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Böcklin.

Durch das dunkle Blau des Wassers, das kein Lufthauch kräuselt, gleitet lautlos ein Kahn. Keine Möwe folgt seiner Spur, kein Menschenauge grüßt ihn von dem Eiland her, dem der Ferge mit sanftem Ruderschlag ihn entgegenführt. Still ists auf dem Meer, still in dem Himmel, dessen düstere Gewitterwölbung dünne Strähnen fahlen Lichts niedersendet, still in dem Kahn, der einen Toten zur letzten Stätte trägt. Es ist kein Ort des Grauens, kein acherusisches Sumpfgelände, in das die Sonne nie farbigen Abglanz des Lebens schickt, keine Pharaonengrabkammer, deren ungeheure Quadern dem Tagesgestirn und der von ihm gezeugten Wüstenglut kein Spältchen öffnen. Zwar scheint auch im ragenden Reich des weißen und bräunlich grauen Kratergesteins kein Vogel zu nisten und einen Lebenden sucht dort vergebens der Blick. Doch der Fels, um dessen Wand ein Hauch frommer Heldenschönheit weht, ist bis zur höchsten Spitze mit dunkelgrünem Gesträuch bewachsen, allerlei Gräser stahlen sich durch den Stein und Riesenzypressen beschatten der Insel ruhige Majestät. Den Samen trugen einst wohl rastende Vögel herbei. Und auch Menschen müssen die starre Klippe schon erklettert haben; scheidend ließen sie die Zeichen menschlicher Kunst zurück: eine Mauer schützt den Stein vor dem Wogenprall, in Marmorrahmen fügen helle, geräumige Grüfte sich in den Fels und weiß glänzt ein von Künstlerhand geschaffenes Tierbild unter Zypressen hervor. Ist dieses Riff, das Natur und Kunst gütig schmückten, wirklich die Insel der Toten? Quer über den Bord des Kahnes ist ein Sarg gestellt. Weiß ist die Decke, Blumen liegen darauf, Rosen wohl, rote, und nie welkender Lorber, und leuchtend weiß ist die Gestalt, die aufrecht hinter dem Totenschrein steht. Ein Genius, der einen aus frohem Schaffen gerissenen Helden liebreich geleitet? Der Priester einer fernen, verschollenen Religion? Ein trauerndes Weib, das dem Teuersten folgt, ohne dem Ziel der Fahrt nachzufragen? Kaum ist von dem weiß verhüllten Leib die Umrißlinie zu erkennen. Drüben erst, auf dem festen Land, wird er sich entschleiern. Zur Totenfeier, die beginnen soll, sobald das Gewitter ausgetobt hat. Auf Marmor ruht dann der Sarg, der Deckel wird aufgetan und leiser Abendwind wärmt die eisige Schläfe des zum letzten Schlummer Gebetteten. Ein Hüne ists, einer vom ausgestorbenen Riesengeschlecht; nicht überlang zwar der Leib, doch breit die Brust, mächtig der Schädel; schneeweiß das dichte Haar und der Bart. Nicht gleicht er einem Abgelebten, eher Einem, der sich nach harter Arbeit zu kurzer Schöpferrast hingestreckt hat; immer ists, als müßten unter dem vorspringenden Stirnknochen die großen Höhlen sich öffnen, müsse eines Augenpaares Strahl Himmel, Erde und Meer beleben, die ganze seelenvoll stille Natur. Wer weiß? ... Laßt nur die Nacht erst nahen. Dann taucht aus der Flut wohl ein Triton auf, räkelt sich auf der Klippe, bläst, um die Wogen zu rufen, auf der gewundenen Muschel ein Stück und findet mit spähendem Auge den fremden Gast. Den fremden? Nein: Der da ruht, ist dem Meermann nicht fremd. Den sah er oft. Der lud oft ihn zum Spiel in den Wellen. Amphitrites Sohn winkt und bläst die feuchte Verwandtschaft heran, lachendes Volk aus der Tiefe, das an der ersten Menschenleiche nun leiden lernt. Den lustigsten Najaden, die sonst nichts im leichten Sinn hatten als den Wunsch, die Männchen zu locken und zu narren, trübt sich jetzt der Blick, den dicksten Meerlümmeln, die eben noch brünstig hinter den weichen Leibern der Fräulein her waren, rinnt eine Zähre in den zottigen Bart und hart am Ufer quakt der Froschkönig gar jämmerlich. Der Trauerlärm weckt auch auf dem Lande den Widerhall, das verstreute Gebein der böotischen Nymphe, die dem großen Pan Liebe versagte, beginnt zu tönen, Dryaden, Panisken und anderes Waldvolk eilt herbei und mischt sich in der Leidtragenden Schaar. Und da hebt sich Aphrodites heiteres Haupt aus dem Schaum; ein blauer Delphin trägt sie, grüner Flor umflattert die strotzenden Lenden. Wer weiß? Das Lächeln der thalassischen Göttin ließ aus den Grüften des Meeresgrundes schon neues Leben sprießen; am Ende kost es den Riesen im Steinsarg wach. Er richtet sich auf, stützt den vom langen Schlaf dumpfen Kopf auf die derbe Hand und starrt aus weit geöffneten Augen in die vom letzten Schein des im West verglühenden Himmelslichtes erhellte Welt. Vita somnium breve ... Ist der Traum ausgeträumt? Und ist dieses Riff, das Natur und Kunst mit ihren Schätzen schmückten, wirklich die Insel der Toten? Kein düsterer Trauerpomp, kein Kreuz und kein schwarzes Bahrtuch; nirgends die bleiche Büßermiene, die im Reich des von zitternden Asiaten ersonnenen Rachegottes die Sünder schreckt. Rot sinkt, ohne im Weh des Scheidens zu erblassen, die Sonne ins Meer. Der Fährmann, den der Erwachte fragen könnte, ist schon fern und das Waldvolk, das Meergewimmel weiß nichts von der Menschenwelt, ihren Vorstellungen, ihrem Mythos und Wahn. In seinem Steinsarg sitzt der von Anadyomenes Lächeln Geweckte und sinnt. Da er das Haupt wendet, trifft sein Blick die weiß verhüllte Gestalt. Sie will er fragen: »Bin ich auf der Insel der Toten?« Von der also Angerufenen fallen die Schleier. Um eine Schulter nur und um die Hüften schmiegt sich noch ein leichtes Gewand. Aufrecht steht sie und stolz; ein junges Weib, das in lächelnder Zuversicht himmelwärts schaut. Sie reckt den Arm: und aus dem roten Gewölk nahen geflügelte Diener. Ein Puttchen bringt die am letzten Sonnenstrahl entzündete Leuchte, ein größeres Büblein die blanke Weltkugel. Und schon schleppen auf Aphrodites Wink Tritonen eine Riesenmuschel heran. Hurtig ist die Fackelträgerin bis zur Klippe geeilt, die Meermänner heben die Muschel mit der holden Last auf, der jüngste singt auf dem Horn einen gar nicht wehmütigen Abschiedsgruß, – und langsam entgleitet der lichte Geist so dem Auge. Noch ein Schimmern der Leuchte durch rosige Wolken. Kein Scheiden; eine Trennung für kurze Stunden nur. Wie könnte der Geist des Alls je dem All ganz entschwinden? Auch keine Abschiedsstimmung also. Das Wasservolk jauchzt, die Waldbewohner jubeln, muntere Meermädchen winden aus Schilf und Seerosen einen Kranz und krönen den greisen Schöpfer, der lächelnd auf das Geschaffene niederschaut. Und siehe da: ›es war sehr gut‹.

