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Siebentes Kapitel

Wie Regierungsassessor von Malepart den Kreisdirektor Baron von Capreoli zu einer Intrige gegen den Staatsminister Grafen Basse von Saugarten verleitet und ihn dann bei Seiner Exzellenz denunziert. Ein Kapitel, aus dem zu ersehen ist, wie ein befähigter Kopf mit Hilfe eines Briefumschlages sein Glück machen kann.

 

Wenige Tage nach den denkwürdigen Ereignissen im Bau der Familie Laputz und in der Wohnung des Kantors Waldkauz begab es sich, daß der Assessor von Malepart bei seinem gewohnten Abendpürschgang mit seinem Vorgesetzten, dem Kreisdirektor Baron von Capreoli, zusammentraf. Allem Anscheine nach hatte dieser, der sonst geradeswegs zur Äsung in den jungen Hafer auszuwechseln pflegte, absichtlich eine Begegnung mit dem Untergebenen herbeigeführt. Schon aus der Art, wie er den jungen Weidmann begrüßte, ließ sich deutlich erkennen, daß die ihm durch Herrn Lampe zuteil gewordene Belehrung über Grimbart Grävings und seines Neffen nahe Verwandtschaft mit dem königlichen Hause ihren Eindruck auf den Kreisdirektor nicht verfehlt hatte. Der sonst sehr zurückhaltende Herr bat den Assessor um die Erlaubnis, ihn ein Stückchen begleiten zu dürfen. Er meinte, es sei hübsch, daß man sich einmal in Gottes freier Natur treffe, wo man doch tausendmal ungezwungener und vertraulicher miteinander plaudern könne als in den Diensträumen der Kreisdirektion. »Sie werden bemerkt haben, mein lieber Herr von Malepart, daß ich mich während der Bureaustunden grundsätzlich auf die unumgänglich notwendigen geschäftlichen Mitteilungen beschränke. Ich weiß wohl: man kommt dadurch bei seinen Beamten leicht in den Geruch des Hochmuts und der Zugeknöpftheit, aber sagen Sie selbst: ist diese Vorsichtsmaßregel einem Personal wie dem unsrigen gegenüber nicht durchaus am Platze? Da haben wir zum Beispiel den Aktuar Eichhorn. Ohne Zweifel eine höchst schätzenswerte, brauchbare Kraft, wie er denn auch in seinen Registranden eine musterhafte Ordnung hält, aber ich will Ihnen nicht verhehlen, daß mir seine politische Gesinnung im höchsten Grade verdächtig vorkommt. Ganz im Vertrauen: der Mann ist rot, rot bis auf die Knochen. Sie lächeln, mein Lieber, aber ich habe Beweise in den Schalen. Denken Sie sich, er wickelt sein Frühstück regelmäßig in die ›Tierstimme‹, ein Blatt radikalster Richtung! Und nicht genug damit, er benutzt zum Knacken der Nüsse, die in dieses umstürzlerische Organ eingepackt waren, die Kopierpresse, also königliches Eigentum! Und dann der Sekretär Wendehals. Auch ein ganz befähigter Beamter, aber die personifizierte Neugier. Ich habe sein Pult so aufstellen lassen, daß er mir den Rücken zukehrt. Aber was tut dieser Vogel? Er dreht bei der geringsten Bewegung, die ich mache, den Kopf so vollständig herum, daß ihm das Gesicht buchstäblich im Nacken steht. Nicht wahr, lieber Freund, wenn man von solchen Leuten umgeben ist, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich in jeder Beziehung der äußersten Reserve zu befleißigen?

