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Herr von Rivola ging nach dem Holländischen Hofe und traf vor demselben den Vetter seiner Frau, den Grafen Hartenstein von den Gardehusaren, der ihm mit großer Wichtigkeit von einem bevorstehenden Maskenballfeste bei Hofe erzählte, ihn bat, Lucy davon in Kenntniß zu setzen und ihr zu sagen, daß er ihr morgen eine Partie Costumebilder hinaussenden, auch wahrscheinlich selbst kommen würde, um sie um die Betheiligung an der Quadrille zu bitten; doch hörte er das alles nur wie im Traume, und wenn der junge Offizier nicht gar zu eilig gewesen wäre und zu sehr beschäftigt mit der bevorstehenden Maskerade, so müßte es ihm nicht entgangen sein, wie Herrn von Rivola's starre, gedankenvolle Blicke, statt ihn anzusehen, neben ihm hinaus in weite, weite Fernen zu gehen schienen. Hierauf war der Husarenoffizier mit Einem Male verschwunden gewesen, und nun bestieg Herr von Rivola seinen Wagen, warf sich tief in die weichen Ecken, daß ihn Niemand, an dem er vorüberfuhr, sehen konnte, zog auch noch zum Überfluß den grünseidenen Vorhang an der anderen Seite herab und versank, während die ungeduldigen Pferde mit dem leichten Coupé rasch davonflogen, in ein tiefes und nichts weniger als erquickliches Nachsinnen.
Das, was er heute Morgen gehört und gesehen, ging noch einmal rasch an seinem inneren Auge vorüber: die Stunde im Cabinette des Bankdirektors, die gefälschten Noten, Friedrichs Bericht über die bevorstehende Abreise Stefflers, das kleine Haus mit dem alten Thurme, der Verkauf desselben, Alles mehr oder minder für ihn widerliche Bilder, welche aber, rasch verblassend, einer anderen Gestalt bereitwilligst Platz machten, einer Gestalt, die drohend vor ihm erschien und die er nicht zu überwältigen, nicht zu verjagen im Stande war, so sehr sich auch sein gequältes Hirn hierzu abmühte – die Gestalt Ferdinands, welche ihm die halb verbrannte, gefälschte Banknote entgegenhielt. Es fiel ihm jetzt centnerschwer auf die Seele, daß er unverantwortlich thöricht und leichtsinnig gehandelt, sich dieses jungen Menschen zu bedienen. Wie unverfänglich, wie günstig war ihm die so unverhofft gekommene Hülfe desselben damals erschienen und erschien ihm auf Augenblicke selbst heute noch, wenn er bedachte, daß der grenzenlose Leichtsinn des jungen Menschen, der ihm einestheils gefährlich werden konnte, anderentheils wieder im Stande war, im schlimmsten Falle die ganze ungeheure Schuld von ihm ab auf jenen zu wälzen. Worin war der Beweis, daß es falsche Banknoten gewesen, die Ferdinand von ihm erhalten, welche derselbe ohne Überlegung gegen echte auf der Bank umgetauscht? Allerdings war es möglich, daß jetzt dem jungen Manne eine Ahnung gekommen war, er habe aus seiner Hand falsche Banknoten erhalten, möglich, aber nicht gewiß, ja, sogar unwahrscheinlich; denn wem hätte es heute noch in den Sinn kommen können, er, der Freiherr von Rivola, so hoch angesehen in allen Kreisen der Gesellschaft, habe auch nur im entferntesten etwas zu thun mit solchen Fälschungen? Das war ein Hoffnungsstrahl, und selbst im schlimmsten Falle war es ja viel denkbarer, daß dieser leichtsinnige junge Mensch selbst bei diesen Fälschungen die Hand im Spiel habe.
Herr von Rivola athmete leichter auf, als er nun in rascher Reihenfolge der heutigen Erlebnisse an den Moment kam, wo der Polizeirath ihn auf Ferdinand Welkermann aufmerksam gemacht, als jener in einem halbdunklen Thorbogen mit Steffler plauderte, mit Steffler, einem anrüchtigen Menschen, wie Merkel sich ausgedrückt, und der als Kupferstecher und bei seinem verdächtigen Lebenswandel leicht in Verdacht zu bringen war, um so mehr, da er in Kurzem spurlos verschwunden sein würde.
