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Vor Jahren gab es zu Cöln am Rhein eine sonderbare Schenke. Das Haus, oder vielmehr der Keller, welcher als Gastzimmer diente, wird nunmehr längst eingefallen oder abgetragen sein, denn schon zur Zeit, von der ich rede, sah die Spelunke äußerlich so baufällig aus, daß, wer zum ersten Male hinkam, schwerlich der Versicherung seines Führers glaubte, es sei im Innern ganz comfortabel und gar nicht so gefährlich, als sich das Gebäude von außen anließ. Von selbst verlor sich nicht leicht Jemand dahin; es war fast nur einem Eingeweihten möglich, sich in den Gäßchen, welche zum Ziele führten, nicht zu verirren. Man konnte auch nicht wohl Jemand um den Weg fragen; denn eine gute Strecke vom Hause lief der Weg kreuz und quer bald zwischen Gemüsegärten, bald zwischen öden Mauern oder Trümmerhaufen der Wohnungen einer verschwundenen Generation. Wer sich nun durch all' diese Schrecknisse glücklich durchgefunden hatte, kam auf einen kleinen, freien Platz, welcher mit melancholisch durcheinandergewachsenem Unkraute bedeckt war, und hier stand die Schenke zum stillen Vergnügen. Sie war zart und sinnig gewählt, diese Benennung. Nur das Verlangen nach stillem Vergnügen, nach stillem Genuß des wirklich guten Weines, der hier geschenkt wurde, führte die Gäste unter dieses einsame Dach. Hier herrschte auch feierliche und erhabene Stille. Mit inniger Rührung wurden die geleerten Schoppen betrachtet und sorgfältig in's Himmelreich gesetzt; so hieß ein großer Korb, der jedem der Stammgäste zwischen den Beinen stand und woraus nachher die Zeche berechnet ward. Wie großartig war der Augenblick, wenn der Wirth hereintrat, um mit lauter Stimme zu verkünden, es sei wieder ein Faß geleert. Dann erhob sich Alles mit einem Male, und ein alter, ehrwürdiger Weltgeistlicher hielt mit kurzen, aber kräftigen Worten dem abgeschiedenen Weine ein Seelenamt.
Das Lokal bestand aus einem großen Gewölbe, dessen Wände ursprünglich weiß gewesen waren, aber durch Zeit und Rauch eine dunkle Farbe angenommen hatten. Ein gutes Billard war das einzige anständige Möbel; die übrigen Gerätschaften bestanden in schlecht gehobelten Tischen und Bänken, in welche die Gäste allerhand schlechte und gute Bemerkungen schnitten. Doch war eben dieses Billard den ältern derselben ein Dorn im Auge; denn sie behaupteten, und vielleicht nicht mit Unrecht, seit seiner Anschaffung sei der Wein schlechter geworden. Abends um sieben oder acht Uhr kamen die ersten Gäste, und es traf sich nicht selten, daß die letzten am andern Morgen die Schatten der Morgendämmerung benutzen mußten, um unerkannt nach Hause zu kommen. Die Gesellschaft war gewöhnlich ziemlich gemischt. Es kamen Welt- und andere Geistliche, um sich verborgen vor der lauschenden, neugierigen Welt ein stilles Vergnügen zu machen, Studenten, Militärs, Literaten, alte Bürger; aber im Ganzen nur solche Leute, die ein gutes Glas Wein zu würdigen verstanden. Zuweilen erschienen auch einige Fremde, deren Wohnung und Beschäftigung Niemand wußte, und man raunte sich über dieselben manch Sonderbares in die Ohren. Den aufmerksamen Beobachtern war es unter Anderm aufgefallen – es wollten's wenigstens einige bemerkt haben – daß die Unbekannten auch beim trockensten Wetter nasse Fußstapfen zurückließen; Andere behaupteten, sie haben grüne Zähne, und das mußte selbst der Wirth eingestehen, daß es ihm geschienen, als habe beim Bezahlen Einer derselben statt Geld Schilfgras herausgezogen; jedoch wie er's ihm in die Hand gegeben, sei's ein funkelndes Goldstück geworden. Doch, wie gesagt, die Leute waren in ihrer stillen Seligkeit viel zu vergnügt, um sich viel um Andere zu bekümmern, auch zu gebildet, als daß sie einem Fremden mit unbescheidenen Fragen zu Leibe gegangen wären; und die Unbekannten betrugen sich sehr anständig, tranken, wenn sie kamen, viel vom besten Wein, machten dabei wenig Scandal, und sangen nur zuweilen ein unbekanntes Lied, dessen Refrain so hieß:
Auf den Rhein Beim Mondenschein, In den Rhein, Wenn's regnet. |
Und auch dagegen war nichts einzuwenden, denn ein Censor, welcher sich auch zuweilen hier still vergnügte, hatte erklärt, es seien in diesem Liede durchaus keine bösartigen Ausfälle gegen den Staat. In dem Punkte nämlich war der Wirth sehr strenge.
