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Die letzten Erlebnisse.

Am Abend eines solchen Tages hatte ich auf meinen Streifzügen eine Begegnung, die mir zuerst große Angst einjagte.

»Wer bist du?« sagte ich, nachdem ich mich vom ersten Schrecken erholt hatte. »Wer bist du? Du tust, als wärest du eine Schlange, aber bist doch keine.«

»Ich bin die Blindschleiche, Anguis,« antwortete die Gefragte mit heiserer Stimme.

»Ach so,« sagte ich etwas beruhigt, »die Schlange, die gar keine Schlange ist, sondern eine Eidechse.«

»Aber hör' einmal,« fuhr ich fort, »wie kommt es denn, daß du um diese Zeit ausgehst? Ihr Eidechsen liegt doch immer platt in der Sonne und laßt euch braten. So hat mit wenigstens die Eidechse Lacerta einmal erzählt.«

»Ach, Lacerta ist ein so verweichlichtes Ding,« sagte Anguis, »sie weiß gar nicht, wie sie sich drehen und wenden soll, damit nur ja die Sonnenstrahlen alle Teile ihres Körpers treffen.

Ich liebe die Sonne und die Wärme natürlich auch,« sagte Anguis und seufzte ganz sehnsüchtig bei dem Gedanken an die Sommerwärme. »Ach, ach, wer liebt die Sonne und die Wärme nicht? Aber ich muß noch so spät am Abend ausgehen, um mir Futter zu verschaffen. Alle haben es nicht so gut, daß sie nur breit und faul in der Sonne daliegen können.«

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Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als hinter uns ein Rascheln zu hören war. Ich sprang flink in ein dichtes Gebüsch, aber Anguis war nicht so schnell und wurde von einem wunderlichen grobgekleideten Gesellen noch am Schwanz erwischt.

Ich sah von meinem Schlupfwinkel aus, wie Anguis sich in fruchtlosen Versuchen, zu entkommen, schlängelte und drehte. Doch der dicke Räuber hatte sicher eingebissen und ließ nicht locker. Da gab sich Anguis plötzlich einen heftigen Ruck, und ich sah zu meinem unbeschreiblichen Erstaunen, daß sie mitten entzweiging. Ein großes Stück blieb im Munde des Räubers, aber der Rest Anguis' flüchtete. Vor Staunen über die fliehende Hälfte ließ der Räuber das Stück los, das er schon im Munde hatte. Aber da hättest du sehen sollen, was nun geschah! Du kannst dir meine Verblüffung nicht vorstellen, als ich Anguis' Schwanz – ja, der war wirklich nicht dumm! – wie wahnsinnig vor dem Räuber einherhüpfen und -tanzen sah. Ja, der Schwanz hüpfte und tanzte mit solcher Lebendigkeit, so eigentümlichen Krümmungen und so wilden Sätzen, daß der Räuber sich fürchtete, auch noch das letzte Stück seiner Beute zu verlieren. Er ließ sich darum gar nicht Zeit, nach Anguis zu sehen, sondern hatte genug damit zu tun, den tanzenden Schwanz einzufangen.

Als ihm dies schließlich gelang, ließ er sich nieder und aß mit gutem Appetit, während ich und Anguis, die auch in meinen Schlupfwinkel gekrochen war, dasaßen und ihm zusahen.

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»Sieh, da geht nun dein Schwanz dahin,« sagte ich zu Anguis.

»Ja,« sagte die schwanzlose Anguis, »das ist traurig, aber es ist doch noch besser, als wenn ich ganz und gar verschluckt worden wäre.«

»Wer frißt dich denn eben?« fragte ich, denn ich dachte, daß es Anguis vielleicht aufmuntern würde, ein bißchen zu plaudern.

»Das ist Erinaceus, der Igel,« sagte Anguis und fing zu lachen an, »sahst du, was für ein dummes Gesicht er machte, als der Schwanz zu tanzen anfing?«

»Ja,« antwortete ich und lachte mit. »Aber kannst du lachen,« fügte ich dann hinzu, »wenn dein Schwanz aufgefressen wird?«

»Mir wächst schon ein neuer; unterdessen muß ich allerdings etwas vorsichtig sein. Aber was ist denn das?« rief sie, als wir ein gewaltiges Bellen hörten und einen großen Hund auf Erinaceus zustürzen sahen.

Und denke dir, als wir näher zusahen, war der Igel verschwunden, und anstatt seiner lag eine Kugel mit stechenden scharfen Stacheln auf der Erde.

