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57. Die Spielmarken des Herzogs

Man spielte in den Apartements der Frau Herzogin. Das waren zierliche, elegant eingerichtete Gemächer, nicht von den übergroßen Dimensionen derer Ihrer Majestät, und deßhalb für eine kleine Gesellschaft angenehmer und behaglicher.

Die Frau Herzogin liebte den Komfort und eine freundliche Umgebung. Deßhalb hatte sie aus ihren Zimmern die unvermeidlichen steifen Sophas mit den dazu gehörigen zwölf Sesseln, ein gewöhnliches Ameublement der Schlösser, das an einer furchtbaren Familienähnlichkeit leidet, sowie die zopfigen Vasen, die allzu derben Tabourets und die Tische von Holz, Messing und Marmor entfernen lassen und dagegen ihre Einrichtung mehr dem heutigen Geschmacke angepaßt.

Der junge Herzog hatte viel dazu beigetragen, denn er liebte die dicken Teppiche, welche den Schritt so unhörbar machen, sowie die weichen Fauteuils und die tiefen Fensternischen mit Blumenpartien, Sitzgelegenheiten mit den dies Alles verdeckenden Vorhängen.

Dieses Apartement der Frau Herzogin, worin sie ihre kleinen Gesellschaften empfing, bestand aus drei Gemächern, das Vorzimmer natürlicherweise nicht mit eingerechnet.

Im ersten, mit grauseidener Tapete sowie Fenstervorhängen und Portièren von Rosa mit Weiß, wurde geplaudert; man konnte nicht leicht in der ganzen Welt heimlichere, lauschigere Winkel finden als hier. Da war Alles benutzt: die Ecken und Winkel des Zimmers, die Fensternischen, große Epheuwände, um es der Gesellschaft möglich zu machen, sich in kleinen Partien zu zersplittern und frei von allen lästigen Fesseln zu Drei oder auch zu Zwei ein animirtes Gespräch führen zu können. Ueber diesen Gruppen von leise Plaudernden hing ein Kronleuchter, dessen Lampen durch kunstreiche Porzellanschirme bedeckt und das Licht so gedämpft wurde, daß, wenn man von einem vollkommen hellen Gemach hier hereintrat, einem die Beleuchtung nicht anders erschien, wie das sanfte Licht des Vollmondes. Die Frau Herzogin litt zuweilen an den Augen, und dann liebte sie es, sich hier in dieses Halbdunkel zurückziehen zu können.

Das zweite Zimmer, in welchem gespielt wurde, war dagegen glänzend und strahlend. Seine Wände, mit gelber Seide bedeckt, warfen jeden Lichtstrahl hell zurück, die Vorhänge waren blau, und das Ameublement sehr einfach; das heißt, es bestand aus zwei Spieltischen, an denen je vier Sessel standen, einige Fauteuils daneben für die Zuschauer, und zwei Eckdivans, vor welchen sich runde Tische befanden.

Das dritte Zimmer endlich, das letzte der ganzen Reihe, welches heute Abend geöffnet war, hatte grüne Wände, dunkelbraune Vorhänge, und hier befanden sich große, reich incrustirte Tische, auf welchen die prachtvollsten Albums lagen. An einer Wand war eine riesenhafte Etagère von geschnitztem Palissanderholz in der angenehmen dunklen Farbe, fast ganz gleich mit der der Sammetvorhänge, welche man davor hinziehen konnte. Auf dieser Etagère lagen in den kostbarsten Einbänden die seltensten illustrirten Werke fast aller Nationen – die Bibliothek der Frau Herzogin.

