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»So hat er sie also doch noch getroffen?« fragte die Duchessa.
»Ja, schließlich ist er noch mit ihr zusammengekommen,« erwiderte Peter.
Sie saßen unter der weißen Markise auf der Terrasse, wo Peter seinen Verdauungsbesuch machte, und blickten auf die herrliche Aussicht, die Rasenflächen, See und Berge ihnen boten. Der heiße, stille, schöne Augusttag erschien wie aus Gold und Samt und Wohlgerüchen zusammengesponnen. Die Duchessa lag lässig in die Kissen ihres bequemen, niederen Sessels zurückgelehnt, und Peter sagte sich, indem er sie betrachtete, er müsse vorsichtig sein, sehr vorsichtig.
»Ja, schließlich ist er mit ihr zusammengetroffen,« wiederholte, er.
»Nun –? Und dann –?« fragte sie, ihm mit lebhafter Anteilnahme in die Augen lächelnd. »Was geschah dann –? Entsprach sie seinen Voraussetzungen? Oder erlebte er die gewöhnliche Enttäuschung? Ich habe danach geschmachtet, wirklich geschmachtet, die Fortsetzung der Geschichte zu hören!«
Wieder lächelte sie ihm in die Augen, und sein Herz zitterte.
»Ich muß vorsichtig sein,« ermahnte er sich innerlich, »denn dieser Augenblick ist in mehr als einer Beziehung kritisch!« Dabei mußte er, gerade um der nötigen Vorsicht willen, völlig gleichgültig und offen scheinen.
»O nein – tutt' altro,« sagte er mit gemachter Gleichgültigkeit und ehrlichem Eifer; »sie übertraf seine kühnsten Erwartungen. Sie war noch tausendmal entzückender, als er sich geträumt hatte, obgleich, wie Durchlaucht wissen, seine Träume und Erwartungen sehr hoch gespannt waren. Es erwies sich, daß Pauline de Fleuvières nur der matteste, schwächste Abglanz von ihr war.«
Die Duchessa überlegte einen Augenblick, dann sagte sie: »Das scheint unmöglich! Es war dies doch eine Situation, wo eine Enttäuschung mit Naturnotwendigkeit erfolgen mußte.«
»So scheint es in der Tat, aber da war von einer Enttäuschung nicht die Rede. Sie entsprach nicht nur dem Ideal seiner Träume, sondern übertraf dieses noch bei weitem. Sie war das Wesen – er hatte den Schein geschildert. Von einem Gesichtspunkt, von einem Sehwinkel aus hatte er sie richtig erfaßt, aber es gab eben mehrere Sehwinkel für sie. Pauline war nur ein schwaches, einseitiges Spiegelbild von ihr – eine Bleistiftskizze im Profil genommen.«
Die Duchessa schüttelte wiederum lächelnd den Kopf.
»Sie setzen mich in Erstaunen!« sagte sie. »Daß das Ideal eines Dichters durch die Wirklichkeit übertroffen werden soll! Daß in Nebel gehüllte, aus der Ferne prächtig erscheinende Türme bei näherer Besichtigung noch großartiger scheinen sollen, als aus der alles verklärenden Ferne! Das widerspricht allen Erfahrungsgrundsätzen, aller Theorie! Und daß eine Frau hübscher sein soll, als die entzückende Pauline! Sie muten dem Glauben zu viel zu! Aber ich möchte wissen, was geschah! Hat sie sein Buch gelesen?«
»Nichts ist geschehen,« sagte Peter. »Ich habe Durchlaucht ja im voraus gesagt, daß es ein Drama ohne Handlung ist. In Wildmays tiefstem Innern hat sich allerdings viel ereignet, äußerlich aber nichts. Sie haben miteinander geplaudert – einander die Tageszeiten geboten wie oberflächliche Bekannte. Nein, anfangs kannte sie sein Buch nicht, aber später, viel später hat sie es doch gelesen.«
»Und hat es ihr gefallen?«
»Ja – es hat ihr gefallen.«
»Nun –? Aber dann –?« drängte die Duchessa. »Und als sie erfuhr, welchen Anteil sie an seiner Entstehung hatte? War sie nicht ganz überwältigt? War sie nicht aufs tiefste interessiert – überrascht – ergriffen?«
Mit leicht geöffneten Lippen, zwischen denen Peter ihre kleinen weißen Zähne schimmern sah, und mit leuchtenden Augen beugte sie sich begierig vor. Sein Herz zitterte abermals. »Ich muß vorsichtig sein, sehr vorsichtig,« ermahnte er sich wieder und brachte es dann auch dank einer heroischen Willensanstrengung fertig, gelassen zu sagen: »O, das hat sie nie erfahren.«
»Was!« rief die Duchessa mit enttäuschtem Gesicht und verständnislosem Blick. »Wollen Sie – wollen Sie behaupten, daß er es ihr nicht gesagt habe?«
Widerwille, das ihr so unwahrscheinlich Dünkende zu glauben, und ein ernster Vorwurf klang aus dem Ton ihrer Stimme. Peter mußte sich von neuem zusammennehmen.
