F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Drittes Kapitel.

Nachdem wir vorhin das Haus des Stadtschultheißen von der Straße angesehen mit seinen Zurichtungen zum heutigen Balle, müssen wir uns im Verlaufe unserer Geschichte schon erlauben, auch das Innere desselben zu betreten. Sehr viele Einladungen zum heutigen Feste waren ergangen, Einladungen mit verblümten Redensarten, wie sie jetzt bei solchen Veranlassungen der Brauch sind, die häufig nur errathen lassen, wozu der Gast eingeladen ist: »Für einen Ball bittet sich Madame N. von Herrn N. N. die Ehre aus, den Abend des und des bei ihr zubringen zu wollen«, oder: »Herr N. und Madame N. werden sich freuen, wenn Herr N. N. eine Tasse Thee bei ihnen annehmen wolle«; zu einem Diner heißt es gewöhnlich »auf einen Löffel Suppe«.

Die Eingeladenen zum Feste des Stadtschultheißen wußten aber schon, woran sie waren, und Madame Welkermann hatte kein Geheimniß daraus gemacht, daß es ein wirklicher Ball sein solle, und zwar aus einer Veranlassung, die ihrem Mutterherzen wohlthat. War doch ihre achtzehn Jahre alte Tochter vor Kurzem aus der Pension zurückgekehrt und sollte nun mit vollem Glanze zum ersten Male in die Welt eingeführt werden!

Madame Welkermann war eine brave Frau, hatte aber als Tochter einer der ersten Patrizierfamilien einer ehemaligen Reichsstadt den Glauben, sie habe Herrn Welkermann eine außerordentliche Ehre angethan, indem sie ihm ihre Hand reichte. Allerdings war dieser damals nichts Anderes gewesen, als ein kleiner städtischer Beamter, der übrigens, als Sohn des verstorbenen reichen Stadtschreibers Welkermann, mit Verstand sowie sehr vielen natürlichen Anlagen ausgerüstet, wohl zu einer guten Laufbahn Hoffnung gab, welche, wie wir bereits gesehen, denn auch eingetroffen war. Madame Welkermann war im Laufe der Jahre Stadtschultheißin geworden, und die Familien derer von der Eschenbach betrachteten sie, wenn auch nicht mit Stolz, doch mit Genugthuung.

In der Küche des Hauses loderte das Feuer stärker als je, und der für heute dirigirende Koch gab sich die größte Mühe, die Thüren seines Appartements fest verschlossen zu halten, damit kein Speisegeruch auf Vorsaal und Treppe hinaus dringe, was er mit vollem Rechte für höchst unanständig erklärte. Doch bemerkte man nur in den unteren Räumen Leben und Bewegung; oben und auf den Treppen hatte alles unnöthige Gelaufe aufgehört, und das ganze ansehnliche und reiche Apartement befand sich zur Aufnahme der Gäste bereit und in voller Parade. Diese hielt der Stadtschultheiß in eigener Person, im schwarzen Frack, weißer Halsbinde, tadellos von den straff emporgebürsteten Haaren bis zu den Spitzen seiner lackirten Stiefel, nun zum letzten Male ab, und zwar in Begleitung seines heutigen dienstthuenden Adjutanten Herrn Ascher, eines ehemaligen Kammerlakaien, der sich vom Dienste zurückgezogen und nun in guten Häusern bei Festlichkeiten aushalf.

Die Parade fing bei der Hausthür an, wo der Amtsdiener des Stadtraths stand, um die männlichen Gäste in die unten befindliche Garderobe zu weisen, die Damen dagegen zu bitten, sich zur Ablegung ihrer Mäntel und Shawls die Treppe hinauf zu bemühen.

Daß Herr Sprandel mitten in grünem Gesträuche stand, versteht sich von selbst, ebenso, daß die breite Treppe mit Blumen besetzt und mit Teppichen belegt war. Dann kam man oben, nachdem man einen schweren Vorhang aufgehoben, welches Geschäft der Kutscher des Hauses für die Gäste zu besorgen hatte, in ein reich beleuchtetes Vestibüle. Es war dies in den gewöhnlichen Zeiten ein dunkler, unbehaglicher Raum, der aber jetzt, mit Teppichen belegt, mit Pflanzen und Sitzgelegenheiten decorirt, einen festlichen Anblick bot.

»Charmant!« sagte der Stadtschultheiß zu Herrn Ascher, welcher sich stillschweigend verbeugte. Nun ging man durch die ganze Zimmerreihe, an der sämmtliche Thüren ausgehoben worden waren, sowie alles entfernt, was an die niederen täglichen Bedürfnisse des Lebens erinnern konnte. War doch sogar das Schlaf- und Arbeitszimmer des Herrn Welkermann nicht geschont worden und Alles, bis auf eine einzige abgesonderte Stube, in den Bereich der Festlichkeit gezogen! Diese Stube bot dafür aber auch ein merkwürdiges Durcheinander, ein wahres Chaos von Kisten, Schränken, Möbeln und Bettwerk. Es war ein Glück, daß dort Finsterniß herrschte, und der Stadtschultheiß hatte zu seiner Beruhigung den Schlüssel zweimal umgedreht und in seine Tasche gesteckt.

»Es ist das alles in der That gelungen,« sagte er, nachdem er in der Begleitung Ascher's sämmtliche Zimmer durchgegangen; »es ist überall hell genug, nicht zu warm und duftet höchst angenehm.«

»Letzteres ist das Einzige, was ich allenfalls auszusetzen hätte, Herr Stadtschultheiß,« meinte Herr Ascher mit einer wichtigen Miene. »Die Frau Stadtschultheiß haben das Räuchern angeordnet, trotzdem ich mir zu bemerken erlaubte, daß in den großen und vornehmen Häusern, in denen ich zu serviren das Glück habe, niemals geräuchert wird. Seine Excellenz der Herr Graf von Schapperbach, welcher mir beim Feste Alles zu überlassen pflegt, welcher mich an nichts zu erinnern braucht, denn er kennt mich, unterläßt es dennoch nie, nachdem er mir Alles übertragen, warnend den Zeigefinger aufzuheben – jedes Mal, Herr Stadtschultheiß –, was so viel heißen soll: Mein lieber Herr Ascher, ich bin mit allem, was Sie thun, einverstanden – aber um Gottes willen keine Räucherung!«

»Man könnte ja ein paar Fenster öffnen,« meinte der Stadtschultheiß.

