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Wenn ich im Buche meiner Erinnerungen nachblättere, und meiner Freunde und Bekannten von ehemals gedenke, so kommt mir häufig einer derselben ins Gedächtniß, ein guter gemüthlicher Mensch, der seines Zeichens ein Apotheker war, und mit dem ich lange Zeit auf's Freundschaftlichste zusammenlebte. Wir wohnten nicht in einem und demselben Hause, nur in derselben Stadt. Ueber seinem Quartier war ein goldener Löwe angebracht und vor dem langen viereckigen Gebäude, in welchem ich campirte, standen zwei alte Kanonen und neben ihnen zwei Kanoniere, mit dem Säbel in der Hand, Schildwache. Wo wir uns eigentlich kennen lernten, kann ich nicht angeben und, obgleich wir, was Neigung und Verhältniß anbelangte, nicht sehr zusammenpaßten, so wurden wir doch ganz gute Freunde.
Schmidle, so hieß der Apotheker, war ein Schwabe und von unserm Herrgott nicht mit überflüssiger Körperschönheit begabt; doch hatte er an gutem Aussehen, was man für's Haus braucht, und war, wie eine alte Tante von mir in ähnlichen Fällen zu sagen pflegte, vor Ach! und Pfui! bewahrt. Das soll nämlich heißen: vor »Ach, wie schön!« und »Pfui, wie häßlich!« Schmidle konnte sogar, wenn er Sonntags seinen schwarzen Frack mit allem dazu Notwendigen und Passenden anzog, für einen hübschen eleganten Menschen gelten, und einen gewissen süßen Kräuter- und Medicamenten-Duft abgerechnet, der nicht aus seinen Kleidern zu vertreiben war, hätte man es ihm alsdann nicht ansehen, oder vielmehr anriechen können, in welcher Branche er der leidenden Menschheit diente. Ja, man hätte ihn zuweilen für einen jungen Cavalier halten können, vielleicht für einen Offizier in Civil, denn er verstand es, wie diese Leute, sein Halstuch mit einer gewissen lockern Eleganz zu knüpfen und an seinen Handschuhen hatte er beständig ein Knöpfchen abgerissen. Auch setzte er seinen Hut ganz gerade auf den Kopf und ließ sich an Sonn- und Feiertagen gern die Stiefeln lakiren. Dabei war er von einer Gutmütigkeit und hatte einen Glauben an die ganze Menschheit, der an Schwäche gränzte. Er that für seine Freunde, was er nur immer konnte, und seine Börse, die, da er einiges Vermögen hatte, beständig wohl gefüllt war, öffnete sich jedem Hilfsbedürftigen mit einer Ausdauer, die ans Fabelhafte gränzte. Was dieser Charakter, der, wie ich genugsam dargethan, als Mensch vortrefflich war, als Apotheker galt, ach, darüber war in dem ganzen Stadtviertel, das zur Löwenapotheke gehörte, nur eine Stimme, besonders bei dem dienenden Personal, mit dem Schmidle hauptsächlich verkehrte. Es mußte schon wahr sein, was die Leute sagten, daß der alte mürrische Prinzipal, ein Hagestolz in den Sechzigen, seinen ersten Gehilfen außerordentlich liebte, denn Schmidle zog durch seine ungemein freundliche Persönlichkeit eine Unmasse baaren Geldes an sich, das sonst in die Ladentische anderer Apotheken geflossen wäre. Alle Mägde und Hausknechte, die von ihrer Herrschaft ausgeschickt wurden, irgend etwas zu holen, ohne daß ihnen die Apotheke angegeben wurde, zogen in den Löwen und dort warteten sie lieber halbe Stunden lang an der Thür, wenn Herr Schmidle vielleicht gerade beschäftigt war, ein Zeichen der Popularität, das die andern Gehilfen und selbst den damaligen rothhaarigen Lehrling mit Neid erfüllte.
Es hat aber auch wohl nie in der Christenheit einen zweiten Apotheker gegeben, der die Leute so zu fassen und zu behandeln wußte, wie mein Freund. Seine stehenden Kunden kannte er fast alle auswendig und er sah den goldbetreßten Bedienten dieses und jenes Cavallerie-Offiziers nicht selten an der Nase die Bedürfnisse an, die sie in die Apotheke führten, und wenn diese Herren selbst kamen und im Beisein anderer Leute gleichgiltig vom Wetter und dergleichen sprachen, griff Schmidle mit einem vielsagenden Blick oder dergleichen hinter sich, und traf in den meisten Fällen das Rechte. Den stolzen Dienerschaften noch stolzerer Herrschaften, die sich auf ihren Livréerock etwas zu gut thaten und die es unserm Herrgott nie verzeihen konnten, daß die Bäume anstatt grün nicht gelb oder blau, wie die Wappenschilder ihrer Kutschen waren, wußte er durch bunte glänzende Papiere mit denselben Farben zu schmeicheln, und auf dieselbe Art behandelte er alle Köchinnen und Stubenmädchen, die ihm einmal anvertraut, während er ihnen eine Medizin anfertigte, die nicht gekocht zu werden brauchte, und worauf sie warten konnten, daß Indigoblau oder Ponceauroth ihre Leibfarbe sei. Selbst beim Beschreiben der Etiketten und Pillenschachteln wußte er Unterschiede zu machen und Nuancen anzubringen, die wohl im Stande waren, das Herz einer gefühlvollen Kammerjungfer zu bewegen. Den Befehlshaberton, wie er gewöhnlich bei solchen Aufschriften herrscht, wie z. B.: Alle Stunden einen Eßlöffel voll zu nehmen, wandte er nie allein an, wenigstens setzte er hinzu: w. g. i., das heißt: wenn's gefällig ist. Dies war aber noch die niedrigste Classe, denn seine Bekannten oder öfteren Kunden wurden auf das Höflichste gebeten, doch stündlich einen Eßlöffel voll zu nehmen. Und mit welcher Feinheit verstand er es, dem letzten Schnörkel seiner Schrift durch allerhand Formen eine tiefere Bedeutung zu geben! Man konnte oft einen gewissen Buchstaben daraus lesen oder ein Ausrufungszeichen und nicht selten brachte er sogar ein sinnreichverschlungenes Herz an. War er vielleicht gerade zu sehr beschäftigt, um alle Etiquetten selbst zu schreiben, so unterwarf er doch die vom Lehrling angefertigten einer genauen Revision und fügte gewöhnlich einen Strich oder einen Punkt hinzu, was den betreffenden Stubenmädchen äußerst angenehm war.
Wer aber Schmidle in seiner ganzen Glorie sehen wollte, der mußte die Löwenapotheke an einem Samstag Abend besuchen. Alsdann wurde von dem dienenden Personal des ganzen weiblichen Stadtviertels vor der Apotheke förmlich Queue gemacht, und man konnte Stunden lang warten, bis man zu Schmidle hingelangte, der, hinter einem großen Topfe stehend, mit einer Feinheit und Grazie Pomade austheilte, die an's Unglaubliche gränzte. Neben sich hatte er eine ganze Batterie mit Flaschen von wohlriechendem Oel, und er wußte recht genau, welche von seinen Kunden den Duft der Rose dem der Nelke vorzog, oder welche zu ihrer Pomade einen stärker- oder schwächerriechenden Beisatz bedurfte. Kein Tag, keine Stunde, kein böses oder schlimmes Wetter war im Stande, die liebenswürdige Laune Schmidle's zu verderben, ja selbst in der Nacht, wenn er aus dem süßen Schlummer geweckt wurde, ließ er sich nicht, wie die Apothekergehilfen im Allgemeinen, einige Dutzend Mal durch den Ton der Klingel rufen, ehe er wirklich kam, um alsdann obendrein noch bärbeißig und verdrießlich zu erscheinen; nein, auch in solchen Stunden behandelte er die armen Dienstboten in den meisten Fällen so ausgezeichnet, daß sie sich noch lange daran mit Freuden erinnerten.
