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»Ehe Amsterdam emporkam und Hamburg sein Haupt erhob, war Nürnberg das deutsche Venedig!« sagt mein großer Ohm Gottsched, der aus Furcht, die Voluten seiner Kandidaten-Perücke mit dem Grenadierzopf zu vertauschen, die Vaterstadt floh. Wenn nur Handel und bürgerlicher Wohlstand berücksichtigt wird, so kann das Urteil dieses Mannes nicht angefochten werden, den Pinkerton noch im Jahre 1811 als den größten Kritiker der Deutschen rühmt. Betrachten wir aber die Blüte der Kunst, so verdient Nürnberg das deutsche Florenz genannt zu werden, welchen Namen ein anderer heimischer Dichter von anderem Gehalt einer andern deutschen Stadt zuerkannte. Wenn auch einzelne Strahlen der Kunst in verschiedenen Örtern Italiens früh aufleuchteten, so vereinigten sie sich in Florenz zu einem Lichtquell, aus dem die Stifter verschiedener Malerschulen Erleuchtung schöpften. Florenz war die Pflanzschule aller Künste, das wetteifernd mit unverwelklichen Kränzen den Ruhm seiner hochsinnigen Herrscher schmückte. Auf gleiche Weise gedieh in Nürnberg die deutsche Kunst zu nahmhafter Würde durch rege Wechselwirkung, die daselbst von einem edlen Aufwande gepflegt in einer zunftgemäßen Gesetzlichkeit eigentümlich sich entfaltete.Die Vergleichung des Kunstlebens in Florenz und Nürnberg kann man auch nicht ungeschickt zwischen einzelnen Künstlern dieser Städte durchführen, wie zwischen Lionardo da Vinci und Albrecht Dürer. Beide, von einem unvergleichlich ehrwürdigen Ansehen, lagen nicht einer, sondern mehreren Künsten ob und beide waren Theoretiker. Beide versuchten sich in der Poesie und Plastik. Lionardo schlug kühne architektonische Aufgaben vor und Dürer zeigte seine Kenntnis in der Baukunst, nicht allein dadurch, daß er oft Aufrisse von Häusern fertigte, sondern vornehmlich durch seine Schrift über die Befestigung der Schlösser. Beide suchten die Gesetze der Perspektive zu ermitteln. Von Dürer besitzen wir ein Fecht- und Ringerbuch und Lionardo zeichnete ein Buch voller Gefechte. Dürer arbeitete ein Werk über das Pferdestudium aus und Lionardo über die Anatomie und die Figuren der Pferde. Aber auch die Gemälde beider haben manches Ähnliche. Den schlanken Gestalten, den länglichen Gesichtern, dem starren goldgelben Haar der Heiligen, der altertümlichen Komposition entsprechen die älteren Darstellungen Lionardos. Mengs sagt vom letztern: Seine Manier ist etwas trocken, seine Gemälde sind sehr fein, das Kolorit ist etwas zu braun und rot, die Falten der Gewänder etwas gebrochen. Dasselbe dringt sich uns bei Dürer auf.
Auf die Kunstgeschichte Nürnbergs wurde meine Aufmerksamkeit durch eine Handschrift gelenkt, die mir der öffentlichen Mitteilung nicht unwert schien. Sie rührt von einem Kaufmann aus Frankfurt Jacob Heller her, der, nicht ohne gelehrte Bildung, vielleicht mehr Kunstfreund, als Kenner, im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts sich längere Zeit in Nürnberg aufhielt und, was er von den Künstlern und ihren Werken daselbst sah und hörte, umständlich niederschrieb. Die Handschrift befindet sich in der Bibliothek der hiesigen Hochschule.
Zu den Büchern, mit denen Markgraf Albrecht von Brandenburg, der Stifter der Hochschule, die Bibliothek beschenkte, gehört ein Foliant mit Dürers Schriften. Albrecht erhielt ihn vielleicht durch den bekannten Lucas Cranach, an den er folgendermaßen schrieb:
Es ist an Dich unser gütliches Begehren, Du wollest uns alle neue, gute, lesenswürdige Bücher, so in Kurzem bei Dir oder anderswo ausgegangen wären und bei euch zu bekommen, kaufen und aufs Förderlichste übersenden.
In einem Briefe Cranachs, worin er über die noch nach Jahren nicht erfolgte Zahlung des vorgestreckten Geldes klagt, heißt es:
Ich habe Ew. fürstl. Gnaden im nächsten Weihnachten geschrieben der Bücher halber, die ich Ew. Gnaden geschickt habe.
Der erwähnte Foliant enthält folgende zusammengebundene Schriften:
Dieses Buch war offenbar einst ein teures Eigentum Jacob Hellers, das nach seinem Tode unbesehen vertrödelt wurde, denn in ihm fand ich die herauszugebende Handschrift.
Meinem Wunsche, die Schuld von mehr denn dreihundert Jahren, während sie unbemerkt in dem Buche lag, das nicht durch den Gebrauch, sondern nur durch den Stock gelitten, jetzt durch die Veröffentlichung zu tilgen, stellt sich manches Hindernis entgegen. In der unsaubern, schwer zu entziffernden Handschrift bemerkt man eine Flüchtigkeit und Fahrlässigkeit der Abfassung, die sich nur wenige Leser um des Inhalts willen gefallen lassen. Beinahe kein Satz ist ausgeführt, vieles ist zwei-, dreimal ohne allen Grund wiederholt, nirgend zeigt sich ein Streben nach Einheit, am wenigsten in der Art der Schreibung, da z.B. der Name Pirckheimer, wie oft er vorkommt, immer verschieden buchstabiert ist. Auf diese Weise schien mir die Handschrift überall zuzurufen, was Dürer in einem Briefe sagt: »Lest es nach dem Sinn!« und ich sah mich genötigt, die Pflicht eines rechtgläubigen Herausgebers zu verletzen.
Die altertümliche Sprache wurde verbannt, darum aber wollte ich nicht den altertümlichen Charakter abstreifen und einzelne Seiten der Urschrift sind Wort für Wort wiedergegeben. Im ganzen jedoch wurde zusammengezogen und verkürzt, namentlich viele Briefe, die als Belege beigefügt sind, teils übergangen, teils dem Inhalte nach mitgeteilt. Nichts ist schwerer bei dergleichen Verneuungen, als die rechte Grenze zu treffen, wo das Alte beibehalten und wo es zu verändern sei, weshalb der Billige eine kaum zu vermeidende Ungleichheit der Sprache ungerügt lassen wird.
An der Übersetzung: Norica: or tales of Nürnberg from the olden time. After a MS. of the sixteenth century. London 1851 liest man in der Vorrede: No such MS. as Hellers Journal exists. How far a fiction of this character is wholly defensible, the literary conscience of the public must be lest to decide. – Was hier eröffnet wird, dringt sich jedem denkenden Leser von selbst auf und wurde daher niemanden verschwiegen, weder dem ersten deutschen Verleger 1829, noch dem englischen Übersetzer 1850. Dieser so wie sein Publikum werden darum hier nicht die Shakespearschen Worte anwenden wollen: he both pleaseth men an angers them.