Der bellende Hund stürzte auf die Kugel los, schnappte darnach und stach sich natürlich an den Nadeln blutig. Aber er konnte den stacheligen Ball nicht in Ruhe lassen. Er bellte und schnappte und lief ganz aufgeregt hin und her. Die ganze Zeit saßen Anguis und ich still und regungslos in unserm Versteck, und die ganze Zeit lag die stachelige Kugel auf demselben Platz.

Endlich heulte der Hund laut auf, und dann stürzte er davon wie ein Verfolgter.

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»Was hat er nur?« fragte ich und drehte mich um, aber Anguis hatte sich ganz sachte fortgeschlichen, und ich war allein.

Ich blieb ganz still sitzen, denn es war ein guter Platz, und ich hatte keine Eile. Nachdem der Hund schon verschwunden war, glaubte ich zu sehen, wie die Stacheln des Balles sich bewegten. Was mag das bedeuten? dachte ich und verhielt mich zur größeren Sicherheit ganz still. Und das war gut, denn eins, zwei, drei streckte sich zwischen den Stacheln ein kleiner Rüssel heraus, und zwei kleine Aeuglein guckten unter einer Stirn voll Runzeln und Falten spähend hervor. Da begriff ich, daß der Stachelball Erinaceus selbst war. »Das muß ich meine Kinder lehren,« dachte ich voll Bewunderung. »Ein Räuber kommt und husch, ist meine kleine Kaulquappe verschwunden, und anstatt dessen wiegt sich ein scharfer Stachelball auf dem Wasser. Wenn ich nur erst selbst die Kunst könnte.

Pfiffig war das, sehr pfiffig, sich so zu verwandeln,« sagte ich laut zu mir selbst.

»Das finde ich auch,« sagte eine Stimme neben mir, und als ich mich umdrehte, sah ich – ja, du kannst dir gar nicht denken, wen ich sah: den alten aufgefressenen Froschherrn, den Froschherrn, dessen Beine ich im Schlangenrachen hatte zappeln sehen. Kannst du dir denken, ganz denselben Froschherrn sah ich jetzt neben mir sitzen.

»Wer bist du,« sagte ich, »denn du kannst du nicht sein.«

»Ich bin nicht ich, was redest du da, Frau Frosch?« sagte der Froschherr und fing zu lachen an.

»Wer bist du?« fragte ich wieder, denn es wurde mir ganz unheimlich zumute.

»Ich bin ich, und du bist du,« sagte er und lachte noch mehr. »Aber etwas dämlich scheinst du geworden zu sein, seit wir uns zuletzt trafen.«

»Nun, und wann trafen wir uns zuletzt?« fragte ich, um auf diese Weise zu erfahren, welche Bewandtnis es mit seiner Aehnlichkeit mit dem verstorbenen Froschherrn hatte.

»Das wird wohl damals gewesen sein, als die Schlange damit beschäftigt war, mich aufzufressen,« sagte der Alte schmunzelnd. »Ich glaube, das letzte, was du damals von mir gesehen hast, werden meine langen Beine gewesen sein.«

»Du bist also doch du,« stammelte ich ganz verwirrt.

»Ja, ich bin ich, das habe ich dir doch gleich gesagt,« meinte der Froschherr.

»Bist du also nicht von der Schlange aufgefressen worden, von dem furchtbaren Lindwurm?«

»Das hast du ja selbst gesehen,« sagte der alte Herr.

»Hast du nicht geschrien: ›Hilfe, ich werde gefressen?‹«

»Vielleicht habe ich ein bißchen geschrien,« sagte der Froschherr und sah etwas verlegen aus, »aber gewiß nicht laut und nicht lange.«

»Nein,« sagte ich, denn ich merkte endlich, daß es der richtige alte Froschherr war, der sich in irgend einer Weise gerettet hatte und nun neben mir saß. »Nein, lange hast du nicht geschrien, aber das war wohl, weil die Schlange dich mit dem Kopf zuerst verschlang. Aber wie kamst du nur wieder aus dem Schlangenmagen heraus?« fragte ich eifrig.

»Ja, wenn ich das wüßte,« sagte der Alte. »Ich war in dem Magen des furchtbaren Tropidonotus eingeklemmt, beinahe erstickt, und eine abscheuliche Säure drang von überall in mich ein. Das brannte und stach, so daß ich das Gefühl hatte, als müßte ich mich ganz auflösen. Ich hätte an die Wände meines Gefängnisses schlagen und stoßen wollen, aber die Säure raubte mir fast das Bewußtsein.

