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Die neue Welt.

Ich hatte für das vorige Kapitel noch einen Passagier, der mitsegeln sollte. Allein der Wind blies so frisch in die Segel, daß ich die Anker lichtete und den nun am Strand sitzen Gebliebenen für ein neues Paquetboot bestimme.

Ja, Mr. Point hat mir's erlaubt, daß ich ihn, ob er gleich mein Freund ist und mich des Jahres zwölfmal bei sich essen läßt, in meinen Zeitgenossen aufführen darf, und zwar nicht hinter dem Titel derselben, als Dedikation der Vorrede, sondern mitten unter den großen und kleinen Charakteren, welche ich mir in diesen Unterhaltungen zu zeichnen vorgenommen habe.

Wodurch ist Mr. Point so bemerklich? durch sein ungeheures Rechnungstalent. Was er sieht und hört, multiplizirt er. Er darf nur zum Fenster hinaussehen, so weiß er, wie viel Menschen auf der Straße sind. Ich ging nach einem seiner vortrefflichen Diners mit ihm in Drurylane und sagte: Point, geben Sie mir einmal das Biquadrat dieser hier versammelten Menschenmasse an! Er sah sich ein wenig um und sagte: Sie sind kein Kaufmann. Als solcher sag' ich Ihnen, daß wenn Jeder hier unten im Parterre nur einen Schilling in der Tasche hat, die Summe gerade zwanzig Pfund acht Schillinge betragen wird. Beim Hinausgehen an der Kasse fragt' ich nach der Einnahme des Parterres. Der Eintritt war für die Person 5 Schillinge, die Kasse hatte gerade vom Parterre 102 Pfund eingenommen. So strikt und genau ist dieser Kopf. Was er sieht, gestaltet sich ihm in eine Combination um, die immer einer Größe gleich ist, welche er dividirt und addirt. Er geht auf der Straße und rechnet die Menschen zusammen, als wären es lauter Ziffern, benannte und unbenannte. Er soll der Napoleon der Buchführung in der ganzen Handelswelt der City seyn.

Allein dieß große Talent ist weit weniger dasjenige, was mich veranlaßt hat, Mr. Point unter meinen Zeitgenossen aufzuführen. Was mir weit bemerkenswerther geschienen hat, ist die mathematische Zurichtung seiner Familie. Ja, ich muß es gestehen, Mr. Point ist ein so großer Rechner, daß er alle Bande des Blutes, alle zarten und süßen Pflichten der Eltern- und Kinderliebe in ein arithmetisches System gebracht hat und über jede seiner Zärtlichkeiten und Vatersorgen einen Contocurrent führt. Besitzer eines ansehnlichen Vermögens ist er durch fünf Kinder gezwungen, es einst zu dividiren. Er ist zu sehr Mathematiker, als daß er sich durch die Gesetze über die Primogenitur bestimmen lassen sollte. Jedes Kind hat ein Buch, in welchem die Kosten, die es verursacht hat, eingetragen werden. Es ist dieß eine finanzielle Biographie von Kindesbeinen an. So wie ein neues auf die Welt kömmt, erhält es sein Folio in der Bank des Vaters. Die Hebamme kostete soviel Guineen, der Kindtaufschmaus soviel; ist das Kind größer geworden, so heißt es: Soviel Teller zerschlagen, soviel Schaden im Garten angerichtet, so oft gefallen durch eigene Schuld, Heilungskosten; kurz, Mr. Point ist seit zwanzig Jahren keinen Abend ins Bett gegangen, daß er nicht mit seiner Frau, die schon völlig auf seine Ideen eingegangen ist, vorher die Tagesberechnung macht. Der kleine Robert z. B. ist ein Näscher. Statt ihm nun dieses Laster abzugewöhnen, kann er Alles, was er nur wünscht, erhalten; doch sagt ihm Mr. Point jeden Tag: Es wird dir aber angeschrieben! Der kleine Robert denkt: Schreib du nur an! und ißt sich an Näschereien ungesund.

Ich muß gestehen, daß mir diese Methode, alle Tugenden und Thorheiten der Kinder in barem Gelde anzuschlagen, fürchterlich ist. Mr. Point mag mir das nicht übel nehmen. Wenn ich bei ihm im Familienkreise esse, so fehlen die Kinder nicht. Allein sie sind durch das ewige Vorrechnen, was der Eine mehr kostet, als der Andere, so bedächtig und pedantisch geworden, daß es mir war, als hungerten sie absichtlich bei den schönsten Speisen, weil sie gehört hatten und täglich hören, daß sie, je mehr sie jetzt äßen, künftig desto weniger zu essen haben würden. Der Vater beobachtet ganz genau, wie viel ein Jeder auf seinem Teller liegen läßt, und obgleich von verschiedenen Gegenständen die Unterhaltung immer recht gut belebt ist, so weiß ich doch, warum Mr. Point seine Blicke zuweilen so abwesend herumschweifen läßt bei Tische. Dieß ganze Prinzip einer allzu gewissenhaften Gerechtigkeit gegen die künftigen Erben scheint mir durchaus nicht dem Charakter der europäischen Gesellschaft angemessen zu seyn. Nur ein Bewohner der vereinigten Staaten dürfte im Stande seyn, bis in diesem entsetzlichen Grade die Mathematik zu einer Hülfswissenschaft der Moral zu machen.

Weil ich in diesem Kapitel von Nordamerika sprechen will, spart' ich mir Mr. Point als einen Uebergang aus der alten in die neue Welt auf. Wenn irgend etwas der Charakter der letztern ist, so ist es die Tarifirung aller Dinge im Himmel und auf Erden. Dem Amerikaner hat Alles einen Werth, und zwar immer einen solchen, der verhältnißmäßig ist und durch Zahlen ausgedrückt werden kann. Die Leichtigkeit, mit welcher der Amerikaner die subtilsten Begriffe auf Geld anschlagen kann, ist unglaublich. Selbst die Imponderabilien, als da sind, Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, selbst die Metaphysik hat für ihn ein Gewicht. Sein Sinnen und Trachten ist eine ewige Reduktionsrechnung. Was unmittelbar mit dem Gelde keine Verbindung hat, das trägt er zuerst auf etwas Verwandtes über, sucht eine Analogie dafür, läßt diese die Metallprobe bestehen und findet so, daß sich Alles dasjenige, was zwischen dem Alles und Nichts in der Mitte liegt, auch mit einfachen arabischen Ziffern ausdrücken läßt.

