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Jeder bessere Bürger in Hasle hatte in den Tagen des Toweis ein eigenes Stück Reben, sei es am Herrenberg oder am Helgenberg oder auf dem Schänzle oder am Spitzenberg. Wer nun seinen Wein nicht gern allein trank, der durfte ihn gegen Erlegung des Maßpfennigs »vergässeln«, d. h. über die Gasse verkaufen oder in seiner Stube ausschenken.
Drum, wenn's einen guten Herbst gegeben, war, wie der Obervogt richtig meinte, Hasle nur ein Wirtshaus. Zudem waren Trinken und Spielen Lieblingsbeschäftigungen der Bürger und Bauern des 18. Jahrhunderts. –
Auch der Toweis hatte Reben am Herrenberg, wo der beste Wein an der mittlern Kinzig wächst, und wenn er seinen Neuen ausschenkte, war außer der Wohnstube noch die Backstube oft voll von Burgern.
Da kamen dann selbst seine Nachbarn, die Wirte zum Rappen, zum Kreuz und zur Sonne.
Der erste unter ihnen war der Rappenwirt, in jenen Tagen ein Michel Kleyle. Noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war die »Ladstatt zum schwarzen Rappen« die einzige Herberge in Hasle. Und als nach und nach andere erstanden, behielt der Rappenwirt das Monopol, daß alle Karren und Wagen und Kutschen bei ihm einstellen mußten. Jeder andere Wirt, der solche aufnahm, so lange der zum Rappen nicht alles besetzt hatte, wurde gestraft, und für jeden Wagen, den der Rappenwirt einem andern überließ, hatte dieser jenem vier Kreuzer, für einen Karren zwei Kreuzer zu zahlen.
Ob der »Leutnant von Hasle«, welcher zur Zeit des dreißigjährigen Krieges Rappenwirt gewesen, dies Monopol durch seine Tapferkeit sich errungen, davon wußten die Haslacher, so beim Toweis saßen, nichts mehr zu erzählen. Aber noch zu ihrer Zeit mußten beim Rappenwirt alle Weinwagen halten; die andern Wagen hatte er durch einen Vertrag mit seinen Wirtskollegen freigegeben.
Die schwäbischen Weinfuhrleute, die von Freiburg und Offenburg her jahraus jahrein im Städtle Halt machten, waren ihm wohl lieber als die Straßburger, die in Kutschen ins Bad Rippoldsau fuhren, oder als die Bauern, die vom obern Tal mit ihren zweiräderigen Karren einzogen.
Die Kleyle waren die direkten Nachfolger des Leutnants und saßen schon über hundert Jahre auf der Ladstatt, als der Michel Kleyle beim Toweis seine Schoppen trank.
Dies tat in der Herbstzeit auch der frühere Stadtschultheiß, Posthalter und Postexpeditor Stelker. Er war in jeder Gesellschaft gerne gesehen, weil er alle Neuigkeiten zuerst erfuhr. Er hatte in seiner Wirtsstube zum »roten Adler« das Recht, den Fremden, die mit dem Postwagen ankamen, Speise und Trank zu reichen, und sie brachten ihm die ersten Neuigkeiten.
Oefters wußte er auch zu erzählen von räuberischen Ueberfällen, die der Postwagen oder die Ordinaripost erlitten. Dann mußten einige Zeit die zwei Kontingentsreiter, so vom schwäbischen Kreisregiment im Städtle lagen, die Postwagen und die Postreiter begleiten.
Einmal in der Woche zog der Postwagen landabwärts und ebenso oft landaufwärts; die Ordinär- oder Felleisenpost aber beförderte zweimal wöchentlich ein reitender Knecht.
Fast ein Vierteljahrhundert lang hatte der Posthalter Stelker die Postwagen um jährliche 520 Gulden und den reitenden Knecht um 173 Gulden nach Offenburg geschickt und Pferde und Leute auf dem sechsstündigen schlechten Weg ohne Umspannen geschunden zu Ehren und zum Gewinn des Reichspostinhabers, des Fürsten von Thurn und Taxis.
Er wußte viel zu erzählen, der alte Stelker, aus diesem langen, beschwerlichen Postdienst, der ihn nicht zum reichen Manne gemacht hatte.
Da saßen sie dann beim Toweis um ihn herum, die Bürger von Althasle, alle in kurzen Hosen mit Schnallenschuhen, ein gestricktes Wams an und die Zipfelkappe auf dem Haupt. Die Bäcker, Wirte, Metzger, Schneider, Schreiner und Sattler trugen weiße, die Meister mit rußigem und dunkelm Gewerbe, die Schmiede, Schlosser und Schuster, schwarze Zipfelkappen.
Auch die Chirurgen, der Arbogast von Gebele, der Battier und der Pfaffius, erschienen in der weißen Zipfelmütze.
Der greise Posthalter konnte noch von den Grafen und Landesherren des vergangenen Jahrhunderts erzählen, vom Grafen Maximilian Franz, der das Städtle Hasle besonders liebte und sogar vorhatte, ein neues Schloß allda zu bauen. Er war der Stifter der Loretto-Kapelle bei dem Kapuzinerkloster. Auf einer Reise mit seinem Hofmeister war er in Rom 1653 lebensgefährlich erkrankt und hatte die Kapelle gelobt. Er setzte sie neben das von seinem Vater Friedrich zu Hasle gestiftete Kloster.
Dieser Graf Maximilian war ein großer Liebhaber des Trompetenblasens und soll den Untertanen von Hasle vom Schloß aus oft eins geblasen haben.
