Friedrich Hebbel
Herodes und Mariamne
Friedrich Hebbel

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Vierte Szene

Diener treten auf und ordnen das Fest an.

Moses.
Nun, Artaxerxes? Wieder in Gedanken?
Flink! Flink! Du stellst bei uns die Uhr nicht vor!

Artaxerxes.
Hättst du das jahrelang getan, wie ich,
So würd' es dir auch ganz so gehn, wie mir!
Besonders, wenn du alle Nächte träumtest,
Du hättst das alte Amt noch zu versehn!
Ich greif ganz unwillkürlich mit der Rechten
Mir an den Puls der Linken, zähl und zähle
Und zähle oft bis sechzig, eh' ich mich
Besinne, daß ich keine Uhr mehr bin!

Moses.
Merk dir es endlich denn, daß du bei uns
Die Zeit nicht messen sollst! Wir haben dazu
Den Sonnenweiser und den Sand! Du selbst
Sollst, wie wir andern, in der Zeit was tun!
Faulenzerei, nichts weiter!

Artaxerxes.                               Laß dir schwören!

Moses.
Schweig! Schweig! Beim Essen zähltest du noch nie!
Im übrigen: man schwört auch nicht bei uns,
Und (für sich) wär' der König nicht ein halber Heide,
So hätten wir auch den fremden Diener nicht!
Da kommen schon die Musikanten! Flink!
(Geht zu den übrigen.)

Jehu.
Du, ist das wirklich wahr, was man von dir
Erzählt?

Artaxerxes.   Wie sollt' es denn nicht wahr sein?
Soll ich's vielleicht noch hundertmal beteuern?
Am Hofe des Satrapen war ich Uhr
Und hatt' es gut, viel besser, wie bei euch!
Nachts ward ich abgelöst, dann war's mein Bruder,
Und auch bei Tage, wenn's zum Essen ging.
Ich dank es wahrlich eurem König nicht,
Daß er mich mit den andern Kriegsgefangnen
Hiehergeschleppt! Zwar ward mein Dienst zuletzt
Ein wenig schwer! Ich mußte mit ins Feld,
Und wenn man links und rechts die Pfeile fliegen,
Die Menschen fallen sieht, verzählt man sich
Natürlich leichter als in einem Saal,
Wo sie zusammenkommen, um zu tanzen.
Ich schloß die Augen, denn ich bin kein Held,
Wie es mein Vater war. Den traf ein Pfeil
Auf seinem Posten – er war Uhr, wie wir,
Ich und mein Bruder, alle waren Uhren –
Er rief die Zahl noch ab und starb! Was sagst du?
Das war ein Mann! Dazu gehörte mehr,
Als nötig war, den Pfeil ihm zuzuschicken!

Jehu.
Habt ihr denn keinen Sand bei euch zu Hause,
Daß ihr das tun müßt?

Artaxerxes.                         Wir? Wir keinen Sand?
Genug, um ganz Judäa zu bedecken!
Es ist ja nur, weil der Satrap bei uns
Es besser haben soll, wie's andre haben!
Der Puls des Menschen geht doch wohl genauer,
Wenn er gesund ist und kein Fieber hat,
Wie euer Sand durch seine Röhre läuft?
Und nützen euch die Sonnenweiser was,
Wenn es der Sonne nicht gefällt zu scheinen?
(Zählt.) Eins – Zwei –

Moses (kommt zurück).       Fort! Fort! Die Gäste kommen schon!

Artaxerxes.
Das ist das Fest? Da sah ich andre Feste!
Wo keine Frucht gegessen ward, die nicht
Aus einem fremden Weltteil kam! Wo Strafe,
Oft Todesstrafe, darauf stand, wenn einer
Nur einen Tropfen Wasser trank. Wo Menschen,
Die man mit Hanf umwickelt und mit Pech
Beträufelt hatte, in den Gärten nachts
Als Fackeln brannten –

Moses.                                 Höre auf! Was hatten
Die Menschen dem Satrapen denn getan?

Artaxerxes.
Getan? Gar nichts! Bei uns ist ein Begräbnis
Viel prächtiger, wie eine Hochzeit hier!

Moses.
Vermutlich freßt ihr eure Toten auf!
Es paßte gut zum übrigen!

Artaxerxes.                               Dann ist's
Auch wohl nicht wahr, daß eure Königin
Im Wein einst eine Perle aufgelöst,
Kostbarer, als das ganze Königreich,
Und daß sie diesen Wein an einen Bettler
Gegeben hat, der ihn, wie andern, soff?

