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Wie immer, so lange wir nach unserem christlichen Kalender rechnen, war das alte Jahr acht Tage, nachdem die Weihnachtsbäume gebrannt, zu Ende gegangen. – Es ist das für die Menschen eine angenehme Periode: Viel Festtage, Geschenke, Lust und Freude aller Art, namentlich in der Sylvesternacht, wo Jeder so viel als möglich sich bemüht, vom alten Jahre fröhlich Abschied zu nehmen und das neue jubelnd zu empfangen.
Trotz der erneuerten Verordnungen einer hochpreislichen Polizei hatte es auch dieses Mal wieder an allen Ecken der Stadt geknallt, ja selbst in der Nähe der Polizeidirektion, wo sich einige Mordschläge mit unerhörtem Spektakel entladen, so daß der Präsident erschrocken aus seinem Bette aufgefahren war und sogleich nach seiner Nase gegriffen hatte, weniger, um sich zu überzeugen, ob sie ihm nicht weggeschossen worden, als vielmehr, um, während er diese treue Freundin sanft befühlte, mit sich zu Rathe zu gehen, wie dem heillosen Unfuge ein- für allemal gründlich zu steuern wäre.
Nach der geräuschvollen Sylvesternacht folgte nun ein heiterer Neujahrstag, heiter insofern, und auch freundlich und gefällig, als er in starkem Froste und blauem Himmel erschien, die nasse Erde trocknete und sich auf diese Art der vielen lackirten Stiefeln und Stiefelchen, auch schwarzer Fräcke und weißer Strümpfe erbarmte, die namentlich am heutigen Vormittag in der Stadt umherschwärmten. Das lief und rannte, behend und eilfertig, durch einander mit vergnügten Gesichtern, bald hier einem Freunde zurufend, dort einem Bekannten winkend, jetzt plötzlich stehenbleibend, um mit herabgerissenem Hute einen Vorgesetzten zu grüßen, dann wieder davon springend, um in irgend ein ansehnliches Haus zu verschwinden, wo die schwarzen Fräcke und weißen Handschuhe in langer Reihe aufeinander folgten.
Auch Vielerlei ward von den Gratulanten in der Hand und unter dem Arme getragen, als: Zierliche Paketchen von weißem Papier mit rothen und blauen Schnüren, Düten mit Zuckerwerk, Blumenbouquets; und Alles das wurde sorgfältig gehütet, daß man es nicht in dem Menschengewühl zerdrückte oder zerstieß, und damit es wohlbehalten an den Ort seiner Bestimmung gelange. Dort angekommen, blinzelte man an dem Hause in die Höhe, nöthigte die schüchternen Hemdkragen ein Weniges aus dem schwarzen Halstuche heraus, besah die Handschuhe und schlüpfte dann in den Hausflur.
Dazwischen rollten Wagen in großer Anzahl durch die Hauptstraßen der Stadt, die Pferde mit den besten Geschirren bedeckt, die Kutscher en grande tenue, die Lakaien hintenauf, ordentlich triefend von Wichtigkeit.
Wenn man zufällig in die Gegend kam, wo sich die Ministerien befanden, so war man ordentlich betäubt von all' dem Gerassel, von dem Rufen der Bedienten, von dem Zuschlagen der Wagenthüren. Am allergrößten war das Gedränge der Equipagen an den Einfahrten des königlichen Residenzschlosses, und obgleich die Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften die förmliche Gratulationscour abgesagt hatten, so entleerte doch ein Wagen nach dem anderen seinen Inhalt in reichgestickter Uniform mit Hut und Degen an der großen Freitreppe, die vermittelst des Marmorvestibuls zu einem Vorzimmer führte, wo ein großes Buch aufgeschlagen lag, in welchem Alle ihre Namen und Titel einschrieben.