Er endigte tragisch. Als Ludwig XIV. am 24. Oktober 1681 in das ihm von einem Fürstenberger der Heiligenberger Linie, dem Bischof Franz Egon, in die Hände gespielte Straßburg einzog, befand sich auch der Graf Maximilian in der Stadt. Im Begriffe, zum Empfang des neuen Herrschers seine Wohnung zu verlassen, verwickelte er sich in seine Sporen, fiel die Treppe hinunter und brach das Genick.
Seine Leiche brachten sie nach Hasle, wo die Burger den guten Herrn und Trompetenbläser in Trauer der Gruft in der Kapuzinerkirche übergaben.
Als sie 23 Jahre später seinen Sohn und Nachfolger, Prosper Ferdinand, ebenfalls als toten Mann nach Hasle brachten, sah der Posthalter als Knabe dem Leichenzug zu.
Prosper Ferdinand hatte keine Zeit zum Trompetenblasen; er spielte lieber mit und um Geld, als auf der Trompete. Auch liebte er das Städtle Wolfe mehr als Hasle. Seiner Frau, einer Gräfin von Königsegg, verschrieb er den Witwensitz im Schloß zu Wolfe.
Er diente unter den berühmten Heerführern Eugen von Savoyen und Ludwig von Baden und lebte in kriegsfreien Zeiten am liebsten in Wien.
Bei der zweiten Belagerung von Landau traf den schon verwundeten tapfern Mann am 21. November 1704 ein Vierundzwanzigpfünder und zerschmetterte ihm den Kopf. Sie begruben ihn, erst 42 Jahre alt, neben seinem Vater und Großvater, dem Stifter des Klosters, ebenfalls bei den Kapuzinern zu Hasle.
Schon fünfzehn Jahre vorher hatte sein älterer Bruder, Leopold Marquard, der als Adjutant des Herzogs Karl von Lothringen vor Mainz sein junges Leben im Kampfe gegen die Franzosen gelassen, seine Ruhestätte in Hasle gefunden.
Von ihm ging noch lange die Sage, er habe sich nach seinem Tode öfters bei den Soldaten erzeigt. –
Die dem Landgrafen Prosper folgenden Landesherren fielen für das ganze 18. Jahrhundert in die Tage des Toweis, und er hat alle persönlich gekannt. Wenn sie auch nur selten einen oder den andern Tag in Kaste residierten, so kamen sie doch der Jagd halber öfters dahin. Von allen aber wurde viel geredet vor den Ohren der Backmulde.
Es war keine kleine Freude für die fürstenbergischen Untertanen, als der Kaiser 1716 den kaum siebzehnjährigen Sohn und Nachfolger Prosper Ferdinands, Josef Wilhelm Ernst, zum Reichsfürsten erhob. Mit Kirchgang und Tedeum feierten auch in Hasle der Rat und die Zünfte die Standeserhöhung ihres gnädigsten Herrn.
Und als bald darauf der junge Fürst von seinen Studien in Straßburg und Utrecht über Hasle in die Heimat zurückkehrte, jubelte ihm alles zu.
Der alte Posthalter wußte viel davon zu erzählen. Auch das trug er den staunenden Gevattern vom Handwerk vor, daß diesem gnädigsten Landesherrn der Franzosenkönig Ludwig XV. die erste Braut, so der junge Fürstenberger sich erkoren hatte, die Tochter des Polenkönigs Stanislaus Leszinsky, weggeschnappt habe.
Er machte aber doch noch eine Partie, die den Untertanen imponierte. Er bekam eine böhmische Gräfin aus dem Geschlechte des Generals Wallenstein, der vom dreißigjährigen Kriege her noch überall im Volksmund lebte.
Als das junge Paar am 31. Oktober 1723 in seine neue Residenz Donaueschingen,Die Residenz seiner unmittelbaren Ahnen war Stühlingen gewesen. die der Bräutigam nach dem Aussterben der Heiligenberger Linie kürzlich geerbt hatte, einzog, marschierten am Abend auch die Bergknappen aus dem Kinzigtal mit ihren Grubenlichtern huldigend am Schlosse vorüber.
Josef Wilhelm förderte in seinem eigenen Interesse den Bergbau im Kinzigtal und ließ nicht bloß auf Silber, sondern auch auf Kobalt bauen.
Er errichtete auch die herrschaftliche Brauerei in Donaueschingen, die seine Untertanen im Kinzigtal mit gutem Bier versorgte, bis 1770 der Küfer Neumayer den ersten Bierkessel in Hasle aufschlug. Vorher wurde das Bier aus Lahr und Straßburg importiert; ein Beweis, daß die alte Zeit selbst in diesem Artikel nicht hinter der neuesten zurückstand.
Fürst Josef Wilhelm lehrte seine Untertanen auch Nützliches. Einmal führte er das Torfstechen ein, und dann ließ er in allen größeren Orten seiner Herrschaft Spinnschulen einrichten, zu deren Besuch besonders die Armen angehalten wurden.
Ueberhaupt war er seinen Untertanen ein guter Fürst, obwohl er, durch Reichsdienst und Hofämter abgehalten, selten in seinen Stammlanden lebte.
Er hatte es von seinen Heiligenberger Vettern, den Bischöfen von Straßburg, wohl geerbt, den Mantel nach dem Wind zu hängen, weil jene dabei nicht schlecht gefahren waren. So fiel auch er vom Hause Habsburg ab, nachdem der Kurfürst von Bayern als Karl VII. Kaiser geworden, und wurde sein Oberhofmeister. Nach dessen Tode wurde er wieder gut österreichisch.
