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Zwanzigstes Kapitel

Wie der rechtzeitig von einem gegen ihn geplanten perfiden Anschlag unterrichtete Landespräsident einen monarchistischen Putsch für seine eigenen Zwecke ausnutzt und von dem zurückgekehrten und ob seiner Treue gerührten Hubertus XII. zum Staatsminister ernannt wird, und wie Frau Nikoline Lampe, geborene Laputz, ein tragisches Ende findet

 

Der glänzende Erfolg der Ausstellung vermochte Helleräugende nicht darüber zu täuschen, daß in immer weiteren Kreisen der Bevölkerung eine bedenkliche Unzufriedenheit mit den neuen Zuständen um sich griff. Die Tiere, die früher in der Öffentlichkeit maßgebende Stellungen eingenommen hatten, konnten den neuen Machthabern ihre Kaltstellung nicht verzeihen, die Demokraten ärgerten sich darüber, daß die Volksvertretung mehr und mehr zu einem gefügigen Werkzeug des roten Autokraten herabsank, und die sogenannten kleinen Leute kamen allmählich dahinter, daß sie, obwohl der Landespräsident bei jeder Gelegenheit von dem Willen des souveränen Volkes oder gar von der Diktatur der Proletariats sprach, jetzt noch weit weniger zu sagen hatten als unter der alten Regierung.

Herr Bosko, der Schnürenpudel, Regisseur und dramatische Dichter, bemerkte alle diese Anzeichen der Gärung mit stiller Genugtuung. Der Zeitpunkt, den Mann zu stürzen, der bei der Vorlesung seines neuen Schauspiels heimlich ausgerückt war und ihn auf so heimtückische Weise den Zweibeinen in die Hände gespielt hatte, schien ihm gekommen. Er suchte und fand in Doktor Bockert, ebenfalls einem Todfeinde des Roten, einen Gesinnungsgenossen und Mitverschwörer, und von nun an verging kein Tag, wo er nicht Bockerts Wasserburg aufsuchte und sich mit dem genialen Mann über die zur Verwirklichung seines gegenrevolutionären Planes einzuschlagenden Wege beriet. Beider Absichten gingen darauf aus, den entthronten Fürsten zurückzurufen. Bockert gedachte sich dadurch bei Hubertus XII. wieder in Gunst zu setzen, während Bosko, dem die politischen Verhältnisse im Tierstaate gänzlich gleichgültig waren, nur die Befriedigung seines persönlichen Rachebedürfnisses erstrebte. Er war auch recht eigentlich die treibende Kraft; für ihn, der nichts aufs Spiel zu setzen hatte, gab es keinerlei Bedenken, während bei dem ehemaligen Wasserbaudirektor immer wieder die ihm angeborene Vorsicht zum Durchbruch kam, die vor jedem Vabanquespiel zurückschreckte.

»Ich verstehe vollkommen, daß Sie zunächst die im Volke herrschende Stimmung ergründen wollen«, sagte der Dichter, als beide am Abend des 30. Mai auf der aus Weidenknüppeln gezimmerten Rampe vor Bockerts Burg saßen, »und deshalb habe ich mir etwas ausgedacht, das ohne Zweifel Ihren Beifall finden wird. Wir versichern uns der Person des Roten, indem wir früh morgens, sobald er von seinem gewohnten nächtlichen Pürschgang heimgekehrt ist, sämtliche Röhren von Haus Malepart mit Reisigbündeln, Steinen und Erde verstopfen. Ist dies geschehen, so staffieren wir den Esel Balduin, mit dem ich schon alles verabredet habe, und der sich von Herzen darauf freut, nach der ewigen Plackerei vor dem Wägelchen der Frau Oberförster einmal eine vornehme Rolle spielen zu können, als Hubertus XII. aus, führen ihn bei Nacht und Nebel auf die Waldwiese und rufen das Volk zusammen. Sehen wir dann, daß die Menge dem vermeintlichen Fürsten zujubelt, so schaffen wir diesen in unauffälliger Weise beiseite und benachrichtigen schleunigst den richtigen, der dann gewiß nicht zögern wird, die Regierung wieder zu übernehmen und die Hauptmacher der Revolution, vor allem den verfluchten roten Halunken, nach Gebühr zu bestrafen.«

