Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich ging in meiner Stube auf und ab, indem ich auf das Frühstück wartete. Ich sah durch das Fenster und erblickte ein Seil, das von St. Sebald nach dem Rathause gezogen war und woran mitten ein gemaltes Schild hing. Alle Mühe, die ich mir gab, die Figuren darauf zu erkennen, war vergeblich, und ich war im Begriff, zum Schenkwirt hinunterzugehen und mir Bescheid zu holen. In demselben Augenblick trat in mein Zimmer Peter Vischer, der Jüngere, der zu den Genannten des Rates gehörte und ebenso liebenswürdig als unterrichtet war. Er begrüßte mich, und indem er sich darauf berief, was zwischen uns verabredet wäre, meldete er mir, daß heute dem Kaiser zu Ehren eine Festschule gehalten würde. Ich sah ihn stutzig an, dann aber erinnerte ich mich, daß Peter Vischer der holdseligen Meistersingekunst beflissen wäre, und ich wußte mir seine Worte zu erklären und zugleich, was es mit dem Aufhängen der Tafel für ein Bewenden hätte. Peter erzählte mir, daß durch das Schild alle, die an erbaulichen Festen Teil nähmen, zu der Singeschule eingeladen würden.
Unterdes ward das Frühstück hereingetragen und Vischer ließ es sich gefallen, dasselbe mit mir zu teilen. Er erzählte mir über die Entstehung und das Wesen der Meistersingekunst gar vieles, dem ich gern ein aufmerksames Ohr lieh. Die unschickliche Frage, die mir entschlüpfte, ob die Meister an anderen Orten auch dergleichen Kurzweil trieben, erzürnte ihn nicht, vielmehr hielt er sich dadurch bewogen, mich über die hohe Bedeutung ihres Strebens zu belehren. Die löbliche Musik und die liebliche Singekunst, fing er etwas feierlich an, dient nicht allein zur Freude und Ergötzung der Menschen, sondern sie ist das edelste Erregungsmittel zur Erinnerung göttlicher Wohltaten und zur Andacht des Herzens. Wie denn auch der heil. Apostel Paulus zur Übung guter Gesänge gar treulich vermahnt.
Ich unterbrach ihn absichtlich in der Rede und er fuhr also fort: Der Meistersinger hohe Schule ist Mainz und die Töchterschulen sind Nürnberg und Strasburg. Aber in Nürnberg ward seit lange die holdselige Kunst besser gepflegt als irgendwo. Wie vor fünfzig Jahren der Briefmaler Hans Rosenplüt und der Barbier Hans Folz berühmt war, so jetzt der Leineweber Leonhard Nunnenbeck und vor allen dessen Schüler Hans Sachs, der Schuster.
Was haben jene Figuren auf der Tafel zu bedeuten? fragte ich ihn. Auf der Tafel, erwiderte er, seht Ihr oben ein Wappen mit einer Krone, das ist der Meistersinger Wappen und darunter zwölf Männer, die einen Garten bestellen, deren Mühe aber ein wildes Tier zunichte macht. Die zwölf Männer sind die zwölf berühmten Sänger, die die erste Singeschule einrichteten, und das wilde Tier ist der Neid, der von außenher, und die Zwietracht, die von innenher ihrem Gedeihen schadet. Von heiligem Beruf durchdrungen, sangen die zwölf Männer Lieder, die Gott wohlgefällig waren und den Menschen frommten. Der Kaiser Otto der Große, erlauchten Andenkens, bestätigte ihren Bund und schenkte ihnen ein Wappen mit der Krone. Aber die Mönche, die sonst allein in der Kirche ihr Wesen trieben, waren neidisch, daß auch sie daselbst öffentlich Gottes Gnade verkündigten. Beim Papste verschrieen sie sie als Ketzer, und dieser forderte sie insgesamt nach Pavia, daß sie Rechenschaft von ihrem Treiben gäben. Freimütig erklärten sie hier, daß Gott ihnen die Lieder einflößte, und daß dieselben daher nicht allein unsträflich, sondern auch heilig wären. Drob verwunderte sich Se. Heiligkeit, und um sie als Lügner zu beschämen, legte er allen ein Thema ans der Bibel vor, worüber sie ein Gedicht machen sollten, und ließ jeden besonders in einem Gemach verschließen. Doch wer beschämt wurde, war der Papst, denn da er Aller Gedichte miteinander verglich, so stimmten diese Wort für Wort überein. Mit reichen Geschenken verabschiedete er sie und nannte sie echte Christen, obgleich einer diesen Namen nicht verdiente.
