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10. An meinen Bruder
Konstantinopel, September 22, 1843
Lieber Bruder, es gibt mir eine unglaubliche Satisfaktion, daß ich Dir heut' einmal von einem Ort erzählen kann, der Deinem Fuß ebenso unzugänglich ist, wie dem meinen jene zahlreichen sind bei denen es heißt: »Ma non le donne«; – umsomehr, da auf diesem Ort viel interessantere Geheimnisse der Schönheit, der Liebe, der Leidenschaft zu vermuten sind, als auf jenen. Ich war heute im Harem von Rifát Pascha. Wenn Du aber meinst es sei in Konstantinopel ebenso leicht einen Morgenbesuch zu machen, wie in Berlin oder Wien: so irrst Du heftig; dies war eine lebensgefährliche Expedition, und ich habe einen kleinen Widerwillen gegen alle geselligen Verbindungen bekommen, die sich über das goldne Horn hinaus erstrecken. Denn aus dem venetianischen Palast nach Rifát Paschas Wohnung am anderen Ende von Konstantinopel zu gelangen, ist schwieriger als in Berlin die Friedrichsstraße hinab, vom Oranienburger bis zum Halleschen Tor zu fahren: man muß den Berg von Pera hinunter, dann über die baufällige Brücke, die an zwei Stellen, um Fahrzeuge durchgehen zu lassen, so steil gewölbt ist daß man mit einem Hemmschuh höchst vorsichtig herabfahren muß, und endlich durch die schmalen, gräßlich gepflasterten, auf und ab kletternden Straßen der Stadt, die so eng und kraus gewunden sind, daß die Vorderpferde zuweilen gar nicht zu sehen waren, wenn sie um die Ecke bogen, und in denen man, des schlechten Weges halber Schritt vor Schritt fahren muß. Der Internuntius hatte also die Güte gehabt meinen Besuch einzuleiten, und Gräfin Stürmer brachte mir das Opfer mich hinzuführen, denn, mein lieber Bruder, so reizend Du Dir einen Harem vorstellen mögest – ich muß Dir aufrichtig sagen: hat man zwei besucht, so sehnt man sich nicht nach dem dritten, und nur den ersten betritt man mit jenem Interesse, das auf der Unbekanntschaft beruht.
Heute Morgen um zehn Uhr setzten wir uns vom venetianischen Palast aus in Bewegung: Gräfin Stürmer, eine Dame von Pera, die der türkischen Sprache vollkommen mächtig ist und ich. Die Türken lieben frühe Stunden, und diese war bestimmt worden. Auf der steilsten Stelle des Berges von Pera stürzte ein Pferd nieder, ein Lakai verwundete sich stark als er zur Hilfe herabsprang, ein zweiter etwas, aber aus Besorgnis vor mehr dergleichen accidents mußten sie denn doch beim Wagen bleiben. Du kannst Dir vorstellen, wie mir zu Mut war! Zu meiner persönlichen Ängstlichkeit im Fahren gesellte sich das unbehagliche Gefühl Schuld an allen diesen Unfällen zu sein. Ich schöpfte Atem als wir den Berg und die morsche Brücke überwunden hatten, und suchte mich des Gedankens an die Rückkehr zu entschlagen. Um elf Uhr langten wir in des Paschas Wohnung an, wo die Einfahrt in den inneren Hof wiederum aufs Allerkünstlichste bewerkstelligt werden mußte. Ein Dutzend Diener natürlich lauter Eunuchen, befanden sich in der unteren Halle. Die Treppe war mit den feinsten Matten belegt, auch der achteckige Vorsaal, zu dem sie führte, wo eine große Menge von Sklavinnen sich befanden, aus denen ein Frauenzimmer uns entgegentrat und uns willkommen hieß indem sie uns die Hand gab und mit dem Kopf nickte. Es war die Schwester Rifát Paschas, Witwe und Mutter von zwei kleinen Mädchen. Dann kam seine Frau, begrüßte uns auf die nämliche Weise, und man führte uns in einen Salon neben dem Vorsaal, wo die Mutter, die Frau und die kleine Tochter von Muchbar-Bey, dem türkischen Gesandten in Wien, sich aufhielten. Dieser Salon war ganz türkisch: Fenster bei Fenster dem Eingang gegenüber, und abermals Fenster bis zur Hälfte der beiden Seitenwände; unter ihnen ein breites Sofa mit weißem Perkar bezogen, worauf bunte Blumen mit Wolle und mit der Tambournadel gestickt waren. Vor diesem Sofa zwei lange Matratzen, mit rot und weiß gestreiftem Baumwollstoff bezogen, für diejenigen, welche ganz niedrig sitzen möchten, und endlich seitwärts ein europäisches Kanapee und Stühle mit gelbem Velours d'Utrecht und von unmodischer Form. Die grell bemalten Wände, die Menge kleiner zerschlitzter Fensterdraperien, die Matte des Fußbodens, das kleine schrankartige Möbel in einer Nische neben der Eingangstür – alles war wie im Kiosk des Großherrn bei den süßen Wassern.
