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Freiherr von Wittekind-Neuhof, Kronsyndikus des ehemaligen Königreichs Westfalen, setzte durch seinen Namen schon das ganze Pfarrhaus in Furcht und Schrecken.
Als der Kammerherr den am Wirthshause haltenden väterlichen Reisewagen gesehen, der über und über bespritzt, langsam durch die morastigen Straßen des Oertchens gezogen kam, fuhr er wie ein wildes Thier auf, das seinen Wärter am Käfig vorüberstreifen hört. Er rannte im Hause hin und her, rollte die Augen, hielt den Mund geöffnet, wie sonst in seinen Wuthanfällen, packte, als wollte er sich mit seinem Theuersten schützen, seine Farben, seine Pinsel, seine philosophischen Kugeln, Kegel, Dreiecke zusammen, griff nach einem Crucifix, das er sich selbst geschnitzt und nach vielen kunstgeschichtlichen Controversen mit dem Grafen Zeesen und einem eingeholten Gutachten der Verlobten desselben, des Freifräuleins von Seefelden, selbst bemalt hatte, rief den Diener und schien sogar Lucinden vergessen zu haben.
Die Kinder im Hause liefen ebenfalls auf und ab. Die Pfarrerin suchte nach Lucinden, die sich versteckt auf ihrem Zimmer hielt, zugeriegelt hatte und keine Antwort gab.
Der Pfarrer griff in die Gläser der Harmonica. Der ganze alte Zustand der Wildheit schien beim Kammerherrn wieder 88 zurückgekehrt, dieser Zustand, der seit fast einem Jahre, so oft er sich während dessen gezeigt hatte, durch einen einzigen Ruf, durch ein geträllertes Lied der von der Treppe herabspringenden Lucinde schon aus der Ferne sich besänftigen ließ.
Die ängstlichen Kinder riefen vom Garten aus zum Fenster: Fräulein! Fräulein! Sie klopften, als keine Antwort kam, an die Thür. Lucinde ließ nichts von sich hören. Mit ängstlicher Unruhe blieb sie in ihrem Versteck, trat leise mit den Zehen auf und hörte mit listig aus Fenster gehaltenem Ohr das Toben des Kammerherrn. Dieser entfaltete seine sonst gewohnte Art, welche die eines wilden, auf der Universität alt gewordenen Burschen war, die Natur eines nie anders als mit einem Neufundländer das Trottoir der Straße beherrschenden Pauk-Senioren alten Stils – er konnte stundenlang von seinen Suiten und den Paukereien auf der Mensur und dann von dem besten, aber verrätherischen Freunde Klingsohr erzählen –; johlend rief er über den Garten, schlug die Thüren, rüttelte am Fensterkreuz und redete die Rosse und die Kutsche seines Vaters höhnend und herausfordernd an.
Bald erschien der Kronsyndikus selbst. Es war eine Gestalt von gleichem Wuchse wie der Sohn, hünenhafter Höhe und trotzigfesten Schrittes, so weiß auch schon sein Haar schimmerte.
Er trug einen grünen Jagdrock, hohe Stiefel mit Sporen und ließ eine Reitgerte schon in der Ferne bedenklich in der Hand hin und hertänzeln. Doch lachte er, am Gartenzaun schon vom Pfarrer empfangen, zum Fenster empor und schien besserer Laune als sein Sohn, den er schon draußen, zum Parterrefenster hinein, mit folgenden Anreden seiner väterlichen Huld versicherte:
Pinselheld! Ha! ha! ha! Stubenhocker! Trifft man dich endlich einmal? Farbenkleckser! Schäm' er sich! Treibt sich in der Welt herum! Muß ihn 'mal wieder mit Gewalt holen!
So tändelte er mit fingirter Ueberraschung, den Sohn hier 89 zu finden, und als wenn der Kammerherr hier aus freien Stücken lebte. Dieser ging auch auf solchen Spaß ein. Der Vater tändelte mit dem Sohn, wie mit einem Hund, den man zum Wedeln und Springen reizen will. Und im Hause wurde es nun ängstlich stiller; die Furcht des Sohnes vor dem Vater war die des Thieres. Man behauptete, daß der Kronsyndikus von Wittekind-Neuhof trotz seiner Jahre noch im Stande war, den baumstarken, jüngern Mann niederzuwerfen und ihn auch schon oft mit beiden Händen eine Viertelstunde lang auf der Erde gehalten hatte, Auge in Auge, Mund gegen Mund und den Trotz desselben bändigend.
