Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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15. An meine Mutter

Beirut, Sonntag, Oktober 8, 1843

Alles laßt sich beschreiben, meine liebe Mutter, Menschen, ihr Leben, ihre Kleider, ihre Häuser, ihre Leiden, ihre Zustände: nur nicht die Natur, die Physiognomie eines Landes. Geographisch und ethnographisch muß man das unternehmen: hat man das Genie dieser Wissenschaften, so wird Leben in die gewaltige formlose Masse hineinkommen und ihr die Form geben, in der sich ihre Individualität am klarsten ausprägt. Hat man es nicht, so wird die Beschreibung nur jenen öden Landkarteneindruck machen, bei dem man denkt: Also das Land mit den grünen Grenzen ist Syrien und das mit den roten Kleinasien. Ich habe es nicht; darum behüte mich der Himmel vor Beschreibungen! Aber wenn ich einen Blick auf dies reiche, sonnendurchglühte Land werfe, wenn ich das Arom seiner Pflanzen und seiner Luft einatme, wenn ich in seine Nächte hineinwache, die weicher und wärmer als unsre Tage sind, so denke ich dennoch: ich werd' es aber doch beschreiben, und wenn auch weiter nichts daraus wird als – das Land mit den Blumenkranzgrenzen. – Ich habe absichtlich in meinem vorgestrigen Brief nichts vom ersten Eindruck gesagt den Beirut macht; ich wollte mich noch ein wenig mehr in diese Natur hineinfinden. Indessen wie mir das geht: der erste Eindruck ist unvermeidlich; und ich denke es war mehr als die Magie des Namens und der Stätte die mich entzückte, als ich in der Frühe des fünften aufs Verdeck kam. Die lichte Färbung des frühen Morgens, ein mit Silber durchwebtes Blau, hing von den mächtigen Wänden des Libanon herab, und lag weit und breit über dem Meer, und nur die höchsten Punkte des Gebirges trugen bereits die Goldkronen, die ihnen die Morgensonne darbrachte. Am Ufer lag die alte dunkle, aus lauter Türmen und Höhlen zusammengebaute Stadt schwarz als ob sie Trauer trüge, und saftgrüne Pflanzungen von Maulbeerbäumen lagerten sich um sie herum und stiegen die Vorberge des Libanon empor. Nach und nach, bis das Geschäft der Ausschiffung zu Stande kam, stieg die Sonne höher, kam über das Gebirg und beleuchtete nun von oben die ganze großartige Landschaft. Da glänzte rotgolden der majestätische Libanon als lächle er dem Meer entgegen. Da hüpften Millionen von Goldflittern auf dem Meer, und die Wellen rieselten rasch und leise, als nickten sie ihm einen Morgengruß zu. Da war das Grün der Gärten wie in Smaragd verwandelt, und auch die Türme und Terrassen der Stadt bekamen ihren Teil vom himmlischen Licht: eine goldige Zinne. Nun sah sie erst recht wie jener Schmetterling aus, den man Trauermantel nennt und der um seine schwarzen Flügel einen weißen Saum hat. So finster ist und bleibt die Stadt und rund um sie herum prangt das Licht in allen Gestaltungen.