Es ist seinen heutigen Nachkommen auch das Los zugefallen, ihr Herz teilen zu müssen zwischen Preußen und Oesterreich, zwischen Hohenzollern und Habsburg.
Von einer Auerhahnenbalz aus Böhmen nach Wien zurückgekehrt, starb Josef Wilhelm am 23. April 1762, und sein Sohn und Nachfolger Josef Wenzel erhielt die Todesnachricht ebenfalls auf einer Auerhahnenbalz zu Friedenweiler im Schwarzwald.
Ein Jahr vor seinem Tode hatte Fürst Josef in zweiter Ehe eine bayerische Hofdame, von der Wahl, geheiratet und die Herrschaft Hasle ihm als Hochzeitsgeschenk tausend Gulden schenken müssen. Die Bürger schimpften im stillen darüber in des Toweisen Backstube. Damals mußten die Untertanen Hochzeitsgeschenke machen, heutzutag tun sie es freiwillig, was in meinen Augen die heutigen weniger ehrt als die alten. –
Ich habe in meiner Knabenzeit die alten Leute von keinem der vergangenen Fürsten von Fürstenberg mehr reden hören, als vom Fürsten Wenzel. Wie mögen erst die Bürger beim Toweis von diesem Musterbild eines Herrschers en miniature aus der Zeit Ludwigs XV. und XVI. gesprochen haben!
Leben und leben lassen, war sein Wahlspruch. Er lebte wie ein kleiner Franzosenkönig herrlich und in Freuden, war dabei absolut und tyrannisch nur, wenn seine Einnahmen und seine Souveränität in Frage kamen. Ein leidenschaftlicher Freund der Jagd, ließ er, wie wir gesehen, auch seine Untertanen daran teilnehmen.
Dagegen bewahrte er sie klugerweise vor den Segnungen des Fabrikwesens, das durch Schweizer Kaufleute schon unter seinem Vater in die fürstenbergischen Lande seinen Einzug gehalten hatte. Fürst Wenzel wies alle neuen, fremden Unternehmer zurück und beschränkte selbst die Inländer in der Gründung von Fabriken, weil diese »für den wahren Wohlstand und für die Sittlichkeit des Volkes nachteilig seien.«
Dafür förderte er aber auf dem Schwarzwald und in der Baar die Hausindustrie, welche Uhren, Spielwerke und Strohflechtereien fabrizierte und herstellte, und schloß zugunsten jener, die diese Waren ins Ausland trugen, einen Vertrag mit Frankreich ab.
Auch die erste Feuerversicherung und die Gründung des Landesspitals in Geisingen verdankten ihm seine Untertanen.
Wir wollen aber gerecht sein und nicht vergessen, daß in der Regel das meiste Gute und ein gut Teil des Bösen, so von regierenden Fürsten kommt, von ihren Ratgebern ausgeht.
Die Segnungen unter dem Fürsten Wenzel sind deshalb ziemlich sicher der Einsicht seiner damaligen Hof- und Kammerräte zu verdanken.
Dieser Fürst war sonst ein leutseliger Herr und hatte, wie ein Zeitgenosse von ihm schrieb, »überhaupt gegen männiglich ein so gutes und empfindsames Herz, daß er keinen Menschen leiden sehen, keinem etwas abschlagen konnte.«
Daß er »gegen dem schönen Geschlecht sehr empfindsam war,« nahmen ihm seine Untertanen nicht übel. Und als einmal der Kapuziner-Pater Didacus vom Pfarrer Wüst zu Hasle denunziert worden war, er habe in der Pfarrkirche auf diesen Punkt angespielt, und der Fürst eine strenge Untersuchung anordnete, verneinten es alle Zuhörer und Zeugen und meinten: »Eher hätte sie der Schlag getroffen, als daß sie so was hätten anhören können.«
Des Fürsten Kammerpräsident und Pläsiermeister war ein Herr von Lassolaye, dessen Frau ebenso in Gunst stand wie ihr Mann. Ueber diesen wurden viele anonyme Briefe geschrieben, in denen »die schwärzesten und abscheulichsten Verleumdungen ausgesprochen waren, um seinen Kredit beim gnädigsten Landesherrn anzutasten.«
Was tut der Fürst? Er setzt einen Preis von 200 Dukaten aus für den, der die Pasquillanten kennen und nennen würde, und befiehlt, in all seinen Landen die Burger zu versammeln und ihnen zu sagen, »die Verleumdungen hätten keinen Grund, und sie sollten sich vor solchen Bösewichtern hüten.«
In Hasle wurde am 19. September 1782 die ganze Bürgerschaft vorgerufen und ihr eröffnet, »vor den Häusern keinen Hanf zu knitschen, ohne Befehl des Stadtrats keine Feuerspritze aus dem Spritzenhaus zu holen und ja die durch sträfliche Verleumdungen gekränkte Ehre des hochfürstlichen Geheimen Rats von Lassolaye nicht weiter anzutasten.«
Die Backstubenmänner sprachen noch lange von dieser Burgerversammlung. –
Fürst Wenzel war kaum 57 Jahre alt, da er 1783 in Donaueschingen diese Zeitlichkeit verlassen mußte. Sie begruben ihn aber nicht in Hasle, sondern in der Gruft zu Neidingen.