Aber nun sagen Sie mal, teuerstes Assessorchen, da hat mir neulich der Domänenpächter erzählt, Ihr Herr Onkel wäre mit Majestät unserm Allergnädigsten König blutsverwandt. Stimmt denn das? Davon habe ich ja noch gar nichts gewußt.«

»Allerdings, Herr Baron«, – es gehörte zu den Eigentümlichkeiten des Rehbocks, daß er sich lieber Baron als Kreisdirektor titulieren ließ! – »Onkel ist ein Vetter des Königs.«

»Ja, aber Fuchsenskind, weshalb haben Sie mir denn nie ein Sterbenswörtchen davon gesagt? Es stört Sie doch hoffentlich nicht, daß ich noch ein paar Schritte mitgehe?«

»Im Gegenteil, Herr Baron, es ist mir eine große Ehre.«

»Bitte, die Ehre ist ganz auf meiner Seite. Wenn ich auch zufälligerweise Ihr Vorgesetzter bin, mein lieber Herr von Malepart, so weiß ich doch nach Gebühr zu schätzen, daß es mir vergönnt ist, mit einem jungen Herrn zusammen arbeiten zu dürfen, der, ganz abgesehen von seiner eminenten Begabung und seinem fabelhaften juristischen und verwaltungstechnischen Wissen, über so glänzende Beziehungen verfügt.«

»Diese Beziehungen haben mir leider bis jetzt noch nicht viel genützt, Herr Baron«, erwiderte der Assessor schlicht.

»Mag sein, verehrter Freund. Aber woran liegt das? Nur an Ihrer übergroßen Bescheidenheit. Ich habe schon lange den Eindruck, daß Sie Ihr Licht mehr als nötig unter den Scheffel stellen. Das ist falsch, grundfalsch. Ein Mann wie Sie muß mit seinem Pfunde wuchern. Aber Sie können mit Recht fragen, wie gerade ich dazu komme. Ihnen gute Ratschläge zu erteilen, ich, der ich genau in derselben Lage wie Sie bin. Auch mir ist die Bescheidenheit zum Verhängnis geworden. Äugen Sie mich, bitte, einmal genau an, mein Lieber! Sie werden mir zugeben, daß ich in diesem Frühjahr ein Gehörn geschoben habe, das einfach nicht mehr zu übertreffen ist. Beachten Sie freundlichst die starken gedrungenen Stangen, die weißen Enden und vor allem die brillante Perlung! Ich darf das hervorheben, denn so etwas ist ja kein persönliches Verdienst, sondern ein Geschenk der Natur. Denken Sie sich nur, mein lieber Herr von Malepart, als mir am vergangenen Donnerstag die Regierungsrätin Nebelkrähe begegnete, machte sie einen regelrechten Hofknix, weil sie mich für Durchlaucht, den Regenten, hielt! Aber alles das täuscht mich nicht darüber, daß ich den besten Teil des Lebens hinter mir habe«, fuhr er fort. »Wer weiß, ob ich im nächsten Frühling nicht schon zurücksetze!«

»Herr Baron sind doch noch in den besten Jahren«, warf der junge Weidmann ein.

»Wenn auch, mein Lieber! Hat man einmal den Höhepunkt überschritten, so geht's verdammt schnell bergab. Und dabei habe ich's immer noch nicht weiter als bis zum Kreisdirektor gebracht. Es ist wirklich ein Jammer!«

»Aber Herr Baron gehören doch gewissermaßen zur fürstlich Cervidischen Familie?« warf der Assessor ein.

