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Im Herbst 1895 geschrieben.
Das Jubelquartal liegt hinter uns. Nach dem Erntetag von Sedan wich die Hochsommerhitze, die so rasch den deutschen Waffen die Siege gereift und gehäuft hatte, und ein neues Ringen begann in der herbstlichen Landschaft, dessen Preis schwerer noch und nach längerem Harren erst zu erraffen war. Wohl war das bonapartische Kaisertum mit dem Glück, das allein es ein Vierteljahrhundert stützte, zusammengebrochen; mit ungestümer Leidenschaft aber rief Gambetta, der erste Ritter der romanischen Demokratie, nun das Volk zu verzweifelter Wehr und von allen Seiten wälzten in dichten Rotten sich neue Heere heran, Trümmer der alten, versprengten Armeen, die eilig bewaffnete Schaar der französischen Jugend und wüstes Gesindel, um der gefährdeten Hauptstadt rechtzeitig Entsatz zu bringen. Den in der Geschichte beispiellosen Versuch, eine mit fanatischem Mut verteidigte Millionenstadt zu belagern, sollte ein Rassenkrieg hemmen, wie ihn, in dieser wahnwitzig siedenden Wut, die moderne Welt vorher nicht gesehen hatte. Straßburg fiel, Orleans wurde erstürmt, Soissons kapitulirte und die Mauern von Metz öffneten sich den deutschen Truppen; doch Paris hielt noch Stand, und ob von Sieg und Übergabe auch oft genug frohe Kunde kam; alle Blicke wandten sich nach Paris und jedes Ohr horchte, hoffend oder angstvoll, auf die Minute, die den Kanonendonner an der Seine zum Schweigen bringen und das Schicksal zweier Herrenvölker entscheiden würde. Wahrend dieser bangen Pause regte sich im Hauptquartier des Preußenkönigs geschäftiges Leben. Von Rothschilds Schloß Ferrières war der Kriegsherr in das Versailler Präfekturgebäude übergesiedelt und harrte hier in geduldiger Ruhe, bis die starke Hand des treuen Beraters, der nun wieder in den Vordergrund des Geschehens trat, feine Fäden vorsichtig zu einem festen Netz verknüpft hatte, das künftig die deutschen Stämme mit dauerhaftem Gesträhn sicher umspannen konnte. Langsam, leise und klug wurde um die Wende des Jahres 1870 das Werk der Einheit bereitet, Vorurteil und Bedenken, alter Groll und erwachende Furcht wurden mit milder Gemächlichkeit überwunden und endlich brach der Tag an, wo in dem Prunkschloß des Sonnenkönigs, das in goldenen Riesenlettern einst à toutes les gloires de la France geweiht worden war, ein Deutscher Kaiser die Krone aufs greisende Haupt setzen durfte. Der Gekrönte hatte als neunjähriger Knabe die schmähliche Erniedrigung Preußens erlebt; an sein kindlich helles Gehör war wohl die Kunde gedrungen, der Übermut des siegreich vorwärts stürmenden Korsen wolle ein Deutsches Reich nicht mehr anerkennen und Franz der Zweite habe, fünf Tage nach Napoleons drohender Verkündung, auf die Würde der Römisch-Deutschen Kaiser verzichtet. Jetzt hatte der Dreiundsiebenzigjährige einen anderen Napoleon niedergeworfen und Preußen, dem in zwei schweren Kriegen die Hegemonie in Deutschland gesichert war, zum steilsten Gipfel des Ruhmes geführt. Er durfte stolz sein: und blieb bescheiden; er durfte sich laut seines Vollbringens rühmen: und barg sich freiwillig ins Dunkel. Dem Hofprediger Rogge, der berufen war, den feierlichen Akt der Krönung mit einer Weiherede einzuleiten, schärfte er nachdrücklich ein: »Rühmen Sie mich nicht in Ihrer Rede, denn ich bin nur ein Werkzeug gewesen in Gottes Hand.«
