Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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38. An meine Mutter

Kairo, Freitag, März 1, 1844

Herzensmama, ich komme ja gar nicht dazu Dir zu schreiben! Daran sind die unglücklichen Tempel Schuld, deren Beschreibung sehr voluminös und erst gestern fertig geworden ist. Das Sein und Leben der Orientalen hat unter den Europäern die im Orient leben müssen Anhänger und Lobredner, wie jedes Ding, und es ist wahrhaft ergötzlich von dem einen zu hören: der Verkehr in den Geschäften sei sehr leicht und zuverlässig mit den Mohammedanern, weil sie niemals lögen, sehr ehrlich wären und ihr Wort hielten; – während andere sagen: die Mohammedaner trauten den Christen nie eine redliche Absicht zu und sännen von Hause aus darauf ihn zu überlisten, das mache die Geschäfte mit ihnen sehr unbequem und unsicher. Ebenso hört man außerordentlich ihre Toleranz loben, weil Mehemed Ali, schon durch seine europäischen Verbindungen gezwungen, sie üben muß; während man mir andererseits versichert hat, der Haß und die Intoleranz des gemeinen Mannes sei grimmig gegen den Ungläubigen, besonders in den letzten Jahren, gewachsen. Dazu kann ich nur die Bemerkung machen, daß alsdann dieser Haß wirklich sehr geheim gehalten wird; denn sogar tief in Nubien, wo strenge Polizei nicht wie in Kairo gehandhabt werden kann, da der Herr fern ist, sind wir nie einer anderen Gesinnung begegnet, als der Habsucht, und nicht einmal die kleinen konstantinopolischen Beleidigungen, Werfen mit Steinen, etc. wurden uns angetan. Das häusliche Leben endlich gibt den Anhängern der Orientalen ein reiches Feld der Bewunderung. Es hat allerdings eine gute Seite, sobald man streng bei dem Begriff »Leben zu Hause« bleibt. Es existieren keine Schenken für den gemeinen Mann, und es gibt keine Gesellschaft, im europäischen Sinn, für die höheren Klassen, mithin fallen eine Menge Veranlassungen zu Luxus, Verschwendung, Sittenverderbnis, Herabkommen und Ruin der Familien weg. Sobald es Abend wird ist es totenstill in den Gassen! Das fällt uns auf, da es bei uns in großen Städten dann erst recht munter wird. Der Orientale ist nach Sonnenuntergang unter Dach und Fach, und geht mit den Hühnern schlafen. Was soll er draußen anfangen? Es gibt nicht Schenken, nicht Bierstuben noch Weinhäuser, nicht Clubs, nicht Schauspiel noch Soireen, nichts von dem, was bei uns jedem, auf welcher Stufe der bürgerlichen Leiter er stehen möge, Zerstreuung oder Lockung darbietet. Vom Vornehmsten bis zum Geringsten, vom Ärmsten bis zum Reichsten, findet bei uns der Mann Gelegenheit seine Zeit, wenn er sie übrig hat nach Lust und Laune außer dem Hause in ansprechender Gesellschaft zu verbringen; Gelegenheit um zu vergessen, daß er eine Familie hat, oder um es weniger zu empfinden, wenn er keine hat. Hier ist es anders! Aus heller Langeweile heiratet ein Mann, und aus Notwendigkeit begibt er sich allabendlich aufs Pünktlichste pflichtgetreu in seinen Harem, weil er nirgends sonstwo seine Zeit hinbringen könnte. Er ist gezwungen im Hause zu leben, und die Frau ist auf ihren Harem, auf die Gesellschaft ihrer Sklavinnen, oder höchstens auf den Besuch in einem andern beschränkt. Die Ehen werden meistens von den Müttern geschlossen, die in den verschiedenen Harems Gelegenheit finden ihre Töchter zu zeigen und andere zu sehen. Unerwachsene Kinder werden häufig miteinander verheiratet. Zuweilen