»Keine üble Idee, lieber Herr Bosko!« erwiderte Doktor Bockert, sich vergnügt die Hände reibend, »ich weiß nur nicht recht, wie Sie den Esel als Fürsten ausstaffieren wollen.«

»Nichts leichter als das, Herr Doktor! Sie haben vielleicht schon davon gehört, daß die Zweibeine ihre Hütten oder Bauten, wie Sie's nun nennen wollen, mit den Geweihen von Mitgliedern der Cervidischen Familie auszuschmücken pflegen. Beim Oberförster hängen solche Trophäen zu Dutzenden an den Wänden, allerdings so hoch, daß unsereiner nicht dazukommen kann. Nun habe ich aber bei meinen Streifzügen durch das Haus auf dem Boden ein kapitales Geweih von sechzehn Enden entdeckt, das noch nicht aufgeklotzt ist, und das, wie mir mein Vetter, der Griffon Lord erzählte, von Rechts wegen dem Forstgehilfen gehört, dem es der Oberförster jedoch vorenthält, weil er's ihm nicht gönnt. Wenn wir dieses Geweih, das ich jederzeit mit Leichtigkeit holen kann, dem Esel auf den Kopf binden, so haben wir einen Fürsten, der es, wenigstens im Dämmerlichte einer Sommernacht, mit jedem in der gefleckten Decke Geborenen aufnimmt. Was der gute Balduin an fürstlichen Manieren braucht, gedenke ich ihm schon beizubringen.«

»Ihr Vorschlag leuchtet mir ein, lieber Freund«, sagte Bockert. »Aber wenn man den Betrug entdeckt, oder wenn sich wider Erwarten das Volk doch gegen den vermeintlichen Fürsten wendet? Was dann?«

»Sehr einfach, dann geben wir den Anschlag für einen tollen Schwank zur Entlarvung und Verspottung der monarchistisch Gesinnten aus, haben die Lacher auf unserer Seite, täuschen den Roten und seinen Anhang über unsere wahren Absichten und warten in aller Ruhe auf eine günstigere Gelegenheit zur Ausführung unseres Planes. Wie die Sache auch ausgehen mag: mit Gefahr verbunden ist sie für uns in keinem Falle.«

Das sah der vorsichtige Bockert ein, und deshalb zögerte er diesmal nicht mit seiner Zustimmung. Man kam überein, die Angelegenheit nicht weiter auf die lange Bank zu schieben, sondern den Landespräsidenten beim ersten Dämmer des kommenden Morgens in seinem Burghause festzusetzen und den falschen Hubertus in der darauffolgenden Nacht dem Volke als den zurückgekehrten Regenten vorzustellen. Gelänge der Anschlag, so wollte man den Referendar Kiebitz, der in Bockerts Heim an jedem Donnerstag zum Skatabend zu erscheinen pflegte, mit der Botschaft an den Fürsten senden, daß alles zu seiner Zurückführung auf den Thron auf das sorgfältigste vorbereitet sei.

Die Sache würde höchstwahrscheinlich ganz nach dem Wunsche der Verschwörer verlaufen sein, wenn es ihnen gelungen wäre, ihre Abmachungen geheimzuhalten. Aber das war nicht der Fall. Während sie nämlich berieten, saß unter der Knüppelrampe, bis an den Hals im Wasser, Herr Fiber Edler von Dobrisch, dem die häufigen Besuche Boskos bei dem ehemaligen Wasserbaudirektor verdächtig vorgekommen waren, und der es sich in den Kopf gesetzt hatte, den geheimnisvollen Machenschaften, die sich da vorbereiteten, auf den Grund zu gehen. Er vernahm in seinem Versteck jedes Wort und eilte, sobald die Unterredung der beiden Herren beendet war, auf dem kürzesten Wege nach Haus Malepart, um seinen Gönner von dem Erlauschten in Kenntnis zu setzen.