Das Jubelquartal liegt hinter uns, der laute Lärm der Siegesfeste verhallt und selbst die eifrigsten Feierredner werden der Begeisterung und dem Pathos bis zum achtzehnten Januar nun keinen Gegenstand finden. Das ist gut; denn durch reichliche Wiederholung gewinnt das zuerst zündende Wort nicht an Kraft, der mahnende Ruf nicht an Wirkung. Der Deutsche, der aufmerksam dem Werden der Stimmungen lauscht, darf sich nicht verhehlen, daß die Stärkung des Nationalgefühles, die das frohe Geräusch dieses Sommers uns bringen sollte, bis jetzt leider ausgeblieben ist und daß für flüchtige Stunden nur die rechte Freudigkeit sich einstellen will. Gleichgiltig oder in dumpfem Groll hält die Menge sich fern, der an unseren Kulturgenüssen ein allzu geringer Anteil beschieden ist, die für den kärglichsten Lohn die gröbste Arbeit zu tun hat und die deshalb an einer Kultur, der sie nur als Dünger dient, sich nicht begeistern mag; der Handarbeiter, dem ein mit leichtem Herzen verkündetes Dogma den Anbruch des Tausendjährigen Reiches auf Erden verheißt, will nichts davon wissen, daß auch er dem Deutschen Reich und dem großen Krieg, der es schuf, Etwas verdankt, und er gedenkt in den Feierstunden nur der gerechten Beschwerde, die er seit manchem Jahr mit sich herumträgt und die ihm mit hartem Wort immer wieder verwiesen wird. Wie Freiligrath nach einer flammenden Patriotenrede von einem alten, verhärmten Arbeiter die Frage hinnehmen mußte, ob er den armen Leuten auch Brot schaffen könne, so wird die festliche Lust jetzt von dem anschwellenden Murren des Proletariates gedämpft, das in erhitztem Tafelgerede den Hinweis auf einen Weg zu besseren Lebensbedingungen vermißt. Die besitzende Bürgerklasse ist durch Interessengegensätze zerklüftet, Landmann und Städter, Produzent und Händler messen, ängstlich wägend und zitternd nur wagend, die Kräfte, die sie in dem geschichtlichen Kampf der Arbeiter gegen das Kapital so gern doch vereinen möchten; und sie werden des Jubeljahres nicht froh, weil sie empfinden, daß ihnen die feste Führung fehlt und daß sie von großen Erinnerungen allein in Behagen nicht leben können. Vielleicht wurde bei den glanzvollen Veranstaltungen der letzten Monate der Ton nicht getroffen, der in starker Schwingung Vergangenheit und Zukunft verbinden konnte; vielleicht drang die prologische Begeisterung nicht bis an die tiefste Wurzel des Glückes, dem ihr lautes Lobpreisen galt. Der stilleren Feier, die an dem Walten sittlicher Kräfte, nicht an dem Glanz blanker Waffen sich freut, ist die Pause zwischen den Schlachtfesten günstig und wir können sie nicht besser nützen als durch ein Verweilen vor dem Bilde des Mannes, der den sittlichen Kräften der aufsteigenden Volkheit Körper und Ausdruck gab. Aus der bangen Verworrenheit einer trübsälig unfruchtbaren Zeit, von den eklen Skandalen, die mit widrigem Gezeter unser allzu öffentliches Leben erfüllen, sehnt der Blick sich in hellere Luft und wendet gern sich dem Bilde des ehrfürchtig von prunkloser Zärtlichkeit geliebten Herrschers zu, der Preußen aus schwerer Verirrung einst in die Klarheit führte. In seinen Zügen, die uns die holde Erinnerung wecken, wie es war, wie es wurde und werden konnte, finden wir vielleicht auch die Antwort auf die quälende Frage, was uns fehlt und was uns zu unserem Heil notwendig ist.