Der gewöhnliche Rapport war natürlicherweise heute ebenfalls in großer Uniform erschienen, wo Jeder, der das Glück hatte, vor Seine Majestät zu gelangen, durch ein unbeschreibliches Achselzucken, durch eine außergewöhnliche Neigung des Kopfes, ja durch ein paar sanft gelispelte Worte kund und zu wissen that, wie doppelt glücklich er sich schätze, am heutigen Tage, wo alle Gratulationen verboten seien, dieselben doch wenigstens pantomimisch anbringen zu können.
Die Rapporte dauerten übrigens am Neujahrstage nie lange, und sobald sie geendigt, beeilte sich Jeder aus dem Schlosse und aus der engen Uniform zu kommen, um zu Hause im Kreise der Seinigen frei und behaglich aufzuathmen.
Das Gefolge frühstückte alsdann allein, natürlicherweise, weil es die höchsten Herrschaften ebenso machten, und weil man sich doch ein wenig vorbereiten mußte auf das große Hofdiner des heutigen Tages, bei dem ein paar kleine Toaste fielen, und wo man doch seinem Nachbar und seiner Nachbarin etwas Angenehmes sagen mußte.
Wie überhaupt an Sonn- und Feiertagen, so besonders am Neujahrstage, namentlich wenn das Wetter so schön wie heute war, lag das Schloß ziemlich öde und leer. Die Herrschaften waren alsdann spazieren gefahren, das große und kleine Gefolge befand sich zu Hause, von den Kammerdienern und Lakaien hatte sich hinweg gestohlen, wer dies nur mit seiner Dienstpflicht zu vereinbaren wußte, so daß sich oft im Vorzimmer, wo zu anderer Zeit drei, vier an den Wänden zusammen standen, oder in den Ecken miteinander flüsterten, sich jetzt höchstens eine einzelne Livrée zeigte, aus der ein melancholisches Gesicht verdrießlich auf den mit Menschen bedeckten Kastellplatz blickte. Ueber allen Gängen und Treppen lag eine tiefe Stille; nur zuweilen hörte man in der Ferne eine Thür öffnen, einen Lakaien niesen oder draußen eine Schildwache husten.
Wahrhaft traurig und schwermüthig war an solchen Tagen, wo auf Häusern und Straßen ein heller Sonnenschein glänzte, das Zimmer der Adjutanten. Es lag gegen die Nordseite und ging, wie wir bereits wissen, auf einen kleinen finsteren Hof hinaus, eigentlich auf einen von drei Gebäuden gebildeten Winkel, durch den man nicht reiten und nicht fahren durfte, durch den nur sehr wenige Menschen gingen, und den, namentlich an Wintertagen, beständig kalte und frostige Schatten ausfüllten. Die vorderen und Hauptgebäude ließen dorthin kein Licht, und das Einzige, was man von diesem sah, waren die hoch oben auf einer vergoldeten Windfahne recht wie zum Hohne glänzenden und blitzenden Sonnenstrahlen.
Es wird den geneigten Leser einigermaßen befremden, daß, so oft wir ihn in dieses Adjutantenzimmer führten, jedesmal Graf Fohrbach den Dienst hatte; doch erstens traf dieser ihn sehr häufig, alle vier bis fünf Tage einmal, und zweitens ist es angenehmer, sich diesen wichtigen Räumen nur dann zu nahen, wenn man einen Bekannten dort zu finden weiß.
Der Graf hatte also, wie bemerkt, den Dienst, und saß in einer der tiefen Fensternischen auf einem kleinen Lehnstuhle, von dem schweren dunklen Vorhange nach außen zu fast verdeckt und ganz wie auf der Lauer. Er betrachtete nämlich angelegentlich aus seinem Verstecke hervor einige Fenster des zweiten Stocks, die in den vorhin erwähnten Hof hinaus gingen, und da diese Fenster sich fast in derselben Flucht mit denen des Adjutantenzimmers befanden, so hatte er trotz verschiedener Grade Kälte eine Fensterscheibe geöffnet und seinen Kopf hinausgestreckt, um besser nach dem bezeichneten Orte sehen zu können.
