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Wie der Regierungsassessor von Malepart Herrn Lampe ersucht, den Kreisdirektor Baron von Capreoli von Onkel Grävings Verwandtschaft mit Majestät zu verständigen, und wie Nikoline Laputz ihrem Verehrer das Versprechen abnötigt, bei ihren Eltern in aller Form um sie anzuhalten
Im Burghause Malepart war ein vom königlichen Kabinettsekretariat an »Herrn Grimbart Gräving, Wohlgeboren« gerichtetes Schreiben eingelaufen, dessen Umschlag der Adressat nicht ohne einiges Herzklopfen öffnete. Verriet schon das Prädikat »Wohlgeboren« nicht viel Gutes, so bereitete erst der Inhalt dem Empfänger eine Enttäuschung, wie er noch keine erlebt zu haben glaubte. Man teilte ihm mit kühler Sachlichkeit mit, daß »dieserorts« von einer Verwandtschaft des Gesuchstellers mit dem Allerhöchsten Hause nichts bekannt sei. Herrn Grävings Vermutungen müßten wohl auf einer irrigen Annahme beruhen, es sei denn, daß seine Abstammung auf die Mesalliance des Sprosses einer Seitenlinie des Petzischen Hauses, die schon vor Jahrhunderten ihrem Anrecht auf die Thronfolge entsagt habe, zurückzuführen sei, worüber sich jedoch im königlichen Hausarchiv keinerlei Urkunden vorfänden. An eine Apanagierung Herrn Grävings könne deshalb ebensowenig gedacht werden wie an die Beförderung seines Neffen, des Herrn Regierungsassessors Reinhard von Malepart, Hochwohlgeboren, auf Grund einer persönlichen Entschließung Seiner Majestät.
Der Ärger über diese Abfuhr schlug dem alten Herrn dermaßen in den Magen, daß er den Appetit verlor und seinen Vorsatz, heute abend auf der Wiese hinter der Oberförsterei ein wenig nach Regenwürmern zu stechen, aufgab. Mißmutig warf er sich auf das Moospolster seines Lagers, aber er fand keine rechte Ruhe: immer und immer wieder erhob er sich, schlich zum Schreibtisch und starrte den verhängnisvollen Wisch mit umflorten Sehern an.
In dieser trüben Stimmung traf ihn der Neffe, der kurz vor Mitternacht vom Ansitz heimkehrte und, da er im Studierzimmer des Oheims noch Licht bemerkte, bei ihm vorsprach. Auf Reinhards teilnehmende Frage, ob der Onkel etwa wieder von einem Anfalle seines alten Leidens heimgesucht worden sei, deutete dieser mit einer stummen Geste auf den Brief.
Der Assessor ließ sich gemächlich am Schreibtisch nieder, nahm das Papier in die Branten und überflog den Inhalt. Dann griff er nach dem Umschlag, betrachtete die mit dem königlichen Wappen geschmückte Siegelmarke und las den in der linken unteren Ecke angebrachten Aufdruck »Eigene Angelegenheit Sr. Majestät des Königs«. Grimbart Gräving erwartete, daß der temperamentvolle junge Mann in eine Flut von wilden Verwünschungen ausbrechen und ihm womöglich mit unfreundlichen Worten vorwerfen werde, er habe bei seinem Schreiben an den Monarchen irgend etwas versäumt.
Aber von alledem geschah nichts. Der Neffe schmunzelte vielmehr höchst vergnügt und sagte: »Famos, famos, Onkel! Ich hätte nicht geglaubt, daß man am königlichen Hoflager auf deinen Schreibebrief überhaupt zeichnen werde. Jedenfalls ist die Antwort einfach unbezahlbar. Wenigstens der Umschlag. Mit dem gedenke ich mein Glück zu machen. Du hast hoffentlich nichts dagegen, daß ich ihn einstecke?«
Der alte Herr traute seinen Gehören nicht. »Du hast gar nicht auf eine Antwort gerechnet?« fragte er kleinlaut.
