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Beim heutigen Zustand der Verkehrsmittel geschieht es leicht, daß man das vorgesteckte Ziel einer Reise um ein Bedeutendes überschweift. So ging es mir so eben, und wenn mich auch mein Weg nicht in unbekannte Länder führte, von denen ich viel Neues und Seltsames mittheilen könnte, so ist doch die Schnelligkeit merkwürdig, mit der ich eine große Strecke durchflogen, Anfangs durch rauchende Locomotiven oder schmetternde Posthörner verführt, am Ende aus Neugier, um zu sehen, in wie viel Zeit man von Köln über Aachen und Brüssel nach Ostende und von dort über Antwerpen und Rotterdam wieder den Rhein hinauf gelangen könne. – Es war Donnerstag Mittag, als wir von Cöln mit dem Convoi nach Aachen fuhren. Seit die neue Eisenbahn beide Städte verbindet, hatte ich den Weg nicht mehr gemacht, und da ich ihn früher öfters zu Pferde, mit der Post, sowie mit langsamen Miethkutschern zurückgelegt, so empfand ich recht die Segnungen der neuen Einrichtung. Um die Annehmlichkeit der Eisenbahn recht zu schätzen, muß man bekannte Strecken durchfahren, wo man an einzelnen Häusern, Dörfern, Bäumen deutlich erkennt, wie entsetzlich schnell man alles das erreicht, was man früher im Staube der Chaussee so langsam und beschwerlich einholte. In Folge der Festlichkeiten in der Rheinprovinz waren den Locomotiven ungewöhnlich viele, dicht besetzte Wagen angehängt. Das lachte und schrie durcheinander, deutsch, französisch und wallonisch, bis zum großen Königsdorfer Tunnel, der wie ein langer schwarzer Gedankenstrich die lustige Conversation unterbrach. Es ist wirklich ein eigenes Gefühl, so plötzlich aus der Helle des Tages in eine Nacht hineingerissen zu werden, die durch die vollkommenste Finsterniß und den Mangel an genießbarer Luft einem Vorhof der Hölle gleicht. Alle muntern Gespräche verstummen, die Maschine kracht und klirrt auf betäubende Weise, und Jeder schließt die Augen, theils weil man im Dunkeln überhaupt hiezu geneigt ist, theils um sie vor dem Dampf und Kohlenstaub zu schützen, der das Gewölbe anfüllt. Der Tunnel ist eine starke halbe Stunde lang, und ob man ihn gleich in drei Minuten durchfliegt, erscheint doch diese kurze Zeit sehr lang. Man hat bei der Bahn von Cöln nach Aachen sehr bedeutende Terrainschwierigkeiten zu überwinden gehabt. Außer diesem großen Tunnel gibt es noch einen kleinen, eine Unzahl von Brücken über verschiedene kleine Flüsse, und bei Aachen einen großen Viaduct, der die Bahn über das Wurmthal führt und dessen mittlere Pfeiler einige achtzig Fuß hoch sind. In Folge der vielen Zwischenstationen braucht man zwei und eine halbe Stunde Zeit, um zu der alten Kaiserstadt zu gelangen, die von Cöln fünfzehn Stunden Wegs entfernt ist. Bei der Menge von Wagen verschiedener Gasthöfe, sowie der großen Omnibus, welche die Reisenden nach den Posten und den umliegenden Orten führen, geschieht es leicht, daß man in ein unrechtes Fuhrwerk kommt; so ging es auch uns, und wir fuhren in kurzer Zeit, statt in den Gasthof zu den vier Nationen, zu unserer nicht geringen Verwunderung in den Hof der Lütticher Post. Indessen, statt umzukehren, nahmen wir diese Verwechslung als einen Wink des Schicksals und ließen uns nach Lüttich einschreiben, um die großen belgischen Eisenbahnen in der Nähe zu besehen. Bereits schwebte uns sogar Brüssel im Hintergrunde vor.