So sah dieses kleine Apartement aus, und wenn es, wie heute Abend, durch den hellen Schein der Kerzen und Lampen freundlich beleuchtet war, so angenehm und sanft durchwärmt, so durchduftet von Blumen und anderen Wohlgerüchen, wenn der Fuß des Eingetretenen so weich auf die dicken Teppiche trat, ja fast hineinsank, so mußte dieser sich gestehen, es sei das eine höchst behagliche, ja entzückende Wohnung; namentlich aber, wenn er dann zufällig an ein Fenster trat und den Vorhang aufhob, um in die dunkle Nacht hinaus zu blicken, in die Straßen, durch welche ein eisiger Wind fegte.

Es hatte eben acht Uhr geschlagen, als Graf Fohrbach, nachdem er drunten auf die Ermahnung des Kammerdieners hastig seine Schärpe abgeworfen, die Treppe hinauf eilte und in das graue Vorzimmer trat. Es waren, wie der Hofmarschall gesagt hatte, nur wenige Personen da: der Obersthofmeister, die Obersthofmeisterin, ein paar ältere Kammerherren, zwei Damen vom Dienst und einige pensionirte Excellenzen, deren Leidenschaft es war, dem Spiel Ihrer Majestät zuzuschauen und leise dafür oder dagegen zu wetten.

Der dienstthuende Adjutant kam in der That schon etwas spät, denn Ihre Majestät war bereits eingetreten und die Frau Herzogin hatte bereits die Anwesenden begrüßt und sich darauf zu ihrer Schwester in's Spielzimmer zurückgezogen, wohin sich denn auch Graf Fohrbach auf einen bedeutungsvollen Blick des Hofmarschalls augenblicklich begab, um mit einer sehr tiefen Verbeugung gehorsamst einen guten Abend zu sagen und um Entschuldigung zu bitten, daß er so spät komme.

Die Frau Herzogin geruhten aber gnädigst zu bemerken, der Graf habe heute den Dienst gehabt, und es habe ihn nur dieser einige wenige Augenblicke zurückgehalten. – »Denn,« fügte sie lächelnd bei, »Sie sind ja sonst ein wahres Muster von Pünktlichkeit.«

Ihre Majestät begaben sich hierauf an den Spieltisch und bezeichneten den Hofmarschall als ihren Partner.

Graf Fohrbach spielte also mit der Frau Herzogin.

In dem Augenblicke, wo er sich auf seinen Stuhl niederlassen wollte, glitt der Kammerdiener Ihrer Hoheit wie ein Aal an seine Seite, that, als rücke er etwas an dem silbernen Leuchter des Spieltisches zurecht und flüsterte mit einer tiefen Verbeugung und ganz ergebenst die Frage: »Seine Durchlaucht, der Herr Herzog, werden nicht spielen?«

Die Herzogin hatte aber diese Frage ebenfalls vernommen und versetzte, indem sie die Karten in die Hand nahm: »Mein Sohn wird wahrscheinlich erst zum Souper kommen; ich vergaß, Ihnen das zu sagen.«

Der Kammerdiener antwortete mit einer tiefen Verbeugung, wodurch er sich zu bedanken schien, daß er aus dem Munde der hohen Gebieterin selbst eine Auskunft erhalten. Dann aber schnellte er förmlich in die Höhe, hob seine lange bleiche Nase einige Zoll über das ihr gebührende Niveau, nahm eine sehr wichtige Miene an und spitzte zierlich seinen Mund.

Graf Fohrbach hatte sich unterdessen niedergelassen und war eben beschäftigt, die Spielmarken an seiner Seite aufeinander zu schichten, als er mit Verwunderung die dünne weiße Hand des Kammerdieners bemerkte, der sich mit einem süßen Lächeln bemühte, eben diese Marken an sich zu nehmen. Er sah ihn fragend an, worauf derselbe mit ganz leiser Stimme entgegnete: »Es sind die Marken Seiner Durchlaucht; ich legte sie dahin, weil ich geglaubt, der Herr Herzog würden selbst spielen.«

»So lassen Sie sie auch jetzt ruhig liegen,« sagte lachend die Herzogin. »Ich weiß wohl, mein Sohn gibt sie jedesmal nach dem Spiele in Ihre Hand, aber ich denke, sie werden hier ganz gut aufgehoben sein.«

Die dünnen Finger zuckten zurück, die Gestalt des Kammerdieners krümmte sich und er schlich rückwärts auf dem Teppich zurück und in das Nebenzimmer. Seine blassen Wangen aber hatten sich sanft geröthet, und sein Auge, scharf und glänzend wie das eines Falken, blickte gierig nach den goldenen Marken.

