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Staatsanwalt Kronberg blieb überrascht in der Tür zum Schrankzimmer stehen. »Oh, wen haben wir denn da?« rief er aus. »Ich hoffe, Sie werden uns erklären können, wie Inspektor Torget in diese Verfassung kommt!« Wade sah es um die Mundwinkel des Staatsanwalts verräterisch zucken.
»Das wird Ihnen Herr Birger Lost oder Torget, wie er sich auch nennt, am besten selbst erklären können«, erwiderte Wade, »meine Aufgabe ist erfüllt.«
Kronberg winkte die anderen Beamten herein.
»Bitte, meine Herren, darf ich Ihnen den genialsten Gauner dieses Zeitalters vorstellen: es ist Birger Lost, den Sie und ich eigentlich in anderer Eigenschaft kennen.« Staatsanwalt Kronberg schüttelte Wade die Hand. »Gleichzeitig möchte ich aber auch eine harmlose Täuschung aufklären. Der Mann, den Sie, meine Herren, nur als Sergeant Wade kennen, dessen eigenartiges Äußere Sie wohl manchmal belustigt hat, ist in Wirklichkeit Herr Dirk Humle aus New York, dem wir diesen großen Fang zu verdanken haben. Durch eine Zeitungsnotiz erfuhr Dirk Humle, daß eine Frau Eri Humle in Hoboken verunglückt sei. Da er in der Verunglückten die geschiedene Frau seines Bruders vermutete, fuhr er nach Hoboken. Oberst Humle hatte ihm vor Jahren einmal geschrieben, daß seine Frau sicher wieder zu ihren Verwandten nach Amerika gegangen sei. Dirk Humle fand zwar keine Verwandten von Frau Eri in Hoboken vor, dafür aber den Chauffeur des Hauses, Jack Garden, der auch gleich den Verdacht aussprach, daß Frau Humle sicher ermordet worden sei. In letzter Zeit sollte sie oft Drohbriefe empfangen haben. Humle und Garden taten sich zusammen und stellten den Absender dieser Briefe schließlich fest. Es war der Agent von Olaf Järnvägen, der in New York die ›Interessen‹ des Bankiers zu vertreten hatte. Man konnte dem Kerl jedoch nur die Absendung jener Briefe nachweisen. Er erhielt sechs Monate Gefängnis wegen Bedrohung und – eine Kugel aus Gardens Revolver zwischen die Rippen. Solche Zwischenfälle werden von den Beteiligten dort drüben nicht an die große Glocke gehängt, und Dirk Humle hütete sich natürlich, den Zeugen in dieser Revolvergeschichte zu machen. Dafür erzählte Garden ihm etwas aus seiner Vergangenheit. Er kannte aus früherer Zeit einen gewissen Birger Lost, der in New York vor Jahr und Tag dieselben Gaunereien verübte wie Olaf Järnvägen in Stockholm. Was Jack Garden von sich selbst nicht erzählte, konnte Humle sich denken. Der gute Jack war einst sehr intim mit Birger Lost! Humle schrieb mir, das heißt, an meine Behörde, eines Tages, und ich teilte ihm Näheres über den Fall ›Atlanta‹ mit. Auf Grund unserer Abmachungen kam er mit Garden nach Stockholm.«
Staatsanwalt Kronberg legte Humle die Hand auf die Schulter.