Eine andere originelle Figur unter den täglichen Gästen war ein junger Mann, von dem auch Niemand wußte, wer er war, was er that, und womit er sich beschäftigte. Er kam beinahe jeden Abend, sprach sehr wenig und blieb sitzen, bis die Letzten gingen, denen er sich anschloß und sie jedesmal bis zu einer gewissen Stelle der Straße begleitete, wo man den Rhein sehen konnte. Da entfernte er sich schweigend und setzte sich an die Mauer auf einen großen Eckstein, welchen er, so sagten die Leute, die hier herum wohnten, im Laufe des Tages selten verließ. Deswegen, und weil man seinen wirklichen Namen nicht wußte, nannte man ihn nur den Herrn von Eckstein, eine Benennung, die ihm zu gefallen schien; denn er erwiederte diese Begrüßung bei seinem Eintritt stets mit freundlichem Lächeln. Daß seine sonderbare Kleidung, von den seltsamsten Farben und ganz barok im Schnitt, jemals Mode gewesen, erinnerten sich auch die ältesten Gäste nicht. Anfangs war diese schweigsame Erscheinung den guten Cölnern verdächtig gewesen; nach und nach aber hatten sie sich an den Herrn von Eckstein so gewöhnt, daß ihnen etwas fehlte, wenn er, was übrigens höchst selten geschah, einen Abend ausblieb.
Ferner war in diesem Kreise froher, kluger Zecher oben genannter Weltgeistliche, der Herr Barbatus, zu bemerken. Derselbe versah alle Funktionen eines öffentlichen Ministeriums. Er pflegte die Reden zu halten, welche allenfalls nöthig waren, und war bei kleinen Streitigkeiten die höchste Instanz; ein sehr freundlicher Mann, wenn er einmal den zwölften Schoppen geleert hatte; vor diesem Zeitpunkte aber war er einsylbig, warf viel mit Brocken schlechten Lateins um sich und behielt den Hut auf dem Kopfe. So lange dieser Zustand dauerte, war es sehr still »Im Kreise rings«; aber wenn der Herr Barbatus sein dreizehntes Fläschchen nahm und sein Dreieck lüftete, so summte und krabbelte es vergnüglich in dem Zimmer, als habe man von einer Schachtel voll Maikäfer den Deckel abgenommen. Im Ganzen wurde der Ton sehr anständig gehalten. Zotenlieder waren ganz und gar verboten; überhaupt hörte der Herr Barbatus nicht gern, wenn gesungen wurde, und pflegte häufig beim Anfang eines Liedes, das ihm nicht behagte, seinen Hut wieder aufzusetzen, was dann als Beweis seiner höchsten Unzufriedenheit vom singenden Publikum durch Aufgeben des Gesanges respektirt wurde.
Eines Abends hatte Herr Barbatus seinen Hut abgenommen, und es herrschte im stillen Vergnügen laute Fröhlichkeit. Fleißiger als sonst war den Schoppen zugesprochen, und bald strotzten die Himmelreiche von Seligen. Draußen fegte ein rauher Wind und rasselte zuweilen an den Fenstern hin, als beneide er die in der Stube Sitzenden und wolle auch herein; doch abgehalten durch die fest verschlossenen Fenster, flog er unter das Unkraut vor der Thür und koste mit demselben. Ein Nachtwächter, welcher sich heute Abend in diese Gegend verirrt hatte, erzählte später seinen Bekannten, er habe unter dem Gras und Kraut auf dem Platz vor dem stillen Vergnügen in jener Nacht deutlich lachen und menschlich flüstern hören. Auch einer der Gäste in der Stube, welcher am Fenster gesessen, wollte etwas bemerkt haben: wenn der Wind zuweilen eine der Schilfpflanzen, deren am Hause viele wucherten, in die Höhe gejagt, so sei dieselbe an's Fenster gefahren und habe mit einem verzerrten menschlichen Gesichte in die Stube geschaut.