Eine Erörterung dieses Phänomens der immer mehr um sich greifenden Weltbildung schien mir an dieser Stelle nicht unpassend. Doch läßt sich der einzelnen schroff hingestellten Thatsache wenig Beleuchtung geben, und es möchte daher angemessener seyn, hier sogleich einen Versuch einzuschalten über jene politische, geistige und materielle Volksexistenz, welche jenseits des Ozeans aus einem wilden und rauhen Boden aufschoß und sich zu einer Blüthe erhoben hat, die Europa zu beneiden anfängt, und von welcher wir versuchen werden, immer mehr Ableger auf unsern eignen Boden zu verpflanzen. Ueberhaupt wird in Zukunft weder Geschichtsphilosophie noch Geschichtsdarstellung den Charakter der Vollständigkeit ansprechen können, wenn nicht den Amerikanern in ihr eine eigene Betrachtung gewidmet wird. Sie als ein Corollar, als einen Anhang zu betrachten, darf nur noch der Nationaleitelkeit oder denjenigen Philosophen gestattet bleiben, welche gewohnt sind, wie dieß in Deutschland der Fall ist, aus einer Formel, z. B. Ich ist gleich Ich! die ganze Welt zu ermitteln.

Wie verhalten sich Europa und Amerika im Weltplane der Geschichte? Ist das greise Europa bestimmt, vom jugendlichen Amerika überwunden und erfrischt zu werden? Wer von beiden Welttheilen darf Lehren geben, und wer muß sie annehmen? Diese Fragen beschäftigen Jeden, der die Politik von einem tieferen Grunde, als von dem der Intrigue schöpft. Es gibt eine Politik der Staaten und eine Politik der Völker. Jene hilft sich mit Manipulationen, Hand- und Kunstgriffen, mit Maximen höchstens, die aus der Geschichte und der speziellen Lebenserfahrung gelernt sind. Diese forscht im Rathschlusse der Gottheit und verknüpft die Gegensätze der Erfahrung gern durch das liebende Band der Aufklärung, glättet die Widersprüche aus und sucht Gesammtzwecke aufzustellen, an welchen die Menschheit gemeinsam arbeiten solle. Was wir in diesem Kapitel geben wollen, ist eine Untersuchung nach den Grundsätzen der letztern Politik.

Es gibt zwei Ansichten in Betreff der vereinigten Freistaaten. Die eine, anhänglich an Europa, nennt sie Nachzügler der Geschichte, macht ihnen die Originalität streitig und gesteht ihnen nichts als einen Formalismus zu, den sie auf einseitige und hohle Weise durchführen sollen. Die andre, demokratischen Ursprunges, opfert ihnen die Zustände Europa's, als überlebt und verbraucht, wirft ihnen den Kranz höchster Vollendung zu und fordert Europa auf, sich ihn so zu verdienen, wie Nordamerika. Dasselbe Land, welches Jenen eine Trivialität ist, ist Diesen ein Sitz der Freiheit und Gleichheit. Jene sehen aus Nordamerika eine Monarchie, Diese aus Europa eine Republik werden.

Man kann dem Gegensatze beider Meinungen noch einen anderen Ausdruck geben. Ist Nordamerika ein Musterstaat, der uns voranleuchtet, oder kultivirt er nur eine einzelne Branche des großen Weltgeschäftes, eine einzelne Frage, die Europa über Bord warf? Hat Amerika ein eigenes originelles, nur ihm angehöriges Pensum zu lösen, oder entwickelt es eine allgemeine Idee, die einmal normal werden könnte für die ganze Geschichte?

Diese zweite Art, die Frage zu stellen, sagt mir besser zu. Ich werde mich immer dahin erklären, daß Nordamerika nur ein einzelnes Pensum zu lösen hat, daß es eine Spezialität ist. So viel Totalität des Lebens es haben mag, so ineinandergefügt alle seine Existenzäußerungen seyn mögen: gegen die Vorstellung einer allgemeinen Aufgabe, die sich der Weltgeist gestellt hat, kann ihm nur die Ehre gestattet werden, eine einzelne Strahlenbrechung derselben glänzend genug, aber nur eine einzelne wieder zu geben. Nordamerika hat eine große Mission; gerichtet auf eine Idee, ist es der Begriff der Demokratie, den es in seiner ganzen Einseitigkeit an sich ausbildet; gerichtet auf ein Land, ist es Amerika selbst, welches durch die vereinigten Staaten befreit und der Civilisation entgegen geführt werden soll. Englands Parlament wird protestiren und vielleicht eine Flotte ausrüsten, wenn es sich immer deutlicher ergeben sollte, daß Nordamerika seine Aufgabe versteht und nach der Eroberung oder Bundesgemeinschaft, wie man diese Erweiterung der Cultur nun nennen mag, trachtet; allein ohne Sorge. John Bull versteht von der Frage der Civilisation nicht mehr, als daß er lesen und seinen Namen nothdürftig schreiben kann. Das Parlament ist der potenzirte John Bull. Amerika möge sich durch nichts hindern lassen, seinem Ziele zu folgen. Die Augen des denkenden und aufgeklärten Europa werden immer mit Bewunderung auf es gerichtet seyn.

Ich behaupte, daß mit dem Tage der Verfall der vereinigten Staaten beginnen würde, wo sie anfangen würden, sich um Amerika weniger zu kümmern, als um Europa. Für unsern Welttheil seh ich auch nicht eine Brücke, die sie mit uns verbinden könnte. Sie würden überall eine zurückgesetzte Rolle spielen. In Amerika jedoch stehen ihnen alle Wege offen. Sie sind berufen, noch einst die Landenge von Panama durchzustechen, sie werden auf dem Rio de la Plata, wie auf dem Amazonenstrome mit ihren Dampfschiffen durch unentdeckte Wildnisse die Civilisation bringen. Nicht der Congreß von Washington wird dieß über die Prinzipien der Bundesregierung anordnen. Es kann Feindschaft bestehen zwischen dem Congreß und jenen Gegenden, deren Berührung mit ihm ich ahne; allein die Theorie, der politische Verstand, die Weisheit und die Mäßigung, welche die vereinigten Staaten auszeichnen, werden eine Ausströmung haben auf die Inseln und das südliche Festland. Texas und Mexiko dienen als Schrittstein für das Gebäude, welches in Amerika der Weltgeist sich für die Zukunft aufzubauen scheint.