»Ihnen, lieber Humle, habe ich auch einige Erklärungen zu geben. Wie Sie wissen, war Torget der Leiter des Dezernats für Versicherungsbetrug – ein Geschäft, daß er in seinem Doppelleben mit seltenem Geschick zu meistern verstanden. Vor Tagen hatte Torget sich krank melden lassen. Warum soll ein Beamter nicht einmal krank werden? – Gestern ergab sich jedoch in einer bestimmten Sache die Notwendigkeit, ihn zu befragen. Ein Beamter begab sich also in seine Stadtwohnung und stellte hier fest, daß der Inspektor gar nicht zu Hause war. Auf dringliche Nachfrage erklärte die Haushälterin, daß Herr Torget wirklich seit Tagen nicht mehr nach Hause gekommen sei. Wie konnte er auch! Er hatte ja genügend in Nynäshamn und in der Brunnsgatan zu tun, wo die Abwicklung seiner ›Geschäfte‹ ihn stark in Anspruch nahm. Davon ahnten wir bis gestern jedoch nichts. Als Sie, Herr Humle, mir vor einer Stunde am Telephon erklärten, daß Torget hier sei, wußte ich sofort, daß Sie endlich den Beweis für das Doppelleben Torgets erbracht hatten. Inspektor Torget hatte bisher Glück. Seine Arbeit als wohlhabender Makler brachte ihn noch nie in die Verlegenheit, im Amt vermißt zu werden, aber jetzt sollte und mußte er fast gleichzeitig an zwei verschiedenen Bühnen auftreten; das war ihm natürlich unmöglich.« Kronberg gab zwei Schutzmännern, die leise eingetreten waren, einen Wink. »Torget-Lost, ich verhafte Sie wegen Mordes, Mordversuchs und Versicherungsbetruges!«
»Hoffentlich werden Ihnen die Beweise nicht knapp«, versetzte Lost-Torget höhnisch und ließ sich hinausführen.
»Ich hatte eine dramatische Auseinandersetzung erwartet«, sagte Kronberg, als die Tür geschlossen war, »dieser Kerl ist der Gerissenste, der mir in meiner Praxis vorgekommen ist. Nun, er wird sich wundern, wenn er Molly Danes Aussagen zu hören bekommt.«
»So, hat die Dane gesprochen?« fragte Dirk Humle.
»Alles, was wir wissen wollten«, erklärte Kronberg befriedigt.
»Sie war an dem betreffenden Tage in der Brunnsgatan, um Järnvägen zu besuchen. Ihre Angewohnheit war, in einem kleinen Garderobenzimmer abzulegen, ehe sie bei Järnvägen eintrat. Da hörte sie Schritte auf dem Korridor, und als sie durch den Türspalt blickte, sah sie Birger Lost vorübergehen. Gleich darauf erfolgte ein Schuß, und Lost rannte hinaus, ohne zu wissen, daß sein Kommen bemerkt worden war. Raul Harper hatte sie jedoch beide in das Haus gehen sehen. Er sagte uns nichts darüber, weil er auf ein gutes Erpressergeschäft mit Lost hoffte, und Molly Dane hatte keine Ursache, Lost zu verraten, weil sie an ihren Besuch in Norrmalm bei einem gewissen Degerby erinnert wurde. Ehe sie das Haus verlassen konnte, hörte sie aber noch den Schreckensruf von Oberst Humle, der das Haus auf dem Wege durch das Büro verließ. Torget war vor Jahren Vigilant der Stockholmer Polizei, und sein Umgang mit unseren ›Kunden‹ befähigte ihn verständlicherweise, ein ›tüchtiger Beamter‹ zu sein. Da konnte die Beförderung nicht ausbleiben. Seine kleine Konkurrenz im ›Geschäftsleben‹ ließ er als Polizist hochgehen, um für seine Interessen ertragreicher arbeiten zu können. Eine ausgezeichnete Praxis! Einmal mußte der Schwindel jedoch zusammenbrechen.«
»Dann hätten wir hier wohl vorläufig nichts mehr zu tun?« fragte Humle dienstlich. Staatsanwalt Kronberg lachte.
»Ja, Sergeant Wade, Sie können gehen!« sagte er mit komischer Würde.
Zwei Autos hielten am Waldweg. Ihre Scheinwerfer zielten in das bereifte Gebüsch. Beschlagnahme der Juwelen und Versiegelung des Hauses, Bestellung des Wachtdienstes vom Polizeiamt Nynäshamn hatten noch einige Zeit in Anspruch genommen. Ein Beamter trug den Lederkoffer mit seinem wertvollen Inhalt. Kronberg gab dem Fahrer des ersten Wagens einen Wink zur Abfahrt. Es war ein gewöhnlicher Polizeiwagen mit einem »bruchsicheren« Kastenaufbau, und sein Inhalt war für Staatsanwalt Kronberg nicht weniger wichtig als die Juwelen in dem kleinen Handkoffer.