Aber bei allen diesen Vorzügen Schmidle's, bei allen diesen liebenswürdigen Eigenschaften meines Freundes kann ich doch nicht umhin, des Spruches zu erwähnen, daß, wo viel Licht, auch viel Schatten ist. Mein Freund war nur der vortreffliche Mensch, wie ich ihn eben geschildert, so lange er sein und scheinen wollte, was er wirklich war, nämlich erster Gehilfe der Löwenapotheke, mit einem Worte, so lange er sich natürlich gab, wie ihn Gott geschaffen. Aber daß er dies nicht immer that, daß er einen Drang in sich fühlte, so wie er den schwarzen Frack angezogen und die Thüre des Laboratoriums hinter sich zugemacht hatte, etwas anderes sein zu wollen, als ehrsamer Apothekergehilfe, dies war die Schattenseite des sonst so vortrefflichen Charakters. Man hätte glauben sollen, Jemand, der, wie er, hinter dem Ladentische die Achtung der ganzen Bevölkerung des Stadtviertels besaß, müsse stolz darauf gewesen sein, so in seinem Stand etwas zu gelten, und mit einer Miene auf die Straße hinausgetreten sein, die deutlich verkündigte: Ich bin Schmidle, der geschickte Apotheker. Aber nichts weniger als das. Schon vorhin sprach ich von der Art, wie er seine Halsbinde umband, wie er seinen Hut aufsetzte, seine Handschuhe anzog. Ach, das Alles that er nicht, weil ein inneres Bewußtsein ihm vorschrieb, sich so zu kleiden, nein, er that es nur, um einen höheren Stand nachzuäffen, und da er solcher Gestalt die Götter versuchte, rächte sich das Schicksal bisweilen an ihm und ließ den Armen Niederlagen erleben, die oft durch unbedeutende Kleinigkeiten in der Kleidung herbeigeführt wurden. O es ist eine große Kunst, sich elegant anzuziehen, selbst wenn man auch, wie Schmidle, die Mittel dazu besitzt, und eine noch größere Kunst ist es, sich einer feinen eleganten Kleidung gemäß in jeder Hinsicht zu betragen. Und da Schmidle von Jugend auf keine Gelegenheit gehabt, sich in diesen beiden Künsten zu üben, so folgte die Strafe, daß er seine liebenswürdige Natürlichkeit unter dem Deckmantel einer unpassenden geborgten Eleganz verbarg, ihm gewöhnlich auf dem Fuße nach, indem er sich unzählige Male lächerlich machte, wobei ihm nie seine eleganten Bestrebungen gelangen. Welche Noth hatten wir mit ihm, wenn er eine Champagnerflasche aufmachte, damit er den Pfropfen nicht knallen ließe! Und die großen Kelchgläser mußten wir ihm fast mit Gewalt verbieten, indem es ihm gar nicht passend erschien, den edlen Wein aus gewöhnlichen Gläsern zu trinken. In der Regel ging er alle Jahr einmal zu seinen Eltern auf Urlaub, und fand da Gelegenheit, auf eine Jagd mitgenommen zu werden. Es versteht sich von selbst, daß er den Wildstand bei dieser Gelegenheit auf keine Weise verminderte, denn wenn er auch von Hasen, Füchsen und Böcken erzählte, die er geschossen, so kam man seinem Jägerlatein doch glücklich auf die Spur, indem er erzählte, wie er den Fuchs im jungen Klee getroffen, oder daß der Rehbock, den er erlegt, eben vorsichtig aus seinem Sandloch herausgekommen sei. Das wäre an sich nun nichts Böses gewesen, aber unsere Neckereien über seine Nimrodiaden brachten ihn auf die Idee, aus irgend einem für die Menschheit sehr nützlichen Werke die Jägersprache zu studiren, und als er die meisten vorkommenden Ausdrücke so ziemlich inne hatte, konnten wir uns in unsern Unterhaltungen schlechterdings nicht mehr davor retten. O es war oft rein zum Verzweifeln; nicht, als wenn er diese Ausdrücke nur angewandt hätte, wo sie wirklich hingehörten, nein, es erschien ihm vielmehr höchst elegant, sie in alle seine Gespräche einzuflechten. So konnte er uns von keiner Prügelei zwischen Straßenjungen erzählen, ohne daß er versicherte, der Eine habe schrecklich an seinen Löffeln geschweißt. Die Pferde hatten bei ihm Läufe und alle Haare ohne Ausnahme nannte er Wolle.
Was sein Herz anbetraf, so war es bis zu dem Zeitpunkt, von dem ich jetzt erzählen werde, noch eine jungfräuliche Festung und hatte alle Stürme siegreich abgeschlagen. Nicht als sei er unempfänglich für weibliche Schönheit gewesen und noch viel weniger, als wäre er von dem andern Geschlecht nicht ausgezeichnet worden, im Gegentheil, da Schmidle ein ziemlich anständiges Vermögen besaß, so daß es von ihm hieß, er werde baldigst eine eigene Apotheke kaufen, so wandte sich der Blick manches schönen Augenpaares, das viele andere mit Eiseskälte anblickte, freundlich gegen Schmidle und forderte ihn deutlich auf, sich zu nähern. Aber auch hier traten ihm die Schatten seines Charakters wieder in den Weg, denn eine gutgeregelte bürgerliche Liebschaft schien ihm nicht nobel und elegant genug, und dann hatte er sich auch fest vorgenommen, sein künftiges Ehegespons solle sich durch seine gesellschaftlichen Vorzüge, durch seine eleganten und ritterlichen Manieren zu ihm hingezogen fühlen, kurz, es erschien ihm schrecklich, sich als Apotheker geliebt zu wissen und glauben zu müssen, daß die Liebe seiner Zukünftigen auf sein Vermögen gegründet sei.