Mit einem kurz zusammengeschleiften, liebkosenden Huihu! Huihu! Huihu! trat der Kronsyndikus ins Haus.
Die Verständigung im Erdgeschoß, die Begrüßungen und Auseinandersetzungen hörte Lucinde nicht. Aber das vernahm sie, daß es nicht sanft herging, daß die Kinder, der Pfarrer, die muthige Frau Pfarrerin wie immer thätig sein mußten, die Vermittler und Beruhiger zu machen. Zuletzt kam der Diener des Kammerherrn, mit dem Lucinde schon lange conspirirte, auf den Zehen zu ihr geschlichen und theilte ihr flüsternd mit, daß es sich um die Abreise des Kammerherrn, um seine alte, doch noch beschlossene Vermählung mit einem Freifräulein handelte, aber auch um seine Weigerung und den unwiderruflichen Entschluß, nur Lucinden zu seiner Gemahlin zu machen.
An dem wilden Lachen des Vaters, das dann und wann herausschallte, merkte man den Eindruck dieser Eröffnungen des Kammerherrn, der immer stiller wurde und zuletzt sogar in das gewöhnliche Schlußstadium seiner Wuthanfälle fiel, in ein, an diesem starken und mächtigen Manne ganz besonders schreckhaftes, feiges Verzagen, das sich bis zum Weinen und lauten Wehklagen steigern konnte.
90 Wie dies stoßweise Schluchzen schon vernehmbar wurde, hörte man von unten heraufkommen.
Fort! rief Lucinde dem Diener zu und stand auf dem Sprunge, die Thür zu schließen.
Der Diener ging und that, als wär' er im Begriff gewesen eben auf den Boden zu steigen.
Es war aber die Pfarrerin, die kam. Sie klopfte leise an und bat Lucinden mit weicher Stimme herunterzukommen, der Vater wünschte sie zu sehen.
Er kann heraufkommen! antwortete sie in beklommener Angst.
Ich bitte Sie, Fräulein Schwarz! sagte die Frau und drängte.
Nein! Nein! Ich komme nicht!
Damit verschloß sie auch noch ihre Thür. Verriegelt hatte sie sie gleich beim ersten Hineinschlüpfen.
Nach einer Weile, während die Pfarrerin seufzend wieder gegangen war, hörte Lucinde den schweren, sporenklingenden Tritt eines Mannes auf der Stiege.
Eines der Kinder zeigte ihm den Weg, und bald hörte sie ein Klopfen, das unfehlbar mit keinem menschlichen Finger, sondern mit dem Knopfe der Reitpeitsche erfolgte.
Zitternd stand sie und wagte nicht zu öffnen.
Erst als das Klopfen mit einigen freundlichen Worten wiederholt wurde, öffnete sie und mußte staunen, den Kronsyndikus ohne Stock oder Reitpeitsche zu sehen; wirklich waren es nur seine Finger gewesen, die geklopft hatten.
Die große Gestalt trat ein.
Auffallend war die Aehnlichkeit mit dem Sohne, nur hatten Wuchs und Kopf nichts Gedunsenes wie bei diesem. Wettergebräunt, mit leisen Pockennarben überlaufen und hier und da mit Warzen besetzt war das Antlitz. rothe Flecken um die stumpfe Nase und die knochigen Wangen verriethen die Liebe zum Wein; 91 die dicken Augenbrauen waren gelbweiß, die Haare noch stark und von gleicher gelbweißer Farbe. Man sah das Bild eines auf seinen Namen, seinen Rang, seine Verbindungen, vielleicht auch auf seine eigenen Meinungen und Entschließungen sich mit unerschrockener Festigkeit stützenden Adeligen, das Bild eines Mannes, den Widerspruch erbitterte.
Lucinde hatte aber kaum einige Worte von ihm gehört, so bemerkte ihre Klugheit auch allsogleich, daß diese Art Menschen ungefährlich, ja sogar zuvorkommend und liebenswürdig werden kann, wenn man allen ihren Gedanken nachgiebig folgt und sie ganz für etwas ebenso Großes und Vorzügliches nimmt, als wofür sie gehalten sein will.
Auf die ersten von ihm, statt drohend sogar im Gegentheil schmeichelnd, ausgesprochenen Begrüßungen des schönen Mädchens, auf seine Versuche zur Courtoisie und sogar eine Befangenheit, die von Lucindens Erscheinung geblendet war, gewann sie bald den Muth, seinen Worten Stand zu halten.