Weiß man die Namen dieser Wundermänner?
Freilich weiß man sie. Sie waren teils Gelehrte, teils Ritter, teils Bürger. Einer war Schmied, einer Seiler, einer Glasbrenner. Von ihnen ist nicht viel zu erzählen, aber desto mehr vom Ritter Wolfram Rohn (von Eschenbach), von Heinrich Frauenlob, der heil. Schrift Doktor zu Mainz, von Nicolaus Klingsor, der freien Künste Magister. Klingsor war ein gewaltiger Sterngucker und Schwarzkünstler im Ungarlande, der zu der nämlichen Zeit lebte, als am Hofe des Landgrafen Hermann auf der Wartburg sich sechs Meister der Singekunst befanden, edel von Geburt und von Sinnen. Fünf von ihnen, zum Schild geboren, waren Ritter, wie Walther von der Vogelweide und Wolfram Rohn, einer aber war ein Bürgersmann von Eisenach, Heinrich von Ofterdingen. Die feierten in Liedern des Landgrafen Ruhm und der Landgräfin Sophia Züchtigkeit. Einstmals beschlossen sie, einen Wettgesang anzustimmen. Sie nannten ihn den Wartburgskrieg, und wie im Kriege es um Tod und Leben sich handelt, so machten sie untereinander aus, daß der gehenkt werden sollte, so den kürzeren zöge. Sie kämpften mit Gesang, und Heinrich von Ofterdingen ward besiegt. Der floh, da die andern ihm ans Leben wollten, unter der Frau Sophia Mantel, und sie schirmte ihn und brachte es dahin, daß der Überwundene sich konnte einen Meister des Gesanges zuhilfe nehmen, um in Jahresfrist sich wieder zum Kampfe zu stellen. Er reiste nun umher und kam auch nach dem Ungarlande, wo er den berühmten Klingsor nach den Sternen schauen sah. Ihm trug er die Sache vor, und der Schwarzkünstler versprach, um ein Jahr zu kommen, sofern er bis dahin alle Sterne beobachtet hätte, denn eher rührte er sich nicht von seinem Platze. Heinrich hatte darob des Leides und der Sorgen viel. Er wartete einen Monat nach dem andern. Das Jahr war fast verflossen und er vernahm, daß Klingsor noch daheim die Sterne zählte. Aber am Tage, da im Ritterhause der Sängerkrieg vor sich gehen sollte, ließ sich Klingsor von seinen Geistern nach Thüringen tragen und zog wie ein Bischof gen Wartburg. Der Wettgesang ward begonnen. Zuerst fing Wolfram an, dann sang Klingsor von der Natur der himmlischen Sphären, von der Sterne Lauf und der Planeten Bewegung gar behendiglich. Wolfram wußte nichts davon und mußte schweigen. Da pries dieser die Herrlichkeit Gottes und verkündigte, wie das Wort Fleisch geworden wäre und wie unser Herr Jesus Christus der Christenheit sein Blut gegeben hätte als Pfand und Handfeste ewiger Seligkeit. Klingsor wußte nichts davon und mußte schweigen. Klingsor rief jetzt seinen Diener herbei, den Teufel Nasian, der mit vier Büchern erschien in hellem Feuerglanz. Wolfram, da er seinen Gegner kleinlaut sah, fuhr siegprangend fort: Gott ist das höchste Wesen und Gott ist der Herr aller Welten.