Da war aber vorderhand nichts zu bemerken: Alles war gleich öde und still, nirgends eine menschliche Seele zu sehen, und wenn man nicht an den Fenstern, die hier hinaus gingen, da irgend einen farbigen Vorhang, dort die grünen Blätter einiger Blumen bemerkt hätte, so wäre dieser Hof wahrhaft trostlos gewesen.
Auch dort, wohin der Graf Fohrbach blickte, ließen sich hinter einem Doppelfenster Blätter und Blüthen sehen. Zuweilen schien es dem Grafen auch, als komme aus dem Inneren des Zimmers eine weiße Hand und mache sich dort irgend etwas zu schaffen. Sowie er aber in diesem Falle in größter Geschwindigkeit sein ungeheures Theaterglas ergriff und hinaufsah, so ließ er es doch seufzend wieder herabsinken, denn entweder hatte er sich geirrt oder war die Hand droben zurückgezogen worden.
Wenn er alsdann eine Zeit lang vergebens hinaufgeschaut, so schloß er wohl auf Augenblicke die Fensterscheibe, nahm ziemlich verdrießlich ein Buch, das vor ihm lag, und sah hinein, ohne jedoch auch nur eine einzige Zeile zu lesen.
Das war Alles heute Nachmittag entsetzlich langweilig, und die Uhr, die er zu Rathe zog, sagte ihm, es sei erst Zwei. –
Also noch volle vier Stunden bis zur Tafel!
Graf Fohrbach hatte abermals die Glasscheibe neben sich geöffnet, das Theaterglas ergriffen und vergebens nach den bewußten Fenstern hinauf geblickt und wollte sich eben wieder zurückziehen, als er von dem Hofe herauf, und zwar dicht unter seinem Fenster, von einem lauten und kräftigen Lachen begrüßt wurde.
Aergerlich wandte er den Kopf abwärts; – wer konnte es wagen, ihn auf so ausfallende Art hier in der Ausübung des königlichen Dienstes zu stören? – Doch hatte er nicht sogleich Den, der vor dem Fenster stand, erkannt, als er, selbst lustig lachend, hinabrief: »He, Major, wo kommst du her? – Hast du am Ende die vortreffliche Idee, mir an diesem wunderbaren Feiertag-Nachmittag etwas Gesellschaft zu leisten, so vergelte es dir Gott, und ich will zu allen Gegendiensten bereit stehen.«
»Eigentlich war das nicht meine Absicht,« entgegnete der Andere; »ich wollte bei dem schönen kalten Wetter eine Promenade machen. Doch wenn es dich besonders freut, so halte ich gerne eine halbe Stunde bei dir an.«
Damit ging er dem Eingange zu, verschwand dort, stieg die paar Stufen bis in's Erdgeschoß hinauf und trat gleich darauf in das Zimmer.
Graf Fohrbach hatte unterdessen einen Fauteuil an die andere Seite des Fensters gerückt, auf welchem sich der Major niederließ, die Beine übereinander schlug und seinen Freund lächelnd anschaute.