Franz von Lenbach hat ihn uns gemalt; nicht den Heros, den später Lied und Legende ins epische Riesenmaß recken werden, nicht die herrliche Heldengestalt, vor der jetzt schon, im Überschwang familiärer Dankbarkeit, der Enkel sich neigt, – nein: den gütigen Greis, nicht Wilhelm den Siegreichen, sondern den Alten Wilhelm. Der große Seelendeuter, der aus den Hüllen höfischen und militärischen Pompes die feinste Menschlichkeit zu befreien und mit kräftigem Griff vor den Betrachter zu rücken vermag, hat den neunzigjährigen Kaiser nicht verschönt und nicht verfälscht; er hat ihn lange liebevoll angeschaut und ihn dann, ohne die Runzeln und die Wundmale des Alters zu unterschlagen, mit dem sicheren Mut des Genies der Natur nachgeschaffen. So, in der etwas ermüdeten und doch immer noch straffen Haltung, mit dem leise getrübten und doch vorsichtig prüfenden Blick, lebt er in unserem Empfinden; so, mit einem Hauch matter, ergebener Wehmut, der die ursprüngliche Heiterkeit der Soldatennatur doch nicht verdüstern konnte, sahen ihn Hunderttausende an dem Eckfenster seines einfachen Hauses, wenn die Wache aufzog und der freundliche Ernst seines Auges der jubelnden Menge zu sagen schien: Solchen strammen Jungen dankt Ihr das Reich und die Hauptstadt des Reiches; sorgt, daß ihnen der Nachwuchs nie fehle, und vergesset nicht, nach lachender Erben arger Sitte, welche Opfer unserer Größe gebracht werden mußten. Auch die Älteren kannten ihn kaum anders; hat die jähe Hitze der Jugend ihn niemals gepackt oder ist selbst in Anekdoten von seiner Jugendlichkeit keine Spur aufbewahrt? Alt und weise blickt er uns an: ein Mann, der ruhig harrt, bis die Zeit einst erfüllet ist, und sich in Bereitschaft hält, auf daß die Schicksalsstunde ihn gerüstet finde. Das ist nicht ganz großer Männer Art. Große Männer meistern die Zeit, sie stemmen die starke Persönlichkeit gegen das Rad der Geschichte, sie zerreißen, für kurze Zeit freilich nur, die Kette der Entwickelung und fuhren herrisch, auf selbstgefundenen Pfaden, an ein gutes oder ein schlimmes Ziel. Große Männer werden das Glück oder das schwarze Verhängnis der Völker, die sie in das Gesetz ihrer Individualität zwingen, und kein Fühlender kommt ohne die Regung leidenschaftlicher Liebe oder heißen Hasses an ihrem Bilde vorbei. Vom Stamm solcher großen Männer war unser alter Kaiser nicht; ihm huldigt man in sanfter Zärtlichkeit, wie einem Vater, und wer ihn hassen will, muß sich seine adelige Gestalt erst ins Gemeine verzerren; Herr Auer sogar, der menschenverständigste Führer der norddeutschen Sozialdemokratie, hat ihn in einer zu viel geschmähten und zu wenig beachteten Rede im Reichstag einen einfachen, stillen, sparsamen, friedliebenden Herrn genannt. Wenn die Geschichte das Bürgerjahrhundert durchsiebt, wird sie unter den Politikern wohl nur zwei mit dem Namen des Großen schmücken: Bonaparte und Bismarck, den dunklen und den hellen Exponenten der Revolution, den schwärmenden Eroberer und den nüchternen Staatenbildner. Die Größe läßt sich nicht dekretiren; mag in offiziellen Aktenstücken noch so oft von Wilhelm dem Großen die Rede sein: die Bezeichnung klingt zu stolz, klingt nicht innig genug, als daß sie jemals volkstümlich werden könnte. Groß scheint Der uns nur, neben dem kein Größerer aufragt, und der alte Kaiser hat nie einen Zweifel darüber gelassen, daß er sich als den dankbaren Schuldner eines Größeren fühle. Mögen Lied und Legende, die nach einem Jahrhundert jetzt schon an der Gestalt des alternden Spötters von Sanssouci ihre Tüncherarbeit getan haben, ihn einst in die Sagenreihe der germanischen Heerkönige erhöhen: uns lebt er, wie Lenbachs Künstlerauge ihn sah und wie er, dem Nestor gleich, herrlich vollendet starb. Wilhelm der Große: es klingt gar so feierlich, nach Zeremonien und Gepränge, so furchtbar historisch, als läge schon eine Welt zwischen ihm und uns, denen er doch, wie ein lieber Schatten, in jeder Stunde noch gegenwärtig ist. Wir ziehen den traulicheren Namen vor, den, in gerührtem und rührendem Erinnern, Bismarck ihm gern gibt, und nennen ihn mit kindhafter Anhänglichkeit den Alten Wilhelm. Der Name bringt ihn in die Gesellschaft des Alten Fritzen und des Alten Blüchers, und da wird er sich wohler fühlen als bei Alexander und Bonaparte.