Die liebenswürdige Frau des preußischen General-Konsuls begrüßte mich einige Stunden nach meiner Ankunft und lud uns ein bei ihr zu speisen. Da sah ich gleich am ersten Tage auf dem schönsten Aussichtspunkt von Beirut den Sonnenuntergang: nämlich in ihrem Liwán. Hier sah ich die Landschaft vom Morgen grade umgekehrt. Das Haus des General-Konsuls liegt ungefähr eine halbe Stunde außerhalb der Stadt auf dem allmählich immer höher steigenden Terrain, wo sehr viel Campagnen zwischen Gärten und Maulbeerpflanzungen liegen. Da hat man die ganze grüne laubige Absenkung vor sich, hinab, hinab bis zum Meer. Einzelne Häuser sind munter und freundlich in die Gärten hineingestreut und nur ganz unten zwischen diesen und dem Meer gewahrt man etwas von der Stadt. Aber der König von Syrien, der Libanon, herrscht auch hier, denn all dies Land ist sein, ruht zu seinen Füßen und in seinem Schoß; und wie der Morgen ihm eine Goldkrone aufs Haupt gesetzt, so hatte ihm der Abend einen Purpurmantel über die Schultern geworfen, und er glühte so flammend vor und nach Sonnenuntergang, wie ich nur die Schneekuppen der Schweiz habe glühen sehen. – So war der erste Tag in Beirut. Nicht wahr, wunderhübsch. Aber so war auch der zweite, und der dritte, und der vierte, und so würden sie alle sein, wenn man alle seine Tage hier verlebte. Man sitzt im Liwán bei Tage, auf der Terrasse, d. h. auf dem flachen Dach, am Abend und betrachtet Meer und Gebirg im Sonnen- und Mondenschein, und dazwischen macht man, wenn es nicht allzu heiß ist, einen Spazierritt nach dem Palmenwäldchen, und erfreut sich an den köstlichen Bäumen und an dem Duft den die Akazie, die echte nämlich, fast betäubend ausströmt. Dies Wäldchen ist der Stolz von Beirut. Palmen bilden seine Krone, aber unter ihren hohen Stämmen gedeihen vortrefflich große Maulbeerpflanzungen, die man mit der höchsten Sorgsamkeit pflegt, weil die Zucht der Seidenraupe eifrig betrieben wird. Daher ist jener Baum der herrschende des Landes, untermischt mit Johannisbrot- und Feigenbäumen, mit Palmen und Pinien. Diese letzteren heben ihre schönen, stillen, festen Kronen hoch in die Lüfte empor, und die ersteren bilden dazu das Unterholz, so daß die Bebaumung einen prächtigen, füllreichen Charakter hat. Das hindert aber nicht daß man unmittelbar vor den Toren in fußhohem Sand versinkt, der das Gehen höchst beschwerlich und unerfreulich macht, umsomehr da man, so wie man das Meer verläßt, augenblicklich zwischen haushohe Kaktushecken gerät, welche die Gärten umhegen. Diese Pflanze braucht wenig Wasser, daher gedeiht sie hier in wahrhaft monströser Weise; jede andere Kultur wird durch aufmerksame Verteilung der Bewässerung hervorgebracht. Dieser Rücksicht weicht jede andre, und so werden Wege in Kanäle verwandelt und durch aufgeworfene Wälle ganz unbrauchbar gemacht, sobald die Wasser mehr oder weniger, hier oder dort gebraucht werden. Wo man nicht bewässert, gedeiht nichts, und wo keine Pflanzen wachsen, wächst der Sand. Von Jahr zu Jahr rückt er weiter, dringt er unmerklich aber sicher vor, so daß nach einer Reihe von Jahren große Versandungen des Bodens sich bemerkbar machen. Man könnte ihnen vorbeugen durch Anpflanzungen; doch es geschieht nicht. Fehlt die Aufmerksamkeit? Der gute Wille? Fehlen Hände? Der Türk läßt die seinen im Schoß liegen, raucht den Tschibuk und spricht: »Kismeth!« das heißt so viel wie Schicksal, und das beruhigt ihn vollkommen über alle Versandungen der Welt.

