Heinrich Hansjakob
Meine Madonna
Heinrich Hansjakob

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8.

Nachdem der Toweis das erstemal Ratsherr geworden war, bekam er mit Leichtigkeit von der gnädigsten Herrschaft die Erlaubnis, in seiner Bäckerstube auch Schnaps ausschenken zu dürfen. Von da an hatte er an Sonn- und Montagen Bauersleute genug in seiner Stube, und wenn diese voll war, auch in seiner Werkstätte, in der die Mulde stand.

Die Wibervölker vom Land aßen ihre Milchsuppe, und die Knechte, Taglöhner (Söldner) und Bauern tranken ihren Schnaps, wenn sie am Sonntag in Hasle die Kirche und am Montag den Markt besuchten.

Der Toweis hatte als Zwölfer und Ratsherr noch ein ganz besonderes Privilegium, das seinen Gästen nicht unangenehm war. Das Haus eines jeden Zwölfers war ein Zufluchtsort für alle, die gegen Gesetz und Sitte sich verfehlt, ausgenommen Diebe, Mörder, Straßenräuber, Verräter, Ketzer, Kirchenbrecher und Meineidige.

Wer aber sonst was pecciert hatte und in das Haus eines Zwölfers floh, den durfte man, so lange er darin war, nicht greifen.

Die Ortspolizei, d. i. der Schultheiß, konnte zwar den Verbrecher im Hause belagern oder, wie der Ausdruck lautete, abhüten lassen, wozu die andern Burger ihm helfen mußten; aber gar oft gelang es dem Delinquenten doch, unbeschrieen aus dem Hause und aus der Stadt zu entkommen.

Dies Ehrenrecht der Zwölfer hatte noch 1496 der Oberlehensherr der Herrschaft Hasle, der Bischof Albrecht von Straßburg, Pfalzgraf bei Rhein und Herzog zu Bayern, den Burgern aufs neue bestätigt. Drum waren die Buren in des Toweisen Haus auch gesprächiger, als in einer Wirtsstube, die kein Asylrecht besaß. Und da zudem der Toweis nicht aus der Art seiner Ahnen schlug und auch kein Blatt vor den Mund nahm, wurde in seiner Stube von der Leber weg geredet.

Die Dorfvögte holten sich bei der Gelegenheit auch Rat beim Toweis, und die Buren und Taglöhner und Knechte besprachen ihre Lage und ihre Sorgen.

Was die Buren und Burger jener Tage am meisten drückte, waren die immer wiederkehrenden Viehseuchen, die den Bestand des Rindviehs in der Herrschaft oft dezimierten.

Die alten Buren erzählten noch von der Seuche des Jahres 1715, infolge deren selbst die Tiere des Waldes wütend wurden. Im März dieses Jahres kamen »wütige« Füchse, Luchse, Wölfe und wilde Katzen in Dörfer und Städtchen und packten die Leute an. Selbst durch die Fenster einsamer Höfe drangen sie ein.

Man schrieb diese allgemeine Wut dem Umstände zu, daß die Tiere das verendete Rindvieh ausgescharrt und verzehrt hatten.

Bald war es die Milz-, bald die Lungensucht, bald die Blatternkrankheit, welche das Rindvieh wegraffte.

Wunderdoktoren wurden gerufen, Prozessionen gehalten und Gelübde gemacht und die Viehmärkte in Hasle verboten.

Die Haslacher holten einmal den Weber und Volksarzt Hilberer von Huse und legten ihn wochenlang um schweres Geld ins Städtle, ohne daß er der Seuche Herr wurde. Ein andermal sollte der Sohn des Scharfrichters von Griesheim bei Offenburg helfen.

Ein drittesmal schickte der Fürst seinen eigenen Leibarzt nach Hasle. Dieser empfahl, den Stadtphysikus Beck vom nahen Gengenbach kommen zu lassen, unb verwarf alle Naturdökter, weil sie nichts von Physiologie verstünden. Die Regierung sandte auch Rezepte an alle Schultheißen und Vögte. Der alte Vogt Jörg Gißler von Hofstetten las einmal den beim Toweis versammelten Buren eines derselben vor. Der Obervogt hatte es ihm eben eingehändigt.

Dasselbe ist interessant genug, um hier einen Platz zu finden. Es ist gegen die Milzkrankheit gerichtet und lautet:

»Es wird ein Mäßle Hammerschlag mit frischem Wasser angerührt und zwölf Stunden stehen gelassen. Dann werden Knoblauch und Wacholderbeeren verstoßen und mit obigem Wasser angemacht und dem Ganzen ein Vierling Schießpulver beigegeben.

