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Fünftes Kapitel.
Wie ich mein eigener Herr wurde und wie ich aufhörte, es zu sein.

Das war eine trübe Frühstücksstunde am Tage nach der Beerdigung. Schon ehe der Tag anbrach hatte ich den Wagen beladen und Pålle gefüttert und gestriegelt. Ich sollte mich nun allein auf die Reise begeben.

Wir saßen an jenem kühlen Wintermorgen in der großen Stube um den Tisch herum, der Gerichtsbauer, die »Mutter«, ich und die Kinder, unter denen Hanna, ein kleines, blasses, blondes Ding von 14 Jahren, Lars Anderssons Liebling gewesen war und stets den Löwenantheil seiner Bonbons erhalten hatte.

»Iß ein wenig, Nils!« forderte die Bäuerin mich auf.

Ich dankte, die Bissen wurden mir im Munde so groß, daß ich meinte, daran ersticken zu müssen.

»Nun, wie denkst Du es mit dem Geschäfte zu halten?« fragte der Gerichtsbauer.

»Oh, damit hat es keine Noth. Ich handle und reise gerade so, wie wir es machten, als Lars ... (hier kamen die Thränen) und bezahle rechtzeitig alle Rechnungen, so wird es schon gehen.«

»Ja, ja, dachte ich's doch, daß Du es nicht besser wüßtest. Ein Testament, siehst Du, muß »bewacht« werden, und Du mußt es Dir gefallen lassen, daß sie Dir einen Vormund setzen, bis Du einundzwanzig bist,« sagte der Gerichtsbauer.

Dies war mir etwas ganz Neues, und die gerichtlichen Formalitäten erschreckten mich nicht wenig; doch die Sache ließ sich leicht ordnen, da der Gerichtsbauer sowohl Testamentsvollstrecker wie mein Vormund wurde. Das Letztere hat ihm weiter keine Mühe gemacht, da ich meine Angelegenheiten vom ersten Tage an allein besorgte.

Bald war Pålle angespannt. Es war grimmig kalt, und oben auf dem Wagen lag der Wolfspelz meines alten, theuren Lars, aber die Ehrfurcht vor dem Andenken meines Herrn verbot mir, von diesem Theile meiner Erbschaft sogleich Besitz zu ergreifen. Doch als ein paar Tage darauf das Thermometer bis auf -40 Grad Celsius fiel, überwand ich meine Bedenken und schlüpfte hinein.

Ach, die Jugend ist leichtsinnig und vergeßlich! Mein tiefer, aufrichtiger Schmerz um meinen Wohlthäter wurde mit dem knospenden Frühling ruhiger, und als der Sommer alle Wege, auf denen ich dahinfuhr, mit seiner Pracht verschönte, hatte die schmerzliche Trauer der innigen Dankbarkeit, der theuren, heilig gehaltenen Erinnerung, die noch in der Brust des Sechzigjährigen wohnt, Platz gemacht.

Es gelang mir, mich beliebt zu machen, und daher ging es auch mit meinem Geschäfte vorwärts. Ich liebte meinen Beruf, freute mich meines Lebens und dachte mit frohem Herzen daran, daß ich nun – Dank sei Lars – auch meinen Geschwistern helfen könnte. Ich kann nicht beschreiben, wie stolz ich war, als ich zum ersten Mal auf eigenem Wagen in mein Heimathsdorf einfuhr. Es war im September desselben Jahres. Ich hatte mein bestes Zeug angezogen und mir zu diesem feierlichen Tage eine Klatschpeitsche zu zwei Thalern gekauft. So fuhr ich denn, stolz wie ein König, die Dorfstraße entlang und klatschte so mit der Peitsche, daß Pålle, der gar nicht an so etwas gewöhnt war, mißbilligend den Kopf schüttelte. Ach, da zogen ja die Dorfkühe aus, und hinter ihnen ging eine neue Auflage meiner selbst, ein zerlumpter Knirps in zu großen Holzschuhen und der geflickten Jacke eines breitschulterigen Mannes. Der Kleine betrachtete mich neugierig. Oh, wie groß fühlte ich mich in diesem Augenblicke.

»Komm her, Du Kleiner!«

Er kam und ich gab ihm sechs Schillinge. Die Erinnerungen stürmten auf mich ein.

»Bist Du bange vor dem Stiere, Junge?«

Er trat näher an den Wagen heran und flüsterte ängstlich:

»Ja, Herr Gott, ganz schrecklich, aber sagt's nicht weiter, Herr.«

Hopp Pålle.