Sie war in der gewählten Tracht, die der Kammerherr, der sie nur anschauend und bewundernd liebte, an ihr besonders gern hatte. Sie trug ein schwarzseidenes Kleid, hatte in ihr geflochtenes offenes Haar einige bunte Bandschleifen gesteckt, die ihr weit bis in den Nacken hingen, und benahm sich mit der ihr eigenen und, wie alle sie näher Kennenden es nannten, ihr siegreich zu Gebote stehenden träumerischen Kindlichkeit, die den Eindruck eines Wesens sogar voll Poesie und Unschuld machte.
Der wilde Freiherr war sogleich gewonnen und rühmte den Geschmack seines Sohnes mit vielen humoristischen Donnerwettern, Sackerlots und zudringlichen à la bonne heure's.
Ohne viel Umschweife zu machen, erklärte er, daß der Kammerherr eine Baronesse von Tüngel heirathen müsse; er wisse sehr wohl, und auch seiner künftigen Gemahlin würde es nicht 92 verborgen bleiben, daß der Junge seine tollen Stunden hätte, doch lasse er sich leiten, wie ja dieser Aufenthalt hier in Eibendorf bewiesen hätte. Ferner: Er wisse auch, daß ihm selbst die Kunst abginge, mit einem Menschen, der ganz aus der Art geschlagen, richtig zu verkehren; daß Jérôme das Pulver nicht erfunden, sei bekannt; der Titel eines Kammerherrn wäre die Gnade eines benachbarten Fürsten gewesen, in dessen Gebieten einige seiner Güter lägen; sein älterer Sohn, der Regierungsrath, hätte dafür des Verstandes nur zu viel; die Natur gliche gern aus, und ein Unglück wär' es nicht, wenn der Bund mit den Tüngels zur Ausführung käme; Kinder würde es schwerlich geben; wie viel eine richtige weibliche Behandlung zu thun vermöchte, hätte ja Lucinde bewiesen, und er wäre ihr von Herzen dankbar dafür. Daß er seinen Dank, wie er gleich aufrichtig hier bekennen wolle, bis zur Adoption einer solchen Schwiegertochter, wie sie wäre, steigerte, davon könnte natürlich keine Rede sein. Der große Narr weine zwar und wolle nicht von ihr lassen; es würde sich aber bei ihm geben. Einstweilen möchte er selbst nicht allzu lange in dem Hause hier verweilen: er müsse bekennen, weder allzu viel von Weihrauchduft noch aber auch luthersche Pfarrhauslust wäre sein besonderer Geschmack; leider hätte er einen katholischen Pfarrer nicht wählen können, da es ja den »armen Käuzen« an einer Pflegerin und zerstreuenden Kindern fehle. Das Beste wäre, sie folgten ihm einmal vorläufig alle beide, der Kammerherr und die Lucinde. Schloß Neuhof wäre groß, hätte nicht nur zwei Seitenflügel, sondern im Park auch noch ein paar Pavillons, von denen sie den einen ganz allein beziehen könne und zwar so lange, bis das Arrangement mit den Tüngels getroffen wäre und sie sich dann in aller Stille eines Tages entfernen oder sonstwo auf seinen Gütern etabliren könne. Für ihre Existenz »so oder so« solle schon gesorgt werden; denn die 93 Undankbarkeit wäre einer der letzten von den alten Fehlern der Wittekinds.
Und nun schloß er, auch von der Bündigkeit seiner eigenen Darstellung geschmeichelt, mit einem Gelächter, daß die ganze Stube schütterte. Er zog dabei Lucinden an sich, um sie zu küssen, was auch erfolgt wäre, wenn ihn in seinem gewaltigen, selbstzufriedenen Lachen und dem Versuch, seinen rauhen Backenbart an der Sammetwange des Mädchens zu reiben, nicht ein Husten überkommen wäre, den er auf die verdammte Witterung, das heurige zu späte Eintreffen des Frühlings und »allerlei sonstigen niederträchtigen Aerger« schob.
Lucinde hatte keine Veranlassung, diesen Anordnungen Widerstand zu leisten. Sie selbst sehnte sich aus einem Hause hinweg, in dem sie die frühere Werthschätzung vermißte. Die Schraube mit dem Kammerherrn und der Möglichkeit, sich in eine glänzende Lebensstellung zu versetzen, ging ja noch fort. Vorläufig standen die neuen Verhältnisse, die der Kronsyndikus in Aussicht stellte, schon so lebhaft vor ihrer Phantasie, daß sie den Gedanken, in einem großen schönen Park einen eigens für sie eingerichteten Pavillon zu bewohnen, sich schon ganz mit allen möglichen Farben ausmalte.