Der ganze Salon war nun voll Frauen, von denen sich die beiden Damen des Hauses, und die europäischen und türkischen Besucherinnen auf den verschiedenen Sofas niederließen, während die Sklavinnen zum Teil an der Hinterwand des Salons standen, oder auf dem Boden kauerten, oder den Dienst verrichteten, der darin bestand, daß man zuerst Konfitüren herumreichte von denen der Gast einen Löffel voll nimmt und dazu etwas Wasser trinkt, und darauf Kaffee in den bekannten kleinen bunten Porzellantäßchen ohne Henkel, die in einer Art von silbernem Eierbecher ruhen. Der Kaffee wird nicht wie die Konfitüren auf einem Präsentierbrett herumgereicht, sondern jedes Täßchen wird einzeln gebracht, wird sauber und vorsichtig mit zwei Fingern gereicht, und muß ebenso vorsichtig mit zwei Fingern in Empfang genommen werden, denn die winzigen Schalen sind stets voll bis zum Rande. Hat man sie ausgetrunken, so darf man nur die Augen aufschlagen und aus der Reihe der wartenden Sklavinnen tritt alsbald eine heran und hält ihre flache Hand hin. Man stellt den Becher darauf; sie legt die andre Hand flach auf denselben, ein Manöver wodurch jede Kollision der Finger gemieden und das kleine Geschirr sicher fortgetragen wird, und das jeder Aufwärter in dem gemeinsten Café sehr geschickt macht. Bei Bedienung der Gäste waren die kleinen Nichten und das zwölfjährige Schwiegertöchterchen des Pascha sehr tätig, aber nicht aufdringlich und ungeschickt – wie das oft der Fall bei unseren Kindern ist – sondern mit dem ruhigen Takt der Sklavinnen; denn das gehört zu ihrer Erziehung. Hätten wir geraucht, so würde das den Sklavinnen sehr viel Beschäftigung gegeben haben. Jetzt nahm nur Muchdar-Beys Mutter einen Tschibuk; die übrigen Damen rauchten nicht – vielleicht aus Rücksicht für uns.