Ich kehrte in jedem Hause ein. Geschäfte machte ich freilich nicht dabei, desto mehr aber freute sich meine jugendliche Eitelkeit an den überraschten Ausrufen: »Nein, seht, was für ein feiner Kerl aus ihm geworden ist!« und »Nein, ist es wirklich möglich, daß Jöns im Hagens Bub' es soweit gebracht hat?«

Ich besuchte meine Geschwister. Hanna war 17 Jahre alt und diente für Kost und Lohn, Johannes war 15; er war Ostern eingesegnet worden und hatte gleich darauf das Haus des Dragoners, der ihn auf der Auktion gekauft hatte, verlassen. Jetzt diente er bei einem Großbauern, wo er ein wenig mehr von der Landwirthschaft lernen konnte, als es auf der Soldatenhäuslerei der Fall war. Mehr als Kost und abgelegte Kleider bekam er in den ersten zwei Jahren nicht, aber er war doch frei und konnte selbst über sein Schicksal bestimmen. Ich gab ihnen neue Kleider und Taschengeld. Doch Klein-Emma war leider erst elf Jahre alt, sie mußte ihr Sklavenleben noch einige Jahre lang führen. Doch sie freute sich über ein großes Stück Brustzucker mehr, als die andern über ihre neuen Sachen, und ich erfuhr später, daß ein seidenes Kopftuch, das ich ihrer Bäuerin verehrte, und das Versprechen, für Emmas Kleidung zu sorgen, die Stellung meiner kleinen Schwester wesentlich verbesserte.

Die Gräber? Ach, natürlich hatte sich Niemand danach umgesehen! Die grünen Hügel waren eingesunken, und an der Stelle, wo meine Eltern, meiner Meinung nach, ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten, graste die Kuh des Küsters ...

Mein Umsatz und mein Ansehen vergrößerten sich, meine Ansprüche ebenfalls, und wenn ich jetzt in einen Flecken oder ein großes Dorf kam, ließ ich mir immer in der Herrenstube serviren.

Bald nachdem ich mich zu diesem ersten Schritte in eine höhere Sphäre aufgeschwungen hatte, kam ich in einen småländischen Marktflecken. Ich saß allein an einer Ecke des langen Tisches, an dessen oberem Ende eine lustige Gesellschaft junger Leute Mittag aß. Die Herren waren in sehr heiterer Stimmung, und nach einer Weile trat der eine zu mir und sagte:

»Entschuldigen Sie, mein Herr. Mein Name ist Strömberg, Sergeant Strömberg. Sie sitzen hier so allein, wie eine Eule in einer Ruine. Wollen Sie sich nicht zu uns setzen?«

»Danke sehr, ich bin der Händler Nils Jönsson.«

So wurde ich denn dem Postassistenten und dem Gerichtsschreiber, einem Gensdarm und noch zwei anderen Herren vorgestellt. Wir tranken mehrere Flaschen Punsch, eine Waare, die ich nicht »führte« und die ich bisher nur vom Hörensagen gekannt hatte. Schon bei dem zweiten Glase wurde mir zum ersten Mal in meinem Leben »Brüderschaft« angeboten. Diese Ehre ist mir später noch oft widerfahren, doch nie wieder hat sie solchen Eindruck auf mich gemacht.

Anfangs waren wir freilich nur Halbbrüder, sie nannten mich »Du« und ich sagte in meiner Blödigkeit »Herr« zu ihnen, doch als wir die zweite Flasche geleert hatten, fand ich mich in die Situation und duzte sie, als müßte es so sein.

Dann wurden Karten herbeigeholt, die Kellnerin brachte mehr Punsch und – der Saal schrumpfte zusammen und wurde so schrecklich klein – und meine neuen Brüder drehten sich im Kreise – und dann wurde es mir schwarz vor den Augen.

In der Nacht erwachte ich in einem feinen Bette, dessen Oberlaken mit gehäkelten Spitzen besetzt war, und es war mir, als würde in meinem Kopfe ein Haus gezimmert. Nach langem Suchen fand ich schließlich meinen Rock, in dessen Brusttasche ich eine Zündholzschachtel hatte. Ich öffnete mein Taschenbuch, in dem ich 400 Thaler hatte, da ich in Jönköping eine verfallene Rechnung bezahlen mußte. 250 Thaler fehlten. »Es ist ein theures Vergnügen für einen Hausirer mit Herren umzugehen,« dachte ich bei mir selbst bei diesem Ueberschlage meines Spielverlustes.