Dem sei nun, wie ihm wolle, es ging in der Schenke heute besonders lustig zu. Oben am Tisch saß Herr Barbatus in stiller Majestät und sprach emsig mit dem Herrn von Eckstein, der ihm nur ein kurzes Lächeln und zuweilen ein paar abgebrochene Sätze zur Antwort gab. Neben ihm hatten sich ein paar Studenten gelagert und unterhielten sich mit einigen Freiwilligen über Subordination; jedoch schienen sich ihre Ansichten hierüber nicht recht vereinigen zu können Weiter unten saßen einige Bürger mit weinseligen Gesichtern, und das Ende des Tisches hatten vier der Fremden eingenommen, von denen oben die Rede war. Das waren aber in der That seltsame Gestalten. Der eine hatte eine stolze, schlanke Figur und feine Manieren, zu welchen das zartbleiche Gesicht mit interessanten Zügen sehr gut paßte; ein zweiter, von starkem, untersetztem Körperbau, hatte dazu einen Kopf, der sich auch nur auf diesem Körper gut ausnehmen konnte, ein scharf markirtes rothes Gesicht, in welchem ein paar funkelnde Augen einen absoluten Willen aussprachen. Beide schienen des Befehlens gewohnt zu sein; nur, glaube ich, gebot der erste, indem er ruhig auseinandersetzte, das, was er wolle, sei unumgänglich nothwendig; er überzeugte, wogegen der andere kurz sprach: ich will! und wehe, wer sich ihm widersetzte! Ein dritter der Fremden sah aus wie der etwas leichtfertige Sohn einer anerkannt großen und mächtigen Familie, etwa wie ein Erbprinz, dem es mehr darum zu thun ist, tolle Streiche zu treiben, als durch gesetzliches Betragen seinem künftigen hohen Stande Ehre zu machen, ein Shakespeare'scher Prinz Heinz. Die vierte Person schien eine untergeordnete Stellung einzunehmen und hatte dabei ganz das Air eines Magisters der schönen Künste.
»Theuerster,« sprach oben am Tisch zum Herrn von Eckstein der Herr Barbatus, »lassen Sie mich doch endlich einmal etwas über Ihre früheren Schicksale vernehmen. Bezeichnen Sie mir doch Ihre Wohnung; ich möchte Sie gar gern einmal besuchen;« worauf der andere entgegnete: »Weiß ich doch selbst nichts von meinem frühern Leben, habe mich nur so gekannt, wie ich jetzt bin, nicht kleiner, nicht größer, nicht jünger, nicht älter.« – »Sie waren aber doch einmal gewiß,« sagte Herr Barbatus, »ein charmantes Kind. Erinnern Sie sich denn der fröhlichen Zeit nicht mehr, wo Sie Fenster einschmissen und die Schule schwänzten? –»Nein, Herr Barbatus.« – »Von Ihrer ersten Liebe, Herr von Eckstein, müssen Sie mir erzählen. Und was haben Sie gelernt? was studirt? oder in welchem Geschäfte haben Sie gearbeitet?« – »Ich habe nie gelernt, nie studirt, auch nie gearbeitet,« sagte Eckstein. »So, so,« entgegnete Herr Barbatus; »aber was sind Sie denn eigentlich? Was stellen Sie in der Welt vor? – »Ich?« sagte Eckstein, »eigentlich gar nichts.«
»Sehr sonderbar,« meinte Herr Barbatus; »aber Sie müssen doch irgend eine Erinnerung haben, z. B. wo fühlten Sie zuerst, daß Sie da waren, daß Sie lebten? Wann tranken Sie den ersten Schoppen?« – »Eines Morgens,« erzählte Eckstein sehr gleichgültig, »muß mich der Wind in den Hof eines Hauses hineingeweht haben; denn von einem sehr harten Falle auf den Boden erwachte ich und fühlte, daß ich da sei. Ich bin bald aus dem Hause geworfen worden, indem die Leute meinten, ich sei ein Dieb. Darauf, weil ich sehr müde war, habe ich mich nicht weit von dort auf einen Eckstein gesetzt, wo ich noch jetzt regelmäßig jeden Tag sitze, weil es mir da gefällt und ich sonst nicht weiß, was ich machen soll. Eine einzige, aber sehr dunkle Erinnerung habe ich von einem frühern Dasein; ich glaube nämlich, daß ich vor langer Zeit irgend ein König gewesen bin.« – –