Wie sie aussehen, wirst Du ganz neugierig wissen wollen; und da tut es mir wahrhaft leid sagen zu müssen, daß wir auch nicht eine Spur von Schönheit gefunden haben. Die Schwester des Pascha hat ein überaus gutes und wohlwollendes Gesicht, aber es ist dermaßen fett und kugelrund, und die ganze Gestalt ist überhaupt von so frappanter Rundung, daß ich beständig an den Vollmond denken mußte. Sie trug einen lilafarbenen Taftspenzer und einen buntgeblümten weißseidenen Rock, der unten zu beiden Seiten und vorn aufgeschlitzt ist, und dessen Hinterteil in einem Schlepp ausläuft, beide Kleidungsstücke so unbegreiflich eng, daß man sich wundert wie diese Fülle der Formen darin Platz finden könne. Faltenreich war nichts am Anzug, als die ungeheuer weiten Pantalons von goldgelbem Taft, die so tief und faltig herabfielen, daß sie den ganzen Fuß unsichtbar machten und nicht beurteilen ließen ob er ganz oder halb oder gar nicht chaussiert war. Auf dem Kopf trug die Dame das rote Mützchen mit dem blauen Quast, unter welchem mitten auf der Stirn ein Büschel falscher Locken hervorquoll, und das mit Haarzöpfen umwunden und mit drei großen Blumen von Diamanten geschmückt war. Die engen Ärmel des Spenzers waren am Handgelenk aufgeschlitzt, und die Unterärmel von weißem Musselin mit Fransen und Schnürchen von lilafarbener Seide, hingen gleich enormen Manschetten daraus hervor. Die Hände hatten keinen andere Schmuck als die mit Henna orangefarben gemalten Nägel. So, nur in verschiedenen Farben, und nicht alle Sklavinnen in Seide, waren sämtliche Frauenzimmer gekleidet und Diamanten trugen nur die Damen. Am meisten herausgeputzt waren die Kinder, bei denen sich die seidenen Schleppröcke und die Diamanten und Federn auf einer – ich vermute künstlichen Fülle von Haarzöpfen und Locken recht seltsam ausnahmen. Nicht alle Spenzer waren bis zum Halse hinauf mit Häkchen geschlossen, sondern – gar nicht. Namentlich präsentierte Muchdar-Beys Mutter ihre volle Büste in einer Weise, die uns für eine bejahrte Dame in Europa recht komisch erscheinen würde.
Ein Hauptgegenstand der Unterhaltung war die Verschiedenheit der europäischen und türkischen Anzüge, und besonders lebhaft sprachen sich die Damen gegen Korsetts aus. Aber ihre Spenzer sind dermaßen knapp und fest umschließend, daß sie ungefähr die Stelle jener vertreten. Natürlich blieb die Konversation ziemlich auf Äußerlichkeiten beschränkt, denn Fragen die sie nicht beantworten wollten und die mich am meisten interessierten, zum Beispiel wie das Verhältnis einer Favoritsklavin zur Frau des Hauses sei, ließen sie fallen – als unser Dolmetsch darauf hindeutete. Hingegen sprachen sie über andre Dinge, die in Europa grauenhaft, verbrecherisch, unerhört sind, wie von einer allgemeinen Gewohnheit, und so erfuhr ich denn, daß die Frauen, wenn sie ein oder zwei Wochenbetten gehabt und derselben müde sind, die ungebornen Kinder töten. Nach ihren Beschäftigungen fragten wir wohl auch, und sie sagten, sie hätten außerordentlich viel zu tun; aber andrerseits hieß es doch immer, Stickereien oder Beschäftigungen im Haushalt wären Arbeiten der Sklavinnen, so daß ich nicht weiß womit sie eigentlich ihre Zeit ausfüllen. Viel Besuch empfangen, je vornehmer man ist um desto mehr, und immer auf einen ganzen Tag, das – sagte unser Dolmetsch – sei eine der Hauptbeschäftigungen der türkischen Damen. Zeitraubend ist das nun freilich ganz entsetzlich, aber uns kommt es doch nur wie schläfriger Müßiggang vor. Am liebsten hätte ich gefragt: »Aber vergeht Ihr denn nicht vor Langeweile in Eurer einförmigen Abgeschiedenheit, die Euch aller Teilnahme an dem Leben Eures Gatten beraubt? Ihr kennt nicht seine Freunde noch Feinde, nicht seinen Wirkungskreis, nicht seine Beschäftigungen, überhaupt nicht die Welt und die Verhältnisse in denen er lebt. Nichts teilt er mit Euch, und Ihr müßt ihn selbst mit Euren Sklavinnen teilen, – seid Ihr denn nicht einer so herabwürdigenden Existenz zum Sterben überdrüssig?« – Vermutlich würden sie mir Nein! geantwortet haben, denn das Leben im Gleis uralter herkömmlicher Gewohnheit ist auch ein Leben. Und dann haben sie auch das Surrogat aller Frauen zu ihrer Disposition, denen ein großes Interesse im Leben fehlt, und das man ebenso häufig in der europäischen Gesellschaft, als im türkischen Harem findet: die Intrige. Natürlich beschränkt sich diese auf den allerengsten, ich möchte sagen niedrigsten Kreis, aber in demselben versuchen sie doch hundert und tausend Kreuz- und Querwege um zu ihrem Zweck zu gelangen.