Die Nacht senkt sich sacht auf die Insel der Toten herab.

Woher Die wohl stammen mögen, denen sie zu letzter Ruhstatt den Kraterstein öffnet? Denen der Tod kein Schreckbild, die Einsamkeit keine ängstende Vorstellung ist? Die unter Anadyomenes Lächeln erwachen, die tönende Seele alles Geschaffenen hören und den Geist der Natur noch in Wolken erkennen? Denen alte und neue Götter zu leben scheinen, nur der Eine nicht, der Menschenschicksal und Menschenschuld aus einem Gewissen erwachsen ließ, einem Gut und Böse scheidenden, unterscheidenden Organ, das nur Adams Söhnen zu Teil ward? Hellas kann ihre Heimat nicht sein. Sonst sähen wir Musikanten, Klageweiber und Laudatoren, sähen die Schaar der Verwandten den Leichnam unter Erdschollen bestatten, der Persephone opfern und sich dann zum Perideipnon vereinen. Wann hätten Hellenen bocksbeinigem Waldvolk und feisten Meerbewohnern die Totenwacht überlassen? Einem Römer wäre der trauernde Mime gefolgt, wäre noch bei der Gruft aus Spezereien ein Ehrenfeuer entfacht worden. Und aus christlichem Land? Nein: nie ward diese Insel vom Atem des Christengottes berührt, der den Menschen schuf, daß er herrsche über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriechet. Nicht einem Herrscher wanden die Nereiden den Kranz. Und Der ihn trägt, brach nie vor dem Kreuz in Nöten zusammen.

Auf der Leiter unserer historischen Erinnerungen können wir dieses Riff nicht erklettern; sie reicht nicht bis an den Punkt, wo diese Welt zu enträtseln ist, die nie wirklich war und dem guten Europäer dennoch vertraut scheint, seit ein Dichter sie schuf. Der Dichter heißt Arnold Böcklin. Er wurde 1827 in Basel geboren und ist 1901 in Fiesole gestorben. Er hat nur in Farben und Formen zu uns gesprochen, nie sein Wollen erklärt, nie selbst den Sinn seiner Schöpfung gedeutet. Der Mahnung war und blieb er immer treu, die Paul Heyse ihm 1877 als Weihnachtgeschenk nach Florenz sandte:

Kunst ist ein Schatz und Geister hüten sein.
Wer glaubt und schweigt, kann ihn heraufbeschwören;
Wer spricht, dem wird der Zauber nicht gedeihn.