»Bewahre! Oder glaubst du etwa, daß sich der König viel darauf einbilden würde, mit dir verwandt zu sein? Da muß man doch die hohen Herrschaften kennen! Die stehen so himmelhoch über uns niederem Raubzeug, daß ich mich nicht wenig über deine Naivität gewundert habe. Seine Majestät mit der Angelegenheit zu behelligen. Du wirst das königliche Kabinettschreiben schwerlich hinter den Spiegel stecken oder es gar deinem berühmten Familienarchiv einverleiben, denn Staat ist damit wirklich nicht zu machen, aber der Umschlag soll mir gute Dienste leisten, und wenn ich übers Jahr Kreisdirektor bin, so danke ich's ihm oder vielmehr deiner unglaublichen Einfalt, lieber Onkel.«
»Aber Reinhard! Ich verstehe zwar nicht, was das alles zu bedeuten hat, aber es scheint mir, daß du meine Gutmütigkeit wieder einmal in schmählicher Weise mißbraucht hast«, stöhnte Gräving, nach Atem ringend.
Der Assessor verzog das scharfgeschnittene Antlitz zu einem sarkastischen Lächeln. »Nennst du das deine Gutmütigkeit mißbrauchen, wenn ich mich bemühe, in unser beider Interesse wenigstens aus einer deiner kleinen Schwächen Kapital zu schlagen? Siehst du, da du leider über keinerlei Beziehungen verfügst, die mir zu meinem Fortkommen nützen könnten, muß ich mich deiner eingebildeten Beziehungen bedienen, und ich denke, ich werde auch so zum Ziele kommen. Du darfst mir das nicht verübeln, Onkel, denn du hast ja schließlich den größten Vorteil davon. Bin ich erst aus dem Hause, so kannst du unbehindert deiner Reinemachenpassion frönen, und über mein Violenparfüm, das dir so zuwider ist, brauchst du dich dann auch nicht mehr aufzuregen.« Er hielt es nicht für nötig, dem alten Herrn nähere Aufklärungen zu geben, sondern zog sich mit allen Anzeichen innerer Befriedigung in seine Gemächer zurück.
Am Abend des nächsten Tages brach er zeitiger als sonst zu dem gewohnten Pürschgang auf und wußte es einzurichten, daß er auf dem Rain zwischen dem Roggenschlage und der Wintergerste mit Lamprecht Lampe zusammentraf. Wenn einer ihm gute Dienste leisten konnte, so war es der junge Landwirt, von dessen Ergebenheit er überzeugt war, weil er seinen unbegrenzten Respekt vor allem, was mit der Regierung zusammenhing, hinlänglich kannte. Er begrüßte ihn mit einer Herzlichkeit, die diesen in Erstaunen setzte, und fuhr dann fort: »Erlauben Sie mir, lieber Freund, Ihnen meine innigsten Glückwünsche zu Ihrer Verlobung mit Fräulein Laputz auszusprechen! Alle Achtung, da haben Sie wieder einmal Ihren auserlesenen Geschmack bewiesen! Ich muß gestehen: jedesmal, wenn ich der jungen Dame begegne, läuft mir das Wasser im Fang zusammen. So ein reizendes Geschöpf! Da wird man also demnächst endlich einmal echte Leporinen zu sehen bekommen! Sie heiraten doch gewiß schon bald?«
Lampe war im ersten Augenblick vor Überraschung sprachlos. »Ja, aber Herr Assessor, woher wissen Sie denn –?« stammelte er endlich.