»Doch da öffnete sich ganz plötzlich und unerwartet eine große Spalte im Schlangenmagen und der lichte Tag schien herein. Wie das zuging, weiß ich bis zu diesem Augenblicke nicht und auch nicht, was gleich darauf geschah, denn mir war hundeelend, das kannst du mir glauben. Aber aus dem Schlangenmagen kam ich, ins Wasser wurde ich gesetzt, und da rappelte ich mich bald wieder zusammen. Und jetzt bin ich so quietschvergnügt wie nur je zuvor.«

»Das ist aber wunderlich,« sagte ich. »Es werden sich wohl noch nicht viele aus einem Schlangenmagen gerettet haben.«

»Freilich ist es wunderlich,« sagte der Alte. »Sehr wunderlich. Aber was erleben wir Frösche nicht alles!«

»Ja, nicht wahr?« sagte ich. »Viele und merkwürdige Dinge bekommen wir zu sehen.«

»Gewiß,« bestätigte der Froschherr. »Aber sieh nur den Kerl an. Was macht der jetzt?«

Ich hatte Erinaceus schon ganz vergessen, aber als ich neugierig nach der Richtung auslugte, wo er gelegen hatte, was glaubst, sah ich da? Ja, Erinaceus in den seltsamsten Stellungen. Er warf sich auf den Rücken, er sträubte alle seine Borsten und rollte und drehte sich in einem Haufen gelber Blätter herum, die in der Herbstkälte abgefallen waren. Nach einem Weilchen stand er auf und, o, wie sah er da aus!

Gelbe trockene Blätter waren an all den scharfen Stacheln hängen geblieben. Man mußte glauben, daß ein großer Haufen Laub sich in Bewegung setzte, als nun die Kugel langsam und plump davonkroch. »Warum hat er das getan? Was fängt er denn mit dieser Heuladung an?« fragte ich den alten Herrn.

»Er wird sich wohl ein Winterlager machen?« sagte dieser, »das glaube ich wenigstens. Ich gedenke mich auch bald zur Ruhe zu setzen. Willst du das denn nicht?«

»Nein, noch nicht, noch nicht,« sagte ich. »Nein, noch nicht.«

»Noch nicht,« hatte ich dem alten Herrn gesagt, als er vom Winterschlaf sprach. Aber jetzt fing ich doch an, mich darnach zu sehnen. »Es wird doch recht schwer, sich noch weiter durchzuschlagen,« sagte ich zu mir selbst, während ich mich in langen Sprüngen zu meinem See begab. »Die Kälte ist bitter, und das Futter ist knapp. Ja, jetzt wird es Zeit, sich zur Ruhe zu legen.«

Da hörte ich eine Stimme:

»Bist du das, Froschmutter?«

»Was höre ich?« rief ich hoch erfreut. »Ist das nicht Froschvater?«

»Ja, ja, ich bin es,« antwortete er mit seiner lieben guten Stimme.

»Na, das ist aber prächtig,« sagte ich und war mit einemmale sehr fröhlich. »Wohin springst du?«

»Zu unserem See,« sagte er. »Kommst du mit?«

»Ja freilich.«

Und damit hüpften wir stillvergnügt über den Weg. Als wir nahe dem See waren, sagte Froschvater in fragendem Tone:

»Unsere Unzähligen?«

»Sind schon längst fertig,« beeilte ich mich zu antworten. »Schöne und wohlgestaltete Frösche sind sie geworden. Hirundo meinte, wir könnten Ehre mit ihnen einlegen. Freilich sind sie noch klein, aber warte nur, in vier, fünf Sommern.«

»Ja,« meinte Froschvater und schmunzelte vergnügt. Und dann hüpften wir schweigend weiter.

»Hast du einen guten Sommer gehabt?« fragte Froschvater dann nach einem Weilchen.

»Ja,« erwiderte ich, »einen sehr guten Sommer. Und wie ist es dir ergangen?«

»Vortrefflich, vortrefflich,« sagte Froschvater und hüpfte flink weiter.

»Und jetzt ist der Sommer zu Ende,« sagte ich, um etwas zu sagen. Ich hatte nämlich das Gefühl, daß Froschvater und ich uns ein bißchen fremd geworden waren, nachdem wir uns den ganzen Sommer nicht getroffen hatten.

»Ja,« sagte Froschvater, »der Sommer ist zu Ende. Aber,« fügte er hinzu und machte ein sehr liebes und freundliches Gesicht, »der Sommer war gut, und das Beste ist zuletzt gekommen.«

Ich antwortete nichts, aber ich dachte, daß Froschvater recht hatte. Das Beste kam zuletzt. Denn so wie Froschvater ist doch keiner auf der Welt, nein, keiner.

Und damit hüpften wir, Froschvater und ich, vergnügt zu unserem eigenen See.

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