Die Nachricht von dem gegen ihn geplanten Anschlag überraschte den Roten keineswegs. Er wußte längst, daß unter dem wechselnden Monde nichts von Dauer ist, am allerwenigsten die Stellung eines Staatsoberhauptes von Volkes Gnaden. Herr von Malepart wäre kein Fuchs gewesen, wenn er nicht beizeiten mit einer neuen politischen Umwälzung gerechnet und sich auf jede nur denkbare Veränderung eingerichtet hätte. Mit vollkommener Gemütsruhe hörte er den Bericht des böhmischen Ingenieurs an, dankte ihm für seine Wachsamkeit und versprach, er werde sich für den ihm geleisteten Dienst erkenntlich zeigen. Nachdem er den Mann verabschiedet hatte, ließ er durch den Ziegenmelker, Basses Faktotum, das er als Portier in seine Dienste genommen, den Kantor Waldkauz holen. »Mein lieber Freund«, redete er den erstaunten Vogel an, als dieser in dem für linksgerichtete Besucher bestimmten nüchternen Empfangsraume vor ihm hockte, »ich habe seit langem lebhaft bedauert, daß ein Mann von Ihren Talenten seine Kräfte in einer Tätigkeit verbraucht, die seiner geistigen Bedeutung so ganz und gar nicht entspricht. Ich richte nun die unverbindliche Frage an Sie: würden Sie sich unter Umständen bereit finden lassen, in einer monarchischen Regierung, selbstverständlich in einer solchen, die sich verpflichtete, dem Volke eine Verfassung auf demokratischer Grundlage zu geben, das Portefeuille des Kultus und des Unterrichts zu übernehmen?«

Der Kantor, der, um besser hören zu können, den sein ausdrucksvolles Antlitz umrahmenden Federschleier ein wenig gelüftet hatte, knappte vor Überraschung ein paarmal mit dem Schnabel, faßte sich aber, da er von seiner Bedeutung selbst keine geringe Meinung hatte, bald und erwiderte: »Warum nicht, Exzellenz? Was Exzellenz Steinkauz kann, glaube ich auch zu können.«

»Das meine ich eben auch, mein Lieber«, sagte der Landespräsident mit feinem Lächeln. »Ich bin sogar davon überzeugt, daß Sie in noch anderer Weise als Steinkauz zum Segen des Landes wirken würden. Von den Vorteilen, die sich für Sie persönlich aus der ministeriellen Tätigkeit ergeben könnten, will ich ganz schweigen. Unerwähnt lassen möchte ich jedoch nicht, daß es meiner Überzeugung nach sogar in Ihren Fängen läge, das Lebensglück Ihrer beiden Fräulein Töchter zu begründen. Wir haben gerade im Kultusministerium eine ganze Reihe Vortragender Räte gesetzteren Alters, die bisher versäumt haben, das Joch der Ehe auf sich zu nehmen. Ich glaube, daß es nur eines Winkes von Ihrer Seite bedürfte, um diese Herren an ihre Pflicht zu erinnern. Doch darüber können wir uns später noch unterhalten. Ich habe jetzt einen Auftrag für sie, der die allerhöchste Diskretion erfordert. Dieser Brief« – er nahm ein versiegeltes Schreiben vom Tisch und reichte es dem Kantor hin – »muß noch in dieser Nacht an den ehemaligen Regenten, dessen Exil jenseits der Elbe Ihnen ja bekannt ist, befördert werden. Darf ich auf Ihre Verschwiegenheit rechnen?«

Der Schulmann gab sehr bereitwillig das Versprechen, daß er ohne Säumen die Reise zu Hubertus XII. antreten, sich unterwegs weder durch Mäuse noch durch schlafende Vögel ablenken lassen und den Brief keinem andern als dem fürstlichen Adressaten übergeben werde. Als er weg war, packte der Rote alles, was er an Wertgegenständen besaß, zusammen, verließ das Burghaus und begab sich zu seinem Oheim, um in dessen bescheidenem Notbau bis auf weiteres Quartier zu nehmen.