Eines Morgens nun, als ich gerade im Begriff war, einigen wenig versprechenden Rekruten die Anfangsgründe der edlen Reitkunst beizubringen – es war an einem Samstag Morgen – erhielt ich ein kleines Billet von Schmidle, worin er mir schrieb: »Bruderherz. Da ich heute Morgen leider viel zu thun habe, so erzeige mir doch den Gefallen und komme, so bald Du kannst, zu mir.« Ich kürzte die Reitstunde so viel wie möglich ab, ging in die Löwenapotheke und fand meinen Freund, indem er sich eifrig damit beschäftigte, irgend ein Tränklein zuzubereiten. Bei meinem Eintritte übergab er dies Geschäft dem zweiten Gehilfen und zog mich rasch in das kleine Stübchen hinter der Apotheke, wo er mir feierlich seinen Stuhl anbot und sich vor mich hinsetzte. Nach einer kleinen Pause, während welcher er mich aufmerksam ansah, als müsse er erspähen, daß ich das große Ereigniß ahne, weshalb er mich herbeigerufen, sagte er mit einem unterdrückten Seufzer: »Du, ich habe mich ganz erschrecklich verliebt.« Ich war über diese Aeußerung nicht wenig erstaunt, doch er ließ mich nicht zur Sprache kommen und fuhr fort: »Ach, es mögen jetzt ungefähr vier Tage sein, als mich der Reisende des Hauses Faber und Comp. – Du weißt, woher wir viele Materialien und Oele beziehen – besuchte und ich darauf, wie gewöhnlich, zu Mittag im englischen Hof mit ihm speiste. O Gott, gegenüber von uns waren ein Paar leere Couverts und nach der Suppe, beim Rindfleisch, erschienen zwei Damen dort, zwei Damen, von deren Schönheit das Herz eines reitenden Artilleristen nicht im Stande ist, sich einen Begriff zu machen. Ich hatte meine gute Laune und entfaltete bei Tische eine Liebenswürdigkeit, die mich selbst in Erstaunen setzte.«
– »Natürlich,« schaltete ich ein, »ließest Du den Champagnerpfropfen gegen die Decke fliegen, und erzähltest von der großen Jagd, wo Du den Fuchs im Kleefeld geschossen.«
»Nicht ganz so,« entgegnete Schmidle. »Ich muß wirklich sehr liebenswürdig gewesen sein, denn die Damen waren es ebenfalls und unsere Bekanntschaft wurde schon den ersten Tag so intim, daß wir mit ihnen Kaffee tranken und sie sich nach Tische noch eine gute Stunde mit uns unterhielten. Auf mich hatte besonders die Eine, die schwarze Haare und ein Paar Lichter im Kopf hatte, o Gott, ein Paar Lichter! den unvertilgbarsten Eindruck gemacht. Denselben Abend ging ich ins Theater, die Damen saßen in der Fremdenloge und nun speise ich jeden Mittag da, und ich muß Dir gestehen, daß ich fast glaube, einigen Eindruck auf das Herz der jüngeren Schwarzen gemacht zu haben.«
– »So,« entgegnete ich, »nur die Eine ist jung, die Andere also alt?«
»Ei ja,« antwortete Schmidle, »es ist eine ältliche Tante mit ihrer Nichte, sonst würde es sich ja auch nicht schicken; zwei junge Damen allein? Du weißt, ich sehe auf so etwas.«
– »Aber sage mir,« entgegnete ich ihm, »was hast Du denn eigentlich mit der ganzen Geschichte vor? Hast Du Absichten auf das Mädchen, oder willst Du sie blos durch Deine unerreichbare liebenswürdige Person unglücklich machen? Höre, Schmidle, Du bist ein entsetzlicher Roué!«
Schmidle schien das selbst zu fühlen, denn er schlug die Augen nieder und entgegnete mir: »Alter Junge, Du kennst meine Verhältnisse, Du weißt, daß mein Vater in mich dringt, mich zu verheirathen, um den Stamm meiner alten Familie fortzupflanzen. Aber vorher –«
– »Willst Du erst ein verfluchter Kerl sein, wie Weinberl im Jux sagt?«
»Das nicht,« antwortete mein Freund, »aber ich möchte erst sehen, ob, nun ja, ob meine persönlichen Eigenschaften im Stande wären, ein weibliches Herz und noch dazu eins aus der höheren Gesellschaft zu fesseln. – Gestern,« fuhr er fort, »gingen sie bei unserm Laden vorbei, ich stand gerade am Fenster, und Du kannst Dir denken, wie ich zurückfuhr. Glücklich haben sie mich auch nicht erkannt, denn Du wirst selbst begreifen, daß ich jeden Mittag im englischen Hof als junger reicher unabhängiger Particulier erscheine.«
– »Richtig,« entgegnete ich ihm,« dafür kenne ich Dich. Aber was kann ich bei der ganzen Geschichte thun? Uebrigens weißt Du, daß ich ganz zu Deinen Diensten bin.«
»Ja,« versicherte Schmidle, und drückte mir warm die Hand. »Das weiß ich. Und deswegen habe ich Dir geschrieben. Du mußt mir einen großen Gefallen erzeigen. Ich glaube, Dir schon gesagt zu haben, daß ich vermuthe, einigen Eindruck auf das Herz der kleinen Schwarzen gemacht zu haben, aber ich fand bis jetzt keine Gelegenheit ihr eine Erklärung zu machen und ihr meine Liebe zu gestehen. Und was das Schrecklichste ist: morgen reisen sie ab. Sie nehmen von hier einen Wagen, und wollen durch unsere herrliche Gegend bis zum Städtchen M. einen ganzen Tag gebrauchen, um unterwegs das königliche Lustschloß mit seinen herrlichen Gartenanlagen zu besehen. Denke Dir doch, in der freien Natur, in den schattigen Gängen treffen wir zusammen. Du beschäftigst Dich mit der Alten, führst sie an den kleinen See und zeigst ihr die melancholisch herabhängenden Trauerweiden. Ich dagegen verliere mich mit der Nichte auf die kleine Anhöhe, wo der Amor steht, und da werde ich schon einen Anknüpfungspunkt finden.«
Wäre es nicht mein Freund Schmidle gewesen, der mir diese Idylle ausmalte, so hätte ich laut auflachen müssen. Aber so kannte ich meinen Mann und willigte mit kurzen Worten in Alles. Er hatte gefürchtet, ich möchte Einwendungen machen, und entzückt über meine Bereitwilligkeit fuhr er freudig fort: »Ich dachte anfänglich, einen Wagen zu nehmen, aber wir müßten dann beständig hintereinander fahren, und dann, gestehe ich Dir offenherzig, sprach ich bei Tische viel von Pferden und vom Reiten, weshalb ich der Meinung bin, daß es weit besser wäre, wenn wir die Partie zu Pferde machten.«
– »O,« entgegnete ich ziemlich überrascht, »zu Pferde! Kannst Du aber auch reiten?«
»Nicht viel, alter Kerl, aber siehst Du, da brauche ich Dich ja wieder. Du trabst den Nachmittag in der Stadt herum und suchst für mich ein sanftmüthiges Thier von gutem Aussehen, dem ich meine Person, meine Hoffnungen und meine Liebe anvertrauen kann. Im englischen Hofe habe ich schon ein Zimmer gemiethet, wo wir die Nacht schlafen werden. Du kommst natürlich in Uniform und bist mein Freund, ein angehender Offizier aus einer benachbarten Garnison, und am Morgen, kurz nachdem die Damen abgefahren sind, schwingen wir uns auf und folgen ihnen.«
– »Abgemacht!« sagte ich. »Ich werde jetzt alles Nöthige besorgen. Und wo treffen wir uns?«
»Gegen acht Uhr im englischen Hof,« antwortete er mir, »denn Du weißt,« setzte er kleinlaut hinzu, »ich muß vorher alle Stubenmädchen der Stadt mit Pomade versehen.«
– »So will ich lieber um die Zeit hierherkommen und Dir helfen,« entgegnete ich.