Sprachen die alten Haslacher oft von der Prachtliebe, von der Jagdleidenschaft, von der Leutseligkeit des Fürsten Wenzel, so lobten sie die übergroße Freigebigkeit seines Sohnes, des neuen Fürsten Josef Maria Benedikt, der 1783 sein Regiment antrat.
Wo immer er sich sehen ließ, teilte er mit vollen Händen Geschenke, mit Vorliebe Uhren, aus. Dies ging so weit, daß seine »Minister« und Hofräte jedem Untertanen bei Strafe verboten, vom Fürsten ein Geschenk anzunehmen. So was ist sicher noch nie dagewesen!
Der Toweis war diesem Fürsten holder als dessen Vater, unter dem er nicht nur für seine Gesandtschaft nach Zabern eingesperrt, sondern von dem er auch all seiner Aemter entsetzt worden war. Bei Maria Benedikt wurde des Toweisen Sohn Josef sogar Hofkaplan.
Von seinem Vater, der ein Meister auf dem Violoncell war, hatte der jetzige Fürst die Freude an der Musik geerbt, und er wurde der Gründer der einst berühmten Donaueschinger »Hofkapelle«. Dagegen war er sehr unempfindsam gegen das schöne Geschlecht. Seine erste Braut, eine Prinzessin von Thurn und Taxis, hatte ihm deshalb nach längerem Brautstande wieder abgesagt. Da sein Vater aber darauf drang, daß er heirate, so nahm er 1778 eine »wüste«, eine Prinzefsin Antonie von Hohenzollern-Hechingen. »Sie war klein von Person, übelgewachsen und, man darf keck sagen, bucklig oder einhüftig, und ihr Angesicht war kupferartig« – sagt einer, der sie gesehen.
Als der junge Fürst das erstemal in seine getreue Stadt Hasle einzog, staunte alles über die unschöne Fürstin, die aber ebenso menschenfreundlich und wohltätig war wie ihr Gemahl. Sie war dabei, wie die meisten häßlichen Damen, sehr gescheit, etwas blaustrümpfig und amazonenhaft.
Sie sang gerne, gab auf dem Theater die schwersten Gastrollen, ritt und ging auf die Jagd, der sie öfters auch in der wald- und wildreichen Herrschaft Kinzigtal oblag.
Wie die Untertanen ihren Namenstag feierten, das besagt der Sang eines damaligen Donaueschinger Gymnasiasten namens Bertsche, in dem es heißt:
Durchglüht mit heiligem Entzücken,
Jauchzt jede Brust bei treuem Untertan.
Er schaut dem Tage zu mit Wonneblicken
Und stimmet seine Lieder an.
Im Gottestempel liegt er hingesunken
Voll Andachtsglut und kostet Seraphslust.
Das Kind, vom Vorgeschmack des künft'gen Glückes trunken,
Hüpft schnell an seiner Eltern Brust.
Das Donaueschinger Wochenblatt aber dichtete auf das Paar, das sich nichts weniger als liebte, also:
Gieß, Gott der Lieb', wie Meereswogen
So stark auf Josefs Haupt den Gnadenstrom,
Und auf Antonien so schön, wie Regenbogen,
Schütt' ihn herab von deinem Thron!
Man sieht, der Byzantinismus jener Tage hält den Rekord aus mit dem heutigen. Er ist aber den Sterblichen vor der französischen Revolution viel leichter zu verzeihen als den heutigen Fürstenknechten.
Der Hofkaplan Josef Hansjakob, welcher oft zu seinem Vater heimkam, erzählte in vertrautem Kreise manches aus dem Hofleben und von der Disharmonie zwischen beiden Gatten.
So oft des Toweisen Sepp aber in Hasle erschien, hatte er Geld von der Fürstin bei sich für die Armen, und das Herz des städtischen Bettelvogts schwamm in Wonne.
Der Bettelvogt gehörte zu den poesievollsten Gestalten jener Tage. Er war städtischer Beamter, bekam in Hasle sechs Gulden Jahresgehalt, ein Paar neue Schuhe und ein Paar Sohlen und wurde alljährlich bei der Aemterbesetzung ernannt oder wieder bestätigt.
In den Tagen des Toweis amteten nach einander lange Jahre der schon genannte Ochsenhirt Jörg Sundthofer und der Jakob Stulz.
Der Jörg war zugleich viele Jahre hindurch Hochwächter auf dem Kirchturm. Er mußte nachts die Stunden mit dem Horn erst vom Turm herab »anrufen«, sodann herabsteigen und sich fleißig mit seinem Rufe hören lassen in Stadt und Vorstadt. Kam des Nachts ein Gewitter, so hatte er »ohne Saumsal« die Wetterglocke zu ziehen.
Tags über spielte dann der Jörg zweimal in der Woche, am Dienstag und Freitag, den Bettelvogt. Erst sammelte er die heimischen und fremden Bettler zu Hauf und zog mit ihnen zum oberen Tor hinaus zur Mühlenkapelle. Hier betete er mit seiner Kompagnie den Rosenkranz für die zu erhoffenden Guttäter; dann ging er mit den Leuten wieder dem Städtle zu und da von Haus zu Haus unter dem Bittrufe: »Gebt den Armen ein Almosen um Gottes willen!«
Vor das Haus eines Zwölfers durften sie nicht. Bei den Ratsherren holte der Bettelvogt jeden Monat eine Gabe für seine Schützlinge. Man sieht daraus, wie vornehm und feinfühlig die »Herren« von Hasle waren.