Ich gebe mich gern der Vorstellung hin, welch ein herrliches Amalgam von Eigenschaften es werden müßte, wenn sich spanische, nordamerikanische und autochthonische Elemente zusammen vereinigen könnten, wenn dem nobeln Ernste des Spaniers sich die heftige und sinnliche Leidenschaftlichkeit des Eingebornen zugesellte, und die Mischung beider Anlagen durch die praktische Betriebsamkeit und die Verstandesrichtung des Nordamerikaners geregelt würde. Würde es nicht ein Meisterstück, nicht der Natur, sondern des schöpferischen Geistes der Geschichte seyn, wenn ein Südamerikaner in sich das schöne Gleichgewicht dieser drei Elemente halten könnte, wenn der feurigen raschen Hand, der moralischen, ehrgeizigen Anlage des Spaniers, seinem dunkelrollenden Auge und seinem schwarzen Haare sich das Herz, das Gemüth des Wilden anschlöße, die tiefsinnige Mystik der Empfindung und die reizende Naivetät seiner Anschauungen, die bekanntlich den amerikanischen Eingebornen auszeichnen, und zu dieser Anschauung noch die dritte Macht hinzutreten könnte, die Enthaltsamkeit, Selbstbeherrschung, die Aufklärung und der Industrialismus nebst der polizeilichen Gesittung des Yankee, der, wenn er freilich nicht mehr besitzt, als dieß, einseitig und kahl genug ist! Die Ordnung, welche Südamerika über kurz oder lang erhalten muß, wird es nirgend woher, als von Nordamerika entlehnen können.

Wenn man gegen diesen Traum einwendet, daß der Nordamerikaner keineswegs hinreichenden propagandistischen Fanatismus besitzt, um ihn möglich zu machen, so liegt gerade die Garantie der Erfüllung desselben in diesem Umstande, der das Gegentheil beweisen soll.

Einmal findet sich freilich Ausbreitungseifer genug in Nordamerika, und zwar in einem Maße, dessen Grausamkeit für den guten Zweck nichts zu wünschen übrig läßt. Die Bürger der vereinigten Staaten verfahren gegen die Eingebornen mit einer Herz- und Gemüthlosigkeit, die freilich unsre Empfindungen empören macht, die aber unleugbar an Ort und Stelle ist, wenn es sich einmal um einen großen Zweck, und um die einfachsten Mittel, ihn zu erreichen, handeln soll. Sogar die Moral wird von Jonathan, der doch sonst so religiös ist, nicht selten aus den Augen gesetzt, um Völker zu ersticken, welche von Tausenden, die früher den Stamm bildeten, allmählig zu Hunderten zusammengeschmolzen sind. Man kennt die Hülfsmittel, welche man brauchte, um die Creekindianer und die Seminolen um ihre Wälder, Weiden und Flüsse zu bringen. Indem die Indianer von einer Niederlassung zur andern wandern müssen, werden sie entweder zurückbleiben, sich umzingeln und civilisiren lassen, oder sie kommen an der Südsee in einem Zustande an, der einer Reduktion auf Nichts vollkommen gleich ist.

Zweitens aber liegt in dem Nordamerikaner allerdings ein Element, welches ihn für die Propaganda der Cultur untauglich zu machen scheint. Die Religion ist dieß. So theuer sie von den Bürgern der transatlantischen Republik gehalten wird, so scheint sie ihnen mehr ein Privilegium für Einzelne zu seyn, als eine Idee, die sie erst dann beruhigt, wenn Alle ihrer theilhaftig wären. Die Toleranz, welche mit den ersten Einwanderern in die neuen Kolonien einzog, ist ihnen etwas, das ihnen mit der Ausübung jeder Religion und jedes einzelnen Sektenglaubens stets verknüpft werden zu müssen scheint, im völligen Gegensatze zum Katholicismus, der in Südamerika keine Rast und Ruhe, kein Mitleid und Erbarmen hatte, um sich allgemein zu machen. Auffallend! Es ist, als hätte die feste Ueberzeugung, welche die Protestanten von ihrem Glauben zu beseelen pflegt, weit mehr Genüge an sich selbst und Zufriedenheit, als der Katholicismus, der, je unhaltbarer er sich fühlt, desto weitere Verbreitung sucht, und durch die Anzahl seiner Bekenner gleichsam sein unruhiges Gewissen zu übertäuben sucht. Der Nordamerikaner hat überdieß seine Religion nur für den Cultus, nicht für die Discussion. Sie ist ihm etwas Angebornes, das er andern ohne das Christenthum auf die Welt Gekommenen mitzutheilen verzweifelt. Darum wird man selten davon hören, daß der Bekehrungseifer bei den Unternehmungen gegen die Indianerstämme eine große Rolle gespielt habe. Dieß um so weniger, da der Sektengeist gemeinsame diesen Zweck verfolgende Maßregeln lähmt, und es noch schwerer ist, einen Wilden erst für das Thema, und dann sogleich für eine specielle Auslegung desselben zu gewinnen.

Wenn demnach die religiöse Propaganda die politische in Nordamerika zu verhindern, oder wenigstens nicht zu unterstützen scheint, so ist doch, wenn wir von der Zukunft des neuen Welttheils die oben angedeutete Vorstellung hegen, grade in diesem Mißverhältnisse der Grund zu suchen, daß ich glaube, die Regeneration Südamerika's könne durch Nordamerika reißende Fortschritte machen. Die religiöse Propaganda würde im Gegentheil die politische nur aufhalten oder bei dem Fanatismus, der den Südamerikanern in Sachen der Religion einmal eingeimpft, man kann wohl sagen, durch Scheiterhaufen eingebrannt ist, sie völlig verhindern. Auf die Religion keinen ausschließlichen Werth legen, heißt die Individualität, die angeborne Cultur, die Sitten und Gewohnheiten, heißt das Familienleben, kurz Alles in Schutz nehmen, was die Menschen nicht gern aufopfern, wenn man ihnen dafür auch noch soviel Aufklärung und politische Freiheit geben will. Die Toleranz in Sachen der Religion garantirt den Nordamerikanern, daß sie jenen großen Einfluß auf Südamerika, den sie nach dem Rathschlusse Gottes ausüben zu müssen scheinen, bald gewinnen oder, wenn der Gewinn schwierig seyn sollte, doch später dauernd befestigen können.