Von diesem Trank wird jedem kranken Tier des Tags dreimal eingeschüttet, nachdem ihm zuvor noch ein Löffel voll Steinöl, drei Löffel Leinöl, ein Löffel Honig und ein nußgroßes Stück Speck beigebracht worden ist.«

Die Buren sperrten Mund und Nase auf, als sie dies vielversprechende Regierungsrezept gehört.

Der Toweis aber bemerkte dazu: »Wenn unsere Kühe und Ochsen diese Kur aushalten, so überstehen sie auch die Milzsucht.«

»Wenn's aber von der gnädigsten Herrschaft kommt, wird man's doch probieren sollen,« meinte der Vogt von Hofstetten.

Bei diesen Worten öffnete sich die Stubentüre, und herein trat der Herr Pfaffius, um den Toweis zu rasieren.

»Da kommt der rechte Mann,« rief der Bäcker, »der kann euch Buren das gnädigste Rezept erklären.«

Der Pfaffius las dasselbe und verkündete alsdann: »Dieses Rezept ist probatum. Mein Kollege, der Herr Arbogast von Gebele, und ich haben schon mehr als eines der gefallenen Tiere seziert, und der chirurgisch-anatomische Befund war, daß der böse Geist der Krankheit in der Milz stecke. Von da muß er vertrieben werden durch Knoblauch, Wacholder und Schießpulver. Ich bin bereit, jedem von euch das ganze Kurmittel herzustellen, auch das Stein- und Leinöl zu liefern für einen Gulden und vierundzwanzig Kreuzer.«

Jetzt bestellten die Buren beim Pfaffius, denn jeder sah ein, daß der das Rezept besser machen könnte als sie, und eine Apotheke gab es damals noch keine in Hasle.

Der alte Ratschreiber Schönbein war der erste Apotheker gewesen; aber da jeder Chirurg und Rasierer eine Hausapotheke hatte und die durchziehenden Soldaten ihm seine Medizinalwaren gestohlen hatten, so ward er bankerott und wurde Ratschreiber.

Heilmittel und Heilkunst, auch die Geburtshilfe, lagen in den Händen der Balwierer, die eine geschlossene Zunft bildeten und gegen jeden, der in dieselbe eindringen wollte oder irgendwie Konkurrenz machte, direkt beim Fürsten Sturm liefen.

Die Kreuzwirtin hatte ein vortreffliches Pflaster gegen Rheumatismus von einem Fremden erhalten und, weil es ihr von langertragenen Leiden geholfen, das Gelübde gemacht, jedem, der das gleiche Leiden habe, unentgeltlich zu helfen. Die Rasierer Gebele, Pfaffius und Battier wenden sich dagegen an den Fürsten: die Frau wird gestraft und ihr verboten, sich fernerhin mit Heilkunst zu befassen, weil diese nur den »chirurgisch geprüften Subjekten« gestattet sei. –

In der Stube des Toweis klagten die Buren auch über die Lasten, welche die Herrschaft ihnen neben Steuern und andern Abgaben auferlegte, besonders über die Fronen, welche sie in und außerhalb ihres Dorfes verrichten mußten. Ja selbst nach Donaueschingen hinauf hatten sie Frondienste zu leisten, wenn der Fürst ein öffentliches Gebäude oder auch nur einen Reitstall anlegen lassen wollte.

Sie mußten ferner Aecker und Wiesen, welche die Herrschaft selbst im Betrieb hatte, pflügen, säen, mähen und ernten. Auch Jagdfronen gab es. Wenn der Fürst zur Jagd erschien in den Wäldern der Herrschaft, hatten die Dörfer fronweise die Treiber zu stellen und die Buren auf ihren Karren das Wild abzuführen.

Doch wurden für einen Handfroner zwei Kreuzer und für einen Karren, der einen Hirsch transportierte, vier Kreuzer vergütet.

Ja noch mehr, die Burger und Buren mußten auch das erlegte Wild kaufen um bestimmten Preis. Sie machten aber dabei die praktische Bedingung, daß Hirsche und Rehe mit den Geweihen und mit den Rückenstücken verabfolgt würden.

In Hasle gab es, besonders unter dem jagdfreundlichen Fürsten Wenzel (1762 - 83), oft Hirsch- und Rehfleisch im Ueberfluß zu essen um billigen Preis.