»Das ist ja eben mein Unglück. Zwischen den einzelnen Linien unseres Hauses hat von jeher die größte Rivalität geherrscht. Verhältnisse, über die ich kein Wort verlieren will, haben den Aufstieg des plesiometakarpalen Zweiges unserer Familie begünstigt und den Rothirschen die Fürstenwürde eingebracht, während die beiden telemetakarpalen Linien, die Elche und wir Rehe, zurückstehen mußten. Von einem intimeren Verkehr oder auch nur von einem ausgeprägten Zusammengehörigkeitsbewußtsein ist deshalb bei uns Cerviden auch nie die Rede gewesen. Gegen Durchlauchts Person will ich beileibe nichts sagen, im Gegenteil, der Hohe Herr ist mir im höchsten Grade sympathisch, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß ich von ihm auch nicht das geringste zu erwarten habe. Nein, nein, der einzige, von dessen Initiative ich mir etwas versprechen könnte, ist Seine Majestät, unser Allergnädigster König. Aber wie an ihn herankommen? Darüber zerbreche ich mir schon lange den Kopf.« Er hielt wieder an, legte nachdenklich die Schalen des rechten Vorderlaufes an den Windfang und sagte: »Hören Sie, mein liebster Assessor, wäre es Ihrem Herrn Onkel nicht möglich, in seinem nächsten Briefe an Majestät ein Wörtchen der Empfehlung für mich einfließen zu lassen? Vielleicht haben Sie die Gewogenheit, in diesem Sinne einmal mit dem alten Herrn zu sprechen. Ich meine, darüber, daß ein Mann wie Exzellenz Basse als Staatsminister doch nicht so ganz am rechten Platze ist, sind wir uns wohl samt und sonders einig, und wenn mich nicht alles täuscht, dürfte man inzwischen auch Allerhöchstenorts zu der Erkenntnis gelangt sein, daß seine Ernennung entschieden ein Mißgriff war. Nun weiß ich ja selbst am besten, daß Seine Majestät in solchen Dingen unserm allverehrten Regenten nicht gern vorgreift; aber ich sollte denken, wenn Ihr Herr Onkel ihm über die Verhältnisse hier einmal reinen Wein einschenken und dabei – natürlich in recht diplomatischer Weise – auf mich anspielen würde, so könnte der Erfolg nicht ausbleiben. Was halten Sie von dieser Idee, teurer Freund?«

»Wie merkwürdig, Herr Baron!« erwiderte der Assessor mit verbindlichem Lächeln. »Erst vor wenigen Tagen habe ich Lampe gegenüber die Bemerkung fallen lassen, daß sich meiner Meinung nach niemand besser für den Ministerposten qualifiziere als Sie, und ich hatte die Genugtuung, aus der Art, wie er diesen Gedanken auffaßte, entnehmen zu können, daß man in agrarischen Kreisen Ihre Berufung an Basses Stelle geradezu herbeisehnt. Was nun aber die von Herrn Baron gewünschte Intervention meines Onkels anlangt, so darf ich leider nicht verhehlen, daß hier die Dinge doch nicht so ganz einfach liegen. Onkel ist ja ein herzensguter Mann und jederzeit bereit, anderen gefällig zu sein; ich bin auch vollkommen davon überzeugt, daß er bei der instinktiven Abneigung, die er gegen den Grafen hegt, und bei der außerordentlichen Verehrung, mit der er jederzeit von Ihnen spricht, sofort bereit sein würde, sich bei Majestät für Sie zu verwenden. Aber zum Diplomaten fehlen ihm leider so gut wie alle Eigenschaften. Dazu ist er zu ehrlich, zu geradeheraus. Man weiß ja, daß regierende Herren für Anregungen nur dann empfänglich sind, wenn sie sie in einer Form erhalten, die ihnen erlaubt, die letzte Folgerung selbst daraus zu ziehen. Man muß ihnen die Idee, auf die es ankommt, so fang- oder geäsgerecht servieren, daß sie nachher die Überzeugung haben, der ihnen suggerierte Gedanke sei ihrem eigenen Gehirn entsprungen.«

Capreoli maß den Untergebenen mit einem bewundernden Blick. »Ihre Tierkenntnis ist erstaunlich, lieber Herr von Malepart. Sie müssen ja tiefgründige psychologische Studien gemacht haben«, sagte er.