»Es scheint mir, du bist heute guter Laune, Major,« sagte der Graf; »und es ist gut; du kannst mich dann ein wenig aufheitern.«
»Also bist du verdrießlich?«
»Gott verzeih' dir diese Frage! Man sieht, daß du schon lange am Sonntag keinen Dienst gethan hast und nicht mehr weißt, wie unbeschreiblich leer und öde es hier ist; kein Rapport, keine Audienz für den Herrn, selten ein Besuch für uns, und da draußen Alles bis zum Erschrecken verlassen. Diese Seite des Schlosses ist wie verwünscht: Es zeigt sich nicht einmal ein miserabler Fußgänger.«
»Dafür aber hast du Muße, die gründlichsten Fensterbeobachtungen zu machen,« erwiderte pfiffig lächelnd der Major. »Und das thust du auch, wie ich sehe, vermittelst dieses unfehlbaren Glases und einer geöffneten Fensterscheibe, bei dieser Kälte den ungeheuersten Schnupfen riskirend.«
»O, was die offene Scheibe anbelangt,« versetzte der Adjutant, indem er sie jetzt erst wieder fest zuzog, »so bist du im Irrthum: ich blickte nur nach dir.«
»Nach mir?« fragte der Major. »Und ich mußte dich erst mit einem wahrhaft homerischen Gelächter aus deinen Träumereien aufwecken! – Nein, nein, lieber Freund! gib der Wahrheit die Ehre: Du hast da oben hinauf geschmachtet! – Und ich halte das auch verzeihlich und begreiflich.«
»Und wenn dem wirklich so wäre,« entgegnete zerstreut der Graf und schraubte sein Glas langsam ein, »so hast du eigentlich Recht, mich darüber auszulachen, denn die Fenster da oben sind den ganzen Tag verschlossen, obendrein dicht mit Blumen besetzt; da dringt kein Blick hinein. Und wie das Zimmer, so auch die Bewohnerin; das ist nach Goethe wie ein eherner Thurm, zu dem die Besatzung Flügel haben müßte.«
»Ja, ja,« erwiderte der Major, und recitirte darauf mit Pathos:
»Schön wie der Mond, der einsam wallt,
So schön bist du, doch auch so kalt,
wie ein anderer Dichter sagt, der übrigens noch kein Goethe geworden ist.«
»Es ist eigentlich Unrecht,« fuhr der dienstthuende Adjutant mit einem komischen Ernste fort, »mit einer so wunderbaren Figur, einem solch' schönen Kopfe und so viel Verstand an den Hof zu kommen, ohne ein Herz mitzubringen.«
»Laß das gut sein,« versetzte der Andere bedächtig, indem er seinen schwarzen Schnurrbart strich, »da ist ein Herz, und ich wette, ein sehr gutes und edles. Aber es hat sich mit einem festen Panzer umgeben. – Vielleicht,« setzte er in gefälligem Tone hinzu, »weil es geahnet, daß es sich in die Nähe solcher Eroberer, wie du bist, wagen müsse.«
Der Graf legte den Kopf in die Hand und entgegnete mit ernster Stimme: »Nein, nein, laß die Spöttereien! Ich versichere dich – dir im allergrößten Vertrauen zugegeben, was du aber wahrscheinlich schon entdeckt – es geht mir diesmal über den Spaß. Ich stehe an dem Wendepunkt, und du wirst wissen, wohin der eine Weg zielt, wenn ich dir sage, daß Eugenie von S. einen mächtigen, unvertilgbaren Eindruck auf mich gemacht.«
»Sagst du das dem Freunde oder dem Anverwandten dieses glücklichen Ehrenfräuleins?«
»Du kannst nun einmal die Scherze nicht lassen!« erwiderte Graf Fohrbach. »Aber man muß sich vor dir in Acht nehmen; nur zum Freunde sprach ich eben.«
»Daran thust du sehr Unrecht; du solltest dich dem Verwandten dieses liebenswürdigen Mädchens in die Arme werfen. Du weißt, da ließe sich was arrangiren: Meine Frau wäre glückselig, eine solche Partie zu Stande bringen zu dürfen. Und nimm mir nicht übel, wenn ein Graf Fohrbach anklopft, so öffnet man bereitwillig die Thüre und setzt keinen Korb davor.«
»Das will ich aber eben nicht, du prosaischer Mensch. Hätte ich deßhalb mancher Dame den Hof gemacht, und mit einigem Erfolge, um zuletzt eine Ehe einzugehen unter dem Wappen meines Hauses? – Nein, wahrhaftig nicht! Wenn ich mich einmal glücklich verheirathen werde, so müßte das Mädchen, das ich mir erwählt, ihr Alles daran setzen und im Nothfalle Alles zu verlassen im Stande sein, um mir zu folgen.«