Was aber den Untertanen oft noch widerwärtiger war als die Fronen, das waren die fürstlich privilegierten Salpeter-Sucher und -Sieder.

Diese hatten das Recht, in Stadt und Land den Boden der Viehställe aufzureißen und nach Salpeter zu graben. Irgend ein Kaufmann hatte die Salpetergewinnung von der Herrschaft um billiges Geld gepachtet und sandte dann seine Sucher in jedes Haus und in jede Hütte in der Stadt und auf dem Land.

Vergeblich schimpften die Buren, und umsonst krakeelten die Haslacher gegen diesen Eingriff in ihren Hausfrieden und in ihre alten Gerechtsame. Die gnädigste Herrschaft sah den Salpeter und die Lumpen und die Asche als ihr Monopol und ihr Regal an. An niemand durften Lumpen und Asche verkauft werden außer an die fürstlich privilegierten Sammler.

Die Papierer von Zell und Waldkirch bekamen abwechselnd das Recht des Lumpensammelns in der »Herrschaft Haslach« gegen eine jährliche Gebühr von 30 bis 40 Gulden, mußten aber dazu noch das Kanzleipapier um billigen Preis an die Obervogtei liefern. – Noch klagten die Buren über die Haslacher Stadtherren, weil sie so streng mit Strafen vorgingen, wenn die Hirten der an das Stadtgebiet angrenzenden Buren und Taglöhner im Stadtbann weideten, was sehr oft vorkam.

Wie zart aber die Empfindungsweise der Ratsherren von Hasle war bei diesen Strafen, die an jedem Gerichtstag vielfach ausgesprochen wurden, zeigt die Tatsache, daß der Stadtschreiber die Worte Schweine, Kühe, Ochsen nie schrieb, ohne ein s.v. (salva venia, d.i. mit Erlaubnis) vor diese Namen zu sehen.

Diese Zartheit muß auch bei den Buren jener Tage sich eingebürgert haben, denn noch zu meiner Knabenzeit hörte ich alte Landleute im Gespräch das Wort gebrauchen – »mit Salvenie«. –

Das waren so die Klagen und Beschwerden der Buren im 18. Jahrhundert zu Hasle, wenn sie bei Schnaps und Brezeln beim Toweis saßen.

Und ich muß auch diesen Klagen gegenüber sagen: »Gute, alte Zeit!« Man frage unsere heutigen Bauern, ob sie nicht größere Klagen haben und ob nicht Militarismus, Industrie und Steuerschraube schwerer auf ihnen lasten, als auf den Buren des 18. Jahrhunderts der Zehnten, die Fronen, die Salpetersieder und die Lumpensammler!

Aber – so sagt man – jene Buren waren vielfach leibeigene Leute, während unser Bauer ein freier Mann ist! Ich antworte: Wer den echten Bauer kennt, weiß, daß er auf diese persönliche Freiheit pfeift, wenn ihn neben ihr der Schuh viel härter drückt als seine leibeigenen Ahnen.

Freiheit und Wahrheit im höhern, idealen Sinn sind keine Genien, für die der gemeine Mann schwärmt; er versteht sie nicht in ihrem höheren Fluge und braucht sie auch nicht. Er weiß mit ihnen so wenig anzufangen, als mit einer Einladung, auf dem hohen Seil eines Akrobaten spazieren zu gehen. Wo der Bauer schöne Aecker und Matten hat, wo er seine Frucht und sein Vieh um gut Geld verkaufen kann, wo er nicht zu viel bares Geld auslegen muß für öffentliche Zwecke und wo seine Buben nicht zu lange Soldat sein müssen, da ist das Land seiner Freiheit.

Und für all die Ehrenämter eines Schöffen und eines Geschworenen, die der Bauer im modernen Staat ausüben darf und die als freiheitliche Errungenschaften gelten, gibt ein rechter Bauer keinen Pfifferling. Im Gegenteil, je weniger er mit den »Herren« (Beamten) zu tun hat, um so lieber ist es ihm.

Eines hat der heutige Bürger und Bauer vor jenen vergangenen Tagen voraus: er hat mehr persönliches Recht und ist nicht der Willkür eines Fürsten oder seiner Beamten überantwortet.

Dieses Recht und diese persönliche Freiheit verdanken wir aber lediglich der französischen Revolution.