»Nein, nein, es ist besser,« sagte Schmidle, »Du erwartest mich um acht Uhr im englischen Hof. Adieu!«
– »Adieu!« – –
Ich ging nun, der Bitte meines Freundes gemäß, in die Stadt zu einem mir bekannten Pferdevermiether und suchte für meinen Freund Schmidle einen Klepper, wie er ihn nur wünschte. Das Thier hatte früher einem Stallmeister gehört, war also sehr gut zugeritten, und wenn auch die Zeit schon mit harter Hand über seine Glieder gefahren war, so konnte es sich unter der Faust eines guten Reiters noch immer ein stattliches Ansehen geben. Die Hauptsache war, das Pferd war sicher, hatte einen angenehmen Trab, und wenn es einmal warm geworden war und die Steifheit seiner alten Glieder etwas überwunden hatte, so ging der alte Gaul herrlich vom Fleck. Dabei war er, wenigstens unter meiner Hand, lammfromm. Ich suchte für meinen Schmidle noch eine Schabrake unter den Sattel aus, von schwarzer Farbe, die ihm nothwendig gefallen mußte. Darauf schlenderte ich in der Stadt umher, speiste irgendwo zu Mittag und kam erst Nachmittag gegen vier Uhr in meine Kaserne zurück, wo ich sogleich des Hausknechtes aus der Löwenapotheke ansichtig wurde, der mich erwartete. Auf dem Arm hatte er einen vollständigen Anzug Schmidle's hängen, den er meinem Burschen übergab, und mir selbst händigte er ein Billet ein mit dem kurzen Inhalte: »Lieber Bruder, erzeige mir doch den Gefallen und laß' meine Kleider bis acht Uhr in den Stall hängen, daß sich ihr Kräuterduft etwas verliert; und wenn sie dagegen etwas Stallgeruch annehmen, ist es noch besser.«
Ich that nach seiner Bitte und ließ den ganzen Anzug an einem Theil des Stalles aushängen, wo Schmidts Wunsch auf's Kräftigste in Erfüllung ging. Als es acht Uhr geschlagen hatte, verfügte ich mich in den englischen Hof und Schmidle ließ nicht lange auf sich warten. Seine erste Frage war, ob ich das Pferd für ihn ausgesucht, und als ich ihm dies versicherte, wollte er es anfänglich durchaus sehen. Doch nachdem ich ihm auseinandergesetzt, das Thier müßte auf den morgenden scharfen Ritt nothwendig seine Ruhe haben und es würde durch unsern Besuch sehr darin gestört, so fand er diese Gründe kräftig genug, und wir gingen auf unser Zimmer, eigentlich in unsere Zimmer, denn es waren ihrer zwei. Doch Schmidle zeigte gleich auf die Thür, welche in das zweite führte, wobei er auf den Zehen schlich und mir anvertraute, indem er den Finger auf den Mund legte, daß jenes an das Schlafgemach der kleinen schwarzen Dame stoße.
Der gute Schmidle war heute Abend in einer seltsamen Aufregung und Unruhe. Als nach einer halben Stunde mein Bursche den durchräucherten Anzug brachte und der Hausknecht der Löwenapotheke ein Paar Stiefeln mit darangeschraubten schweren neusilbernen Sporen, mußte Alles vorher anprobirt werden, damit er sicher sei, ob auch Hosenträger und Sprungriemen in bester Harmonie seien und ihn an einem eleganten Sitz nicht hinderten. Nach vielem Schnallen und Anprobiren war endlich Alles in Ordnung, und da nun Schmidle einmal seine Sporen an den Füßen hatte, legte er sie nicht wieder ab, sondern stolzirte mit klirrenden Schritten in dem Zimmer umher, wobei er sich hauptsächlich in dem zweiten aufhielt und dort eine Mazurka pfiff, die er einstens gelernt, wobei er mit den Absätzen wie wüthend aufeinander schlug. So wurde es spät, wir speisten zu Nacht und machten es uns so bequem wie möglich, um bei einer Flasche Wein über die morgende Tour zu sprechen. Hierbei bemerkte ich, daß, so oft mein Freund von seinem Pferde sprach, er tiefer athmete als gewöhnlich und daß er das Gespräch immer auf Unglücksfälle zu lenken wußte, die beim Reiten vorkämen, woraus ich denn nicht ohne Grund schloß, daß Schmidle's Freude auf die morgende Partie durch einige beträchtliche Angst vor dem Reiten sehr gedämpft wurde. Das konnte man ihm aber auch nicht übel nehmen, denn mit vieler Offenherzigkeit vertraute er mir: morgen sei es das zweite Mal, daß er ein Pferd besteige, und obendrein liege zwischen diesen beiden wichtigen Ereignissen ein Zeitraum von circa fünfzehn Jahren. Im Allgemeinen gab ich ihm einige Verhaltungsregeln, zeigte ihm an einem Stricke, wie er die Zügel halten müsse, und damit er sich gleich morgen früh vor Hausknecht und Kellnern keine Blöße gebe, stellte ich mich an ein Ende des Sophas, welches wir als Pferd annahmen und er mußte auf die linke Seite herantreten, den linken Fuß aufheben, als setzte er ihn in den Bügel und sich mit dem rechten über den Sitz schwingen. Am Meisten examinirte er mich über das Durchgehen der Pferde und wie man sich bei einem derartigen Fall am Besten zu benehmen hätte. Vor einem solchen Ereigniß hatte er überhaupt die größte Angst und wie schon gesagt, obgleich es mir leid that, diese Furcht noch mehr zu vergrößern, drang er doch so lange in mich, bis ich ihm einige schauderhafte Fälle von durchgehenden Pferden und nachgeschleiften Reitern erzählte. Es ging ihm wie den Kindern, die, je mehr sie sich fürchten, doch um so lieber die entsetzlichsten Schauergeschichten anhören. Ja, als sich Schmidle schon ausgezogen hatte und in seinem Bette lag, stand er noch einige Male auf und kam zu mir, um sich zu erkundigen, was denn eigentlich zu thun sei, wenn ein Pferd stürze oder der Reiter mit den Sporen im Bügel hängen bliebe. Ich tröstete ihn so gut wie möglich, doch konnte ich sein Herz nicht beruhigen, denn so oft ich in der Nacht aufwachte, hörte ich ihn schwer träumen und vernahm, wie er ängstlich stöhnte und seufzte: »O Gott, o Gott! halt an! ein fürchterlicher Abgrund!« und dann arbeitete er mit Händen und Füßen um sich, daß das Gestell des Bettes krachte. Es war für den armen Schmidle eine sehr unerquickliche Nacht.
Kaum graute der Morgen, so war er schon wach, um im Zimmer umher zu rumoren, und wenn ich ihn so laut singen und pfeifen hörte, wobei er aber ein sonderbares Gesicht machte, so kam ich leicht auf die Vermuthung, er stelle sich nur so lustig, um seine immer mehr wachsende Angst zu verbergen. Der arme Schmidle war von einer ungewöhnlichen Hast und Unruhe. Bald schellte er dem Kellner und bestellte aufs Neue den Kaffee, den er schon einige Male befohlen, bald betrachtete er seine Sporen und trieb die Rädchen herum, bald lief er ans Fenster und fluchte, daß die Pferde noch nicht kämen, dann eilte er wieder ins Nebenzimmer, um zu lauschen, ob die Dame seines Herzens noch nicht aufgestanden sei.