Die Schweizer sind nüchterne Leute. Auf die Gletscher, die sie von unten sehen, wagen sie sich nicht gern; ein stolzer Anblick, doch der Aufstieg allzu steil. Selten nur nimmt ihr Geist von der glatten Heerstraße einen höheren Flug; in der großen Natur blieben sie kleine, emsige Menschen, blieb alles Pathetische ihnen fremd. Wie oft aber, eh man sein Nahen noch ahnt, der launenhafte Föhn durch die Kantone streicht, so öffnet ganz plötzlich der Schweizer stiller Sinn sich der mutwilligsten Phantastik und der Fremde sieht staunend, wie diese sonst so ernsthaften Menschenbilder zu lachendem, jubelnden, tollen Leben erwachen, als sei die Sauserzeit da, der junge Wein mit seinem Regiment schwerer Räusche, von dem ein Zürcher Staatsschreiber gesagt hat: »Wenn er gut ist, so ist man des Lebens nicht sicher unter ihnen und sie machen einen Höllenlärm; die ganze Stadt duftet nach jungem Wein und die Seldwyler taugen dann auch gar nichts.« Ein solcher Urschweizer war Meister Gottfried selbst. Für ihn hatte Alles seine Zeit, mußte Alles fein ordentlich auseinandergehalten werden; erst das Amt, dann, nach einem dicken Trennungstrich, die Dichterei. In die Aktenstube nahm er den Poeten nicht mit; und wenn er betrachtsam saß und auf den fernhin ziehenden Bergnebel allerlei Legenden, lustige und leidige Geschichten malte, durfte der Staatsschreiber nicht dreinreden. Der Basler, der an des Zürcher Freundes letztem Bett stand, war von anderem Schlag. Zwar mit dem Handwerk nahm ers so ernst wie nur je Einer in den Urkantonen. Darin gleicht er gar nicht den Jungen, die ihr Künstlermartyrium durch die Salons schleppen, den Philister grimmig verachten, bis er für ihr Farbengestammel einen guten Preis bietet, nur von Stimmung, Genie, Impression und Intuition sprechen und sich über den Troß unendlich erhaben dünken; eher den Alten, die vor allen Dingen ihres Handwerks Meister zu werden trachteten. Wie hat er sich, Jahrzehnte lang, mit der Technik geplagt! Das Tagebuch Rudolfs Schick, das Herr von Tschudi herausgegeben hat, zeigt uns den von der Ölmalerei zu den Temperafarben sich vorwärts Tastenden, der rastlos sein Werkzeug zu bessern bemüht ist, alle Bindemittel versucht, alle Rezeptbücher kennt, Leonardo so gut wie Cennini, und an Leim und Firnis, an Kopaivenbalsam und eine neue Art der Enkaustik so viel Denkkraft verwendet wie an die tiefsten Mysterien der gestaltenden, Form und Farbe gebenden Kunst. Da hören wir ihn die pompejanischen Maler rühmen, die auf ihn so mächtig gewirkt hatten. »Obgleich Handwerker dem Stande nach, sind sie doch größere Maler gewesen als alle späteren des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Es ist zu bewundern, mit welcher Leichtigkeit und Schönheit sie Alles so anzuordnen verstanden haben, daß Eins künstlerisch wirksam auf das Andere war. Man erstaunt, wie groß ihre Kenntnis der malerischen Mittel war, wie sie durch Härten das Eine weich, durch weiche Formen das Andere hart erscheinen ließen«. Keine Spur von dem üblichen Ateliergeschwätz; kaum je wird eines Lebenden Leistung gestreift, fast immer ernst und sachdenklich des Handwerks Schwere erörtert. Doch da liest man auch die Sätze: »Beim Komponiren muß man nie vom malerischen Effekt ausgehen, sondern stets von der Sache selbst und darauf achten, daß sie zur klaren, naturgemäßen Erscheinung komme. Beim Dichten würde man gewiß nicht vom Außerlichen, dem Versfuß oder Dergleichen, ausgehen, sondern zusehen, ob dieser zur Idee paßt oder nicht ... Im Vergleich mit Tizian, der immer ein voller Künstler war, ist Rembrandt ein kleines Talent, das sein Hauptaugenmerk auf das Machen gerichtet hatte.« Solche Sätze entschleiern den Mann. Der hätte sich mit dem Tagwerk eines Aktenschreibers nicht abgefunden. Der konnte immer nur Einer sein, konnte nie Anderes tun als: die vom inneren Auge geschaute Welt mit der klugen Sorgfalt des Handwerksmeisters gestalten. Dem war Phantasie nicht ein zartes Seelchen, das man, ist das Amt erst betreut, für festliche Abendstunden zu Gaste lädt und, wenn die Pflicht ruft, wieder heimschickt. Gottfried Keller konnte schreiben:

Die Phantasie tut wie ein Kind,
Das einsam Kränze windet,
Bald lacht und plaudert mit dem Wind,
Bald einen Schwank erfindet
Und wunderliche Märchen spinnt,
Dann innehält und traurig sinnt.

Böcklin hätte sich über das Wesen der Phantasie nie den Kopf zerbrochen. Er war nicht von Denen, die im Fieber, im Rausch schaffen und, wenn die Wonnen der Zeugung gewichen sind, staunend vor ihres Werkes Wundern stehen. Was ihm entstand, war ihm nicht ein »wunderliches Märchen«, war die gewollte Spiegelung seiner Weltenvision. Die trug er mit sich, ob er nun malte, schweigsam durch die Landschaft schritt oder mit guten Gefährten beim Trunk saß. Die war sein Eigenstes, war fester Besitz, nicht aus einer Wallung, einem Erregungzustand geboren, und ihm so natürlich, so selbstverständlich wie das Licht der Sonne, wie Flut und Ebbe des Meeres. Der Handwerker konnte irren, sich verzeichnen, die Linie eines Frauenkörpers entstellen, der Muse einen Sitz zimmern, der keines Menschenleibes Wucht zu tragen vermöchte; in die Einheit der Welt des Dichters drängt nie sich störend ein fremder Zug. Da ist Alles, wie es sein muß, wie vor des Schöpfers Auge, als er am Abend des sechsten Tages zufrieden auf das Geschaffene sah. In Böcklins Bildern ist die große, majestätische Stille der göttlichen Genesis. Sie spricht nicht Jedem. Doch wer ihre Sprache vernimmt, Der muß auch fühlen: hier waltet nicht eine Zufallstimmung, eine Poetenlaune, hier ist nicht einem ungemein begabten Künstler »Etwas eingefallen«, – nein: hier spricht in Formen und Farben ein Mensch, der so sprechen muß, dem die Kunst nicht ein rätselhaftes Martyrium und nicht ein schöner Luxus ist, sondern das Mittel, sich zur Welt in das Verhältnis zu setzen, des sein Wille zum Leben gebieterisch fordert. Daher die fast ruchlos zu nennende Ungerechtigkeit gegen Rembrandt, der so komplizirt, so im goethisch tadelnden Sinn modern war, so »vielseitig«, immer bereit, Alles zu malen, was ihm vor den Pinsel kam; daher die grenzenlose Ehrfurcht vor Tizian, der sein Leben zum Kunstwerk machte, in einer Zeit stolzer Maecene und demütig dienernder Palettenvasallen als ein König mit Königen verkehrte und sich selbst und seinem Stil stets getreu blieb. Daher auch die Unduldsamkeit, die alles der eigenen Natur Fremde schroff ablehnt. Als die Spanier in Rom Bilder ausstellten, auf denen Kranke, im Elend Sterbende und Gestorbene zu sehen waren, sagte Böcklin zu Schick: »Nur niedrige Naturen können bei solchen Stoffen über das Unheimliche und Bedrückende fortsehen und vielleicht in der geschickten Technik oder in der brillanten Malerei Entschädigung finden. Die Malerei sollte nur Erhebendes und Schönes oder doch unbefangene Heiterkeit darstellen wollen und nie Elend.« Das ist gar nicht schweizerisch nüchtern gesprochen; eher schon olympisch. Nein: dieser Schweizer, der an allen Quellen italischer Kultur den Durst gelöscht hat, ist nicht aus der Stammesart der Eidgenossen zu erklären, denen der Föhn und der Sauser nur manchmal die Zunge löst, das träg fließende Blut zu rascherem Laufe vorwärtstreibt.