Doch die Bauern des 18. Jahrhunderts waren trotzdem keine Hasenfüße und keine Byzantiner. Hier nur ein Beispiel aus den Tagen des Toweis. Wenn die Beamten des Fürsten ein auswärtiges Geschäft, eine Teilung oder einen Kauf in einem Dorf urkundlich festzustellen hatten, so bestimmten sie dazu ein Wirtshaus, in welches die Bauern vorgeladen wurden. Die Herren wählten dazu, wie heute noch, das beste im Dorf.

Das ließen sich aber die Mühlenbacher Bauern, die Nachbarn der Haslacher, nicht gefallen. Sie meinten, sie zahlten die Zeche und die Diäten der Herren, und sie hätten darum das Recht, das Wirtshaus zu bestimmen. So trugen sie es dem Fürsten vor, und sie bekamen Recht.

Heute hätten in einem ähnlichen Falle die Bauern und selbst die Bürger der Städte nicht mehr so vielen Mut. –

Die Fronen jener Tage hatten auch ihre Annehmlichkeiten. Bei den Jagdfronen bekamen die Bauern und Taglöhner um billiges Geld Wildhäute und Reh- und Hirschfleisch, das sie in den Dorfschenken gemeinsam verzehrten, wobei ihnen die Wirte die Geweihe gut bezahlten. Noch in meiner Knabenzeit hingen in jedem Dorfwirtshause mächtige Hirschgeweihe. Und die hirschledernen Hosen, die Fuchspelzkappen, die »Schlupfer« der Bäuerinnen, die man in meiner Jugendzeit noch allgemein sah, stammten aus den Tagen der Jagdfronen.

Heute bringt es keine Bäuerin mehr zu einem Pelzschlupfer, und statt der hirschledernen Hosen, die drei Generationen dienten, tragen die Bauern jetzt solche von billigem Lumpenzeug, das kein Jahr aushält.

Auf dem Landtag des Jahres 1777 ließ der Fürst Wenzel, sonst ein Haupt-Nimrod, den versammelten Vögten der Herrschaft Hasle eröffnen, daß er allen Gemeinden gegen eine jährliche, von diesen zu bestimmende Summe die hohe und die niedere Jagd freigebe. Die Hochjagd sollte von Schützen nach Weidmanns Art ausgeübt, die niedere Jagd aber im Felde jedem Burger und Bauer erlaubt sein. Auch die fürstliche Wildbretmetzig in ihrem Städtle überließ der Landesherr den Haslachern, die jetzt lebten wie die Vögel im Hanfsamen; denn das Pfund Reh- und Hirschfleisch kostete nur zwei bis drei Kreuzer.

Das war ein Streich von einem absoluten Fürsten, wie er in unseren freiheitlichen Tagen undenkbar wäre! –

Aber auch sonst waren die Bauern jener Tage andere »Kerle«, als die vom modernen Staat besteuerten und von der Kultur angehauchten Landwirte unserer Zeit.

Ich hab's schwarz auf weiß gelesen, daß noch nach den französischen Durchzügen der neunziger Jahre der Ketterer-Bur im Runzengraben 200, der Schloßbur auf der Heidburg 100 und der Witte-Jörg in Hofstetten 80 Ohm Wein im Keller liegen hatte.

Heute haben alle Buren der ehemaligen fürstenbergischen Herrschaft Hasle zusammen nicht so viel Wein im Haus, wie jene drei – Leibeigenen. –

Schwerer und noch viel berechtigter waren in den Tagen des Toweis die Klagen der Armen, der Knechte und der Mägde. Ihnen war vor allem das Heiraten fast unmöglich gemacht. Wer nicht »eigen Feuer und eigenen Rauch« besaß, durfte nicht heiraten. Dispens – und diesen nicht immer – gab es nur, wenn ein Bauer oder Burger versprach, dem jungen Paar die nächsten zehn Jahre Herberge zu stellen.

Heiratete aber eine arme Magd oder ein Knecht in ein anderes Dorf oder ins Städtle Hasle, so mußten sie den fünften Teil ihres meist nur 50 bis 100 Gulden betragenden Vermögens der gnädigsten Herrschaft als Abzugssteuer entrichten.

Verfehlte sich ein armes Liebespaar gegen die Sitte, so wurden beide an den Schandpfahl gestellt, bekamen aber gleichwohl keine Heiratserlaubnis. Ließen sie sich dennoch außerhalb der Herrschaft trauen, so wurden sie des Landes verwiesen, und gar kläglich bitten sie dann aus der Fremde, wieder heim zu dürfen; sie wollten ja arbeiten und niemanden zur Last fallen.