Der Assessor schien die Anerkennung, die in diesen Worten lag, zu überhören und fuhr fort: »Außerdem ist mein Onkel nicht gerade das, was man einen passionierten Briefschreiber nennt. Wenn sich's nicht um seine familiengeschichtlichen Liebhabereien handelt, entschließt er sich nur schwer zu einer längeren schriftlichen Auseinandersetzung. Und noch dazu in einem Falle wie dem unsrigen, der mit der größten Delikatesse behandelt werden muß, ist zu fürchten, daß mein guter Onkel die Angelegenheit bis nach dem Winterschlaf hinausschiebt, weil er immer behauptet, gute Briefe könne er nur schreiben, wenn sein alter Kopf vier bis fünf Monate ausgeruht hätte.«

»Das wäre freilich eine höchst unliebsame Verzögerung«, bemerkte der Baron, sich die Schulter an einer Wildscheuche scheuernd.

»Da fällt mir ein, wie sich die Sache möglicherweise beschleunigen ließe«, erklärte Herr von Malepart. »Man müßte Onkel ein Konzept in die Branten spielen, das er nur abzuschreiben brauchte. Das beste wäre, Herr Baron setzten selbst einmal so etwas auf; für alles Weitere würde ich dann schon sorgen.«

»Der Gedanke ist nicht übel, lieber Freund. Wenn ich nur Papier und Stift bei mir hätte!«

»Damit kann ich vielleicht dienen, Herr Baron«, erwiderte der Rotrock, in allen Taschen suchend. Und dann brachte er den Umschlag des königlichen Kabinettschreibens zum Vorschein, schlitzte ihn mit der langen Kralle seiner Zeigeklaue an den Schmalseiten auf, so daß ein leidlich großes Konzeptblatt entstand, und reichte das Papier zugleich mit einem zierlichen Bleistift in silberner Hülse dem Vorgesetzten hin.

Dieser verfehlte nicht, auch die Außenseite des Umschlags zu betrachten, nahm, wenn auch ohne ein Wort darüber zu verlieren, gebührend Kenntnis von dem Aufdruck »Eigene Angelegenheit Sr. Majestät des Königs« und tat sich, einen Grenzstein als Pult benutzend, zum Schreiben nieder, während der Assessor inzwischen ein Stückchen weiter auf dem Raine ein Hummelnest ausgrub und sich die fetten Larven als kleinen Vesperimbiß munden ließ.

Nach einer guten Viertelstunde war der Baron mit seiner Arbeit fertig, trocknete sich die feucht gewordene Stirn – die Schreiberei hakte ihm, der sonst nur zu diktieren pflegte, doch einige Anstrengung verursacht! – und händigte das Blatt, nachdem er es zusammengefaltet, Herrn von Malepart mit der dringenden Bitte ein, es sobald als möglich dem Onkel zu geben. Das versprach der Assessor denn auch sehr bereitwillig, erklärte sogar, er werde diesmal auf den gewohnten Pürschgang verzichten, und trabte, während der Kreisdirektor erleichtert auf den jungen Hafer hinüberwechselte, eilfertig in der Richtung des Burghauses davon. Aber sobald er den schmalen Wiesenstreif hinter sich hatte, der sich auf eine weite Strecke zwischen den von Lampe gepachteten Oberförstereifeldern und dem Walde hinzog, schwenkte er nach rechts ab und begab sich flüchtig nach dem etwa eine halbe Stunde entfernten, außerordentlich dichten Fichtenbestande, worin die borstige Exzellenz während der Sommermonate als Eingänger wohnte. Unterwegs, an einem lauschigen Plätzchen, wo noch der letzte Tagesschein durch die schlanken Stämme lief, ließ er sich zu kurzer Rast auf die Keulen nieder und las den Briefentwurf seines Vorgesetzten.

Herr von Malepart hatte sonst seine Gefühle jederzeit in der Gewalt, bei der Lektüre dieses Konzeptes vermochte er jedoch seine Heiterkeit so wenig zu unterdrücken, daß er in schallendes Gelächter ausbrach und mit kerzengerade emporgerichteter Standarte drei oder vier gewaltige Luftsprünge machte. Nein, als ein Diplomat konnte der gute Baron auch nicht gelten, und seine Ausfälle gegen den Grafen Basse waren genau so hanebüchen wie die Lobsprüche, mit denen er sich und seine staatsmännischen Talente ins rechte Licht zu setzen gedachte!