»Ist etwas Besonders an ihnen,« fragte Ihre Majestät, »daß der Herzog sie sorgfältig aufbewahren läßt?«

»Es ist wahrscheinlich ein Cadeau,« entgegnete achselzuckend die Herzogin; »sie sind allerdings von einer netten Arbeit; das Ganze aber ist wohl nichts mehr und nichts weniger als eine von Alfreds Eigenheiten.«

»Lassen Sie doch sehen.«

Der Graf erhob sich schnell und brachte die vier Marken an die Seite Ihrer Majestät, welche sie in die Hand nahm und betrachtete. »Sie scheinen hohl zu sein,« sagte sie; wahrscheinlich kann man sie öffnen; ich kenne dergleichen Spielereien. – Erinnerst du dich, Hedwig, Papa's Obersthofmeister hatte ebenfalls dergleichen Marken, er schrieb dann kleine Zettelchen, die er hinein steckte und den Damen zuschob. – Ein alter, wunderlicher Herr. Ich sah das häufig, that aber nicht, als ob ich es bemerkte. Die Marken waren gerade gemacht wie diese, alle vier schraubten sich auf, aber nur eine hatte einen doppelten Boden. Wenn man aber oben auf die Emaille drückte, welche die Kartenfarbe darstellt, so sprang eine andere Cuvette auf und darunter verbarg er seine kleinen Angelegenheiten.«

»Das hier gehört vielleicht dem gleichen Zwecke an,« meinte die Herzogin. »Gott! wer kann sich um dergleichen bekümmern! – Ist dir's gefällig, das Spiel anzufangen?«

Ihre Majestät nickten mit dem Kopfe.

» Coeur ist à tout,« sagte ganz ergebenst der Hofmarschall.

Geneigter Leser, du wirst gewiß schon sehr häufig in deinem Leben Whist gespielt haben. Es ist das an sich ein harmloses Spiel, außerordentlich leicht und angenehm, wenn man es mit sehr gutmüthigen Leuten spielt, die es gerade so machen, wie du, das heißt, ihre dreizehn Karten eine nach der andern auf den Tisch werfen, die froh sind, wenn sie einen Trique machen, denen es auch nicht darauf ankommt, daß du soeben ihren Piquekönig gestochen, während du doch den Zweier, Dreier und Vierer von dieser schönen Farbe in der Hand behieltest, die es am Ende auch nicht besonders übel nehmen, wenn zum Schluß vielleicht eine Karte übrig bleibt, oder wenn du quatre d'honneur ansagst, während sie doch selbst Aß, König und Dame besaßen.

