Form des Auferstehungs- und Unsterblichkeitsglaubens auf. Ob diese Gedanken spontan entstanden oder von außen übernommen sind, ob insbesondere der Auferstehungsglaube aus der persischen Religion stammt, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Auch wenn eine Entlehnung vorliegt, ist sie jedenfalls erfolgt, weil die eigene religiöse Entwicklung des Judentums in diese Richtung führte. Mit dem Jenseitsglauben ergibt sich eine Veränderung der religiösen Perspektive, die in der Zukunft außerordentlich folgenreich wird. Der religiöse Sinn der Welt wird nicht mehr in der gegebenen Wirklichkeit allein erfüllt, sondern es tritt ihr eine andere Wirklichkeit zur Seite. Neben die geschichtliche Zukunft, auf die sich die Hoffnung der Propheten allein richtete, tritt jetzt eine transzendente Welt der Erfüllung. Das gilt wenigstens für den Unsterblichkeitsglauben, während sich der Auferstehungsglaube in die geschichtliche Perspektive der prophetischen Religion einordnet.

Die Frage der Theodizee ist nicht nur für die inhaltliche Weiterentwicklung der jüdischen Religion von Bedeutung geworden. An ihr ist die religiöse Reflexion innerhalb des Judentums zur ersten Entwicklung gekommen. Während die Verkündigung der Propheten ganz auf der Unmittelbarkeit des religiösen Bewußtseins beruht, ist hier schon ein Ringen um eine gedankliche Erfassung der religiösen Wahrheit vorhanden. Diese Wendung bereitet sich schon bei den späteren Propheten vor. Die Art, in der Ezechiel den Gedanken der individuellen Verantwortung an dem Beispiel des frevelhaften Sohnes eines frommen Vaters und des frommen Sohnes eines gottlosen Vaters erläutert, hat etwas durchaus Lehrhaftes [R6]. In seiner ganzen Bedeutung aber wird das Hervortreten der Reflexion im Buche Hiob sichtbar. Die dialogische Form des Buches ist für seinen Inhalt charakteristisch. Indem die verschiedenen Standpunkte einander in Rede und Gegenrede gegenübergestellt werden, wird die Frage der göttlichen Gerechtigkeit zum Problem, das gedanklich zur Lösung gebracht werden soll. Das Denken setzt die verschiedenen Möglichkeiten einander entgegen und läßt sie um die Wahrheit ringen. Aber freilich ist das kein Denken über die Religion. Die Not des religiösen Bewußtseins selbst ruft das Denken zu Hilfe. Die göttliche Gerechtigkeit wird für das religiöse Denken zum Problem, das in gewaltiger Erschütterung nach Klarheit strebt. Die verschiedenen Formen des Glaubens werden einander gegenübergestellt und messen sich aneinander. Für die Haltung des Buches ist charakteristisch, daß die letzte Antwort in der Form einer göttlichen Offenbarung gegeben wird. Das Ringen des Glaubens kommt in der unmittelbaren Gewißheit der göttlichen Größe zur Ruhe. Die Stelle, an der die religiöse Reflexion zum ersten Male einsetzt, läßt die Eigenart der biblischen Religion noch einmal deutlich hervortreten. Das jüdische Denken richtet sich nicht auf Fragen metaphysischer Art. Die Ausscheidung aller mythologischen Kosmogonien hat die Ansatzpunkte beseitigt, von denen aus sich anderweitig die Metaphysik entfaltet. Der Gedanke des Schöpfergottes bietet für die theoretische Welterklärung keinen Ausgangspunkt; und soweit solche Fragen einer Beantwortung fähig sind, wird man hier in erster Reihe die Antwort darauf zu suchen haben, warum das Judentum nicht aus sich heraus zu philosophischer Theorie gelangt ist. Der erste Versuch reflektierenden Denkens richtet sich darauf, den zweifelhaft gewordenen Sinn des göttlichen Tuns zu erfassen. Für den Monotheismus der Propheten war der Glaube an den sittlichen Sinn des göttlichen Willens die letzte Grundgewißheit. Ihr Geschichtsglaube hatte hier sein Fundament, und alle Seiten des religiösen Lebens waren von der Teleologie des Willens aus neu gestaltet worden. Von dieser Sinnhaftigkeit des göttlichen Willens aus die Wirklichkeit zu deuten, sie den Tatsachen des Lebens gegenüber zu behaupten, war eine Aufgabe, die sich aus den Grundmotiven der jüdischen Religion folgerichtig ergab. Dem entsprach auch die Form, in der das Problem der Theodizee auftrat. Es wurde nicht nach dem Grunde des Leidens überhaupt gefragt. Die der alten Paradiesesgeschichte zugrunde liegende Frage, wie Leiden und Tod in die Welt gekommen seien, wurde nicht wieder aufgenommen. Nicht das Leiden schlechthin, sondern das Leiden des Frommen, das die Gerechtigkeit Gottes in Frage stellte, bildete den Anstoß. Wie sehr sich alles um diese Frage bewegt, zeigt besonders deutlich das Buch Hiob. Hiob lehnt sich nicht gegen die Furchtbarkeit seines Leidens auf. Er würde sich mit ihm zufrieden geben, wenn er seinen Grund begreifen könnte. Nur die Tatsache, daß er grundlos leiden muß, das Empfinden, der Willkür Gottes ausgesetzt zu sein, treibt ihn zur Auflehnung, und sie beschwichtigt sich, als er den Glauben an den Sinn des göttlichen Tuns zurückgewonnen hat. In der Sphäre der religiösen Sinndeutung liegen so die ersten Antriebe der erwachenden Reflexion, und in der gleichen Richtung bewegt sich das religiöse Denken auch später, soweit es aus den immanenten Fragen der biblischen Religion herauswächst.