Auch der Versuch, ihm Ahnen zu finden, bringt wenig Gewinn. Vielerlei Kunst muß auf den Mann gewirkt haben, der in Basel und Zürich, in Rom, Neapel, Florenz, in Paris, Düsseldorf, Weimar und München sich strebend bemühte. Wie bestimmend die Pompejaner in seine Entwickelung eingriffen, hat er selbst gesagt; und was er von Marées empfing, von dem armen Hans aus Genieland, der mit der Lebensarbeit nicht fertig wurde, lehrt ein Gang durch das schleißheimer Schloß. Schirmer war seiner Jugend Lehrer, Dreber sein erster Freund in Apoll. Auch Anderen kann man ihn bequem vergleichen: Rubens und Goya, Poussin und Claude, Preller und Feuerbach, Burne-Jones und Puvis, Klinger und Thoma, Moreau und Watts. Wem nicht? Nur kommt nicht viel dabei heraus. Höchstens ein guter Artikel, wenn kluge Kunstbesprecher sich der Sache annehmen. Doch wird an die Wirksamkeit des Besprechens nicht mehr geglaubt; es macht die Kranken nicht gesund, die Blinden nicht sehend. Herr von Tschudi, der fein fühlende Direktor der Nationalgalerie, hat gewiß Recht, wenn er der Klage, der Dichter sei mehr als der Maler Böcklin gewürdigt worden, von seiner Höhe herab den Seufzer folgen läßt: »Es scheint in der Natur aller Kunstschreiberei zu liegen, daß sie über allgemeine Charakteristiken und mehr oder weniger begründete Urteile eines, wenn es das Glück will, gebildeten und vorurteillosen Geschmackes nicht hinauskommt. Von Gelehrten oder Schriftstellern ausgeübt, haftet ihr nicht blos bei allen technischen, auch bei den subtileren Fragen einer angewandten Ästhetik ein dilettantischer Zug an.« Wer hätte Ähnliches nicht schon von Künstlern gehört? Es ist eine alte Klage, daß die wahren Valeurs eines Bildes von den dem innersten Wesen der Kunst fremden Beurteilern kaum je analysirt, gewöhnlich nicht einmal empfunden werden. Doch darf man erwidern, daß Werke der Bildenden Kunst nicht nur für die Sachverständigen geschaffen sind und es gestattet sein muß, selbst den Dilettanten, die in bescheidenem Anschauen von ihnen empfangenen Eindrücke weiterzugeben. Die schönsten Vergleiche, die längsten historischen Wanderungen fördern freilich den Künstler nicht; auch ihm aber kann der Versuch nicht unwillkommen sein, bis zur Psyche des Bildes und seines Bildners vorzudringen. Am Ende kommt es, trotz dem schlimm mißbrauchten Schlagwort L'art pour l'art, doch auf die geistigen Werte, auf den Gefühlsinhalt eines Bildes an. Der wirkt, mehr als alles technische Raffinement; und wirken will jeder schöpferisch Starke. Was bleibt uns, denen die Maltechnik ein Buch mit sieben Siegeln ist, denen vielleicht auch die Fülle der Vergleichsmöglichkeiten fehlt, übrig, als uns, nach Schopenhauers Rat, vor ein Bild hinzustellen wie vor einen Fürsten, dessen Ansprache man respektvoll abzuwarten hat, und es nicht selbst anzureden, weil man dann nur die eigene Stimme vernähme! Böcklin wäre mit solchem Betrachter zufrieden gewesen, zufriedener wohl gar als mit einem, der sich eifernd bemüht hätte, des Schweizers Stammbaum nachzuzeichnen. Böcklin hätte sich auch nicht beklagt, weil der Dichter in ihm mehr als der Maler geschätzt wurde. Er hat uns in einem Bilde Poesie und Malkunst als Schwestern gezeigt, die aus einem Quell schöpfen. Und er hatte dem Lauf der Welt lange genug zugesehen, um zu wissen, daß, was Einer ist, was er als Persönlichkeit zu bieten hat, immer mehr gilt als Das, was er kann. Wers nicht glaubt, hat nicht lange genug hingesehen.