War das halbe Städtle – die andere Hälfte kam am zweiten Tag an die Reihe – abgefochten, so zogen die »Gottesleute«, von denen einige auserwählte Wiber die Beute an Brot und Eßwaren trugen, während der Vogt das bare Geld hatte, wieder der Kapelle zu und beteten abermals einen Rosenkranz für die »erwiesenen Wohltaten.«
Alsdann verteilte der Vogt die Almosen nach Recht und Gerechtigkeit. Wer aber nicht beidemal mit in der Kapelle gewesen war, bekam nichts.
Was für ein energischer und weiser Mann muß so ein Bettelvogt gewesen sein, dem solche Teilung gelang!
Nach diesem schwierigen Akt mußte er in den Gassen patrouillieren und etwaige fremde Bettler ausweisen. Diese hatten alle das von ihrer Gemeinde ihnen verliehene Bettlerzeichen zu tragen, wenn sie ein Recht auf Almosen haben wollten.
Auch die Stadt Hasle dekorierte ihre Armen, die auswärts fechten gingen, mit einem solchen Bettlerorden. Dieser wurde aber nur würdigen armen Leuten verliehen, während andere Orden nicht selten an unwürdige, wenn auch reiche Individuen vergeben werden. –
Der Jörg Sundthofer hat seiner Vaterstadt als Hirte, Hochwächter und Bettelvogt sicher nützlichere Dienste geleistet als mancher Minister seinem Lande. Das hat aber auch der Rat von Hasle eingesehen.
Der Sundthofer hinterließ ein einziges Kind, die Juliana, die so arm war, als nur eines Bettelvogts Tochter sein kann.
Da erbietet sich der Jakob Schürer, ein armer Teufel und Schuhmacher aus dem Stamme, dem des Toweisen Mutter angehört hatte, die Juliana zu heiraten, wenn man ihm den Dienst als Hochwächter zukommen lasse. Der Rat willfahrt beiden.
Zur Zeit, als des Toweisen Sepp Hofkaplan geworden, war der Jakob Stulz Bettelvogt, der Vater des in meinen Jugenderinnerungen erwähnten »Stumperle«, des Vertreters der Polizeigewalt in meinen ersten Knabenjahren.
Der Bettelvogt fragte öfters, beim Toweis einen Schnaps trinkend, an, ob der »geistliche Herr Josef« auch bald wieder komme; denn dann hatte der Vogt mit seinen Bettlern Kirchweih.
Ueberhaupt hatten die von Hasle vor des Toweisen Josef, als dem Hofkaplan eines absoluten Fürsten des 18. Jahrhunderts, mehr Respekt, als die heutigen Haslacher einem Bürgerssohn, der Erzbischof von Paris geworden wäre, zuteil werden ließen.
Ich habe auch den alten Toweis stark im Verdacht, daß er angesichts der Hofstellung seines Sohnes seinem bisherigen demokratischen Wesen abgeschworen und seine Absetzung und Gefangennahme verschmerzt habe.
Vernünftiger war der Hofkaplan selbst; er behielt sein Amt nur so lange, bis es ihm, dem Fünfunddreißigjährigen, anno 1795 die schöne Pfarrei Ehingen im Hegau, im Angesicht des Hohentwiel, eintrug. In Hasle aber meinten sie, des Toweisen Josef sei abgesetzt worden, und die Bewunderung fiel.
Ein Jahr nach seinem Abgang von der Residenz trugen sie auch den Fürsten Maria Benedikt, kaum 38 Jahre alt, aus seinem Schloß und hinab in die Gruft zu Neidingen.
Mit Riesenschritten eilte die »Reichslinie« des alten Hauses Fürstenberg dem Grabe zu.
Doch der letzte dieser Linie, der Bruder des kinderlosen Maria Benedikt, Karl Joachim, war ein Mann nach dem Herzen eines echten Haslachers, obwohl er seine Knabenzeit in der allzeit aristokratischen Nachbarstadt Wolfe verbracht hatte.
Einsam verlebte der Prinz seine ersten Jugendjahre in dem düstern Wolfacher Schlosse und mit ihm sein Hofmeister und Kaplan Eckstein. Trotzdem er bei der damals allgemein üblichen Ausbildung durch Reisen nur Belgien, Holland und England kennen gelernt hatte, war er ein Freund der französischen Revolution.
Es ist dies um so unparteiischer, als an dem Tage, da er Fürst wurde, am 24. Juni 1796, die französischen Freiheitshorden ins Kinzigtal einfielen und er seine sieben Sachen einpacken und nach Heiligenberg flüchten mußte. Wiewohl er noch zweimal vor den Waffen der welschen Republikaner floh, zollte er ihren Leistungen und Eroberungen doch volle Bewunderung. Und auf dem Kongreß zu Rastatt näherte er sich der »großen Nation« so warm, daß er von ihr eine Vergrößerung seines Fürstentums erhoffte. Die Ermordung der französischen Gesandten machte den desfallsigen Verhandlungen ein Ende.
Hätte er länger gelebt, seine Liebe zu den Franzosen hätte ihm und seinem Hause sicher die Souveränität gerettet, und die Haslacher wären heute noch fürstenbergisch.
Eine von ihm unbezähmbare Leidenschaft zerrüttete aber sein Leben frühzeitig. Er starb schon 1804, erst 33 Jahre alt.
Wie sein Vater und sein Bruder war er ein leutseliger Herr und ein Kenner und Liebhaber der Musik gewesen.
Die Untertanen jammerten über seinen frühzeitigen Tod, und auch in der Backstube des Toweis ward sein Hingang und der alten Linie Aussterben beklagt.