Endlich wurde es auch in den Zimmern neben uns lebendig, die Damen machten ihre Toilette und tranken Kaffee; darauf hörten wir, wie der Oberkellner zu ihnen ins Zimmer ging, um die Rechnung vorzulegen und wie er dabei den Gasthof für die Zukunft empfahl. Jetzt fuhr unten ein Wagen vor und Schmidle nahm eilig seinen Hut, um die Damen vorläufig an der Hausthür zu empfangen und ihnen durch Reitanzug und Sporen einen kleinen Hoffnungsstrahl zu geben, daß sie ihn noch wiedersehen würden. Ich legte mich oben ins Fenster, um mir die Damen wenigstens anzusehen, die nun aus dem Hause an ihren Wagen traten. Richtig! Schmidle stolperte hinter ihnen drein die steinernen Stufen des Hotels herab, wobei er um ein Haar mit seinen Sporen hängen geblieben wäre. Unter dem Arme hatte er seine ungeheure Reitpeitsche mit silbernem Knopf, den Hut trug er in der Hand, und nachdem er mit den Damen einige vorläufige Complimente gewechselt, trat er, wahrscheinlich um als ächter Reiter seine Pferdeliebhaberei kund zu geben, zu den magern Miethgäulen hinan, klopfte sie auf den dürren Hals, und hatte schon zu Anfange des Tages beinahe ein Unglück; denn als er, wie ich es ihn gelehrt, mit der Hand den Kamm herab durch die Mähne fuhr, um sich von der guten Race der Thiere zu überzeugen, berührte er vielleicht eine kitzliche Stelle des armen Gaules, denn dieser warf den Kopf mit solcher Gewalt gegen Schmidle zurück, daß mein armer Freund vor Schrecken rückwärts gegen die Wagenthür prallte, und dort zum noch größeren Unglück unsanft gegen die ältere Dame stieß, die eben im Begriff war, einzusteigen. O weh, o weh! mir wollte es in diesem Augenblick gar nicht gefallen, daß die junge Dame hastig mit ihrem Taschentuch an den Mund fuhr, denn es kam mir nicht vor, als trockne sie Abschiedsthränen ab, vielmehr schien es mir, als bedecke sie ein leises spöttisches Lachen. Es war sehr gut, daß Schmidle dies nicht bemerkte, denn der Angriff des Pferdes auf ihn hatte ihn schon genug aus der Fassung gebracht und vergeblich suchte er durch eine Masse von Complimenten das gehörige Gleichgewicht wieder zu erlangen. Endlich bestiegen die Damen ihren Wagen, der Schlag wurde zugemacht und der Kutscher fuhr dahin. Ich sah ihnen einen Augenblick nach, und ich muß gestehen, daß ich deutlich bemerkte, wie die junge Dame aus dem Wagenschlag rückwärts sah. Ob dies wohl meinem Freund Schmidle galt? ich wußte nicht, was ich davon denken sollte. Er aber fuhr mit dem silbernen Knopf seiner Reitpeitsche auf das Herz und verneigte sich unendlich tief. Selig über die Triumphe, die er erlebt, stieg Schmidle die Treppen herauf und trat zu mir ins Zimmer, wobei er nicht anders erwartete, als daß ich ihn mit dem größten Lobe überschütten würde, weshalb es ihn nicht wenig befremdete, als ich ihm versicherte, er habe sich wieder einmal sehr unnatürlich und deshalb schlecht benommen – eine Anklage, die ich durch meine Behauptung motivirte, daß es ihm gar nicht darum zu thun gewesen wäre, die gute oder schlechte Race der Fiakerpferde zu untersuchen, sondern daß er den Damen nur habe zeigen wollen, wie gut er es verstehe, ein Pferd anzufassen. »Doch, lieber Schmidle,« setzte ich hinzu, »Du hast selbst gesehen, wie unglücklich es Dir mit dieser Renommage beinahe ergangen wäre; nimm Dich also künftig in Acht.«
Diese Worte sprach ich in sehr ernstem Tone, doch als ich sah, daß er sie ebenso aufnahm und daß sein Gesicht sich zusehends verlängerte, dachte ich mitleidig an die große Angst, die er schon in der Nacht ausgestanden, und brach, um ihn zu trösten, in ein lautes lustiges Lachen aus, was mir jedoch nur halb gelang; denn obschon er im Begriff war, kräftig mit einzustimmen, so brach er doch plötzlich ab, da wir auf der Straße den Hufschlag von Pferden hörten. Schmidle eilte an's Fenster; richtig, es waren unsere Rosse, die eben von dem Hausknechte des Pferdevermiethers herangeführt wurden. Mein Freund, der bei diesem Anblicke in sichtliche Unruhe gerieth, wollte sich sogar mir gegenüber das Ansehen eines gleichgiltigen Menschen geben und begann eine Arie zu pfeifen. Doch kam der Ton sehr tremulando zwischen seinen Lippen hervor und ich bemerkte ebenfalls, daß ihm, als er aus seiner Kaffeetasse noch einen guten Schluck nehmen wollte, die Hand bedenklich zitterte. Jetzt war es aber die höchste Zeit, wenn wir den Wagen noch unterwegs einholen wollten, weshalb wir die Treppen hinabstiegen und uns zu den Pferden begaben. Hier steckten wir jeder eine Cigarre an und ich hielt meinem Freunde den Bügel, um ihm, wenn er droben säße, die Zügel richtig in die Hand zu geben. Ach, hier fühlte ich denn deutlich, was ich schon oben bemerkt, daß sich der gute Schmidle in einer fieberhaften Aufregung befand, denn er konnte kaum sprechen und holte bei jedem Worte den Athem tief aus der Brust. Nachdem ich ihm die Bügel mit vieler Mühe passend geschnallt, setzte ich mich ebenfalls auf und wir ritten, um dem nachgaffenden Hausknecht und den Kellnern kein Aergerniß zu geben, langsamen Schrittes davon.
Draußen vor dem Thor hatten wir eine schöne breite Chaussee vor uns, die etwas aufwärts stieg, und oben auf der Höhe sahen wir den bewußten Wagen dahinrollen, wodurch sich Schmidle's Herz mächtig nachgezogen fühlte, so daß er mich bat, in einen kleinen Trab einzugehen. Mir war das ganz recht, ich trieb mein Pferd an und rief meinem Freunde zu, er möge nur die Schenkel anlegen, ohne mit den Sporen dem Gaul zu nahe zu kommen. Doch war dies leichter gesagt, als gethan. Obgleich mein Freund nachher feierlich beschwor, das Pferd sei ungeheuer kitzlicher Natur, denn er habe es nur sanft mit dem Schenkel berührt, so war ich doch vom Gegentheil überzeugt, indem das ruhige Thier beim Antraben ein Paar Sprünge machte, daß Schmidle fast heruntergefallen wäre. Dies Mal aber verlor er aber nur beide Bügel und rettete sich durch einen kühnen Griff an den Sattelknopf.
Ich hielt an und darauf versuchten wir es noch ein Mal anzutraben, aber auch dies Mal ohne besseren Erfolg; wir würden wahrscheinlich nicht anders wie im Schritt von der Stelle gekommen sein, wenn ich nicht meinen Freund gebeten hätte, sein Pferd ohne alle Hilfe dem meinigen folgen zu lassen, worauf es vortrefflich ging. Freilich machte der Gaul, der durch Schmidle's Sporenangriff unruhig geworden war, noch einige leichte Courbetten, dann aber trabte er mit dem meinigen ruhig fort. Aber der Reiter auf seinem Rücken war nicht so ruhig, den Oberleib hielt er vorgebeugt und den Kopf hatte er weit hinten übergelegt, so daß er, anstatt wie es einem guten Reiter zukommt, zwischen den Ohren des Pferdes hindurch auf den Boden zu blicken, hoch in die Spitzen der Pappeln hinaufsah. Hierdurch rutschte sein Hut langsam auf den Hinterkopf hinab in den Nacken, was äußerst possirlich aussah und die Bügel schlotterten, anstatt daß er sie mit den Fußspitzen festgehalten hätte, an den Absätzen umher und verursachten mit seinen neusilbernen Sporen ein anmuthiges Geklingel. Es war ein Glück, daß Schmidle seine Cigarre noch im Munde hatte, denn obgleich sie längst ausgegangen war, diente sie ihm doch dazu, die fürchterlichen Anstrengungen des Reitens auf ihr zu verbeißen, was er mit solchem Erfolge that, daß sie in kurzer Zeit ganz platt gedrückt war und sich seine beiden Mundwinkel braun färbten.
So trabten wir lustig dahin und kamen bald dem Wagen näher und immer näher; ehe wir ihn aber erreichten, ließ ich mein Pferd kürzer gehen und fiel darauf in den Schritt, um meinem Freunde Zeit zu lassen, seinen Sitz etwas zu regeln und mit Anstand bei den Damen vorbeizukommen. Schmidle war so außer Athem, daß er auf meine Fragen nach seinem Befinden nur durch ein leises Kopfnicken und ein sehr erkünsteltes Lächeln Antwort geben konnte. Er rückte sich mühsam in dem Sattel zurecht, richtete seinen Hut auf und faßte die Bügel, wie es sich gehört.