Es wäre sehr töricht, ihn deshalb für klein, für unbedeutend zu halten. Als Hamlet den Fortinbras gesehen hat, erkennt er, daß wahrhafte Größe nur darin besteht: nicht ohne großen Gegenstand sich zu regen, doch einen Strohhalm selber groß zu verfechten, wenn Ehre es befiehlt. Nach diesem Wort hat Wilhelm der Erste sein Leben lang gehandelt; und es ist nicht eine Frage des Maßes, sondern des Gefühls, ob man ihn den Großen nennen will. Auch der aufrichtige Mann, der sechshundert Jahre vor ihm zum Deutschen Kaiser erkürt wurde, auch Rudolf von Habsburg trägt in der Geschichte nicht den Titel des Großen: und doch hat auch er Großes vollbracht und lebt, als der typische Vertreter eines Zeitalters, im Gedächtnis der Menschen fort. Rudolf gehörte nicht mehr dem Kreis der Heiligen und Heroen an, den die Ottonen und die Salier bevölkert hatten, er war auch kein froher staufischer Ritter mehr, kein Mann des lustigen Dreinschlagens und fröhlicher Reckenkämpfe; er war ein kluger und kühler Rechner, der beste Hausvater in seinem Lande, schlicht, sparsam, mäßig, im Ausdruck jeder Empfindung von äußerster Vorsicht und im Innersten doch von bauernschlauer Herzensheiterkeit. Als er in Todesahnung nach Speier zu Grabe ritt, soll, nach einer dichterisch verklärten Überlieferung, von allen Seiten das Volk herbeigeströmt sein, um noch einmal das Antlitz des Teuren zu schauen. Das wäre nicht von einem Menschen nur, Das wäre von einer Epoche der Abschied gewesen. Und solches wehe Scheiden haben auch wir im Frühlenz des Jahres 1888 erlebt und erlitten. Die dicht gedrängten Schaaren, die damals, wie ein verscheuchtes Hühnervolk, um das Denkmal des Alten Fritzen standen und mit ängstlich verhaltenem Atem der Nachricht vom Alten Wilhelm harrten, empfanden ganz deutlich: Da entschwindet uns eine Zeit, da kommt das Neue, das Unbekannte herauf. Nicht alle Wünsche hatte die scheidende Zeit erfüllt und an das Neue heftete sich manche Hoffnung; aber die Ruhe zerrann, die sichere Stetigkeit der Entwicklung schien gefährdet und bange Sorge mischte sich in die menschliche Trauer.