Es ist alles leicht hier! Wenn man ausgeht braucht man keinen Mantel für die Heimkehr am Abend mitzuschleppen; wenn man nicht im Sand gehen mag, besteigt man ein friedliches und flinkes Eselein und reitet zum Diner. Ich habe eine wunderschöne Zeit getroffen: die des Vollmonds. Er ist so hell, daß er den Gegenständen ihre Farbe, und sie nicht schwarz erscheinen läßt; die weiche warme Luft dazu – und die Nacht ist wirklich wie ein Tag ohne Sonne. Als ich am ersten Abend vom General-Konsul zwischen zehn und elf Uhr nach der Stadt zurückritt, hatte ich nach europäischer Weise eine Mantille umgenommen; allein ich nahm sie ab, und habe mich später nicht mehr mit ihr befrachtet. Einen Augenblick gibt es, und zwar den, wo die Sonne im Untergehen begriffen ist, da wird es, vergleichsweise, kühl und da soll die Luft schädlich sein, so daß man den Kopf bedecken muß. Am späteren Abend tritt jedoch wieder die warme Temperatur ein, und im Sommer soll der Unterschied zwischen der Wärme des Tages und der Nacht nicht mehr als einen, höchstens anderthalb Grad Réaumur betragen. Es scheint mir also unmöglich sich zu erkälten. Dennoch leiden fast alle Fremde, sobald sie längere Zeit verweilen, im Anfang; denn das Klima wühlt das Blut zu heftig auf und Diätfehler rächen sich gefährlicher als bei uns. Rindfleisch hat man gar nicht; es ist zu schwer und dadurch schädlich. Hammelfleisch ist sehr gut, nur außerordentlich fett, und daher muß man auch damit sich in acht nehmen. Hühner sind ganz ungefährlich und kleine wilde Vögel ungefähr halb so groß wie Lerchen, die man viel und gern ißt. Von unsere Gemüsen gibt es wenig oder gar keine; man hat hingegen keine Mahlzeit ohne Reis und ohne Tomaten. Diese sind wirklich die Kartoffeln des Morgenlandes, wenigstens so unentbehrlich wenn auch nicht so nahrhaft; sie gehören ebenfalls zum Geschlecht der Nachtschatten, heißen mit ihrem botanischen Namen Solanum lycopersicum und auf deutsch Liebesapfel, und haben eine ziegelrote Farbe, die sie allen Speisen mitteilen zu denen man sie in Saucen oder sonst wie gebraucht. Die Früchte der Jahreszeit sind herrliche Trauben, und Bananen oder Pisang. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit, daß einmal im Gewächshaus zu Remplin einige Bananen gereift waren, von denen mir auch ein Stück mitgeteilt wurde, und zwar mit einer gewissen Feierlichkeit, als etwas ganz Außerordentliches. Seitdem hatte ich keine weder gesehen noch gegessen, aber ich wußte noch immer, daß sie mir damals sehr mehlig und saftlos schmeckten. Als ich hier die längliche blaßgelbe Frucht erkannte, war ich sehr begierig auf ihren Geschmack, doch ich fand sie in Beirut ebenso saftlos und fade wie in Remplin, und man sagte mir, man müsse sich an ihn gewöhnen um ihn angenehm zu finden. Die besten Bananen sollen tiefer hinab an der syrischen Küste bei Saida, dem alten Sidon, gedeihen. Ich schreibe Dir dies nicht, liebe Mutter, um Dir meinen Küchenzettel mitzuteilen, sondern um Dir eine Vorstellung von dem Lande zu geben, wo statt Äpfel und Pflaumen – Bananen auf den Bäumen wachsen. So ist die Landschaft beschaffen.

Die Stadt – ja, die ist nun freilich sehr wenig anmutig und hat außer ihrem vortrefflichen Pflaster, das aus breiten, flachen Steinen besteht, nichts Empfehlenswertes. Der erste Einzug in dieselbe ist tumultuarisch genug. Das Boot kann des Sandes wegen nicht landen. So wie eines vom Dampfschiff kommt und sich dem Ufer naht, stürzt sich eine Schar halbnackter Araber ihm entgegen, ins Wasser hinein, ergreift die Koffer, schleppt sie an Land, erfaßt die Reisenden, nimmt sie auf die Arme, und trägt sie nicht sehr bequem und sehr sanft, aber ganz sicher durch die Wellen. Dann gibt es den in allen Ländern der Welt gebräuchlichen Zank über den Transport der Sachen, und endlich geht es zu Batistas Locanda durch die wunderlichsten Straßen, die mir bisher vorgekommen sind, denn sie gleichen mehr Kellergewölben und unterirdischen Gängen, als einer Stadt – so schmal und dunkel sind sie selbst da, wo sie nicht von einem Hause zum andern überwölbt sind. Zuerst glaubte ich alle diese Tore bereiteten den Weg in die eigentliche Stadt; aber nein! So ist ihre Anlage, zum Schutz gegen die Sonne gemacht. Die Häuser sind ebenso wunderlich, bestehen aus viereckigen, oben flachen Türmen, von ungleicher Höhe und Dicke, die man durch Treppen, Brücken und Terrassen verbindet.