Nicht so angenehm ist dagegen dieses Spiel, wenn du es mit Leuten zu thun hast, die sich einbilden, darin große Meister zu sein, und die nicht sehr duldsamer und liebenswürdiger Natur sind, die gerne aufbrausen und in allen Dingen Recht haben wollen. Du kannst es machen, wie du es willst: du hast beständig gefehlt; befolgst du die Regeln des Spiels und es gefällt deinem Partner nicht, so zuckt er heftig die Achseln, rückt unmuthig auf seinem Stuhle hin und her, wirft dir einen zornigen Blick zu. Ist es eine Dame, so ergiebt sie auch wohl ganz gelinde, und man sagt zu dir in gereiztem Tone: »Lieber Gott! Man muß doch zuweilen Ausnahmen zu machen verstehen!« – Machst du nun das nächste Mal eine Ausnahme, so hättest du diesmal um Alles in der Welt bei der Regel bleiben sollen. – Spielst du Coeur, so lacht man dir krampfhaft in das Gesicht, denn Pique war ja die angezeigte Farbe; Pique hätte ein Kind begreifen können; um hier bei dieser Veranlassung nicht Pique zu spielen, muß man doch offenbar der schlechteste Spieler sein, der je eine Karte in die Hand genommen. Spielst du nun das nächste Mal bei der ganz gleichen Veranlassung ein unschuldiges Piqueblättchen aus und hast zufällig die richtige Farbe getroffen, weßhalb du deinen Partner triumphirend anblickst, so erwidert derselbe doch diesen Blick mit wahrhaftem Entsetzen. Er wiegt den Kopf hin und her, als wollte er sagen: Bei dieser Ungeschicklichkeit kann man nichts thun, als sich in Geduld fassen. Und fragst du endlich: »War denn Pique diesesmal wieder nicht recht?« so lächelt man vielleicht mitleidig und entgegnet dir: »Mein bester Herr, Pique an sich wäre schon nicht ganz unrecht gewesen, aber wie können Sie um Gotteswillen den Zehner ausspielen, wenn Sie den Buben in der Hand haben? Das heißt ja muthwillig Alles auf's Spiel setzen! Ah! Das ist doch ein bischen zu stark!«

Wahrhaft peinlich ist es aber nun, Whist mit hohen Herrschaften zu spielen, wo du auf alle Fälle Unrecht hast, wo du keine Gegenrede wagen darfst, wo du beim Unglück, durch schlechte Karten herbeigeführt, dasselbe verschuldet, wo dich dagegen beim Glücke dein Partner oder Partnerin durch ihr glänzendes Spiel mit durchgerissen. Hier erhältst du natürlich selten oder nie einen lauten Vorwurf, aber dafür trifft dich ein sonderbar fragender Blick; ein leichter Husten ist dir außerordentlich verständlich; ein kaum bemerkbares Achselzucken oder ein gelinder Seufzer schmettert dich gänzlich zu Boden. – So ergeht es dem vortrefflichen Spieler, der mit aller Anstrengung seiner Verstandeskräfte bei der Sache ist und sich durch nichts zerstreuen läßt.

Welche Qualen dagegen ein Unglücklicher, ein Liebender, ein Eifersüchtiger am Spieltische der höchsten Herrschaften ausstehen muß, davon, geneigter Leser, bist du vielleicht glücklicherweise nicht im Stande, dir einen Begriff zu machen.

Und der arme Graf Fohrbach befand sich in diesem Falle; doch machte er übermenschliche Anstrengungen, sich vor den strengen Augen der Frau Herzogin keine Blöße zu geben, und das Glück, das ihm heute Abend in der Liebe manquirte, war ihm denn auch, gemäß dem Sprichwort, im Spiele günstig, und er bekam, wie der Hofmarschall bei jedem Ausgeben seufzend versicherte, immense Karten. Die Frau Herzogin lächelte holdselig und freundlich, denn Ihre Majestät und Seine Excellenz waren groß Schlemm geworden und hatten einen sehr starken Rubber eingebüßt.

Und nicht allein die verlorene kleine liebenswürdige Soirée bei dem Major v. S. beschäftigte die Phantasie des unglücklichen Grafen, nicht nur der Herzog, der statt seiner dorthin gefahren, nein, auch die Marken Seiner Durchlaucht, die vor ihm auf dem Tische lagen, fesselten seine Aufmerksamkeit, und er mußte sie immer und immer wieder nachdenkend betrachten, als verbärgen sie ihm irgend ein wichtiges Geheimniß. – Warum wollte sie der Kammerdiener so schleunig fortnehmen? – Sie waren hohl, wie Ihre Majestät meinten, und Ihre Majestät hatten ferner einer Geschichte gedacht, wo irgend ein seliger Obersthofmeister in ähnlichen Marken den Damen Billete zuzustecken gewußt.