»Unbesorgt; dieser Geruch verflüchtigt sich schon, ehe die Gäste kommen.«

»Im Übrigen,« fragte der Herr des Hauses, »sind Sie aber überzeugt, daß unsere Apartements einen guten, ja, wohlthuenden oder, wie soll ich sagen, reichen Eindruck auf unsere Eingeladenen machen werden?«

»Gewiß, Herr Stadtschultheiß. Ich bin überzeugt, daß sogar unsere jungen, verwöhnten Herren »superbe« sagen, und Sie werden sehen, daß Seine Excellenz der Herr Minister des Innern nicht verfehlen wird, Ihnen sogleich ein Compliment zu machen.«

»Es sollte mich freuen, und ich weiß nicht, wem ich meine Erkenntlichkeit zu beweisen habe, wenn unser ganzes Fest so vorübergeht, wie wir es wünschen. Richten Sie Ihr Augenmerk noch ganz besonders auf das Souper – man wird in zwei Hälften zu Nacht speisen; zuerst die älteren Herrschaften, welche nicht tanzen, dann die jungen Leute. Seien Sie mit dem Champagner nicht zu sparsam, vergessen Sie aber auch nicht, daß wir zweierlei Sorten haben – nur zum Besten der jungen Leute, denen, vom Tanze erhitzt, etwas Leichtes, Ungefährliches viel zuträglicher ist.«

»Verlassen Sie sich ganz auf mich, Herr Stadtschultheiß. Ich werde das besorgen, wie stets in den vornehmen Häusern, mit deren Vertrauen ich beehrt werde.«

»So – ich danke Ihnen. Bleiben Sie so viel wie möglich in der Nähe, wenigstens bis die Geschichte vollkommen im Gange ist und dann von selbst geht. Vergessen Sie nicht, mir sagen zu lassen, sobald der Wagen des Ministers ankommt, damit ich ihm die Treppen hinab entgegengehen kann.«

»Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, so glaube ich sagen zu müssen; bis an die Treppe wäre genug. Seine Excellenz der Graf Schapperbach pflegt nur die Treppe hinab zu gehen, wenn es sich um allerhöchste Mitglieder der fürstlichen Familie handelt.

»Gut,« entgegnete der Herr des Hauses, indem er würdevoll sein Kinn aus der Halsbinde emporhob. »Machen wir es in diesem Punkte, wie der Graf Schapperbach.«

Der ehemalige Kammer-Lakai zog sich mit einer Verbeugung krebsartig zurück und verließ alsdann in wichtiger Eilfertigkeit das Zimmer, nachdem er der Frau Stadtschultheißin an der Thür ein tieferes Compliment gemacht hatte, als vorhin deren Gatten.

Madame Welkermann war geschmackvoll, ohne Überladung gekleidet und führte ihre Tochter an der Hand, die sich nun aber rasch dem Vater näherte, beide Hände um dessen Hals legte und ihn mit vor Freude strahlendem Gesichte herzlich küßte.

»Das Kind hat sich kaum anziehen lassen,« sagte die Mutter; »sie war so ungeduldig und aufgeregt, daß es mich gar nicht wundern sollte, wenn noch jetzt, obgleich wir sie schon ein dutzendmal ringsum betrachtet, an ihrem Anzuge etwas Mangelhaftes wäre.«

»Ich bemerke nichts,« meinte der Stadtschultheiß, indem er das schöne Mädchen eine Zeit lang mit großem Vergnügen betrachtete. »Sie sieht gut aus und vor allen Dingen einfach, wie ich es wünsche.«

»Ah, mein weißes Kleid ist hübsch! Ich habe Weiß sehr gern, und ein junges Mädchen muß auf seinem ersten Balle immer im weißen Kleide erscheinen.«

»Doch war Elise so eigensinnig, zu Gürtelband und Kopfputz die blaue Farbe zu wählen; Roth wäre mir bei ihren dunklen Haaren am liebsten gewesen.«

»Du weißt, das ist kein Eigensinn, Mama.«

»Meinetwegen denn, aber eine kindische Idee; sie hat sich mit ihrer Pensionsfreundin Lucy verabredet, zur Toilette ihres ersten Balles Blau und Weiß zu wählen, Lucy mit ihren hellblonden Haaren konnte das ganz gut thun, es wird ihr vortrefflich stehen – Lucy würde gewiß kein Roth genommen haben.«

»Darin thust du ihr sehr Unrecht, Sie ist doch so gut, so freundlich, so nachgiebig; sie war es, die Roth vorschlug, weil sie sagte, das stände besser zu meinen dunklen Haaren. Aber ich bestand auf Blau weil ich wußte, wie reizend sie in Blau aussieht.«

»Ein edler Wettstreit,« meinte Herr Welkermann lächelnd. »Nun, beruhige dich nur, Mama, Elise sieht recht gut aus.«

»Wenn ich nur Tänzer bekomme!«

»Nun, daran wird es dir wahrscheinlich nicht fehlen,« entgegnete die Mutter, wobei ihr Gesicht eine etwas hochmüthige Miene annahm und wobei sie auf ihre Tochter schaute und dann einen Blick über den hell erleuchteten und allerdings glänzenden Salon gleiten ließ.

»Hast du auch Nachricht, daß Lucy gewiß kommt?« fragte Elise ihren Vater nach einer Pause.

»Ganz sichere Nachricht. Baron Rivola schrieb mir noch heute Vormittag mit zwei Zeilen, das leichte Unwohlsein seiner Frau habe sich so rasch gebessert, daß auch diese bei uns erscheinen werde.«

»Wie mich das freut!« antwortete Elise. Dann setzte sie hinzu, indem sie nach dem Eingange des Salons eilte: »Dort kommt auch mein Bruder Ferdinand, aber noch gar nicht schön angezogen.«

Und in der That war es der junge Herr Welkermann, Sohn des Stadtschultheißen, Commis bei der königlichen Bank, dessen Bekanntschaft wir schon so glücklich gewesen, bei dem Hof-Friseur Herrn Sieger zu machen. Er schlenderte langsam durch das Vorzimmer, Alles mit größter Aufmerksamkeit, aber mit gleichgültiger Miene betrachtend. Er war in demselben Anzuge, wie wir ihn früher gesehen haben, den Hut auf dem Kopfe, die rechte Hand in der Tasche seines Beinkleides, und fuchtelte mit seinem Spazierstocke in der Luft herum.