Der Rotrock klopfte ihm vertraulich die Schulter. »Lieber Freund, man ist doch nicht blind. Man sieht Sie doch täglich in Begleitung der jungen Dame, und außerdem erzählte mir gestern der Aktuar Eichhorn, Ihre Verlobung würde wohl in der allernächsten Zeit öffentlich werden. Es sollte mich außerordentlich freuen, wenn ich in der Tat der erste wäre, der die Ehre hat, Ihnen gratulieren zu dürfen.«
»Sehr gütig, Herr Assessor, aber so weit sind wir doch noch nicht. Ein solcher Entschluß will reiflich überlegt sein.«
»Reden Sie doch nicht, lieber Lampe! Was gibt's da zu überlegen! Ein so begüterter Mann wie Sie, der in der Lage ist, Frau und Kinder zu ernähren, und der auch nicht auf eine große Mitgift zu sehen braucht, darf bei der Wahl seiner Gattin doch der Stimme des Herzens folgen. Und darum beneide ich Sie aufrichtig. Ich als armer Beamter ohne nennenswertes Vermögen werde wohl noch lange warten müssen, ehe ich ans Heiraten denken darf. Und dann die verfluchten Standesrücksichten, mein Lieber! Ja, wenn ich ein einfaches hübsches Mädchen nach meinem persönlichen Geschmacke nehmen könnte! Aber daran ist leider nicht zu denken. Schon wegen meines Onkels naher Verwandtschaft mit Majestät bin ich gezwungen, mir meine zukünftige Frau in den Kreisen des hohen Adels zu suchen, und ob ich da wirklich die finde, die meinen Ansprüchen genügt, ist doch sehr die Frage.«
Der junge Landwirt hatte die Löffel gespitzt. »Ihr Herr Onkel ist mit Seiner Majestät, unserm allergnädigsten König verwandt? Das ist das erste, was Ich höre«, bemerkte er.
»Gott ja, Onkel redet nicht gern darüber. Sie verstehen, lieber Freund: seine alles andere als glänzenden Verhältnisse nötigen ihn, zurückgezogen zu leben. Das ist ja auch der Grund, weshalb er für seine Person schon vor Jahr und Tag den Adel abgelegt hat. Selbstverständlich ändert das aber nichts an der Tatsache, daß er ein Vetter des Monarchen ist, wie denn auch Majestät große Stücke auf ihn hält und in überaus regem Briefwechsel mit ihm steht.«
»Dann wundert's mich eigentlich, daß Sie's noch nicht weiter als bis zum Assessor gebracht haben, Herr von Malepart«, meinte Lampe, der mit seinen Gedanken nie hinter dem Berge hielt. »Bei solchen Beziehungen!«
»Mich, offengestanden, auch, lieber Freund«, erwiderte der Rotrock mit schmerzlichem Lächeln. »Baron von Capreoli, der ja noch nicht lange hier in der Gegend ist, wird ja von meinen Beziehungen zu Majestät kaum etwas wissen, aber daß mich Graf Basse geflissentlich übersieht, ist doch zum mindesten recht merkwürdig. Ganz unter uns, Verehrtester: ich kann mich des Verdachtes nicht erwehren, daß er um die Gunst der breiten Masse buhlt. Seine Popularitätshascherei nimmt mitunter geradezu groteske Formen an – Sie entsinnen sich vielleicht, wie er beim Festmahl am Geburtstag des Regenten mit dem Gebrech in die Schüsseln fuhr und so laut schmatzte, daß man von der Tafelmusik kaum einen Ton vernehmen konnte –, und die Leute, die er protegiert, sind doch einfach unmöglich. Überhaupt: die borstige Exzellenz! Ein Minister von so böotischen Umgangsformen paßt ohnehin nicht mehr in unsere Zeit, aber man könnte noch darüber hinwegsehen, wenn er wenigstens etwas leistete. Meiner Überzeugung nach ist er jedoch ebensowenig Diplomat wie Verwaltungsmann. Ich frage Sie als Fachmann: hat Basse auch nur das geringste für die Landwirtschaft getan?«
»Das ist wahr, Herr Assessor, wir Landwirte haben noch nie eine Förderung unserer Interessen von ihm erfahren. Im Gegenteil: seine Anschauungen über die Verwertung der Kartoffeln sprechen den elementarsten Regeln einer rationellen Ökonomie Hohn«, pflichtete Lampe dem Rotrock bei.