Doch noch betrübter wurde ich, als ich mit wankenden Schritten meinen Freund im Pferdestalle aufsuchte. Die Stallthür stand trotz der scharfen Nachtluft offen, die Pferdedecke und das Futter waren gestohlen und Pålle hatte seit Mittag weder Naß noch Trocken bekommen. Er wandte den alten, grauen Kopf nach mir um, und sah mich in dem fahlen Morgenlichte mit seinen tiefen, klugen Augen an. Mir traten die Thränen ins Auge als ich an Lars und sein mündliches Testament in Betreff Pålles dachte.

Zwei Stunden darauf reiste ich ab, Pålle hatte sich satt gefressen, mir selbst war schlecht zu Muthe. Auf der Straße begegnete ich einem meiner neuen Brüder.

»Kreuz noch einmal, Jönsson! Danke für gestern! Schade, daß Du so verwünschtes Pech hattest. Heute Abend geben wir Dir Revanche!«

»Danke vielmals, aber das wage ich nicht zu trinken: ich habe noch genug vom Punsch,« antwortete ich artig.

Ich grämte mich sehr darüber, daß mir so etwas hatte passiren können, und kam erst wieder ins richtige Gleichgewicht, als ich zu Ostern nach Bolsåkra kam, wo ich das Fest über bei meinem alten Freunde, dem Gerichtsbauern Karlsson, bleiben wollte, den ich seit zwei Jahren – so lange war Lars schon todt – nicht gesehen hatte.

Der Gerichtsbauer und ich setzten uns gleich aufs Sopha in der guten Stube und begannen ein vernünftiges Wort zu reden, während Mutter Lena uns Kaffee einschenkte. Als ich aufblickte, sah ich ein junges Mädchen durch die Wohnstubenthür eintreten. Eine große, schlanke Erscheinung mit goldgelbem Haar und einem offenen, nordischen, außergewöhnlich schönen Gesicht. Ich sprang auf und drehte verlegen meine Mütze zwischen den Händen.

»Was giebt's?« fragte der Gerichtsbauer erstaunt.

»Mamsell ...?« stotterte ich.

»Ha, ha, ha! Setz Dich, Narr! Kennst Du Hanna nicht mehr?«

War es möglich? Hatten zwei kurze Jahre wirklich aus der kleinen blassen Hanna ein so schönes, großes Mädchen gemacht?

Das war ein frohes Osterfest. Wir fuhren zur Kirche. Wir schmückten das Grab meines Wohlthäters nach bestem Vermögen. Wir wanderten durch Feld und Wald und freuten uns an den ersten Lebenszeichen der erwachenden Natur, und als ich schließlich abreiste, war es mir, als sollte mir das Herz brechen. –

Doch viele Jahre sollten vergehen, ehe ich wieder nach Bolsåkra kam. –

Das Glück stand mir mehr bei, als ich es je zu denken und zu fassen gewagt hatte. Daß ich so lange reisender Händler blieb, war hauptsächlich die Folge einer abergläubischen Furcht, daß das Glück sich wenden könnte, wenn ich mich in einer Stadt ansässig machte.

Doch als Gustafsson hier unten in der Strandstraße Concurs machte, der Laden frei wurde und der Concursverwalter sich erbot, den Inventurpreis des Lagers um 30 Prozent herabzusetzen, ging ich darauf ein und habe es nie bereut.

Es ist doch merkwürdig, wie schnell man »Herr« werden kann, wenn man es ordentlich darauf anlegt. Nach einem Jahre konnte man zwischen mir und den anderen Stadtherren gar keinen Unterschied mehr finden, wenn ich – den Mund hielt. Oeffnete ich ihn aber, so war meine Ausdrucksweise zu bäuerisch, ich gebrauchte Worte, die man in den besseren Kreisen nicht kennt, und viele der bei ihnen gebräuchlichen Ausdrücke konnte ich wieder nicht begreifen. Doch in feiner Gesellschaft kann man sich auch durch Schweigsamkeit empfehlen. Vor einigen Jahren war ein Assessor hier in der Stadt, der sich sowohl zum Landessecretair wie zum Reichstagsabgeordneten zu schweigen verstand.

Kleider machen Leute. Sowie ich mich hier niederließ, fing ich an, Corderoybeinkleider und sogar an Wochentagen eine ausgeschnittene Weste zu tragen. Ich machte Brüderschaft mit einer ganzen Menge netter junger Leute, ohne daß es mich einen Pfennig kostete, und wenn ich in einem Restaurant mein Glas Grog trank, sah es mir kein Mensch an, daß ich früher Hütejunge, Kleinknecht und Hausirer gewesen war.