Kennst du alle Welten? fragte Nasian und Wolfram sah ihn verlegen an. Schnipp, schnapp! rief da Nasian, du bist ein Laie! Wie weißt du, daß Gott der Herr aller Welten sei, wenn du nicht weißt, wie viele ihrer sind. Und er schrieb mit dem Finger wie mit einer glühenden Kohle an die Wand: Wolfram ist besiegt! Der Landgraf entschied da, daß keiner dem andern überlegen wäre, und entließ Klingsor mit Kleinodien beschenkt vom Hofe. So war Wolframs Ehre und Ofterdingens Leben gerettet. Das ist die Geschichte vom Wartburgskriege. Ein anderer berühmter Meistersinger ist Doktor Frauenlob aus Meißen. In unsterblichen Gesängen erhob er der Frauen Schönheit und Sittigkeit, und zum Dank trugen ihn die Frauen in Mainz zu Grabe, denn nicht dem Lebenden allein, sondern auch dem Toten sollte ihre Tugend offenbar werden. Im Dom ist sein Leichenstein, den die Frauen mit Tränen und mit Wein benetzten.
Die Singekunst, deren ihr euch jetzt befleißigt, leitet ihr also von den zwölf Meistern her?
Jawohl. Sie unterrichteten Jünglinge und die Schüler wurden wieder Meister und so bis auf unsere Zeit. Wer die Kunst erlernen will, der geht zu einem Meister, der wenigstens einmal in der Singeschule den Preis gewonnen hat, und dieser unterweist ihn unentgeltlich. Er lehrt, was es heißt, zur Ehre der Religion singen, und weiht ihn ein in die Geheimnisse der Tabulatur, so nennen wir die Gesetze der Dichtkunst. Hat der Lehrling diese begriffen, so bittet er die Gesellschaft um seine Aufnahme, da er von löblichen Sitten sei und guten Willen zeige. Der Aufgenommene muß alsdann den Singestuhl in der Kirche besteigen und eine Probe seiner Kunst ablegen. Gelingt sie ihm, so wird sein Wunsch gewährt. Feierlichst gelobt er, der Kunst stets treu zu sein, die Ehre der Gesellschaft wahrzunehmen, sich stets friedlich zu betragen und kein Meisterlied durch Absingen auf der Gasse zu entweihen. Dann zahlt er das Einschreibegeld und gibt zwei Maß Wein zum Besten. Bei den gewöhnlichen Versammlungen der Meistersinger und wenn sie sich in der Schenke zusammenfinden, sind weltliche Lieder wohl erlaubt, nie aber in den Festschulen. Die Festschulen finden dreimal im Jahre statt, zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten in der Katharinenkirche. Hier werden nur Gedichte vorgetragen, deren Inhalt aus der Bibel oder den heiligen Sagen geschöpft ist. Wer am fehlerfreisten singt, wird hier mit einer goldenen Kette geschmückt, und mit einem Kranze, wer nach ihm am besten besteht. Wem grobe Fehler dagegen nachgewiesen werden, der muß es durch Strafgeld büßen. So fließt das Leben der Meistersinger unter erbaulichen Gesängen hin und wenn einer ans dem frohen Kreise abgerufen wird, so versammeln sich seine Genossen um sein Grab und singen ihm das letzte Lied.
Da jetzt die Ratsuhr schlug, so brach Vischer auf. Ich hatte gemeint, er würde mich zur Katharinenkirche führen. Allein Vischer versprach mir, um eine Stunde zurückzukehren, da er erst andere Tracht anlegen müßte. Er hielt Wort und erschien jetzt ganz in schwarze Seide gehüllt mit einem geschmackvollen Barett. Um das Fehlgehen hatte es keine Not, da man nur dem Zuge der Menschen zu folgen brauchte, die alle nach der Festschule strömten. Am Eingange des kleinen Kirchleins hielt der Kirchner zu einem Trinkgelde die Mütze auf. Dies geschah darum, daß nicht alles Gesindel sich hinzudrängte und ehrliche Leute um die Erbauung brächte.