Auf der schon vor Jahren durch Schneebruch entstandenen Lichtung, auf der die Besucher des Staatsministers antichambrieren mußten, traf der Assessor mit Basses Faktotum, dem Kammerdiener Ziegenmelker zusammen, zu dessen wichtigsten Obliegenheiten es gehörte, seinem Herrn das lästige Geschmeiß der Insekten vom Halse zu halten, und der sich, wohl infolge dieser Tätigkeit, daran gewöhnt hatte, auch alle anderen Tiere als unwillkommene Störenfriede zu behandeln. Er hatte, dem Genusse des Feierabends hingegeben, auf dem dürren Zacken eines Kiefernüberhälters gesessen und sich die Zeit mit dem eintönigen Schnurren vertrieben, das er für seinen Gesang auszugeben pflegte. Jetzt schwang er sich von seinem Sitze herab, umstrich, in lautlosem Fluge einen Maikäfer ausnehmend, den Ankömmling und fragte ihn ziemlich barsch nach seinem Begehr.

»Ich wünsche Seiner Exzellenz gemeldet zu werden, und zwar sofort, mein Lieber. Aber ein bißchen fix, wenn ich bitten darf«, sagte der Assessor, der es nicht liebte, mit Domestiken viel Umstände zu machen.

»Unmöglich, bester Herr, ganz unmöglich! Exzellenz arbeiten und haben den strikten Befehl gegeben, niemand mehr vorzulassen«, erwiderte der dienstbare Geist achselzuckend und die um seinen Schnabel stehenden Borsten sträubend, was er immer tat, wenn er sich wichtig vorkam.

»Trotzdem muß ich Sie ersuchen, mich schleunigst zu melden, denn die Angelegenheit, die ich Exzellenz vorzutragen habe, leidet keinen Aufschub. Sagen Sie gefälligst dem Herrn Grafen, daß ihn der Regierungsassessor von Malepart in einer für Exzellenz überaus wichtigen Sache zu sprechen wünsche. Glauben Sie sich jedoch auch in diesem Falle an Ihre Instruktion binden zu müssen, so lehne ich jede Verantwortung für die daraus entstehenden Folgen ab. Sie wissen nun, woran Sie sind.«

Die entschiedene Sprache des jungen Beamten machte auf den Vogel in der graubraunen Livree Eindruck, und er schwebte, wenn auch ein wenig zögernd und en passant einen Nachtschmetterling aufschnappend, nach dem Innern der Dickung davon.

Der Staatsminister war offenbar ganz in der Nähe und nahm die Behelligung zu so später Stunde höchst ungnädig auf. Der Assessor vermochte ganz deutlich zu vernehmen, wie Exzellenz als rechtes Haupt- oder grobes Schwein ein grollendes Brummen ausstieß und dann ohne den mindesten Versuch, seine Stimme zu dämpfen, darüber jammerte, daß er nicht einmal bei der Erdmast die ihm so notwendige Ruhe habe. »Den Assessor soll der Saupacker holen!« rief er erbost. »Was will der ekelhafte Schleicher denn eigentlich von mir? Kann er nicht zu den üblichen Audienzstunden kommen? Ach was, dringliche Angelegenheit! Was so ein Streber für dringlich hält, kennt man schon. Aber da er mich nun doch einmal gestört hat, mag er vorgelassen werden. Also los, Ziegenmelker, bringen Sie den Kerl her! Langweilt er mich mit einer Bagatelle, so hat er sich's selbst zuzuschreiben, wenn er nachher seine Knochen einzeln zusammenlesen muß.«

Herr von Malepart, weit entfernt, den Zornesausbruch des Allgewaltigen tragisch zu nehmen, empfing den darob ganz entsetzten Kammerdiener mit vergnügtem Schmunzeln: »Na, sagte ich's nicht, mein Lieber, daß Seine Exzellenz auf meinen Vortrag förmlich brennt?« fragte er.