Es ist rührend zu lesen, wie diese armen Leute oft ihr Heimweh schildern und um die Erlaubnis zur Heimkehr flehen – ohne erhört zu werden.

In den sechziger, siebziger und achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts schien den Knechten und Mägden ein Hoffnungsstern zu leuchten. Ein österreichischer Agent in Freiburg warb Auswanderer auf kaiserliche Domänengüter in Ungarn, im Bazer Komitat. Es wurde ihnen schenkweise Feld angeboten und Geld zum Bauen eines Hauses vorgestreckt.

Aus allen Teilen des Fürstentums meldeten sich viele arme und heiratslustige Leute, nachdem die österreichische Regierung die Versprechungen amtlich beglaubigt hatte. Handwerker, die nicht in die Zunft als Meister zugelassen wurden, weil das Handwerk übersetzt war, Knechte und Mägde oder, wie es damals hieß, Dirnen und Kerle – brotlose Meister und vergantete Buren mit ihren Familien zogen damals nach Ungarn.

Von ihrer geringen Habe aber mußten alle der Herrschaft zehn Prozent für den »Abzug« hinterlassen.

Bis Ulm ihre Habe auf Karren ziehend, fuhren sie von da auf der Donau dem gelobten Lande zu. Die wenigsten ließen mehr etwas von sich hören. Meine eigene Großmutter zählte einen Bruder unter diesen Verschollenen.

Bald aber grollten die Bauern. Die Vögte Schwendemann von Steinach und Lorenz Burkert von Hofstetten verkündeten beim Toweis eines Sonntag Morgens: »Das Auswandern müßte aufhören, die Bauern hätten sonst bald keine Knechte und keine Mägde mehr!«

Das Wort des Vogts von Steinach galt was beim Fürsten, denn der Schwendemann war ein Held. Bei der letzten Überschwemmung durch die Kinzig war die Familie des Jakob Herr samt dem Haus fortgeschwemmt worden und hatte sich mitten in den Wassern auf einen Nußbaum gerettet. Der Pfarrer gab ihnen von weitem die Absolution, aber rat- und hilflos stand alles vor dem tosenden Wasser.

Da bestieg der Vogt einen Kahn, wagte sich in die Fluten und rettete in mehrmaliger lebensgefährlicher Fahrt die ganze Familie. Da es keine fürstenbergischen Orden gab, so erhielt der Tapfere vom Fürsten als »Douceur« zwei Karolin. –

Die Vögte protestierten also gegen die Auswanderung der Bauernkerle und ihrer Dirnen, und die gnädigste Herrschaft verbot sie.

Es war am Weihnachtsmarkt des Jahres 1770. Beim Toweis saßen einige Knechte und spielten, wie üblich an diesem Tag, um »Neujahrs-Brezeln«.

»Das nächste Jahr spielen wir in Ungarn,« meinte der Knecht des Vogts von Hofstetten. »Wir kommen doch fort, wenn's die Buren und unsere Herren in Donaueschingen auch nicht erlauben.«

Am gleichen Abend versammelten sich zwölf Bauernsöhne und Knechte auf der Matte bei der Linde zu Hofstetten und beschlossen, eine Deputation an die österreichische Regierung zu senden, um ihre Unterstützung beim Fürsten zu erbitten, auswandern zu dürfen, weil sie arm seien und in der Heimat weder zu einem Haus, noch zu einem Weib kommen könnten. Der Beschluß wurde ausgeführt, kam den armen Kerlen aber teuer zu stehen. Weil sie es gewagt hatten, eine andere Regierung anzurufen, wurden zur Strafe die Tauglichen in das fürstenbergische Militär gesteckt, die andern in das Zuchthaus zu Hüfingen eingesperrt.

So war's damals mit der Freizügigkeit und mit der Humanität bestellt, heute haben wir beide im Uebermaß und dazu die wildeste Heiratsfreiheit und die Landflucht und die Roheit und das Proletariat nehmen mehr und mehr überhand. Ich weiß also trotzdem an der neuen Zeit selbst in der Richtung nicht viel zu loben. –

Aber auch andere Gäste als die Buren und ihre Knechte hatte der Toweis am Sonntagmorgen in seiner Stube; das waren die Bergknappen, die Dorfschulmeister und in der Woche gar oft die Juden jener Tage. Auch von ihnen weiß die Backmulde mir zu erzählen.


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