Was war uns Böcklin? Warum ging, als die Kunde von seinem Tod kam, ein Wehruf durch die germanische Welt, als sei ihr ein Allerhalter geraubt, ein Erlöser, ein Führer zum Licht? Dieses große Klagen hallte nicht dem Maler nach, nicht dem mächtigen Könner, dessen Landschaften, dessen Portraits in jedem Zuge den Meister loben und der – Stauffer rief es früh schon der Achenbachgemeinde zu – das Meer gemalt hat wie Keiner vor ihm. Das Scheiden des Dichters wurde beweint. Doch das Wort ist arm und eng. Wer will sich vermessen, dieser allumfassenden Kunst Grenzen abzustecken, wer empfinden und sich unterwinden, zu sagen, welchem ihrer Elemente die stärkste Wirkung beschieden war? Arnold Böcklin hat den Menschen eine neue Mythologie, den Traum eines neuen Lebens in junger Schönheit geschenkt. Diese Schöpfertat hebt ihn über die Schaar der kräftigsten Könner, der amusischen Menzel hinaus in das reine Reich Dessen, der uns nicht der Dichter des Werther, der Iphigenie, des Faust ist, sondern Goethe, der Mann seines Werks. Menzels Preußenbilder, seine subtilen Gnomenkünste, die dem nordostdeutschen Rationalismus den passendsten Ausdruck finden, wird man noch lange rühmen. Wer von Böcklin spricht, denkt nicht an die einzelnen Bilder, die verstreut und den Meisten nur aus Reproduktionen bekannt sind, sondern an den Bringer einer neuen Vision, an den Mann, der den tiefsten Born der Naturphantasie aus dem Schutt der Jahrtausende grub. Der wurde verhöhnt. Den hätten die Pfaffen aller Bekenntnisse, auch die des Materialismus, gern mit dem Bannstrahl getroffen. Der hat sich, wie nie seit der Renaissance ein Maler, die Herzen erobert.

Daß er kein zuverlässiger Kirchenchrist war, rochen die Frommen gleich. Er hat Bilder aus dem christlichen Ideenkreise gemalt. Einen Büßer, der am Abhang vor dem Kreuz auf den Knien liegt. Aber da ist die wilde Felsschlucht die Hauptsache, die ungebrochene Kraft der Landschaft, die des furchtsam weggekrümmten Erdwurmes zu spotten scheint. Einen Eremiten, dessen ganzer Leib in einem frommen Gefühl inniger Hingabe bebt. Doch diese Ekstase schuf nicht der Heilige an der Zellenwand, sondern die Heilige Caecilia: der greise Mönch ist ein Künstler und dem Gesang seiner Geige lauschen die lieben Englein, die so am Ende gar noch auf Abwege kommen. Einen Sankt Anton, der den Fischen predigt. Der möchte, als eine Krone der Schöpfung, überlegen scheinen, blickt aber blitzdumm drein, die Fische halten ihn für einen Narren und der dickste und angesehenste scheint, mit höhnisch hängender Lippe und aufwärts gekehrtem Augapfel, dem Prediger an der Wässerwüste zuzurufen: Du kannst lange reden, ehe Du uns ins Garn lockst: Und während oben das Evangelium verkündet wird, sieht man unten die großen und fetten Fische behaglich die kleinen und mageren erschnappen, verspeisen, wie vor der Christenlehre. Auch eine Pieta hat Böcklin gemalt. Über den Leichnam des Galiläers hat sich in leidenschaftlichem Schmerz die Mutter geworfen. Nur ihre Hände sehen wir; die eine umkrallt mit gespreizten Fingern des Sohnes Oberarm, die andere wühlt, eine Spur warmen Lebens suchend, im Haar des Gekreuzigten. Nicht einmal das Antlitz ist sichtbar; ein tiefblauer Mantel bedeckt es. Und dennoch fühlt der Betrachter den ungeheuren, den unstillbaren Schmerz der verhüllten Frau. Hinter ihr aber tut sich der Himmel auf. Selige Knaben schauen herab auf das Menschenleid und einer, der älteste, streckt, so weit ers, ohne aus den Wolken zu fallen, vermag, den Arm nach der Jammernden aus, als wolle er sie am Gewand zupfen und ihr zuwispern: »Hierher sieh, gute Frau, hier lebt Dein Sohn, der nur der Zeitlichkeit starb!« Ein wundervolles Bild, schlicht, trotz der leuchtenden Farbe, und wie in einer Wehstunde heiligster Menschlichkeit empfangen; aber zum Kirchenschmuck würde es nicht taugen. Und noch weniger Böcklins Herrgott, der Adam, dem eben Geschaffenen, die Erde zeigt. Das ist nicht der Herr Zebaoth, der gewaltige Führer streitbarer Himmelsheere, auch nicht der düster dräuende Jahwe, der an den Söhnen rachsüchtig die Sünde der Väter straft, sondern der Gott des Ersten Kapitels der Genesis, des heitersten, kindlichsten im ganzen Alten Testament, ein guter, hell und freundlich blickender Mann, der an dem Sechstagewerk selbst offenbar die größte Freude hat und den am letzten Schöpfungstag auf die Beine Gestellten nun gern vor Fährlichkeit und Ungemach bewahrt wissen möchte. Ganz sicher ist er seiner Sache nicht. Das ist begreiflich; denn dieser Adam sieht nicht aus, als sei er geeignet, zwischen dem Gott und dem Tier den Platz zu behaupten, alles auf Erden Lebenden höchster Richter zu sein. Das ist nicht der starke, in Kraftfülle strotzende Adam, den man auf alten Bildern sieht. Das ist ein kümmerliches, knabenhaft unreifes Wesen, das zu früh zum Leben erweckt scheint, die nackten Glieder noch nicht zu brauchen versteht und verlegen, in fast komisch wirkender genirter Haltung, in die fremde Welt hineinblinzelt. Ist dem Schöpfer der erste Versuch nicht völlig gelungen? Nahm er den Ton noch zu weich? Und soll aus erneutem Bildnerbemühen mählich erst der Typus entstehen, den der gute Gott für seine Zwecke ersehnt, der die Erde zu bevölkern und sich Untertan zu machen, der Gewalttat Starker zu wehren und die Schwäche zu schützen vermag? Das Bild verrät einen kindlichem Wunderglauben offenen Sinn, aber es würde in keines anerkannten Kultes Dome passen. Es erinnert ein Bischen an Renan, der unter einer sanften Skepsis immer, wie unter dünner Haut das pochende Herz, einen reichlichen Rest unausrodbarer Frömmigkeit barg und, nach Nietzsches boshaftem Wort, auf lebensgefährliche Weise anzubeten verstand. Und noch an einem anderen Franzosen wird vor diesen germanischen Legendenbildern die Erinnerung wach: an Taine, der gesagt hat, zwischen einem Buchenplatz im versailler Park, einer philosophischen Folgerung Malebranches, einer Poetenkunstvorschrift Boileaus, einem Hypothekengesetz Colberts und einer Sentenz Bossuets über das Gottesreich könne der tiefer dringende Blick den Zusammenhang spüren, weil alle diese scheinbar so verschiedenen Betätigungen bewußten Wollens aus einer allen zugleich Lebenden gemeinsamen Kollektivstimmung hervorgegangen seien. Böcklin braucht von Condillac und Saint-Hilaire, braucht von Darwin und Comte nie gehört zu haben; in seinem grenzenlos prangenden Phantasiereich scheint er uns von dem festen Boden der Positivsten recht weit entfernt. Und doch hat der unsichtbare, geheimnisvolle Chor, von dem die alten Dichter flüsterten, der brausende Chor der einer Zeit die Stimmung gebenden Mächte auch in sein Ohr verwehte Töne gesandt. Als sein gestaltender Sinn sich in Manneskraft regte, war diese Stimmung nicht mehr fromm, nicht mehr anthropocentrisch. Das merkt man; diese Bilder konnten nur im neunzehnten Jahrhundert gemalt werden, in einer Zeit naturalistischer Weltauffassung und einer entwickelten Technik, von der Böcklins Höhensehnsucht die Lösung des Flugproblems hoffte. Auch Tizian, den er so innig verehrte, fand für Magdalena und Laurentius keinen christlichen Ton; er war zu stark, zu sehr herrenmoralischer principe, um dem den Schwachen gepredigten Evangelium mit der gehörigen Andacht lauschen zu können. Das nazarenische ersetzte er durch das hellenische Ideal und auf seiner Leinwand wurde die Griechheit wieder »Maß, Adel, Klarheit«, wie später es Schiller verlangte. Mit solchem Notbehelf hätte Böcklin sich nicht begnügt. Er hatte aus vollen Bechern hellenische Schönheit geschlürft, das große Lebensfest im Tempel der amathusischen Göttin mitgefeiert, aber er war kein Grieche geworden, sondern ein Kind der modernen Welt geblieben, die sich ohne überirdische Vermittler ihres Daseins Ursprung zu erklären sucht. In dieser Welt schien er ein hoher Fremdling und war doch, auch er, ihr Sohn. Seine Muse ist keine griechische, seine Maria keine christliche Gestalt. Vor dem Bild seiner Pieta fühlen wir den Schmerz der verwaisten Mutter, aber wir glauben nicht, daß diese Mutter einen Gott gebar. Die Fische, denen sein Anton predigt, sind aus dem selben Stoff wie der sich heilig Dünkende gezeugt. Seine Meermädchen gleichen italischen Dirnchen von heute aufs Haar, bis aufs modisch geknüpfte, kunstvoll gekräuselte Haar. Mögen wir seine Geschöpfe mit der Antike entlehnten Namen bezeichnen, weil uns andere fehlen, sie Aphrodite, Pan, Nereiden, Tritonen nennen: mit der versunkenen Welt der olympischen Götter haben sie nur das unvergänglicher Natur Entstammte noch gemein. Der Künstler, der Jahrzehnte lang die Flugmaschine besann, war kein Ikarus, doch auch kein frommer Christ, dem alles Leben in der Zeitlichkeit nur die Läuterung zu reineren Daseinsformen bedeuten soll und der schon deshalb so dreisten Strebens sich niemals vermessen dürfte. Über Den hatte nicht Pästum, nicht Golgatha Gewalt, kein Phöbus und kein Galiläer. Der sang einem anderen Herrn.