Die Kirche war im Innern schön aufgeputzt, und vom Chor, den der Kaiser einnehmen sollte, hing eine kostbare Purpurdecke herab. Gar feierlich nahm sich der Verein der edlen Meistersinger ans, so umher auf den Bänken saßen, teils langbärtige Greise, die aber noch alle rüstig schienen, teils glatte Jünglinge, die aber alle so still und ernst waren, als wenn sie zu den sieben Weisen Griechenlands gehörten. Alle prangten in Seidegewändern grün, blau und schwarz mit zierlich gefalteten Spitzenkragen. Unter den stattlich gekleideten Meistern befand sich auch Hans Sachs und sein Lehrer Nunnenbeck. Größere Ruhe herrscht nicht beim Hochamte. Nur ich und Vischer sprachen, der mir alles erklären mußte. Neben der Kanzel befand sich der Singestuhl. Nur kleiner war er, sonst wie eine Kanzel, den die Meistersinger auf ihre Kosten hatten bauen lassen und der heute mit einem bunten Teppich geschmückt war. Vorne im Chor sah man ein niedriges Gerüst aufgeschlagen, worauf ein Tisch und ein Pult stand. Dies war das Gemerke, denn hier halten diejenigen einen Platz, die die Fehler anmerken mußten, die die Sänger in der Form, gegen die Gesetze der Tabulatur, und im Inhalt, gegen die Erzählung der Bibel und der Heiligengeschichten begingen. Diese Leute hießen Merker und ihrer gab es drei. Obgleich das Gemerk mit schwarzen Vorhängen umzogen war, so konnte ich doch von meinem Sitze aus alles beobachten, was hier vorging, und ich sah an der einen Seite des Gerüstes die goldene Kette mit vielen Schaustücken hangen, die der Davidsgewinner hieß, und den Kranz, der ans seidenen Blumen bestand.
Jetzt rasselte es vor dem Eingänge und der Kaiser Maximilian mit dem ganzen Gefolge erschien und zeigte sich gar gnädig, indem er milde vom Chor herniedersah. Aber er verweilte nicht lange, denn ihm schien die holdselige Singekunst nicht sonderlich zu behagen.
Als der Kaiser sich zeigte, so geriet alles in lebhafte Bewegung. Ein greiser Meister betrat den Singestuhl und vom Gemerke erscholl das Wort: Fanget an! Es war Conrad Nachtigall, ein Schlosser, der so sehnsüchtig und klagend sang, daß er seinen Namen wohl mit Recht führte. Vom himmlischen Jerusalem und von der Gründung des neuen sagte er viel Schönes in gar künstlichen Reimen und Redensarten. Auf dem Gemerke sah ich, wie einer der Meister in der Bibel nachlas, der andere an den Fingern die Silben abzählte und der dritte aufschrieb, was diese beiden ihm von Zeit zu Zeit zuflüsterten. Aber auch die Meister unten waren aufmerksam und in stiller Tätigkeit. Alle trieben mit den Fingern ein närrisches Spiel, um genau die Versmaße wahrzunehmen. An ihrem Kopfschütteln erkannte ich, daß der Sprecher hie und da ein Versehen begangen. Nach dem Meister Nachtigall kam die Reihe an einen Jüngling Fritz Kothner, einen Glockengießer, der hatte die Schöpfungsgeschichte zum Gegenstand seines Gedichtes gewählt. Aber hier hieß es nicht: Und Gott sahe, daß es gut war. Denn der Arme war verlegen, es wollte nicht gehen und ein Merker hieß ihm, den Singestuhl zu verlassen, Der Meister hat versungen, raunte mir der Vischer zu, und da ich ihn fragte, warum man ihn nicht hätte sein Stück zu Ende bringen lassen, so erklärte er mir, daß er ein Laster begangen. Mit diesem Namen belegten nämlich die Kenner der Tabulatur einen Verstoß gegen die Reime. Dergleichen wunderliche Benennungen für Fehler gab es viele, als blinde