Dieß scheint mir die große Mission der vereinigten Staaten zu seyn! Sie dagegen mit Europa in Verbindung bringen, heißt Europa nicht kennen. Wir können niemals auf Nordamerika hinauskommen, weil wir in Europa ganz andere Faktoren zu summiren, ganz andere Stoffe zu verbrauchen haben, als die Söhne Franklins und Washingtons. Die Stoffe, aus welchen unsre Zustände zusammengesetzt sind, sind unübersehbar, und wenn wir noch so lange daran arbeiten und revolutioniren, um sie einfacher zu machen, so werden sie sich doch nicht auf die Einfachheit Nordamerika's reduziren lassen. Die Hindernisse der Freiheit, welche Amerika nicht hat, bekämpfen wir zwar; allein, sie zu tödten, wird uns die Macht fehlen. Wir werden immer nur darauf hinauskommen können, die Ebbe und Fluth der neuern Geschichte beweist es, uns mit unsern Gegnern abzufinden und Verträge mit ihnen zu schließen. Das Ideal nordamerikanischer Freiheit kennen wir. Stellen wir uns ein gleiches von europäischer vor, so wird sie weit länger, als jene, kämpfen müssen, ehe sie zum Siege kömmt, aber ihr Inhalt wird dafür auch voller und strotzender seyn, sie wird nicht wie die amerikanische nur einen Umfang für ihre Nachbarn, sondern für die ganze Welt haben; denn, mag auch ihr Symbol nur das einfache Bürgerthum seyn, so wird sie doch weit mehr Menschliches gerettet haben, als in dem Begriffe eines Bürgers der nordamerikanischen Demokratie steckt.

Die Wechselwirkung beider Welttheile auf einander liegt in den nicht selten gemeinsamen Strebepunkten, deren Gleichheit sowohl wie Verschiedenheit. Es wird immer darauf hinauskommen, daß Amerika für Europa eine Warnung und eine Lehre seyn kann, nie aber ein Beispiel, welches eine unbedingte Nachfolge verlangt. Sind auch die Tendenzen nicht selten gleichmäßig, so haben sie doch andre Voraussetzungen, hier und dort. Was der eine Welttheil hat, hat der andere nicht und kann es nicht erlangen, weil doch Natur sich durch die Geschichte nicht schaffen läßt.

Wir wollen die vorzüglichsten Gegensätze beider Territorien zu entwickeln suchen.

Die vereinigten Staaten haben eine primitive Gründung gehabt, wie sich zwar oft Gemeinwesen auf diese Art, nämlich durch Colonisation, bildeten, allein selten in einem so ausgedehnten und von einem großen Terrain unterstützten Grade, wie in Nordamerika. Die transatlantische Republik, nicht hervorgewachsen aus dem Boden der Natur, war das Produkt einer rationellen Ueberlegung. Sie war in der That ein Contrat social, eine Erklärung unsrer politischen Rechte, wie wir dieselbe den Anfängen der Geschichte nur durch eine Fiktion sonst zu supponiren pflegen. Fertige, abgeschlossene Grundsätze schifften sich einst in England ein, nahmen eine durch die sektirerische Isolirung weit über das Jahrhundert hinaus schon gereifte politische und allgemeine Erfahrung mit sich über das Meer, und konnten die Urwälder durch eine Aufklärung lichten, die sie schon hatten. Die neuen Colonisten konnten Schwierigkeiten höchstens im Stoff ihrer Existenz finden, nicht mehr in der Form. Diese brachten sie fertig aus der Heimath herüber. Die Erfahrung und Bildung gründete ihre Gemeinwesen, ihre Gesetze hatten nicht nöthig, Unrecht zu verdrängen, sondern sie brauchten das Unrecht nur zu verhüten. Sie konnten gut Theorien über den Staat aufstellen, da keine Privilegien von ihnen verletzt wurden.

Der zweite Vorsprung Nordamerika's vor Europa liegt in dem Verhältnisse zur Revolution. Wenn in Europa keine historische Entwicklung gewisser Fragen möglich seyn kann, ohne daß dieselbe entweder eine alte darüber festgestellte Autorität bereits umgestoßen hat oder noch umstoßen wird, wenn die Revolution für Europa ein Engpaß ist, durch welchen einige Thatsachen, einige Völker bereits durchgegangen, und wo andere noch an der Pforte sind, so hat Amerika auch diese Nothwendigkeit schon überstanden. Es ist eben so sehr die Frucht einer nüchternen gesetzmäßigen Constitution, wie die Frucht einer milden und hinlänglich begeistert gewesenen Revolution, die außerdem das Gute hatte, daß sie nicht gegen einen Theil des Staatskörpers gerichtet war, sondern gegen ein auswärtiges, längst überflüssig gewordenes Gewand desselben. So hat Amerika längst etwas hinter sich, das Europa noch bedroht und hat es auf eine Weise überwunden, wie es Europa so friedlich, so wenig gewaltthätig niemals können wird.

Hierzu kommt drittens, daß Nordamerika keine auswärtige Politik hat. In allen seinen Verhältnissen zu Europa nur die strengste Neutralität beobachtend, schloß es sich bald an freie, bald an despotische Regierungen an. Es kümmert sich nicht um die innern Zustände der verschiedenen Länder, sondern knüpft seine Verbindungen da an, wo gerade der Pfahl der Macht steht, ob dieß nun ein Freiheitsbaum oder eine Geßlerstange seyn mag. Wenn Europa keine auswärtige Politik hätte, um wieviel leichter würd' es ihm nicht werden, die Feststellung seiner innern Verhältnisse zur Reife zu bringen. Wie oft muß nicht die auswärtige Feindschaft dazu dienen, eine innere Freundschaft aufzulösen! wie oft erzeugen die auswärtigen Abneigungen, z. B. der Regierungen gegen Staaten, welche im Rufe stehen, volksthümlichen Ideen Vorschub zu leisten, Abneigungen auch genug im Innern, wenn die Regierten ungern die Politik der Regierenden theilen! Von diesem Zwiespalt und allen Verlegenheiten auswärtiger Politik sind die vereinigten Staaten befreit. Als Jackson auf die Schadloshaltung Nordamerika's für ehemalige Nachtheile gegen Frankreich neuerdings so fest bestand und sogar mit Feindseligkeiten den schmutzigen Geiz der »großen Nation« zu strafen drohte, waren es nur die französischen Blätter, welche sich einbildeten, daß diese entschiedene Sprache von den Nordamerikanern nicht gebilligt worden wäre, daß diese großen Kaufleute sich eine Ehre daraus machen würden, um einen Saldo von zwölf Millionen von den Franzosen betrogen zu werden. Wo es Geld betrifft, sind alle Nordamerikaner Commis eines einzigen großen Banquierhauses.