»Du hast dich wahrhaftig sehr verändert,« bemerkte der Major, »denn es ist das erste Mal, daß ich dich eine Bibelstelle citiren höre. – Also der Herr Graf haben wirklich seine Herrin gefunden? – Haben in der That sein erlauchtes Herz verloren?«
»Total!« seufzte dieser; »total! – und ich glaube, ich finde es niemals wieder.«
Der Major schaute einige Augenblicke nachdenkend zum Fenster hinaus, sah hierauf sein Gegenüber lange und forschend an, und dann sagte er: »Ja, ich habe sowas gemerkt. Du bist nicht mehr der Alte, namentlich wenn sie in der Nähe ist. Meine Frau hat mich eigentlich darauf aufmerksam gemacht; du benimmst dich in Eugeniens Gegenwart, um wenig zu sagen, schüchtern. Du hast deine ganze Routine verloren und scheinst mir sogar oftmals um eine pikante Antwort verlegen, woran es dir doch sonst wahrhaftig nicht gefehlt hat.«
»Ich fühle das wohl,« entgegnete der Graf, »und ärgere mich genug darüber. Aber wenn ich in ihre Nähe komme, wenn sie mich mit ihren großen Augen so ruhig anblickt, wenn sie mit ihrer tiefen Stimme zu mir spricht, so schnürt sie mir das Herz zusammen, ich kann kaum athmen, und wenn mir auch etwas nicht gerade Ungescheidtes einfällt, so bin ich oft nicht im Stande, es gehörig in Worte zu fassen und ihr zu sagen.«
»Wir kennen das. Aber du mußt diese Aengstlichkeit zu überwinden trachten. Ein solches Mädchen wie Eugenie verlangt von Jemand, den sie lieben soll, volle Gewandtheit des Geistes; da thut's alle Eleganz und alle Geschicklichkeit des Körpers nicht allein, und wenn du mit deinem Pferde noch halsbrechendere Sprünge auf dem glatten Pflaster machst als vorgestern, da du ihrem Wagen begegnetest.«
»Sprach sie mit dir darüber?« fragte hastig der Graf.
»Gerade nicht zu mir,« erwiderte der Andere; »auch sie nicht selbst, sondern die Oberhofmeisterin, die mit ihr fuhr, erzählte es dem Herzog Alfred, der gerade dabei stand und meinte, du seiest beinahe hingestürzt.«
»Das ist nicht wahr!« rief der Adjutant entrüstet.
»Und der Herzog lachte auf seine sonderbare Weise und meinte dann, nachdem er die dünnen Lippen zusammengepreßt, es sei eigentlich eine Art Thierquälerei, so mit diesen edlen Pferden umzugehen.«
»Eine Thierquälerei, die er freilich nie versucht, weder auf dem Pflaster noch sonstwo.«
»Nun ja, da hast du schon Recht,« antwortete nachdenkend der Major, nachdem er sich mit der Hand über die Augen gefahren, den Bart gestrichen und dann ruhig in's Zimmer hineingesehen. – »Mit seinem Reiten ist's nicht weit her – aber,« – setzte er mit Betonung hinzu, »er braucht das auch nicht, dafür ist er Herzog, und was ihm an Körpergewandtheit abgeht, das ersetzt vollkommen seine unglaubliche Zungenfertigkeit.«
Bei diesen Worten, die der Major sehr ruhig sprach, zuckte der Graf augenscheinlich zusammen, und dann schaute er seinen Freund fest und mit großen Augen an, welchen Blick der Major mit einem Lächeln zurückgab.
Graf Fohrbach sah forschend im Zimmer umher, dann beugte er sich zu seinem Freunde hinüber und sprach mit leiser Stimme: »Das hast du nicht ohne Absicht gesagt!«
»Und was denn?«
»Du weißt schon, was ich meine; es ist das ein Lied ohne Melodie, das ich in kurzer Zeit öfters gehört. – Ja, er hat eine scharfe und gewandte Zunge; aber sage mir, Eugen – sage mir die Wahrheit, wir sind ja unter uns – glaubst du, daß sie auch Geschmack an seinen Worten findet und sie gerne anhört?«
»Lieber Freund,« erwiderte ruhig der Major, »das ist eine Frage, die nicht gut zu beantworten ist. Ich kann nur meine Worte von vorhin wiederholen: Er ist Herzog und spricht schön und gewandt.«
»Da hast du Recht!« rief unmuthig Graf Fohrbach. Worauf er die Theaterlorgnette, mit der er bisher gespielt, etwas heftig auf den Tisch setzte und von seinem Stuhle aufstand. Dann machte er einige hastige Schritte durch das Zimmer, so daß sein Säbel, den er nicht fest eingehakt hatte, mit dem Ende der Scheide klirrend auf den Boden fiel, was in dem großen, stillen Gemache einen gewaltigen Widerhall gab, worauf der Adjutant seine Waffe fest in die Hand nahm, ohne aber seinen Spaziergang zu unterbrechen, dem der Major kopfschüttelnd zuschaute.