Der alte Kaiser war die Gewähr der Ruhe gewesen; bei ihm gab es keine Überraschungen, keine hastigen Entschlüsse und keine plötzlich vorbrechende Laune. Er war, wie Rudolf, ein kluger und vorsichtiger Rechner, aber er war von der derberen, härteren und zugleich doch wärmeren Art der besten Hohenzollern; ein echter Sohn der Zeit des kantischen Pflichtgebotes, aber auch der Sohn der milden Mutter Luise. Friedrich hatte vom voltairischen Geist, von der pikanten Kost der Rationalisten und Enzyklopädisten zu viel genascht; er höhnte Gott, der ihm an der Spitze der stärksten Schwadronen leichte Arbeit zu haben schien, und die Welt und verließ sich darauf, daß er aus allen Fährlichkeiten, in die Ehrgeiz und Medisance ihn je bringen könnten, sich tapfer mit seinen Rackers herausschlagen würde; das Preußenvolk und den deutschen Stamm, die seinem Ideal nicht entsprachen und deren tiefstes Empfinden er nicht verstand, verachtete er und an die werdende Zeit knüpfte ihn kein festes, haltbares Band; er war die große, blitzend und funkelnd geniale Persönlichkeit, aber seiner Schöpfung fehlte die Bürgschaft dauerhaften Bestehens, weil sie nicht auf die ans Licht drängenden Kräfte der Zeit gegründet war. Friedrich Wilhelm der Vierte war ein Kind der Dämmerung, ein lichtscheuer Mann, der im Dunkel Großes plante und blinzelnd und zagend dann vor der Tageshelle stand; er war zu geistreich, um sicher zu sein, er sah die Dinge von zu vielen Seiten, um festen Fußes vorwärts schreiten zu können; das Romantikerverhängnis ereilte ihn und er brach, nach prachtvollen Anläufen, morsch und müde zusammen, ein nutzloser Mann. In seinem Bruder mischten die Elemente sich glücklicher. Der König und Kaiser Wilhelm war kein heldischer Sonnensohn, kein Spötter, kein Schwärmer. Ihm war die heilsame Begrenztheit geworden, die allein erst die Festigkeit des Wollens verleiht; nichts Menschliches war ihm fremd, er liebte die leichte Kurzweil, das bunte Tanzspiel und die Schönheit schlanker Frauen; und in seinem Bilde darf der Zug der Geisteseinfalt so wenig fehlen wie die Freude an galantem Getändel. Sein Bild braucht die täuschende Retouche nicht, denn er hat Alles, was allzu menschlich in ihm war, weise immer zurückgedrängt: seine persönliche Neigung vermochte nichts über den Herrscher, – und so kann man den Menschen lieben, dessen Individualität feste Grenzen gesetzt waren, und den Monarchen bewundern, der die Entpersönlichung weiter als vor ihm irgendein anderer trieb und sein hohes Amt nach bestem Gewissen betreute, ohne Lust und Laune willkürlich schalten zu lassen. Friedrich hatte sich, schmunzelnd vielleicht, den Ersten Diener des Staates genannt und Friedrich Wilhelm hatte, gewiß ganz ehrlich, gefürchtet, schon ein Blatt Papier könne zwischen ihm und seinem Volk die innige Gemeinschaft lockern; dennoch blieben Beide dem Volksempfinden fremde und ferne Herren, die man im Glück umwedelt und im Unglück verwünscht. Wilhelm, der Soldatenprinz, der Sproß starrer Feudalität, wurde der erste König der festländischen Demokratie, – nicht ein Bourgeoiskönig wie Louis Philippe, nicht ein Geschäftsmann und Spekulant wie der belgische Leopold, sondern ein Bürger, der König blieb, der von der Liebe des Volkes getragene, von der Verantwortlichkeit seines Berufes erfüllte Vertrauensmann der Nation. Er hat einen neuen Monarchentypus geschaffen, den Typus des Monarchen in einer veränderten Zeit. Der Mann, dem solches Schaffen gelang, war sicher nicht klein.