Er hat ihn uns gezeigt; in Wolken, wie seit Jahrtausenden jeder Prophet seinen Gott. Ein Gebirge, das dem Menschenblick unersteigbar scheint. Auf halber Höhe des Riesenrückens ein Olivenwald, dessen silbernes Laub wie zerfetzt ist von der Peitsche des Sturms. Weiter oben hört die Bewaldung auf; nur nackter Felsstein noch, starrer Fels und rissige Wolken, die des Windes Wut vor sich her jagt. Und ganz oben, auf der höchsten Spitze des bräunlichen Steins, hart unter dem schweren Goldrahmen, ein gefesselter Leib. Wolken ziehen über ihn hin. Wasserbäche stürzen unter ihm herab, stürzen vom Fels ins purpurne Meer, das mit weißem Gischt das Inselgebirge umtobt. Will die Brandung hinauf, den Gefangenen von der Felsspitze spülen und, wenn über dem Stein sich der Strudel geschlossen hat, bei Sturmgeheul die Wiedervermählung der seit Aeonen geschiedenen Elemente feiern? Liegt da oben Odins Sohn in des Winters unbarmherziger Haft? Doch Baldur denken wir zarter, lenzlicher. Der auf dem Bergrücken gleicht eher einem Herakles. Wie hünenhaft muß er sein, da er auf solcher Höhe noch so gewaltig wirkt! Es ist, als drückte die Wucht seines Leibes die Felsmassen auf den Meeresspiegel herab, als wäre für solcher Gigantenglieder Klaftermaß selbst auf dieses Bergrückens Breite kein Raum. Wenn der Mann aufstünde und sich zum Kampf stellte: Der wäre stärker als der Sturm, als die Flut, als der Fels. Doch er kann nicht aufstehen. Hand und Fuß ist ihm gefesselt und er sieht wehrlos, willenlos, in stummer Ohnmacht dem wilden Spiel der Naturgewalten zu... Der Meister, der seiner Kunst Kinder nicht selbst taufen mochte, ließ dieses Prometheus nennen. Name ist Schall und Rauch. An die aischyleische Welt darf man nicht denken, eher an den entfesselten Lichtbringer Shelleys, des Herrlichen, der einem Menschen nicht besseren Nachruhm wußte als das Wort: He was made one with nature. Das ists. Der da oben liegt und dem Gedröhn der Brandung lauscht, ist der ewig allmächtigen Natur natürliches Kind, ein Teil ihrer Kraft, wie die Woge, der Fels, der wolkige Dunst, am Ölbaum das welkende Blatt. Keinem Götterherd stahl er das Feuer und aus seiner Leber hackt sich kein Himmelsvogel das Mahl. Im großen Strom des Lebens hat er mit den Elementen gekämpft, hat für eine Weile sie in seinen Dienst gezwungen und ward von ihnen dann wieder entthront. Nun liegt er in Ketten auf rauhem Stein, lernt, der dem Herrn spielen wollte, sich wieder als dienenden Teil fühlen, lernt des Willens Unfreiheit und die Grenzen der Menschheit empfinden und Wind und Welle donnert ihm zu, wie so oft den von der Hybris Besessenen: Bis hierher durftest Du gehen und niemals weiter! Hier ist Deiner Menschheit Grenze!