Mit meinem Geschäfte konnte ich ebenfalls zufrieden sein. Anfangs warf es doch kaum so viel ab wie der alte Packwagen, doch bald hob es sich immer mehr, und wenn die Großhändler von Malmö und Gothenburg sich bei der hiesigen Privatbank nach mir erkundigten – es gab damals noch keine Kaufmannsvereine – so wurde umgehend »Fein!« geantwortet.

Es giebt nicht so viele gutsituirte Junggesellen hier auf Erden, daß man sich den Luxus erlauben kann, sie frei und ledig umhergehen zu lassen, selbst wenn sie in einer Waldhütte geboren sind und weder ein Gymnasium noch eine Universität besucht haben.

Daher kam es denn auch wohl, daß meine älteren Bekannten, die heiratsfähige Töchter hatten, mich bald auf einen Rehbraten, bald auf Haselhühner, bald auf Krebse in aller Einfachheit einluden. Eingebildet bin ich nie gewesen, doch, da Papa bei solchen Einladungen stets plötzlich einige wichtige Briefe zu schreiben hatte und die Mama »einen Augenblick« in die Stadt mußte, so daß ich stundenlang mit dem geliebten Kinde allein blieb, ist es wohl verzeihlich, wenn ich glaube, daß sie gegen eine Verwandtschaft mit mir nichts einzuwenden gehabt haben würden.

Glaubt nicht, daß ich für die Reize der Mamsell Tochter unempfindlich war. (Der Fräuleintitel kam dazumal nur adligen Damen zu und bürgerte sich erst zehn Jahre später in unseren Kreisen ein.) Damit würdet ihr mir sehr unrecht thun. Doch trotz aller Freundlichkeit und Artigkeit fühlte ich mich fremd und nicht an meinem Platze. Herkunft und Erziehung schienen verschiedene Racen aus uns gemacht zu haben. Ich war entzückt, wenn ich die schlanken, weißen Finger über die Tasten des Klaviers gleiten sah, wagte aber nicht näher zu kommen, weil ich fürchtete, die Notenblätter umwenden zu müssen. Das aber wagte ich nicht, weil ich nie habe begreifen können, wann eine Seite eigentlich zu Ende gespielt ist.

Wenn ich bei mir zu Hause, im Comptoir oder im Laden war, oder wenn mich des Nachts mein gewöhnlich vorzüglicher Schlaf einmal im Stiche ließ, kam ich oft »beinahe« zu dem festen Entschlusse, alle Bauernblödigkeit über Bord zu werfen und mich einem der feinen Mädchen mit den weißen, schlanken Fingern, den feinen, anmuthigen Bewegungen, dem hellen Lachen und der gewandten Unterhaltung zu nähern. Ich war ja schon ein Stück in der Civilisation vorgeschritten, hatte mir manche Ausdrücke, die, wie ich sah, auffielen, abgewöhnt und konnte die Karten halten, ja sogar ebenso gut »geben« und »ausspielen« wie meine Bekannten. Sollte meine Zukünftige mir nicht beibringen können, was mir noch an Bildung fehlte.

Und so malte ich, der Hütejunge, das verauktionirte Waisenkind, mir mein künftiges Leben aus; eine herrschaftliche Wohnung, in die ich mich nach vollbrachter Tagesarbeit zurückziehen konnte und wo zwei weiche, runde Arme sich um denselben Nacken legten, der so oft den kräftigen Griff von Jöns vom Nordhofes brauner Faust gefühlt hatte.

Doch fest wurzelte ich noch nicht in meiner neuen Stellung; sobald ich einer der zukünftigen Bräute gegenüberstand, erschien mir mein Entschluß unausführbar, denn wenn auch meine Schüchternheit sich mit der Zeit gab, das Gefühl der Nichtzusammengehörigkeit konnte ich nicht überwinden.

Doch – auch meine Stunde sollte kommen. Einer meiner besten Kunden war Patron Bramberg, der eine Meile vor der Stadt wohnte. Was für eine Art »Besitzer« er eigentlich war, mag Gott wissen, denn er besaß weder eine Fabrik noch ein Gut, sondern hatte von einem Obersten a. D. ein einstöckiges Haus mit einem großen Garten gemiethet und lebte, der Kuckuck weiß, wovon; es hieß, daß seine Verwandten ihn unterstützten, seit sein eigenes Geschäft mit einem Krache geendet hatte.