Und damit Du siehst, lieber Dinand, daß man hier ebenso gut wie in unsrer zivilisierten Gesellschaft über die intimsten Verhältnisse des lieben Nächsten spricht, werde ich Dir erzählen, was man uns aus Rifát Paschas Harem erzählt hat und was uns neugierig auf «l'objet aimé« machte. Also: Rifát Pascha hat eine ganz besonders begünstigte Favoritsklavin, welche die Eifersucht seiner Frau dermaßen erregte, daß diese alles versuchte um die Nebenbuhlerin von ihrer Höhe herabsteigen zu machen. Natürlich umsonst! So lange man geliebt ist schaden die fremden Machinationen nichts, und oft sogar befestigen sie eine bereits wankende Liebe von neuem: so ungern erträgt der Mensch in der Sphäre der Gefühle den Widerspruch; denn es gehört Vernunft dazu um diesem Gehör zu geben, und Liebe und Vernunft liegen nun einmal nicht in derselben Sphäre. »Eine Liebe die nicht Wunder ist, ist keine« – steht im Kaiser Oktavianus, und ist das Schönste was Tieck je gesagt hat; die Vernunft hat aber wie männiglich weiß, und wie die Rationalisten vielfach bewiesen haben, nichts mit Wundern zu tun. Um den Zauber jener Favoritin zu brechen, verfiel die Frau auf ein wahrhaft verzweifeltes Mittel: sie ließ die allerschönste und reizendste Sklavin kaufen, die in Konstantinopel zu finden war und schenkte sie ihrem Gemahl, bereit die neue Rivalin zu dulden um nur die andre zu stürzen. Ist das nicht ein echtes Haremsmittel? So eigensinnig und so trostlos? Jede andre, nur nicht die! Nur nicht die! – Und ist es nun eine andre, so kann man von neuem intrigieren. – Auf den Erfolg jenes Mittels wirst Du ebenso gespannt sein wie wir es waren. Nun, auch das war umsonst. Die Favoritin blieb auf ihrem Platz. – Diese befand sich übrigens heute zwischen den dienenden Sklavinnen und war durch nichts ausgezeichnet, als durch ihre wunderschöne Figur – lang und schlank wie eine Nymphe, und schmieg- und biegsam wie eine Gerte, fiel sie sehr neben den unbeholfenen Gestalten der meisten auf. Indessen würden wir sie doch vielleicht kaum bemerkt haben, wenn nicht nach dem Diner – von dem ich sogleich berichten werde – die Damen sich bei ihren Abwaschungen im Speisesaal aufgehalten hätten, und wir von einigen Sklavinnen in den Salon zurückgeführt worden wären. Sie war unter diesen, und auf einmal frappierte uns die hübsche Person; denn sie sprach, sie lächelte, sie wurde lebhaft, und das machte sie hübsch. Sie hatte eins von den Gesichtern bei denen man sagt: Aber sie ist ja häßlich! Die kleinen Augen, der große Mund etc.! Plötzlich werden die unregelmäßigen Züge gleichsam von ihrer Unschönheit entschleiert, und das Gesicht scheint verwandelt. Eine Griechin, welche das Amt einer Schaffnerin im Harem zu bekleiden schien, und mit welcher unser Dolmetsch griechisch sprach, sagte dies sei die Favoritsklavin; doch wo die schöne geblieben – ob man sie uns nicht zeigen wollte, ob man sie fortgeschickt, weil sie ihren Zweck nicht erfüllt hatte? – das erfuhren wir nicht, und nur so viel ist gewiß, daß kein einziges schönes, und ein einziges interessantes Gesicht unter all diesen Frauenzimmern war, und daß gerade die Favoritin letzteres hatte. So lebhaft und freundlich sie noch eben mit unserem Dolmetsch gesprochen, so ernst und unbeweglich wurde sie als die Damen des Hauses eintraten. Augenblicklich trat sie mit den übrigen Sklavinnen in den Hintergrund des Zimmers, stand da still und starr ohne eine Miene zu verändern, bedeckte ihre Hände mit ihren langen Unterärmeln – verhüllte Hände sind ein Zeichen von Ehrfurcht bei den Türken – tat den Dienst und