Abends zehn Uhr fuhr die Post aus Aachen, und da diese alten Wagen noch drei Sitze neben einander haben, und es regnerisches Wetter war, so daß man, trotz der neun Personen im Innern, fast beständig die Fenster schließen mußte, und da ferner der ganze Weg von Aachen nach Lüttich gepflastert ist, so gehörte dieses Stück Reise, mitten zwischen den herrlichsten Eisenbahnen gelegen, nicht zu den angenehmsten Partien. Obendrein wurden wir aus dem ersten Halbschlummer durch die belgischen Zollbeamten geweckt, die auf der Grenze bei Henri-Chapelle unsere sämmtlichen Effekten, so wie unsere Pässe auf's Genaueste revidirten. Endlich lag Lüttich vor uns im Thale, von der aufsteigenden Morgensonne beleuchtet, welche uns zugleich in der Ferne den prächtigen Bahnhof zeigte, wo die Locomotive rauchte und uns freundlichst einlud, auf die fatale langsame Nachtpartie eine windschnelle lustige Tagfahrt zu versuchen. – Diese Aussicht war wirklich zu einladend, und wir ließen uns geduldig auf einen ungeheuern Omnibus laden, der uns geradezu auf den Bahnhof führte. Karten nach Brüssel waren bald genommen, und es verging keine halbe Stunde, so gaben die Condukteurs mit ihren Hörnern das Zeichen zur Abfahrt und der Convoi setzte sich langsam in Bewegung. Noch vor wenigen Monaten mußte man aus dem Lütticher Thale eine lange Strecke bergan zu Wagen zurücklegen, jetzt aber ist auch dieser Theil der Bahn fertig und eine stehende Dampfmaschine schleppt an einem ungeheuern Drahtseil den Wagenzug in verhältnismäßig sehr kurzer Zeit hinauf. Oben kam uns eine andere Locomotive entgegen, wurde vorgespannt und wir flogen dahin. Das gesegnete, aber flache Land Belgiens auf der Landstraße zu durchschneiden, muß schrecklich langweilig gewesen sein; denn obgleich wir die Strecke von Lüttich nach Brüssel in drei Stunden zurücklegten, däuchte uns der Weg sehr lang, und obgleich die Räder mit rasender Geschwindigkeit dahin rollten, konnten wir nicht begreifen, warum Brüssel so lange nicht erscheinen wollte. So ist der Mensch; wer früher mit guten Pferden Morgens von Lüttich abfuhr, durfte sich unterwegs nicht lange aufhalten, wenn er bei einbrechender Nacht in Brüssel sein wollte. Jetzt würde man mit der Eisenbahn diese Strecke noch schneller zurücklegen, als ich angegeben, wenn sie nicht einen kleinen Umweg über Mecheln machte. Mecheln ist das Herz der Eisenbahnen Belgiens; hier ist der Hauptbahnhof, wo alle Züge zusammentreffen, um ihre Passagiere auszutauschen. – Es mochte eilf Uhr sein, als wir nach Brüssel kamen, und wir wandten den Nachmittag dazu an, die Stadt flüchtig zu besehen. Wir hatten, wie früher bemerkt, früher höchstens bis Brüssel gehen und von hier nach Aachen zurückkehren wollen. Doch der Bekannte, mit dem ich reiste, hatte noch nie das Meer gesehen, und es wäre doch unverzeihlich gewesen, die vier Stunden, die wir nach Ostende hatten, nicht zu opfern, was ja mit so wenig Kosten geschehen konnte. Auch entschlossen wir uns kurz und saßen schon um sieben Uhr auf der Eisenbahn, um nach Mecheln und von da weiter nach Ostende zu fahren.
In Mecheln ist ein wirklich merkwürdiges Leben; die weitläufigen Gebäude des Bahnhofs mit allen möglichen Werkstätten begrenzen einen weit ausgedehnten Platz, auf dem sich eine Menge Eisenbahnen von allen Richtungen her kreuzen. Oft stehen drei bis vier Züge zu gleicher Zeit da. Die Locomotive rauchen, die Passagiere sitzen in bunten Reihen und die Condukteurs laufen emsig hin und her und rufen laut die Namen der Städte, die dieser oder jener Zug berührt, um einen nachlässigen Passagier vor der Unannehmlichkeit zu bewahren, nach dem unrechten Orte zu gelangen. Und doch ist im ganzen Getreibe eine merkenswerthe Ruhe und Ordnung; die Beamten der Bahn sind äußerst höflich und artig, und wissen gewöhnlich den Passagieren in drei Sprachen Auskunft zu geben. – Wenn man die vielen Locomotive sieht, die den augenblicklichen Dienst versehen sollen, oder zur Reserve geheizt und hergerichtet sind, so kann Einem wohl die Idee kommen, als seien all die tausend Passagiere, die in den eleganten Wagen sitzen, nur Zuschauer bei einem großartigen Wettrennen. Die Locomotive sind die Rennpferde und werden von den Maschinisten in dem großen Bahnhofe auf- und abgeführt, damit ihre Glieder gelenkig werden, bald