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I.
Ein Bogenfenster entschied einst die Wahl meines Hauses und glich viele von dessen Unbequemlichkeiten aus. Wenn der Kamin rauchte oder die Thüren abwechselnd einschrumpften und schwollen, jedem gewaltsamen Versuche, sie zu öffnen, widerstanden oder sich wie von Geisterhand aufgeschlossen selbst öffneten, oder wenn sich bei regnerischem Wetter an der Decke verdächtige Flecken zeigten, so war immer das Bogenfenster da, an das ich mich um Trost wenden konnte. Und die Aussicht war eine schöne. Alcatraz, Time Point, Fort Point und Saucelito waren deutlich zu sehen über einer rastlosen Wasserfläche, die sich fortwährend veränderte, bald in dem Sonnenschein glitzerte, bald im Schatten von Felsen dunkel wurde, bald in tänzelnden Wellen auf einen kleinen Strand unter denselben zufegte.
Obwohl zuerst angenommen wurde, daß das Bogenfenster mir und meinen Schreibmaterialien geweiht sei, so wurde es doch, gehorsam einem organischen Gesetze, allmählig ein Ort für alle, welche Muße hatten. Eines Tages fanden ein Schaukelstuhl und ein Häkelkorb ihren Weg dahin. Dann überfiel das Kleine seine Nische und befestigte sich hinter Schanzen von farbiger Stickwolle und Spulen von Baumwolle, aus denen es nur durch einen verabredeten Sturm vertrieben und unter Klagerufen in die Gefangenschaft abgeführt wurde. Ein feiner Zauber überschlich alle, die in den Kreis seines Einflusses geriethen. Sich dort ernstlich an eine Arbeit zu machen, war eine Abgeschmacktheit. Ein hereinkommendes Schiff, ein Sonnenblick auf dem Wasser, eine Wolke, die sich um Tamalpais verzog, reichten hin, die Aufmerksamkeit abzulenken. Mochte man lesen oder schreiben, das Bogenfenster zeigte immer etwas, nach dem man hinsehen mußte. Unglücklicherweise waren diese Aussichten nicht immer angenehm, aber das Fenster gab allen ohne Rücksicht auf ihre Qualität gleiche Bedeutung und Wichtigkeit.
Die Landschaft in der Umgebung war noch unbebaut, aber nicht ländlich. Die benachbarten Baustellen hatten es offenbar eben erst aufgegeben, Eichengestrüpp zu tragen, sich aber noch nicht ernstlich zu Ziegel und Mörtel bequemt. In einer Richtung wurde die Aussicht durch die »Heimath der Trunkenbolde« geschlossen, die an sich kein heiter aussehendes Gebäude war und als der offenbare Endpunkt eines Ganges in einer bestimmten Richtung alle Wirkung einer moralischen Lection hatte. Bis zu einer gewissen Ausdehnung indeß war dieses Gebäude eine Täuschung. Die enthusiastischen Glieder meiner Familie, welche zuversichtlich seine Insassen zu sehen erwarteten, wie sie sich vergnügt an den Fenstern in den verschiedenen uns vom seligen W. E. Burton geschilderten Stadien der Betrunkenheit zeigten, wurden stark enttäuscht. Die Heimath verhielt sich schweigend. Das Grafschafts-Hospital, ebenfalls vom Bogenfenster zu sehen, zeigte viel mehr Leben. Zu gewissen Stunden des Tages passirten in der Genesung Begriffne auf ihrem Wege zur Erholung in freier Luft vor dem Fenster die Revue. Dieses Schauspiel war um so niederschlagender, als unter ihnen ein eigenthümlicher Mangel an Geselligkeit zu herrschen schien. Jedermann war von der undurchdringlichen Atmosphäre seines eignen besondern Leidens umgeben. Sie sprachen und gingen nicht mit einander. Aus dem Fenster habe ich gesehen, wie sich ein halb Dutzend von ihnen an einer Mauer nur ein paar Schritte von einander sonnten und allem Anschein nach diese Thatsache ganz und gar vergessen hatten. Hätten sie sich wenigstens gezankt oder geprügelt – Alles würde besser gewesen sein als diese entsetzliche Theilnahmlosigkeit.