»Aber das ist doch zu arg, Ferdinand!« rief die Mutter, indem sie ihm einige Schritte entgegeneilte, während Herr Welkermann junior mit hoch erhobenem Kopfe und einigem Stirnrunzeln seinen Sprößling betrachtete: »So spät nach Hause zu kommen und noch gar nicht angezogen zu sein, wenn man jede Sekunde Gäste zu erwarten hat!«

Ferdinand ließ sich durch diese Worte weder in seinen Betrachtungen stören, noch beeilte er sich, rascher näher zu kommen, und jetzt, wo er ziemlich in der Mitte des Zimmers stand, lüpfte er seinen Hut ein klein wenig gegen seinen Vater und sagte, sich umschauend: »Es ist recht hübsch bei euch, aber ich weiß nicht, was du willst, Mutter, mit deinem vorwurfsvollen Gesichte – ich komme ja noch viel zu früh, es ist ja noch Niemand da!«

»Noch Niemand da!« wiederholte der Stadtschultheiß, indem er unmuthig mit den Achseln zuckte. »Und das sagt dieser Mensch, ganz so, wie er von der Straße hereinkommt, den Hut auf dem Kopfe, den Stock in der Hand! Gott sei Dank, daß noch Niemand da ist, der dich hier und zu dieser Stunde in diesem Anzuge sieht!«

»Mit euren Anzügen!« gab der Sohn in einem verächtlichen Tone zur Antwort. »Es ist ein sehr altmodisches Vorurtheil, daß man deßhalb anständiger aussehen soll, wenn man den Rock zu einem Schwalbenschwanz zusammengeschnitten hat, oder wenn man eine weiße Binde um den Hals schnürt, die Niemandem zum Gesichte steht! Wir sind im Begriffe, einen Klub zu gründen für persönliche Freiheit, und Paragraph 1 wird heißen: Verbannung des Fracks und des Cylinders.«

»Und aller guten Manieren,« schaltete rasch der Stadtschultheiß ein. »Man sollte alle eure Klubs und Gesellschaften von Polizei wegen verbieten, und da wir, was uns anbelangt, noch nicht so weit in der Bildung vorgeschritten sind, so gehe auf dein Zimmer und mache dich schön nach unseren engherzigen Begriffen. Du sollst dir auch darin ein Muster an deinem Vater nehmen.«

Ferdinand klemmte sein Glas in's Auge, und nachdem er den Stadtschultheißen einen Augenblick aufmerksam betrachtet, sagte er lächelnd: »Der Vater sieht ganz famos aus, das ist nicht zu läugnen. Seine weiße Weste und sein steifer Kragen machen eine gute Wirkung, die Wirkung einer starren Vergangenheit, welche wir Anderen glücklich überwunden haben.«

»Es ist das Kleid, welches uns der Anstand für gewisse Vereinigungen vorschreibt,« sagte Herr Welkermann mit großer Würde. »Leider, daß ihr euch anmaßt, auch hieran zu rütteln.«

»Lieber Vater, wir wollen darüber nicht streiten. Frack und weiße Halsbinde bleiben, wie gesagt, das Bild einer starren Vergangenheit, das Kleid einer Kaste, und da in unserem bewegten Jahrhundert aller Kastengeist, Gott sei Dank, verschwindet, so werde ich es auch noch erleben, daß der Frack zu Grabe getragen wird.«

»Wenn wir einmal so weit sind,« entgegnete ungeduldig der Stadtschultheiß, »so möchte ich ihm den Nachruf widmen: Hier ruht das Kleid der alten guten Sitte!«

»Da wir aber noch nicht so weit sind,« schaltete die Stadtschultheißin ein, »so geh' auf dein Zimmer, beweglicher junger Herr der Zukunft, und wirf dich in die starre Vergangenheit. Wahrhaftig, es ist mir gerade, als hörte ich schon Wagengerassel – der Schwester Elise hast du auch noch kein freundliches Wort gesagt, und das gute Kind steht doch schon lange vor dir und sieht dich lächelnd an!«

»Ah, Lieschen! Sieht sehr gut aus.«

»Danke Ferdinand – aber du mußt mich nicht mehr Lieschen nennen, wenigstens heute Abend nicht.«

»Das kann ich am Ende auch lassen; aber in der That, du gefällst mir. Lies, Elise wollt' ich sagen.«

»Nun denn, Herr Bruder, wenn dem so ist, erwiederte das junge Mädchen mit einem tiefen Knixe, »so will ich dir auch erlauben, daß du mit mir den Ball eröffnest.«

»Ich tanzen?« fragte der junge Mensch mit großem Erstaunen. »Wie kommst du mir vor? Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt, und in meinem Alter tanzt man nicht mehr, das überläßt man der nachwachsenden Generation.« Mit diesen Worten nahm er seinen Hut ab, weil es ihm wahrscheinlich zu warm wurde, und fuhr sich leicht mit der Hand über das Haar, an dem man noch die Spuren der künstlerischen Leistungen des Friseurs sah; dann spitzte er den Mund, als wollte er irgend eine Melodie pfeifen, und verließ den Salon.

Seine Mutter blickte ihm nach mit etwas bekümmertem Gesichte, und es war ein nicht ganz natürliches Lächeln, das um ihre Lippen spielte, als sie nun sagte: »Er tanzt schon nicht mehr – und was thut man denn in seinem Alter?«

Diese Frage beantwortete der Stadtschultheiß nach einer unmuthigen Bewegung und nachdem er seine Weste mit einem etwas heftigen Rucke über den Leib herabgezogen, indem er sagte: »Man erklärt Frack und weiße Halsbinde für ein altmodisches Kleidungsstück und bummelt dafür in einem Ding herum, was nicht Rock und nicht Jacke ist, aber weite Taschen hat, um die leeren Hände darin zu verbergen. Man reitet und fährt spazieren, man raucht Cigarren, man gibt das Geld der Eltern aus, man klagt über Langeweile und ein unerquickliches Dasein, weil man keine Lust hat, Kraft und Gedanken auf etwas Ernsthaftes zu richten; man führt prächtig tönende Redensarten im Munde und huldigt auf diese Art dem fortschreitenden Jahrhundert, dessen Prophet man zu sein glaubt ... – »Aber brennt da hinten nicht etwas?« rief er, sich unterbrechend, indem er die Luft schnüffelte und nach Ascher rief. Doch wurde dieser gleich mit der Versicherung im Vorzimmer sichtbar, daß dem nicht so sei, worauf er den Stadtschultheißen bat, sich vollkommen zu beruhigen, da in den vornehmsten Häusern, in welchen er bis jetzt servirt, bei ähnlichen Veranlassungen Funken, Brände oder dergleichen Ungehöriges durchaus nicht vorkommen könnten.

Herr Ascher machte hierauf eine tiefe Verbeugung gegen das Vestibüle, deren Gegenstand Elise, welche der Thür zunächst stand, aber erst in einigen Sekunden zu sehen im Stande war. Dann aber eilte sie rasch gegen das Vorzimmer und rief: »Oheim Welkermann und Tante Brigitte!«

Ascher hatte diese beiden ersten Gäste mit lauter Stimme ankündigen wollen; doch war ihm von den Betreffenden in einem etwas mürrischen Tone gesagt worden: »Lassen Sie das bleiben, wir sind dergleichen Geschichten nicht gewohnt.«

Und jetzt näherten sich Beide, der Herr Haupt-Staatsschuldenzahlungs-Kassen-Revisor Welkermann mit Gattin, trotz der herzlichen Begrüßung Elisens, mit ziemlich frostigen Gesichtern.