»Wie wäre er denn dazu gekommen, es ihr zu sagen?« fragte er.
Nun sah sie ihn vorwurfsvoll und verwundert an.
»Wie hat er es fertig gebracht, es ihr nicht zu sagen?« rief sie. »Es war doch – es war doch das Hauptbindeglied zwischen den beiden! Es war etwas, das sie ganz nahe anging, etwas, das eng mit ihrem eigenen Geschick verflochten war. Es was ihr Recht, ihr gutes Recht, es zu erfahren! Wollen Sie in allem Ernst behaupten, er habe es ihr nicht gesagt? Aber warum hat er es ihr nicht gesagt? Was in aller Welt kann ihn dazu bestimmt haben?«
Ihre Stimme bebte. »Ich muß ganz unbefangen und offen scheinen,« ermahnte sich Peter.
»Ich vermute, daß das Gefühl, sich ihr gegenüber etwas herausgenommen zu haben, das Bewußtsein dessen, was man als Dreistigkeit bezeichnen könnte, ihn zu seinem Verhalten bestimmt hat,« erklärte Peter. »Wenn es nicht schon eine Unverschämtheit war, daß er seine Ansicht von ihr in einem Roman veröffentlicht und damit jedem dummen Schwätzer die Möglichkeit geboten hat, an ihr herum zu kritteln, so wäre es jedenfalls eine Unverschämtheit geworden in dem Augenblick, wo er es ihr mitgeteilt hätte. Dadurch würde er sie zu einer Art unfreiwilligen particeps criminis gemacht haben.«
»Ach, ach, was für ein törichter Mann!« seufzte die Duchessa mit bedauerndem Kopfschütteln. »Dieses törichte, übermachte britische Selbstgefühl! Diese echt britische Unfähigkeit, die Dinge auch einmal vom Standpunkt eines andern Menschen aus aufzufassen, sich in eines andern Menschen Empfindungen hineinzudenken! Konnte, mußte er nicht von ihrem Standpunkt aus, von dem eines jeden andern Menschen aus einsehen, daß es ihr Recht, ihr gutes Recht war, es zu erfahren, daß sie von der Sache so tief berührt wurde wie er? Da sie ihn beeinflußt, sozusagen an der Gestaltung seines Lebens, an der Entwicklung seiner Kunst beteiligt war, mußte er doch begreifen, daß es ihr Recht war, alles zu erfahren. Konnte er denn nicht einsehen, daß seine Dreistigkeit – seine wirkliche Dreistigkeit darin liegt, daß er es wagte, ihr ein so wichtiges Kapitel ihrer eigenen Lebensgeschicke vorzuenthalten? O, er hätte es ihr sagen müssen – er hätte es ihr sagen müssen!«
Mit bedauerndem Blick und bedauerndem Kopfschütteln lehnte sie sich in ihren Sessel zurück und schaute sinnend auf die in goldenem Schimmer schwimmende Landschaft.
Peter sah sie einen Augenblick an, gab aber dann vorsichtshalber seinen Blicken eine andere Richtung.
»Es sind aber auch noch andere Punkte in Betracht zu ziehen,« sagte er.