Das untere Ende der Straße, auf welche das Bogenfenster hinausging, öffnete sich einladend vor einer volkreichen Straße und endete, nachdem es dem unbehutsamen Fremden in seine Tiefen gewinkt, unverhofft vor einem fürchterlichen Abgrunde. An Sonntagen, wenn viel nach dem Nordufer gewandert wurde, erfreute sich das Bogenfenster an dem Schauspiele, das unglückliche Fußgänger gewährten, die sich verführen ließen, diese Straße als einen näheren Weg einzuschlagen. Es war ergötzlich, zu bemerken, wie diese Leute unabänderlich, wenn sie an den Abgrund kamen, einen Blick nach dem Bogenfenster hinaufthaten und, bevor sie ihre Schritte zurücklenkten, sich bemühten, eine unbekümmerte Miene anzunehmen, wozu sie prahlend pfiffen, als ob sie die ganze Geschichte schon vorher gewußt hätten. Namentlich stieg ein stolzer junger Mann, der dazu durch ein Paar heller Augen in einem gegenüberliegenden Fenster verlockt worden war, lieber mit größter Gefahr für sein Leben und seine gesunden Gliedmaßen und offenkundiger Beschädigung seiner Sonntagskleider diesen furchtbaren Abhang hinab, als daß er umkehrte.
Hunde, Ziegen und Pferde bildeten die Fauna unsrer Nachbarschaft. Obwohl im Besitz der gesetzlosen Freiheit ihres Normalzustandes, zeigten sie doch eine zärtliche Anhänglichkeit an den Menschen und seine Wohnplätze. Feurige Rosse stellten Stegreif-Wettrennen auf den Bürgersteigen an und machten die Straße zu einem Miniatur-Corso; Hunde kämpften in den Vorplätzen vor den Häusern mit einander, während von dem Hügel neben dem Hause eine Ziege friedlich die Geranien meiner Frau, in den Blumentöpfen des zweiten Stocks, abweidete. »Wir hatten ein schönes Hagelwetter letzte Nacht,« bemerkte ein neu angekommner Nachbar, der eben in das anstoßende Haus gezogen war. Es würde ein Elend gewesen sein, ihm auf die Sprünge zu helfen, da er ganz entzückt über die Aussicht und die allgemeinen gesundheitlichen Eigenschaften der Oertlichkeit war. So erzählte ich ihm nichts von den Ziegen, welche die Gewohnheit hatten, sein Haus als Aufsteigestein nach dem benachbarten Hügel zu benutzen.
Aber die Oertlichkeit war merkwürdig gesund. Leute, welche von den Einfassungen fielen, fanden, daß ihre Wunden rasch von der stets wehenden Seeluft heilten. Die Ventilation war vollständig und gründlich. Das Oeffnen des Bogenfensters brachte eine Strömung heilsamer Luft hervor, die alle schädlichen Ausdünstungen entfernte und daneben auch die Vorhänge, die Haspen der Hinterthür und die Fensterläden. Infolge dieser Eigenthümlichkeit gewannen einige meiner Schreibereien eine ausgedehnte Verbreitung und Bekanntschaft in der Nachbarschaft, wie sie Jahre in einer andern Gegend nicht zu Wege gebracht haben würden. Gewisse Kleidungsstücke, welche geheimnißvoll von unsrer Wäschleine auf die eines armen, aber ehrlichen Nachbars versetzt worden waren, waren unzweifelhaft das Werk dieser gesunden Winde. Doch fand ich's trotz dieser Vortheile nach ein paar Monaten passend, auszuziehen. Das Ergebniß hiervon werde ich in einem andern Kapitel mittheilen.
*
II.
» Ein Haus mit einem schönen Garten und ausgedehntem Park in vornehmer Nachbarschaft«, so ungefähr lautete eine Anzeige, die mich einst zur Wahl einer Wohnung bewog. Ich muß hinzufügen, daß dies sich in einem frühen Stadium meiner Erfahrung als Haushalter begab, wo ich mich fest auf Anzeigen verließ. Ich habe seitdem gelernt, daß die meisten wahrhaftigen Leute sich leicht eine kleine Uebertreibung in der Beschreibung ihrer eignen Besitzungen erlauben, wie wenn der bloße Umstand, daß sie zum Druck gelangen, eine Entschuldigung für eine gewisse Lügenhaftigkeit wäre. Aber ich wurde diese Thatsache erst in viel späterer Zeit völlig gewahr, als ich, einer Anzeige folgend, welche eine höchst vortheilhafte Wohnung beschrieb, in das Haus gewiesen wurde, welches ich damals inne hatte, und aus welchem tausend Unbequemlichkeiten mich auszuziehen trieben.