»Aber die Subordination,« schrie einer der Studenten »ist eine höllische Erfindung. Also wenn so ein Lieutenant zu Ihnen sagt: »Herr, Sie sind ein Esel!« so antworten Sie mit der größten Unterwürfigkeit: »Sehr wohl, Herr Lieutenant?« – »Freilich,« sagte der Unteroffizier. – »Und wenn Sie dagegen sprächen: »das sind Sie selbst, Herr Lieutenant«, so –« – »Käm' ich in Arrest.« – »Und wenn Sie nun, denn das könnte doch auch vorkommen, einmal unschuldig in Arrest kämen, wie revanchirten Sie sich denn?« – »Ich bedanke mich für die gnädige Strafe,« entgegnete der Unteroffizier.
»O weh, die Welt geht unter, Es sprang dem Faß ein Reif!« |
jauchzte der Student, so daß der Herr Barbatus bestürzt nach seinem Hute griff.
Mittlerweile fing der Wein im ganzen Kreis an zu wirken. Eckstein schüttelte vergnüglich seinen Kopf und schnitt dazu allerhand seltsame Grimassen, welche Barbatus stets mit unmäßigem Gelächter begleitete. »Ei, Herr König,« lachte er, »soll ich Ew. Majestät nicht eine Krone anfertigen? He, einen Bogen Goldpapier, wenn er zu haben ist!« Der Wirth hatte von der letzten Weihnachtbescheerung zum Glück einen erübrigt, welchen er diensteifrig nebst einer Scheere herbeibrachte. Schnell machte sich Barbatus darüber her und hatte in kurzer Zeit eine saubere Krone fertig, die er dem Herrn von Eckstein vermittelst einiger Stecknadeln um den Kopf befestigte. Der nahm sich aber sehr sonderbar unter dem Schmucke aus. Das Gesicht, welches er demselben zu Gefallen machte, war steif und hölzern, wie das eines Kartenkönigs aus der Stralsunder Fabrik. Diese Aehnlichkeit mußte einem der Studenten auffallen, denn er schlich zum Zimmer hinaus und kehrte bald mit einem alten Kegel und einer Kegelkugel zurück, mittelst deren der Herr von Eckstein sogleich mit Reichsapfel und Scepter ausstaffirt wurde, so daß die ganze Versammlung in ein schallendes Gelächter ausbrach. Nur dem Könige selbst schien die Sache nicht lächerlich. Mit ernster Miene wandte er sich zu dem Herrn Barbatus und sagte ihm leise: »Es werden mit der Zeit alle Erinnerungen in mir deutlicher. Ich war früher gewiß und wahrhaftig der Ecksteinkönig.« – »Ja früher,« entgegnete Barbatus mit weinschwerer Zunge, »ich glaube das selbst, und ich müßte mich sehr irren, wenn ich mit dero Majestät nicht einmal Solo gespielt hätte.«
Auch unten am Tisch trieben die sonst so stillen Fremden allerlei wunderliche Possen. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und gaben ganz eigene Töne von sich, Gesang war's nicht zu nennen. Bald glaubte man mitten unter Wasservögeln zu sein, dann schien man sich wieder in einem Teiche unter jungen Fröschen zu befinden; jetzt hörte man scharfe Klänge, wie wenn man mit dem nassen Finger auf dem Rand eines Glases schleift, gellend und markdurchbohrend. Auch die Unteroffiziere und die Studenten waren sehr laut in ihrer Weise. – Selbst der Herr Barbatus hatte seine Scheu vor dem Gesang abgelegt und brummte halblaut vor sich hin:
Lieber Mond, du gehst so stille Durch die Abendwolken hin. |
Kurz, das stille Vergnügen hatte sich in ein sehr lärmendes umgewandelt.
