August Hagen
Norika
August Hagen

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Pirckheimers Dichterkrönung

(Unvollendet)

Meister Dürer hatte mir durch ein paar Zeilen vertraut, daß Dienstags»am Erchtage« eine Feierlichkeit im Schlosse stattfinden würde, der ich ja beiwohnen möchte. Es wollte nämlich der Kaiser mit eignen Händen dem Herrn Pirckheimer die Dichterkrone aufsetzen. Schon früher erzählte ich von dem lateinischen Gedichte dieses gelehrten Mannes, das dem Kaiser bei seiner Ankunft vom Magistrat überreicht ward. Das Gedicht war über die Maßen kunstreich und alle Vorurteilsfreie erklärten, daß ein ähnliches nicht früher gemacht wäre und auch nicht wieder gemacht werden könnte. Denn es enthielt die erhabensten Gedanken und das Bewunderungswürdigste war, daß, wenn man die Anfangsbuchstaben der Verse herunter las, die Worte fand: Maximilianus. Imperator. Semper. Augustus. Archidax. Austriae. Plurimarumque. Europae. Provinciarum. Rex. Et. Princeps. Potentissimus. und wenn man die End-Buchstaben der Verse in Obacht nahm, abermals dieselben Titel erhielt. Der Anfang des heroischen Gedichtes ließe sich etwa in folgende deutsche Verse zwingen.In der Handschrift sind die lateinischen Hexameter in deutsche Reime übertragen.

Mächtiger Herrscher, es schmückt dich noch mehr, als Zepter- und KriegesruhM,
Aller Tugenden Kron und des Friedens beglückende PalmA:
Xenephon schriebe fürwahr, hielt ihn nicht im Schattengebiet StyX,
Inn'rer Begeisterung voll dein Lob, statt der Rüstungen CyrL;
Mutig auf Flügeln des Schwans erhob' in den obersten LichtrauM
In dithyrambischem Flug dich Pindar, jeglichen Zwangs freI:
Längst beseelte den Stein durch dein Bildnis Phidias' MeißeL,
Jupiter's donnernde Macht wich ihm, wie der Hornung dem LustmaL –
Aber was trauern wir heut um Vergangnes? Herrlich erblüht jA
Neuere Kunst, wo die Sonn' aufstrahlt, ist ein lustiges PrangeN.

Manche mögen wohl lächeln wegen der zu großen Mühe. Ich aber nenne sie wohl angewendet. Denn wie machen es sonst die Poeten? Anstatt einen Helden zu feiern, rufen sie die Muse an, singen vom Apoll und allen Göttern ohne Ende. Einer wurde daher für sein Lobgedicht nur mit der Hälfte des bedungenen Lohns abgefunden und an Castor und Pollux gewiesen, die billigerweise die andere Hälfte bezahlen müßten, da er sie noch mehr als ihn erhoben hätte. Zwischen zwei bestimmten Buchstabenreihen, wie in Pirrkheimers Gedicht, gleichsam zwischen zwei Schranken, muß das wilde Musenpferd auf der Bahn bleiben, denn links und rechts wird der Dichter erinnert, wen er zu feiern habe.

Dürers Briefchen hatte ich erhalten. Aber da ich spät nach Hause kam, so meinte ich, es lohnte nicht mehr, aufs Schloß zu gehen. In Erwägung aber, daß Vornehme nicht genau die Stunde einhalten, wie ich dies neulich auf dem Rathause erfahren, hüllte ich mich in mein Staatskleid und ging nach dem Vestnertor. Schon winkte mir freundlich der Turm Lug ins Land entgegen, dessen Name mir bei meiner Ankunft in Nürnberg als ein glückliches Wahrzeichen freundlich in den Ohren tönte. Lug – ins – Land! diesem ermunternden Rufe war ich gefolgt und bereute es nicht.

Vor dem Himmelstore stand viel Volks und ich hörte bald, daß der Kaiser diesmal nicht auf sich warten ließ, und daß er auf dem Schloßhof umherwandelte. Ich drängte mich durch das Tor, entblößte meinen Kopf und stellte mich unbemerkt neben diejenigen hin, die hier der Ehrerbietung wegen sich eingefunden hatten. Ich war unmutig, da ich glaubte, nach dem Fest gekommen zu sein, allein der Ratsherr Volckamer, der mich freundlich begrüßte, belehrte mich, daß Herr Pirckheimer noch nicht erschienen und daher nichts versäumt wäre. Nach dem Gebot des Kaisers hatte man ihn nämlich nicht anders als die übrigen Mitglieder des Magistrats wissen lassen, daß Se. Majestät den ganzen Rat auf dem Schlosse im Hörzimmer zur bestimmten Zeit versammelt wünschte. Pirckheimer sollte nämlich nicht merken, daß es auf eine Überraschung für ihn abgesehen wäre. Und der feiste Herr, dem überdies das Gehen sauer wurde, ließ sich Zeit, da er in seiner Bescheidenheit meinte, unter so Vielen nicht vermißt zu werden. Das war unserm Dürer höchst verdrießlich, der mir nicht einmal einen freundlichen Blick gönnte, sondern immer nach dem Tore sah, ob er sich noch nicht zeigte.