Jedes Haus sieht wie eine kleine Festung aus, oder wie ein donjon, zu welchem finsteren Eindruck der Mangel an Fenstern, die Gitter vor denselben, und die dunkle Farbe des Bausteins beiträgt. Meine Locanda ist auch im Innern nicht viel freundlicher als ein Gefängnis. In den stockfinsteren Räumen des Erdgeschosses habe ich mich nicht viel umgesehen, denn da ist das Küchendepartement, von dem man wohl tut den Blick abzuwenden. Eine schmale und steile Treppe steigt man hinan, und befindet sich plötzlich im Freien, gleichsam auf dem flachen Dach jenes höhlenartigen Unterbaues, über dem sich nun die Türme ganz unregelmäßig erheben. In jedem Turm ist unten und oben ein Zimmer; eine Reihe von Zimmern oder auch nur zwei zusammenhängende existieren nicht – was nach unsern Begriffen höchst unbequem ist. Zwischen zwei Türmen ist der Liwán angebracht. Der freie Raum in der Mitte, über den ein zeltartiges Dach von Leinwand ausgespannt ist, dient als Speisesaal. Ich habe ein Gemach im oberen Stockwerk eines Turmes, das für sich allein die Fenster in Anspruch genommen hat, welche den übrigen fehlen: es hat deren sechs. Zwei sehen auf die Straße und sind dicht vergittert mit Stäben von altem Pinienholz, das eine prächtigen, stärkenden Geruch aushaucht; zwei andre sehen in den freien Hausraum und sind zur Hälfte vergittert; und die zwei letzten gehen auf eine Terrasse, wo Katzen sich amüsieren, und alle Augenblicke mit ihrem Kopf durch die zerbrochenen Scheiben hinein, und erschreckt durch meine Anwesenheit wieder zurück fahren. An der vierten Wand des Zimmers steht mein Bett und befindet sich die Tür, die weder Schloß noch Schlüssel, sondern nur einen einfachen, aber kolossalen Riegel hat, sodaß man sie von außen gar nicht schließen kann. Mitbewohner meines Gemachs sind formidable Spinnen, die seit Dezennien ihre Netze aufgespannt zu haben scheinen. Du begreifst das Entsetzen dieser Genossenschaft, Herzensmama! Nun, ich habe mich schon dermaßen gewöhnt, daß ich mich mit dem Gedanken beschwichtige: In Europa will ich mich wieder vor Spinnen entsetzen; hier nicht! – Übrigens muß man dem Himmel danken, wenn man nicht Skorpione und Vierzigfüßler in einem solchen Zimmer findet; das stimmt denn auch nachsichtiger gegen die Spinnen.

Oben auf den Türmen ist es unstreitig am angenehmsten. Sie sind ganz flach, man erklimmt sie auf wackelnden leiterartigen Stiegen, man läßt Stühle hinaufbringen und setzt sich – denn das Gehen ist unbehaglich dort oben, weil die platte-forme keine Brustwehr hat – und man genießt die frische freie Abendluft. Ich muß immer an die Felsen von Adersbach denken, wenn ich da oben all die schwarzen, unförmlichen Gebäude um mich herum, und unten die schmalen, finstern, kreuz und quer laufenden Gassen sehe. Wie aus einem Felsen gehauen und mit Felsenwegen durchschnitten ist ganz Beirut. Am Abend geht es lustig darin her! Man befindet sich noch immer im Ramadan, da ist der Tag still und langweilig und man sucht ihn zu verschlafen um weniger durch die strengen Fasten zu leiden. Mit Sonnenuntergang, sobald der Muezin das Abendgebet vom Minarett ausruft, fällt der glückselige Kanonenschuß der die ermatteten Leiber und Seelen neu belebt: die Cafés öffnen sich, die Obst- und Brotverkäufer bringen ihre Waren, auf den Straßen wie in den Häusern wird gegessen, geraucht, und zwar nicht ruhig wie zu andern Zeiten, sondern mit jener freudigen Wut welche die Entbehrung gibt. Man hört jauchzende Kinderstimmen, Gesang, die eintönige Musik der Handtrommel.

Am Freitag ist beim Pascha Militärmusik. Wir sahen von unserm Turm in seinen mit Fackeln beleuchteten Hof, und hatten die Musik aus der ersten Hand. Sie war gräßlich, ein diskordantes Getöse, aus lauter Mißlauten zusammengesetzt, die jeder Musiker willkürlich ohne Takt, ohne Zusammenhang ausstieß. Auf den Dächern der Häuser erschienen Frauen wie Geister, nach hiesiger Landessitte mit einem weiten, dichten, weißen Schleier vermummt, um dem Konzert beizuwohnen. Es war etwas von der Unterwelt und zugleich etwas äußerst Liebliches in der Szenerie. Die schwärzlichen Gebäude, die entsetzliche Musik und die grelle Fackelbeleuchtung, erinnerten mich an den Höllenwalzer in »Robert le Diable«, und gehörten der Unterwelt, während in einer höheren Region die stillen weißen Frauengestalten zu Hause waren, und die Lampenkränze, welche die Galerie der Minarette festlich erleuchten, von oben herab ihren Schein warfen, und endlich der Mond in diamantner Herrlichkeit das irdische Licht wie das irdische Dunkel mit seinen unirdischen Lichtfluten überströmte. – Das muntre Leben währt bis tief in die Nacht hinein, und meine sechs Fenster lassen mich bei weitem mehr daran teilnehmen, als ich es wünsche: durch diese dringt der Lärm der Straße, durch jene die Beleuchtung eines ganz nahen Minaretts, und durch die letzten das Geplauder der Weiber oder das Miauen der Katzen, welche abwechselnd jene Terrasse zu besuchen scheinen. Mit Sonnenaufgang beginnt die Stille wieder. Die dreiundzwanzigste Nacht des Ramadan ist ein wichtiger Moment für jeden Mohammedaner. Es ist die Nacht al Kadr, die Nacht der Herrlichkeit, in welcher der Engel Gabriel den Koran aus dem siebenten Himmel herabbrachte. In ihr werden alle menschlichen Schicksale für das kommende Jahr entschieden und bestimmt – wie die Juden es vom Neujahrstag glauben sollen.