Wie es ihm gelang? Man müßte ein Jahrhundert preußischer Geschichte schreiben, um diese glückliche Fügung ausreichend zu erklären. Prinz Wilhelm von Preußen hat dieses Jahrhundert erlebt und er hat aus ihm gelernt, unermüdlich, bis zum letzten Wank ein bescheidener Schüler der Geschichte. Er hatte Jammer und Schmach erlebt und daraus gelernt, daß man auch für die schwarzen Tage vorsorgen und im Glück einen Schatz von Vertrauen und Liebe ansammeln muß, der im Unglück dann die Hungernden stillt. Wie ein schwaches Regiment die Führung des Volkes verliert, hatte er gesehen, und wie ein unruhiges Irrlichteliren Verwirrung schafft, – und die Lehre gefunden: daß man aufsteigende Kräfte, wohltätige und schädliche, früh erkennen und rechtzeitig lenken muß, damit sie nicht später Den, der sie leiten sollte, in demütigende Willfährigkeit zwingen. Der Applaus und das Trugbild rascher Popularität lockte ihn nicht, der Jahre lang in geduldigem Schweigen den Torenhaß der roten Rotte von damals getragen hatte; er tat, auf welchen Posten er immer gestellt sein mochte, furchtlos und treu seine Pflicht, hoffte auf künftige Gerechtigkeit, nicht auf lärmende Gunst der Menge, und merkte früh, wie sänftiglich oft sich bald Das selbst fügt, was so wild und wüst erst begonnen hatte. Er hatte sich eingeschärft, daß es gefährlich ist, in die Flamme zu blasen, und daß ein im Rang hochgestellter Mann sich nie zu den kleinen Leidenschaften der Stunde erniedern darf. Als Soldat war er an Gehorsam gewöhnt – und wer gut gehorcht, wird auch gut befehlen–, aber auch an schnellen Entschluß, an sichere Führung und unbeirrte Erfüllung der Pflicht. Er pflegte später zu sagen, um Staatssachen habe er sich bis in sein reifes Mannesalter wenig bekümmert, sondern eigentlich nur gelernt, eine Infanteriedivision richtig zu führen. Zu rechter Zeit zeigte sich, daß diese militärische Drillung ihm die beste Grundlage für eine Monarchenerziehung gab, eine sehr viel bessere als etwa ein dilettantisches Naschen von allen Schüsseln. Er war selbständig geworden in dieser Schule, kein jubelndes oder schmähendes Gebrüll focht ihn an, aber er hatte auch gelernt, daß man im Glied den Widerspruch unterdrücken und ohne Murren dem Kommando folgen muß. Die Ständeverfassung, der Gang nach Olmütz, Preußens Haltung im Krimkrieg und manches Andere war nicht nach seinem Sinn und die Kamarilla, die Gruppe der Ober-, Unter- und Flügelteufel nebst dem gerlachischen Anhang, mochte ihm nicht behagen. Aber er beugte sich dem Befehl, zwang die Bedenken nieder und stellte die Entscheidung Gott anheim. Denn er war von Herzen fromm, ein guter Christ und ein rechter Protestant; mit seinem Glauben, der ihm das Heiligste war, prunkte er nie, er war kein Mucker, kein Prahler und der Hang zur Propaganda war in ihm nie stark; das Verhältnis zu Gott war ihm eine allerpersönlichste Angelegenheit, in die kein Fremder hineinsehen durfte; aber dieses Gottvertrauen war das tägliche Brot seines Lebens, es gab ihm zum Vorgehen den Mut, die Kraft zur Entsagung und die Möglichkeit, seinem Wahlspruch zu folgen: Alles vergeben und nichts vergessen. Als er, wahrlich nicht leichten Herzens, die Regentschaft antrat, war eine seiner ersten Amtspflichten, ein Patent zu zeichnen, das dem Literaten Lindenberg einen Posten im Posenschen verlieh; der verrufene Mann hatte gegen den Prinzen von Preußen als ein gehässiger Verleumder gewühlt, aber der Regent kannte kein Zögern und unterschrieb, ohne mit der Wimper zu zucken, die Bestallung. Als später tückische Mörder ihm nach dem Leben strebten, vernahm man aus seinem Munde kein hartes, kein zornig verdammendes Wort: er war nur ein Werkzeug in Gottes Hand, Gottes Hand würde ihn weislich hüten und führen. Dabei war ihm jeder