Der gute alte Grimbart Gräving zeigte sich über den Besuch nicht wenig erfreut. Es ist ja auch keine Kleinigkeit, der Onkel eines Landesvaters, also mit einem Worte: Landesgroßonkel zu sein. Und als der Neffe noch obendrein ganz gegen seine sonstige Gewohnheit mit wahrer Engelsgeduld anhörte, was ihm der alte Herr über die neuesten Ergebnisse seiner familiengeschichtlichen Forschung mitzuteilen hatte – das wichtigste war die kaum noch anfechtbare Entdeckung, daß der berühmte italienische Dichter Torquato Tasso, dessen Name verdeutscht ja in der Tat: »Der Dachs mit dem Halsband« lautet, zum Geschlechte der Grävings gehöre! –, da verzieh der Greis seinem im stillen doch jederzeit bewunderten Reinhard, daß ihn dieser so lieblos aus seinem eigenen Grundbesitz verdrängt hatte. In seiner Herzensfreude wagte er den Neffen nicht einmal danach zu fragen, was ihn veranlasse, seinen Besuch über den ganzen folgenden Tag auszudehnen, und noch weniger, was es zu bedeuten habe, daß dann am späten Abend plötzlich Kammerherr von Edelmarder erschien und volle zwei Stunden lang unter vier Sehern in Grävings Arbeitszimmer mit Seiner Exzellenz dem Herrn Landespräsidenten verhandelte. Noch erstaunter aber war der Alte, als ihn die Herren aus seiner Schlafkammer, in die er sich notgedrungen hatte zurückziehen müssen, kommen ließen und ihm erklärten, er solle sich bereit halten, sie zum Empfange des Regenten, der in dieser Nacht wieder die Regierung übernähme, auf die Waldwiese zu begleiten. Er wollte Ausflüchte machen, aber der Neffe bestand darauf, daß er, der wegen seiner loyalen Gesinnung bei Hubertus XII. besonders beliebt sei, bei der feierlichen Einholung des Fürsten nicht fehle. Da blieb dem Greise schon nichts anderes übrig als mitzugehen.

Man wanderte, dem Nordrande der Wiese folgend, im hohen Stangenholze dahin. Als man vor Haus Malepart angelangt war, erstieg der Rote den Burghügel und betrachtete mit vergnügtem Schmunzeln das Werk der Verschwörer. »Sie haben ganze Arbeit gemacht«, bemerkte er, auf die verstopften Röhren deutend, zum Kammerherrn, »ein wahres Glück, daß ich nicht daheim war!« Dann schnürte er, den beiden Begleitern voran, etwa zehn Gänge weit in die Fichtenschonung und ließ sich hier an einer Stelle, von der aus man die Wiese überäugen konnte, auf die Keulen nieder. Die beiden anderen folgten seinem Beispiele. Aber während der Rote und Herr von Edelmarder sich im Flüsterton unterhielten, sank Grimbart Gräving, ermüdet von dem Marsch, auf die Seite und rollte sich zu einem Nickerchen zusammen. Es war eine köstliche Frühsommernacht, eine von denen, wo es auch bei mondlosem Himmel nicht völlig finster wird. Kein Lüftchen regte sich; ganz in der Nähe zwitscherte traumbefangen ein Rotkehlchen, und aus dem Weidenheger drunten am Altwasser schallte von Zeit zu Zeit die Stimme des Kammersängers Rossignolo-Nachtigall herüber, der eine seiner Bravourarien übte.

Als die Turmuhr eines fernen Zweibeindorfes die Mitternachtstunde verkündete, tauchten auf der entgegengesetzten Seite der Wiese drei Gestalten auf, eine große, die auf dem mit zwei sehr stattlichen Ohren versehenen Haupte den fürstlichen Kopfschmuck eines kapitalen Geweihs trug, und zwei kleinere, in denen die rote Exzellenz sogleich die beiden Verschwörer erkannte. Sie schienen sich für unbeobachtet zu halten und dämpften nicht einmal ihre Stimmen.

»Diese Knochenzacken sind verdammt schwer; ich danke dem Himmel, daß ich nicht als Hirsch auf die Welt gekommen bin«, bemerkte der falsche Hubertus, den Kopf sinken lassend.

»Alles Sache der Gewohnheit, Durchlaucht!« erwiderte Herr Bosko lachend. »Tun Sie mir den einzigen Gefallen und kneifen Sie Ihren Schwanz ein, denn das Ding sieht nach allem andern aus als nach einem fürstlichen Wedel.«

»Was meinen Sie, meine Herren: ob ich nun einmal röhre?« fragte der Pseudoregent.