Viertens haben die vereinigten Staaten für jede ihrer Bestrebungen, für physische und moralische Zwecke, eine Ausdehnung, die mit dem engen, abgezirkelten Terrain Europa's entschieden kontrastirt. Die Steppen und Wälder dehnen sich nicht nur weit nach Westen hin und locken zum Anbau, sondern viele unter den einzelnen Bundesstaaten selbst haben nur ihre Peripherie cultivirt und können tiefer ins Land hinein noch unzählige Stätten darbieten, wo die Betriebsamkeit und Gewinnsucht nach Abenteuern ausgeht und damit endet, die Wildniß lieb zu gewinnen, sich anzusiedeln und Licht zu schaffen mit der Axt und mit dem Verstande. Es ist demnach dem europäischen Schreckbilde, der Uebervölkerung, immer ein Damm gebaut oder vielmehr ein Kanal, der von der angehäuften Masse immer wieder Parcellen fortschwemmt und die Unregelmäßigkeiten der Population mit weiser Fügung der Umstände ausglättet und ebnet. Desgleichen haben auch die moralischen Intentionen der Menschen einen Abzugsweg, der in Europa nicht existirt, nämlich alles bessre Neue wollen zu können, ohne doch dem guten Alten zu schaden. Gesetzt, militärischer Ehrgeiz könnte sich des Nordamerikaners bemächtigen; ein General, der vortrefflich hinter den Comptoirtisch passen würde, berauschte sich an den Thaten Napoleons und träumte von Marengo's und Jena's: so könnt' er seinen Thatendurst mit dem Blute der Wilden löschen, mit dem der Mexikaner und tiefer hinunter. Er würde, ich glaube recht gern, der zweite Napoleon werden, dabei aber der Civilisation und vor allen Dingen der Freiheit nicht einen solchen Abbruch thun können, wie es sein großes Vorbild that.

Dazu kommt nun, um fast alle Aehnlichkeiten unsrer Lage und der der vereinigten Staaten zu untergraben, daß Amerika Grundsätze und Prinzipien hat, welche sich die Europäer nicht einimpfen lassen. Der Charakter des Europäers gleicht einem zackigen Waldbaume, der so und so kraus und konfus wächst, der des Amerikaners einer schlanken Pappel. Wie viel Selbstbestimmung bleibt nicht den Europäern überlassen! Während in Nordamerika die Sicherheit der öffentlichen Thatsachen eine harmlose Hingebung an den einfachsten Bildungsweg erlaubt, stellt sich der Europäer gegen Alles, was auf ihn einwirken könnte, in Opposition und kann selten zu jener gleichmüthigen Verfolgung eines einseitigen Lebenszweckes kommen, der dem Amerikaner selbst in seiner Jugend schon so viel Praxis gibt. Man nehme nur die Religion! Sie ist dem Amerikaner nächst der Freiheit das Wichtigste, allein sie beschäftigt ihn weit weniger, als den Europäer. Bei uns werden selbst die von Spekulationen über das Unsichtbare eingenommen, welche an das Unsichtbare gar nicht glauben. Der Atheismus der europäischen Gesellschaft ist aber eine Religion, die uns mehr zu schaffen macht, wie dem Amerikaner seine fromme Gebärde und sein vierteljährliches Abendmahl. Auch werden wir nie erreichen, alle Ideen, welche nach höhern Regionen streben, so eng verschwistern zu können, wie sie im Kopf und im Herzen des Amerikaners sich vertragen. So beschäftigt zwar unsre Philosophen vielfach die Verbindung der Politik mit der Religion; allein wir werden, wenn wir auf das sehen, was ist, auf die Menschen, wie sie sind, immer vor dem ungeheuern Riß schaudern müssen, der Himmel und Erde, Ewiges und Zeitliches in unsern Ueberlieferungen sowohl wie in schon gewohnten eignen Anschauungen gespalten hat. In Nordamerika sind die Begriffe gehaltloser, aber sie hängen organischer zusammen. Die Freiheit wird nicht blos von der Religion unterstützt, sondern sie entwickelt sich auch aus ihr. Das Erste beweist, wenn z. B. ein Reisender erzählt, er habe einer Versammlung in Nordamerika beigewohnt, welche dem Schicksal der unglücklichen Polen gewidmet war. Ein Geistlicher führte darin das Wort; er begann mit einem Gebete, schilderte Rußland, wie David die Heiden und Philister schilderte, und machte eine durchaus politische und menschliche Frage zu einem Texte, der sich durch die Bibel beweisen ließ. Das Zweite, den wirklichen Ursprung der Freiheit aus der Religion, erkennt man aus gewissen ältern Statuten der Strafgesetzgebung. Wir meinen hier jene ganz individuelle nordamerikanische Freiheit, die oft weit mehr die Physiognomie der Beschränkung hat, diejenige Freiheit, welche sich an das Gesetz bindet. Es ist eine Unterabtheilung des nordamerikanischen Freiheitssystems, daß z B. Niemand um Geld spielt. Natürlich, wenn erst der glückliche Zufall über den Besitz von Vermögen entscheidet, dann stellt sich bald eine Aristokratie ein, die mit der des Blutes eben die Eigenschaft gemein hat, daß sie nicht die des Verdienstes ist. Reichthümer besitzen, stört ohnehin schon das Gleichheitsinteresse; um wie viel mehr, wenn die Reichthümer aus dem Zufalle entspringen dürfen, wo in jedem Augenblick im Kleinen eine Revolution gemacht wird, die das öffentliche Wohl gefährden kann. So wird auch in den Kriminalgesetzen das Spiel bei Geldstrafen untersagt und dieses Wort durch Motive gerechtfertigt, die nicht aus der Politik, sondern aus der Religion hergenommen sind. Dieß Alles widerspricht dem Charakter der europäischen Gesellschaft, und macht eine gleiche Tendenz mit Nordamerika für uns zu einer Unmöglichkeit.

Diese Unmöglichkeit tritt noch schärfer hervor, wenn wir im Gegensatz zum Vorangehenden auch in Kürze dasjenige aufführen wollen, was Europa wieder vor Amerika vorauszuhaben sich theils rühmen, theils einfach gestehen muß.

Zuvörderst hat Europa eine ungeheure Vergangenheit. Die Geschichte ist mit lebendigen Farben in unser Gedächtniß geschrieben und wirkt mächtig auf unsere Meinungen und unsre Entschlüsse ein. Wir haben durch sie Perioden und Charaktere ererbt, die wir ihrer Größe nach nie erreichen werden. Die Geschichte lähmt auf der einen Seite, wenn sie auch auf der andern zur Nacheiferung spornt. Wir fühlen uns nur als Glieder einer großen durch die Jahrhunderte gehenden Kette der Gesellschaft, wir werden uns immer im Zustande jener höchsten Freiheit befinden, welche die Philosophie für die höchste Nothwendigkeit zu erklären pflegt.