Der »schöne Garten«, von dem die Rede war, war nicht groß, enthielt aber verschiedene eigenthümlich geformte Blumenbeete. Zuerst fiel mir die seltsame Aehnlichkeit auf, die sie mit den Hammelkoteletten hatten, die gewöhnlich in Hotels und Restaurants auf den Tisch kommen – eine Aehnlichkeit, die um so auffälliger wurde, wenn man die Sprossen von Petersilie betrachtete, die sie reichlich hervorbrachten. Ein Beet erinnerte mich insbesondere, nicht eben unangenehm, an einen eigenthümlichen Kuchen, der in meiner Knabenzeit »ein Bolivar« hieß. Der Besitzer des Grundstücks aber, welcher ein Mann von originellen ästhetischen Ideen zu sein schien, hatte eins dieser Beete mit hellfarbigen Seemuscheln eingedämmt, so daß man bei regnerischem Wetter an ein Aquarium denken konnte, und es die Elemente botanischen und conchologischen Studiums in gefälliger Zusammenstellung darbot. Ich bin seitdem auf den Gedanken gekommen, daß die Fisch-Geranien, die es ebenfalls in überraschender Menge trug, ursprünglich infolge einer derartigen Idee von Hierhergehörigkeit eingeführt worden sind. Aber es war sehr angenehm, nach Tische die kiesigen Pfade auf und ab zu wandeln (deren gelegentliche große Steine mich an das trockne Bett eines etwas gewundenen Bachs in den Bergwerken erinnerte), eine Cigarre zu rauchen oder das volle Aroma von Fenchel einzuathmen, oder gelegentlich stehen zu bleiben und eine der Rosenpappeln zu pflücken, die der Garten in Hülle und Fülle aufwies. Die Fruchtbarkeit dieser Pflanze versetzte uns in große Unruhe; denn obwohl meine Frau im ersten Enthusiasmus verschiedene Blumensamen säte, ging doch nie etwas Anderes auf als Rosenpappeln, und obwohl ich, von demselben lobenswerthem Antriebe bewogen, mir ein Exemplar von »Downings Landschaftsgärtnerei« und einiges Gärtnergeräth anschaffte und mehrere Stunden im Garten arbeitete, waren meine Bemühungen ganz ebenso vergeblich.
Der »ausgedehnte Park« bestand aus verschiednen Zwergbäumen. Einer war eine sehr schwächliche junge Trauerweide, so hüftkrank und katzenjämmerlich und so augenscheinlich darauf erpicht, ihren Ruf zu rechtfertigen, daß man sie des Haltes wegen an das Haus anbinden mußte. Die Feuchtigkeit jenes Theils des Hauses wurde gewöhnlich der Gegenwart dieses thränenreichen Strauchs zugeschrieben. Hierzu noch ein paar höchst widerwärtige Bäume, die, wie ich glaube, unter dem Namen »Malva« bekannt sind, und die sich ungebührlich mit Blüthen sehen ließen, welche sie fortwährend abwarfen, und ein paar Zwergeichen mit stachlichen Blättern und einem überhaupt widerborstigen Aussehen, und man hat, was unsre milesische Hausmagd nicht unpassend als »die Besenhaide« bezeichnete.