Meinung, Klebsilbe, Stütze, Milbe, falsche Blumen. Die Bezeichnung der verschiedenen Tonweisen waren gar absonderlich, als die Schwarz Tintenweise, die abgeschiedene Vielfraßweise, die Cupidinis Handbogen-Weise. In der Hageblüt-Weise ließ sich jetzt vom Singestuhl herab Leonhard Nunnenbeck vernehmen; ein ehrwürdiger Greis im schwarzen Gewande. Sein Kopf war glatt, wie meine innere Hand, und nur das Kinn schmückte ein schneeweißer Bart. Alles bewunderte ihn, wie er, gemäß der Apokalypse, den Herrn beschrieb, an dessen Stuhl der Löwe, der Stier, der Adler und der Engel ihm Preis und Ehre und Dank gaben, der da thronet und lebet von Ewigkeit zu Ewigkeit, wie die vierundzwanzig Ältesten ihre Krone vor den Stuhl niederlegten und Preis und Ehre und Dank ihm gaben, durch dessen Willen alle Dinge ihr Wesen haben und geschaffen sind und wie sie ihre Kleider hell gemacht haben im Blute des Lammes, wie die Engel, die um den Stuhl, um die Ältesten und um die vier Tiere standen, auf ihr Angesicht niederfielen und Gott anbeteten. Als Nunnenbeck endigte, da waren alle voller Entzücken, und namentlich leuchtete aus Hans Sachsens Gesicht hell die Freude hervor, der sein dankbarer Schüler war. Er rühmte sich des Lehrers, wie der Lehrer sein. Mir gefiel auch das Gedicht, das aber wohl mehr erhaben als schön war. Da trat als der vierte und letzte Sänger wieder ein Jüngling aus. Was der sagte, war so recht nach meinem Sinn. Er gehörte auch zur Weberzunft und hieß Michael Behaim, der mancherlei Länder gesehen. Sein Vater hatte sich Behaim (Böhme) genannt, da er aus Böhmen nach Franken gezogen war. Mit rastloser Anstrengung übte sich unser Behaim in der Singekunst und verglich sich mit Recht mit einem Bergmaune, der mühsam gräbt und sucht, um edles Gold zu fördern. Nie war er früher in einer Festschule aufgetreten, da er nicht anders als mit Ruhm den Singestuhl besteigen wollte. Sonder Zweifel hätte Michael Behaim den ersten Preis errungen, wenn nicht Nunnenbeck vorher gesungen. Sein Gedicht, gar sinnreich mit künstlichen Reimen, lautete so:
Einst herrscht ein Kaiser lobesam,
Des Volkes Vater war sein Nam'.
Im Reiche war ein Wald, da nahm
Man Tiere wahr, wie Stamm an Stamm,
Und nimmer müde, nimmer lahm
Ein Einhorn lief dazwischen.
Da nun der Kaiser dies vernahm,
Fragt' er die Meister all zusamm,
Nie man das Tier wohl machte zahm,
Das stets trotz Graben, Jaun und Damm,
Trotz Jägerlisten schlau entkam,
Nie man es möcht' erwischen.
Die Meister sprachen all zusamm:
Das Tier ist nicht dem Frieden gram.
Der Frauen Reiz ist Netz und Ham,
Der macht das« flinke Einhorn zahm.
Und sanfter wie ein frommes Lamm,
Der Kaiser zwo der Frauen nahm.
Der schönsten, die er nur bekam,
Wild war die eine sonder Scham,
Die andre keusch und tugendsam.
Die sollte durch der Reize Ham
Das schöne Einhorn fischen.
Man führte sie den Wald entlang,
Wo ungestüm umher es sprang. Nackt war die eine, zierlich schlank,
Nie andre Schlei'r und Kleid umschlang,
Die eine trug ein Schwert so blank,
Die andre hielt ein Becken.
Sie traten mit des Ruhmes Drang
Nun in die Schranken, ihr Gedank
Stand nach dem Tier, das keiner zwang.
Die keusche Frau gar lieblich sang,
Daß laut der ganze Wald erklang,
Das Einhorn ließ sich necken.
Nicht fürder mehr das Einhorn sprang
Und ihrem Liebreiz es gelang,
Daß, horchend auf der Frauen Sang,
Es näher kam, nicht scheu, nicht bang.
Vor ihrem Sitze ruht' es lang.