Die Geschichte ist ein Vermächtniß, das wir verwalten müssen, selbst mit der Schuldenlast, die darauf drückt. Sie ist eine alte Großmutter-Erinnerung für Jeden, so daß man nicht von ihr lassen kann, selbst an Thorheiten und Wunderlichkeiten derselben sich leicht gewöhnt und von einer angebornen Pietät für sie beseelt ist. Europa hatte seine Catone, seine Sokrates, Europa ist nicht nur mit der Lehre Christi, sondern auch mit dem Blute Tausender, die sie als Märtyrer besiegelten, eng verbunden. Wir sind gewohnt, den Finger Gottes in der Geschichte walten zu sehen, wozu wir öfter Gelegenheit hatten, als das junge Amerika. Weil wir älter sind, darum haben wir mehr Vorurtheile, sind zäher, spröder und halten fester an Institutionen, bei welchen wir den Faden bis auf ihren Ursprung meist immer verloren haben und sie gleichsam als organische Naturprodukte betrachten, gegen welche keine Einrede Statt findet und die wir tragen müssen, wie uns selbst.

Auch lassen sich in der That, wie wir schon oben sagten, diese Institutionen nicht tödten. Sie sind unvertilgbar, weil sie in mehr als in Personen bestehen. Die Idee des Königthums hat in Frankreich mit dem Tode Ludwigs XVI. nicht sterben können, sondern selbst, wenn es an dem fürstlichen Blute gefehlt hätte, würden neue Repräsentanten jener Idee gekommen seyn, wie denn auch Napoleon kam. Gesinnung, Sitte, dagegen kämpfen ist erlaubt, sie aber zu nivelliren auf eine solche Einfachheit, wie in Amerika, dazu müßte die jetzige europäische Generation aussterben und durch Einwanderer aus einem fremden Welttheile ersetzt werden.

Wie sehr z. B. Europa und Amerika, das nördliche wenigstens, verschieden sind, zeigt das Verhältniß beider Welttheile zum Ehrgeiz. Die Liebe zur Macht ist, trotz dem, daß in neuerer Zeit mit der Macht auch die Verantwortlichkeit gestiegen ist, bei uns unausrottbar. Bei uns haben noch alle Revolutionen zuletzt eine monarchische Tendenz angenommen und zwar die Garantien der Freiheit verbessert, aber auch den Gegensatz gegen sie, eine überwiegende Macht, als etwas Natürliches beibehalten. Dieß ist in Nordamerika von Haus aus verschieden. Es herrscht daselbst statt Freude Ekel an der Macht. Die einfache, freie, ungebundene Stellung des Bürgers scheint daselbst wünschenswerther, als eine Bekleidung mit einem Amte, das dem Privatmanne nur Zeit raubt, ihm Gelegenheit nimmt, sein Geschäft ordentlich zu betreiben und mehr Prozent zu machen, als die Richter- oder selbst die Präsidentenstelle ihm jemals eintragen wird. Daß Nordamerika im Grunde noch ganz etwas Anderes als eine Republik ist, beweist die Bereitwilligkeit, welche in Europa herrscht, Aemter zu übernehmen, selbst wenn sie mehr kosten als einbringen, wenn sie nur Ehre einbringen, und die allgemeine Abneigung jenseits des Ozeans für den öffentlichen Dienst. Der Nordamerikaner erhält Alles bezahlt, was er für den Staat thut. Jede Minute, die seinem Geschäfte verloren geht, wird ihm in Geld angeschlagen und vergütet, eine Sitte, die allen republikanischen Gewohnheiten wenigstens des Alterthums entschieden widerspricht.

Um aber zuletzt den wichtigsten Entscheidungsgrund anzugeben, warum sich Europa niemals gespornt fühlen dürfte, mit Amerika zu wetteifern, so ist dieß die geistige und besonders wissenschaftliche Verschiedenheit beider Welttheile. Wir sehnen uns nach einer andern Zukunft; aber diese Zukunft ist an Erwartungen geknüpft, für welche Nordamerika nicht die geringste Voraussetzung hat. Wir sehnen uns nach der Auflösung zahlloser Fragen, welche jenseits des Ozeans kaum noch verstanden würden. Was ist nicht von scharfsinnigen und leidenschaftlichen Köpfen, von Philosophen und Dichtern unter uns angeregt worden! Welche Ideen durchkreuzen sich nicht in dem Denkvermögen unsrer Jugend, die die Erhabenheit des Alterthums, die Poesie des Mittelalters und die Empirie der neuen Zeit in sich vereinigen und durcharbeiten möchte! Sind dieß Alles Berührungspunkte für das Land der Comptoire und der Sklaven? Weder die Religion, welche bei uns schwerlich ihre leidenschaftliche Färbung verlieren wird, noch irgend eine Frage der Wissenschaft und Kunst scheint in Nordamerika enträthselt werden zu können. Amerika hat weder Kunst noch Philosophie, es hat nur eine Literatur, die aus ein paar nach Schiffstheer riechenden Romanen besteht.