 
Abends zehn Uhr

Da wir morgen früh nach Damaskus abreisen, so will ich Dir noch heute in aller Eile erzählen, daß ich soeben von einem arabischen Diner und einer arabischen Hochzeit komme. Ersteres war europäisiert, wenigstens in der Form, denn es fand bei dem österreichischen General-Konsul statt, der einen echtarabischen Koch aus Kairo hat, und mir diesen Spaß machte. Die Speisen sind mir auch alle genannt worden, aber mein Ohr hält nicht den ungewohnten Laut fest, und ich kann daher nur sagen, daß sehr starke Gewürze in allen vorherrschend waren. Hernach wurde in jener Kaufmannsfamilie wo die Hochzeit stattfand angefragt, ob wir kommen dürften, und als natürlich eine Bejahung erfolgte, gingen wir hin. Ein Hochzeitsfest hat immer etwas Gezwungenes, Unbehagliches; dem Brautpaar ist der Tumult lästig, und die Gäste wissen im Grunde nicht weshalb sie so erschrecklich lustig sein sollen. Aber an die Marter eines arabischen Hochzeitsfestes streifen denn doch unsre europäischen nicht. Die Trauung war gegen Mittag geschehen nach dem Ritus der griechischen Kirche – denn die Araber, das eingeborne Volk, sind nicht lauter Mohammedaner, sondern bekennen sich zu den verschiedenen christlichen Konfessionen, und letztere sollen hier in Beirut ziemlich zahlreich sein. Nach der Trauung wird die Braut in ein Zimmer geführt und der Bräutigam in das andre – sie umringt von allen Personen weiblichen Geschlechts ihrer Verwandtschaft und Freundschaft, er desgleichen von allen Männern – und da werden sie von einander getrennt unterhalten mit Musik, Gesang, Tanz, Gespräch, Besuch, Speise und Trank – nicht länger als drei Tage und drei Nächte. Was sagst Du zu dieser kolossalen Vergnügungsfähigkeit? Ich muß Dir bekennen, daß ich von dem halbstündigen Besuch ganz betäubt bin.