»Guten Abend, Albert, guten Abend, Brigitte!« sagte der Stadtschultheiß, während Madame Welkermann ihrer Schwägerin freundlich die Hand bot. »Ich freue mich recht, daß ihr so früh kommt.«

Die Frau Revisorin war sehr einfach, aber doch mit einer gewissen Feierlichkeit gekleidet, wozu indessen ihre Haube, mit bunten, flatternden Bändern, nicht genau paßte, hatte in ihrem schon ältlichen Gesichte ein Paar stechende Augen, eine spitzige Nase und einen Mund mit faltigen Lippen, die, wenn sie nicht sprach, stets so fest zusammengezogen waren, als wollten sie ausdrücken: »Ich wollte doch den sehen, der mich zum Reden zwingt!« Sie machte jetzt vor dem Stadtschultheißen einen ziemlich förmlichen Knix, indem sie sagte: »War es uns doch zu Muthe, Albert und mir, als seien wir fehlgegangen; du kannst dir denken, daß wir zu Fuße kommen – geringe Revisorsleute wie wir nehmen keinen Wagen.«

»Und warum glaubtet ihr fehlgegangen zu sein?«

»Ich dachte, wir kämen zu Hofe, so prachtvoll ist es schon unten bei euch. Das Licht, die Blumen, dabei dein Amtsdiener, der wahrhaftig aussieht wie ein königlicher Portier, und auf der Treppe die Teppiche und alles das! Gewiß,« setzte sie mit einem stechenden Lächeln hinzu, »es gereut uns fast, daß wir gekommen sind – nicht wahr, Albert?«

»Ich wüßte nicht, warum es mich gereuen sollte. Ich bin hier bei meinem Bruder; wenn ich auch nicht selbst tanze, denn dazu bin ich zu alt, so werde ich tanzen sehen; wenn ich auch nicht selbst spiele, denn dazu habe ich kein Geld, so schaue ich den Spielenden zu.«

»Aber es gibt auch noch andere Vergnügungen, denen du hoffentlich nicht zusehen wirst,« sprach gutmüthig lächelnd der Stadtschultheiß, »ein Geplauder mit guten Freunden und dann unser Nachtessen – ah, du wirst zufrieden sein!«

Die Revisorin wollte erwiedern: »Natürlich, wenn wir armen Leute abgefüttert sind, hat man genug gethan!« Doch wurde sie durch die laute Stimme Ascher's unterbrochen, welche aus dem Vorzimmer meldete: »Der Herr Oberbaurath Lievens, der Herr Geheime Ober-Steuerrath Marx.«

Zuerst rauschten jetzt zwei Personen herein, der Oberbaurath und die Oberbauräthin, dann Steuerraths: Vater, Mutter, zwei Töchter, nicht mehr in der ganz ersten Jugendfrische, sowie der Sohn, ein sehr aufgeschossener, etwas schlankelhafter junger Referendar.

In dieser Masse von Seide, leichten Stoffen, flatternden Bändern, Tüll, Spitzen und Blumen, die so durch die Thür hereinschob und sich dann näherte, war nur ein einziger, aber recht bemerkenswerther Kern, die Frau Oberbauräthin nämlich, eine schöne, starke, große Frau mit weißen, runden Armen, runden Schultern, einem schlanken Halse, auf dem der Kopf mit dem pikanten Gesichte frei und beweglich saß. Über ihren dunkel leuchtenden Augen sah man schön gewölbte Brauen, und in ihren vollen Haaren hatte sie nichts, als eine einzige rothe Rose und etwas Band von gleicher Farbe. »Mehr darf ich nicht thun,« pflegte sie kokett zu sagen; »denn bei der geringsten Frisur, die ich sonst anwende, erscheint mein zu dickes Haar unförmlich.« Und dick und schön war dieses Haar, das mußte ihr der Neid gestehen! Der Oberbaurath war eine klapperdürre Persönlichkeit und an ihm äußerlich nichts bemerkenswerth, als seine kolossalen Brillengläser sowie seine Manier, den Hut, mit beiden Händen am Rande gefaßt, auf dem Rücken zu tragen, wo derselbe bei jedem Schritte zierlich hin und her schwankte. Böse junge Leute hatten diesen Hut bei ähnlichen Festen wie das heutige schon einige Mal mit Brod, Papier, ja, mit Servietten gefüllt, ohne daß es der Besitzer gemerkt.

Ober-Steuerrath und Frau hatten sich auf's wohlwollendste über die vortrefflichen Arrangements des Hauses ausgesprochen, während die beiden ältlichen Töchter förmlich mit einem freundschaftlichen Heißhunger über die jugendliche Elise hergefallen waren, sie in ihre Mitte genommen hatten, ihren Anzug gelobt und dabei hervorgehoben, daß Weiß immer die passendste Farbe für ganz junge Mädchen sei – sie selbst waren nämlich weiß gekleidet – und daß man erst später, nach langen, langen Jahren, dazu käme, durch etwas Farbiges nachzuhelfen, wenn das nöthig sein sollte.

»Wenn das nöthig sein sollte?« sagte der junge Herr Marx, der bei den drei Mädchen stand und es sehr passend und geistreich fand, sich an der Unterhaltung der Art zu betheiligen, daß er von dem, was die anderen Leute sagten, beständig die letzten Worte wiederholte.

»Ach, wie ich mich auf den heutigen Ball freue, Elise!«

»Und ich erst, das könnt ihr euch denken!«

»Das glaub' ich wohl. Welche Auswahl hast du unter den Tänzern – alle Welt wird dir huldigen.«

»Wird Ihnen huldigen,« sagte der junge Marx.

»Die Herren Lieutenants Schmitter und Schmetter, Herr Doktor Rosenfeld, Herr Doktor Goldglanz, der Herr Geheime Kammerrath Zipperer, der Herr Legations-Sekretär Baron Buff . . .«

»Sehr erfreut, Sie zu sehen!« – »Deliciöses Apartement! Sie waren so freundlich, uns zu befehlen . . .« – »Bitte recht sehr! Sehr dankbar, daß Sie so gütig waren, unsere Einladung anzunehmen . . .«

»Herr Bankdirektor von Schwemmer, Herr Rittmeister Graf Pliß, Herr Lieutenant von Falkenstein, Herrrrr – –«

Ascher war schon nicht mehr recht im Stande, Titel und Namen der Ankommenden mit gehöriger Deutlichkeit zu sagen, so massenhaft drängten jetzt die Eingeladenen heran, weßhalb er den richtigen Ausweg ergriff, nur noch bedeutende Persönlichkeiten zu nennen und das geringere Gesindel unangemeldet durchschlüpfen zu lassen.

