Otto Erich Hartleben
Gedichte
Otto Erich Hartleben

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II
Der levitische Mann

            Zu der Zeit, da Israel verwaist war
und kein Richter richtete in Juda,
wohnte an der Seite des Gebirges
Ephraim ein Mann vom Stamme Levi,
der gewann aus Bethlehem eine Jungfrau,
die er heim zu seiner Hütte führte.

Aber diese brach dem Mann die Treue.
Und sie flüchtete vor seinem Zorne
wieder zu dem Hause ihres Vaters
und verbarg sich dort vor ihm vier Monde.

Und vier Monde rang mit seinem Zorne
der Levit. Dann stand er auf und zog ihr
nach, auf daß er freundlich mit ihr rede,
wieder sie zu seinem Eigen hole.

Und er sah sie, und sie führte schweigend
ihn in ihres Vaters Haus. Mit Freuden
ward er aufgenommen und bewirtet,
reuig fügte sich das Weib, und gastlich
hielt der Vater ihn von Tag zu Tage:
erst nach einer Woche brach er wieder
auf, mit seinem Weibe heimzuwandern.

Bleibe noch! so sprach des Weibes Vater:
Sieh, der Tag läßt ab – es naht der Abend.
Bleibe noch die Nacht, daß auf dem Wege
sie euch nicht erreiche. Schweres bringt oft
dunkle Nacht dem Menschen. Morgen frühe
ziehet eures Weges in die Heimat!
Aber jener folgte nicht der Warnung,
sondern zog mit seinem Weib von dannen.

Da sie nun des Weges schritten, ging die
Sonne ihnen unter vor Gibea,
die da liegt in Benjamin. Sie kehrten
ein daselbst, daß sie zur Nacht dort blieben.

Auf der Gasse zu Gibea setzte
der Levit sich nieder mit dem Weibe:
niemand war, der Obdach bot den Müden,
Schutz im Hause vor der Nacht Gefährden.

Sieh, da kam ein alter Mann des Weges,
von der Arbeit, da es auf den Feldern
dunkelte: der war wie sie ein Fremdling
zu Gibea, stammend vom Gebirge
Ephraim. Und da er seine Augen
aufhob und den Mann sah auf der Gasse,
fragte er: Wo willst du hin und woher
kommst du? Und da jener es gemeldet,
sprach er: Friede sei mit dir; du findest,
was du suchst, bei mir, in meiner Hütte.
Bleibet nur nicht hier: es ist des Volkes
kein Verlaß und sinnen arge Dinge.

Freundlich führt er sie zu seinem Hause,
lud sie ein und ließ sie ihre Füße
waschen und an Speis und Trank sich laben.

Da ihr Herz nun guter Dinge wurde
und vergaßen der bestandnen Mühsal,
kamen Leute aus der Stadt Gibea,
böse Buben, und umgaben lärmend
rings das Haus und pochten an die Türe.

Bring den Mann heraus, den du beherbergst,
riefen sie, auf daß wir ihn erkennen!
Denn es trieb die frevelnde Begierde
nach dem fremden Manne.

                                            Und der Hauswirt
trat hinaus und sprach zu ihnen: Leute,
lieben Brüder, tut nicht also Übles!
Als ein Gast betrat er meine Schwelle,
fordert nicht von mir solch große Sünde!

Aber jene hörten nicht, sie tobten
um so lauter nur. Da sprach der Hauswirt:
Höret! Eine Tochter hab ich, Jungfrau
ist sie noch, von keinem Mann berühret,
jener aber hat ein Weib – die beiden
bring ich euch heraus: mögt ihr sie greifen
und nach eurer Lust mit ihnen fahren –
aber tut nicht solche große Sünde!

Jene hörten nicht auf ihn. Doch drinnen
hatte der Levit das Wort vernommen.
Und er griff sein Weib und trug es selber
ihnen vor die Tür. Da fielen gierig
sie es an und schleppten es von dannen.
—   —   —   —   —

Hart vor Morgen kam das Weib gegangen.
Nieder fiel sie vor der Tür des Hauses,
drin ihr Herr war. Ohne Regung lag sie
vor der Tür am Boden, bis es Licht ward.

Da ihr Herr am Morgen nun herausging,
daß er seines Weges weiter zöge,
lag sein Weib da, vor der Tür des Hauses,
und die Hände lagen auf der Schwelle.

Und er sprach: Steh auf und laß uns wandern!
Aber jene gab ihm keine Antwort,
sondern schwieg und lag da vor der Türe,
und die Hände lagen auf der Schwelle.

Und er hob sie auf und lud die Tote
auf ein Maultier, und so ging es weiter,
und sie kamen wieder in die Heimat.

Und er nahm ein Messer und zerstückte
seines Weibes Leib mit Rumpf und Gliedern
in zwölf Stücke. Und an alle Stämme
Israels entsandte er die Stücke.

Und der Zorn Jehovas traf die Frevler.
Benjamin zerschlug des Schwertes Schärfe,
und verbrannt mit Feuer ward Gibea.

Doch verloren im Gewölk der Zeiten
ist der blutige Name des Leviten
und verloren seines Weibes Namen.


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