Unterwegs fragte Dirk Humle: »Also hatte Raul Harper doch recht, als ihm damals im Södra-Theater das Verhalten Torgets verdächtig vorkam?«
»Gewiß«, versetzte Kronberg, »Birger Lost war im Theater bekannt und fand überall ungehindert Zutritt, als Polizeiinspektor konnte man ihm das Betreten der Bühne noch weniger verwehren. Keiner bemerkte ihn jedoch, bis auf Raul Harper, der ihn beim Verlassen des Bühnenhauses beobachtet hatte.«
»Man möchte es geradezu für eine Wahnsinnstat halten, daß dieser Torget seine Mitwisser einen nach dem anderen beseitigen wollte und glaubte, damit Erfolg zu haben!« sagte Dirk Humle.
Staatsanwalt Kronberg sah nachdenklich vor sich hin. »Ich habe in meiner Praxis mit Verbrechern aller Art noch keinen gefunden, der auf mich den Eindruck eines mit Vernunft begabten Menschen gemacht hätte. – Eigentlich sollten Sie mir einen Vorschlag machen, Humle!«
Dirk Humle blickte ihn fragend an.
»Einen Vorschlag zur Güte«, versetzte Kronberg, »mein Gehrock wird heute nacht zu eng.« Er schlug Humle auf die Schulter. »Kommen Sie mit zum Polizeiamt, die Formalitäten werden schnell erledigt sein, und ich fahre mit zu Ihnen!«
Noch nie hatte Humle Kronberg so lebhaft gesehen.
»Zu mir?« fragte er.
»Ja, oder wenn Sie wollen auch zu Richard Degerby!«
Dirk Humle glaubte dieses Bedürfnis des Staatsanwaltes um so verständlicher zu finden, als man zur Stunde nirgends mehr einen »guten Tropfen« bekommen konnte, wenn man nicht gerade eingeladen wurde. Er war also einverstanden, worauf sich Kronberg aufatmend den Hut ins Genick schob.
Erst gegen Morgen kamen sie in Norrmalm an. Jack Garden stand verschlafen im Vorraum, und man sah unter seinem Morgenrock die Hosenbeine eines Schlafanzuges mit breiten Streifen aufleuchten.
»Wünsche, wohl geruht zu haben, Jack«, rief Dirk Humle lachend. »Später oder früher Besuch, wie Sie wollen! Servieren Sie alle Reste, die noch im Likörschrank vorhanden sind! Essen werden wir später.«
Jack Garden sah ihn und Kronberg fragend an. »Ja, aber Herr Degerby, ich – –«
»Sie können mich jetzt wieder ruhig bei meinem guten Namen nennen«, unterbrach ihn Dirk Humle, »aber der Teufel soll Sie holen, wenn Sie Fräulein Järta ein Sterbenswort von meiner Rückkehr zu mir selbst erzählen!«
»Oh, ich hätte Ihnen noch viel mehr zu erzählen, Herr Humle«, erwiderte Jack Garden, »würden Sie mir wohl verraten, warum Sie mich nach Arsta-Strand geschickt haben?«
»Natürlich, um Elke Järta zu holen«, versetzte Humle ruhig, »und Sie haben Ihren Auftrag sicher zur Zufriedenheit ausgeführt, denn in einem anderen Falle wollten Sie mich in Nynäshamn telephonisch benachrichtigen!«
»Beinahe hätten wir Birger Lost erwischt«, platzte Garden heraus.
»Was heißt wir?« fragte Humle.
»Nun ich und der naseweise Polizist, der mich absolut ins Haus begleiten wollte«, sagte Garden, »wie gesagt, ich zielte etwas zu weit rechts, die schwedischen Revolver taugen nichts.«
Humle hob warnend den Finger. »Jack, was habe ich Ihnen gesagt, Sie sollten Ihren Revolver zu Hause lassen!«
»Habe ich auch«, verteidigte sich Garden, »es war der Revolver des Polizisten, der nichts damit anzufangen wußte.«
»Wie sind Sie übrigens in Losts Haus gekommen, wenn nicht durch die Tür oder die Fenster?«
»Durch das Dach!« versetzte Jack Garden unerschüttert.