Auf die Vornehmheit unsrer Nachbarschaft fiel ein Mehlthau von der ungesunden Nähe von Mac Ginnis' Hof. Dieser Hof war eine Art Sackgasse, die den in sie Eindringenden ein primitives Volk entdecken ließ, welches in einem Zustande barbarischer Freiheit dahinlebte und augenscheinlich den größeren Theil seines Lebens auf seinen eignen Thürstufen verbrachte. Viele von jenen Details der Toilette, welche ein beliebtes Vorurtheil in andern Oertlichkeiten auf das Ankleidezimmer beschränkt, wurden hier in dem offnen Hofe ohne Furcht und ohne Tadel vorgenommen. Zu Anfang der Woche war der Hof in einen stickenden, seifigen Nebel gehüllt, der aus unzähligen Waschtrögen aufstieg. Diesem folgte ein oder zwei Tage später eine außerordentliche Ausstellung von Kleidungsstücken verschiedner Farben, die auf Leinen flatterte wie eine Schaustellung von Flaggentuch an Bord eines Schiffes, und deren Flappen im Winde wie unregelmäßige Salven von Musketenfeuer klang. Es war ferner klar, daß der Hof einen demoralisirenden Einfluß auf die ganze Nachbarschaft ausübte. Ein sanguinischer Grundstücksbesitzer setzte einst an die Ecke unsrer Straße ein hübsches Wohnhaus hin und lebte darin; aber obschon er häufig auf seinem Balkon erschien, bekleidet mit einem prächtigen karmoisinrothen Schlafrock, in welchem er wie ein tropischer Vogel von einer seltnen und glänzenden Gattung aussah, gelang es ihm doch nicht, einen verwandten Schlafrock in die Gegend zu locken, und er zog sich nur beleidigende Beinamen von den Gamins des Hofes zu. Er zog bald darauf weg, und als ich eines Tages an dem Hause vorüberging, bemerkte ich einen Zettel mit: »Stuben zu vermiethen nebst Tisch«, der recht auffällig an die korinthischen Säulen des Vorbaus angeheftet war. Mac Ginnis' Hof hatte triumphirt. Ein Austausch von Höflichkeiten fand sofort statt zwischen dem Hofe und dem Höfchen der Dienerschaft in dem palastartigen Bau, und einige der jungen männlichen Aftermiether wechselten mit den heranwachsenden Gliedern des Hofes scherzhafte Reden im Volkston. Von diesem Augenblicke an fühlten wir, daß unsere Ansprüche auf Vornehmheit für immer aufgegeben waren.
Doch erfreuten wir uns an Zwischenzeiten ungemischter Zufriedenheit. Wenn das Zwielicht die harten Umrisse der Eichen abtönte und aus den andern Büschen schattige Gruppen und formlose Massen machte, war es ganz romantisch, am Fenster zu sitzen und den schwachen traurigen Duft des Fenchels an den Gängen drunten einzuathmen. Vielleicht wurde dieses wohlfeile Vergnügen sehr durch ein Bild in meinem Gedächtnisse gesteigert, dessen verblichne Farben der Duft jener bescheidnen Pflanze niemals wieder aufzufrischen verfehlte. So saß ich oft dort des Abends und schloß meine Augen, bis die Tafeln und Bänke einer Dorf-Schulstube mir wiederkamen, duftend vom Weihrauch von Fenchel, der heimlich in mein Pult gesteckt worden war, und blickte wieder in schweigendem Entzücken auf die runden rothen Wangen und die langen schwarzen Flechten jenes unvergleichlichen Geschöpfs, dessen Blicke oft meine Wangen hatten über dem unnatürlich breiten Hemdkragen erglühen lassen, den zu tragen in dieser Periode meiner Knabenzeit mein Stolz und mein Recht war.
Da ich fürchte, daß man mich oft für hyperkritisch und tadelsüchtig in diesen Artikeln halten wird, so bin ich willens, dies als einen der Vorzüge unseres neuen Hauses gelten zu lassen, der in der Anzeige nicht erwähnt wurde und sich in die Miethe nicht einrechnen ließ. Möge der gegenwärtige Inhaber, welcher ein Börsenmakler ist, und der auf mich den Eindruck macht, als wäre er schon in der Wiege mit »Herr« angeredet worden, sich dieses Vorzugs erfreuen und gelegentlich versuchen, sich auch zu erinnern, daß er ein Knabe gewesen ist!
*
III.
Bald nachdem ich ins »Glückliche Thal« gezogen, fiel mir auf, wie merkwürdig unglücklich dieser Titel gewählt ist. Die Californier sind großmüthig im Gebrauch von Adjectiven, dies jedoch fiel in das Gebiet der Ironie. Aber ich war geneigt, es für aufrichtig gemeint zu hatten – für die Leistung eines schwachen, aber übersprudelnden Gemüthes, gerade wie die Benennung von Straßen in der Gegend nach Frauennamen offenbar von jemand herrührte, welcher fortwährend mit »Freundschaftsgaben« und »Liebesspenden« zu thun hat.