Hier blitzte dem tief Nachdenkenden eine so glückliche Idee durch den Kopf, daß er schon im Begriffe war, den Kutscher wieder umkehren zu lassen, um seinen alten Diener nochmals aufzusuchen, als ihm einfiel, daß derselbe heute jedenfalls noch nach Eichenwald kommen würde und er ihm dort mit weniger Aufsehen seine Gedanken mittheilen konnte. Steffler mußte veranlaßt werden, von Ferdinand Welkermann eine Summe zu seiner Auswanderung zu erhalten, mußte Beweise dafür hinterlassen, daß er diese Summe bekommen, und daß es auf diese Art Ferdinand Welkermann gewesen, der ihn bei Seite geschafft.
Auf Augenblicke beschwichtigte dieser Gedanke allerdings die fieberhafte Unruhe, welche sich Herrn von Rivola's bemächtigt hatte; doch konnte er sich nicht enthalten, aus dem tiefsten Grunde seiner Seele den Wunsch hervorzuseufzen: Besser noch, wenn es mir möglich wäre, Beide miteinander eine Reise über das Weltmeer machen zu lassen, oder noch eine weitere Reise, wenn es anders nicht möglich wäre!
Das plötzliche Anhalten des Wagens riß ihn gewaltsam aus seinen Träumereien empor, welche wieder anfingen, seine Seele mit düsteren, unheimlichen Bildern zu bevölkern. Er dankte dem Himmel, daß er so plötzlich aus seinen Phantasieen herausgerissen wurde, so plötzlich aus der finsteren Nacht seiner Gedanken zum hellsten Tage der Gegenwart erwachend, denn der Wagen hielt an der Terrasse vor dem Schlosse Eichenwald, und in der geöffneten Glasthür sah er seine Tochter Lucy stehen, die ihm mit den Worten entgegeneilte: »Aber, Papa, du bist lange, sehr lange ausgeblieben! Wir haben dich schon über eine Stunde zurückerwartet, Mama, ich und Herr Welden, der uns zu besuchen gekommen ist!«
Bei der Nennung des letzteren Namens zeigte sich eine Wolke auf der Stirn des Herrn von Rivola; es war ihm nicht angenehm, jetzt einen Fremden sehen zu müssen, wenn auch dieser Fremde ein so genauer Freund des Hauses war. Er hatte sich fast behaglich ausgemalt, sich jetzt in sein Schreibzimmer zurückzuziehen und dort seinen Gedanken nachzuhangen, ringend mit dem Geschicke, das ihn zu überwältigen drohte und dem er geneigt war, trotzig die Stirn entgegen zu bieten. Nur wer sich selbst verläßt, ist verlassen! Auch war das im Grunde vielleicht nur ein Wetterleuchten, die Atmosphäre reinigend und kam nicht Verderben bringend herangezogen.
»Papa, hast du etwas Unangenehmes gehabt?« fragte Lucy, sich an ihn schmiegend.
»Gewiß nicht, mein Kind; nur Geschäfte ernster Art,« antwortete er und gab sich alle Mühe, die Falten von seiner Stirn zu verbannen, ja, mit einem heiteren, lächelnden Ausdrucke in den Salon zu treten, wo sich einer der Diener beeilte, das Frühstück aufzutragen.