»Und der Mann bildet sich noch ein, er sitze seiner Unersetzlichkeit wegen fest im Sattel, während sich der König nach allem, was ihm über die hiesigen Zustände zu Gehör gekommen ist, längst ein sehr wenig günstiges Urteil über ihn gebildet hat«, fuhr der Assessor fort. »Noch in seinem letzten Brief an meinen Onkel schrieb Majestät, er wundere sich über die Langmut des Regenten, der sich von Basse immer wieder seine Maßnahmen durchkreuzen lasse. Ich habe den Brief übrigens bei mir. Onkel gab ihn mir vorhin zu lesen, aber bei der jammervollen Beleuchtung, die in seinem Studierzimmer herrscht, glaubte ich's meinen Sehern schuldig zu sein, ihn mit heraus ins Helle zu nehmen.« Er griff in die Tasche und brachte den Umschlag zum Vorschein. Er wandte ihn in den Branten hin und her, daß Lampe Muße hatte, die Siegelmarke zu betrachten und den Vermerk »Eigene Angelegenheit Sr. Majestät des Königs« zu lesen, und sagte dann nach einigem Nachdenken: »Ich weiß doch nicht recht, ob es in Onkels Sinne wäre, wenn ich von so vertraulichen Mitteilungen unseres allerhöchsten Herrn einem meiner Freunde Kenntnis gäbe. Sie dürfen mich nicht mißverstehen, Herr Lampe: Onkel ist in solchen Dingen ein bißchen – wie soll ich mich nur ausdrücken? – ein bißchen überkorrekt, und es würde ihn gewaltig verschnupfen, wenn er erführe, daß ich das Handschreiben seines königlichen Vetters jemand gezeigt hätte, ohne ihn vorher um seine Zustimmung zu ersuchen. Lägen die Dinge anders, so würde ich selbstverständlich keinen Augenblick zögern. Sie den höchst interessanten Brief lesen zu lassen, denn unter allen meinen Bekannten wüßte ich niemand, auf dessen Diskretion ich so unbedingt vertrauen zu können glaube wie gerade Sie, lieber Freund.«
Der junge Landwirt lächelte geschmeichelt. »Sehr gütig, Herr Assessor!« erwiderte er. »Ihre Andeutungen genügen mir vollkommen. Ich möchte um keinen Preis, daß Sie durch mich Ihrem Herrn Onkel und möglicherweise sogar Seiner Majestät gegenüber in eine schiefe Lage kämen.«
»Ich darf wohl auch darauf rechnen, daß Sie meine Herzenserleichterungen in bezug auf Exzellenz Basse als streng vertraulich behandeln werden?«
»Aber selbstverständlich, Herr Assessor, selbstverständlich! Um so mehr, als ich Ihre Ansichten über diesen Herrn durchaus teile.«
»Das freut mich aufrichtig. Sehen Sie, bei allem, was der Graf tut oder unterläßt – und im Unterlassen ist er ja besonders groß! –, frage ich mich: wie würde Baron von Capreoli in dieser Lage handeln? Wahrhaftig, das ist doch ein anderer Mann! Lebhaften Geistes, schnell von Entschluß, konziliant in seinen Umgangsformen und vor allem von strenger Rechtlichkeit – mit einem Wort: ein Edelmann vom Scheitel bis zur Schale. Wenn der Staatsminister wäre, Herr Lampe, dann würde bei uns manches anders sein, das können Sie mir glauben. Welches feine Verständnis bringt er zum Beispiel der Landwirtschaft entgegen! Von dem Augenblick an, wo das erste zarte Grün auf den Feldern sprießt, bis zur Haferernte versäumt er doch keinen Tag, sich persönlich über den Stand der Saaten zu unterrichten. Und dieses Interesse für die Landwirtschaft ist doch das erste, was man in einem Agrarstaate wie dem unsern von einem Minister verlangen muß. Wie hoch ich den Baron schätze, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, lieber Freund. Ich bedauere nur immer, daß die dienstliche Schranke, die sich nun einmal zwischen ihm, als meinem direkten Vorgesetzten, und mir erhebt, einen vertraulicheren Gedankenaustausch zwischen uns ausschließt, und ich beneide Sie aufrichtig wegen des ungezwungenen und geradezu freundschaftlichen Verkehrs, in dem Sie mit Capreoli stehen.«
»Nun, daß ich zum Herrn Baron in freundschaftlichen Beziehungen stünde, möchte ich doch nicht gerade behaupten«, entgegnete Lampe, dessen angeborene Bescheidenheit sich dagegen sträubte, daß man ihn für einen Intimus des Kreisdirektors hielt.