Moses.
Das ist es nicht! Gott Lob!

Artaxerxes (zu Jehu).               Du sagtest's aber!

Jehu.
Weil es mir eine Ehre für sie schien,
Und weil man's von der Ägypterin erzählt!

Moses.
Hinweg!

Artaxerxes (deutet auf die Rosen, die Jehu trägt).
                Wirkliche Rosen! Die sind billig,
Bei uns sind's silberne und goldene!
Die soll man dahin schicken, wo die Blumen
So kostbar sind, wie Gold und Silber hier!

(Diener zerstreuen sich. Die Gäste, unter ihnen Soemus, haben sich während der letzten Hälfte dieser Szene versammelt. Musik. Tanz. Silo und Judas sondern sich von den übrigen und erscheinen im Vordergrund.)

Silo.
Was soll das heißen?

Judas.                                 Was das heißen soll?
Der König kehrt zurück! Und das noch heut!

Silo.
Meinst du?

Judas.                 Wie kannst du fragen! Gibt's denn wohl
Noch einen andern Grund für solch ein Fest?
Üb dich auf einen neuen Bückling ein!

Silo.
Es hieß ja aber –

Judas.                         Lug und Trug, wie immer,
Wenn's hieß, ihm sei was Schlimmes widerfahren,
Und ganz natürlich, da's so viele gibt,
Die ihm das Schlimme wünschen! Wird getanzt
In einem Haus, wo man um Tote klagt?

Silo.
Da wird denn bald viel Blut vergossen werden,
Die Kerker stecken seit dem Aufruhr voll!

Judas.
Das weiß ich besser, als du's wissen kannst,
Ich habe manchen selbst hineingeschleppt.
Denn dieser Aufruhr war so unvernünftig,
Daß jeder, der nicht eben darauf sann,
Sich selbst zu hängen, ihn bekämpfen mußte.
Du weißt, ich liebe den Herodes nicht,
Wie tief ich mich auch immer vor ihm bücke,
Doch darin hat er recht: die Römer sind
Zu mächtig gegen uns, wir sind nicht mehr,
Als ein Insekt ist in des Löwen Rachen,
Das soll nicht stechen, denn es wird verschluckt!

Silo.
Mir tut's nur leid um meines Gärtners Sohn,
Der einen Stein nach einem röm'schen Adler
Geworfen und ihn auch getroffen hat!

Judas.
Wie alt ist der?

Silo.                           Wie lange ist es doch,
Daß ich den Fuß brach? – Da ward er geboren,
Denn seine Mutter konnte mich nicht pflegen,
Ja, richtig – zwanzig!

Judas.                               Da geschieht ihm nichts!
(Mariamne und Alexandra erscheinen.)
Die Königin! (Will gehen.)

Silo.                       Wie meinst du das? Ein Wort noch!

Judas.
Wohl! Im Vertraun denn! Weil er zwanzig ist,
Geschieht ihm nichts! Doch wenn er neunzehn wär'
Und einundzwanzig, ginge es ihm schlecht!
Im künft'gen Jahr steht's anders!

Silo.                                                     Spaße nicht!

Judas.
Ich sage dir, so ist's! Und willst du wissen
Warum? Der König selbst hat einen Sohn
Von zwanzig Jahren, doch er kennt ihn nicht!
Die Mutter hat ihm, als er sie verließ,
Das Kind entführt und feierlich geschworen,
Es zu verderben –

Silo.                               Greuelhaftes Weib!
Heidin?

Judas.           Vermutlich! Zwar, ich weiß es nicht! –
So zu verderben, daß er's töten müsse,
Verstehst du mich? Ich halt's für Raserei,
Die sich gelegt hat nach der ersten Wut,
Doch ihn macht's ängstlich, und kein Todesurteil
Ward je an einem Menschen noch vollzogen,
Der in dem Alter seines Sohnes stand.
Tröst deinen Gärtner! Doch behalt's für dich!

(Verlieren sich wieder unter die Übrigen.)

Fünfte Szene

Alexandra und Mariamne erscheinen im Vordergrund.

Alexandra.
So willst du dich nicht zu den Römern flüchten?

Mariamne.
Wozu nur?

Alexandra.         Um das Leben dir zu sichern!