Was die Zukunft getrennt hat, das liegt in der Gegenwart noch weiter auseinander. Es gibt keinen Contrast, der entschiedener wäre, als eine Parallele zwischen John Bull und Jonathan. John Bull ist eine kleine untersetzte Figur, wohlgenährt, mit kleinen verquollenen und stechenden Augen, heiter ohne viel Falten; John Bull schwimmt in einem Meere, wenn nicht von Gesundheit, doch von guter Laune. Jonathan ist entschieden gesund, aber nur deßhalb, weil er Wasser trinkt und sich von keiner Leidenschaft beherrschen läßt. Jonathan ist lang aufgeschossen, mit überhängender Haltung, mager, gedörrt im faltenreichen Antlitze, mit einem felsenharten Stirnknochen und einem mehr eckigen als runden Schädel. John Bull ist weit beschränkter als Jonathan, was Kenntnisse anbelangt. Jener wird nicht wissen, wo Charlestown liegt, Dieser aber gewiß, wo Perth. Doch hat John Bull eine größere Geläufigkeit im Denken, er ist subjektiver und launiger, er hat bessere Einfälle, als Jonathan, der gar keine hat. Jonathan spielt eine beklagenswerthe Figur neben ihm. Jonathan kann nur die Hände falten und still zum Himmel aufsehen. Das ist seine ganze Waffe. John Bull verläßt sich aber mehr auf sich selbst, als auf den Himmel. Sein bester Freund ist er selbst. Der Egoismus berührt dennoch sein Herz nicht direkt. John Bull ist einer Aufopferung fähig, er schlägt sich z. B. in Frankreich für die Charte gegen Karl X. oder die Republik. John Bull ist fürchterlich in seinem Zorn, aber er ist schnell verflogen. Er reflektirt über sich selbst, er kommt sich komisch vor in der grotesken Gebärde und reicht gern seine Hand zur Versöhnung dar. Jonathan dagegen ist, ich will nicht sagen, Heuchler und verbände alle Laster der Hypokrisie; allein er hat das Wesen eines Mannes, der lange mit sich necken und zerren läßt, dann aber die Zähne knirscht und in eine Wuth geräth, wo man ihn anbinden muß, damit er kein Unglück anstiftet. Der freie Amerikaner hat weit mehr leidendes Ansehen, als der feudale John Bull, der so große Steuern zahlen muß. Seine Schadloshaltung dafür besteht in der Anwendung seines Mutterwitzes, dem er eine Essigschärfe von ätzender Kraft zu geben weiß. John Bull tadelt Alles, was nicht von ihm ausgeht, er tadelt Alles das, was er nicht selbst ist, und wird so lange mit der Opposition stimmen, bis er selbst auf die Ministerbank gerückt ist. Das Raisonniren, das Besserwissen, die Unverschämtheit John Bulls ist nicht seine beste Seite, er ist darin ein weit größerer »Philister« als Jonathan. Jonathan hat nämlich keinen Witz, er denkt nicht schnell, noch weniger, daß er, was der Witzige thun muß, zwei Dinge zu gleicher Zeit im Auge haben könnte, um von beiden die Aehnlichkeit oder den Unterschied anzugeben. Er tadelt auch die Regierung, aber nicht deßhalb, weil sie von ihm nicht ausgeht, sondern im Gegentheil, weil sie ihn viel zu sehr in Anspruch nimmt. John Bull kann die Regierung nicht oft genug sehen, Jonathan fühlt sich von ihr inkommodirt, er ist in dieser Rücksicht ein wahrhaft freier Mann, er kennt weder die knechtische Furcht vor der Polizei, noch den kleinen Spott, welchen die Polizei bei uns auch von ehrlichen Leuten ertragen muß. Moquiren, das ist das Laster John Bulls. Jonathan kennt es nicht. Die Frivolität eines Spottes, der blos spottet, um seinen Verstand zu üben und seinen Uebermuth zu kühlen, würde ihm ein Verstoß gegen die Religion scheinen. Es ist seltsam, welche Inkonsequenz! Jonathan sollte der größte Menschenliebhaber seyn aus demselben Grunde, warum er die Frivolität verachtet. Beides wären die Folgen der Religion, keine dürfte im Grunde ohne die andere seyn. Und doch haßt Jonathan nur die Frivolität, kümmert sich aber im Uebrigen wenig um den Wanderer, der verwundet am Wege liegt, und den wieder niemand anderes verbinden und erquicken würde, als der sonst so ungläubig und samaritanisch gesinnte John Bull.

John Bull handelt leichtsinnig und ohne Consequenz. Der Instinkt und die Leidenschaft reißen ihn zu jeder Unternehmung hin. Grundsätze, dauernde Maximen hat er keine. Jonathan hat einen einzigen Erfahrungssatz: er sagt: Ruat coelum, fiat justitia! Er bleibt sich gleich; man weiß, was man an ihm hat, man kennt ihn, man wird ihm nicht ins Haus laufen und sagen: Borgen Sie mir tausend Pfund, Sir! Jonathan hat an sein Haus geschrieben: Hier gelten die einfachen Grundsätze des Einmaleins! John Bull beneidet dem Manne die Ruhe, das leichte Blut, den gesunden Schlaf. John Bull ist immer exaltirt und ärgert sich über Alles. Gingen Beide, John Bull und Jonathan, durch die Regentstreet in London, so wird jener alle hundert Schritte still stehen und etwas zu bemerken haben. Dieses Haus scheint ihm geschmacklos, jenes steht mit dem Charakter des Bewohners in keinem Zusammenhange, da sind die Fenster gespart, »aus Furcht vor der Fenstertaxe!« ruft er aus, »aus dem miserabeln Grunde, der reiche Mann!« Jonathan hört ihm ruhig zu. Jonathan denkt nur an seine eigene Einrichtung und überläßt Jedem die Verantwortlichkeit der seinigen. In der That, diese Privatzüge muß man in Anschlag bringen, wenn man begreifen will, warum John Bull niemals für die Republik so reif seyn wird, wie Jonathan es ist.

Gesetzt, John Bull und Jonathan würden auf eine wüste, menschenleere und unangebaute Insel verschlagen. Hier würde sich vollends die Verschiedenheit ihres Charakters bewähren. John Bull würde mit einer herzzerreißenden Melancholie am Gestade des Meeres auf- und abgehen, würde jeden Vogel in der Ferne für ein Segel halten und, hundertmal getäuscht, doch nicht die Einsicht haben, daß vom Außerordentlichen und in einer außerordentlichen Lage nichts mehr zu erwarten ist, sondern daß es gilt, sich hineinzufinden und das Ungewöhnliche für das Gewöhnliche zu nehmen. John Bull würde von den Meerkrebsen gefressen werden, ehe er selbst Anstalten machte, sie zu fangen und durch irgend ein gescheutes Nachdenken sich Feuer und Material zu verschaffen, um sie zu sieden. John Bull sieht deutlich, daß auf der Insel keine Menschen leben, aber er kann die Hoffnung nicht aufgeben, dennoch welche zu finden. Er bedarf eines anregenden Umganges, guter Freunde, die mit ihm schwatzen und mit denen er sich erzürnen kann. Jonathan benimmt sich dagegen weit respektabler. Er hat sich längst eine Hütte gebaut und sich in die Umstände gefunden. Er rechnet nebenbei darauf, Besitzer der Insel zu werden, und muß seine ganze Mäßigung aufbieten, John Bull von seinen Streichen abzuhalten. Mit einem Worte, Jonathan übertrifft ihn an Hoffnung, Charakter und praktischer Lebensphilosophie.

Jonathan hat dafür einige andere Fehler für sich voraus. Er ist prahlerisch und schneidet gern auf; er vergrößert sein Glück und verkleinert sein Unglück, das heißt, er kann eben so gut lügen, wie heucheln. John Bull -- warum sollte der es nicht auch können! Allein Jonathan übertrifft ihn darin, daß dieser nicht blos Heuchler gegen Andere, sondern auch gegen sich selbst ist. Das kann John Bull nimmermehr. Gegen sich selbst ist er aufrichtig, sich gesteht er, wie's mit ihm steht, er faltet keine andächtige Mienen und hängt den Kopf nicht zwischen die Beine, wie Jonathan, der sich selbst einen Sünder nennt, aber nur deßhalb, weil er durch diese kleine Aufrichtigkeit, gegen den Himmel, gegen die Erde desto versteckter seyn zu dürfen glaubt.