Ein Bruder des Fürsten Wenzel, Karl Egon, hatte mit den Herrschaften seiner wallensteinischen Mutter die böhmische Linie gegründet, und sein gleichnamiger Enkel, kaum acht Jahre alt, war Karl Joachims Erbe. Als er aber seine Herrschaft selbständig antreten konnte, war das souveräne Fürstentum Fürstenberg nicht mehr und die Untertanen badisch geworden. –
Sie hatten, den zeitgemäßen Absolutismus abgerechnet, im ganzen ziemlich patriarchalisch geherrscht, die Fürstenberger des 18. Jahrhunderts, und in der Backstube des Toweis klang weit mehr und weit öfter ihr Lob als der Tadel.
Der Fürst galt den alten Haslachern als der Vater aller seiner Untertanen. Alle Bittschriften und Gesuche wurden direkt an ihn adressiert. Aufgesetzt und geschrieben hat sie in jenen Tagen in der Herrschaft Hasle meist der Schulmeister Franz Antoni Bechtiger oder der Dr. Pfaffius. Beide verstanden es, in herzbewegenden Worten das Mitleid des gnädigsten Reichsfürsten anzurufen.
Wollte ein Geselle Meister werden und war noch nicht drei volle Jahre gewandert, so wandte er sich an den Fürsten; wollte ein Meister einen Lehrbuben aufnehmen, ehe die Zeit des Stillstands vorüber, so schrieb er dem Fürsten; konnte eine Mutter und Witwe von ihrem Sohn, dem sie Hab und Gut verkauft, den Zins nicht bekommen, so klagte sie es dem Landesvater; wollte eine Gemeinde einem Brautpaar Hindernisse machen, so flehte es den gnädigsten Landesfürsten um seine Hilfe an. Kurzum, in allen Lagen hatten die Untertanen das Ohr ihres Herrn, und sie trugen ihm ihre Nöten vor, wie die Kinder einem Vater.
Ja, wenn er die Bitte abschlug, so kamen sie nach wenig Wochen wieder mit dem gleichen Anliegen, und der Fürst wurde darob nie böse, höchst selten lautete der Bescheid: »Petent ist abermalen ab- und gänzlich zur Ruhe verwiesen.« Wenn aber einer trotzdem nochmals wiederkam, wurde er nicht gestraft.
Ein verheirateter Metzger, Andreas Geiger, ein Nachbar des Toweis, dem er seine Schweine schlachtete, hatte sich 1762 zweimal mit dem »Katzen-Kätherle« von Bollenbach vergangen. Er wird dafür neun Wochen in Hasle beturmt und dann noch zweiundvierzig Wochen in das Hüfinger Zuchthaus gesperrt und dort mit »harten Schlägen behandelt«, so daß er krank wurde.
Für die Prozeßkosten wird ihm sein Häusle versteigert und als Nachstrafe das Handwerk untersagt.
Er bittet von 1762–1780 jedes Jahr den Fürsten Wenzel, der »gegen die Frauenzimmer selbst sehr empfindlich war«, ihm doch, da er nicht stehlen dürfe und zu betteln sich schäme, zu erlauben, sein Handwerk wieder treiben und seinen unschuldigen Sohn in die Lehre nehmen zu können. So fleht er und mit ihm sein Weib achtzehn Jahre lang und wird allemal »in Gnaden abgewiesen«, weil Rat und Obervogt sein Bittgesuch nicht unterstützten. Er schimpfe und trinke, so hieß es; als ob dies dem Manne zu verübeln gewesen wäre!
Endlich erbarmt sich der selbst sehr durstige Obervogt Neuffer seiner. Er erklärt, der Geiger sei der beste Metzger in Hasle und ihm eine Begnadigung wohl zu gönnen. Jetzt endlich wird der arme Mann erhört. –
So wie die Fürsten von Fürstenberg keine Tyrannen, so waren auch ihre Obervögte im allgemeinen keine Paschas. Auch von ihnen, wie von den Fürsten, wurde viel geredet und diskuriert im Hause des Toweis, sowohl in der Backstube, als beim Schnaps und beim Weine.
Die Obervögte verkehrten mit den bessern Bürgern wie mit ihresgleichen. Vor dem Schloß waren, wie vor jedem Burgershause jener Tage, Ruhebänke angebracht, auf denen der Obervogt mit Weib und Kindern und den nächsten Nachbarn an Sommer-Nachmittagen und -Abenden zusammensaß. Auch tranken die Obervögte und ihre Sekretäre und die Rentmeister ihre Schoppen mit den Burgersleuten mit Vorliebe bei dem allzeit getreuen Brisgäuer, Ochsenwirt und Schultheißen Sartori.
Die Obervögte waren meist ärmere Leute. Ihr Gehalt betrug um die Mitte des 18. Jahrhunderts 500 Gulden nebst freier Wohnung und Futter für ein Dienstpferd.
Ihre Witwen jammern dem Fürsten jeweils ihre trostlose Lage vor.
Als der wegen des Straßenbaukrawalls bei den Haslachern nicht beliebte Obervogt Kornstein 1755 im besten Mannesalter starb und sechs unmündige Kinder hinterließ, war das Bedauern im Städtle allgemein.
Drei seiner Söhne bringen es später doch zu Obervögten und einer zum Pfarrer.