»Um Gotteswillen nicht, Durchlaucht! Damit würden Sie alles verderben. Ihr Organ mag ja ganz schön sein, aber fürstlich klingt es nun gerade doch nicht«, wehrte Doktor Bockert ab.

»Soll ich denn vielleicht einmal ein bißchen in der Erde forkeln?«

»Daß die Leine reißt, womit wir Ihnen das Ding auf Ihren durchlauchtigsten Schädel gebunden haben?« rief der Dichter in hellem Entsetzen. »Verhalten Sie sich gefälligst so passiv wie möglich! Passivität ist das Kennzeichen wahrer Würde. Wenn Sie durchaus eine markante Bewegung ausführen wollen, so kratzen Sie sich freundlichst einmal mit der Schale des rechten Hinterlaufs hinter Dero majestätischem Lauscher. Sehen Sie, das macht sich schon ganz leidlich. Aber wir sind zur Stelle. Geruhen Durchlaucht nun, eine möglichst fürstliche Haltung einzunehmen!«

Herr Balduin warf sich in die Brust und legte den Kopf mit dem Geweih zurück.

»Schön! Sehr schön! Das sieht recht gut aus«, sagte sein schwarzer Mentor. »Den Bauch können Sie wohl nicht noch ein wenig einziehen? Na ja, bei gutem Willen geht alles.«

»Ei verflucht! Das werde ich nicht lange aushalten; da geht mir die Luft aus. Hören Sie, ich möchte zu meiner Stärkung doch erst noch einen kleinen Imbiß zu mir nehmen. Haben Sie eine Ahnung, ob hier in der Nähe Disteln stehen?«

»Aber Durchlaucht! Wer wird so materiell sein! Jetzt, wo Sie Dero geliebtem Volke präsentiert werden sollen, von Delikatessen zu reden! Haltung! Haltung! Ich gedenke nun die Untertanen mobil zu machen.« Damit reckte Herr Bosko den Hals empor, daß die mit einem forschen Schnurrbart geschmückte Schnauze gerade auf den Zenit gerichtet war, öffnete den Fang und begann zu heulen, als ob der Mond in seiner ganzen Pracht am Himmel stünde.

Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Eine Amsel stieß ihr weithin schallendes Tacktack aus, die Stare, die in den Astlöchern der alten Eiche dem Brutgeschäft oblagen, verließen ihre Nisthöhlen und zeterten erregt über die nächtliche Ruhestörung, und ein Turmfalkenpärchen, das auf einem Kiefernüberhälter horstete, erhob sich in die Luft und äugte rüttelnd auf das seltsame Trio herab. In den Röhren des Laputzschen Familienbaus erschienen verschlafene Gesichter; Lamprecht Lampe, der aus alter Gewohnheit in milden Nächten noch einmal auf die Feldflur zu rücken pflegte, humpelte an seiner Krücke herbei und betrachtete den falschen Hubertus mit erstaunten Lichtern, und Major von Swinegel, der gerade auf einem Kontrollgang begriffen gewesen war, zuckte, die Stacheln sträubend, nervös zusammen, lauschte ein Weilchen und holte dann behutsam Wind ein. Von allen Seiten strömten die Tiere heran, und ehe zehn Minuten vergangen waren, stand die Menge Kopf an Kopf und betrachtete mit verlegenem Schweigen den Gekrönten in ihrer Mitte.

Herr Bosko und Doktor Bockert richteten sich in ihrer ganzen Größe auf, erhoben Pfote und Hand und riefen, so laut sie vermochten: »Nieder mit der Republik! Hoch die konstitutionelle Monarchie! Es lebe Fürst Hubertus XII., unser durchlauchtigster Regent und geliebter Landesvater!«

Und das Volk ringsumher nahm den Ruf auf, erst zögernd und zaghaft, dann immer lauter und jubelnder und bereitete dem vermeintlichen Fürsten eine Ovation, die die kühnsten Hoffnungen der beiden Verschwörer übertraf.