Und legt' auf ihren Schoß zum Dank
Das Haupt bis es in Schlummer sank.
Doch für sein Freundlichtun errang
Das Tier den herben Untergang.
Das Schwert die nackte Jungfrau schwang
Und schlug es tot mit Schrecken.
Die keusche Frau weint' ob dem Tod
Und fing sein Blut so rosenrot
Im Becken auf, Verderben droht
Ihr selbst des Schicksals hart Gebot.
Der Kaiser ließ damit sich rot
Den Herrschermantel färben
Ihr Christen merkt! (Es ist nicht Spott)
Der Kaiser ist Herr Zebaoth.
Das Einhorn, das ist unser Gott,
Der Heiland starb für uns in Not.
Marie ist's, die Lieb' ihm bot,
Und Eva ließ ihn sterben.
Tod hat uns eine Frau gedroht
Die andre Frau löst' uns vom Tod,
Da sich das Lamm zum Opfer bot,
Sein Fleisch und Blut uns beut im Brot.
Ihr Christen, die ihr Christum floht,
Ihr führt der Eva Schwert gen Gott
Laßt Ehr' und Gold als Rauch und Kot,
Und betet an des Todes Tod,
Das ew'ge Reich zu erben.
Da Michael Behaim das Gedicht vorgetragen hatte, so verließen die Merker ihren Sitz. Der Erste trat zu Nunnenbeck, und mit einem langen Glückwunsch hing er ihm den Davidsgewinner um, und der zweite Merker zierte Behaims Haupt mit dem Kranze, der ihm ganz wohl stand. Diese Gaben waren aber nicht Geschenke, sondern nur Auszeichnungen für die Feier des Tages. Das Fest in der Kirche war beendigt; und Alle drängten sich jetzt' mit aufrichtiger Teilnahme zu den Begabten, um ihnen freudig die Hände zu drücken. Auch ich konnte mir nicht das Vergnügen versagen, meinen Dank dem wackern Behaim laut darzubringen. In der Nähe stand Hans Sachs, der mich freundlich anredete und den vor kurzem geschlossenen Freundschaftsbund erneuerte. Ich bedauerte, daß mir nicht das Glück geworden wäre, ihn zu hören, und daß ich Nürnberg verlassen müßte, ohne andere Lieder aus seinem Munde vernommen zu haben, als die er mir aus der Landstraße zum besten gegeben, damals als ich nicht gerade zum Hören aufgelegt gewesen. Liebster Herr Heller, kommt mit in die Schenke, und es soll Euch ein Genüge werden, erwiderte er und ging mit mir Arm in Arm aus der allmählich leer gewordenen Kirche.
Es war Brauch, daß die Meistersinger, insonderheit die jüngern, sich nach der Festschule in eine nahe gelegene Schenke begaben. Wie in der Kirche heiliger Ernst, so herrschte hier frohe Ungebundenheit. Hier wurde der Wein getrunken, den der eine zur Buße, wie der Meister Kothner, der andere zur Ehre hergeben mußte, wie Meister Behaim, weil er zum erstenmal begabt war. Fünf Maße Wein gab es heute zum Nachschmause. Die Meistersinger, etwa sechzehn an der Zahl, gingen über die Gasse paarweis hintereinander von der Kirche bis zur Schenke. Der bekränzte Behaim eröffnete den Zug. Dieser hatte die Verpflichtung, hier für die Aufrechthaltung der Ordnung zu sorgen, und wie einem Merker mußten sich ihm alle untergeben. Wenn die Meister ein Gesellschaftslied anstimmten, so verwaltete er das Geschäft eines solchen. Die geputzten Gäste stachen sonderbar genug von der Schenke ab, die von außen und innen gleich beräuchert und verfallen aussah. Nichts mehr als Tische und Bänke gab es in dem langen Zimmer, und diese waren von der Art, wie man sie sonst in Bauerngärten findet. Allein heiterer Mut und ein gutes Glas Wein ließen all die Mängel übersehen. So weit es nur der Raum gestattete, war Tisch an Tisch in einer Reihe nebeneinander gestellt und zu beiden Seiten setzten sich die Sänger. Obenan befand sich Behaim. Sein Thron war ein Lehnstuhl und ein hölzerner Hammer Zepter. Ich saß neben Hans Sachs. Als ich von den Nachbaren gedrängt, hart an ihr, rückte, so merkte ich, daß seine Ärmel mit Fischbeinstäben gesteift waren und dies gab mir Veranlassung, die sonderbare Tracht recht genau anzusehen. Die Jacke war von meergrünem Auge mit mehreren Schlitzen auf der Brust, durch die das Hemde vorschimmerte, dessen faltiger Kragen den Hals scheibenförmig umschloß. Die Ärmel waren von schwarzem Atlas, in den zackige Einschnitte in bestimmten Linien künstlich eingehakt waren, so daß überall das helle Unterzeug hindurchblickte.