»Hören Sie, Herr Assessor, ich möchte nicht in Ihrem Balge stecken«, meinte der dienstbare Geist mit der Vertraulichkeit, die das Vorrecht erprobter Diener hoher Herren ist, »Exzellenz befinden sich heute wieder einmal in einer Mistlaune. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, so nehmen Sie bei der Audienz Aufstellung neben einer starken Fichte, damit Sie gleich Deckung finden, falls der Herr Graf ungnädig werden sollten.«

»Ich danke Ihnen, guter Freund, aber die Sicherung meiner Person lassen Sie getrost meine Sorge sein. Ich rechne übrigens darauf, daß Exzellenz mich mit der Auszeichnung behandeln wird, auf die ich als loyaler Staatsbürger und Beamter Anspruch erheben zu dürfen glaube.« Und damit folgte er dem ihm voranschwebenden Führer in Basses Allerheiligstes.

Beim Erscheinen des Besuchers saß der Minister, der sich kurz vorher in einem nahen Tümpel gesuhlt haben mochte, über und über mit Schlamm und Entengrütze bedeckt, auf den Keulen in seinem Lager und wetzte vor Ungeduld die Gewehre an den Haderern. Von der tiefen Verbeugung, mit dem sich ihm Herr von Malepart näherte, nahm er nicht die geringste Notiz, machte auch keine Miene, den Störenfried zum Platznehmen aufzufordern.

»Ich muß Exzellenz um Verzeihung bitten, daß ich mir die Freiheit nehme, zu so ungewöhnlicher Stunde vorzusprechen«, erklärte der Assessor mit weltmännischer Verbindlichkeit. »Ich bin jedoch überzeugt, daß Exzellenz, wenn Sie erst erfahren haben, was mich herführt, Nachsicht walten lassen werden.«

»Sparen Sie sich die lange Einleitung, Assessor! Meine Zeit ist kostbar. Fassen Sie sich also so kurz wie möglich!«

»Wie Exzellenz befehlen! Ich habe gehorsamst zu melden, daß es mir gelungen ist, einem hochverräterischen Anschlag gegen Eurer Exzellenz eigene Person auf die Spur zu kommen.«

»Reden Sie keinen Quatsch! Hochverräterischer Anschlag! Einfach lächerlich! Möchte den Tollkopf sehen, der so etwas wagen wollte!«

»Ich kann Exzellenz den Beweis liefern.«

»Her damit!«

»Erlauben mir der Herr Staatsminister, eine Erklärung vorauszuschicken?«

»Los! Aber fassen Sie sich kurz! Bin kein Freund von langen Reden.«

»Ich bitte, erklären zu dürfen, daß es mir in der innersten Seele widerstrebt, als Denunziant auftreten zu müssen, doppelt widerstrebt, wenn sich's dabei um meinen nächsten Vorgesetzten handelt. Aber die Rücksicht auf das Staatswohl, die Anhänglichkeit an Eurer Exzellenz hohe Person –«

»Kommen Sie zur Sache!«

»Baron Capreoli sinnt auf Eurer Exzellenz Sturz. Er beabsichtigt, selbst Staatsminister zu werden.«

»Machen Sie keine faulen Witze, Assessor! Der windige Kreisdirektor Staatsminister? Sie sind wohl verrückt?«

»Im Interesse Eurer Exzellenz möchte ich wünschen, ich wäre es.« »Her mit dem Beweise!«

Herr von Malepart zog das Konzept des Barons aus der Tasche und reichte es dem Grafen hin. »Exzellenz werden die Handschrift wohl kennen«, sagte er.

