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John Chinaman.

Der Ausdruck des chinesischen Gesichts ist im Allgemeinen weder fröhlich noch glücklich. In einer Bekanntschaft von einem halben Dutzend Jahren kann ich mich nur auf eine oder zwei Ausnahmen von dieser Regel besinnen. Es liegt ein dauerndes Bewußtsein von Erniedrigung, ein geheimes Weh oder eine geheime Selbstdemüthigung in den Linien von Mund und Auge. Ob es nur eine andere Spielart der türkischen Würde oder ob es das düstere Thal des Schattens des Opiumgiftes ist, durch welches sie unaufhörlich irren, kann ich nicht sagen. Selten lächeln sie, und ihr Gelächter ist von so außergewöhnlicher und sardonischer Art, so rein ein mechanischer Krampf, ganz unabhängig von irgendwelcher Heiterkeit, daß ich bis auf diesen Tag zweifle, ob ich je einen Chinesen habe lachen sehen. Eine Theatervorstellung von Eingebornen würde, so könnte man denken, mich über diesen Punkt beruhigt haben, aber das war nicht der Fall. In der That, eine neue Schwierigkeit stellte sich ein, die Unmöglichkeit, zu entscheiden, ob die Vorstellung ein Trauerspiel oder eine Posse war. Ich glaubte, ich hätte in einem rührigen Jüngling, der zwei Purzelbäume schlug und beim Auftreten auf der Bühne jedermann niederboxte, den Possenreißer entdeckt. Aber unglücklicherweise war selbst diese klassische Aehnlichkeit mit der legitimirten Posse unsrer Gesittung eine Täuschung. Ein zweiter in Brokat gekleideter Schauspieler, welcher den Helden des Stücks darstellte, schlug drei Purzelbäume, und warf nicht blos meine Theorie und seine Mitschauspieler zu gleicher Zeit um, sondern lief augenscheinlich noch eine Zeit lang hinter den Coulissen Amock. Ich sah mich rings bei den glänzenden weißen Zähnen um, um die Wirkung dieser beiden Handgreiflichkeiten zu beobachten. Sie wurden mit gleichem Beifall und augenscheinlich mit denselben Gesichtsverzerrungen ausgenommen. Ein paar Enthauptungen, welche das Stück belebten, brachten dieselbe sardonische Wirkung hervor und ließen in meinem Gemüthe eine schmerzliche Begier zurück, zu wissen, was denn in China eigentlich der Ernst des Lebens sei. Es war indeß zu bemerken, daß mein unverhaltnes Gelächter verstimmend auf sie wirkte, und daß dreieckige Augen bisweilen unheilverkündend auf den »Fanaui-Teufel« sich richteten; da ich mich aber behutsam zurückzog, ehe das Stück aus war, so kam es zu keinen ernsten Folgen.

Ich habe das Obige nur als ein Beispiel für die Unmöglichkeit mitgetheilt, über den äußeren und an der Oberfläche sich kundgebenden Ausdruck der chinesischen Heiterkeit zu entscheiden. Ueber ihre innere und tiefere Existenz habe ich meine besonderen Zweifel. Von einer Zuhörerschaft, welche mit ernstem Blicke dem Helden zusehen wird, wie er nach furchtbarem Todeskampfe aufsteht und ruhig von der Bühne wandelt, kann man nicht sagen, daß sie besondere Begriffe vom Lustigen habe.

Ich bin oft erstaunt über die zarte Biegsamkeit des chinesischen Ausdrucks und Geschmacks, die eine mehr in die Breite und Tiefe gehende Kritik verlangen könnte, als sie in diese Zeilen gehört. Ein Chinese wird die amerikanische Tracht annehmen und sie mit einem Geschmack in Farbe und Einzelnheit tragen, welcher die Eingebornen überbietet. Sieht man sich einen chinesischen Pantoffel an, so sollte man es für unmöglich halten, daß sich der Originalfuß irgend einem Dinge anpassen könnte, welches weniger schwerfällig und weit wäre; aber selten ist auf dieser Seite des Festlandes ein sauberer paffender Stiefel zu sehen als der, welcher dem amerikanisirten Chinesen angehört. Wenn der lose Sack oder Paletot die Stelle der Brokatblouse einnimmt, so wird er mit einer Feinheit und Anmuth getragen, welcher dem Stutzer unsrer verfeinerten Civilisation das Herz vor Eifersucht schmerzen lassen könnte. Pantalons fallen leicht und natürlich über Beine, die früher unbeschränkte Freiheit und Sackhosigkeit kannten, und selbst Kragen, eng wie die Garotte, schließen stylgerecht um sonnegegerbte Hälse. Die neue Kelterung fließt selten in prunkenden Cravatten über. Ich wette auf meinen amerikanisirten Chinesen gegen jeden Neophyten von europäischer Geburt in Betreff der Wahl dieses Artikels. Während in unserm Heimathsstaate der »Schmierfinke« den Kleidungsstücken des nördlichen Eindringlings Stück für Stück widersteht und selbst die Livree seines Besiegers mit einer wilden und knopflosen Freiheit trägt, verwandelt sich der Chinese, so sehr man ihn schmäht und herabsetzt, durch correct abgestufte Uebergänge in einen nach christlicher Gesittung gekleideten Menschen. Nur ein Stück der europäischen Tracht vermeidet er. Diese zigeunerhaft herumwandernden Augen haben noch nie den Schmerz gehabt, einen hohen Hut auf dem Kopfe eines verständigen Chinesen zu sehen.