Der Kaiser Max indes ließ sich die Zeit nicht lang werden, dem zur Seite der riesige Ritter Johannes von Schwarzenberg ging, ebenso gelehrt, als männlich tapfer. Beide hörten aufmerksam dem Propst Pfinzing zu, der bald auf dieses, bald auf jenes Gemäuer hindeutend, ihnen erklärte, wie alles in der Vorzeit ausgesehen, denn der sah es jedem Steine an, zu welcher Burg er ehemals gehört hatte. Viel wußte er von dem viereckigen Turm auf dem Kalksteinfelsen und von dem Lug – ins – Land zu erzählen. Zwischen den beiden Türmen erbauten die edlen Burggrafen von Zollern ihre Wohnung nach der Sitte der Adler, welche hoch horsten. Aber einst wurden sie in der Nacht von Feinden überfallen und ihr Schloß in Brand gesteckt. In unscheinbare Trümmer sank es zusammen, aber die Türme, als wenn sie von Eisen erbaut, durch die Flammen nur zu Stahl erhärtet wären, blieben unversehrt, und die spätesten Geschlechter werden ihre Spitzen in den Himmel ragen sehen. Die Kaiserstallung bezeichnet die Stelle des Zollernschlosses.

Bei seiner Erzählung gedachte Max der ruhmreichen Vorzeit, da der Ritter Lage unter Abenteuern und Hochtaten verflossen, da die Christen mit Begeisterung und Andacht das heil. Grab von den Ungläubigen befreiten. Des Kaisers Sinnen war nämlich schon vom zarten Kindesalter an auf die Besiegung der Ungläubigen hingerichtet, und wenn er dachte, daß bei seinen Lebzeiten Ungläubige in Europa eingedrungen waren, so zitterte er vor Ingrimm und Herzensweh. Das wußte Herr Pfinzing wohl und beschrieb daher im Teuerdank, wie der männliche Held, gemäß einer himmlischen Botschaft, gegen die Heiden zieht und den Ruhm eines wahrhaft christlichen Herrschers sich erficht. Schon hatte Max das sechzigste Jahr erreicht, aber noch immer war er mit Gedanken beschäftigt, wie der freche Türke bestraft werden müßte, und hatte deshalb sogar an den Papst geschrieben. Ja, hätte der Kaiser länger gelebt, der Halbmond wäre längst zur Ehre der Christenheit untergegangen.

Unterdes hatte Pfinzing den Kaiser zu der nahen Freiung, einer festen Bastei, geführt und der ganze Zug folgte ihm. In einer Umzäunung befand sich hier ein wütiger Stier, der der größeren Sicherheit wegen noch an einen Pfahl gebunden war. Nicht ohne Angst schlüpfte hier der furchtsame Propst vorbei und ging zu der Mauer, von der man eine steile Felsenwand hinab zum tiefsten Abgrund schaute. Vor der Mauer machte Pfinzing auf einige Vertiefungen in einem Steine aufmerksam und erzählte, daß dieses Spuren von einem Rosse, seien. Denn der Ritter Eppo von Gailingen war es, der, als er hier vom Schloß in der Gefangenschaft der Nürnberger schmachtete, in der Nacht das Gitter seines Kerkers erbrach, ein kühnes Roß aus dem Marstall entführte und dann von der Freiung hinab den verzweifelten Sprung in das Tal wagte und glücklich entrann. Das war eine andere Zeit als die jetzige, hub der Kaiser an, in der unser Propst vor einem angebundenen Stiere sich entsetzt, dessen Strang nicht zwei solche Tiere zerrissen. Pfinzing lächelte, aber Schwarzenberg fühlte sich gekränkt und sagte dagegen: wieso soll nicht gegenwärtig einem Beherzten eben so gut ein solches Wagestück gelingen, als damals? Noch mancher Ritter kann sich jetzt des Mutes und der Kraft rühmen, als zur Zeit der Hohenstaufen, wie auch lange vor ihnen männliche Tugenden bekannt waren. Versetzt Euch in die Fabelzeit zurück und denkt an Theseus und Herkules und laßt es auch nicht unerwägt, daß Schwarzenberg schon zwanzig mal im Turnier den Dank davontrug. Hat eine Zeit vor der andern den Vorzug, so ist es die unsere, da Friedrichs hochherziger Sohn das Zepter führt. Wer hörte nicht von Arbeiten des Herkules? Er sprach's und pfeilschnell war er über die Umzäunung gesprungen und reizte die Wut des wild um sich stoßenden Stieres. Wie einen morschen Faden riß er den Strang entzwei, ergriff das mächtige Tier bei den Hörnern, drückte es nieder, daß es stöhnte, und wie ich es mit eigenen Augen gesehen, hob es auf und schleuderte es dann wieder zu Boden. Maxens Lob blieb nicht aus. Vor jeder Gefahr schützte uns die Umzäunung und die Erschöpfung des Stieres, der nun matt vor sich hinsah. Der Ritter Schwarzenberg aber war wohlauf, ihm hatte die Anstrengung nicht geschadet. Wir verließen die sonnige Freiung und kehrten nach dem Schloßhof zurück, wo eine uralte Linde, vielleicht die größte in der Welt, erquicklichen Schatten verbreitete. Der Kaiser Maximilian begab sich darauf in seine Gemächer und versprach, zur Zeit im Hörzimmer zu erscheinen.