Wie gesagt, der Rubber war zu Ende und Ihre Majestät schienen nicht darauf zu dringen, augenblicklich einen neuen zu beginnen, sie lehnten sich vielmehr in ihren Stuhl zurück und sprachen leise mit der Frau Herzogin.

Auf den Marken befanden sich, wie Ihre Majestät vorhin bemerkt, in Emaille die vier Kartenfarben. Der Graf spielte mit Treff, nahm die Marke leicht in die Hand, ließ sie, wie ganz absichtslos, unter dem Tische verschwinden, und drehte daran. – Ihre Majestät hatte Recht: die Marke öffnete sich und bot ein kleines Gehäuse dar, welches aber leer war und auch nichts Weiteres zeigte, als er auf die Emaille drückte. Ganz geschickt wußte er Treff, nachdem er wieder zugeschraubt hatte, auf den Tisch zu bringen und nahm dafür Caro. – Auch Caro war und blieb leer, ebenso Pique; – aber Coeur. – Scheu blickte er umher, um zu sehen, ob Niemand auf ihn achte. Doch die Herrschaften sprachen noch immer leise zusammen, und der Hofmarschall hatte die Rechnung über den verlorenen Rubber in der Hand und überlegte, wie viele Dukaten ihn das Spiel heute Abend kosten würde. – Richtig! – Coeur war nicht leer; bei einem Drucke auf die Emaille sprang die Cuvette auf, und unter derselben lag ein kleines, zusammengefaltetes Papier. – War es Unrecht, dies an sich zu nehmen? – Es zu behalten – gewiß! – aber nicht, es nur zu lesen und dann wieder hinein zu legen. Mit diesen Gedanken beschwichtigte der junge Mann sein Gewissen. – »Es ist das eine Kriegslist,« sprach er zu sich selber, »ich recognoscire nur feindliches Terrain; denn der Herzog ist in diesem Punkte mein Feind, und ich fürchte, wir werden einen erbitterten Krieg mit einander führen. – Nein, nein! – Da gilt keine Schonung. – Wer weiß, ob er selbst mich nicht statt seiner hierher gebracht hat!«

Unter diesen Gedanken hatte er auch schon die Marke geleert, sie wieder zugeschraubt und auf den Tisch gestellt.

Wie aber nun das Papier lesen? – Und das mußte schnell geschehen, denn sobald Ihre Majestät zufällig das Spiel aufhob, so hatte er nicht mehr Zeit, den Zettel in die Marke zu stecken, und der schlaue Kammerdiener mußte augenblicklich den Verlust desselben entdecken.

Glücklicherweise half ihm der Hofmarschall über diese Klippe hinweg, indem er ihm die Whistrechnung sowie den Bleistift darreichte und ihm sagte: »Sehen Sie doch 'mal nach, Graf Fohrbach, da muß irgendwo ein Fehler stecken, Plus und Minus stimmt mir nicht überein.«

»Lassen Sie sehen,« versetzte der Graf entzückt, während er das Papier ergriff, seinen Zettel, den er in der hohlen Hand verbarg, geschickt darauf legte und statt sich um die Zahlen zu bekümmern, die Worte las:

»Bericht – wie gewöhnlich um elf Uhr. Vierte Thüre neben der blauen Gallerie,« – welche er sich fest in's Gedächtniß einprägte.