Nachdem er das Zimmer mehrere Male durchschritten, trat er endlich dicht neben seinen Freund hin, legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach mit sanfter Stimme: »Sei ehrlich gegen mich, Eugen; du sagst nie etwas ohne Absicht, und deine Worte von vorhin haben einen verborgenen Sinn. Ich weiß wohl, was sie bedeuten sollen; hier in meinem Herzen fühle ich es; aber ich möchte wissen, ob du dem großen Haufen nachsprichst, denn auch da hörte ich ähnliche Aeußerungen, die ich jedoch verachtete. – Aber nein, nein! du sagst nie eine fremde Ansicht, du sprichst nur nach Ueberzeugung, und ich bitte dich herzlich, theile mir diese mit, sage mir, was du weißt; das kann ja auf alle Fälle nur zu meinem Glücke sein.«
Der Major hatte den viel jüngeren Freund, der vor ihm stand und dessen ganzes Wesen bei den Worten, die er sprach, gewaltsam erzitterte, mit wahrer Theilnahme angeblickt. Ja er nahm sanft die Hand, welche er auf seine Schulter gelegt, und sagte: »Höre mich ruhig an. Du wirst hoffentlich überzeugt sein, daß ich Alles thue, was dir nützlich ist, was dir zu deinem Glücke, wie du sagst, verhelfen kann, und wenn ich über die Sache von vorhin etwas Genaueres wüßte, hätte ich es dir schon lange mitgetheilt. Du behauptest, ich forme mir meine eigene Ansicht; das ist ganz richtig, und ich spreche nur dann, wie vorhin, die des großen Haufens aus, wenn sie mit meinen eigenen zusammenstimmt.«
»Und das thut sie in diesem Falle?« fragte der Graf erschrocken.
Der Major nickte mit dem Kopfe. – »Meine und auch die meiner Frau,« sagte er.
»O! das ist sehr schlimm!« rief schmerzlich der junge Mann. »Und ihr habt eure Beweise, daß er sich Eugenien nähert? – Vielleicht auch solche, daß sie seine Annäherung duldet, daß sie ihr sogar lieb ist?«
»Nein, nein, nein!« sprach bestimmt der Major. »Nur nicht gleich wieder fertig zum Durchgehen! Wenn ich auf deine Frage mit Ja antwortete, so müßte ich ja zugeben, die Beiden seien schon im vollkommensten Einverständniß.«
»Ja, das ist wahr,« erwiderte der Adjutant nach einer Pause, wie aus tiefen Träumen erwachend. »Dann wären sie freilich im Einverständniß; und das sind sie wohl noch nicht! – Nicht wahr, Eugen?« fragte er dringend. – »Ah! wenn ich nur an ein solches Einverständniß denke, so steigt mir das Blut in den Kopf und ich sehe nichts mehr. – Ein Einverständniß! – Was könnte zwischen den Beiden für ein Einverständniß sein?«
»Sei nur nicht so exaltirt!« bat der Major. »Setz' dich ruhig dahin. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn einer der Kammerdiener seine wißbegierigen Ohren an die Thüre legte, um dich schreien zu hören.«
Der Graf Fohrbach drückte gewaltsam Schärpe und Säbelkuppel herunter; das schien ihn Beides im freien Athmen zu hindern. Dann warf er sich, dem Wunsche des Freundes gehorsam, in seinen Stuhl, der, wie wir wissen, so nahe am Fenster stand, daß es ihm leicht wurde, seine brennende Stirne gegen die kalten Scheiben zu drücken.