Hier verweilten bereits alle Ratsherren und die sich an sie anschlossen, während Dürer vor Ungeduld vergehend, die Treppe zehnmal auf und nieder rannte. Denn er hatte, wie ich nachher erfuhr, auf des Kaisers Befehl alles zur Dichterkrönung angeordnet, so schön und überraschend, nicht allein für den Herrn Pirckheimer, sondern für den Kaiser selbst und mich. Alle seine Mühe sah er jetzt verschwendet. Schon wollte er, wenn es gleich Auffallen erregt haben würde, den säumigen Ratsherrn noch besonders einladen lassen, da endlich erschien er langsam und bedächtig. Ihm ahnte nichts vom bevorstehenden Glück, denn er trat fast mit einem mürrischen Gesicht in den Saal.

Der Ratschreiber Spengler, der die Langeweile des Wartens durch manchen Scherz gekürzt hatte, trat zu ihm mit den Worten: »Nun, wie geht es Eurer Weisheit? Meine Weisheit ist auf den Strand gelaufen und alles ist zertrümmert, was ich mühsam gebaut habe, erwiderte Pirckheimer ernst. Ihr wißt, wie ich mich eifrig mit der Astrologie beschäftigte und aus den Irrsternen die Schicksale des ganzen Menschengeschlechtes und der einzelnen Freunde zu erfahren strebte. Ich glaubte durch mein Forschen mir den Schlüssel verschafft zu haben, um die Sternenschrift zu lesen. Alles waren Träume! Man bat Pirckheimern, sich näher zu erklären, wie er zu der Überzeugung einer Selbsttäuschung gekommen, da ja so vieles genau nach seiner Vorherbestimmung eingetroffen wäre. Es ist mein Vergnügen, fuhr er fort, die Nativität derjenigen zu stellen, die meinem Herzen wert sind. Die Sterne fragte ich heut, wie das Schicksal über meine jüngste Tochter beschlossen hätte. Ihr wißt, daß meine Tochter Charitas längst den Nonnenschleier sich erwählte. Da ward mir zur Antwort: sie würde heut das Band der Ehe knüpfen. So lebte ich lange meiner Einbildungen Narr und da ich am Rand des Grabes stehe, weiß ich, daß ich nichts weiß. Ja – rief Herr Spengler, warum soll Eure Tochter, die Nonne, nicht heiraten? Lebte sie nicht an der Donau, noch heute entführte ich sie aus dem Kloster. Aber Herr Pirckheimer, Herr Pirckheimer, Ihr wolltet das Schicksal Eurer jüngsten Tochter erfahren, und Eure jüngsten Kinder sind die, die Ihr nach Eurer Frauen Tod erzieltet. Es ward gelächelt, aber Pirckheimer schwieg. Da auf einmal erscholl Pauken- und Trompetenschall, die Flügeltüren wurden geöffnet und Kaiser Maximilian mit rotem Mantel, auf dem eine goldene Kette blinkte, trat freundlichen Blickes mit dem prächtig gekleideten Gefolge ein. Sogleich bildeten die Versammelten um den Kaiser einen dichten Halbkreis. Der überraschte Pirckheimer wollte unter sie treten, aber hier war es Albrecht Dürer, der ihn zurück in die Mitte schob, dort Herr Imhoff, der ihm lächelnd den Eintritt verwehrte, und hier wieder Herr Volckamer, der ihn bedeutete, daß kein Platz mehr wäre. Mir tat wirklich leid um den Armen, wie er verlegen und ärgerlich hin und her ging.