»Herr Baron von Rivola!«

Es war der alte Herr, den wir vor einer Stunde bei dem Hof-Friseur gesehen, jetzt im schwarzen Frack, einen Stern auf der Brust, in weißer Halsbinde und mit seiner blauen Brille. Er führte seine Frau am Arme, und an seiner rechten Seite sah man seine Tochter Lucy. Die Baronin Rivola war eine ausgezeichnete Erscheinung, elegant und vornehm; ihr Angesicht zeigte Spuren großer Schönheit, doch erschienen ihre Züge etwas blaß und abgespannt, vielleicht vom Nachweh des Unwohlseins der letzten Tage. Sie grüßte herablassend nach allen Seiten; doch schien das Lächeln, welches dabei um ihre feinen Lippen spielte, nicht ganz natürlich, und wenn es sehr rasch, wie immer, verschwand, so lagerte sich ohne Übergang ein tiefer Ernst, ja, etwas wie Verdrießlichkeit auf ihre Züge.

Sie war eine geborene Gräfin Hartenstein, aus einem der vornehmsten und stolzesten Geschlechter des Landes, und als diese Ehe zu Stande kam, hatte alle Welt das bei dem ziemlich unbekannten Namen des Freiherrn von Rivola nur begreiflich gefunden, weil die Gräfin Hartenstein ihre Jugendblüthe ebensogut hinter sich hatte, wie der alte Graf den Blüthenstand seiner Finanzen.

Lucy, die einzige Tochter des Barons, war von einer anmuthigen Schönheit. Ihre regelmäßigen, blendend weißen Gesichtszüge würden etwas bleich erschienen sein, wenn nicht der feinste Schimmer frischester Jugend dieselben rosig angehaucht hätte; ja, die ganze Erscheinung hatte etwas von einer sich noch nicht entwickelten Rose, aber von einer Waldrose durch die ungezwungene liebenswürdige Natürlichkeit dieses jungen Mädchens. Ihre großen, braunen Augen blickten freundlich und gutmüthig, und das Haar, von einem eigenthümlich hellen, aschfarbigen Blond hätte in seiner seltenen Fülle sogar von der Oberbauräthin beneidet werden können. Und dabei wurde es von Lucy ungezwungen, man hätte fast sagen können, unfrisirt getragen, nur von den früher schon besprochenen blauen Bändern zusammengehalten, aber nicht gebändigt, denn es drängte überall hindurch in krausen Locken und Wellen, auch so unseren Vergleich von vorhin rechtfertigend, den Vergleich mit einer Waldrose, und zwar mit einer weißen Waldrose. Dabei war Lucy von Rivola die einzige Tochter einer zärtlichen Mutter, eines um sie in jeder Hinsicht sorgenden reichen Vaters, achtzehn Jahre alt und ebenso wie ihre Freundin Elise heute zum ersten Male auf einem Balle – welches Glück, welche Seligkeit!

Man hätte aber auch die heißhungrigen Blicke fast all der jungen Herren betrachten sollen und wie sie heimlich ihre Ballkarten hervorzogen, um auf die beiden Mädchen, die sich natürlich alsbald gefunden hatten, loszustürzen, sobald sich der erste Sturm der Begrüßungen gelegt haben würde. Nur der Sohn des Hauses, der jetzt auch, und wir müssen gestehen, in untadelhafter Toilette erschienen war, machte davon eine rühmliche Ausnahme. Hatte er doch mit einer höchst gleichgültigen Miene die Ballkarte zurückgewiesen, welche ihm der Bediente an der Thür einhändigen wollte, und war doch diese Miene nicht anders geworden, als er sich, nothgedrungen und von der Schwester herbeigewinkt, ein paar Sekunden lang mit Fräulein von Rivola unterhalten mußte, welche mit strahlendem Lächeln, geöffneten Lippen in einem fest geschlossenen Kreise junger Herren stand und leider schon so viele Körbe hatte austheilen müssen, daß man damit nicht nur die beiden Steuerrathstöchter, sondern auch noch eine Menge anderer armer Wesen hätte glücklich machen können. Das Einzige, wodurch der Sohn des Hauses indessen sein Interesse für die reizende Waldrose an den Tag legte, war, daß er sich durch seine Schwester einen Tanz für seinen Freund mit dem rothen Backenbarte zu verschaffen wußte, dem er alsdann sagte: »Siehst du wohl, das ist doch etwas ganz Anderes, als deine Pfälzinger – in der That, ein ganz hübsches Mädchen, diese Lucy von Rivola, ebenso gescheit als schön, freilich fast noch Backfisch, aber das hat auch seine angenehmen Seiten!«

Unterdessen hatte Ascher auf die oben beschriebene Art an Einem fort angemeldet und war dabei auffallend heiser geworden, so daß man es ihm nicht übel nehmen konnte, wenn er, nachdem der größte Theil der Gäste anwesend war und als nun der Bediente Thee und Backwerk servirte, für einige Zeit von dem Schauplatze seiner angestrengten Thätigkeit verschwand, um drunten am Eingange der Küche ein Glas heißen Punsches zu sich zu nehmen. Hier hatte er auch die Hausthür im Auge und es war ihm möglich, sogleich die Ankunft Sr. Excellenz des Herrn Ministers des Innern zu melden, sobald sich die Equipage desselben zeigen würde.

Droben hatte indessen Thee und Backwerk das Gute gehabt, nicht nur die Zungen zu lösen und das Gespräch lebhafter zu machen, sondern auch, da die Damen sich hier und da einen Platz zum Sitzen suchten, umstanden von den Herren, welche, die Cylinder unter dem linken Arme, dabei mit mehr oder weniger Grazie ihre Tasse hielten, die Gesellschaft aus einander zu treiben, den ersten und zweiten Salon überfließen zu machen, wodurch sich in kurzer Zeit der Strom der Gäste ziemlich gleichförmig durch das ganze Apartement vertheilte.

Jetzt ertönte der erste Geigenstrich mit seiner elektrisirenden Wirkung, der sich sogar ältere Frauen ohne Bedenken insoweit hingaben, als sie durch Bewegungen mit dem Kopfe den Takt markirten und vielleicht zu einer Nachbarin sagten: »Ach, dabei erinnere ich mich dieses oder jenes Balles – wissen Sie noch, wie wir in der Polonaise hinter einander gingen, wo sich mir die Haarschleife gelöst hatte, was aber, wie mir die jungen Herren versicherten, sehr pikant aussah, daß man es nicht duldete, als ich sie mir wieder aufheften lassen wollte – wissen Sie es noch, meine liebe Commercienräthin?«

»Ob ich es noch weiß, meine gute Ober-Regierungsräthin – war es doch derselbe Ball, wo es fast Aufsehen erregte, daß der junge Graf Schmettau mit mir, einer verheiratheten Frau, so häufig tanzte!«

»Ach, die schönen Zeiten!«

»Ja, jene schönen Zeiten!«

Junge ältere Damen oder ältere junge Damen, die zufällig nicht engagirt worden waren, thaten dagegen häufig so, als hätten sie noch gar keine Ahnung davon, daß der Tanz drüben begonnen, oder wenn man sie vielleicht deßhalb fragend ansah oder gar etwas darüber bemerkte, so konnten sie mit jenem gänzlich ungezwungenen Lächeln sagen: »So ein Ballabend ist lang, ich würde um Alles in der Welt nicht mit dem ersten Tanze anfangen – erst die zweite Hälfte eines Balles ist das, was mich interessirt – Gott, man wird so noch müde genug!«