»Ist es denn wahr,« sprach da auf einmal einer der Studenten zu dem ihm zunächst sitzenden Fremden, »daß Sie grüne Zähne haben? Machen Sie doch gefälligst Ihren geehrten Mund etwas auf, damit ich sehen kann.« Der Fremde aber brach in ein gellendes Lachen aus und hielt dem Studenten zur Antwort seine Hände entgegen, aus welchen klare Wasserstrahlen über den Tisch und die sämmtlichen Gäste hinfuhren. Zugleich traten seine Augen aus dem Kopf, und das ganze Gesicht verzog sich zu einem Fischhaupte. Im nüchternen Zustande würden sämmtliche Anwesende über diesen Anblick sich nicht wenig entsetzt haben, aber der Dunst des Weines hatte ihre Augen mit so vielen bunten Ranken umsponnen, daß sie bei sich selbst nicht recht einig waren, ob das wirklich geschehen, was sie da sahen. Nur der Student war entsetzt zurückgefahren und hatte dem Unbekannten eine Flasche an dem Kopf geschleudert, welche in tausend Scherben zersprang, die derselbe ruhig abschüttelte und sich durch einige Fische, Eidechsen und anderes Gewürm rächte, welches er aus seinen Fingerspitzen dem Musensohn in's Gesicht springen ließ. Dieser erhob ein gräßliches Geschrei und brüllte Mord und Zauberei, daß alle Anwesenden erschrocken von ihren Sitzen auffuhren. Nur der Ecksteinkönig blieb ruhig auf seinem Platz sitzen und lächelte vor sich hin. Der Herr Barbatus, dem auch einige Wasserstrahlen das Gesicht etwas abgekühlt hatten, setzte seinen Hut auf, und es war komisch anzusehen, wie seine vergnügt zuckenden Mundwinkel wie Blitze rechts und links in die Backen fuhren und da einige ernste Züge hervorsuchten, mit welchen er folgende Worte würdig begleitete: »Unüberlegter Unbekannter,« so sprach er mühsam, »junge Fontäne, daß Sie kein menschliches Wesen sind, obgleich Sie einigermaßen so aussehen, ist mir jetzt auf entsetzliche Weise klar geworden. Lassen Sie ab von Ihrem dämonischen Treiben. Haben Sie vielleicht früher auf irgend einem Brunnen gestanden und sind hinabgestiegen, weil Ihnen das Wasser nicht mehr mundete, so ist diese That zu loben. Ist aber die Zeit Ihres gespenstischen Wandels verflossen und Sie glauben wieder auf Ihrem Platz zu stehen, da Sie anfangen, Ihre Strahlen springen zu lassen, so erlaube ich mir, Ihnen unterthänig zu bemerken, daß das nicht der Fall ist, und Sie haben nur ungefähr die Gegend zu bestimmen, wohin Sie gehören, so werden wir uns ein Vergnügen daraus machen, Sie nach der Richtung zu einem Fenster oder der Thür hinauszuwerfen.«
Das Wort Hinauswerfen schlug, wie die Feuerglocke zur Nacht an das Ohr der Schlafenden, an die taumelnden Sinne der Unteroffiziere und Studenten. Im Nu drängten sie sich an die Fremden und suchten dieselben zu fassen. Aber es bedurfte nur einer Handbewegung, und die Angreifer prallten drei Schritte zurück. Der große bleiche Mann öffnete den Mund und sprach zum erstenmal, aber mit donnernder Stimme: »Sind das die Regeln eurer Gastfreundschaft, unredliches Menschenvolk? Machen wir es eben so, wenn ihr in unser Reich eindringt? Sind wir euch hinderlich und necken euch, wenn eure unbeholfenen Leiber sich in unser klares, reines Wasser wagen? Freilich sind wir nicht eures Gleichen, wir sind Prinzen des Wasserreichs. Seht in mir den Fürsten von der Mosel. Ich war es, der im Keller des Hauses hier meine Unterthanen rein erhielt und sie vor der Wasserpumpe des Wirths bewahrte.«
»Und ich,« rief der zweite der Fremden mit dem rothen Gesicht, »bin der Graf von Walportsheim. Oft bin ich dem Küfer als Gespenst in den Weg getreten, oder hab' ihm ein unheimliches Wort in die Ohren geflüstert, wenn er das Blut meines edlen Volkes mit schlechtem Drachenfelser mischen wollte. – »Und daß ihr undankbaren Geschöpfe,« rief der Dritte, »in diesem geringen Hause ein Glas guten Rheinwein trankt, habt ihr mir zu danken. Ich bin der Prinz Pips, Vetter Seiner Majestät vom Rhein, und für eure Unhöflichkeit will ich euch jetzt mit Wasser regaliren.« Und stärker und stärker schossen die Wasserstrahlen aus den Fingerspitzen des Prinzen.