Ein Weinfäßchen ward auf die Tafel mitten hingesetzt, und einer der Meister hatte die Mühe des Zapfens, indem ihm unaufhörlich die leeren Becher gereicht wurden. Als mancherlei besprochen und belacht war, mahnte ich Nürnbergs berühmtesten Sänger an das gegebene Versprechen. Er war bereit. Behaim klopfte mit dem Hammer und fragte alsdann die Versammelten, ob sie nicht ein Kampfgespräch versuchen wollten. Niemand wandte etwas dawider ein. Er fragte wieder, wer singen wollte, und drei Meister hoben die Hände auf, es waren Behaim selbst, Hans Sachs und Peter Vischer. Hans Sachs sollte eine Streitfrage auswerfen und wohl meinethalb, da ich ihm erzählt hatte, wie ich soviel mich in den Werkstätten der Künstler umhergetan und mich an ihren Werken ergötzt, wählte er einen dahinzielenden Gegenstand.
Hans Sachs
Ihr Freunde, sagt mir, wenn ihr wißt,
Wer der künstlichste Werkmann ist?
Peter Vischer.
Das ist fürwahr der Zimmermann.
Wer hat's ihm jemals gleich getan?
Durch Schnur und Richtscheit wird ihm kund
Die höchste Zinn' und der tiefste Grund,
Ihn loben stattliche Lustgemächer,
Hoch strebt sein Ruhm, so wie seine Dächer.
Reich an Erfindungen ist sein Geist,
Mühlwerk und Wasserbau ihn preist,
Er schützt durch Bollwerk dich und Schanz:
Die heilge Schrift weiht ihm den Kranz,
Er zimmerte die starke Arch,
Drin Noah war der Patriarch:
Wie rings auch brausete die Flut,
Er ruht' in ihr in sichrer Hut.
Gerettet mit all den Seinen er war?,
Mit allen Tieren aller Art,
Er zimmerte nach weisem Rat
Jerusalem, die Gottesstadt,
Des Weisen Salomo Königshaus,
Das führt' er gar mächtig und prächtig aus.
Denkt an das Labyrinth zum Schluß,
Wer ist geschickt wie Dädalus?
Michael Behaim.
Das Holz verfault, der Stein bleibt Stein,
Der Steinmetz muß drum der erste sein,
Ringmauern bauet er, kühne Türme,
Basteien auch zu Schutz und Schirme,
Gewölbe pflanzt er, die sich kühn
Aufrankend in die Lüfte ziehn,
Schwindlige Gänge, durchsichtig und fest
Mit Säulen und Bildwerk, geschmückt aufs Best',
Den schiefen Turm von Visa schaut,
Den Wilhelm von Nürnberg hat aufgebaut,
Zu Jerusalem der hohe Tempel,
Der trug der höchsten Vollendung Stempel.
Der himmelhohe Turm zu Babel,
Das Grab des Mausolus ist keine Fabel.
Die Pyramiden, die künstlichen Berg',
Sie überragen weit alle Werk'.
Hans Sachs.