Welden hatte sich beim Eintritte des Freiherrn erhoben und griff nach seinem Hute, um, wie er sagte, nicht länger zur Last zu fallen. Doch betrachtete Lucy bei dieser Äußerung ihre Mutter mit einem recht besorgten Blicke, ohne daß diese ihn sah, vielmehr aus eigenem Antriebe sagte: »Sie werden doch jetzt nicht nach der Stadt zurückkehren wollen, da mein Mann gekommen ist, der sich gewiß freut, mit Ihnen plaudern zu können! Auch sehen Sie, daß man Sie zu den genauen Bekannten des Hauses rechnet – man hat bereits ein Couvert für Sie aufgelegt.«
»Bleiben Sie, lieber Freund,« sagte nun auch der Freiherr, »und wenn Sie mir vielleicht etwas mitzutheilen haben, so stehe ich nachher ganz zu Ihrem Befehl.«
Darauf setzten sich die Vier um den Frühstückstisch herum, und da der Herr des Hauses jede Schüssel, welche ihm der Kammerdiener anbot, durch ein leichtes Kopfschütteln abwies, so mußte er auf einen fragenden Blick seiner Frau die allerdings nicht richtige Auskunft geben, daß er in der Stadt bereits gefrühstückt habe. »Ich hatte auf der Bank zu thun,« sagte er in gleichgültigem Tone, »und konnte dort eine Einladung des guten Direktors Schwemmer nicht abschlagen.«
»Sahst du Jemanden aus der Gesellschaft?«
»Ja, deinen Vetter Eugen Hartenstein und erfuhr Interessantes für meine liebe Lucy; es soll zur Beendigung der Saison noch ein großes Maskenfest bei Hofe stattfinden und sehr brillant werden, und wird man dir morgen oder übermorgen ein ganzes Paket Costumebilder senden. Auch wird Eugen, wie er mir sagte, selbst herauskommen, um dich zu einer Quadrille einzuladen.«
»Ach, das ist prächtig!« rief das junge Mädchen. »Und sagte er nichts über das Costume, in welchem wir erscheinen werden?«
»Nein, er schien sehr eilig zu sein.«
»Eine maskirte Quadrille fehlt mir noch zu meinen Erlebnissen – wenn ich diese mitgemacht, habe ich alles genossen, was in der großen Welt vorkommt, nicht wahr, Mama, und kann dann im Nothfalle von meinen Erinnerungen zehren.«
Sie warf bei diesen Worten, statt auf ihre Mutter zu sehen, einen lächelnden Blick nach Welden hinüber.
»Du hast allerdings deinen Eintritt in die Gesellschaft auf eine recht geräuschvolle, glänzende Art gehalten – ich erinnere mich keiner Saison mit so vielen und meistens sehr glänzenden Festen – ehrlich gesagt, bin ich nicht betrübt darüber, wenn wir endlich einmal ein wenig Ruhe bekommen.«
»Und ich, Mama, glaube mir, habe nächstens einen Horreur vor all den glänzend erleuchteten Sälen und betrachte meine kleine Lampe Abends, wenn wir einmal zufällig allein sind, mit dem Ausdrucke des innigsten Vergnügens.«
»Glauben Sie, daß diese kleine Schwätzerin die Wahrheit sagt?« wandte sich die Baronin an den Ingenieur.
»Warum nicht, gnädige Frau? Ja, ich bin überzeugt, Fräulein Lucy hat dieses Gefühl wirklich, täuscht sich aber vielleicht unbewußt in demselben. Sie ist der Feste und Bälle nicht so überdrüssig, als sie sich vielmehr nach einer kleinen Abwechslung sehnt.«
»Wie wir Alle,« versetzte Frau von Rivola; »ich hoffe darauf, ja, ich bin davon überzeugt, daß du den nächsten Winter wieder mit dem gleichen Interesse beginnen wirst – nicht wahr, Albert, das ist auch deine Meinung?«
»O ja, gewiß, mit dem gleichen Interesse, vielleicht noch mit einem ganz anderen Interesse, und dann mit um so größerem Interesse.«
Die Baronin hustete leicht hinter der vorgehaltenen Hand; sie glaubte ihren Mann zu verstehen, ohne thun zu wollen, als verstände sie ihn – Graf Eugen Hartenstein bemühte sich allerdings auffallend um die schöne und so enorm reiche Cousine. – »Und wann soll dieses Maskenfest stattfinden?« fragte sie, um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben.
»In der übernächsten Woche, glaube ich.«
»Das wäre eine kurze Zeit, um mit neuen Costumes fertig zu werden,« meinte Lucy's Mutter.
»Haben Sie schon ein Maskenfest bei Hofe gesehen?« wandte sich das junge Mädchen fragend an Welden.