Die Duchessa schlug die Augen auf und fragte ernst: »Und die wären –?«
»Wäre diese Mitteilung nicht einer Liebeserklärung gleichgekommen?« entgegnete er, indem er den Siegelring am kleinen Finger seiner linken Hand einer eingehenden Betrachtung unterzog.
»Eine Liebeserklärung?« wiederholte sie nachdenklich. »Ja, ich glaube, das wäre es gewesen,« gab sie dann zu. »Aber wenn auch? Warum hätte er ihr nicht eine Liebeserklärung machen sollen? Er liebte sie ja doch – oder nicht?« Und der ehrlich fragende Ausdruck in ihrem Auge bewies mit grausamer Deutlichkeit, wie unpersönlich, wie völlig unbefangen ihre Anteilnahme war.
»Grenzenlos,« antwortete Peter. Vorsichtshalber hafteten seine Blicke noch immer auf den in goldenem Dunst schwimmenden Gipfeln des Monte Sfiorito. »Natürlich hat er sie in gewissem Sinn von Anfang an geliebt. Aber nachdem er sie kennen gelernt hatte, verliebte er sich aufs neue und in andrer Weise in sie. Zuerst hatten seine Seele, seine Einbildungskraft sie geliebt, nun aber liebte er, der Mann, sie, das Weib, so leidenschaftlich, so heiß, als nur ein Sterblicher lieben kann. Und trotzdem liegen Umstände vor, die es ihm unmöglich machen, es ihr zu sagen.«
»Was sind dies für Umstände?« forschte sie, immer mit dem nämlichen unpersönlichen Interesse. »Wollen Sie vielleicht damit sagen, daß sie verheiratet war?«
»Nein, das nicht! Dem Himmel sei's gedankt – sie ist Witwe,« versicherte er mit einem großen Aufwand von Energie.
Die Duchessa lachte lustig.
»Alle Hochachtung vor Ihrer Pietät!«
Nun erst kam Peter die ganze Tragweite seines gottlosen Stoßseufzers zum Bewußtsein, und verlegen stimmte er in ihr Gelächter mit ein.
»Aber dann?« fuhr sie fort. »Was für ein Hindernis konnte es sonst noch geben? Dem Himmel sei's gedankt – war sie also Witwe! Welche andern Umstände konnten dann seine Zunge noch binden?«
»O,« erwiderte er mit einem gewissen peinlichen Gefühl, »eine ganze Menge andrer Umstände. Zwischen ihnen lag jede herkömmliche Schranke, wie sie die Gesellschaft errichtet hat. Vor allen Dingen ist sie eine furchtbar große Dame.«
»Eine furchtbar große Dame?« wiederholte die Duchessa mit emporgezogenen Brauen.
»Ja,« bestätigte Peter, »sie steht in schwindelnder Höhe über ihm; sie wandelt einsam und allein auf jenen Höhen der Gesellschaft, die für den Fuß eines gewöhnlichen Sterblichen nicht zu erklimmen sind.« Und er versuchte zu lächeln.
»Wie kann dies in Betracht kommen?« warf die Duchessa ein. »Mr. Wildmay ist doch ein Mann von guter Herkunft und Erziehung.«
»Wie wollen Durchlaucht dies wissen?« fragte Peter in der Hoffnung, der Unterhaltung eine andre Wendung zu geben.
»Aber natürlich ist er dies – muß dies sein. Nur ein wirklich vornehmer, gebildeter Mann konnte solche Erfahrungen sammeln und ein solches Buch schreiben. Außerdem ist er Ihr Freund – also muß er ein Gentleman sein,« gab die gewandte Duchessa zurück.
»Aber es gibt verschiedene Grade von Vornehmheit, glaube ich,« wandte Peter ein. »Sie steht auf der höchsten Sprosse der gesellschaftlichen Stufenleiter. Und er – nun, er kannte jedenfalls den Platz, der ihm zukam. Er hatte zuviel Augenmaß, zuviel Ehrgefühl, als daß er es gewagt hätte, ihr seine Hand anzubieten.«
»Ein Gentleman kann seine Hand jeder Dame anbieten, mit Ausnahme einer Prinzessin von Geblüt,« erklärte die Duchessa.