Doch daß er lebte, war ein Factum, und recht gut obendrein, wie ich aus den Requisitionen in meinem Laden sah.

Anfangs war ich sehr froh über den Consum auf Björka, so hieß das Oberstengut, das nun ein Inspektor bewirthschaftete, doch meine Freude legte sich ein wenig, als sich von Liquidationen gar nichts hören ließ. Wir schickten ihm also Ostern noch einmal das volle Contobuch, und ein paar Tage darauf kam er in die Stadt. Er suchte mich im Laden auf, lud mich zum Mittag auf dem Rathskeller ein, war bei ausgezeichneter Laune, bat mich, ihn Onkel zu nennen, und sagte beim Abschiede:

»Es ist ja wahr! Unsere Geschäfte, mein Junge! Nun, die muß ich ein andermal abmachen!«

Mitte Mai, als sein Schuldconto sich durch neue Requisitionen ansehnlich vergrößert hatte, erlaubte ich mir, ihm einen außerordentlich artigen Mahnbrief zu schreiben.

Am nächsten Tage trat »Onkel« Bramberg wieder bei mir ein, doch nicht allein, sondern mit seinen drei Töchtern. »Meiner einzigen Freude im Leben, seit der Tod mir meine geliebte Frau genommen hat!«

Die Bramberg'schen Mädchen waren eine kleine Geschwisterkette, in der jeder Ring wie ein Edelstein glänzt und doch jeder für sich die andern an Schönheit zu übertreffen scheint. Mit ihnen verglichen waren unsere Stadtdamen rein garnichts. Sie waren alle drei vollendete Schönheiten in dem dunklen, sylphenhaften Genre, mit kaum mittelgroßer, bezaubernder, graciöser Figur, Kinderfüßen und kleinen, kleinen Händen, reinen, klassischen Zügen, blitzenden, schwarzen Augen, rabenschwarzem, so reichem Haar, daß man sich wunderte, wie der feingebogene Hals eine solche Fülle tragen konnte. Das Einzige, was nicht schön war, war der gelbe Teint, der auf physische Schwäche hindeutete, doch dadurch wurde das Gesicht vielleicht noch interessanter.

Ihr Alter! Ja, das mag Gott wissen! Die Aelteste konnte den einen Augenblick wie 30, den andern wie 19 aussehen. Einmal redeten sie, als hätten sie die ganze Welt und ihre Herrlichkeit gesehen, und dann waren sie wieder so naiv wie ein Backfisch.

Ich verlor schon vollständig den Kopf, als der Vater mit ihnen in den Laden trat und sie mir alle drei vorstellte, und es wurde nicht besser, als er mich bat, mit ihnen Abends ins Theater zu gehen. Das Souper von vier warmen Gängen und Champagner, das ich nach dem Theater im Rathskeller spendirte, war auch nicht dazu angethan, mir Kopf und Herz wieder auf den rechten Fleck zu setzen.

In unserer Stadt geht es altmodisch-einfach, ehrbar und vernünftig her, und früher vielleicht noch mehr als heutzutage. Was mich betrifft, so ließ ich an dem Abende zum ersten Mal in meinem Leben einen Champagnerpfropfen springen.

Obgleich die Brambergschen Mädchen hoch über allen Damen standen, die ich bisher gesehen hatte, waren sie doch so gewandt und verstanden sich den Umständen und den Personen, mit denen sie es zu thun hatten, so anzupassen, daß ich mich in ihrer Gesellschaft viel freier und ungenirter fühlte, als wenn ich mit einer unserer Stadtdamen zusammen war. Und als ich des Nachts heimschwankte, glücklich über die Einladung, sie auf einige Tage zu besuchen, wäre ich erstaunt gewesen, wenn mir Jemand gesagt hätte, daß ich je eines der hiesigen Mädchen hätte heirathen wollen.

Es dauerte jedoch – weshalb weiß ich heute noch nicht – drei volle Wochen, ehe ich mich nach Björka begab. Ich sehnte mich dorthin und doch fürchtete ich mich davor. An einem herrlichen Sommertag in der Mitte des Juni fuhr ich endlich hin. Keiner erwartete mich, doch schon auf dem Hofe kamen mir die drei Mädchen in hübschen, frischen Kleidern entgegen, ich wurde gebeten mich an den gerade fertig gedeckten Frühstückstisch zu setzen, auf dem nicht die geringste Veränderung vorgenommen wurde, und doch war das Frühstück so, daß man es einem Regierungspräsidenten hätte vorsetzen können.