»Nein, mein Fräulein; es wird auch wohl nicht leicht sein, gerade an einem solchen Tage Zutritt zu erhalten.«
»Bei einem solchen großen Maskenfeste weit eher, als bei einem kleinen Balle,« sagte Herr von Rivola. »Wenn es Ihnen Spaß machen würde, bäte ich den Obersthofmeister Seiner Majestät recht gern um eine Einladung für Sie.«
Welden war schon im Begriffe, dieses freundliche Anerbieten dankend abzulehnen, als ihn ein eigenthümlicher Blick aus Lucy's schönem Auge traf, ein Blick, der ihm unwillkürlich zu Herzen ging und ihm eine seltsame Bewegung, sogar eine unerklärliche Aufregung verursachte. Es lag eine innige Bitte in diesem Blicke, sowie um ihre leicht geöffneten Lippen; sie fesselte seine auf sie gerichteten Augen damit, ja, hielt sie magnetisch fest, bis er, statt abzulehnen, das Anerbieten des Herrn von Rivola dankend angenommen. Vielleicht hätte er dies doch nicht gethan, wenn er die mißbilligende Miene der Frau des Hauses bemerkt hätte. Aber er sah in diesem Augenblicke nur Lucy, die jetzt mit dem Ausdrucke der herzlichsten Freude vor sich niederbückte. Das Frühstück war beendigt, und nachdem sich Alle erhoben, trat das junge Mädchen mit Welden an eines der geöffneten Fenster, um ihn auf die finster heranziehenden Wolken aufmerksam zu machen. Dann sagte sie rasch und leise: »Wie würde ich mich freuen, Sie auf jenem Maskenballe zu sehen!«
Der Freiherr von Rivola war an den Kamin getreten und hatte seinen Fuß auf eine der Stangen desselben gestellt, als ihm die Baronin leise sagte: »Du weißt, ich kann diesen jungen Menschen recht wohl leiden; er versteht seine Stellung und überschritt nie die Schranken derselben, und diese gute Eigenschaft solltest du an ihm würdigen und ihn nicht, wie vorhin durch dein Anerbieten einer Einladung zu Hofe, in Kreise bringen, wo er sich unheimlich fühlt, da er nun einmal nicht hineingehört; doch lasse ich euch jetzt,« setzte sie mit lauter Stimme hinzu. »Vielleicht hast du mit Herrn Welden etwas Geschäftliches; ich glaube, er deutete so etwas an – komm, Lucy!«
Sie grüßte den jungen Ingenieur wohlwollend, aber vornehm mit einem leichten Kopfnicken, wogegen das junge Mädchen Welden freundlich die Hand reichte, ehe sie mit ihrer Mutter den Salon verließ.
Nach einer ziemlich langen Pause sagte Herr von Rivola: »Haben Sie etwas für mich, lieber Welden, so wollen wir in mein Schreibzimmer gehen; ich gebe Ihnen eine Cigarre, rauche auch vielleicht selbst mit – es heitert das auf und zerstreut unsere ernsten Gedanken.«
Gleich darauf saßen Beide in dem uns bekannten Schreibzimmer, und zwar in einer Ecke desselben auf zwei bequemen Fauteuils an dem Fenster, welches eine Aussicht auf die fern liegende Stadt gewährte, Beide schweigend rauchend, Welden, indem er einen leichten Eingang zu seiner Mittheilung suchte, der alte Freiherr, welcher wieder in seine tiefen Träumereien verfallen war.
Endlich richtete sich letzterer nach einem schweren Athemzuge in die Höhe und sagte, an den trüb bedeckten Himmel aufschauend: »Auch da zieht sich was Tüchtiges zusammen – Schnee oder Regen, letzterer wäre unangenehm; ich fürchte, das Wetter läßt Sie nicht ungestraft nach Hause kommen.«
»Ich bin wohl Ihrer Ansicht, Herr Baron, und würde mich auch schon längst beurlaubt haben, wenn ich nicht herausgekommen wäre, um Ihre Ansicht in einer Sache zu hören, die mir so wichtig erscheint, daß ich sie nur Ihrer großen Erfahrung und Ihrem mich ehrenden Wohlwollen unterbreiten möchte.«
»Ah, Sie haben etwas auf dem Herzen! Lassen Sie hören.«
Nun erzählte Welden die Erlebnisse des gestrigen Abends; zuerst im Allgemeinen von der Einladung eines seiner Bekannten, an einem Souper Theil zu nehmen, die er abgelehnt, später aber doch aus Höflichkeit hingegangen sei. Man habe dort soupirt, stark getrunken und zuletzt noch stärker gespielt.
Der alte Herr hatte den Kopf in die Hand gestützt und schien mit großer Gleichgültigkeit zuzuhören, bis Welden im Verlaufe seiner Erzählung sagte: »Es war der junge Welkermann, der beim Makao den Bankhalter machte.«
»Ferdinand Welkermann – und wann geschah das?« »Gestern Abend, wie ich Ihnen schon sagte.« »Ah–a–ah, gestern Abend! Richtig, so sagten Sie! Verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen ein wenig zerstreut zuhörte; seien Sie aber überzeugt, mein lieber Welden, daß ich jetzt Ihren Worten mit vollster Aufmerksamkeit lausche.«
Und daß dem so war, sah man nun an der gänzlich veränderten Haltung des Freiherrn von Rivola. Er saß aufgerichtet in seinem Lehnstuhle und blickte Welden unverkennbar mit dem Ausdrucke der gespanntesten Aufmerksamkeit an.