rascher, bald langsamer, und die schönen Maschinen gehorchen leicht und willig dem Druck der Handhabe, wie ein edles Roß der Bewegung des Zügels. Plötzlich erschallt eine große Glocke, und aus den Restaurationen stürzen die letzten Passagiere eilfertig zu den Wagen. Jetzt verlassen die Locomotive die kurzen Nebenbahnen und werden vermittelst der großen Drehscheiben vor die betreffenden Züge gespannt. Die Condukteurs laufen längs der Wagenreihe hin und her, um jede Thüre sorgfältig zu verschließen. Sobald dieß geschehen ist, gibt der Beamte des letzten Wagens durch drei Hornstöße das Zeichen, daß bei ihm alles in Richtigkeit ist, welches Signal von dem des ersten Wagens wiederholt wird. Die Maschine stößt den überflüssigen Dampf aus und setzt sich in Bewegung. Von Mecheln aus fahren gewöhnlich die drei Convois nach Lüttich, Ostende und Antwerpen eine kurze Strecke nebeneinander her. Anfänglich geht es langsam, doch merkbar immer schneller und schneller; jetzt wenden sich die drei Eisenbahnen in weiten Bogen jede nach einer andern Richtung, und da nun auch die Locomotive in vollem Laufe dahin jagen, ist jeder Zug bald aus dem Gesichtskreise des andern entschwunden.
Es mochte eilf Uhr sein, als wir nach Ostende gelangten, und da wir uns von Cöln aus mit keinem überflüssigen Gepäck versehen hatten, so konnten wir uns gleich aus dem Wagen nach dem Hafendamme, dem Dyk, begeben, um einen Blick über das Meer zu werfen und uns nach einem Bade umzusehen. Mein Freund, der, wie schon gesagt, hier zum erstenmal die heilige Salzfluth sah, stand sprachlos beim großartigen Anblick, und auch mir, der ich das Meer an vielen Küsten schon gesehen, schlug das Herz rascher. Bald stiegen wir an den Strand hinab, um uns eines der Badekarren zu bemächtigen, von denen, da es eine ungewöhnliche Stunde zum Baden war, viele leer standen. So ein Seebad ist der köstlichste Genuß, so erfrischend und stärkend; leider war es gerade Ebbe und die Wellen gingen nicht hoch. Wir bezahlten für das Bad nebst der Badekleidung zusammen einen Franken. In der wohl eingerichteten Restauration Hammer speisten wir ausnehmend gut und billig, und standen schon im Begriff, noch einen Tag in Ostende zuzusetzen, was wir auch gethan haben würden, wenn wir einige Bekannte, die wir hier vermutheten und die auch wirklich hier waren, aufgefunden hätten; aber ein Fremdenblatt, das hier erscheint, kommt nur alle vierzehn Tage heraus, und auf der Polizei war man zwar außerordentlich artig und freundlich, konnte uns aber keine Auskunft geben. So schlenderten wir mißvergnügt dem Bahnhofe zu, und wenn wir die zurückgelegte Strecke überdachten, waren wir darüber einig, daß der Weg von Lüttich nach Aachen, den wir auf dem schlechten Postwagen und dem entsetzlichen Pflaster nothwendig wieder genießen mußten, gar unangenehm sei. Ein anderer Weg, um nach Cöln zu gelangen, lag allerdings vor uns; doch erwähnten wir desselben Anfangs nur scherzweise gegen einander; denn es grenzte etwas ans Fabelhafte, von Ostende über Antwerpen und Rotterdam den Rhein hinauf sich dorthin zu begeben. Indessen waren wir im nächsten Augenblicke Beide gar nicht abgeneigt, diese zwei Städte, so wie die Schelde und Osterschelde zu sehen, und ein kleiner Umstand entschied über unser Schicksal. Da der Convoi von Ostende zugleich nach Brüssel und Antwerpen abging, fragte mich der Beamte am Schalter, indem er zwei Karten hervorsuchte: »Pour Anvers Monsieur?« und ich sagte: Ja. Eine Viertelstunde darauf fuhren wir schon dahin, kamen im Umsehen nach Brügge und Gent und bei einbrechender Nacht nach Mecheln, wo sich die Züge für Brüssel und Antwerpen theilten. Mit letzterem fuhren wir unter einem starken Gewitter dahin und waren Abends um neun Uhr in der Vaterstadt Rubens. Wir suchten im Dunkeln die Statue des großen Niederländers und sahen sie auch bald in undeutlichen Umrissen hervorragen. Das war aber auch Alles, und nachdem wir ein Abendessen eingenommen, mußten wir uns auf das Dampfboot nach Rotterdam begeben, das um Mitternacht abfuhr. Wer schon große Strecken auf Eisenbahnen zurückgelegt hat, weiß, daß das eigentümliche Rütteln auf denselben sehr ermüdet, weßhalb wir auch bald entschliefen und erst wieder erwachten, als die Sonne hinter den kahlen Dünen der holländischen Küste emporstieg.