Fatalismus ganz fremd. Es ist ein Irrtum, zu wähnen, er sei beinahe widerwillig zum Ruhm geschleppt worden. Die Heeresreform, ohne die Preußens Größe nicht zu denken ist, war sein eigenstes Werk; und daß er die nationale Aufgabe früh erkannte, beweist der Brief, den er im Frühjahr 1849 an den General Natzmer schrieb und in dem wir die Sätze finden: »Wer Deutschland regiren will, muß es sich erobern; à la Gagern geht es nun einmal nicht. Ob die Zeit zu dieser Einheit schon gekommen ist, weiß Gott allein. Daß Preußen bestimmt ist, an die Spitze von Deutschland zu kommen, liegt in unserer ganzen Geschichte – aber das Wann und das Wie? Darauf kommt es an.« Als über das Wann und das Wie dann die Entscheidung gefallen war, stand er bereit und gerüstet. Der praktische Sinn für das Richtige hatte ihn sicher geleitet, die nüchterne Ruhe, die auch vor bitterer Wahrheit nicht erschreckt, hatte ihm schlimme Enttäuschung erspart und das wichtigste Herrschertalent, die Fähigkeit, Menschen zu unterscheiden, hatte ihm die besten Berater gewonnen. Der Mann, der mit sechzig Jahren, mit einer lückenhaften Bildung, zur Herrschaft gelangt war, hatte gut gehört, unermüdlich gearbeitet und Vieles gelernt; er folgte nur seiner gewissenhaft erwogenen Überzeugung, aber er scheute selbst als Greis die Belehrung nicht und sein ganzes Mühen war darauf gerichtet, so viel Verständnis zu erwerben, daß er der Belehrung zugänglich war und sie an der rechten Quelle zu schöpfen wußte. Ihm, dem keine Spur von Olympierbewußtsein anhaftete, ward es leicht, vor bewährter Tüchtigkeit sich zu bescheiden, und Dankbarkeit war ihm ein Herzensbedürfnis. Er hat gewiß empfunden, daß die besten Diener, die stärksten, nicht die bequemsten sind, aber er nahm die Unbequemlichkeiten und Reibungen gern in den Kauf, denn der Beste war ihm für das Wohl des Ganzen, das er verwalten sollte, gerade gut genug und er hätte sichs nie verziehen, wenn er in empfindlicher Laune auf erprobte und treue Hilfe verzichtet hätte. So wurde er der providentielle Mann, der König, der für das gewandelte Preußenland nach trüber Gärung nötig war, – so konnte er Deutscher Kaiser werden.
Seine historische Bedeutung ragt weit über die deutschen Grenzen hinaus. Er hat, nach Iherings Wort, in einer Zeit, wo sich der Sinn der Völker mehr und mehr der Monarchie entfremdete, diese wieder zu Ehren gebracht und ihr einen neuen moralischen Halt und eine Kräftigung gewährt, die nicht nur die Kronenträger, nein, auch die Völker ringsum für immer zu seinen Schuldnern macht. Er hat gezeigt, daß man stark sein und doch still bleiben, fest im Ererbten beharren und der wechselnden Zeit sich doch anpassen kann, daß ein Herrscher, ohne zum Schattenkönig hinabzusinken, niemals persönlich hervorzutreten, nie für Unbeträchtliches sein Ansehen einzusetzen braucht. In der harten Schule des Unglückes und straffer soldatischer Zucht hat er erfahren, daß auch von dem Höchsten das Volksbewußtsein, das man nicht mit Öffentlichen Meinungen verwechseln darf, Achtung und Beachtung heischt und daß Vertrauen nicht durch lockende Worte, wie ein verliebtes Mädchen vom hitzigen Knaben, erworben wird. Drei große Kriege hat er zu siegreichem Ende geführt; aber er wäre, als das Volk ihn und er das Volk erst erkannt hatte, auch an der Spitze eines geschlagenen Heeres der geliebte König geblieben.
In der Verworrenheit einer trübsälig unfruchtbaren Zeit kann das Bild des leisen und doch so mächtigen Werbers für den köstlichsten Lebensinhalt der Monarchie Völker und Fürsten mahnend daran erinnern, daß ihrem Glück unter jedem Himmel die Bürgschaft der Dauer fehlt, wenn sie nicht sicher sind, ohne gerechten Vorwurf fürchten zu müssen, eines dräuenden Unglücks Einbruch aufrecht zu bestehen.