Dieser erzählte weiter von dem Verlaufe des Spiels, von dem Verluste des Bankhalters, von dessen scheinbarer Gleichgültigkeit bis zum Losbrechen der uns bekannten Scene, wo Ferdinand durch den Versuch, die Fünfhundertgulden-Note zu verbrennen, Anlaß zu seiner Einmischung gab, der alsdann jene Beleidigung folgte, welche der junge Ingenieur mit etwas gerötheter Stirn und leuchtenden Augen erzählte. Doch hatte man in diesem Augenblicke glauben können, der Freiherr von Rivola, der Zuhörer, sei bei dieser Angelegenheit eben so betheiligt, wie der Erzähler, denn er saß nicht nur hoch aufgerichtet da, lauschend mit gespanntester Aufmerksamkeit, sondern die Erregtheit in seinen Zügen drückte ein ganz besonderes Interesse aus. Er hatte mit den Händen die Lehne seines Sessels erfaßt und beugte sich vornüber, als wolle er jedes Wort, ja, jeden Gedanken von den Zügen des Anderen ablesen. Endlich aber, als jener geendigt, strich er langsam mit der Hand über die Augen und sagte, sich wieder in seinen Stuhl zurücklehnend und sich gewaltsam fassend: »Das ist sehr stark unter Freunden!«
»Wenigstens unter Bekannten.«
»Und was thaten Sie heute Morgen darauf?«
»Ich that, was ich thun konnte, und sandte in der Person des Oberlieutenants von Miltau einen Zeugen an Herrn Ferdinand Welkermann, um mit ihm das Nähere zu besprechen.«
»Und dieser Zeuge?«
»War noch nicht wieder zurück, als ich meine Wohnung verließ.«
»Ah, mein lieber Freund, Sie hätten noch warten müssen! In einer solchen Sache muß Alles Schlag auf Schlag gehen, das ist so meine Ansicht.«
Der alte Freiherr sprach dies, obgleich in gedehntem Tone, mit großer Energie, indem er jedes Wort scharf betonte, wobei seine Finger eigenthümlich zuckten. »Wenn man so etwas kühl werden läßt, so ist man nicht mehr im Stande, es mit der Zähigkeit zu behandeln, wie man dergleichen behandeln muß. Ich kann Ihnen nur sagen: dieser Herr Ferdinand Welkermann hat sich gegen Sie auf eine ganz unnennbare Art benommen; ich achte und schätze dessen Vater, den Herrn Stadtschultheißen, aber ich würde diesem jungen, übermüthigen Menschen eine derbe Lection recht wohl gönnen.«
»Das ist auch ganz meine Ansicht, Herr Baron, und ich würde meinen ausgesandten Zeugen ohne einen besonderen Zwischenfall sicher in meiner Wohnung erwartet haben.«
»Was war das für ein Zwischenfall, wenn ich fragen darf?«
»Es besuchte mich ein Bekannter, der zufällig von unserer Streitigkeit erfahren hatte.«
»Zufällig? So etwas erfährt man nicht zufällig,« antwortete Herr von Rivola mißtrauisch. »Wollte dieser Bekannte vielleicht vermittelnd auftreten?«
»Das war allerdings die Absicht des Herrn Polizeiraths Merkel.«
»Vielleicht aus Freundschaft für den Stadtschultheißen, vielleicht auch als Mann der Ordnung.«
»Das Letztere wäre allenfalls möglich, aber – doch bitte, lieber Welden, erzählen Sie weiter und so ausführlich, als es Ihnen möglich ist und Sie sich der Unterredung mit Herrn Merkel erinnern.«
Das that denn auch der junge Ingenieur, und um so umständlicher, als er sah, mit welchem gesteigerten Interesse Herr von Rivola seinen Worten lauschte.
Ja, dieses Interesse nahm so überhand, daß es ihn, als der Andere geendigt, nicht mehr auf seinem Stuhle duldete, sondern er sich rasch erhob, die Hände auf dem Rücken zusammenlegte und mit großen Schritten ein paar Mal in dem Gemache auf und nieder ging.