Das Haus war ganz im Stil meiner Locanda, aber weit in die dunkle Straße schallte das Getöse hinein, als ob es ein Palast mit tausend Gästen sei. Durch den dunklen Unterbau und über die dunkle Treppe ging es in den freien innern Raum. Da empfing mich der Hausherr, ein Vetter der vaterlosen Braut, ein schöner junger Mann, dem die orientalische Tracht, besonders der große Turban, sehr gut stand; und führte mich an der Hand in das Gemach der Frauen. Als ich eintrat erhoben sie sich vom Sofa, der breit und niedrig an den Wänden umherläuft, aber so, daß sie nicht auf der Erde sondern auf den Polstern standen; und die Braut, die der Tür grade gegenüber saß, wurde bei dieser schwierigen Evolution von ihren beiden Nachbarinnen unterstützt weil die Etikette es mit sich bringt, daß sie sich möglichst wenig bewege. Man führte mich zu ihr, ließ mich neben ihr sitzen, und ich betrachtete dies merkwürdige Bild. Wohl ein Bild! Denn wie eine Puppe sah die arme Braut aus! Sie darf sich nicht bewegen, nicht sprechen, niemand ansehen, keine Miene verziehen, kein Auge aufschlagen; und um des letzteren recht gewiß zu sein, bestreicht man ihr die Wimpern mit einer klebrigen Masse, so daß ihre Augen wirklich zugeklebt sind. Dann malt man ihr die Augenbrauen hoch geschwungen und schwarz, die Wangen rot. Die Hände haben nicht bloß ockergelbe Nägel, sondern sind über und über mit Arabesken von dunkelblauer Farbe permanent tätowiert. Kurz, wenn einem Europäer nach drei Tagen diese Braut abgeliefert würde, so müßte sein erstes Wort zu ihr unfehlbar sein: »Wasche dich, mein Engel!« – Ihr Haar hängt in Zöpfen und lockern Streifen – falsches mit dem eigenen vermischt – über die Schultern, und Blumen, Bänder, blanke Zierrate winden sich um den Tarbusch (so heißt hier das rote Mützchen mit blauem Quast). Dieser Kopfputz ist nicht ungraziös. Der übrige Anzug ist so, wie ich ihn in Konstantinopel beschrieben habe, nur sind die Röcke ohne Schleppen, und schwere bunte Shawls, die man als Gürtel um die Hüften windet, machen die Gestalt unglaublich plump. Der Halsschmuck der Braut bestand aus Reihen von kleinen Goldmünzen an Schnüren befestigt, so daß sie einen goldnen Brustharnisch zu tragen schien. In diesem schweren Anzug saß sie nun da, steif und starr, mit herabhängenden Armen, mehr einer Mumie als einem lebenden Wesen, – am wenigsten einer fröhlichen Braut ähnlich. Sollte die Ehe ihr ein hartes Joch werden, so hat sie schon dessen Zwang in diesem Anfang ahnen können. Ob übrigens die starre Bewegungslosigkeit zu der sie verdammt ist, Betrübnis über ihren verlorenen Mädchenstand, Gleichgültigkeit gegen ihren Frauenstand oder jungfräuliche Sprödigkeit bedeuten soll – denn irgend ein Symbol muß doch diese seltsame Form sein! – das wußte sie gewiß selbst nicht. Mehr oder weniger wie die Braut waren sämtliche Frauen geschmückt und bemalt; daher bin ich auch nicht im Stande zu sagen ob irgendeine hübsch war. Die übrigen hatten nicht zugeklebte Augen, sondern weit geöffnete, aber all das schwarze Pinselwerk um sie herum machte sie mir unheimlich. Ein Auge muß vor allen Dingen redlich, und nicht wie aus einer Maske heraus mich ansehen, wenn es mir gefallen soll. Bis jetzt gefallen mir die spanischen Feueraugen unendlich viel besser als die hochberühmten orientalischen. – Die fremden Männer hatten auch Zutritt in diesem Zimmer, das durch eine große dreischnabelige Lampe erhellt war, die in der Mitte auf dem Fußboden stand.

Es gab leider weder Gesang noch Tanz, daher verkürzte ich meinen Besuch bei der Braut um ihn bei dem Bräutigam zu machen, der in einem anderen Turmgemach in der Haft der arabischen Hochzeitsetikette saß. Er durfte sich bewegen, sprechen, blicken, und sah recht munter und lebhaft aus. Auf dem Sofa zwischen all den Männern hätte sich der Platz nicht für mich geschickt, daher bekam ich einen Stuhl dem Bräutigam gegenüber, und nun begann von neuem die Musik, die wir bereits auf der Straße gehört hatten. In einem Winkel des Zimmers saßen die Musiker auf dem Fußboden, der eine trommelte auf zwei tellergroßen Pauken, der andre schlug eine Art von Hackbrett, der dritte bearbeitete ein kleines Saiteninstrument, und dazu sangen sie aus Leibeskräften die unharmonischsten Töne, die nur in der Menschenkehle aufzutreiben sind. Wildes Geschrei wechselte mit näselnden und gurgelnden Lauten – es war ein abscheuliches Konzert! – Wir blieben eine kleine Weile, und begaben uns dann in den eigentlichen Salon, nämlich in den freien Hausraum, wo wir mit sehr guter Limonade bewirtet wurden, und wo man den Herren Tschibuk oder Nargileh anbot. So endete das Fest für mich, und ich war seelenfroh, daß ich nicht wie die übrigen Gäste bis übermorgen auszuhalten brauchte. Um Beschwerden zu ertragen – dazu sind meine Nerven stark genug; aber nicht für Vergnügungen. Ade und gute Nacht, herzliebe Mutter.


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