In dem ersten, dem größten Salon des Hauses, wo die Gäste empfangen worden waren, hatte Ascher, nachdem er sich unten überzeugt, daß der Punsch den Gästen später gut schmecken würde, und nachdem er einen Anderen auf die Lauerpost von wegen des Ministers gestellt, einen großen runden Theetisch arrangirt, an welchem nun, nach langem Sträuben, die Oberbauräthin mit den schönen Haaren den Vorsitz führte. Man hatte diesen Ehrenposten begreiflicher Weise zuerst der Frau von Rivola angeboten; doch hatte diese auf die liebenswürdigste Art gebeten, man möge ihr gestatten, Lucy zum ersten Male tanzen zu sehen. Dann war sie Arm in Arm mit ihrem Gatten in das Nebenzimmer gegangen.

»Es thut Einem ordentlich wohl,« sagte eine streng aussehende Ober-Kriegsräthin, den Beiden nachblickend, »wenn man auch in jenen Kreisen ein so vortreffliches Familienleben sieht, und das muß man den Rivola nachsagen, mein Mann, der es vom Kriegs-Minister hat, erzählte mir öfter davon. Er ist so voll zarter Aufmerksamkeit gegen die Frau, als wenn sie erst seit gestern verheirathet wären, und es muß schon eine wichtige Ursache sein, die ihn veranlassen könnte, einmal für längere Zeit sein Landhaus und seine Familie zu verlassen. Sie werden sehen, meine Damen, wie er den ganzen Abend um Frau und Tochter besorgt ist und wie er ihnen so gern alle die kleinen Dienste leistet, die uns so angenehm sind – mancher Andere könnte sich daran ein Beispiel nehmen.«

Die streng aussehende Kriegsräthin betonte diese Worte ein wenig stark und blickte dabei nach dem Vorzimmer, wo ihr eigener Gemahl mit dem Strome junger Leute verschwunden war, vielleicht um in einem entfernten Zimmer zu spielen, vielleicht um dem Tanze zuzuschauen, vielleicht auch sogar, um selbst zu tanzen, natürlicher Weise, wenn er förmlich dazu genöthigt wurde.

»Ja,« seufzte eine junge Lieutenantsfrau, welche sich ihren Mann erst vor einigen Monaten durch Hinterlegung der Caution erheirathet – »es ist ein so wohlthuendes Gefühl, selbst in einer größeren Gesellschaft Jemand an seiner Seite zu haben, mit dem man intime Gedanken austauschen kann.«

»Und davon haben die Männer im Allgemeinen keinen Begriff.«

»O, gewiß nicht!«

»Es ist unbegreiflich, aber wahr – dürfte ich Sie um Zucker bitten, liebe Oberbauräthin?«

»An so einem Ballabend,« fuhr die strenge Ober-Kriegsräthin fort, »sind wir Ballast für unsere Männer; wie froh sind sie, wenn sie uns irgendwo über Bord geworfen haben, um dann ihr Schifflein auf hoher Fluth allein tanzen zu lassen.«

»Reichen Sie mir gefälligst Ihre Tasse, Frau Bankdirektor,« sagte die Oberbauräthin mit dem schönen Haare; sie hatte über das Thema rücksichtsloser oder unduldsamer Männer nicht mit eingestimmt, hatte aber auch keine Ursache dazu, denn wenn auch der Oberbaurath sich nicht immer als einen rücksichtsvollen, d. h. zärtlichen Ehemann bewies, so war er dagegen in einer gewissen Beziehung von einer Duldsamkeit, welche, wie die guten Freundinnen seiner schönen Frau zu sagen pflegten, an's Fabelhafte streifte – ja, besonders boshafte Zungen hatten oft den schlechten Witz gemacht, die Duldsamkeit des Oberbauraths grenze an's Geniale, was sich auf einen jungen Ingenieur bezog, der auf dem Bureau des Oberbauraths beschäftigt war und von dessen Gattin allerdings sehr bevorzugt wurde.

»Sagen Sie mir doch, liebe Ober-Steuerräthin,« fragte die Bankdirektorin ihre Nachbarin, »wer ist die etwas eigenthümlich gekleidete Frau, die dort mit der Stadtschultheißin kommt?«

»Das ist die Revisorin Welkermann, eine Frau mit einer unausstehlich scharfen Zunge.«

»Man sieht es ihr an – sie hat so etwas Verbissenes in ihren Gesichtszügen.«

»Beißt auch, wenn man ihr in die Quere kommt – eine böse Sieben,« sprach die streng aussehende Ober-Kriegsräthin, »und ist dabei boshaft wie ein Affe.«

»Müssen wir ihr Platz machen, sie einladen, sich zu uns zu setzen?«

»Es wird sich wohl nicht anders thun lassen, da sie mit ihrer Schwägerin gerade auf uns zu kommt.«

»Das ist das Unangenehme an solchen Häusern, welche eine große und nicht zusammen passende Familie haben!« flüsterte die Commercienräthin hochmüthig.

»Ach, meine Damen, wie freue ich mich,« sagte die Stadtschultheißin, welche dazu getreten, »daß Sie hier einen so hübschen Kreis haben; schade, daß ich als Hausfrau zu sehr beschäftigt bin, um mich demselben anzuschließen!«

»Wie wir das bedauern!« meinte die Ober-Steuerräthin.

»Aber Sie bringen uns dafür einen Ersatz, Ihre liebe Schwägerin. Bitte, Frau Ober-Revisorin, hier neben mir habe ich ein hübsches Plätzchen für Sie – die Damen kennen Sie doch alle?«

»Ganz gewiß! – O ja wir haben das Vergnügen!«

Nur die Bankdirektorin sagte: »Bitte, mich bekannt zu machen!«

»Frau Haupt-Staatsschulden-Tilgungskassen-Ober-Revisorin Welkermann – Frau Bankdirektor von Schwemmer.«

»Sehr erfreut, Sie endlich kennen zu lernen,« sagte die letztere, »nachdem ich schon so oft Freundliches und Liebes von Ihnen gehört!«

»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite,« entgegnete die Vorgestellte – »Sie sind zu gütig, auch die Frau Ober-Kriegsräthin, indem sie mich vorstellte! Mein Mann hat noch nicht das Glück gehabt, für seine Verdienste zum Ober-Revisor ernannt zu werden – einfach Revisorin, wenn ich bitten darf!«

»Der Herr Revisor verdient schon längst, Rath beim Finanz-Ministerium zu sein,« entschied würdevoll die Geheime Commercienräthin; »mein Mann, der häufig auf der Staatsschuldenzahlungs-Kasse zu thun hat, spricht stets mit der wärmsten Anerkennung von Herrn Welkermann, ja, auch Seine Excellenz der Herr Minister des Innern, der auf einen Sprung bei uns war. Apropos,« wandte sie hier, ihr Gespräch unterbrechend, sich direkt an die Stadtschultheißin, »Sie erwarten doch Seine Excellenz heute Abend? Er sagte es mir und setzte hinzu, er würde mich um einen Platz in meinem Wagen bitten, doch sei er leider gezwungen, später zu kommen.«

»Das würde Sie aber gewiß genirt haben, Frau Geheime Commercienräthin,« sagte die Revisorin so arglos wie möglich – »bei der jetzigen Toilette zu Vieren in einem Wagen.«

»Warum zu Vieren?«

»Nun, die Frau Ministerin hast du doch wohl auch eingeladen?« fragte boshaft die Frau Revisorin ihre Schwägerin.