»Dieser Polizeirath Merkel,« sagte er alsdann, vor Welden stehen bleibend, »ist in der That ein unvergleichlicher Beamter – so, so, er war also selbst bei jener Spielgesellschaft anwesend in Gestalt eines Kellners?«
»Und so unkenntlich, daß ich ohne Arg mit ihm sprach, obgleich er mir ein paar Stunden früher eine Wette anbot, ich würde ihn in keiner seiner Verkleidungen erkennen.«
»Ein Mann, vor dem sich die Verbrecher in Acht zu nehmen haben,« meinte Herr von Rivola nachdenkend. Dann fuhr er nach einer Pause wie aus Träumen empor und sagte: »Also so stehen die Sachen; Sie waren freundlich genug, dem Polizeirath Ihr Wort zu geben, die Sache während dreier Tage auf sich beruhen zu lassen.«
»Sie hätten das wohl nicht gethan, Herr Baron?« fragte Welden, der auf dem Gesichte des alten Herrn ein ganz eigenthümliches Lächeln zu entdecken glaubte.
»Ich? Gewiß nicht, das heißt, in meiner Jugend nicht, und auch jetzt noch müßten es ganz besondere Gründe sein, die mich zu so etwas bestimmen könnten. Doch bin ich weit entfernt, mein lieber Freund, Ihnen auch nur den geringsten Vorwurf darüber machen zu wollen, – o, ich kenne den Polizeirath Merkel! Unter der Maske der Freundschaft und des Wohlwollens versteht er es meisterlich, sich des Vertrauens irgend Jemands zu bemeistern, und seine Überredungskunst ist sprüchwörtlich geworden! Doch ist in der Sache noch nichts verloren. Sie haben allerdings in den drei Tagen eine überflüssige Menge Zeit, um Alles zu ordnen, und können am vierten, das wäre nächsten Samstag, Ihre Zusammenkunft haben; kann ich Ihnen dabei irgendwie nützlich sein, so bestimmen Sie über mich; als Ihren Zeugen will ich mich nicht anbieten, da Oberlieutenant Miltau vollkommen in Allem bewandert ist, doch werde ich Ihnen meinen Wagen mit den schnellsten Pferden zur Verfügung stellen – es könnte ja sein, daß das Duell einen ernsteren Ausgang nähme, als wir hoffen wollen. Sie fordern, und obgleich Herr Welkermann die Wahl der Waffe hat, so traue ich dem Herrn von Miltau doch wohl zu, daß er sich über Pistolen einigte, denn er weiß ja wohl so gut wie ich, daß Sie ein vortrefflicher Schütze sind.«
»Ich muß jede Waffe annehmen, die mir Herr Welkermann vorschlägt, möchte auch, ehrlich gesagt, meine Überlegenheit im Schießen nicht gegen ihn benutzen; wenn er nicht selbst Pistolen verlangt, hoffe ich ihm aber auch mit dem Degen einen Denkzettel zu geben.«
»Den er verdient und auch erhalten wird, mein lieber wackerer Freund, wenn Sie im entscheidenden Augenblicke nicht zu weichmüthig sind ... Glauben Sie mir, lieber Welden,« fuhr Herr von Rivola fort, nachdem er einen Moment zum Fenster hinausgeschaut, »ich habe durchaus kein Interesse daran, ob Sie sich mit Herrn Welkermann schlagen oder nicht, eben so wenig, ob dieser allerdings leichtsinnige und unverschämte junge Mensch etwas Tüchtiges abkriegt oder nicht, ja, ich möchte Sie um Alles in der Welt nicht noch mehr gegen ihn aufreizen, denn Sie haben, weiß Gott, gegründete Ursache, ihn vor die Mündung Ihrer Pistole oder ohne Schonung vor die Spitze Ihres Degens zu nehmen – wie gesagt, weit entfernt davon, Ihren gerechten Zorn zu steigern, kann ich Ihnen doch nicht verschweigen, daß die Ihnen angethane Beleidigung eine so ausgesuchte, eine so intensive ist, daß ich darüber alle und jede Rücksicht vergessen würde. Verzeihen Sie mir, ich spreche darin nur meine individuelle Ansicht aus.«
»Wofür ich Ihnen meinen Dank sage, denn sie ist auch die meinige, und obgleich ich jetzt noch mehr bedauern kann, auf den Polizeirath Merkel gehört zu haben, so weiß ich doch, was ich nach Ablauf der leider zugestandenen drei Tage zu thun habe.«