»Nixen und Wassermänner!« stöhnte Barbatus und sank in seinen Stuhl zurück. »Hebt euch von hinnen, ihr Gespenster, im Namen – –« – »Alberner Mensch!« unterbrach ihn der Fürst von der Mosel, »glaubst du uns durch deine ohnmächtigen Formeln hinwegschrecken zu können? Glaubst du, ihr seid höhere Wesen, die einzigen vom Schöpfer anerkannten, und ein Wort von euch reiche hin, uns verschwinden zu machen? Dankt es unserer friedfertigen Natur, daß wir nicht längst von unserem Grunde aufgestiegen sind und uns auf dem Lande die Macht angemaßt haben, welche wir unbeschränkt im Wasserreiche üben. Fasse meine Hand und fühle, ob dein Fleisch fester ist, als das meinige!« – »Greift sie, greift sie!« stöhnte Barbatus und schlug in der gräßlichsten Angst mit beiden Händen auf den Bauch. »O stilles Vergnügen, dein werd' ich gedenken!«
»Holla ho!« schrie Prinz Pips, wir wollen unsere Unterthanen aus dem Keller abrufen und das Gezücht hier im klaren Wein ersäufen. Heraus ihr Gesellen, und herein ihr draußen!« Er riß das Fenster auf, zu welchem der Wind, der noch immer heftig tobte, Schilfpflanzen und Wasserblumen, auch sonderbar geballte Nebel hereinjagte, die sich in der Stube zu seltsamen Gestalten umwandelten. Hier sprang ein ungeheurer Frosch, da eine riesige Eidechse. Große Fische schlüpften zwischen den vor Entsetzen angefesselten Menschen herum und schnappten ihnen nach den Beinen. Unten im Keller begann es zu klingen und zu klappern; es rutschte und rollte die Treppe herauf, es klirrte und drängte gegen die Stubenthür, welche aufspringend ein unermeßliches Flaschenheer in die Stube ließ. Rhein-, Mosel- und Aarweinflaschen rollten herein, sogar einige Champagnerflaschen hatten sich im allgemeinen Strudel mit fortreißen lassen. Es war ein gräßlicher Anblick, ein betäubender Spektakel: das Knirschen der Flaschen, indem sie sich an einander drückten und drängten, dazwischen das Quicken und Grunzen der Wasserthiere, wozu der Prinz immer gräßlicher lachte und sich bald lang, gleich einem Aal ausreckte, bald wie eine Schildkröte zusammenkroch. Auch hatte er schon so viel Wasser von sich gegeben, daß der Fußboden über einen Schuh hoch damit bedeckt war.
»Wollt ihr meine grünen Zähne sehen, ihr Menschenvolk?« lachte der Fürst von der Mosel, und der Graf von Walportsheim schüttelte sein Haupt, um welches statt Haare große lange Wasserpflanzen flatterten, mit welchen er den Anwesenden im Gesicht herumfuhr. Er rief: »Auch habe ich grüne Haare! seht meine grünen Haare! Jawohl, ich bin ein Wassermann!« – »Auch ihr,« jauchzte der Prinz dazwischen, »sollt Wasser-, nein Weinmänner werden! Holla, Gesellen! kommt, liebenswürdige Weine, rächt euch an diesen Gestalten, die schon so vielen der eurigen in ihrem Magen ein schlechtes Ende bereitet haben. Steigt heraus und ersäuft sie! Heraus, heraus!«
Hui, wie flogen die Pfropfen der Flaschen, wie zerborsten die, denen er zu fest auf dem Halse saß. Roth und weiß floß der Strom durcheinander und von Minute zu Minute stieg die Fluth. Wollten die unglücklichen Menschen zur Thür oder zum Fenster hinaus, so traten ihnen die greulichen Wasserscheusale entgegen oder sonst eine der wüsten Gestalten, welche das Haus umliefen, es bewachten und Niemand hinausließen. In halber Ohnmacht lag Barbatus in seinem Stuhl und schaute mit gebrochenem Auge in die Verwüstung. Ecksteinkönig dagegen saß so gravitätisch wie früher, Scepter und Kugel in der Hand haltend, und lächelte.