Auch sein Nachfolger, Balthasar Neidinger, ein jovialer Mann, stirbt 1764 frühzeitig in Hasle, das damals von den Beamten als » notorie« ungesund verschrieen wurde und, wie mir scheint, nicht mit Unrecht; denn auch Neidingers Nachfolger Lamberger holt der Tod nach nur fünfjähriger Amtstätigkeit, Er war ein schneidiger Mann und vorher Regimentsauditeur beim schwäbischen Kreisregiment gewesen.
Der joviale Neidinger bekam eines Sonntag Nachmittags, da er mit dem Pfarrer Xaverius Gangolphus Wüst, mit dem Bürgermeister und Kaufmann Battier und mit seinen zwei Töchtern auf der Bank vor der Obervogtei saß – mit dem Pfarrer, einem jungen Hitzkopf, Streit. Daraufhin denunzierte ihn dieser beim Fürsten, er habe einmal im Wirtshaus über das Haus Fürstenberg geschimpft. Eine strenge Untersuchung kam über den braven Vogt, damit aber auch seine völlige Unschuld und des Pfarrers Bosheit zutage.
Alle Haslacher standen auf Seite des Obervogts, und der Pfarrer mußte, nachdem er den Balthasar noch über das Grab hinaus beschimpft hatte, die Pfarrei aufgeben.
Neidingers zweiter Nachfolger, Schorer, paßte gut zu den lustigen Haslachern. Er fürchtete die Schulden nicht und lebte leichten Sinnes. 1776 kam er, ein geistvoller Mensch, als Kammerdirektor in die Residenz. Er war als solcher ein großer Gönner Israels, da die Madame Kaula und der Hoflieferant Kusel bessere Gläubiger von ihm waren. Er stirbt als Gantmann.
Nach der verunglückten Stempelsteuerrevolte kam ein neuer, definitiver Obervogt in Gestalt des seitherigen Löffinger Satrapen Neuffer nach Hasle. Er brachte große Aufregung in die Burgerschaft, so beliebt er auch als fideler, »trinkbarer« Gesellschafter war. Die Regierung war mit seiner Amtsführung nicht besonders zufrieden, weil er »zu tief ins Glas guckte«.
Man dachte deshalb an nichts weniger als an die Aufhebung der Obervogtei Hasle und Vereinigung derselben mit der in Wolfe. Was achtzig Jahre später eintraf, drohte schon in den Tagen des Toweis den Haslachern.
Wäre es ausgeführt worden, so hätten die von Hasle nochmals revoltiert; denn sie waren ohnedies längst verletzt durch den Vorzug, den die gnädigste Herrschaft den Wolfachern angedeihen ließ.
Bei diesen wohnten die Landgrafen und Fürsten und solche, die es werden sollten, Jahre, Monate und Wochen lang. Ihr altes Schloß war Witwensitz von Fürstinnen. Ihr Obervogt hieß Geheimer Rat und Landvogt, und die Wolfacher ließen es denen von Hasle gerne fühlen, daß sie Fürstenberger zweiter Klasse seien.
So hatten die zwei Hafner- und die zwei Naglermeister in Hasle mit den Hafnern und Naglern von Wolfe eine gemeinsame Zunft, und der »Jahrtag« sollte abwechselnd in Hasle und in Wolfe sein.
Wenn nun die Reihe des Zunft-Festes das Städtle Hasle traf, kamen die Wolfacher nie herunter. Daß selbst die Hafner und Nagler in Wolfe sich höher dünkten als ihre Kollegen in Hasle, empörte diese und ihre Mitburger jeweils mächtig. In allen Kneipen wurde geschimpft über die »hochmütigen Wolfacher Daudel«.
Der Nagler Bührer und der Hafner Winterer klagten 1760 ihre Not selbst dem Fürsten und baten um Abhilfe, da sie sonst auch nicht mehr nach Wolfe gingen.
Der Fürst hatte ein Einsehen und befahl den Hafen- und Nagelfabrikanten der Residenz Wolfe mehr Kollegialität.
Als gar einmal ein Metzger von Wolfe, Melchior Decker, zum »Zollreiter«, d. i. zum berittenen Zollkontrolleur ernannt wurde, wollten die Haslacher nicht mehr aufhören mit Schimpfen.
Der Melchior hatte auf allen Straßen und an allen Zollstätten der Herrschaft Kinzigtal auf Zolldefraudanten zu fahnden. Er bekam ein Drittel von jeder Zollstrafe und jährlich einen Wagen Heu und ein Viertel Haber.
Wenn er hoch zu Roß zu den Toren von Hasle aus- und einritt, schauten ihm die Burger voll grimmigen Neides nach und spotteten über den Metzger. –
Wo immer sie sich an den Wolfachern rächen konnten, die Haslacher, taten sie es. Besonders »verriefen« sie gerne ihre Jahrmärkte, wenn ein solcher von Wolfe in der Nähe war. Es war Sitte, wenn große Kälte oder Schnee oder schweres Regenwetter einfiel auf einen Jahrmarkt und derselbe schlecht besucht war, ihn zu »verrufen«, d. h. auf acht Tage später zu verlegen.
Fiel die Verlegung des Markts durch die Haslacher auf einen Tag, an dem auch die Wolfacher einen solchen abhalten wollten, so kamen zu dem letztern sehr wenig Leute, weil die Haslacher Märkte allzeit viel beliebter und besuchter waren.
Die Wolfacher klagten diese Malice ihrer von ihnen sonst verachteten Nachbarn dem Fürsten und nannten es richtig Gehässigkeit gegen sie.