»Ich bin überzeugt, daß Sie das wissen, und will nur noch hinzufügen, daß mich das Benehmen des Herrn Welkermann auf's tiefste empört hat. Verzeihen Sie mir, daß ich diesen unendlich kitzlichen und unendlich delikaten Punkt noch einmal berühre, aber es kann im Leben vorkommen, daß man, von seiner Aufregung hingerissen, Jemandem eine Ohrfeige gibt, und kann der also Handelnde immerhin ein ganz tüchtiger Kerl, ein vollkommener Ehrenmann sein, aber Jemandem eine Ohrfeige anbieten und ihn bitten, sie als genossen zu betrachten, das ist gemein, unverschämt und feige!«
Welden stieg bei diesen Worten die Röthe in's Gesicht und er klemmte seine Unterlippe zwischen die Zähne, worauf Herr von Rivola in begütigendem Tone fortfuhr:
»Und das ist gerade so, als wenn Ihnen ein toller Hund begegnet; Sie können augenblicklich nichts thun, als ihm aus dem Wege gehen oder, wenn Sie zufällig Offizier sind, Ihren Säbel ziehen, Ihren Angreifer zusammenhauen, um alsdann vor jedem vernünftigen Gerichte mit allen Ehren freigesprochen zu werden.«
Welden hatte sich erhoben, und, indem er dem alten Freiherrn die Hand darreichte, sagte er: »Sie werden mich entschuldigen, daß ich Sie mit meiner Angelegenheit belästigte; aber es war nur darum zu thun, Ihren Rath zu hören sowie auch, Ihnen den Verlauf jenes Streites, der leider bei Spiel und Wein entstand, der Wahrheit gemäß zu erzählen. Und nun kann kommen, was will, ich werde in Ihren Augen, Herr Baron, sowie in denen Ihrer Frau Gemahlin, die mir so viel Wohlwollen bezeigte, nicht als Händelsucher oder als ein Mensch von zweideutigem Lebenswandel erscheinen.«
»Wie können Sie nur dergleichen denken?« rief Herr von Rivola in bewegtem Ton. »Sie wissen ja, wie wir Alle hier Sie schätzen und lieben, ja, Sie wissen das, mein lieber Welden und können sich wohl denken, daß ich deßhalb dem Morgen des Samstags mit nicht geringerer Spannung entgegensehe, als Sie selbst, bitte Sie deßhalb dringend, mir den Ort der Zusammenkunft bezeichnen zu wollen und meinen Wagen anzunehmen; seien Sie überzeugt, daß im schlimmen Falle meine Rappen sie in wenigen Stunden über die Grenze bringen. Dann noch eine Frage, welche ich aus wahrhaft väterlicher Zuneigung an Sie richte und die ich vertrauensvoll zu beantworten bitte: Sind Sie genügend mit Geld versehen?«
»Gewiß, für alle Fälle – ich danke bestens, Herr Baron.«
»Auch darin sind Sie ein geordneter Mann, was mich freut – Sie wollen uns also schon verlassen? Gestatten Sie mir, daß ich für Sie einspannen lasse, der Himmel sieht so aus, als wolle er durch einen tüchtigen Regenguß mit dem Schnee die ernstesten Händel anfangen.«
»Ich glaube, nicht so bald, mache mir auch nichts daraus und danke bestens für Ihr freundliches Anerbieten.«
»Vergessen Sie aber nicht, mir früh genug den Ort Ihrer Zusammenkunft anzuzeigen!«
»Gewiß nicht.«
Welden verließ das Landhaus, ohne die Baronin und Lucy wiedergesehen zu haben. Als er in's Freie trat, fuhr ihm ein naßkalter Wind entgegen; es war ein recht trübseliger Wintertag geworden, der Himmel eine einzige graue Wolke, von der ein feiner Regen herabfiel und in den Sträuchern und Bäumen am Wege jenes eigenthümliche Geräusch des herabrutschenden Schnee's hervorbrachte. Um dem nachzuhelfen, schüttelte der Wind die Krone der Bäume, so daß kurze Zeit nachher, als Welden kaum die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, die aus der beschneiten Hochebene hier und da hervortretenden kleinen Waldungen wie schwarze Inseln in einem stillen, weißen Ocean aussahen und alles das, zugleich mit dem trüben, melancholischen Tone der benachbarten Dorfglocken, einen unvergeßlich düsteren, traurigen Eindruck auf ihn machte.