»In der Tat Capreolis Klaue«, bemerkte Basse, das Schreiben prüfend. »Aber da steht ja keine Unterschrift darunter? Wie kommen Sie überhaupt zu dem Wisch?« Er wandte das Papier um und entdeckte die Siegelmarke und den Aufdruck. ›Eigene Angelegenheit Sr. Majestät des Königs.‹ Was soll denn das bedeuten?«

»Vielleicht haben Exzellenz die Gnade, zunächst einmal von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen.«

Der Graf, dessen Lichter ohnehin nicht die schärfsten waren, brauchte einige Zeit, um bei dem schwachen Mondschein den noch dazu mit Bleistift geschriebenen Briefentwurf zu entziffern. Hin und wieder lachte er ingrimmig auf oder klapperte mit den Gewehren, die seinem borstigen Antlitz etwas Martialisches gaben. »›Der gute Basse mag ja von den besten Absichten beseelt sein, aber für sein Amt mangeln ihm sowohl Begabung als Kenntnisse. Man betrachtet ihn hier ganz allgemein als eine Null‹«, las er. »Ich eine Null! Bei drei und einem halben Zentner Lebendgewicht eine Null! Unerhört! ›Meiner unmaßgeblichen Meinung nach würde sich Baron Capreoli, der in allen Sätteln gerecht ist und vor allem über die konziliantesten Umgangsformen verfügt, ungleich besser für den Ministerposten qualifizieren, wie er ja auch als Verwandter des Regenten die Interessen der Dynastie weit eifriger vertreten dürfte als Basse, der ungeachtet seines gräflichen Standes unverkennbar mit den Oppositionsparteien liebäugelt.‹ Unglaublich!« stöhnte Exzellenz, »das ist doch eine Menscherei sondergleichen! Aber nun erklären Sie mir um alles in der Welt, was das Geschreibsel zu bedeuten hat!«

»Es hat mich schon lange im höchsten Grade empört, daß Capreoli Eure Exzellenz bei jeder Gelegenheit zu diskreditieren sucht und sich bemüht, loyale Beamte in ein Komplott gegen Sie zu verwickeln. Um Klarheit über seine Pläne zu gewinnen, ging ich scheinbar auf seine Absichten ein und veranlaßte ihn, diesen Brief zu entwerfen, den mein Onkel dann an des Königs Majestät abgehen lassen sollte. Er ging prompt in die Falle und brachte mich dadurch in die glückliche Lage, ein großes Unglück zu verhüten.«

Man sah es dem Grafen an, wie die Gedanken hinter dem Borstenwalde seiner niedrigen Stirn arbeiteten. »Den Brief sollte Ihr Onkel an den König abgehen lassen? Wie ist das zu verstehen?« fragte er, noch einmal Siegelmarke und Aufdruck des ehemaligen Umschlags betrachtend. »Ihr Onkel korrespondiert wohl mit Majestät?«

»Gott ja, Exzellenz. Bei seiner nahen Verwandtschaft mit dem Allerhöchsten Herrn –«

»Nahe Verwandtschaft mit unserm Allergnädigsten König? Verstehe ich Sie recht, Herr Assessor?«

»Freilich, mein Onkel Gräving ist ein Vetter von Majestät.«

»So so! Mir völlig neu! Höchst interessant! Aber, mein lieber Herr Assessor, Sie stehen ja immer noch. Tun Sie sich nieder und machen Sie sich's so bequem wie möglich! Entschuldigen Sie nur, daß ich über dieser leidigen Affäre total vergessen habe, Sie zum Platznehmen aufzufordern. Darf ich mir übrigens erlauben, Sie zu meinem bescheidenen Souper einzuladen? Ich habe heute abend bei meinen Humusuntersuchungen – Sie wissen, ich bin zurzeit mit allerlei forstwirtschaftlichen Problemen beschäftigt – ein paar köstliche rote Wegschnecken gefunden und würde mich aufrichtig freuen, eine solche Delikatesse gemeinsam mit einem lieben Gast verzehren zu können.«