»Lieber Schmidle,« sagte ich ihm darauf, »wenn wir an dem Wagen vorbeikommen, reitest Du links, wo die junge Dame sitzt, und ich halte mich an der rechten Seite. Nimm Dich aber jetzt zusammen, daß uns im wahren Sinne des Wortes keine Niederlage passirt. Ich werde kurz angaloppiren und Du thust das Nämliche, indem Du den rechten Zügel Deines Gauls etwas anziehst, den linken Schenkel scharf an den Gurt legst und ihm mit dem rechten Fuß einen kleinen Sporenstich versetzst. Verstehst Du?«
Schmidle nickte mit dem Kopfe.
»Wenn wir,« fuhr ich fort, »glücklich an dem Wagen vorbei sind, hast Du Dich als famoser Reiter gezeigt, und es kann Dir alsdann später in M. gar nicht fehlen. Noch eins! Haben wir erst den Wagen im Rücken, so müssen wir den Damen aus den Augen zu kommen suchen, damit sie Deinen mangelhaften Sitz keiner Kritik unterwerfen können. Ich werde also scharf davongaloppiren, und wenn Du fühlst, daß Du etwas locker auf dem Sattel sitzest, so fass' nur in Gottes Namen die Mähne und lass' Dein Pferd dem meinigen folgen, es wird nicht davonlaufen.«
Mit solchen Ermahnungen ausgerüstet, versprach Schmidle sein Möglichstes zu thun, und das Rennen begann. Glücklich brachte er sein Pferd links in Galopp, und diese Bewegung schien ihm besser zu gefallen, als das Traben. Er versuchte es, den Kopf nach mir hinzuwenden, um mir durch eine freundliche Miene sein Vergnügen auszudrücken; doch brachte er es nur dahin, seine Augen zu verdrehen. Jetzt erreichten wir den Wagen. Ich bog rechts ab und Schmidle's Pferd folgte glücklicher Weise dem meinen nicht, wie ich gefürchtet; nur sah ich, daß das Thier seine Ohren in den Nacken legte und stärker galoppirte, als es bemerkte, daß ich nicht mehr an seiner Seite sei. Bald war ich neben dem Wagen und ich sah in diesem Augenblick natürlich von meinem Freunde nichts mehr. Was er gethan, wußte ich nicht. Doch wollte es mir nicht gefallen, daß die Damen in dem Wagen neugierig lachend links hinausschauten und daß der Kutscher auf dem Bock ein brüllendes Gelächter ausstieß. Schon war ich im Begriff, mein Pferd anzuhalten und auf die andere Seite zu reiten, denn ich dachte nicht anders, als Schmidle lasse seinen Gaul im Trab neben dem Wagen hergehen, um alsdann, natürlich in der lächerlichsten Position, den Angenehmen zu spielen. Doch ich hatte diesen Gedanken noch nicht erfaßt, als das Pferd mit meinem armen Freunde in Carriere links an dem Wagen hervorkam, und im vollkommensten Durchgehen auf der Chaussee dahinjagte. Die beiden Damen schauten ihm nach und lachten jetzt eben so überlaut, wie der Kutscher. Obgleich mich dies im ersten Augenblicke ärgerte, so mußte ich ihnen doch im andern ihre Lustigkeit verzeihen; denn Schmidle hing gar zu erbärmlich komisch auf seinem Pferde. Von Bügel- und Zügelhalten war gar keine Rede mehr. Seine Beine hielt er krampfhaft in die Weichen des Pferdes gedrückt; sein Oberleib hing ganz vorn über und mit seinen beiden Armen hatte er den Hals des Pferdes umklammert. Dabei ritt er ohne Hut und sein Haar flog im Winde. Ich nahm mir natürlich keine Zeit, in Ruhe diesen seltsamen Sitz zu betrachten, sondern ich gab meinem Pferde die Sporen und jagte, was das Thier laufen mochte, hinter meinem Freunde her. Bald näherte ich mich ihm und rief ihm mit lauter Stimme zu, die Zügel anzufassen, aber er hörte mich nicht. In diesem Augenblick lief Schmidle's Pferd an einigen schweren Lastwagen vorbei und zu gleicher Zeit kam ihm ein großer vierspänniger Eilwagen gerade entgegen. So zwischen zwei Fuhrwerken eingeengt, mochte das Pferd keinen Begriff haben, wie es diese gefährliche Stelle wieder verlassen könne, und es wandte sich plötzlich, um links von der Chaussee hinab in ein Kleefeld zu setzen, bei welchem Sprung mein armer Freund gänzlich das Gleichgewicht verlor und, von dem Rücken des Pferdes bis zur Erde einen großen Bogen beschreibend, gewaltsam in den Klee geschleudert wurde. Da lag der Aermste und so regungslos, daß ich allen Ernstes glaubte, es sei ihm ein Unglück passirt. Ich näherte mich eilig, sprang von meinem Pferde und versuchte meinen Freund aufzurichten. Doch half er sich schon allein empor und sein Erstes war, sich auf allen Seiten zu befühlen, ob er nichts zerbrochen habe, denn nach seiner Idee mußte ein Sturz vom Pferde von einem Bein- oder Armbruche unzertrennlich sein. Glücklicher Weise war ihm aber nichts geschehen und es dauerte keine Viertelstunde, so erzählte er mir zwischen Ernst und Lachen, daß er eigentlich gar nicht wisse, wie das Pferd mit ihm durchgegangen sei, nur erinnere er sich, daß, als er bei dem Wagen dem Thier etwas nachdrücklich die Sporen gegeben, damit es in kühnen Sätzen vorbeilancire, der eigensinnige Gaul seinen Kopf fast zwischen die Vorderbeine gesteckt habe, wobei er, da er sich an den Zügeln festhielt, ganz natürlich aus dem Sitze gekommen sei, und darauf sei er plötzlich mit ihm durchgegangen. »Gott, was werden die Damen von mir denken!« fuhr Schmidle fort und setzte sich nachdenkend vor mir auf einen Wegstein. »Ich glaube, ich habe mich in ihren Augen entsetzlich lächerlich gemacht.« Ich konnte nicht umhin, diese Vermuthung zu bestätigen, und erzählte ihm meiner Seits, wie überlaut die Damen über seine Fatalität gelacht hätten. Aber wie ich sie schon früher in meinem Innern hierüber entschuldigt, so sah ich mich auch jetzt veranlaßt, ein Gleiches gegen meinen Freund zu thun, indem ich ihm ungefähr die Stellung vormachte, wodurch er die Rückseite seines Körpers den Damen entgegengestreckt.