»Lieber Freund, was ich weiß, das lasse ich mir nicht ausreden! Ich sehe Sie doch beinahe jeden Abend zusammen auf Äsung ausrücken. Übrigens kann ich Ihnen verraten, daß der Baron bei jeder Gelegenheit mit der größten Hochachtung von Ihnen spricht. Erst neulich hat er Ihr Gut eine Musterwirtschaft genannt.«
Der junge Landwirt rieb sich halb verlegen, halb erfreut die Vorderläufe und suchte nach Worten, um die ihm zuteil gewordene Anerkennung einzuschränken. Aber der Rotrock nahm keine Notiz davon und fuhr fort: »Ich glaube, Capreoli würde Ihnen dafür dankbar sein, wenn Sie ihm gelegentlich einmal in einer geeigneten Form andeuten würden, wie nahe mein Onkel mit Majestät verwandt ist. Unter uns, lieber Freund: in dem bewußten Briefe drückt der König auch seine Verwunderung darüber aus, daß der Neffe seines Vetters noch immer Regierungsassessor sei. Ob denn niemand auf den Gedanken komme, ihn höheren Orts zur Beförderung auf einen Verwaltungsposten mit größerer Selbständigkeit in Vorschlag zu bringen? Sie wissen ja, Herr Lampe, am guten Willen, einen nicht ganz unfähigen Beamten zu lancieren, fehlt es ja bei den Vorgesetzten selten und bei Capreoli gewiß am allerwenigsten, aber die Herren sind ja zumeist so mit Geschäften überlastet, daß es immer erst eines kleinen Anstoßes von außen bedarf, ehe sie sich der Pflichten erinnern, die sie gewissermaßen doch auch gegen ihre Untergebenen haben. Daß ich mich Ihnen für den Gefallen, den Sie mir mit einer Verständigung des Barons in dem angedeuteten Sinne erweisen würden, erkenntlich zeigen werde, sobald ich erst in der Lage bin, etwas für Sie zu tun, davon dürfen Sie überzeugt sein. Aber« – er hob die spitze Nase und holte Wind – »ich wittere Ihr Fräulein Braut, da will ich nicht länger stören. Leben Sie wohl, verehrter Freund, und vergessen Sie nicht, was ich Ihnen heute gesagt habe!«
Damit duckte er sich und war mit einem eleganten Sprunge im hohen Roggen verschwunden.
Nikoline hoppelte auf dem Rain herunter und begrüßte den Geliebten mit überquellender Herzlichkeit. »Dieser langweilige Assessor! Mindestens eine halbe Stunde hat er dich mit seinem Geschwätz aufgehalten! Und ich war gerade heute so pünktlich bei der Brombeerhecke!« klagte sie. »Was hattet ihr nur so Wichtiges zu reden, Schatz?«
»Da magst du wohl fragen, Kind!« erwiderte Lampe, bemüht, seinem Antlitz einen ernsten Ausdruck zu geben. »Denke dir nur, er hat mich zu meiner Verlobung beglückwünscht! Ich traute meinen Löffeln nicht. Da kann man wieder einmal sehen, wie schnell sich so etwas herumspricht.«
»Ist denn das so furchtbar schlimm, mein Hase?« erkundigte sich die Kleine ein wenig gekränkt.