Ihre ängstliche Schüchternheit aber legte sie nicht ab. Diese war auch vielleicht nicht ganz gemacht. Noch hatte überhaupt das Leben die wirren Stoffe, die in ihrem Innern lagen, nicht verarbeitet bis zur klaren Unterscheidung von Gut und Böse. Ihr Instinct sagte ihr jetzt, daß sie sehr anspruchslos und ungefährlich erscheinen müsse, wenn sie die gute Meinung, die der Kronsyndikus von ihr gefaßt zu haben schien, behaupten wolle. Daß sie sich mit dem, was er in Aussicht stellte, nicht ganz zufrieden geben würde, wußte sie schon. Damit sie aber dahin gelangte, mehr zu gewinnen, war es nothwendig, alles mit sich 94 geschehen zu lassen, was der Kronsyndikus vorschlug. Sie erkannte gleich seine Art, als sie ihm wegen dieser weisen Anordnung ganz besonders innig gedankt und ihn damit noch wohlwollender gestimmt hatte. Sein ganzes Leben war, nach der gewöhnlichen Vorstellung solcher Charaktere, eine einzige große Erfahrung von Undank. Lucinde gefiel ihm immer mehr und er sagte auch unten, daß in ihren schwarzen Augen etwas läge, was ihn, so alt er wäre, selbst noch thöricht machen könnte.
Der unruhige und stürmische Geist des Mannes verlangte die allgemeine Abreise schon vor Ende des Tages.
Der Kammerherr ließ alles geschehen, was man anordnete, blieb ihm doch sein Liebstes auf Erden, das Ideal seiner Träume, die ewig gleiche Belebung seiner Bilder, seine Schülerin, seine Heilige.
Wie ein Kind nahm er Abschied von dem Hause des Pfarrers und den nächsten Umgebungen. Selbst noch am Riedbruch im Walde war er, bis an die Knöchel versinkend. An derselben Stelle, wo er einst Lucinden gefunden, hatte er einige schon sprossende Gräser und Schneeglöckchen gepflückt. Schon lange verkündete hier ein Würfel aus Sandstein, mit einigen Emblemen des Philosophen jener kleinen Stadt, dessen System er an der Drechselbank und auch aus einigen bei demselben persönlich nachgeschriebenen Heften bewunderte, und auf diesem Würfel das eingegrabene griechische Wort: »Heureka!« (Ich habe gefunden!) allen Blumen und Vögeln und Schmetterlingen und Käfern sein Glück – diesen wol allein, denn Menschen verirrten sich des sumpfigen Weges schwerlich.
Der Pfarrer selbst, dem eine bedeutende Einnahmequelle versiegte, sah den oft so unholden Gast mit Rührung scheiden. Die Pfarrerin meinte: Man gewöhnt sich so bald an das, was tägliche Pflicht geworden, selbst wenn Plage und Qual damit 95 verbunden war. Den Verlust der Einnahme mußte man zu verschmerzen suchen, mischte sich doch auch das angenehme Gefühl in den Scheideaugenblick, erlöst zu sein von einem Alp wie Lucinde. Einen Misbrauch ihrer Schönheit, ein übles Beispiel, das sie den Kindern im Genuß ihrer Triumphe gegeben, konnte man ihr nicht nachsagen. Da sie aber die gewohnten und allgemeinen Wege in keinem Dinge gehen mochte und an kleinen Verwirrungen, die sie schon genug in den nächsten Beziehungen des Hauses angerichtet hatte, förmlich Freude zu empfinden schien, so sah man sie mit erleichtertem Herzen ziehen. Lucinde wußte das und machte von ihrem Gehen keine Umstände. Nur den Kindern im Hause und manchem Fleißigern in der Schule ließ sie zurück von ihrem Ueberfluß an Kleinigkeiten und hunderterlei Bagatellen, die ihr der Kammerherr verehrt hatte.
Die Reise ging über das Eggegebirge der westfälischen Abdachung zu.