Unser Schiff fuhr äußerst langsam, nicht wegen Schwäche seiner Maschinen, sondern wegen mangelnder Concurrenz, wie uns der gähnende Kapitän versicherte; sonst, als noch eine zweite Gesellschaft diesen Weg machte, kamen die Schiffe schon Morgens um acht Uhr nach Rotterdam, und wir gelangten erst um eilf Uhr dahin. – Es war Sonntag, und mochte unser etwas defekt gewordenes Reisekostüm Schuld sein, oder die übertriebene Reinlichkeit der holländischen Häuser und Menschen, genug, wir fühlten uns beim Anblick der reinlichen, geputzten Stadt nicht heimlich und nahmen das Anerbieten eines Fiakers an, dem noch zwei Menschen an einer Ladung nach dem Haag fehlten. An dieser Hauptstadt des Landes selbst lag uns eigentlich nichts; bei unserem eiligen Durchstreifen konnten wir ja doch von ihren Merkwürdigkeiten nichts genießen; aber Scheveningen reizte uns, und unser gestriges Seebad in Ostende hatte in uns große Lust zu einem zweiten gemacht. Auf dem Weg zwischen Rotterdam und dem Haag wurde mir ordentlich bange. Da ist Alles so in geraden Linien gezogen, so blank gescheuert und bunt angestrichen, so gar nichts Zufälliges, von der Natur Hervorgebrachtes, woran man seine Freude haben könnte. In den Wirthshäusern, wo wir unterwegs anhielten, war ebenso Alles unheimlich reinlich und obendrein entsetzlich theuer. Alles, was wir gestern noch mit einem Franc bezahlt hatten, kostete heute einen Gulden. So kamen wir nach dem Haag, und an der Postexpedition, wo wir abgeladen wurden, hatte ich es nur meiner Standhaftigkeit zu danken, daß wir für einen Fiaker nach Scheveningen nicht fünf holländische Gulden bezahlen mußten, indem einer der Postbeamten uns fast mit Gewalt hinein nöthigen wollte. Es gelang mir mittelst einiger Grobheiten loszukommen; wir hatten aber damit vier Gulden verdient, denn ein anderer Lohnkutscher führte uns für einen Gulden gern nach Scheveningen. Indessen hatten wir hier von diesem Rosselenker eine andere Kränkung auszustehen, indem er beim Aussteigen schon sein ganzes Geld haben wollte, da wir ihn doch auch für die Rückfahrt gemiethet. Er stützte seine Forderung auf den sehr angenehmen Grund, wir könnten ja möglicherweise im Meer ertrinken. Wir ertranken aber nicht, sondern erfrischten uns trefflich in den hochgehenden Wellen, für welchen Genuß wir aber einen Gulden die Person zu bezahlen hatten. Abends eilten wir nach dem Haag und von da nach Rotterdam zurück, wo wir die Nacht ruhig verschliefen, um am andern Morgen ein Dampfboot der niederländischen Gesellschaft zu besteigen, das uns in zwei Tagen rheinaufwärts nach Cöln brachte. Obgleich man uns auf dem Bureau dieser Gesellschaft versichert hatte, wir würden schon am Abend gegen acht Uhr nach Emmerich gelangen, so wurde es doch halb zwölf und am folgenden Tage, wo das Schiff gegen eilf Uhr in Cöln sein sollte, gelangten wir erst um vier Uhr Morgens dahin, ein Verfahren und Fahren, das sich die niederländische Gesellschaft oft zu Schulden kommen läßt, und das in öffentlichen Blättern ernste Rüge verdiente.
So hatten wir in fünf Tagen, durch Umstände und Gelegenheiten verführt, eine sehr bedeutende Strecke zurückgelegt, waren freilich wie Brieffelleisen gereist, hatten aber dabei wenigstens, wenn auch nur im Fluge, die trefflichen Einrichtungen so wie die Schnelligkeit und Wohlfeilheit der belgischen Eisenbahnen kennen gelernt.