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Ich begann mich nun auch zu rühren und guckte mich nach allen Seiten um, ob ich nicht jemand von meinen Unzähligen sehen könnte. »Sie sind natürlich seit dem vorigen Mal bedeutend gewachsen,« dachte ich, »aber wiedererkennen werde ich sie schon.« Im selben Augenblick hörte ich einen kläglichen Ruf:
»Frau Frosch, Frau Frosch! Wenn du Frau Frosch bist, so komm und hilf uns!«
Kaum hatte ich diesen Schrei gehört, als ich, so rasch ich nur konnte, in die Richtung stürzte, von der der Ruf erklang. Im selben Augenblick ergriff ein langes schmales Ding die Flucht, aber ich konnte doch noch sehen, daß es die stets gefräßige heißhungrige Larve des Tauchers Dytiscus war.
»Aber wo ist denn das Opfer, das ich vor der Kneifzange gerettet habe,« sagte ich zu mir selbst.
»Hier, hier,« pustete etwas Kleines, das neben mir auftauchte. »Du rettest aber recht kräftig, Frau Frosch. Ich habe einen tüchtigen Puff abbekommen, wie du dich so auf mich geworfen hast. Aber schönen Dank für die Hilfe. – Du bist doch Frau Frosch?«
»Gewiß, gewiß,« sagte ich – »die Froschfrau nennt man mich. Aber bist du vielleicht eines meiner Unzähligen?«
»So sagen die Leute,« erwiderte das Kleine lachend – »aber du verzeihst schon, wenn ich dir sage, daß wir selbst es nicht glauben. Weißt du noch, was wir dir nachriefen, als wir uns das letztemal trennten?«
»Freilich,« sagte ich und lachte – »keines von uns glaubt, daß du eine Froschfrau bist, rieft ihr aus voller Kehle.«
»Weißt du, wir waren damals noch so furchtbar jung,« sagte das Kleine begütigend.
»Also glaubst du jetzt, daß ich Frau Frosch bin und ihr meine Unzähligen?«
»Ja, weißt du, du mußt schon verzeihen, aber wenn du ein Frosch bist, dann können wir doch keine sein. Du findest doch nicht ernstlich, daß wir wie Frösche aussehen? Guck uns doch einmal an. Sehen wir dir vielleicht ähnlich? Das kannst du doch nicht behaupten,« sagte das Froschkind sehr eifrig.
»Ich sehe euch an,« sagte ich, »und ich sehe unter anderem, daß eure Kiemenfransen verschwunden sind, mit denen ihr das letztemal so geprahlt habt.«
»Bitte sehr, wir haben sie noch – sie sind nur in einem Hautsack. Ein bißchen Haut ist darüber gewachsen,« sagte das Kind trotzig.
»Ja, und überhaupt ist es so viel praktischer,« fiel ein kleines Junges ein und wedelte mit seinem langen Schwanze.
»Das glaube ich schon,« sagte ich lachend, »und wenn ich euch das nächstemal treffe, dann sagt ihr wohl, daß es am allerbesten ist, gar keinen Schwanz zu haben und lieber so lange Beine wie eure alte Mutter.«
»Nein, nein, nie, nie,« riefen alle die kleinen dicken Jungen, die sich um mich versammelt hatten. »Nie werden wir so etwas von unserem Schwanze sagen, unserem feinen, dünnen, schönen, lieben Schwanz. Wie du daherredest, Frau Frosch. Und deine langen Beine, die möchten wir schon gar nicht haben. Nein, pfui, die wären uns schön lästig. Nein, nein, liebe Frau Frosch, suche du deine Unzähligen anderswo, wir sind eine ganz andere Rasse.«
»Und wie heißt eure werte Familie?« fragte ich sie ein wenig spöttisch.
Ehe noch eines meiner kleinen dicken Jungen geantwortet hatte, rief eine mächtige Stimme:
»Weißt du nicht, daß sie Kaulquappen heißen? Kaulquappen sind fett, und Kaulquappen schmecken gut.«
Im selben Augenblick kam der Taucher Dytiscus in eigener Person mitten in die Schar meiner Unzähligen gestürzt, die flink und behend auseinanderstoben. Ich zappelte und strampelte im Wasser, die Kaulquappen entflohen nach allen Seiten, die Lemnascheiben hüpften auf und nieder und ein paar Augenblicke herrschte die größte Verwirrung. Dann beruhigten sich alle wieder, die Kaulquappen kamen zurück, die Lemnascheiben breiteten sich aus wie zuvor, und ich steckte vorsichtig meine Schnauze über den Wasserspiegel.