»Ich möchte etwas sagen,« begann er nach längerem Stillschweigen wieder; »aber nimm es mir nicht übel: Es ist ein fürchterlicher Gedanke, der auch dich schmerzen muß! aber mir zerreißt er das Herz, und so vergib denn, wenn ich ihn ausspreche.«
»Nur zu.« erwiderte der Andere lächelnd; »ich kann mir fast denken, was da herauskommen wird. Laß deinen Phantasieen vollen Lauf; – genire dich gar nicht.«
»O Eugen, das sind nicht blos Phantasieen; ich fürchte, es ist etwas Wahres dahinter. – Eugeniens Vater – es ist leider einmal ein Anverwandter von dir –«
»Sehr, sehr entfernt,« versetzte der Major.
»Ja, ja; aber dieser Herr von S. steht, wie du weißt, in keinem guten Renommée.«
»Er ist etwas Spieler und Aventurier; aber eigentlich Schlimmes kann man ihm nicht nachsagen.«
»Bis jetzt nicht, aber –«
Der Graf stockte, weil ihn ein eigentümlicher Blick seines Freundes traf.
»Aber –« fuhr er nach einer Pause fort – »er ist derangiert; würde er sich etwas daraus machen, wenn ihm zum Beispiel der Herzog, der sehr reich ist, auf die eine oder die andere Art wieder emporhelfen wollte? – Doch verzeih mir, daß ich das sage; ich weiß wohl, ich bin außer mir, vielleicht sinnlos. Mir scheint, ich spreche ohne allen Verstand.«
»Nein, du sprichst ganz verständig,« erwiderte der Major mit großer Ruhe, während er mit vieler Sorgfalt ein großes E auf die angehauchte Fensterscheibe zeichnete. »Deine Worte sind nicht sinnlos, und ganz im Vertrauen gesagt, halte ich den Herrn von S. zu allerlei fähig, Seine Durchlaucht den Herrn Herzog nicht minder. – Denn haben wir junge Leute zu unserer Zeit Besseres getrieben?«
»Aha! doch dergleichen nicht!« rief Graf Fohrbach entrüstet. »Ich wenigstens habe um einer vergnügten Stunde willen nie das ganze Lebensglück eines Mädchens und desjenigen, der sie liebt, auf das Spiel gesetzt.«
»Du nicht?« fragte lachend der Major. »In deiner Gesellschaft hast du allerdings dergleichen nicht versucht; aber blicke tiefer hinab, da taucht dir doch vielleicht irgend eine Erinnerung auf, welche mit dieser Geschichte Aehnlichkeit hat.«
»Du könntest Recht haben,« antwortete Graf Fohrbach, nachdem er einige Augenblicke nachgedacht.