Als selbstverständliche Voraussetzung liegt diesem Denken zugrunde, daß der sittliche Wille Gottes dem Menschen verständlich ist. Das theoretische Problem, ob die Sittlichkeit von Gott unabhängig oder an den göttlichen Willen gebunden sei, lag gänzlich außerhalb des Horizontes der Propheten [R7]. Aber sie hatten ein starkes Bewußtsein von der inneren Evidenz der gottgegebenen sittlichen Forderung. Was gut und was böse ist, leuchtet dem Menschen unmittelbar ein, und in der Verständlichkeit des sittlichen Gebots lag zugleich die Rationalität des göttlichen Willens. Darum mußte auch das göttliche Handeln der sittlichen Forderung gemäß sein und wurde mit Selbstverständlichkeit an den sittlichen Maßstäben gemessen [R8]. Wohl gab es demgegenüber das Bewußtsein der Unbegreiflichkeit Gottes, dessen Wege über denen der Menschen sind wie der Himmel über der Erde. Aber dadurch wurde der Glaube an die sittliche Verständlichkeit der letzten göttlichen Willensziele nicht berührt. Erst im Buche Hiob wird sie scheinbar in Frage gestellt, wenn allen Zweifeln gegenüber auf die den Menschen undurchdringliche majestätische Größe Gottes verwiesen wird. Sosehr das auf die Vorstellung islamischer und kalvinistischer Theologen hindeutet, daß der göttliche Wille allen sittlichen Maßstäben gegenüber souverän ist, so wenig ist das doch der eigentliche Sinn des Buches. Die Lösung des Problems der Theodizee liegt nicht darin, daß Gott über alle sittlichen Maßstäbe erhaben ist; die Einsicht in die Unbegreiflichkeit Gottes und seiner Pläne wird vielmehr zum Mittel, das Vertrauen auf die Sinnhaftigkeit seines Willens, auf den Ursprung seiner Fügungen in einer uns nicht mehr durchdringlichen Liebe und Gerechtigkeit festzuhalten. Auch bei dieser größten Annäherung an den Gedanken der Irrationalität des göttlichen Willens bleibt doch die Überzeugung von seiner letzten Sinnhaftigkeit bestehen, und auch seine Verständlichkeit für den Menschen wird wohl begrenzt, aber nicht aufgehoben.


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