»Hat er eines gefangen, hat er eines gefangen?« fragten meine Unzähligen eifrig.
»Ja, wer kann's wissen?« antworteten einige.
»Nein, das kann niemand wissen,« riefen sie durcheinander, und dann vergaßen sie auch schon gleich wieder die Gefahr.
Ja, das sind richtige Frösche, richtige echte Frösche, dachte ich beglückt. Laut sagte ich:
»Habt ihr Dytiscus schon vergessen? Er kann jeden Augenblick zurückkommen. Ihr habt ein schlechtes Gedächtnis, meine lieben Kinder.«
»Wir fürchten uns nicht,« riefen sie übermütig.
»Aber habt ihr denn nicht gesehen, wie groß und platt und breit er war und wie heimtückisch er euch ansah? Und habt ihr nicht gemerkt, wie rasch er mit seinen platten, borstigen Hinterbeinen heranschwamm? Und wißt ihr nicht, daß er starke, krumme Klauen hat und scharfe, scharfe Zähne? Und hört ihr nicht, von wem er sagte, die sind fett und schmecken gut?«
»Von uns, von uns!« riefen die Kleinen durcheinander. »Wir wissen schon, daß er uns nachstellt, das haben wir oft bemerkt. Seine lange Larve auch.«
»Ja, ja,« sagte ich, »aber die ist wohl nicht gefährlich. Die hat ja keinen Mund.«
»Keinen Mund,« sagte eins der kleinsten Kaulquappen erstaunt und schob dabei ihr eigenes rundes Mündchen so weit vor als nur möglich.
»Das kann ich nicht glauben,« sagte eine andere sehr eifrig, »warum sollte sie uns denn jagen, wenn sie keinen Mund hat, um uns zu essen?«
»Ich weiß es,« rief eine dritte und drängte sich vor. »Ich habe sie essen gesehen, ich weiß, wie sie es macht.«
»Nun, sagte ich, »laß uns hören, wie die Mundlose ißt.«
»Habt ihr nicht bemerkt, wie sie aussieht, wenn sie herangeschwommen kommt und eine Beute entdeckt?«
»Gefährlich sieht sie aus,« sagte eines der Kleinen sehr ernst, »höchst gefährlich.«
»Nicht wahr? Und das Gefährlichste sind ihre zwei langen gekrümmten Zähne, die sie zusammenklappen kann wie eine Zange.«
»Ach, darum hast du sie die Kneifzange genannt?« rief das Kleine, das ich vor der Dytiscuslarve gerettet hatte, und wandte sich an mich.
»Zuerst wußte ich nicht, was du meinst, aber jetzt verstehe ich.«
»Ja, ja, schon recht,« sagte ich und nickte, »aber jetzt laß uns weiter hören.«
»Ihr laßt einen ja nicht erzählen,« sagte die Kaulquappe, die Bescheid wußte. »Seht ihr, mit dieser Zange packt sie ihre Beute und zerreibt sie damit, und nach einem Weilchen ist nichts anderes von der Beute übrig als eine leere Schale. Ich habe es selbst gesehen.«
»Aber wohin kommt denn all das übrige?« fragte eines der Kleinen, das mit der Erklärung nicht zufrieden war.
»All das übrige kommt geradeswegs in den Magen des Räubers,« sagte ich und lachte. »Seht ihr, meine Kleinen, die langen scharfen Zähne des Räubers sind hohl und von ihnen geht ein Kanal bis in den Magen.«
»Sind das aber komische Zähne!« rief die Kaulquappe.
»Ja, nicht wahr?« sagte ich. »Durch diese komischen Zähne preßt sie erst etwas scharfen Saft in ihre Beute, durch den wird diese betäubt, und in ihrem Innern löst der Saft alle Eingeweide auf, bis sie wie eine Suppe werden. Und diese Suppe schlürft der Räuber durch die Zähne bis in den Magen.«
»Aha,« sagten die Kaulquappen, »so ist das.« Und dann fingen wir alle an zu lachen.
Ich hatte mit großer Freude bemerkt, daß meine Unzähligen keine Angst mehr vor mir hatten und sich in meiner Gesellschaft wohlfühlten, obgleich sie noch immer nicht an unsere Verwandtschaft glaubten. Wie wir im besten Lachen waren, begann es auf das Wasser zu tröpfeln. Die Kaulquappen verschwanden augenblicklich unter dem Lemnawald, doch ich steckte die Schnauze über das Wasser und sah, daß das ein Platzregen war, der ganz unerwartet kam und große Wellen und Blasen auf meinem See hervorrief. Das gefiel mir wohl, und ich blieb ganz still sitzen und steckte die Schnauze in die Luft. Ich sitze sehr gern so und ich denke mir, daß ich da ganz wie eine Seerosenknospe aussehen muß, namentlich wenn ich wie jetzt den Kopf zwischen zwei Seerosenblättern durchstecke.