Mariamne.
Das Leben! Freilich! Das muß man sich sichern!
Der Schmerz hat keinen Stachel ohne das!

Alexandra.
So gib der Stunde wenigstens ihr Recht!
Du gibst ein Fest, so zeig auch deinen Gästen
Ein festliches Gesicht, wie sich's gebührt!

Mariamne.
Ich bin kein Instrument und keine Kerze,
Ich soll nicht klingen, und ich soll nicht leuchten,
Drum nehmt mich, wie ich bin! Nein! Tut es nicht!
Treibt mich, das Beil für meinen Hals zu wetzen,
Was red ich, treibt mich, daß ich mit euch juble –
Soemus, auf!
(Zu Salome, die eben eintritt und ihr entgegenschreitet.)

                              Du, Salome? Willkommen
Vor allem mir, trotz deiner Trauerkleider!
Das hätt' ich kaum gehofft!

Sechste Szene

Salome.                                       Ich muß ja wohl,
Wenn ich erfahren will, wie's steht! Ich werde
Zu einem Fest geladen, doch man sagt
Mir nicht, warum das Fest gegeben wird!
Zwar kann ich's ahnen, doch ich muß es wissen!
Nicht wahr: Herodes kehrt zurück? Wir werden
Ihn heut noch sehn? Die Kerzen sagen ja,
Die lustige Musik! Tu du es auch!
Ich frag nicht meinetwegen! Doch du weißt –
Nein, nein, du weißt es nicht, du hast's vergessen,
Du hast vielleicht geträumt, sie sei begraben,
Sonst hättst du ihr die Kunde nicht verhehlt,
Allein dein Traum hat dich getäuscht, sie sitzt
Noch immer in der Ecke, wo sie saß,
Als sie dich segnete –

Mariamne.                         Was redest du?

Salome.
Genug! Herodes hat noch eine Mutter,
Die bangt um ihren Sohn und härmt sich ab.
Und ich, ich bitt dich: laß sie das Verbrechen,
Daß sie auch mich gebar, nicht länger büßen,
Gib ihr den Trost, nach dem ihr Herz verlangt!

Mariamne.
Ich hab für seine Mutter keinen Trost!

Salome.
Du hast Herodes heut nicht zu erwarten?

Mariamne.
Nichts weniger! Ich hörte, er sei tot!

Salome.
Und feierst dieses Fest?

Mariamne.                             Weil ich noch lebe!
Soll man sich denn nicht freun, daß man noch lebt?

Salome.
Ich glaub dir nicht!

Mariamne.                       Viel Dank für deinen Zweifel!

Salome.
Die Kerzen –

Mariamne.               Sind sie nicht zum Leuchten da?

Salome.
Die Zimbeln –

Mariamne.               Müssen klingen, weißt du's anders?

Salome (deutet auf Mariamnens reiche Kleidung).
Die Edelsteine –

Mariamne.                 Stünden dir zwar besser –

Salome.
Das alles deutet –

Mariamne.                   Auf ein Freudenfest!

Salome.
Das über einem Grabe –

Mariamne.                             Es ist möglich!

Salome.
Dann – Mariamne, hör ein ernstes Wort!
Ich hab dich stets gehaßt, doch immer blieb mir
Ein Zweifel, ob es auch mit Recht geschah,
Und reuig hab ich oft mich dir genähert,
Um –

Mariamne. Mich zu küssen! Einmal tatst du's gar!

Salome.
Jetzt aber seh ich, du bist –

Mariamne.                                 Schlecht genug,
Dich stehnzulassen und mich in die Schar
Zu mischen, welche dort den Tanz beginnt!
Soemus!

Soemus (reicht ihr den Arm).
                Königin!

Mariamne.                       So hat Herodes
Mich ganz gewiß gesehen, als er dir
Den blutigen Befehl gab. Wunderbar!
Es ist nun wirklich alles so gekommen!
(Im Abgehen zu Salome.)
Du siehst doch zu?

(Von Soemus in den Hintergrund geführt, wo sie beide nicht mehr gesehen werden.)

Salome.                         Dies Weib ist noch viel schlechter,
Als ich's mir dachte! Das will etwas sagen!
Drum hat sie auch die bunte Schlangenhaut,
Mit der sie alles ködert! – ja, sie tanzt!
Nun, wahrlich, jetzt ist mein Gewissen ruhig,
Der kann kein Mensch auf Erden unrecht tun!

(Sie sieht Mariamnen zu.)


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