»Eingeladen wohl, aber sie hat abgelehnt, sie hat recht sehr bedauert, daß sie verhindert sei.«

»Ah, sie ist verhindert!« sagte die strenge Ober-Kriegsräthin.

»Schade,« meinte die Geheime Commercienräthin, »es ist eine so liebe Frau, die Ministerin! Ich traf sie gestern noch bei Baron Schnellers; da sagte sie, sie gehe selten in große Gesellschaft und vermeide es, wo sie könne; zu Hofe müsse sie natürlicher Weise, doch sei ihr auch das jedes Mal ein Opfer.«

»Schade – recht schade!« murmelte es rings umher im Kreise, bis die Oberbauräthin dem Gespräche dadurch einen neuen Aufschwung gab, daß sie, gegen die Stadtschultheißin gewandt, hinzusetzte:

»Ich hätte es der Frau Ministerin wohl gönnen mögen, wenn sie Ihr in der That wundervolles Apartement gesehen hätte – ein entzückendes Arrangement; ich muß schon gestehen, in einem Privathause nichts Ähnliches gefunden zu haben!«

»Wunderbar – reizend – ausgezeichnet – und wie Alles so vergnügt und heiter ist!«

»Es liegt doch eine große Belohnung darin, so eine Menge guter Freunde und Bekannten bei sich zu vereinigen und ihnen einen so wundervollen Abend zu verschaffen!«

»Ja, es ist ein großes Opfer, Frau Stadtschultheißin, aber es wird anerkannt!«

»Schade, daß meine Wohnung zu klein ist,« meinte die Ober-Steuerräthin, »ich würde nie mehr eine kleine Gesellschaft geben.«

»Ich danke Ihnen herzlich!« erwiederte die Frau des Hauses. »Doch damit ich Ihr Lob verdiene, müssen Sie mich schon entschuldigen – das Auge der Hausfrau muß überall sein.«

»Gewiß – allerdings – wie wir das bedauern!«

Die Stadtschultheißin entfernte sich nach einer freundlichen Verbeugung, und da sie beim Weggehen an ihre Schwägerin eine leise Frage that, so sah auch diese sich veranlaßt, einen Kreis zu verlassen, von dem sie so sehr geschätzt und geliebt wurde und dem sie Gleiches mit Gleichem vergalt.

»So,« sagte sie zu ihrer Schwägerin, als sie außer Hörweite waren; »ich glaube, ich bekäme die Gelbsucht, wenn ich bei diesen bösen Zungen und hochmüthigen Weibern eine Stunde bleiben müßte.«

»Hast du die Commercienräthin gehört? Sollte man nicht glauben, Minister, Grafen und Prinzen bildeten ihre beständige Gesellschaft? Sie denkt nicht mehr daran, wie froh ihre Mutter war, wenn sie von der meinigen auf ein Schälchen Kaffee eingeladen war mit recht viel Eintunkens, denn die arme Frau hatte immer einen großen Hunger, und jetzt, da der Geheime Commercienrath durch seine bekannten Geschäftchen mit dem Bruder des Ministers, der auch noch sein Bißchen Vermögen an der Börse verlieren wird, einen Orden erschwindelt hat, weiß sie nicht mehr, wo ihr der Kopf steht.«

Der Damenkreis, von dessen einem Mitgliede die Frau Revisorin also sprach, blieb indessen ein paar Minuten stumm bei einander sitzen; man hörte nichts, als das Klappern des Theelöffels und das Krachen des Backwerks zwischen den Zähnen. Dann sagte die Ober-Kriegsräthin:

»Es ist allerdings sehr angenehm, sich bei einer so großen Gesellschaft viele Leute auf einmal zu verbinden, eine allgemeine Abfütterung zu halten, aber man ladet sich doch dabei viel Sorge, viele Geschäfte auf den Hals, ohne besonderen Dank zu erwerben.«

»Ganz meine Ansicht,« sagte eifrig die Ober-Steuerräthin; »ich bin im Grunde froh, daß meine Zimmer mir verbieten, viele Leute zusammen zu laden. Welchen Sinn hat überhaupt eine so große Gesellschaft, wo man sich kaum rühren kann, wo man vor Hitze umkommt, wo man sein Bißchen Thee und sein bescheidenes Nachtessen durch Complimente und schöne Redensarten sauer genug verdienen muß?«

»Ja, und wenn man es deutlich einsieht, weßhalb eine sonst so gute Frau wie die Stadtschultheißin sich eine solche Last aufladet – es ist unglaublich, nur um eine Excellenz bei sich zu sehen und darüber reden zu lassen; bei Mancher begreife ich das, aber bei der Welkermann nicht, sie ist sonst wirklich gut und gescheit.«

»Gut, meinetwegen,« gab die Geheime Ober-Steuerräthin zu, »aber gescheit? Nun, man soll seinem Mitmenschen nichts Böses nachsagen, und deßhalb schweige ich lieber.«

»Darin muß ich Ihnen Recht geben, Frau Ober-Steuerräthin,« meinte die Oberbauräthin, »Herr Welkermann ist aber nun einmal Stadtschultheiß, und das Sprüchwort sagt, wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand – doch lassen wir ihn aus dem Spiele. Was dagegen die Frau anbelangt, so braucht man, wie die Frau Ober-Steuerräthin so eben richtig bemerkt, nur ihr Bestreben zu sehen, vornehme Leute in ihr Haus zu locken; den jungen Prinzen Bartenfels hat sie auch eingeladen, doch sagte er meinem Bruder, dem Ober-Lieutenant, er wisse noch nicht, ob er komme, er habe eine Spielpartie, das sei ihm lieber.«

»Doch muß man zugeben, daß die Stadtschultheißin eine Frau ist, mit der man auskommen kann – Verstand kann man nicht mit Geld kaufen; aber die Welkermann, die soeben da war, die Revisorin, das ist eine böse Sieben.«

»Ja, ja, hätten Sie nur die Blicke bemerkt, mit denen sie Ihre Toilette musterte, Frau Geheime Commercienräthin, und die Ihrige, Frau Ober-Regierungsräthin!«

»Ich habe es wohl bemerkt, und der Neid schaute ihr aus den Augen, als sie Ihren Bernsteinschmuck ansah.«

»Nicht so laut, dort sitzt ihr Mann!« sagte die Commercienräthin.