»Na ja, wie man's nimmt. Öffentlich verlobt sind wir doch noch gar nicht. Übrigens: als langweilig darf man Herrn von Malepart nicht bezeichnen. Im Gegenteil, er hat mir erst eben wieder außerordentlich interessante Dinge erzählt.«
»Ach was? Da bin ich aber gespannt.«
»Ja, Maus, ich habe mich verpflichten müssen, über alles, was er mir anvertraut hat, das tiefste Stillschweigen zu bewahren.«
»So. Das wird ja immer schöner, Lamprecht! Also du hast vor deinem Linchen Geheimnisse! Recht nett, das muß ich sagen.«
»Ereifere dich doch nicht, Kind! Es handelt sich ja bloß um politische Dinge, die dich nicht im geringsten interessieren werden.«
»Wenn auch! Aber es kränkt mich, daß du mir nicht einmal ein bißchen Verschwiegenheit zutraust.«
»Aber Schatz, davon ist doch gar keine Rede! Sieh, wenn es dich beruhigt, will ich dir wenigstens eine Andeutung machen. Der Assessor, der, nebenbei bemerkt, über die allerglänzendsten Beziehungen verfügt, hat von einem bevorstehenden Wechsel in der Regierung Wind bekommen. Er glaubt begründete Aussicht zu haben, selbst mit einem einflußreichen Amt betraut zu werden, und hat mir versprochen, wenn dieser Fall eintritt, auch etwas für mich zu tun. Das heißt mit anderen Worten, er will sich für meine Ernennung zum Amtmann verwenden. Du weißt ja: wir verkehren neuerdings auf sehr freundschaftlichem Fuße.«
»Dann wundert's mich um so mehr, daß du ihm den Glückwunsch zu unserer Verlobung übelgenommen hast. Der war doch sicher gut gemeint.«
»Ich kann's nun einmal nicht vertragen, wenn sich einer um meine Privatangelegenheiten bekümmert, besonders um solche, die noch gar nicht spruchreif sind.«
»Bitte, die Verlobung ist schließlich auch meine Privatangelegenheit, und daß sie noch nicht spruchreif ist, wie du dich auszudrücken beliebst, liegt doch lediglich an dir. Es war am 12. April, als wir uns kennenlernten, und heute schreiben wir schon den 14. Mai, und in dieser ganzen Zeit hast du es noch nicht für nötig gefunden, bei meinen Eltern Besuch zu machen.«
Der junge Landwirt machte bei dieser Eröffnung kein allzu geistreiches Gesicht. »Ja, Maus, wissen denn deine Eltern überhaupt schon von unserer Bekanntschaft?« fragte er etwas unsicher.