»Gut, die Geschichte können Sie uns bei Tisch erzählen«, entschied Humle, und sie betraten das Eßzimmer.
Jack Garden sah sein Abenteuer in Arsta-Strand von der sportlichen Seite aus. Sein Bericht wurde durch die Schwierigkeiten gewürzt, die sich der Entdeckung von Elke Järtas Gefängnis entgegengestellt hatten.
»Ich brachte Fräulein Järta nach Vasastaden, wie Sie es angeordnet hatten, Herr Humle. Ich bedaure nur, daß uns Lost entkommen ist.«
»Prost, Humle«, sagte Staatsanwalt Kronberg. »Sie können Ihr Bedauern für bessere Dinge aufheben«, wandte er sich an Garden, »Birger Lost oder Inspektor Torget, wie er sich sonst noch nannte, befindet sich dank der Aufmerksamkeit Ihres Herrn und Meisters bereits in unserem Gewahrsam!«
Jack Garden wollte gerade die frischen Flips vor die Herren stellen, als er kurzentschlossen einen davon hinter die eigene Binde goß, »Verzeihung, Herr Humle«, sagte er und schenkte von neuem ein.
Der Morgen lag schon hell über Stockholm, als Staatsanwalt Kronberg von Norrmalm wegfuhr. Der Chauffeur hatte bestimmten Auftrag, ihn in seiner Privatwohnung in Östermalm abzuliefern. Da Kronberg nicht verheiratet und nur immer der gute Onkel seiner zahlreichen Verwandtschaft war, kam es ihm auf die Stunde nicht an. Es gab einen Kampf zwischen ihm und Jack Garden, der sich vergeblich bemühte, dem Schwankenden in den Gehrock zu helfen, der während der »Sitzung« über der Stuhllehne hing. Kronberg wollte diesen Rock nicht. »Dieser Gehrock ist Würde, lieber Humle«, sagte er, »und ich will ein paar Tage lustig sein.« So kam es, daß Kronberg den Mantel über die Hemdsärmel zog und ohne Gehrock den heimischen Penaten zusteuerte.
*
An einem sonnigen Wintertag verließ Raul Harper das Hauptpolizeiamt. Staatsanwalt Kronberg hatte ihm eine lange Standpauke gehalten, worin viel von Besserung die Rede war. Das Verfahren gegen Birger Lost-Torget konnte den jungen Mann ohnehin noch in die Geschichte verwickeln. Sein Weg führte ihn sofort nach Vasastaden. Er stand lange in Gedanken vor der Järtaschen Wohnungstür. Gegenüber klebte noch immer die beschmutzte Visitenkarte mit dem Namen »Nathanel Wade«. Vielleicht war es besser, wenn er doch erst einmal mit dem Sergeanten sprach. Nach seinem Klopfen näherten sich hinter der Tür schlürfende Schritte. Nathanel Wades rote Nase kam im Türspalt zum Vorschein. »Ach, Sie sind es«, sagte er, »bitte, kommen Sie herein! Oder haben Sie sich geirrt? Järtas wohnen doch drüben.«
Raul Harper sah unschlüssig vor sich hin. »Ich weiß nicht, ob ich – –«
»Ach was«, drängte Wade schmunzelnd, »kommen Sie nur, ich bin doch neugierig, was Fräulein Elke sagen wird!« Und er war wirklich neugierig, nur in einem anderen Sinne, als Raul Harper glaubte.
Frau Järta begrüßte den jungen Mann mit einem Schwall von Willkommensworten. Norbert Järta war nicht anwesend. Elke saß im Wohnzimmer und stickte an einem Seidenkissen.
»Ach, Raul Harper«, sagte sie, als der junge Mann verlegen eintrat. Nathanel Wade, der sich hinter ihm ins Zimmer drängte, blickte gespannt auf Elke. Diese schüttelte Harper die Hand und fragte ihn nach allen möglichen Dingen, die seine Zukunft betreffen konnten. Das sieht alles recht nüchtern aus, dachte Nathanel Wade.