Obgleich der Kronsyndikus mit der Mehrzahl seiner Güter der großen norddeutschen Monarchie angehörte, schien sein Herz doch mehr an Hannover, an Braunschweig, an Lippe, Bückeburg und Detmold zu hängen, in deren Gebieten er gleichfalls angesessen war. Ja, bis in den höhern Norden hinauf, bis Hamburg, bis Kiel hin besaß er einzelne, durch Verschwägerungen und alte Familienbeziehungen ihm zugefallene Güter.
Der Kammerherr schien dabei trotz alledem sein Lieblingssohn. Des ältern, des Regierungsraths, wurde nur mit Gereiztheit gedacht, ja in den Spott, in den er zuweilen über die Welt, in welcher jener lebte, ausbrach, stimmte der Kammerherr mit ein, sodaß man beide dann in ein mit ganz gleicher Tonart gesetztes Lachen sich ausschütten hören konnte.
Die freie, ungebundene, ja zügellose Art des Vaters fiel Lucinden bald genug auf. Der Kammerherr war sittsamer. Sein 96 Vater gab ihm das Zeugniß, daß der »alte Schafskopf«, wie er ihn nannte, immer nur Hunde und seine sogenannten guten Freunde geliebt, immer nur wie ein Duckmäuser vor den Damen gestanden hätte und zu seinem höchlichsten Erstaunen nun doch noch in den Apfel der Erkenntniß beißen wollte. Wenn er eine solche Vergleichung brauchte, lachte er sich selbst Beifall, und Lucinde wußte schon, wie gern er sah, wenn auch sie darüber den Mund in Lächeln verzog. Sie erntete dafür über ihren Verstand und ihre Zähne Schmeicheleien so derber Art, wie sie der Kammerherr nie auszusprechen gewagt hatte.
Die Reise währte eine halbe Nacht und einen halben Tag. Man fuhr mit vier Pferden Extrapost. Am Wege sah man dann und wann Crucifixe und Heiligenbilder. Die an historischen Erinnerungen so ahnungsreiche Gegend war hier gemischter Confession. Bei der Frage nach Lucindens Herkunft, sonderbarem Vornamen, religiösem Bekenntniß kam es zu einigen Erörterungen über die Stadt, aus der sie entflohen war. Und nun fragte der Kronsyndikus von Wittekind selbst, ob Lucinde dort nichts von einer gewissen Gülpen oder Buschbeck, wie sie sich nenne, gehört habe. Und trotzdem, daß sie ja auch dem Kammerherrn schon diese Namen ausgesprochen hatte, antwortete sie –: Nein! Sie fürchtete Fragen über ihre Herkunft und die Ursache der Bekanntschaft mit jener unheimlichen Frau.
Der Kammerherr hätte sich der frühern Frage Lucindens gewiß nicht erinnert; außerdem war er auch gerade in dem Augenblick beschäftigt, mit einem Perspectiv die Fenster eines Herrensitzes zu fixiren, an dem sie in einiger Entfernung vorüberfuhren. Er entdeckte dort seinen zweitbesten Freund, den Grafen Zeesen, der trotzdem, daß es erst April war, schon Fliegen zu jagen schien. Lucinde brauchte das Glas nicht, um zu sehen, daß der Graf alle Fenster im ersten Stock seines »Hofes« offen hatte und mit 97 der Fliegenklatsche die dort demnach ganz unglaublich frühzeitigen Störenfriede hinausjagte.
Der Kronsyndikus war offenbar über seine eigene Frage nach der »Hauptmännin« in Gedanken verloren, sonst hätte er um einige Meilen weiter nicht so unbefangen von einer jungen Dame gesprochen, die sie auf den Wiesenwegen, die einen kleinen Edelhof umgaben, einsam und, wie es schien, tief nachdenklich spazieren gehen sahen. Es war dies Therese von Seefelden, die Verlobte jenes Fliegen jagenden Grafen Zeesen . . .
Kaum begann der Kammerherr von den vortrefflichen Eigenschaften seines Freundes, des Grafen, und hatte eine Parallele zwischen ihm und dem »Verräther«, dem Doctor Klingsohr, zu ziehen angefangen, als der Kronsyndikus mit dem Fuß aufstampfend ausrief:
Schweig! Nenne mir die hundsföttischen Namen nicht!
Man erfuhr jetzt, daß der leidenschaftliche Mann in diesem Augenblick nicht nur von der Zukunft seines Sohnes, sondern auch noch von vielen andern Dingen, vorzugsweise von seinen Beziehungen zu dem Vater jenes Klingsohr, seinem Generalpächter, auf das heftigste gereizt war.