kauerte zuweilen auf den Fersen nieder, ganz wie die übrigen, und ebenso unschön wie sie. Das muß keine beneidenswerte Existenz sein: von dem Mann geliebt und von der Frau gehaßt, und dazu dienende Sklavin dieser Frau! Unglücklich oder melancholisch sah sie aber nicht im geringsten aus, denn auch ihr Schicksal ist ein altherkömmliches, schon seit des Erzvaters Abraham Zeit. Verstoßen wie die arme Hagar darf jedoch aus dem Harem keine werden. Sinkt und fällt sie in der Gunst, so tritt sie in den Kreis der gewöhnlichen Dienerin, und macht dem neuen Gestirn Platz.
Nachdem unser Besuch etwa eine Stunde gewährt haben mochte, wollten wir ihn beenden, wurden aber statt dessen zum Frühstück eingeladen und durch das achteckige Vorzimmer in einen langen Speisesaal geführt, der an seinen beiden kurzen Wänden Fenster hatte, und folglich vortrefflich für seine Bestimmung eingerichtet war, denn keinem schien das Tageslicht in die Augen. Am Eingang standen im Halbkreis Sklavinnen, einige mit Waschbecken, die anderen mit Kannen und Handtüchern, die am Rande mit Gold und bunter Seide gestickt waren. Man goß uns Wasser über die Hände, und jene Damen bereiteten sich gründlich zum Speisen vor. Muchdar-Beys Mutter zog ihren Spenzer aus, um gehörig frei in ihren Bewegungen zu sein, und die übrigen streiften ihre Unterärmel auf, oder stopften sie unter die engen des Spenzers. Dann setzten wir uns auf europäischen Stühlen an einen ganz europäisch gedeckten langen Tisch, auf dem Blumenvasen, Fruchtschalen, Glaswerk, Teller, lauter gewohnte Gegenstände sich befanden, und die Sklavinnen bedienten auch ebenso gut als unsere Domestiken.
Es war ein vollständiges Diner, das mit europäischer Suppe und anderen Speisen begann, wobei uns angenehm auffiel, daß man stets mit dem Teller die silbernen Messer und Gabeln wechselte. Hättest Du diese Hyperkultur in einem Harem geahnt? Nach der Suppe bekam jede Person einen Teller mit einem ganzen großen Huhn, dann mit Fisch, dann weiß ich nicht weiter, denn es kamen zur Abwechslung türkische Speisen, manche sehr süße, und darauf wieder ganz fette – was mir nun eigentlich ein Greuel ist. Manche Schüsseln wurden herumgegeben, und wenn wir garnicht, oder nach der Meinung der Sklavinnen nicht genug nahmen: so legten sie uns noch mehr vor. Es war im Ganzen ein komisches Gemisch von fremden und einheimischen Gebräuchen, Sitten und Speisen. Es versteht sich von selbst, daß nur die Gäste und die Damen des Hauses am Diner teilnahmen, aber die Sklavinnen redeten untereinander und mit jenen ganz ungeniert. Neben mir saß die Schwester des Pascha. Sie aß Suppe, Crême und dergleichen mit einem Löffel von schwarzem Horn, und alles andere mit den Fingern. Ein wahrhaft merkwürdiger Anblick! Diamanten im Haar und alle zehn Finger mit orangefarbenen Nägeln und triefend von Fett und Sauce! Natürlich machten die übrigen Damen es nicht anders. Nach wenigstens zwanzig verschiedenen Speisen machte der Pilaw den Beschluß der Mahlzeit. Wir nehmen zum Dessert einen Bonbon, die Türken nehmen einen Teller voll Reis und Hammelfleisch; – und so griffen denn auch die Damen gerne gemeinschaftlich in die Schüssel und ließen es sich wohl schmecken. Nach solchem Fingergebrauch muß die Abwaschung denn allerdings gründlicher sein, als man sie bei uns in den kleinen dunkelblauen Bowlen vorzunehmen pflegt. Fast hatte ich vergessen zu berichten, daß neben uns Fremdlingen in geschliffenen Karaffen Champagner stand; aber wir wollten den Anhängerinnen des Korans keinen Anstoß geben, und erprobten daher nicht dessen Echtheit.