»Aber das gehört eigentlich nicht hierher,« fuhr der Andere fort. »Genug, ich gebe dir zu, der Vater wäre vielleicht im Stande sich die Tochter abkaufen zu lassen. – Wie kannst du aber nun glauben, daß Eugenie, dies unschuldige Geschöpf, dies reine Herz, wie du sie selbst oft genannt, in dergleichen willigen könne! – Schon der Gedanke müßte ein solches Mädchen vor Abscheu wahnsinnig machen.«
»Du bist älter als ich und erfahrener,« erwiderte kopfschüttelnd der junge Mann, »und es scheint mir, ich muß dich belehren. Man wird es freilich nicht wagen, ihr einen solchen Antrag zu machen, aber man hilft dem anderen Theile, indem man ihm die Annäherung erleichtert; und die wird uns nicht schwer,« fügte er mit Betonung bei, »wenn man Herzog ist und eine gewandte Zunge hat.«
»Die dir auch nicht fehlt!« rief halb entrüstet der Major. – »Aber jetzt habe ich die Geschichte vollkommen satt. Weiß der Teufel, daß ich mich immer für Eugenie herumzanken muß! Kaum bin ich von Hause fort, wo mir meine Frau die Ohren voll geplaudert, so komme ich vom Regen in die Traufe, und hier an einen wüthenden Liebhaber.«
»Siehst du, Verräther!« sagte der Graf mit halbem Ernste; »deine vortreffliche Frau denkt und fühlt gewiß wie ich. Oh! die Weiber haben darin einen unbeschreiblichen Takt! Auch sie wird es merken, daß hier nicht Alles in Richtigkeit ist. Nicht wahr? – Sprich! ich habe Recht.«
»Was wird sie merken!« erwiderte eifrig der Major mit komischem Zorne, da er sich in die Enge getrieben fühlte. »Nichts merkt sie; das ist wieder wie in so manchen Dingen viel Lärmen um Nichts; Alles, was die Leute sagen und was meine Frau schwätzt und was du fürchtest, läuft am Ende auf nichts mehr und nichts weniger hinaus, als auf eine vielleicht unschuldige Courmacherei.«
»Die du also doch am Ende zugibst!«
»Ja, die ich am Ende zugebe,« entgegnete der Major nach einem tiefen Athemzuge. – »Aber jetzt laß mich zufrieden. Da wäre mir ein Spaziergang in frischer Luft auf alle Fälle viel besser bekommen.«
»Nun, es ist nur gut, daß deine Frau wie ich denkt,« sprach der Adjutant nach einigem Nachsinnen. »Das ist ein vortreffliches Weib; ich werde mich an sie halten.«
»Um gemeinschaftlich über mich zu raisonniren?« lachte der Major, der sich von seinem Stuhle erhob. – »Nun, das kannst du noch heute Abend thun, freilich werde ich dabei sein und – Eugenie, aber ihr braucht euch gar nicht zu geniren; euch zuliebe will ich mich mit dem schönen Ehrenfräulein in irgend einer dunklen Ecke festsetzen, und dann kannst du meiner Frau sagen, was du willst.«
»Ich verstehe dich nicht recht,« erwiderte aufmerksam der Graf, indem er sich ebenfalls erhob und seinem Freunde, welcher das Zimmer zu verlassen sich anschickte, folgte. »Was faselst du eigentlich von deiner Frau und Eugenie?«
»Nun ja, undankbarer Mensch!« sagte lachend der Major, »dafür, daß du meine Verwandte verdächtigst, will ich feurige Kohlen auf dein Haupt sammeln; du darfst heute Abend zu uns kommen.«
»Und Eugenie ist auch da?« fragte der Andere jubelnd.
»Eugenie ist auch da, und – verstehe mich wohl – sonst Niemand; du, sie, meine Frau und ich, – die vollständigste Partie quarré.«
»Major, du bist göttlich!« rief freudig der junge Mann; »es ist ein Unglück, daß Seine Majestät eine Aversion gegen alle Gnadenbezeugungen am Neujahrstage hat; ich würde für dich um den Oberstentitel bitten. – Also wir Vier ganz allein?«
»Ganz allein; komm so um acht Uhr, da ist ja die Hoftafel und dein Dienst vorbei; wir trinken Thee, wir machen einen kleinen Whist, wir plaudern, und da es Neujahrstag ist, so soll es dir unbenommen sein, meiner Frau und also auch Eugenie ein kleines Cadeau mitzubringen. Du siehst, ich bin uneigennützig.«
»So uneigennützig, daß mir ordentlich vor dir graut. Du hast alle Anlage zu einem vortrefflichen Kuppler. Gott stehe dir bei, oder dem armen Menschen, gegen den du agirst.«
»Nun also bis acht Uhr!« sagte lachend der Andere; worauf er dem Freunde die Hand schüttelte und sich empfahl.
Graf Fohrbach begleitete ihn bis in den Vorsaal, wo die Wachen langweilig auf und ab schritten, und wo der einzige Lakai, der keinen Vorwand gefunden, sich zu entfernen, hinter dem Ofen saß und sanft den Schlaf des Gerechten schnarchte.