»Nicht wahr, es ist ein Fehler darin?« fragte die Excellenz. »Sehen Sie, hier plus zwanzig und dort minus fünfzehn.«

»Lassen Sie mich rechnen,« erwiderte der Adjutant, der jetzt erst das andere Papier betrachtete. – »Ach ja! hier steckt der Irrthum; die fünf Points minus gehören dorthin. Sehen Sie, so gleicht sich die Rechnung völlig aus.«

»Ja, Sie haben Recht,« sagte die Excellenz, »es macht freilich fünf Points mehr Verlust für mich, aber man muß auch in kleinen Dingen ehrlich sein.«

Es war ein Glück, daß es dem Grafen so schnell gelungen war, das Papier ohne Aufsehen zu lesen und ebenso in die Marke zurückzustecken, denn Ihre Majestät schienen jetzt schon alle Lust am Spiele verloren zu haben, ließen Ihre Schulden durch Ihren Kammerherrn berichtigen und erhoben sich darauf mit der Frau Herzogin vom Tische.

Der Hofmarschall und der Adjutant machten eine tiefe Verbeugung; Ersterer ging in das Bibliothekzimmer, der Andere schritt langsam nach dem grauen Kabinete, doch blieb er unter der Thüre desselben hinter dem Vorhange einen Augenblick stehen.

Kaum waren die Herrschaften vom Spieltische aufgestanden, so erschien alsbald der Kammerdiener und packte die vier Marken seines Herrn zusammen, warf einen schnellen Blick auf jede einzelne, dann einen andern durch das Zimmer, um sich zu überzeugen, ob Niemand die Hast bemerkt habe, mit welcher er die Marken in Sicherheit gebracht.

Doch hatte ihn der Graf wohl beobachtet, und nachdem dieser das Zimmer verlassen und nothgedrungen mit einigen Herren und Damen, die ihm gerade in den Weg traten, ein paar gleichgiltige Worte gewechselt hatte, zog er sich hinter eine große Epheuwand zurück und ließ sich dort auf ein Sopha nieder.

»Vor allen Dingen muß ich mir klar machen,« dachte er, »für wen der Zettel bestimmt ist. – Ohne Zweifel für den Herzog. – Aber warum alsdann diese Heimlichkeiten mit den Marken? Hätte ihm der Kammerdiener nicht ebenso gut dieses Papier in die Hand geben können? – Halt! da gibt's was zu überlegen. Dieser Zettel kam vielleicht während der Tafel und wurde an den bewußten Ort gelegt, damit ihn Seine Durchlaucht ohne Aufsehen an sich nehmen könne. – Der Herzog will es wahrscheinlich vermeiden, daß man ihn geheimnißvolle Worte mit dem Kammerdiener seiner Mutter wechseln sieht. – Oder – nein, nein! – So muß es sein! – Der Kammerdiener selbst ist nicht eingeweiht, wie man diese Marken öffnet, er weiß nur, daß sie für den Herzog kostbar sind, deßhalb wollte er sie zu sich nehmen. – Ein Anderer aber, ja ein Anderer, der nicht in diesen Kreis kommt, kennt das Geheimniß der Marke und legte den Zettel hinein, um Seine Durchlaucht zu benachrichtigen. – – Bericht wie gewöhnlich,« murmelte er vor sich hin, »um elf Uhr. – Das ist sehr unbestimmt, wird aber um elf Uhr heute Abend heißen sollen, denn sonst hätte jener Andere ja Zeit gehabt, dem Herzog zu schreiben. – Die vierte Thüre neben der blauen Gallerie. – Das klingt schon begreiflicher: die blaue Gallerie kenne ich sehr genau, und die vierte Thüre wird nicht schwer zu finden sein. – Aber was an dieser vierten Thüre thun? – Soll der, welcher hinkommt, einen Bericht erhalten oder einen geben? – Das Letztere wäre für mich sehr unangenehm. – Bah! wie kann ich da zweifeln? Man kann einen Herzog nicht nur so zum Bericht auffordern. – Nein, nein! man will ihm irgend etwas Interessantes anvertrauen. – Und da das Ganze auf hundert Meilen nach einer Liebesgeschichte riecht, und da Seine Durchlaucht der Herr Herzog die außerordentliche Gnade haben, Seine leichtfertige Cour einer jungen Dame zu machen, die ich unbeschreiblich und aufrichtig liebe, – da er ferner heute Abend meinen Platz eingenommen, so werde ich mir auch wahrhaftig kein Gewissen daraus machen, als Revanche ein wenig für ihn zu gelten. – Ja, ich werde hingehen, denn es ist mir gerade, als müßte dort etwas verhandelt werden, was für mich am Ende noch von größerem Interesse ist als für ihn.«

Damit war sein Entschluß gefaßt; er erhob sich beruhigt aus seiner Ecke und mischte sich wieder unter die Gesellschaft.