Aber ehe noch der Dichter seine sorgsam vorbereitete Ansprache an die Menge halten konnte, schnürte zu seiner grenzenlosen Überraschung Exzellenz von Malepart, den er in sicherm Gewahrsam geglaubt hatte, in Begleitung seines Oheims Gräving und des Kammerherrn von Edelmarder aus der Dickung, grüßte mit verbindlichem Lächeln, sprang mit elegantem Satz auf einen Baumstumpf und wandte sich mit einer kurzen, kernigen Rede an das verblüffte Volk. »Verehrte Mitbürger! Liebe Freunde!« sagte er, »die wahrhaft erhebende Kundgebung, deren Zeuge ich soeben geworden bin, verrät mir, wie ihr alle in eurem innersten Herzen an unserm geliebten Regenten hängt, und wie heiß ihr seit langem die Rückkehr der alten geordneten Zustände ersehnt, deren wir uns unter dem milden Zepter Hubertus' XII. erfreuen durften. In dieser Stunde ist mir offenbar geworden, wie es möglich war, daß eine so beklagenswerte politische Verwirrung, als die heute jeder Einsichtige die Revolution bezeichnet, unter uns Platz greifen konnte. Soll ich's euch verraten? Weil ihr unsern guten Fürsten viel zu wenig gekannt habt! Ich behaupte, ihr kennt ihn auch heute noch nicht so, wie ihr ihn als loyale Untertanen kennen müßtet, sonst hättet ihr euch nicht diese Jammergestalt, die am Wedel eine Quaste trägt, als Hubertus XII. vorführen lassen. Nicht einmal der Umstand, daß dieser Mann da sein Haupt mit einem geborgten Geweih geschmückt hat, vermag eure Leichtgläubigkeit zu entschuldigen. Seht euch das Ding einmal an! Vollständig gefegte Stangen! Fällt das wirklich niemand unter euch auf? Wißt ihr in der Tat nicht, daß euer legitimer Landesvater um diese Jahreszeit nur kurze Kolben zu tragen pflegt? Freunde und Volksgenossen, ich will euch nicht verurteilen. In Zeiten politischer Erregung pflegt sich die Urteilskraft zu trüben. Ich beglückwünsche mich dazu, daß ich eure Anhänglichkeit an den angestammten Fürsten, die auch die Wirrnisse dieser letzten Monate nicht aus euren Herzen zu tilgen vermochten, keinen Augenblick verkannt habe. Und weil ich wußte, daß jeder unter euch die Stunde herbeiwünscht, wo der rechtmäßige Herrscher unseres Landes mit starken Schalen die Zügel der Regierung wieder ergreift, so habe ich die Rückkehr Hubertus' XII. von langer Brante vorbereitet.« Er wandte sich an den Kammerherrn und wechselte mit ihm einige Worte, worauf Herr von Edelmarder, nachdem er sich vor der roten Exzellenz mehrmals tief verbeugt hatte, in die Fichtenschonung eilte.

Eine Weile verharrte alles in erwartungsvollem Schweigen. Der Pseudoregent, nun wirklich ein Bild des Jammers, senkte sein graues Haupt und stützte die Kronen seines schweren Kopfschmuckes auf den Boden. Herr Bosko ließ seine nachtschwarzen Locken über das enttäuschte Antlitz fallen und kniff die Rute ein, und Doktor Bockert nagte vor Verlegenheit an seinen langen Nägeln.

Dann aber hörte man's im dichten Bestände brechen, sah, wie die Fichten sich auseinandertaten, und wie der wahre Regent, gefolgt von Hofmarschall von Colchicus und Kammerherrn von Edelmarder, gemessenen Schrittes auf die Wiese austrat.

Tausendstimmiger Jubel schallte ihm entgegen. Jetzt, wo der Durchlauchtigste und sein armseliges Zerrbild einander gegenüberstanden, ging der Menge erst das rechte Verständnis für das Wesen fürstlicher Würde auf. Die kurzen, klobigen Kolben, die der Hohe Herr zwischen den Lauschern trug, beeinträchtigten das Ehrfurchtgebietende seiner Erscheinung nicht im geringsten, im Gegenteil: sie wirkten wie ein Symbol der Verjüngung und des sich kraftvoll erneuernden Lebens.