Jonathan hält sich für den ersten Staatsmann in der Welt. Er sagt und wiederholt es bis zum Ekel: Wir leben in einem freien Lande! Krieg, Marine, Verfassung, Wissenschaft, Alles ist bei ihm gleich unübertrefflich. Er verachtet andere Nationen mehr, als der Patriotismus entschuldigen dürfte. Der individuelle Hochmuth mischt sich hinein, er spricht weniger von seinem Lande, als von sich, seinem Vater und seinem ältesten Sohne, von seinem Geschäft und seinem Folio in der Bank von New-York. Ich begreife nicht, wie man zu gleicher Zeit ein so großer Christ und ein so großer Prahlhans seyn kann. John Bull lügt auch, aber nicht aus Interesse, sondern weil es ihm Spaß macht, Jemanden etwas aufzuhängen.

Doch ist es unsere Absicht, später, wenn wir die einzelnen Volkszustände unsre Revue passiren lassen, auf Nordamerika wieder zurückzukommen. Hier betrachteten wir nur die Stellung der Union zu dem allgemeinen Charakter der Gegenwart und suchten Momente herauszuscheiden, welche für den Universalismus der Geschichte von Bedeutung hätten seyn können. Wir haben gefunden, daß Amerika den Namen der neuen Welt recht gern verdient, aber nicht den der besten. Wir sind weit entfernt geblieben, die Zukunft Europa's an die seiner Nebenbuhlerin zu knüpfen. Und dennoch drängt sich mir am Schlusse dieser Betrachtung der Gedanke auf, als ob das innere Wesen beider Welttheile nicht einen Coincidenzpunkt hätte, der sie einander näher bringen müßte? Das ist die Gewaltthätigkeit, die Tyrannei hier wie dort in den Fragen, welche die Existenz entscheiden, in Amerika die Sklaverei. Die Sklaverei ist ein Element im Leben Nordamerika's, welches Analogien mit europäischen Zuständen zuläßt: der Feudalismus ist im Grunde derselbe Krebs, von welchem die Befreiung Europa's angenagt ist, wie die Farbigen jenseits des Ozeans. Der Egoismus, ja sogar eine gewisse Nothwendigkeit, die natürlich zu seyn scheint, spielen in beide Verhältnisse hinein. Die Ablösung der Feudallasten ist mit eben so großen Opfern verknüpft gewesen, als es die Emanzipation der Sklaven ist. Die südlichen Staaten können, wie man ihnen fast glauben möchte, ohne Neger nicht mehr das Zuckerrohr bauen. Und in Europa ist der Feudalismus, obgleich in seinen hauptsächlichsten Erscheinungen überall zerstört, wo Bildung und Freiheitssinn um sich griff, doch ein in hundert Vorurtheilen, Sitten und gesellschaftlichen Beziehungen versteckt gebliebenes Uebel.

Wie nun, wenn die Emanzipation der Sklaven, welche die großen Freiheitshelden und Christen in Nordamerika verweigern, dieselben Erscheinungen allmählich hervorriefe, wie bei uns in Europa der Kampf um bürgerliche Freiheit? Wenn, ich will nicht sagen, der Sklavengeist eine drohende Aehnlichkeit mit dem europäischen Liberalismus annähme, sondern nur die Gegner zwingen würde, andere Combinationen in ihr Urtheil einzulassen und eine politische Dialektik sich anzueignen, wie wir sie in Europa haben müssen, wo es so viel Sinn für Freiheit und leider so viel Rücksichten bei ihrem Dienste gibt? Eine lang ausgeübte Tyrannei wirkt auf die Herrscher selbst zurück, so wie man in Rom dem Monarchismus immer näher rückte, seitdem sich alle seine Kräfte vereinigen mußten, um die Empörungen der Sklaven zu ersticken. Wir wollen nicht einmal sagen, daß die Neger furchtbar sind, oder daß sie eine zusammenhängende Opposition bilden könnten; allein wer einmal Blut kostete (und so kann man die Tyrannei der Pflanzer wohl bezeichnen), der hat immer Geschmack und Lust daran, der trägt seinen Sinn auf vieles Andre über, wo sonst weichere oder wenigstens indifferente Grundsätze gelten. Welche außerordentliche Rohheit haben die Nordamerikaner bereits in den Sklavenangelegenheiten beurkundet! Journalisten, welche die Emanzipation vertheidigt hatten, wurden von den angesehensten Personen im Lande, von einem General sogar, wie kürzlich ein Reisender erzählt hat, meuchlings erschossen, und, was das Unglaubliche ist, der Mörder nicht einmal anders als mit einer kleinen Geldbuße dafür bestraft. Ich gebe blutwenig auf einen Republikanismus, in dessen Consequenzen solche Entmenschungen liegen. Amerika wird, wenn dieser zügellose und tyrannische Geist um sich greift, bald von dem hohen Standpunkte herabsteigen müssen, auf welchen es sich durch äußerlich glänzende Thatsachen einer sehr leichten Revolution und späterer Volkswohlfahrt, am meisten aber durch seine eigene Ruhmredigkeit geschwungen hat.

Aber das geb' ich gern zu: Schreitet die Union in dieser Theorie der Sklaverei fort, so möchte sie bald den Interessen Europa's näher gerückt seyn. Ich sage dieß nicht, um Europa zu demüthigen. Es ist nur zu erwiesen, daß es unsre Schuld nicht ist, wenn die Begriffe, welche wir mit Freiheit, Licht und Recht verbinden, mit tausend Winkelzügen und hypothetischen Bedingungen verklausulirt sind, und daß wir nicht vor die Thür gehen können, ohne über Verhältnisse auszugleiten, die uns der Thatbestand in den Weg legt, und die immer wieder aus dem Boden wachsen, selbst wenn man nicht ermüdete, sie zehnmal auszujäten. Ich meine, Nordamerika wird seine einfachen und etwas schaalen Begriffe über die Freiheit auflösen müssen, wenn es fortfährt, so unredlich sie im Kampfe gegen die farbige Bevölkerung anzuwenden. Oder diese Bevölkerung selbst zwingt die Union, ihr Rede zu stehen und mit ihr zu parlamentiren. Genug, dieß sind Ahnungen einer trüben Zukunft, die, so oder so, friedlich oder feindlich, Amerika und Europa näher bringen; im Bösen freilich, vielleicht aber bald auch im Guten. Alte und neue Welttheile haben ihre Plagen und ihre Gebrechen: warum sie unterscheiden und zu Feinden machen!


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