Die kleine Soirée nahm übrigens recht langweilig ihren Fortgang, wie es wohl meistens bei einer höchsten Spielpartie der Fall ist, wo nicht gespielt wird. Die Herrschaften hatten sich am Kamine niedergelassen und zogen nur hie und da eine der alten Excellenzen in den Bereich ihrer Unterhaltung, wobei übrigens Ihre Majestät häufig auf die Uhr blickten und sich entweder nach dem Fortgehen oder dem Souper zu sehnen schienen.

Das Letztere kam nun gegen halb Elf und brachte wieder einiges Leben in die Gesellschaft. Die Damen und Herren in den Ecken des Zimmers hörten auf, verstohlener Weise zu gähnen, die Fächer wurden nicht mehr unaufhörlich auf- und zugeklappt, die Hüte nicht mehr in den weißen Handschuhen hin und her gedreht. Es war, als fliege ein allgemeines Ah! durch das Zimmer, und nicht blos die Bedienten rannten geschäftig hin und her, um die gedeckten Tische im Spielzimmer mit einer Menge Platten voll kalter Küche, mit Früchten und allerlei Weinen zu bedecken, auch die Herren bewiesen sich liebenswürdig gegen die Damen. Die Hüte wurden in einem Winkel placirt, die Damen setzten sich nieder und ließen sich mit dem, was gerade nach ihrem Geschmacke war, bedienen, worauf man bald nichts mehr hörte, als das Klappern der Teller, Messer und Gabeln, oder das leise Klingen eines Glases.

Aber in der Art, wie die Leute ihr Souper einnahmen, lag eigentlich so gar nichts Behagliches. Die Herren verzehrten ihr Bischen meistens stehend, die Damen, indem sie abwechselnd einen Blick auf den Teller und dann wieder einen auf die allerhöchsten Herrschaften warfen. Es war keine Ruhe bei diesem Essen: man konnte sich doch nicht am Ende der Gefahr aussetzen, einen gnädigen Wink oder ein freundliches Lächeln zu übersehen; deßhalb die ewige Aufmerksamkeit auf den allerhöchsten Teller und den allerhöchsten Mund, und erst als man sicher war, daß letzterer gerade selbst beschäftigt war, zwang man heftig und unnachsichtlich schluckend irgend einen tüchtigen Bissen hinab, um gleich darauf wieder kampfgerüstet zu sein.

Den Herren erging es zuweilen noch schlimmer, und eine unzeitige Frage Ihrer Majestät konnte im Stande sein, sie in die furchtbarste Verlegenheit zu setzen. – Antworte einmal Einer korrekt und deutlich, wenn er vom Viertel eines ziemlich großen Kapauns im Munde hat; das schluckt sich nicht nur so augenblicklich hinunter. – Aber auf eine Antwort warten lassen! – Lieber riskirt man im Verschlingen das Unmögliche.