Was vermöchte des Adlers scharfer Schnabel gegen die demütigende Qual solcher Erkenntnis?


Für Böcklin war sie keine Qual. Er hat sich selbst einmal gemalt, wie er dem Scheidelied lauscht, das grinsend der Tod ihm geigt. Also auch einen Menschen, der auf der Mittagshöhe des Lebens an der Menschheit Grenzen gemahnt wird. Ruhig, fast heiter sinnend, horcht er der fremden Weise; und wenn der Knochenmann ausgefiedelt hat, wird der Künstler sagen: »Sterben? Ja; ich weiß. Sterben müssen wir, wie im Spätherbst das fallende Blatt, wie der Leu und das Lamm, wie Alles, was kreucht und fleucht, wächst und im Erdschoß wird. Habe mich nie besser gedünkt als anderes Bodengewächs, mich nie für ein Krönlein der Schöpfung gehalten. Laß mich ungestört malen! Und wenns so weit ist: ohne Schlottern will ich Dir folgen. Ein Teil des Teils, der wir waren, bleibt zurück, als Dünger zu neuer Ernte.« Noch andere Bilder treten in leuchtenden Farben hervor. Ein Meermann schlägt die Harfe. Ein fetter, häßlicher Gesell; aber in seinem geräumigen Auge ist echte Andacht. Ein Mädchen, halb Jungfrau, halb Fisch, guckt, um dem Saitenspiel der Finger zu folgen, über des Dicken Schulter und singt aus vollem Hals. Auch drei andere Mädchen singen, mit besonderer Inbrunst eine reifere Schöne, die auf dem Rücken liegt und sich wohlig am Hängewanst des Harfners reibt, und hinten plärren ein paar scheusälige Kerle im Chorus mit. Oder: Aus einem weißen Strandschloß naht ein Zug. Schimmelreiter in roten Röcken. Die Pferde traben durch tiefes, hellgrünes Gras; wohin? Aus den goldenen Trompeten der Reiter steigt schmetternd ein Lied in die Luft; wem zur Lust, wem zur Ehre? Und wem huldigt, auf einem anderen Bild, während ein mit weißen Rosen bekränzter Zentaur die schönste Frau durch die Flut trägt, das Lied der lächelnden Najaden? Wem singt all dies fremde Volk? Es scheint nicht unsterblich. Aber es lebt, freut sich der schwellenden Fülle der mütterlichen Natur und preist in heiteren und doch frommen Chorälen frohen Behagens voll des Alls Herrlichkeit... Ruskin unterschied zwei Pfade zur Kunst; den einen, meinte er, wählen die Künstler, die eine Wahrheit verkünden wollen, auf dem anderen wird die feine Linie, der tönende Reiz der Farbe gesucht. Böcklin hat gelehrt, daß die beiden Pfade nur eine papierne Wand trennt. Wie oft mag ein Farbenreiz, eine athmosphärische Vision ihn angeregt haben! Und doch hat auch er, gerade er, eine Wahrheit verkündet. Er fand die Himmel leer, den alten Glauben verbraucht, die Natur, wie eine feindliche, des Bändigers spottende Bestie vom Menschenneid gehaßt, vom Menschenhochmut verachtet. Und dabei ein dumpfes Raunen ringsum, ein geschäftiges Wispern aus der Wochenstube, wo eben eine neue Weltanschauung sich dem Leib Europens entband. Er wurde ein Schöpfer; ihm gelang, was Goethe von seinem Helden vollendet wünschte: die Vermählung germanischer mit hellenischer Kultur. Nicht morsche Trümmer einer entschwundenen Zeit grub er aus dem Schutt. Auch die Alten hatten ihre mystischen Vorstellungen nicht fertig von Philologen und Antiquaren bezogen. Auch ihre Phantasie ward durch das Mühen des Menschen befruchtet, des eigenen Wesens Art und die dunkle Rätselwelt sich selbst zu erklären. Wenn dieser Vorgang sich in eines Modernen Seele wiederholt, ist die Geburt eines neuen Glaubens gewiß; und ist diese Seele eines starken Künstlers, so zwingt sie den Betrachter in ihren Bann. Der steht nun und staunt. Das ist nicht Hellas. Das Weib, das die schillernden Lachsschenkel auf der Klippe spreizt, ist nicht Horazens mulier formosa superne. Hier waltet eine neue Morphologie, die den Professorenzorn Dubois-Reymonds erregen mußte. Hier singen, jauchzen, trauern, kosen die Elemente. Und in allen ist, was wir anmaßend Menschlichkeit nennen, und in allen Menschen ist von den Elementen ein Teil. Wie nah der Mensch dem Tier verwandt ist, sehen wir hier, denken an Ibsens über die Kraft hinausstrebenden Bildhauer, der auch Arnold hieß und den Menschen Tierköpfe meißelte, und lernen ahnen, wie in Jahrmillionen mählicher Entwickelung die Gattung homo sapiens entstand und nach ihrem Ebenbilde den ringsum geheimnisvoll webenden Kräften Gestalten gab. Das ist nicht Hellas. Dieses Wasser fließt nicht im Bett des Peneios, der Pferdemensch mit dem blanken Falbenrücken und dem Kranz weißer Rosen im Greisenhaar heißt nicht Chiron, in diesen Heiligen Hainen wird nicht der Pallas Athene geopfert. Der diese Wunder schuf, stand frei auf eigenem Grund, kannte keinen Donnerer Zeus, fragte nicht in Delphi um Rat. Der gab uns die Bilderbibel einer natürlichen Schöpfungsgeschichte. Und er blieb heiter, in rastlosem Schaffen. Aller Modernen Seelen verdüsterten sich, suchten ein neues Ideal, einen beglückenden Mythos, und fanden nichts als tote Theorie, die des Lebens goldenen Baum ihnen hinter Folianten verbarg. Arnold Böcklin rettete den festlichen Schwung der hellenischen Lebensauffassung in die entgötterte Welt. Er ließ sich seine Zirkel nicht stören und blieb, ob draußen die Sonne schien oder der Sturm um die Heimatberge brüllte, sich selbst getreu. Ariosto war des Belesenen Liebling. Den geleitete er zu Orlando und Angelika, dem folgte er gern auf stille Inseln, in einsame Täler, zu anmutig natürlicher, gar nicht zimperlicher Sinnenfreude und nie verblühendem Scherz. Und schön fügt es sich, daß besser noch als auf den Schützling Ferraras auf seinen basler Bewunderer paßt, was Goethes Antonio am Werk Ariostens rühmt, dessen Stirn er mit bunten Blumen von Leonore geschmückt sieht:

Wie die Natur die innig reiche Brust
Mit einem grünen, bunten Kleide deckt,
So hüllt er Alles, was den Menschen nur
Ehrwürdig, liebenswürdig machen kann,
Ins blühende Gewand der Fabel ein.
Von seltenem Geflügel ist die Luft,
Von fremden Heerden Wies' und Busch erfüllt;
Die Schalkheit lauscht im Grünen halb versteckt,
Die Weisheit läßt von einer goldnen Wolke
Von Zeit zu Zeit erhabne Sprüche tönen,
Indeß auf wohlgestimmter Laute wild
Der Wahnsinn hin und her zu wühlen scheint
Und doch im schönsten Takt sich mäßig hält.

Als Ariost dem Kardinal d'Este, seinem Brotherrn und Gönner, das Epos vom Rasenden Roland vorgelesen hatte, fand der banausische Prälat nur die Frage: »Mein guter Ludwig, woher hast Du nur all diese Possen und Zotengeschichten?« Wie oft hat auch der Dichter Böcklin, der vates, solche Frage gehört! Und sein Brotherr, sein Richter war nicht ein Maecen, sondern des Publikums Majestät.


Jetzt wird er bewundert. Als der Ferge den Kahn, der den toten Leib an den Strand der Zypresseninsel trug, vom Ufer abstieß, liefen die Leute zusammen. Es gab kein Getöse, wie wenn ein Großer der Erde stirbt, ein gekrönter Tragoede oder eine alte Frau, die der Menschheit nichts war als ein Name und ein Purpurfleck am Horizont. Gerade die feinsten Köpfe aber durchzuckte schmerzend der Gedanke: Uns ging ein Erlöser aus Alltagsjammer und Lebensekel. Und heute schon darf man vorausagen, daß Böcklin ein homerisches Schicksal beschieden sein wird. Ja, werden im vierten Jahrtausend die historisch Gebildeten sprechen, da war Einer, der allerlei wunderliche Visionen malte, ein Pangläubiger und Pantheist, der hoffte, die Menschheit werde bald in die Himmelshöhe den Flug wagen können, und ihrem Sehnen das Werkzeug suchte. Erst höhnten, dann vergötterten sie ihn. Und nun wird ihm diese Fülle der Gesichte zugeschrieben, ihm allein, wie die ganze Griechenmythologie einst dem blinden Homer. Welche Torheit! Ein Mensch, und sei er der mächtigste Lyriker aller Tage gewesen, hätte diesen Kosmos kunstvoll gefügt? So das Meer, den Wald, finstere Schluchten und helle Täler gesehen, von Lichthelden und Ungeheuern, von Engeln und Drachen geträumt, so in Göttern, Menschen und Tieren die Spur eines Ursprungs gewiesen, für alle Zeiten so gezeigt, wie das Leben sich und wie die Legende entwickelt, höher hinauf oder tiefer herab, je nach dem Stand des Betrachters? Nein: dieses All kann kein Einzelner, kann nur der Genius einer ganzen Epoche geschaffen haben ... Wie das Wasservolk solcher Rede lachen wird! Menschenleiber zerfallen, Menschennamen verweht der Wind. Ein Teil des Teils aber, der wir waren, bleibt auf der Erde zurück und düngt zu neuer Ernte die Flur.


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