»Elke, ich wollte eigentlich heute mit Ihnen über unsere gemeinsame Zukunft sprechen«, versetzte Harper etwas verstimmt. Elke Järta sah ihn groß an, dann lachte sie herzlich. Auch Raul Harper konnte ihr dieses Lachen nicht übelnehmen, denn es klang so unbekümmert. »Raul, was haben Sie sich in den Kopf gesetzt? Gern wollen wir Ihnen helfen, wenn Sie Hilfe benötigen.«
Es entstand eine kleine Pause, die Nathanel Wade geschickt überbrückte. »Natürlich stehe auch ich Ihnen gern zur Verfügung«, sagte er.
»Danke, Herr Wade«, erwiderte Harper, »ich werde Ihre Hilfe wohl in der nächsten Zeit nötig haben.«
Frau Järta brachte Kaffee und Kuchen. Die Tafelrunde ließ sich das Ende des Inspektor Torget noch einmal in allen Einzelheiten schildern.
»Zwischen Torget und Järnvägen war eigentlich kein Unterschied«, versetzte Wade im Verlauf seines Berichtes, »Järnvägen lernte Lost-Torget vor acht Jahren kennen. Im Rausch verriet er ihm den Anschlag auf die Atlanta. Torget ließ nicht nach. Er denunzierte Järnvägen bei der Polizei; gleichzeitig bot er Järnvägen an, die Juwelen von der Atlanta vorläufig in Verwahrung nehmen zu wollen, damit diese von der Polizei bei ihm nicht gefunden würden. Er dachte nicht daran, den Raub wieder herauszugeben. Von jetzt an wurde Lost-Torget der Schatten Järnvägens. Als er überdies später noch herausbekam, daß Järnvägen den Steuermann der Atlanta ermordet hatte, gewann er vollkommen Einfluß auf seinen Kumpan. Seine Erpressungen nahmen immer größere Formen an. Järnvägen konnte die Gelder nicht mehr herbeischaffen, die Lost-Torget von ihm verlangte. In aller Öffentlichkeit mußte er sich schließlich für insolvent erklären, obwohl er für sich aus seinen Betrügereien noch genügend Mittel gerettet hatte. Es kam zu einem Streit zwischen den beiden. Jeder von Ihnen wußte, daß einer den Platz räumen mußte. Lost-Torget war schneller. – Jetzt am Ende der Tragödie wird es einen Riesenprozeß geben. Mehr als ein Dutzend Schiffsangestellte sind schwer belastet. Sie haben für die ›Firma Järnvägen-Lost-Torget‹ gearbeitet; andere wieder können an Hand der bei Torget beschlagnahmten Schriftstücke glatt überführt werden, Höllenmaschinen an Bord der Schiffe gebracht zu haben. Im Laufe der ›Praxis‹ von Järnvägen-Lost sind mehr als ein Dutzend Transportdampfer auf diese Weise untergegangen.«
»Entsetzlich«, hauchte Frau Järta und zückte von neuem die bauchige Kaffeekanne. Es war Raul Harper, der zuerst davon sprach, nicht länger stören zu wollen. Sein Abschied von Elke Järta stand unter dem Eindruck seiner Zukunft, die voll neuer Pläne und ihm geneigter Mädchen war. In letzterer Beziehung kannte ihn auch Elke sehr genau.
Nathanel Wade schlurfte mit ihm über den Korridor. »Warten Sie einen Augenblick, Harper«, sagte er und verschwand in seiner Wohnung. Als er wieder herauskam, drückte er dem jungen Mann eine Banknote in die Hand und schlug ihm die Tür vor der Nase zu, ehe Harper auch nur ein Dankeswort stammeln konnte.
Am Abend sah man Raul Harper schon in einem prominenten Kaffeehaus, wo er seine Enttäuschung über Elke Järta in Schokolade ertränkte und unternehmend zu einer hübschen Blondine hinüber sah.
*
Auch in Nynäshamn bei Oberst Humle gab es Schokolade. Fred Hanssen servierte sie und schob dem jungen Mädchen, das dem Obersten noch etwas schüchtern gegenüber saß, eine Polsterbank unter die Füße.