Als sich die entzückte Menge einigermaßen wieder beruhigt hatte, trat Herr von Malepark auf Hubertus XII. zu, verneigte sich bis zur Erde und sagte: »Durchlauchtigster Regent! Allergnädigster Fürst und Herr! Trübe, kummervolle Tage liegen hinter uns, ein Winter, wie wir ihn unfreundlicher noch nie zuvor erlebt haben. Nicht nur die Natur war in die Bande des Frostes geschlagen: auch die Seelen von unzähligen Tieren, die einst ihren Stolz darein setzten. Eurer Durchlaucht getreue Untertanen zu sein, waren unter dem eisigen Hauche eines politischen Irrwahns erstarrt. Heute ist der Bann gebrochen, ist der Winter unseres Mißvergnügens vergangen, denn Eure Durchlaucht sind heimgekehrt und haben Ihrem Volke den Frühling mitgebracht. Unzählige Herzen schlagen Ihnen entgegen, beglückt durch den Anblick Ihrer geheiligten Person, und unterbreiten Ihnen submissest die gehorsamste Bitte, die Regierung des Landes, die Sie so lange mit dem sichtbaren Segen des Himmels geführt, wieder zu übernehmen. Wir alle bekennen freimütig unsere Schuld und stehen Eure Durchlaucht um gnädige Verzeihung an. Was meine unbedeutende Wenigkeit betrifft, so darf ich gestehen, daß ich nicht gewagt hätte, in dieser weihevollen Stunde vor Eurer Durchlaucht Lichter zu treten, wenn mir mein Gewissen nicht sagte, daß ich in der Zeit der Wirrnisse nichts unterlassen habe, in Eurer Durchlaucht Lande einigermaßen geordnete Zustände zu erhalten und die in den Herzen Ihrer Untertanen schlummernde Liebe zu ihrem Regenten zu wecken. Und so begrüße ich Eure Durchlaucht im Namen Ihres ganzen Volkes mit der Versicherung unwandelbarer Treue und gebe der Hoffnung Ausdruck, daß es unserm allergnädigsten Herrn noch eine lange Reihe von Jahren beschieden sein möge, unser aller Schicksal mit bewährter Weisheit und nie erschlaffender Kraft zu lenken!«

»Mein lieber Herr von Malepart, ich danke Ihnen für die guten Worte, die Sie im Namen meiner lieben Untertanen an mich gerichtet haben«, erwiderte der Fürst. »Sie haben meinem schwergeprüften Herzen wohlgetan. Ich will der mir vorgetragenen Bitte in Gnaden entsprechen und die Regierung wieder übernehmen, und gebe Ihnen die Versicherung, daß das Vergangene vergessen sein soll. Haben als mein Vertreter Ihre Sache recht brav gemacht, mein lieber von Malepart, und deshalb wünsche ich, daß Sie die Geschäfte fortan als Staatsminister weiterführen.«

»Submissesten Dank, durchlauchtigster Herr!« sagte der Rote mit einer erneuten tiefen Verneigung. »Was in meinen schwachen Kräften steht, mir Eurer Durchlaucht Zufriedenheit zu erwerben, wird geschehen. Darf ich mir den alleruntertänigsten Vorschlag erlauben, dem Bunde mit Ihrem Volke, den Eure Durchlaucht in dieser Stunde huldvollst zu erneuern geruht haben, durch einen allgemeinen Amnestieerlaß eine höhere Weihe zu geben?«

»Sie nehmen mir das Wort vom Geäse, mein lieber Staatsminister. Habe selbstverständlich schon an Amnestierung gedacht, von der allerdings dieser – dieser« – er wandte sich an Colchirus – »wie hieß doch das Subjekt, das, wie die Journale berichteten, am hellen Tage in einer holländischen Likörstube die gute brave Feldmaus ermordete, mein lieber Hofmarschall?«

»Durchlaucht meinen wahrscheinlich Ratz Iltis?«

»Ganz recht, das Subjekt heißt Ratz Iltis. Also, von der dieser Ratz Iltis ausgeschlossen werden muß. Verbrecher schlimmster Sorte. Mir höchst unsympathisch. Wünsche dringend exemplarische Bestrafung.«

»Wie Eure Durchlaucht befehlen! Ich muß leider bemerken, daß sich der Mann dem Vorderlaufe der Gerechtigkeit bisher noch immer zu entziehen gewußt hat. Es ist geradezu rätselhaft, wie er es fertigbringt, seinen Aufenthalt zu verheimlichen, obgleich ihm die Polizei ununterbrochen auf den Fersen ist.«

Ganz hinten in der Menge entstand bei diesen Worten des Roten eine Bewegung. Man vernahm erregte Stimmen, und jemand rief: »Kammerjäger Mauswiesel weiß, wo Ratz tagsüber steckt.«

»Herr Mauswiesel, darf ich bitten, einmal vorzutreten und uns nähere Angaben zu machen?« sagte Staatsminister von Malepart.