Der geneigte Leser wird hieraus ersehen, daß das Essen und Trinken bei Hofe auch seine großen Unannehmlichkeiten hat und daß die Herren und Damen desselben darum gerade nicht zu beneiden sind. Man kann von ihnen in Wahrheit sagen, sie essen meistens ihr Brod im Schweiße ihres Angesichts; und es ist das oftmals ein hartes Brod, nicht gewürzt durch wahre Freude. Die Meisten von denen, welche der Spielpartie heute Abend anwohnen mußten – wir sagen nicht ohne Absicht mußten – gingen fast mit den gleichen Gefühlen hin, wie der arme Graf Fohrbach. Sie schleppten am Fuß ihre unsichtbare Kette und fühlten sich wohl unglücklicher, wenigstens gelangweilter, als Tausende von anderen Menschen, die im mäßig erwärmten Zimmer um eine Schüssel Kartoffeln sitzen, ein Stück Brod in der Hand und einen freien Willen im Herzen. – Hier betritt man den glänzenden und reich erleuchteten Salon, nachdem man vor der Thüre sich vielleicht heftig auf die Lippen gebissen und einen letzten tiefen Seufzer gethan, da man an andere Freuden gedacht, die heute Abend zu genießen wären. Darauf legt sich das Gesicht in freundliche Falten, das Auge glänzt schalkhaft und liebenswürdig, und diese Maske muß den ganzen Abend festgehalten werden, obgleich manche dieser scheinbar so glücklichen Damen sich lieber mit gerungenen Händen in eine Ecke setzen würde, um heiße, bittere Thränen zu weinen. Ja, der Ausdruck der Freude und des Glückes muß beibehalten werden, bis Ihre Majestät zweimal leicht den Mund verzieht und dann bemerkt: »Es ist sogleich elf Uhr,« bis ihr eines der Ehrenfräuleins den weißen Burnus umhängt, bis sie die Frau Herzogin auf die Stirn geküßt hat und mit einem »adieu ma chère!« Abschied genommen. – Dann folgt noch ein tiefer Knix rings umher, ein zweiter, wenn sich endlich auch die Frau Herzogin zurückzieht; die Thüren zu den Vorzimmern werden geöffnet, die Bedienten reichen Mäntel und Shawls, die Herren sagen flüchtig eine gute Nacht, die Damen suchen ihre Wagen oder eilen durch die nun sehr öden und halb dunkeln Gänge des Schlosses nach ihren Zimmern, – und dann erst fällt die Maske, dann erst trübt sich der bis jetzt so heitere Blick, und Manche denkt an einen verlorenen Abend, Manche preßt die Hand auf das Herz und schaudert leicht zusammen, wenn sie an so viele dergleichen Abende denkt, die schon hinter ihr liegen, und an unzählige, die wahrscheinlicherweise noch auf sie warten. – Und so ist das auch eine Art Sklavenleben, geliebter und sehr geneigter Leser.

In der beschriebenen Art ging auch die heutige Soirée zu Ende, und wenige Augenblicke, nachdem sich die Herrschaften zurückgezogen, war das kleine schöne Apartement gänzlich verlassen.

Was nun den Herrn Herzog anbelangte, so hatte er sich auch nicht beim Souper sehen lassen, wodurch sich der Graf veranlaßt sah, mehrere tiefe Seufzer zu unterdrücken, zuweilen die rechte Hand krampfhaft zu ballen und auf seinem einmal gefaßten Entschlüsse, den Bericht selbst anzuhören, fest zu beharren.

Nachdem er den Herren und Damen, die an ihm vorüber geeilt, eine gute Nacht gewünscht, ließ er sich von seinem Jäger, der im Vorzimmer auf ihn wartete, den Mantel umhängen.

»Du hast den Herrn Erichsen getroffen?« fragte er ihn.

Worauf Franz erwiderte: »Ich habe den Brief Euer Erlaucht in seine Hände gegeben.«

»Er las ihn durch?«

»Herr Erichsen las ihn durch, lächelte und sagte: ich will es bestens besorgen.«

»Schön; ich danke. Du kannst mit dem Wagen nach Hause zurückkehren, ich brauche ihn nicht und komme vielleicht in einer Stunde zu Fuß. – Gehe aber vorher drunten in's Adjutantenzimmer und nimm die Schärpe mit, die dort liegen geblieben.«

 


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