werden auch Konvenienzheiraten gemacht, so daß ein junger Mann eine alte, garstige oder kränkliche Frau nimmt, wenn er durch ihre Verwandtschaft ein Fortkommen oder eine Stellung in der Welt finden kann. Die Sultans oder Paschas verheiraten ihre Töchter fast immer an ihre Untergebenen. Bei den Arabern ist nichts so häufig als Ehescheidungen. Fünf, zehn, ja zwanzig Mal schicken sie die eine Frau weg und nehmen die andere, auch wenn sie Kinder mit ihr haben. Haben sie Vermögen, so müssen sie an Frau und Kinder etwas geben; haben sie keines, wie das in niederen Ständen gewöhnlich der Fall, so muß die Frau sich durchhelfen wie sie kann, bald zu ihren Eltern zurückgehen, wenn die sie aufnehmen wollen, bald ihren Lebensunterhalt verdienen; Kinder armer Leute werden geboren wie Pilze und sterben wie Fliegen: auf die wird nicht viel Rücksicht genommen. Zu einer Scheidung gehört sehr wenig. Hat der Mann eine neue Sklavin in seinen Harem aufgenommen oder will er es, und seine Frau nimmt das übel und macht ihm Vorstellungen: so sagt er »Geh!« und sie geht. Bei vierzig oder fünfzig Jahren versuchen die Männer häufig ihr Eheglück mit kleinen neun- und zehnjährigen Mädchen – sei es der Neuheit wegen, sei es in der Hoffnung sie geschmeidiger und fügsamer zu finden. Ein solches unverständiges Kind langweilt sich bei dem bejahrten Mann, weint, verlangt Unterhaltung in kindischer Weise. Wird ihm das lästig, so sagt er »Geh!« und sie geht. Nur vor den Töchtern vornehmer Männer haben die Gatten Respekt; die werden nicht fortgeschickt! Die Sitte das Kind im Mutterleibe zu töten, weil man den Mann nicht mag, oder das Wochenbett nicht will, oder aus sonst einem Grunde ist in den arabischen Harems ebenso gebräuchlich wie in den türkischen. Und all diese Sitten oder Unsitten gehören nicht etwa nur den höheren Ständen an, bei denen man gern die größere Verweichlichung, Üppigkeit und daraus entspringende Entsittlichung annimmt, sondern allen ohne Ausnahme. Die levantinische Dame von der ich größtenteils diese Erzählungen habe, sah ein kleines Mädchen mit dem Frauenschleier unter den Augen bei einer ihrer Dienerinnen. »Was fällt denn Dir ein Dich so zu verschleiern?« fragt sie. – »Ich bin ja verheiratet« antwortet die Kleine ganz trotzig. – »Wie alt bist Du denn?« – »Neun Jahr!« – Wenn man das bedenkt: die unmündige Kindheit, die Sorge für einen Haushalt, für Lebenserwerb – wozu in den unteren Ständen die Frau durch Arbeit beitragen muß – endlich gar Kinder, deren Geburt und Pflege: dies alles auf so schwache Schultern gewälzt so begreift sich leicht, daß der Mann Anlaß zu vielfacher Unzufriedenheit findet. Aber weshalb geht er solche Ehe ein? – Es liegt schon sittliche Entartung darin, finde ich, sie mit einem Kinde zu schließen, und es ist unmöglich daß die Polygamie den Mann nicht entarten sollte, da sie das Weib in keinem anderen, als einem seiner animalischen Natur entsprechenden Verhältnis zu ihm bringt. Daher ist auch Scheidung und Polygamie ein Unsinn; denn zur Scheidung gehört zuvor ein freiwilliges Zusammenfinden von zwei Personen, aber nicht das Überliefern von einer willenlosen an eine andre die einen Willen hat. Zwei Willen können eins werden und dürfen es; – auch über die Scheidung. Im Orient ist die Frau nie eine Person, stets eine Sache; darnach läßt sich am besten das belobte »häusliche Leben« abmessen, welches allerdings für einen Gatten manches Bequeme hat.