Meine Bekanntschaft mit John ist aus wöchentlichen Begegnungen entstanden, welche die Ausgleichung von Waschzetteln einschlossen, so daß ich nicht im Stande gewesen bin, seinen Charakter vom socialen Standpunkte zu studiren oder ihn im Schooße seiner Familie zu beobachten. Ich habe indeß genug gesammelt, um gerechtfertigt zu sein, wenn ich ihn für im Allgemeinen ehrlich, treu, einfach und ordentlich halte. Von seiner einfachen Denkart gestatte man mir ein Beispiel zu erzählen, wo ein trauriger und höflicher junger Chinese mir gewisse Hemden brachte, an denen die meisten Knöpfe fehlten und andere nur noch täuschend an einem einzigen Faden hingen. In einem Augenblick unbewachter Ironie theilte ich ihm mit, daß wenigstens die Einheit bewahrt worden wäre, wenn man die Knöpfe allesammt entfernt hätte. Er lächelte traurig und ging fort. Ich dachte, ich hätte seine Gefühle verletzt, bis er die nächste Woche mir meine Hemden mit einem Blick des Wohlverstandenhabens und in einem Zustande wiederbrachte, wo die Knöpfe sorgfältig und völlig ausgerottet waren. Ein ander Mal bat ich ihn, um mich gegen seine Neigung zu schützen, alles, wovon er dachte, es könnte Wasser vertragen, als schmutzige Wäsche mit hinwegzunehmen, immer zu warten, bis er mich sähe. Als ich eines Abends spät nach Hause kam, fand ich den Haushalt in großer Verlegenheit über einen regungslosen Himmlischen, welcher den ganzen Tag traurig und unterwürfig, fest, aber auch geduldig auf der Treppe zur Vorderthür sitzen geblieben war und nicht eher Leben verrathen oder ein Zeichen seines Auftrags von sich gegeben hatte, als bis er mich kommen sah.

Dieser selbe Chinese legte einiges Interesse für ein kleines Mädchen in der Familie an den Tag, welches seinerseits wieder so viel Glauben an seine Verstandesfähigkeiten besaß, daß sie ihm ein unnatürlich langweiliges Sonntagsschulbuch, ihr Eigenthum, verehrte. Dieses Buch trug John bei seinen wöchentlichen Visiten zur Schau mit sich herum. Es erschien gewöhnlich oben auf der reinen Wäsche und war bisweilen mühevoll an der Außenseite des großen Leinwandbündels angehakt. Ob John glaubte, daß er unbewußt einiges geistige Leben durch seine Pappdeckel-Schale einsauge, wie der Prinz in Tausend und Eine Nacht die Medicin durch den Griff des Bläuels einsaugte, oder ob er einen gehörigen dankbaren Sinn zu zeigen wünschte, oder ob er keine Taschen hatte, bin ich nie festzustellen im Stande gewesen. Seinerseits schnitt er bisweilen für seine kleine Freundin wundervolle künstliche Rosen aus Möhren. Ich bin geneigt zu glauben, daß die wenigen Rosen, die auf Johns Pfad gestreut waren, solche duftlose Nachahmungen waren. Nur die Dornen waren echt. Infolge der Verfolgungen, die er von Jung und Alt in einer gewissen Klasse zu erdulden hatte, war sein Leben eine Pein. Ich weiß nicht genau, welche Philosophie Confucius gelehrt hat, aber es steht zu hoffen, daß der arme John in seiner Verfolgung noch im Stande ist, den bewußten Haß und die bewußte Furcht zu erkennen, mit welcher der an Fähigkeit niedriger Stehende stets die Möglichkeit einer Gerechtigkeit mit Jedem seine Gebühr zutheilenden Händen betrachtet, eine Furcht, welche der Grundton in dem vulgären Geschrei von dienenden und heruntergekommnen Racen ist.


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