An diesem Abend zog Elke Järta endgültig in das väterliche Heim in Nynäshamn. Als sie am Nachmittag mit Raul Harper am Kaffeetisch saß, wollte sie nicht darüber sprechen. Eigentlich war ihr dieser Wechsel zu plötzlich gekommen. Schon meldete sich die Sehnsucht nach Vasastaden, nach dem kleinen Zimmer, in dem sie ihre Jugend verlebte, nach den Menschen, die ihr wie Vater und Mutter vertraut waren. Ein bißchen dachte sie auch an Nathanel Wade. Ihr Vater hatte ihr hier das Zimmer ihrer verstorbenen Mutter einrichten lassen. Es war ein Luxuskabinett gegen ihr Jungmädchenzimmer in Vasastaden.
»Es ist fußkalt bei uns«, sagte Fred.
»Bring eine Decke«, versetzte Oberst Humle und lehnte sich behaglich in seinen Sessel zurück. Fred kam dem Auftrag nach. »Wollen Sie einmal die Schokolade probieren?« fragte er Elke Järta. »Hier ist Zucker.«
Elke nippte an der Tasse, während Fred und der Oberst gespannt auf ihr Urteil warteten. »Danke, sie ist süß genug«, sagte Elke lächelnd.
Fred zupfte an der Decke herum, stieß das Schüreisen in die Holzglut des Kaminfeuers, das es hell aufloderte, schob Elke noch ein Kissen in den Rücken und dachte schon in der nächsten Minute wieder darüber nach, was er noch für Elke Järta tun könnte. »Schließ die Tür«, sagte Humle, »es wird Zugluft sein!«
Der Oberst und Fred Hanssen bemühten sich mit komisch wirkender Zärtlichkeit um sie. Herr und Diener standen einer Situation gegenüber, der sie sich nicht gewachsen fühlten. Oberst Humle erzählte ihr von der Mutter, schilderte das Verbrechen auf der Atlanta und wiederholte damit nur das, was ihr Nathanel Wade schon berichtet hatte.
»Sind Ihnen die weißen Handschuhe nicht zu warm?« fragte Elke den Diener. Fred Hanssen lächelte verstohlen zu Oberst Humle hinüber, der diese »Kostümierung« auf dem Gewissen hatte.
»Wünschst du, daß er sie auszieht?« fragte Humle.
»Ach nein, ich finde es nur komisch«, sagte Elke und ließ ein glockenhelles Lachen hören, »stell' dir vor, die Stallmeister im Zirkus haben auch weiße Handschuhe an.«
Fred Hanssen hustete und Elke wurde etwas verlegen.
»Ich habe noch eine Überraschung für dich«, sagte Robert Humle, »aber du wirst ihrer erst morgen abend teilhaft werden.«
»Oh – was mag das sein?« rätselte Elke und nahm Fred die silberne Schokoladenkanne aus der Hand, aus der er dem Obersten soeben wieder eingießen wollte. »Das tue ich von nun an selbst«, sagte sie.
»Hast du es gehört, Fred? Sie tut es selbst!« ließ sich Humle stolz vernehmen.
»Bei einiger Überlegung komme ich zu dem Schluß, daß ich Sie seit Jahren nicht in so guten Händen gewußt habe«, entgegnete Fred mit zärtlichem Blick auf Elke.
»Oh, welche Selbstverleugnung, Herr Hanssen«, versetzte Elke.
»Sag Fred zu ihm«, befahl Humle, »du machst ihn mir noch selbstbewußter, als er schon ist.«
Fred Hanssen errötete wie ein Schulmädchen und zupfte an seiner Krawatte. »Bei einiger Überlegung komme ich zu dem Schluß, daß der Herr Oberst dem gnädigen Fräulein doch heute schon sagen könnten, daß wir morgen zur Redoute gehen.«
»Schweig, du bist und bleibst ein Schwätzer«, fuhr Humle auf, »morgen wird sie es erfahren, nicht eine Stunde früher!«
Elke schälte sich aus Kissen und Decken. Ehe der verärgerte Oberst sich versah, hatte sie ihn geküßt.
Kein Engel ging durchs Zimmer, nur Fred Hanssen, der sein Lächeln nicht zeigen wollte. »Noch ein Kuß, und er erzählt ihr mehr, als er verantworten kann«, flüsterte er und schloß die Tür leise hinter sich.