Eine echt ägyptische Kuriosität habe ich auch in diesen Tagen gesehen, nämlich einen Brutofen. Vor dem Tor Bab el Futúh, in einer greulich wüsten Vorstadt, war einer in Arbeit. Der Februar ist der günstigste Monat; da bringen die Fellahs ihre gesammelten Hühnereier dem Brüter, der sie in backofenähnlichen Nischen zu beiden Seiten eines schmalen niedrigen Ganges legt, ihnen durch beständiges Feuer die Wärme gibt welche die Küken brauchen um zum Leben geweckt zu werden, und endlich den Besitzern für zwei Eier immer ein Küken ausliefert. Der Überschuß ist für seine Mühen und Unkosten. Diese Brüter bilden ein eignes Gewerbe, das wie jedes Handwerk in Ägypten seinen Scheikh hat. Sie sollen sehr geheimnisvoll mit dessen Handhabung sein, aber durch Übung eine so große Erfahrung besitzen, daß sie, wenn man ihnen Eier bringt, sagen: Dieses wird in drei Tagen auskommen, jenes in acht, jenes in zehn etc. Der Gebrauch des Thermometers ist ihnen unbekannt. Nur nach ihrem in der Übung geschärften Gefühl erhalten sie vollkommen gleichmäßige Wärme, die das notwendigste Erfordernis bei dieser seltsamen, hier sehr nützlichen Industrie ist, denn die ägyptischen Hühner haben durchaus keine Neigung zum Brüten. Sie legen Eier ohne sich mit deren ferneren Schicksalen zu befassen. Mehrere Millionen Küken kommen alljährlich auf diese künstliche Weise zur Welt. Große Haufen von Eiern lagen in den Nischen, die sich in zwei Reihen übereinander zu beiden Seiten des engen finsteren heißen Ganges befanden, in den wir durch eine ganz niedrige Türöffnung kriechen mußten, und der mit Vor- und Nebenkammern den eigentlichen Brutofen bildet. Die größten Merkwürdigkeiten von Ägypten, seine Geheimnisse des Lebens und des Todes, sind immer in seltsam höhlenartigen Gebäuden. Vor unseren Augen schlüpfte ein Küken aus. Wie das wunderbar aussieht! Eben noch das tote, stille, unbewegliche Ei, und plötzlich eine kleine lebendige Kreatur mit Stimme und Bewegung! Ach, das Leben! Das ist das Geheimnis welches Gott sich vorbehält! Wie tot sehen dagegen die Geheimnisse der Hieroglyphen aus, welche der Mensch mit solchem Stolz enträtselt! – Der berühmteste Brutofen in ganz Ägypten befindet sich in Siut. Er beschränkt sich nicht auf Hühnereier, sondern nimmt sie von jeder Vogelart an. Der österreichische Generalkonsul hat einmal Krokodileier darin ausbrüten lassen.

Täglich reiten wir spazieren, bald durch die Stadt zu den Toren, den Fontänen, den Minaretten – bald zu den Gräbern der Kalifen – bald in der prächtigen Allee von Schubra mit ihren Nebenalleen, wo der Schatten in den Mittagstunden schon höchst willkommen ist. Das Klima ist unbeschreiblich angenehm. Die beständig warme Sonne, der beständig blaue Himmel, den höchstens am Morgen ein leichtes, schnell verschwebendes Gewölk bedeckt, üben auf uns Kinder des Nordens, welche in dieser Beziehung arme Stiefkinder der Natur sind – einen solchen Zauber, daß ich mich wirklich ein wenig vor dem heimatlichen Himmel mit seiner kühlen Sonne und seinen Regenströmen wie vor einer ungerechten Behandlung fürchte.


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