»Selbstverständlich, mein Lieber. Da ich von deinen reellen Absichten überzeugt war, hatte ich keine Veranlassung, ihnen die Sache zu verhehlen. Es wäre mir auch höchst fatal gewesen, wenn sie zuerst durch andere davon erfahren hätten.«
»So so. Davon hatte ich freilich keine Ahnung.«
»Aber jetzt weißt du's, Schatz, und da meine ich, es wäre wohl das beste, wenn du dich nächsten Sonntag den Eltern und vor allem auch dem Urgroßvater vorstellen würdest.«
»Nächsten Sonntag schon?«
»Ja, warum denn nicht? Willst du die Sache etwa noch weiter auf die lange Bank schieben?«
»Nun – das natürlich nicht. Aber es kommt mir doch ein wenig überraschend. Du weißt, ich pflege alles erst reiflich zu überlegen.«
»Was gibt es da noch zu überlegen, mein Schatz? Ich dächte doch, wir zwei wären schon lange einig.«
»Ganz recht, mein Engel. Aber wenn wir uns jetzt regelrecht verloben, dann müßten wir auch schon bald ans Heiraten denken, denn bei dem endlosen Verlobtsein kommt nicht viel heraus.«
»Ganz meine Meinung.«
»Dann würde aber die Hochzeit gerade in die Zeit der Ernte fallen, und du weißt doch, daß ich da den Kopf immer schon hinreichend voll habe.«
»Bis zur Ernte brauchen wir gar nicht zu warten. Süßer. Wenn wir uns am Sonntag öffentlich verloben, könnte die Hochzeit schon in sechs Wochen sein. Ich hoffe doch sehr, daß dir dieser Termin nicht zu früh ist.«
»Durchaus nicht. Aber bedenke freundlichst, wieviel Vorbereitungen noch zu treffen sind!«
»Vorbereitungen? Du meinst zur Hochzeit? Deshalb brauchst du dir doch keine Sorgen zu machen. Das sind alles Dinge, die lediglich meine Eltern angehen.«
»Es handelt sich nicht nur um die Hochzeit, Kind. Wir müssen uns vor allem ein trauliches Heim einrichten.«
»Was du unter einem traulichen Heim verstehst, kenne ich schon. Du schwärmst doch für das Freiluftwohnen. Ja, wenn es darauf ankäme, einen ordentlichen Bau anzulegen, dann wäre ich selbst dafür, daß die Sache nicht übereilt würde. Aber davon willst du ja nichts wissen, und so eine Sasse, wie du sie für das Richtige hältst, ist in einer halben Stunde ausgekratzt. Also tu mir den Gefallen und suche nicht weiter nach Ausflüchten, sondern komm Sonntag zu uns und stell' dich den Eltern vor.«
»Schön. Ich will's mir überlegen. Aber nun laß uns endlich einmal von angenehmeren Dingen reden, Schatz!«
»Verlobung und Hochzeit rechnest du wohl nicht zu den angenehmen Dingen? Das ist ja recht nett.«
»Du mußt mich nicht immer mißverstehen, Maus. Selbstverständlich freue ich mich ja auch darauf, aber das Reden darüber fällt mir auf die Nerven. Wir Lampes sind nun einmal so außerordentlich sensibel. Es würde mir tausendmal angenehmer sein, wenn du mir jetzt zum Beispiel einen tüchtigen Kuß gäbest.«
»Da kannst du lange warten, mein Freund! Ehe du mir nicht das feierliche Versprechen gegeben hast, daß du Sonntag punkt zwölf Uhr bei uns im Bau antrittst, lasse ich mich von dir überhaupt nicht wieder anrühren.«
»Das wollen wir aber doch erst einmal sehen, mein Schatz!« Er versuchte, sie zu umarmen, aber sie entzog sich seinen Zärtlichkeiten mit einer blitzschnellen Wendung und flitzte, kokett mit der Blume schnellend, seitwärts auf ein Kartoffelfeld, auf dessen Zeilen sich hier und da schon das erste Laub zeigte. Lamprecht Lampe rutschte ihr, Gleichgültigkeit heuchelnd, langsam nach, als er dann aber zu hoppeln begann und schließlich flüchtig hinter ihr herging, schlug sie einen Haken nach dem andern, so daß er jedesmal ein ganzes Stück über sie hinausschoß und bei diesem immer lebhafter werdenden Haschespiel vollkommen außer Atem kam. So geschah es, daß er, dem es mit dem Verloben durchaus nicht so bitterernst gewesen war, endlich klein beigab und mit einem heiligen Eide beschwor, daß er sich zu der ihm vorgeschriebenen Stunde pünktlich in Laputzens Wohnung einfinden werde. Dafür ward ihm denn auch sogleich der süßeste Lohn: seine Angebetete fiel ihm um den Hals und küßte ihn so stürmisch, daß ihm Vernehmen und Äugen verging.