Unterdes öffnete sich eine Seitentüre. Das Paukengeschmetter verstummte und unter einer schmelzenden Flöten- und Harfenmusik trat eine Jungfrau ein; ihr folgten die Söhne der vornehmsten Familien, die wie die Englein musizierten. Sie waren schön gekleidet, was aber sage ich von der Jungfrau? Verschämt schlug sie das Auge nieder und die blonden Locken flossen ihr von der Scheitel auf die Schultern herab, die über der Stirne ein Rosenkranz verband. War es die heil. Rosalia? nein – es war die Rosenthalerin, die meinen Blicken heut schöner noch als schön erschien. Weiß war sie gekleidet, und eine rosenrote Schärpe hob ihre blendende Gesichtsfarbe. Sittiglich trug sie in beiden Händen ein weißes Kissen, auf dem ein Lorbeerkranz ruhte. Pirckheimer sah sie mit inniger Rührung, denn der Kranz nahm ihm über ihre Erscheinung jeden Zweifel. Der Kaiser konnte das Auge nicht losreißen von der jungfräulichen Wohlgestalt, und ich stand und sah, ganz aufgelöst in Sehnsucht. Sie neigte sich jetzt vor dem Kaiser, und dieser nahm den Kranz. Alsdann legte sie das Kissen vor Pirckheimer nieder, und dieser kniete mit Tränen in den Augen hin. Wer ihm freund war, der weinte mit ihm.

Da sprach der Kaiser einige schöne Worte, nämlich, daß er Wilibald Pirckheimern an der Stelle mit dem Lorbeer schmückte, wo sein Vater zuerst dem berühmten Celtes diese Ehre erwiesen. Pirckheimer, obgleich von Rührung ergriffen, hielt eine lateinische Gegenrede in gebundener Sprache, die bei jedem, der nicht das Festgedicht kannte, schon die Krönung genugsam hätte rechtfertigen müssen.

Die Feier war noch nicht zu Ende. Denn jetzt wandte sich der Kaiser huldreich zu der Rosenthalerin und küßte sie auf die Stirne und stellte es ihr frei, sich eine Gnade zu erbitten. Sieh, da lag das Mädchen zu den Fußen des Kaisers und bat mit ergreifender Beredtsamkeit für ihren Pflegevater um eine Unterstützung. Durch seine Kunst, flehte sie, hätte er die Stadt Nürnberg, die der glänzendste Edelstein in der Kaiserkrone wäre, verherrlicht und jetzt, durch zu großen Eifer nach Ruhm erblindet, litte er Not. Wer ist dein Pflegevater, holdes Kind, und wer ist dein Vater? fragte teilnehmend der Kaiser. Da trat Herr Pirckheimer frei und edelmütig hervor und sprach: ihr Pflegevater ist Meister Veit Stoß, der Bildschnitzer, ihr Vater steht vor Ew. Majestät. So lange ward die Jungfrau Rosenthalerin nach ihrer Mutter genannt, heute erkläre ich sie für meine rechtmäßige Tochter und sie führe den Namen Maria Pirckheimerin. Sie erbe von mir mit meinen Kindern zu gleichen Teilen. Da nahm Dürer, der vornean stand, das Wort und ...

Hier fehlen leider einige Blätter der Handschrift, und es sind nicht einmal Andeutungen vorhanden, was sie enthielten, damit der Herausgeber, wie weiland Freinsheim, in das dürre Zellengewebe Honig tragen könnte. Aus Mutmaßungen und begründeten Folgerungen scheint hervorzugehen, daß im Folgenden erzählt wurde, wie der Kaiser Max den alten Veit Stoß beschenkte und ehrte, wie vor seinen Augen durch Dürers Verwendung die Jungfrau einen Bräutigam in Jacob Heller fand, wie die Hochzeit in Nürnberg vollzogen wurde, und das junge Ehepaar nach Frankfurt zog. Hier war vor Abfassung der Handschrift Maria Hellerin schon gestorben, die einen Sohn Wilibald hinterließ.

In der Handschrift folgt auf die Lücke Pirckheimers Brief mit einer Nachschrift des Verfassers. Schluß.


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