Um sich vor dem sichern Wassertode wenigstens eine Zeit lang zu retten, warfen sich die Studenten, Unteroffiziere und Bürger gegen das Billard und versuchten es von allen Seiten zu erklettern. Aber es schwankte wie ein Boot im Rhein, und manche fielen mehrmals in's Wasser, ehe sie den rettenden Bord erreichten. Unvermögend, sich zu rühren, war Barbatus sitzen geblieben; jetzt wehrte er sich mit aller Kraft der Verzweiflung gegen einen ungeheuren Krebs, welcher sich bemühte, ihm mit seiner Scheere den dreieckigen Hut vom Kopf zu ziehen. Mit einer Hand schüttelte er den Eckstein und versuchte, ihn aus seinem phlegmatischen Ruhe zu zerren. »Rette mich, Majestät!« stöhnte er. »König, hilf! schlag mit deinem Scepter das Unthier zu Boden! Hülfe. Hülfe!« Ruhig ließ dieser das Stück Holz, welches er in der Hand trug, auf den Kopf des Thiers fallen, das sogleich vom Geistlichen abließ und in die Fluth tauchte.
Da stürzte der Prinz hinzu. »Wie, du Kartenkönig,« rief er, »du wagst es, meine Freunde zu schlagen? Herbei, herbei, lieben Thiere! Kneipt ihn, erwürgt diesen König!« Eine Masse der häßlichsten Thiere kam herangeschwommen; doch kaum hatten sie sich dem König genähert, so prallten sie zurück und umkreisten ihn scheu in einiger Entfernung, und selbst der Prinz wich vor dem todten, bleifarbenen Auge zurück und wagte nicht, ihn anzusehen. »Wer bist du?« fragte der Prinz. – »Der Ecksteinkönig hochseligen Andenkens.« – »So geh' in dein Grab, wenn du selig bist,« rief der Graf von Walportsheim, »und stör' uns nicht in unserem Vergnügen, du Gespenst!« – »Wenn ich schlafen könnte, gern, denn ich bin sehr müde,« entgegnete der Eckstein. – »O du Kartenkönig!« rief der Prinz; »ich will dich zur Ruhe bringen, Gespenst. Ein Aß her! ein Ecksteinaß. ich will den König stechen!«
Da brach plötzlich ein freundlicher Strahl der aufsteigenden Morgensonne in das Zimmer der Schenke zum stillen Vergnügen. Im Stuhle lag ausgestreckt der Herr Barbatus und war todt. Vor ihm stand der Wirth und wischte ihm das Blut ab, welches an seinem Munde geronnen war. Wahrscheinlich hatte ein Schlaganfall sein Herz gebrochen. – Auf dem Tische lag ein alter Ecksteinkönig, der zu keinem vorhandenen Spiele passen wollte und den der Wirth deßhalb zum Fenster hinauswarf. Von den Gästen, welche vergangenen Abend hier gewesen waren, ist ferner keiner gekommen, denn der Wein soll ihnen so entsetzliche Träume verursacht haben, daß Einige im Ernste behaupteten, es seien hier Sachen vorgefallen, die sie nicht zum zweiten Mal mit ansehen wollten. – Den größten Schaden aber hatte der Wirth. Der Herr Barbatus war todt, der Herr von Eckstein ließ sich nie mehr sehen, und was noch schlimmer war, in dieser Nacht waren im Keller die vielleicht morschen Weingerüste gebrochen und fast sämmtliche Flaschen herabgefallen, zertrümmert und ausgelaufen.