Nach einem Weilchen hörte es zu regnen auf, die Sonne kam hervor und der ganze See begann zu glitzern. Aber plötzlich hörte ich jemanden oben in der Luft zwitschern und piepsen:
»Schwefelregen, Schwefelregen.«
Ich wurde neugierig und sah das Wasser genauer an – was erblickte ich da? Ja, Hunderte und Hunderte, unzählige kleine gelbe Kugeln lagen da auf dem Wasser.
»Seid ihr vom Himmel gefallen? Kommt ihr von der Sonne?« stammelte ich in meiner Ueberraschung.
Niemand antwortete. Da sah ich sie näher an und merkte, daß jede Kugel mit zwei Luftblasen versehen war.
»Warum habt ihr denn Luftballons mit?« fragte ich.
»Mit diesen Ballons sind wir durch die Luft geflogen,« antworteten die Kugeln und dann seufzten sie.
»Aber warum seid ihr hierhergekommen? Und warum seufzt ihr so tief?« fragte ich.
»Der Regen hat uns gepackt und uns ins Wasser geworfen. Darum seufzen wir,« sagten die Kugeln.
»Nun,« rief ich ärgerlich, »ist mein See für euch vielleicht nicht gut genug? Wenn er für mich und meine Kinder ...«
»Ja, ja,« sagten die Kugeln, »aber für uns paßt er nicht. Wir müssen hier umkommen. Siehst du nicht, wie wir anschwellen? Bald platzen wir.«
»Das tut mir leid,« sagte ich sanfter, »aber was hattet ihr denn auch im Regen zu tun?«
»Wer konnte denn ahnen, daß es regnen würde? Als wir auszogen, schien doch die Sonne, und der Himmel war rein und blau.«
»Wo seid ihr denn eigentlich daheim?«
»Weißt du das nicht?« sagten die Kugeln und schienen für den Augenblick zu vergessen, daß sie platzen sollten, »weißt du das nicht? Wir sind doch die kleinen Samenkörner der Tannen, die Pollenkörner, die hoch oben in den Bäumen wohnen. Wir sind mitten in der Sonne, ach, wie schön ist es daheim bei uns.«
»Warum wart ihr auch so dumm, fortzureisen?«
»Aber weißt du denn nicht, wer über uns wohnt, in den Zweigspitzen?«
»Nein,« sagte ich, »woher sollte ich das nun wieder wissen?«
»Da wohnen unsere besten Freundinnen, die weißen Samenstäubchen, hinter ihren kleinen rosenroten Schirmen,« riefen die Kugeln eifrig. »Zu denen sollten wir reisen. Und unsere Luftballons haben wir eben, um nicht zu fallen. Und wir waren schon weit über den Wald geschwebt, als der Regen kam und uns hierhertrieb. Begreifst du jetzt, warum wir so traurig sind?«
Ehe ich noch etwas antworten konnte, rief eine kleine Kugel:
»Denk nur an die kleinen weißen Samenstäubchen! Jetzt könnten wir bei ihnen sein, in ihren rosaroten Häuschen und da wären wir Samen geworden und zu großen Bäumen herangewachsen, zu hohen, starken, alten Bäumen, zu stattlichen Tannen. Denk doch nur!«
»Ja, ja, ja,« riefen all die andern. Und im selben Augenblick platzte die kleine Kugel mit den großen Gedanken.
Ich schwamm fort. Die armen Dinger taten mir leid, obgleich es ja sehr töricht von ihnen war, zu sagen, daß sie große stattliche Bäume geworden wären. Als meine Unzähligen in ihren Schleimkugeln lagen, da waren sie ja sehr klein, aber immerhin viel, viel größer als die hier, und meine Unzähligen werden doch nicht größer als andere ordentliche Frösche. Nicht, daß es mir klein oder unansehnlich vorkäme, ein Frosch zu sein, nein, Gott behüte, aber eine stattliche Tanne ist doch größer, das läßt sich nicht leugnen.
Ich schwamm langsam meiner Wege und grübelte nach. Es ist ja wahr, daß ich nicht weiß, woher die Tannen kommen und wie sie als ganz kleine Kinder aussehen. Aber kann irgend ein vernünftiges Wesen glauben, daß ein kleiner gelber Punkt und ein kleiner weißer Punkt zusammen zu einem hohen und stattlichen Baume werden können? Ich glaub's einmal nicht, nein! Du vielleicht?