Der Kleine schlängelte sich durch das dichtgedrängte Publikum und stammelte katzbuckelnd: »Wenn ich Eurer Exzellenz Wunsch erfülle, bin ich ein verlorener Mann. Ratz hat geschworen, jedem, der sein Versteck verrät, die Kehle durchzubeißen.«

»Keine Angst, lieber Mauswiesel! Dazu werden wir den Halunken nicht kommen lassen«, erwiderte Herr von Malepart lächelnd. »Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß er beim ersten Morgendämmer aufgehoben und für alle Zeit unschädlich gemacht werden soll. Also heraus mit der Sprache! Es wird Ihr Schade nicht sein. Vielleicht findet sich sogar für Sie eine Anstellung bei der Kriminalpolizei.«

Da faßte sich der Kammerjäger ein Herz und berichtete, daß der Schlupfwinkel des so lange gesuchten Verbrechers der Röhrendurchlaß unter der Straße zur Zweibeinoberförsterei sei.

»Schön, mein Lieber! Sie können abtreten und dürfen völlig unbesorgt sein. Ich werde alles Weitere veranlassen«, erwiderte der Rote. Und sich an den Fürsten wendend, bemerkte er: »Mein allergnädigster Herr wird aus diesem kleinen Zwischenfall die Überzeugung gewonnen haben, von wie unschätzbarem Werte Eurer Durchlaucht Anwesenheit für uns ist. Ihre hohe Gegenwart genügt, die verworrensten Angelegenheiten zu klären. Erlauben Sie mir daher, die gehorsamste Bitte auszusprechen. Eure Durchlaucht möge von nun an öfter als in früheren Zeiten die Gnade haben, Dero Hoflager auch in diesem Teile des Landes aufzuschlagen. Ich hege die Überzeugung, daß die gesamte Beamtenschaft unter den Lichtern unseres geliebten Regenten mit doppeltem Eifer ihre Pflicht erfüllen wird.«

Hubertus XII. lächelte. »Wollen sehen, was sich tun läßt, mein lieber Staatsminister«, sagte er. »Meine aber: in besseren Branten als in den Ihrigen kann das Wohl des Landes gar nicht liegen. Sind ein Mann von Charakter und Genie und haben mir den glänzendsten Beweis Ihrer Treue geliefert!«

Dann zog sich der Hohe Herr zurück, während die Menge, noch berauscht von dem großen Erlebnis dieser Stunde, auseinanderströmte.

Nur einer verließ die Waldwiese in verdrossener Stimmung: Lamprecht Lampe. Er hatte unter dem Publikum seine Gattin bemerkt; jetzt aber, wo er, ermüdet vom langen Stehen, auf ihren Arm gestützt, die gemeinschaftliche Sasse aufsuchen wollte, war sie nirgends zu entdecken.

Kurz vor Sonnenaufgang umstellte ein starkes Gendarmerieaufgebot Ratz Iltissens Versteck. Als jedoch Wachtmeister Steinmarder, beherzt wie immer, in das Durchlaßrohr eindrang, fand er außer einer Menge Knochen und Federn von Fasanen, Hühnern und Tauben nichts als den entseelten, noch warmen Körper Nikolinens. Die bedauernswerte junge Frau hatte, offenbar durch ihre Bewunderung für den verwegenen Abenteurer verleitet, ihn zu warnen, mit ihrem roten Schweiß dem Undankbaren das erste Frühstück geliefert. So war sie, der bei so vielen guten Anlagen leider die Fähigkeit fehlte, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und ihre impulsive Natur zu zügeln, ein Opfer ihrer kleinbürgerlichen Romantik geworden.

Weihe ihrem Andenken eine Träne, freundlicher Leser!

 


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