»Exzellenz sind sehr gütig –«

»Ohne alle Umstände, verehrter Freund! Sie machen mir ein Vergnügen.«

»Nun denn, wenn Exzellenz befehlen –«

Graf Basse klapperte dreimal in kurzen Zwischenräumen mit den Gewehren, worauf sogleich sein treuer Ziegenmelker erschien und die Weisung erhielt, ein Gedeck mehr aufzulegen. Die Glotzaugen des guten Alten wurden noch um ein beträchtliches größer, als er seinen borstigen Gebieter in schönster Eintracht mit dem »ekelhaften Schleicher, den der Saupacker holen sollte«, beisammensitzen sah.

»Was fängt man nun mit diesem elenden Capreoli an? Selbstverständlich muß die Kanaille wegen Hochverrats unter Anklage gestellt werden. Zunächst wollen wir ihn jedoch von seinem Amte suspendieren«, bemerkte der Minister mehr zu sich selbst als zu Herrn von Malepart.

»Darf ich mir den gehorsamsten Hinweis darauf gestatten, daß der Baron als Mitglied des Cervidischen Hauses doch wohl bei Durchlaucht dem Regenten persona grata sein dürfte?« wandte der Assessor ein.

»I wo, lieber Freund! Capreoli liegt dem Fürsten schon lange im Magen. Durchlaucht sind höchst indigniert darüber, daß der Baron immer ein volles Vierteljahr früher mit dem Fegen fertig ist als Durchlaucht selbst. Ich finde es in der Tat auch im höchsten Grade taktlos, daß sich der Mann als simpler Kreisdirektor überall mit seinem vollkommen ausgebildeten Sechsergehörn großtut, während sich der Fürst seiner weichen Kolbenstangen wegen noch die denkbar größte Schonung auferlegen muß. Nein nein, an Seiner Durchlaucht wird der Halunke schwerlich einen Rückhalt finden.«

»Ohne der Entscheidung Eurer Exzellenz vorgreifen zu wollen, möchte ich nicht verfehlen, gehorsamst in Erinnerung zu bringen, daß ein sofortiges Vorgehen gegen Capreoli Ihrerseits diesem verraten würde, daß die Denunziation seines schamlosen Anschlags durch mich erfolgt ist. Das wäre mir, wenn ich mich gegen Exzellenz offen aussprechen darf, keineswegs erwünscht, weil ich dann mit seiner und seiner Anhänger Rache rechnen müßte. Weit bedenklicher aber noch scheint mir, daß sich in der Öffentlichkeit die natürlich ganz lächerliche Ansicht verbreiten würde, Exzellenz hätten dem Fall Capreoli eine Bedeutung beigemessen, die ihm meiner unmaßgeblichen Meinung nach gar nicht zukommt. Wenn ich mir die Freiheit nehmen dürfte, dem Herrn Grafen gehorsamst einen Vorschlag zu unterbreiten, so wäre es der, man ließe Capreoli, der ja als Raufbold bekannt ist und seiner verwerflichen Passion für den von Seiner Durchlaucht strengstens verbotenen Zweikampf seltsamerweise immer in den Hundstagen frönt, in ebendieser Zeit scharf überwachen und kassierte ihn, sobald er wieder bei einem Duell betroffen wird.«

»In der Tat keine üble Idee«, bemerkte der Minister, nachdem er ein Weilchen angestrengt nachgedacht hatte. »Gewähren wir also dem Halunken noch ein wenig Schonung! Übrigens«, setzte er nach einer kleinen Pause hinzu, »bin ich im Grunde genommen dem Intriganten gar nicht so böse, hat er mir doch, wenn auch unbeabsichtigt, zu der näheren Bekanntschaft mit einem unserer befähigsten jüngeren Beamten verholfen, den ich – das verspreche ich Ihnen, mein liebster Herr Assessor – nicht wieder aus den Lichtern verlieren werde!«


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