Unser Haus auf der Laura-Matilda-Street sah einigermaßen wie eine Schweizerhütte aus – ein Styl der Architektur, der so vorherrschte, daß man es beim Hinuntergehen an dem Häuserviereck schwierig fand, dem Eindruck zu widerstehen, daß es hier nach frischem Leim und Fichtenhobelspähnen riechen müsse. Die wenigen Schattenbäume hätten ursprünglich zu jenen ovalen Weihnachtsschachteln gehört haben können, welche Spielzeugdörfer enthalten, und selbst die Leute, welche an den Fenstern saßen, hatten eine Steifheit, die sie überraschend unwirklich und künstlich erscheinen ließ. Ein kleiner Hund, der einem Nachbar gehörte, war den Mitgliedern meines Haushalts unter dem Namen »Glas« bekannt, da er bei aller Welt die Vermuthung erweckte, daß er aus diesem Stoff gesponnen sei. Vielleicht habe ich diese Beleuchtungen der niedlichen saubern Art unsrer Nachbarschaft etwas übertrieben – einer Niedlichkeit und Sauberkeit, welche immer dahin wirkt, daß die Gegenstände, die sie an sich tragen, klein, zwerghaft und zusammengezogen erscheinen. Denn wir verfielen allmählig in Kleinlichkeiten und Engherzigkeiten und schnitten uns die runde Welt draußen viereckig, so daß sie in die correcten Winkel der Laura-Matilda-Street paßte.
Ein Grund für diese unaufrichtige Eigenschaft kann in der Thatsache gelegen haben, daß schon die Grundlagen unsrer Nachbarschaft künstlicher Natur waren. Die Laura-Matilda-Street war »gemachter Grund und Boden«. Das Land, noch nicht ganz wiedergewonnen, lag fortwährend im Kampfe mit seinem alten Feinde. Wir waren noch nicht lange in unserm neuen Heim, als wir einen ältern Insassen fanden, der seiner Rechte noch nicht ganz verlustig gegangen war, und der sich bisweilen in klebrigem Schweiß an den Wänden des Kellergeschosses zeigte, dessen feuchter Athem unsern Speisesaal mit Frösteln erfüllte, und der in der Nacht eine tödtliche Kälte durch das Haus gehen ließ. Es gab keine Patentschlösser, die ihn uns fern gehalten hätten, keinen Gerichtsbefehl wegen ungesetzlicher Inhaberschaft, der ihn hätte austreiben können. Im Winter war seine Gegenwart ganz greifbar: er untergrub die Wurzeln der Bäume, er gurgelte unter der Küchendiele, er ließ an der Seite der Verandah ein ungesundes Grün hervortreten. Im Sommer wurde er unsichtbar, übte aber iprmer noch den Einfluß eines alten Bekannten auf die Oertlichkeit aus. Er ließ uns im Kreuz kleine Stiche spüren, suchte sich alte schmerzhafte Stellen und schwache Gelenke auf und versetzte den Insassen des Schweizerhäuschens spaßhafte Rippenstöße. Er verlockte kleine Kinder, mit ihm zu spielen, aber seine Spiele endigten gewöhnlich mit Scharlachfieber, häutiger Bräune, Keuchhusten und Masern. Bisweilen verfolgte er starke Männer, bis sie kränkelten und sich zu Bett legten. Aber er hielt die grünen Pflanzen in guter Ordnung und war ein großer Freund von Grün, so daß er es auch auf Latten und Kalkbewurf und auf seelenlosen Steinen erscheinen ließ. Wie gesagt, war er gewöhnlich unsichtbar, aber einige Zeit nachdem ich ausgezogen war, sah ich ihn eines Morgens von dem Hügel seine grauen Schwingen über das Thal ausbreiten, wie eine Art fabelhafter Vampyr, der die Nacht mit Aussaugen der gesunden Säfte bei den Schläfern unten verbracht und jetzt von den Wirkungen seines Schmauses voll und träge war. Da war es, wo ich ihn als Malaria erkannte und wußte, daß seine Wohnstatt das furchtbare Thal des Schattens des Miasmas war, welches man mit Unrecht das »Glückliche Thal« genannt hatte!