Aber der Nachfolger des Neuffer, der Obervogt Merlet, dem die stolzen Wolfacher auch nicht sympathisch sein mochten, verteidigte seine Haslacher so tapfer, daß jene »in Gnaden abgewiesen und diesen auch fernerhin gestattet wurde, die Celebration ihrer Jahrmärkte beliebig zu verlegen.« –
Noch in einem andern Punkte suchten die Fürstenberger zweiter Klasse den Residenzlern in Wolfe ihren Unwillen zu zeigen. Wenn es je nötig war, in eine Apotheke zu gehen, so zogen die Haslacher, so lange sie keine Apotheke hatten, lieber vier Stunden talabwärts nach Gengenbach, als zwei Stunden aufwärts nach Wolfe. –
Wer gute Obervogt Neuffer, der die Haslacher in Gefahr brachte, gänzlich unter die Oberhoheit der Wolfacher zu kommen, bekam auf das Zeugnis des Rates Schlosser in Emmendingen, Goethes Schwager, und auf die Bitten des Haslacher Senats hin Ruhe, und die Aufhebung wurde zurückgenommen.
Der brave Mann traute aber dem Frieden und seinem Durst nicht recht. Er ließ sich darum 1784 pensionieren, zog hinab nach Offenburg, wo seine Frau, eine Tochter des Stättmeisters Witsch, daheim war, und starb daselbst wenige Jahre später. –
An Neuffers Stelle kam der letzte fürstenbergische Obervogt, Mathias Merlet, ein Meersburger Kind. Er war den Haslachern nicht sehr vorteilhaft bekannt vom Revolutionsjahr 1777 her, wo er Amtsverweser gewesen.
Sonst paßte der »Vogts-Mathis«, wie die von Hasle ihn nannten, ganz gut zu revolutionären Leuten. Er war selbst eine sehr widerspenstige Natur.
Schon in jungen Jahren war er Hof- und Regierungsrat in Donaueschingen geworden, vertrug sich aber nicht mit den alten Bureaukraten und übernahm bald darauf die Obervogtei Hüfingen.
Auch hier folgt er nicht und bekommt einmal zwei Grenadiere als Exekution ins Haus gelegt, bis er die von der Oberbehörde verlangten Berichte einschickt.
Und als sie ihn 1783 ins Hohenzollernsche versetzen wollen, wo die Obervogtei Jungnau fürstenbergisch war, läßt er sich pensionieren und sitzt seinen guten Freunden in Donaueschingen vor die Nase.
Sein Weib ist bei alledem, wie es scheint, seine treibende und ihn schützende Kraft; denn sie stammt aus einer mächtigen Beamtenfamilie, aus der von Lassolaye.
Ein Lassolaye war, wie wir schon gehört, allmächtiger Kammerdirektor unter dem Fürsten Wenzel. Der Schwiegervater des widerhaarigen Mathis war baden-durlachischer Oberamtmann und sein Schwager seit 1780 gar Minister des Markgrafen. Als die Obervogtei Hasle frei wurde, verließ der Mathis seinen Pensionsstand und kam nach Hasle, wo er fast dreißig Jahre lang amtete und Leid und Freud mit den Haslachern teilte bei einem Gehalt von 630 Gulden, von denen er noch 150 Gulden dem Schreiber abgeben mußte.
Vom Hofrat Merlet, sonst von keinem Obervogt des 18. Jahrhunderts, hörte ich noch als Knabe die alten Haslacher reden. Und noch einen des 17. Säkulums hatten sie nicht vergessen, den Simon Fink, den Gründer des Armenfonds, der, so erzählten sie, ein ebenso frommer als mildtätiger Mann gewesen sei und täglich Almosen an seiner Türe ausgeteilt habe.
Der Mathis genügte dem badischen Regiment nicht mehr lange. Er galt, wie die Akten besagen, als »abgelebt und faul.« Er sollte zum Amtsrevisor erniedrigt werden, ging aber lieber in den Ruhestand und blieb in Hasle.
Am 13. März 1822 haben sie ihn begraben. Seine Witwe lebte noch bis 1835. Sie war eine Freundin meiner Großmutter, die oft noch von der Frau Hofrat sprach, mit der sie in einem Kaffee-Kartell stand.
Von keinem der in Hasle gestorbenen Obervögte des 18. Jahrhunderts meldet heute auch nur noch ein Grabstein.
Die Tage des letzten fürstenbergischen Obervogts verliefen nach innen friedlich, weil von außen Bedrängnisse genug kamen. Die Franzosen und die Oesterreicher zogen Jahrzehnte lang talauf und talab, und die Zipfelkappenmänner beim Toweis redeten, wie schon oben angedeutet wurde, bald von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und schwärmten für Republik, bald schwiegen sie mäuschenstill über solche Dinge und lobten den Kaiser von Oesterreich – je nachdem Franzosen oder Kaiserliche im Städtle lagen. Von beiden Armeen waren in den neunziger Jahren häufig Kranke und Gefangene in Hasle. Viele Soldaten starben, und ein eigener Soldatenkirchhof, von dem heute niemand mehr weiß, wo er lag, wurde nötig.
Als einmal die Bäcker den gefangenen Soldaten Brot lieferten und die Brotwäger auch diese Massenlieferung untersuchten und zu leicht erfanden, wurden die Brotfabrikanten – auch der Ratsfreund Tobias Hansjakob – mit hohen Geldstrafen »punktiert«. Sie wandten sich an den gnädigsten Landesfürsten, und ein Drittel der Strafe wurde nachgelassen, weil die Frucht teuer sei und die Lieferung zu schnell habe erfolgen müssen.