»Ein braver Mann – er thut mir in der Seele weh – der echte Kreuzträger!«

»Ja, bei so einer Frau,« fuhr die Ober-Regierungsräthin fort – »aber Ihr Bernsteinschmuck ist wirklich wunderschön, Sie haben ihn noch nicht lange?«

Die Angeredete griff etwas kokett mit ihren feinen Fingern nach der eben erwähnten Halskette, die in der That sehr schön war und mit ihrem matten Gelb die weißen Schultern der schönen Frau noch besonders hervorleuchten ließ.

»Ich habe ihn noch nicht lange,« sagte sie in gleichgültigem Tone; »er gefiel meinem Manne, und da kaufte er ihn mir. – Doch fällt mir ein, daß ich dem Oberbaurathe etwas zu sagen habe – Sie werden mich entschuldigen, daß ich Sie verlasse, um ihn aufzusuchen, es ist etwas, das sich auf den heutigen Abend bezieht. Die Frau Stadtschultheiß war so gütig, den jungen Ingenieur Welden, der auf unserem Bureau arbeitet, einzuladen; doch kann derselbe erst später kommen, da er draußen auf der Bahnlinie war, die jetzt trassirt wird, um im nächsten Frühjahre in Angriff genommen zu werden – bis nachher, meine Damen!«

Sie empfahl sich mit einem anmuthigen Lächeln, und als sie nun dahinschritt, die schöne, volle Gestalt, ihr schwarzes Haar in dicken Flechten auf den allerdings etwas stark entblößten Schultern wiegend, war sie eine auffallend üppige Erscheinung und wohl geeignet, die mißbilligenden Blicke so strenger Sittenrichterinnen nach sich zu ziehen.

»Hm,« sagte die streng aussehende Ober-Kriegsräthin, »diese liebe Oberbauräthin ist von einer unglaublichen Naivetät oder hält uns für fabelhaft dumm; sie macht sich gar nichts daraus, von dem jungen Welden zu sprechen, als sei er für sie eine ganz unverfängliche Person, und doch weiß Jedermann . . .«

»O gewiß, gewiß, es ist das ein öffentliches Geheimniß!«

»Und ist es dabei nicht ungeheuer komisch,« fuhr die Ober-Kriegsräthin fort, »wenn sie von »unserem« Bureau, auf dem der junge Mensch arbeitet, spricht? Das ist doch ein Bißchen stark!«

»Die gute Frau hat gewiß Niemanden, der ihr einen Wink darüber gibt; es ist schade um sie, ich mag sie wohl leiden – es ist eine angenehme Erscheinung.«

»Aber gränzenlos kokett,« sagte die Ober-Kriegsräthin dieses Mal in ausnahmsweise strengem Tone, – betrachten Sie nur ihren vielbelobten Bernsteinschmuck, diese lange, vorn so tief herabhangende Kette. Das zieht allerdings die Blicke der Männer auf sich, aber wenn man so stark ist wie die gute Lievens, so sollte man eher die Blicke abzuwenden suchen, als anzuziehen – mich dauert nur ihr Mann.«

»Ein lieber Mann, der Oberbaurath!«

»Einer unserer besten Freunde!«

»Aber was die Frau so eben erzählte, daß er den Bernsteinschmuck gekauft, das haben Sie doch nicht geglaubt?«

»Es sähe ihm wenigstens nicht ähnlich, denn er ist furchtbar geizig.«

»Unter uns,« flüsterte die Commercienräthin – »mein Mann hat es mir erzählt, Lievens hat bei den letzten Staatsbanken einer bedeutenden Eisengießerei des Auslandes große Bestellung zugewendet, und darauf ist Allerlei erfolgt – Sie werden mich verstehen, meine Damen.«

»Auch der Bernsteinschmuck!«

»Und auch – doch soll man seinem Nebenmenschen nichts Böses nachsagen, und ich würde es nicht erwähnt haben, wenn nicht gerade die Rede darauf gekommen wäre.« So sprach die Commercienräthin, indem sie langsam ihre Handschuhe anzog und ihr Ballbouquet vom Tische nahm, während sie hinzusetzte: »Jetzt wollen wir doch einmal sehen, wie es drüben aussieht; es muß dort, wo sie jetzt tanzen, eine recht artige Hitze sein – ich kenne das kleine Zimmer wohl. Gehen Sie mit, Frau Bankdirektor?«

»Recht gern; es wäre mir lieb, eine Whistpartie zu finden – wir haben noch lange bis zum Souper, welches wohl um zehn Uhr beginnen wird; um eilf Uhr habe ich meinen Wagen bestellt.«

Die Beiden gingen mit einander davon, und da sie so weit waren, daß die Zurückgebliebenen sie nicht mehr hören konnten, sagte die Commercienräthin:

»Von dem Bernsteinschmucke und den Lieferungen der Eisengießerei habe ich vorhin der Ober-Kriegsräthin und der Ober-Regierungsräthin nicht umsonst erzählt, denn man weiß schon, wie es in Betreff der Lieferungen während des letzten Feldzuges zugegangen ist; die armen Soldaten mußten hungern und dursten, während – nun, ich will nichts Böses wiederholen.«

Die Ober-Kriegsräthin und die Ober-Regierungsräthin blieben an dem großen Theetische sitzen, und erstere sagte nach einer Pause:

»Es gibt doch kein wahreres Sprüchwort, als das vom Balken und Splitter: wenn auch die gute Oberbauräthin recht kokett ist, so läßt es sich doch mit ihr leben und man darf nachfragen, wer ihre Eltern gewesen sind, wogegen ein gewisses geheimnißvolles Dunkel über der Herkunft der Commercienräthin ruht. Daß deren Mutter ihrer Zeit auf Pfänder geliehen hat, das weiß ich ganz bestimmt und nun thut sie gerade in ihrem ganzen Auftreten, als stamme sie von einer der besten Familien des Landes – ja, gute Ober-Regierungsräthin, es ist nichts mehr mit dieser verdorbenen Welt!«

»Gewiß nicht, und daß die klapperdürre Bankdirektorin allerdings keinen Bernsteinschmuck sehen läßt, um Blicke auf sich zu ziehen, versteht sich wohl von selbst.«

»Kommen Sie, wir wollen einen Gang durch die Zimmer machen; man sieht und hört immer etwas Neues und bereichert dadurch seine Erfahrungen zum Besten seiner Nebenmenschen.«


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