»Gewiß, er kann es – aber er kann auch mit verbindlichem Dank zurückgewiesen werden. – Doch es war nicht ausschließlich ihr Rang. Sie war außerdem auch noch furchtbar reich – so schrecklich reich! Und dann – und dann – es gab und gibt auch sonst noch eine ganze Unzahl Hindernisse. Aber ich glaube, das hauptsächlichste war Wildmays Angst, durch ein Geständnis für immer aus ihrer Nähe verbannt zu werden – und dies wünschte er natürlich vor allem zu vermeiden.«
»Kleingläubiges Herz!« sagte die Duchessa. »Er hätte es ihr sagen müssen! Der Fall liegt so eigenartig, so ganz besonders. Nach althergebrachten Regeln und Grundsätzen läßt er sich gar nicht entscheiden. Und woher will er denn wissen, daß sie die gesellschaftlichen Schranken, wie Sie es nennen, nicht mißachtet und überstiegen hätte? Jeder Mann bekommt das Weib, das er verdient – und gewiß hat er viel getan, um sie zu verdienen. Sie hätte nicht ganz gleichgültig gegen ihn bleiben können, wenn er gesprochen hätte. Ganz gleichgültig gegen den Mann, der nach ihrer flüchtigen Erscheinung diese herrliche Pauline geschaffen hat! Für eine solche Huldigung bleibt kein Weib unzugänglich! Und ich behaupte nach wie vor, daß es ihr Recht war, alles zu erfahren. Er mußte ihr ganz einfach die Entstehungsgeschichte seines Buches und den Anteil, den sie daran hat, erzählen. Das Übrige hätte sie sich selbst gesagt, und das Wort Liebe brauchte er gar nicht in den Mund zu nehmen.«
»Nun, es ist ja nicht immer zu spät, etwas Versäumtes nachzuholen, und vielleicht sagt er es ihr doch noch eines Tages.« Und zwei Stimmen bekämpften sich in seiner Brust. »Sag es ihr – sag es ihr! Sag es ihr jetzt auf der Stelle – schmiede das Eisen, so lange es heiß ist,« drängte die eine Stimme, die andre aber warnte: »Nein – nein – nein – tu es nicht! Sie interessiert sich für den Fall nur ganz akademisch und ist himmelweit davon entfernt, zu denken, daß du der Mann bist – himmelweit davon entfernt zu denken, daß sie das Weib ist. Hätte sie auch nur die entfernteste Ahnung davon, dann würde es nach einer andern Melodie gehen. Nur vorsichtig sein – vorsichtig!«
Er betrachtete sie, wie sie so frisch und lebenswarm und strahlend, so nahe, so nahe bei ihm in ihren Sessel zurückgelehnt saß – er betrachtete ihre feurigen Augen, ihre purpurnen Lippen, ihre rosige Haut, die zarten blauen Äderchen, die auf der Stirne hervortraten, die im Schoß gefalteten schönen weißen Hände und die fließenden Linien der anmutigen und doch so kraftvollen Gestalt. Und ringsum als eine zu ihr gehörige Umrahmung das goldene Augustwetter, die goldene Augustwelt – der grüne Park, der helle Sonnenschein, die weiche, ruhige Luft, der blaue See und der blaue Himmel, die in tiefblauenden Schatten getauchten Berge, die lange Marmorterrasse, die schimmernde Marmorfassade des Hauses, die von Jasmin umrankte Marmorbalustrade. Es war ein schönes Bild, und doch fehlte etwas daran – und das was fehlte, pochte laut in seinem Herzen, und er verlangte danach, es ihr zu sagen, aber er wagte es nicht – er überlegte – er zögerte ...
Und während er zögerte und schwankte, vernahm man das Getrappel von Pferdehufen und das Knirschen von Wagenrädern auf dem Kies, und somit war die Situation gerettet oder die Gelegenheit verloren – wie man es nehmen will. Im nächsten Augenblick erschien ein Diener auf der Terrasse und meldete Mrs. O'Donavan Florence.
Kurz nach der Ankunft der Dame verabschiedete sich Peter.