Nach dem Speisen gingen wir wieder in den Salon, nahmen Kaffee und Gefrorenes, und wünschten nach einer kleinen Weile abermals uns zu empfehlen, denn eine Unterhaltung durch einen Dolmetsch ist immer etwas schwerfällig und wird, stundenlang fortgesetzt, recht ermüdend; doch nun hieß es, der Pascha werde gleich aus dem Diwan kommen, wir möchten doch noch ein wenig verweilen.
Du kannst Dir gar nicht vorstellen wie das schwierig ist mit Personen zu sprechen, welche die Welt nur hinter vergitterten Fenstern und hinter den Vorhängen ihrer Arraba betrachten, und die dennoch keineswegs von irdischen Interessen abgezogen, sondern ganz und gar drin lebend und webend sind; – denn mehr noch als der Leib, wohnt hier der Geist im Käfig. Die Existenz wird zum Erschrecken materiell. Das erfragten wir noch, wie die Heiraten sich bei dieser gänzlichen Absonderung der Geschlechter machten; und erfuhren, es geschehe meistens durch die Mütter, die aus einem Harem in den andern gehen, und für ihre Söhne und Töchter Verbindungen knüpfen, in welche diese bei ihrer großen Jugend und Unerfahrenheit widerstandslos willigen, sobald die Mutter passende Partien gefunden haben. Rifát Paschas fünfzehnjähriger Sohn ist schon seit sechs Monaten mit einem zwölfjährigen Persönchen verheiratet. Sie hatte uns schon fleißig mit Kaffee bedient, als wir erfuhren dies sei die Schwiegertochter des Hauses. Endlich kam auch der Sohn, der in Gestalt und Benehmen vollkommen zu der kleinen kindischen Frau zu passen schien, beide sehen grade so unerwachsen und unentwickelt aus, wie man bei uns bei fünfzehn und zwölf Jahren ist – und da Leute doch heiraten um miteinander zu leben und nicht zu spielen, so haben es diese offenbar zu früh getan. Aber ist es nicht ein Unsinn, fast eine Sünde, den armen Kindern die Kindheit so zu rauben, und ihnen die Blüte der Jugend vor ihrer Zeit abzurupfen?
Endlich brachen wir denn doch auf ohne des Paschas Ankunft zu erwarten, und mit denselben Zeremonien, im Kreise der Sklavinnen, nahmen wir von einander Abschied, und der Sohn des Hauses geleitete uns die Treppe hinab. Die Heimfahrt ging glücklich von statten, an der gefahrvollen Stelle gingen wir zu Fuß den Berg hinan, und gegen vier Uhr saß ich wieder wohlbehalten in meiner Behausung – sehr zufrieden einmal einen Harem besucht zu haben, und ganz getröstet wenn es auch nie wieder geschehen sollte.
Lebe wohl, mein lieber Bruder.