Nach vielen innerlichen Kämpfen sah denn Schmidle wirklich ein, wie lächerlich er sich gemacht, und begann es von der jungen Dame verzeihlich zu finden, wenn die Zuneigung, die er ihr vielleicht in den vergangenen Tagen eingeflößt, durch die verunglückte Reitpartie gänzlich erkaltet sei, worauf ich noch weiter in ihn drang und zu seinem eigenen Besten den Versuch machte, ihm die Idee, als habe er sich in den letzten Tagen wirklich elegant und liebenswürdig gezeigt und die Neigung der jungen Dame erworben, zu benehmen. Schmidle war durch den Sturz vom Pferde in allen Tiefen seines guten Herzens so erschüttert, daß er nach und nach meine Vorstellungen richtig fand und einsah, daß sein unnatürliches Wesen, seine Anwendung von Ausdrücken, die er nicht verstand, besonders seine Manier, einen eleganten Herrn vorstellen zu wollen, ihn nur lächerlich machen könne. Diese praktisch philosophischen Gespräche hielten wir, wie gesagt, in oben benanntem Kleefelde, an einem Meilenzeiger sitzend, der, wie ein großes Fragezeichen, vor unserer heutigen Lustpartie stand. Auf der einen Seite zeigte er nach C., wo wir eben herkamen, und er bezeichnete zwei Stunden bis da; auf der andern Seite aber verkündigte er uns, daß M., das Ziel unseres Ritts, fast eben so weit entfernt sei. Sollten wir zurückkehren, wo wir hergekommen, oder sollten wir unsere Tour vollenden? Ich war sehr für das Letztere, denn wenn wir dem Pferdevermiether so früh am Tage seine Pferde zurückbrachten, so war es natürlich, daß er sich einbildete, es sei uns ein kleines Reiterunglück passirt, und ich kannte meinen Mann, daß er sich ein Vergnügen daraus machen würde, diese Vermuthung unter der Hand unsern Freunden und Bekannten mitzutheilen. Auch Schmidle, obgleich er mit einem sorgenvollen Blick sein Pferd ansah, das sich ruhig, als sei nichts vorgefallen, den Klee schmecken ließ, stimmte dafür, vollends nach M. zu reiten, und ich hätte ihn wahrscheinlich so weit gebracht, diesen Vorsatz auszuführen, ohne daß er die junge Dame wieder gesehen hätte, wenn uns jetzt nicht plötzlich eingefallen wäre, daß er seinen Hut dahinten gelassen, den der Kutscher, wie wir nicht anders erwarten konnten, mitbringen würde. Und so war es auch.
Bald rollte der Wagen, der an allem Unglück von heute Schuld war, heran, und schon von Weitem bemerkte ich den Hut meines Freundes, den der Rosselenker auf das Dach seiner Kutsche gesetzt hatte. Jetzt hielt der Wagen und die beiden Damen erkundigten sich sorgfältig nach dem Befinden Schmidle's. Mir wäre es viel lieber gewesen, wenn sie das nicht gethan hätten, denn ich merkte schon bei dem ersten freundlichen Worte, daß seine Hoffnungen wieder hoch empor wuchsen. Ach, es ist etwas Gefährliches um ein Paar schöne schwarze Augen, und mein Freund war überhaupt nicht der Mann, sein Herz, das schon entzündet war, vor ihnen zu bewahren. Trotz allen meinen Ermahnungen und trotz den Versprechungen, die er mir gegeben, war Schmidle, der jetzt am Wagenschlage stand, plötzlich wieder ein ganz anderer Mensch geworden, als Schmidle, der vorhin neben mir unter dem Meilenzeiger saß. Er versicherte den Damen, er, der so viel reite und so gut mit Pferden umzugehen wisse, habe keine Ahnung davon, was vorhin sein Roß angewandelt. Er könne nicht anders glauben, als daß sich eine Schmeißfliege irgendwo in der Wolle festgebissen, oder das arme Thier an den Lichtern genirt habe. »Ja, meine Damen,« fuhr er fort, »ich hatte Mühe, Meister über das Pferd zu werden und es wäre auf ein Haar mit mir gestürzt.«
Bei dieser ungeheuren Prahlerei bemerkte ich sehr gut, daß die junge Dame still lächelnd an dem Anzuge Schmidle's heruntersah. der hier und da einige erdfarbige Flecke zeigte und daß sie einige abgerissene Kleeblätter betrachtete, die verräterisch aus seinem Haar und aus den Falten seines Rocks hervorblickten. Trotz meinem Winke mit den Augen und meiner ungeduldigen Miene konnte mein Freund es nicht über sich gewinnen, den Vorschlag der jungen Dame abzulehnen, die ihn bat, doch bis M. neben dem Wagen herzureiten. Er warf mir dagegen einen flehenden Blick zu, und war überhaupt in seiner ganzen Unnatürlichkeit so komisch, daß ich nicht böse sein konnte, sondern ihm vielmehr den Bügel hielt und ihm auf's Neue zu Roß half. Der Wagen fuhr fort, zuerst, da es bergauf ging, im Schritt, und später bergab im Trab. Auch ich hielt mich diesmal an der linken Seite des Wagens, um zu seinem Schutz und zu seiner Hilfe nötigenfalls bereit zu sein.
Es dauerte nicht lange, so hatte er wieder denselben komischen Sitz eingenommen wie früher, den Oberleib nach vorn und den Hut nach hinten, was jetzt um so lächerlicher aussah, da er die fürchterlichsten Anstrengungen machte, ungezwungen und möglichst elegant auf dem Sattel zu bleiben. Seine schweren Athemzüge, das stiere Auge und die zusammengepreßten Mundwinkel straften das lustig sein sollende Lächeln, das er hier und da hervorbrachte, so wie die Stellung seiner rechten Hand, die er leicht an die Hüfte gelegt, gewaltig Lügen, und übrigens wurde es von Minute zu Minute schlimmer mit ihm. Sehr gut bemerkte ich, daß die Damen im Wagen Mühe hatten, ihr lautes Gelächter zu verbergen. Der Kutscher auf dem Bock sah in stiller Freude beständig hinter sich, und trieb, da es jetzt stärker bergab ging, seine Pferde zu eiligerem Laufe an. Wir mußten folgen. Schmidle's Gesicht, das vorhin sehr bleich gewesen war, ging in eine unnatürliche Röthe über, sein Hut, den ich ihm, von den Damen ungesehen, zuweilen wieder zurechtgerückt hatte, sank immer wieder schneller hinten hinab. Den einen Bügel hatte er schon lange verloren und er konnte ihn trotz den verzweifeltsten Anstrengungen nicht wieder erfassen. Dabei fuhren seine Ellbogen auf und ab und verursachten eine Bewegung, als wolle er einen Versuch zum Fliegen machen. Wohl dachte ich in diesem kritischen Augenblicke daran, sein Pferd und das meinige anzuhalten und zurückzubleiben. Aber was hätte es geholfen? – Nein, nur eine förmliche Niederlage vor den Augen der jungen Dame konnte ihn vielleicht für die Zukunft heilen. Und sie blieb nicht lange aus. Umsonst warf er flehende Blicke zu mir herüber, umsonst erfaßte er die Zügel und riß sie mit aller Kraft zurück, je härter er zog, je stärker trabte das Pferd, und je stärker sein Pferd trabte, je mehr ließ der Kutscher seine Gäule laufen und je heftiger lachten die Damen. Es war Schmerz und Freude in immer steigenden Verhältnissen. Doch der Schmerz gewann für einen Augenblick das Uebergewicht. Schmidle, der jetzt statt der Zügel den Sattelknopf erfaßt hatte, berührte unsanft die Seiten seines Pferdes mit den Sporen, das Thier begann unruhig zu werden, prallte vor und zurück, ging vorn und hinten in die Höhe und es dauerte keine Minute, so schoß Schmidle mit einer merkwürdigen Geschwindigkeit vom Sattel in den Sand hinab, geleitet von dem brüllenden Gelächter des Kutschers und den nichts weniger als mitleidigen Blicken der Damen. Die jüngere beugte sich etwas hinaus, doch ich sowohl wie der unglückliche Schmidle sah, wie sie das Lachen nicht verbergen konnte, und uns ziemlich spöttisch eine glückliche Reise wünschte. Dann fuhr der Wagen davon und war in kurzer Zeit hinter der nächsten und letzten Anhöhe vor M. unsern Blicken entschwunden. Außer einem großen Risse in seinem Rocke und einigen Beulen in seinem Hut hatte Schmidle keinen Schaden genommen. Nur war er äußerst niedergeschlagen, und da ich den Erzürnten spielte, und ihm ohne ein Wort zu sagen auf's Pferd half, so ritten wir stillschweigend im Schritt davon und erreichten M. in kurzer Zeit.