Vermag auch Beil und Meißel viel,
Schwach sind sie gegen den Pinselkiel,
Er bringt nicht nur Häuser und Städt' hervor,
Türmt Schlösser und schwindlige Warten empor –
Nein, was im Anfange Gott erschuf
Durch seines göttlichen Wortes Ruf,
Das schafft der Maler zu aller Zeit,
Gras, Laubwerk, Blumen auf Feld und Haid',
Den Vogel, wie in der Luft er schwebt,
Des Menschen Antlitz, als ob er lebt,
Die Elemente beherrscht er all,
Des Feuers Wut und des Meeres Schwall,
Den Teufel malt er, die Höll und den Tod,
Das Paradies, die Engel und Gott.
Das macht er durch Farben dunkel und klar
Mit geheimen Künsten euch offenbar.
Das hebt sich mächtig durch die Schattierung,
Nach einer schön entworfnen Visierung,
Er kann euch alles vor Augen stellen,
Nicht deutlicher könnt ihr es je erzählen,
Drauf brütet er sinnig Tag und Nacht,
In Traumgebilden sein Geist stets wacht.
Er ist an Phantasien reich
Und fast dem kühnen Dichter gleich,
Um alle Dinge weiß er wohl,
Weil er sie alle bilden soll.
Wer zu allen Dingen hat Schöpferkraft,
Den rühmt die höchste Meisterschaft.
Michael Behaim
Du lobst den Maler mir zu hoch,
Nützlicher bleibt der Steinmetz doch.
Des Malers können wir entraten,
Er schafft von jedem Ding nur den Schatten,
Sein gemaltes Feuer wärmt uns nicht,
Seine Sonne spendet nicht Schein und Licht,
Sein Obst hat weder Schmack, noch Saft,
Seine Kräuter nicht Duft und Heilungskraft,
Seine Tiere haben nicht Fleisch und Blut,
Sein Wein verleihet nicht Freud' und Mut.
Hans Sachs
Das Sprichwort immerdar noch gilt,
Daß, wer die Kunst nicht hat, sie schilt.
Wie nützlich auch ist die Malerei,
So nenn' ich euch jetzt nur der Dinge drei.
Was uns die Geschicht' als teu'r Vermächtnis
Bewahrt, das prägt sie uns ins Gedächtnis,
Wie der Nürnberger Herr, unter Schweppermann focht,
Den Kranz Kaiser Friedrich dem Dichter flocht.
Denn wer sich auch nicht auf Schriften versteht,
Des Malers Schrift ihm nicht entgeht.
Sie lehrt, wie Bosheit uns Mißgeschick,
Wie Frömmigkeit bringet Ehr' und Glück.
Zum andern verscheuchet die Malerei
Das schwarze Gespenst der Melancholei,
Durch bunte Farben verweht sie die Nacht,
Sie jauchzet in Klarheit, sie schwelget in Pracht,
Das Ohr erfreut sich nur flücht'gen Spiels,
Nur kurz ist die Weide des Wonnegefühls,
Doch das Auge haftet an dem, was gefällt,
Und der Pinsel erschafft ihm die schönste Welt.
Zum Dritten jegliche Kunst erkennt
In des Malers Kunst ihr Fundament.
Der Steinmetz, Goldschmied und der Schreiner,
Formschneider, Weber, der Werkmeister keiner
Entbehrt sie je, warum auch die Alten
Sie für die herrlichste Kunst gehalten.
Wie strahlet der Griechen Namen hell
Zeuris, Protogenes, Apell.
Gott gab zum Heil dem deutschen Land
Der Künstler manchen mit hohem Verstand
Doch Albrecht Dürer vor allen glänzt,
Der mit echten Künsten das Leben kränzt.
Was er mit Fleiß gesät, erwachs
Ihm zu reichem Segen, fleht Hans Sachs.
So sang der Poet und die Gegner schwiegen. Voll innern Wohlgefallens klopfte ich ihm auf die Schulter und gab ihm zu verstehen, daß er mir wie aus der Seele gesprochen. Alle zollten ihm Beifallsbezeigungen und Michael Behaim war nicht der Letzte. Er nahm sich den Kranz ab und setzte ihn Hans Sachsen aufs Haupt, Nürnbergs kunstreichem Schuster.