An Wochentagen gab es eine anmuthige Musik der Kesselschmiede in den Gießereien, und die Gaswerke in der Nachbarschaft verliehen dem Winde einen sanften Duft. Unsre Straße war indeß gewöhnlich still – ein Fußtritt genügte, um die Bewohner an ihre Vorderfenster zu ziehen und einen unvorsichtigen Uebertreter zu nöthigen, durch Batterien blauer und schwarzer Augen auf beiden Seiten des Weges Spießruthen zu laufen. Eine durchfahrende Kutsche theilte den Fußböden ein eigenthümliches Zittern mit und ließ das Porzellan auf dem Speisetische klirren. Obschon wir vergleichsweise frei von den vorherrschenden Winden waren, wurden doch bisweilen wandernde Windstöße irr' und streiften unbewußt in unsre Straße, wo sie, ein Feld ohne Hindernisse findend, von Zeit zu Zeit ein Freudengekreisch ausstießen und vergnüglich an den Wäschleinen und Schornsteinrohren zu Werke gingen und sich gemeiniglich einen guten Tag machten, bis sie ganz erschöpft waren. Ich bewahre in meinem Gedächtniß ein sehr lebhaftes Bild von einem Leierkastenmann, der einmal in das Ende unsrer Straße geweht und trotz verschiedner erfolgloser Versuche, vor den einzelnen Häusern zum Stehen zu kommen, richtig durch sie hindurchgeweht und schließlich am andern Ende hinausgewirbelt wurde, wobei er immer noch spielte und vergebens versuchte, seinen vertrackten Beruf zu verfolgen. Aber das waren der Aufzeichnung werthe Ausnahmen von dem ruhigen und ebnen Gange unsres Lebens.
Es war Zusammenhang, aber nicht viel Geselligkeit in unsrer Nachbarschaft. Aus dem Fenster meines Schlafzimmers konnte ich deutlich die besondern Arten von Lebensmitteln unterscheiden, die auf dem Eßtisch meines Nachbars standen, wogegen er andrerseits eine gleich ungehinderte Aussicht auf die Geheimnisse meiner Toilette hatte. Doch war jenes »niedrige Laster, die Neugier« durch gewisse Gesetze geregelt und eine Art unbestimmter Ritterlichkeit hielt unsre Beobachtungslust im Zaume. Ein hübsches Mädchen, deren Schlafzimmerfenster der Polarstern benachbarter Augen war, wurde einst unter den Focus eines Opernglases in den Händen eines unsrer geistvollen Jünglinge gebracht; aber diese Handlung begegnete von den Lippen verheiratheter Männer und Junggesellen, die keine Operngucker besaßen, so rascher und allgemeiner Verurteilung als eine unmännliche Benutzung seines Vortheils, daß sie nie wiederholt wurde.
Mit dieser kurzen Skizze schließe ich meinen Bericht über die Nachbarschaften, aus denen ich weggezogen bin. Ich bin seitdem aus vielen andern weggezogen, aber sie zeigten gewöhnlich Züge, die denen, welche ich in diesen Zeilen zu schildern versucht habe, nicht unähnlich waren. Ich biete sie als Typen dar, welche die hervorspringenden Eigenthümlichkeiten von allen enthalten. Möge kein unüberlegsamer Leser auf Grund derselben rasch ausziehen. Meine Erfahrung ist nicht wohlfeil erkauft worden. Von der Nessel Veränderung habe ich versucht die Blume Sicherheit zu pflücken. Karrenführer sind reich geworden auf meine Kosten. Hausagenten lernten mich kennen und waren guter Dinge, und Hausbesitzer standen auf, um mir schon von fern entgegenzugehen. Die Macht der Gewohnheit treibt mich aber noch immer, alle Vermiethungsanzeigen zu befragen, die ich in den Straßen sehe, und auch die Kriegstelegramme können mich nicht davon ablenken, daß ich den Anzeigespalten der Tagesblätter zuerst meine Aufmerksamkeit zuwende. Ich wiederhole, möge niemand denken, daß ich die Schwächen der Nachbarschaft aufgedeckt habe, noch unbedachtsam jenen Verschluß öffnen, der das verborgne Gespenst seiner Wohnung enthält. Meine Teppiche sind zurechtgeschnitten worden, daß sie zu wunderlich gestalteten Gemächern von allen Größen paßten, zum Parallelopipedon und zum Heragon. Viel von meinem Hausgeräth ist unter meine früheren Wohnungen vertheilt worden. Diese Glieder haben sich auf Dielen ohne Teppiche gestreckt oder sind plötzlich mit unvollständig aufgebauten Bettstellen zusammengebrochen. Ich habe in der Putzstube gespeist und in der Hinterküche geschlafen. Doch kann das Ergebniß dieser Opfer und Prüfungen kurz in die Mittheilung zusammengefaßt werden, daß ich jetzt am Vorabend des Wegziehens aus meiner jetzigen Nachbarschaft stehe.