An dem Thore wandte ich mich mit kurzen Worten an ihn und fragte: ob er denn noch wisse, in welchem Gasthof die Damen eingekehrt seien, damit wir sie finden könnten. »Denn,« setzte ich hinzu, »Deine beiden Niederlagen von heute Morgen werden Dich nicht abhalten, den Eleganten und Unnatürlichen zu spielen, um Dich und mich lächerlich zu machen;« worauf er statt aller Antwort mit dem Kopf schüttelte und mich versicherte, es sei ihm ganz gleich, wohin wir ritten. Er fühle sehr gut sein Unrecht und seine Ungeschicklichkeit und werde sich für die Zukunft gewiß in Acht nehmen.
Bald erreichten wir einen Gasthof, stellten unsere Pferde ein und gingen in ein Zimmer hinauf, woselbst Schmidle bei einer guten Flasche Wein und einer Cigarre bald über den Morgenspazierritt zu lächeln anfing, so daß ich es nochmals wagen konnte, ihm mit allen möglichen Details sein auffallendes Betragen vorzustellen, und wie dies eher geeignet sei, ihm ein weibliches Herz abgeneigt, als gewogen zu machen. Ein herbeigerufener Schneider setzte den Rock meines Freundes wieder in gehörigen Stand, und da es bald Zeit zum Essen war, gingen wir hinunter in den Speisesaal, wo sich außer uns noch eine kleine Gesellschaft befand: zwei junge Damen und zwei sehr junge Herren, die man auch füglich Knaben hätte nennen können. Mir schien es, als seien es Schüler irgend eines Gymnasiums, die sich allmählich zur Universität vorbereiten. Sie trugen kurze Sammetröcke, blau und grüne Cerevis-Mützen und hatten sich schon ein gewisses burschikoses Wesen angewöhnt, das aber, durch schülerhafte Bescheidenheit gemildert, etwas sehr Naives und Lustiges hatte. Auch die beiden Mädchen, die zwischen achtzehn und neunzehn Jahren alt sein mochten und die recht hübsch waren, hatten etwas Heiteres und Ungezwungenes. Wir setzten uns zusammen an den Tisch und wurden bald die besten Freunde. Ich ließ es mir anfänglich besonders angelegen sein, die Freundschaft der beiden jungen Herren zu gewinnen, was mir auch dadurch gelang, daß ich ihnen häufig etwas vortrank und mich einige Mal erkundigte, im wie vielsten Semester sie studirten. Mein Freund Schmidle war seit heute Morgen wie umgewandelt. Er war natürlich und deshalb sehr liebenswürdig. Wenn ihm auch zuweilen im Eifer des Gesprächs ein Jagdausdruck entfuhr, so setzte er hinzu: So sagen die Jäger, deren ich aber keiner bin, und zum Belege hierfür nahm er sogar keinen Anstand, lachend seiner früher erwähnten Jagdpartie zu gedenken, wo er das Reh geschossen, als es eben aus seinem Sandloche hervor kam.
Wenn auch unser Project, mit den beiden Damen aus dem englischen Hof, von denen wir aber keine Spur mehr fanden, das schöne Schloß und die herrlichen Parkanlagen M's anzusehen, förmlich zu Wasser wurde, so wandelten wir doch nach Tische in nicht minder liebenswürdiger Gesellschaft durch die schattigen Alleen; besonders ich hatte bei dem Tausche sehr gewonnen, denn anstatt, wie Schmidle gewünscht, der alten Tante die herabhängenden Trauerweiden an dem kleinen See zu zeigen, war ich so glücklich, meine schöne neunzehnjährige Begleiterin darauf aufmerksam machen zu können. Ob Schmidle, der unterdessen mit der andern Dame und einem der jungen Herren, während der zweite bei mir als Ehrenwache blieb, auf dem Hügel zu dem steinernen Amor ging, dort einen Anknüpfungspunkt fand, kann ich nicht genau angeben; nur so viel weiß ich, daß er mit seiner Begleiterin am Arm lustig lachend wieder mit mir zusammentraf und daß er mir darauf freudig die Hand drückte mit der leisen Versicherung: er würde ganz glücklich sein, wenn ihm nicht heute Abend der fatale Ritt nach der Stadt bevorstände. Ich hatte schon ein Auskunftsmittel gefunden, indem die beiden jungen Herren meinen Vorschlag, die Pferde nach C. zu reiten, wohin auch sie wollten, mit Freuden annahmen, wogegen wir uns ihrer Plätze in dem Wagen bedienten.
Schmidle war heute der liebenswürdigste Mensch von der Welt. Bei einem kleinen Souper, das wir einnahmen, verwundete sich seine Begleiterin mit dem Messer, und da er diese Verletzung mit einem kleinen englischen Pflaster, das er stets bei sich führte, auf das kunstgerechteste bedeckte, so konnte er auf die Frage der beiden Damen nicht läugnen, daß er mit dergleichen Sachen viel zu thun habe, und er gestand auch gern und willig, daß er Apotheker sei. Ihm folgte aber auch der Lohn für seine Aufrichtigkeit und Natürlichkeit auf dem Fuße nach, denn die beiden Mädchen erklärten ihm freudig, auch sie hätten in E. einen Onkel, der Apotheker sei und den er vielleicht kenne. Er sei der Besitzer der Löwenapotheke.
Von der Freude Schmidle's über diese Entdeckung will ich nichts sagen, da es meiner schwachen Feder doch unmöglich wäre, ein getreues Bild davon zu entwerfen. Bald bestiegen wir den Wagen, die beiden jungen Herren schwangen sich auf unsere Pferde und mein Freund fand diese neue Reiseart um so viel behaglicher und besser, daß er im Uebermaße seines Glücks sogar des unglücklichen Ritts von heute Morgen erwähnte. Sehr ergötzlich malte er seinen zweimaligen Fall vom Pferde aus und er that es mit solcher Lebendigkeit und solcher Treue, daß die beiden Mädchen mehrmals laut lachten, aber mit einem ganz andern Tone, als die junge schwarze Dame aus dem englischen Hof. Nur ließ sich Schmidle bei seiner Erzählung eine große Unwahrheit zu Schulden kommen, indem er mich als denjenigen angab, den die schwarzen Augen der schönen Dame angezogen, und als sei er nur mir zu Liebe mitgeritten.
Es versteht sich von selbst, daß ich seine Erzählung als wahr passiren und mir die Neckereien der jungen Mädchen über mein mißlungenes Abenteuer gefallen ließ.
Es war ein wunderschöner Abend. Wir sangen und lachten in dem offenen Wagen, und die beiden jungen Herren hielten mit unsern Pferden auf der Chaussee kleine Wettrennen. So erreichten wir die Stadt. Vor dem Thore bestiegen wir unsere Rosse wieder, wünschten den Damen gute Nacht und Schmidle sprach still lächelnd die Vermuthung aus, daß er sie wiedersehen werde. Der Glückliche wollte abwarten, welchen Eindruck er morgen früh in seinem Arbeitscostüme, vor der Reibschaale stehend, im Gegensatze zu heute Abend, auf das Mädchen machen würde. Ach, er hatte große herrliche Pläne! –
Ich ging allein in meine Kaserne, und hörte in den nächsten Tagen nichts von meinem Freunde; aber ungefähr eine Woche nach unserm merkwürdigen Spazierritte bekam ich einen Brief von ihm, worin er mir schrieb, daß er der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt sei; er habe sich mit der Nichte seines Prinzipals verlobt und schon die Einwilligung seines Vaters erhalten. Ich eilte zu ihm und wir besprachen uns lange und freundlich im kleinen Stübchen hinter der Apotheke, wo Schmidle mir gerührt die Hand drückte, und ich konnte nicht umhin, ihm auch für die Zukunft den Wahlspruch zu empfehlen, den ich ihm so oft gesagt: »Nur natürlich!«