Das Menschenherz ist ein wunderliches Ding. Diese außerordentlich korrekte Toilette, ohne daß Besuch erwartet wurde, das ordentliche und behagliche Heim, dieses feine Frühstück auf reinem Tischtuche, die ruhige Freundlichkeit, mit der man mich empfing, ohne daß meine Ankunft die geringste Spur des Aufstandes zeigte, den ein unerwarteter Gast in einem ärmeren Hause hervorruft – alles dieses stieg dem Häuslerjungen zu Kopf und machte ihn, der bisher nicht gewußt hatte, was Nerven sind, nervös. Die Umgebung und die Gewohnheiten, in der und mit welchen ein Mensch heranwächst, drücken ihm unwillkürlich ihren Stempel auf; ein von Kindheit an sorgfältig erzogenes, in verhältnißmäßig reichem Heim groß gewordenes Geschöpf kann weder ebenso empfinden, noch ebenso denken, wie derjenige, welcher sich als Kind in schmutzigem, zerrissenem Hemde zum Essen niedergesetzt hat, bei dem der Hering in die schwarzen Finger genommen und die Schuppen an der Hose abgetrocknet wurden.

Da saß ich nun in Liebes-, Neides- und Aufregungsqualen und mußte von meinen eigenen, noch unbezahlten Conserven essen. Doch Brambergs verstanden es ausgezeichnet, ihre Gäste zu amüsiren. Wir gingen durch den Garten, ruderten auf dem See, tranken auf einem schattigen Halme Himbeersaft und Vichywasser, und die Mädchen zwitscherten um mich her wie die Vögel nach einem belebenden Frühlingsregen. Beim Mittagsessen war ich so strahlend glücklich wie ein naives Naturkind. Wir tranken Portwein, und ich blickte durch die sonnenbeschienenen Fenster der Glasveranda und fragte mich verwundert, ob dies wohl dieselbe Welt sein könnte, in die ich von meinem Comptoirfenster in der Stadt zu blicken pflegte.

Der Bauernjunge in mir wurde ganz närrisch und wild, er berauschte sich an schönen Augen, dem milden Sommerabend und einigen kleinen Gläsern alten Portweins! Ich mußte mir förmlich Gewalt anthun, um nicht die Absätze zusammen zu schlagen und »Heisa!« zu rufen. Gott im Himmel allein weiß, wie es zuging, aber an jenem Abende hielt ich eine Mamsell Bramberg in den Armen und küßte eine gelbliche Wange und ein dünnes, rothes Lippenpaar, das mich noch ärger berauschte als die Sommerluft und der Portwein. Der Alte war es nicht, doch war es Anna, Emmy oder Julie? Ich war in alle drei verliebt.

Es war Emmy.

Am nächsten Morgen Schlag acht Uhr trat Onkel Bramberg zu mir ins Fremdenzimmer, setzte sich an mein Bett und sagte:

»Guten Morgen, mein Junge! Du gehst im Sturmmarsch vor! Wer hätte sich so etwas denken können. Meine kleine Emmy!«

Ich schämte mich wie ein begossener Pudel und hatte keine Ahnung, was man einem liebevollen Vater bei solcher Gelegenheit sagen muß. Ich richtete mich im Bette auf, versuchte mich im Sitzen zu verbeugen und begann:

»Ach Onkel, entschuldige ...«

»So, so, Gott segne Euch!« sagte er freundlich und sprach davon, daß er heute einige Mittagsgäste erwarte.

»Ihr Beide wäret natürlich lieber allein geblieben, doch es ließ sich nicht mehr ändern.«

Ich habe, Gott sei Dank, nie einen Krieg mitgemacht, aber ich glaube, ich weiß doch, mit welchen Gefühlen man einer Batterie mit brennenden Lunten entgegengeht. Es muß ebenso sein, wie mir zu Muthe war, als ich an diesem Morgen in Björka zum Frühstück gehen sollte. Himmlischer Vater! Durch die Thür sah ich sie alle drei. Ich blieb am Ofen stehen und machte eine tiefe Verbeugung. Da schwebte Emmy heran, erhob das schöne Antlitz, bot mir die Lippen und flüsterte:

»Papa hat ja mit Dir gesprochen, und die Schwestern wissen es auch schon.« Dann kamen die Schwägerinnen, und ich theilte rechts und links Küsse aus. Ich, Jösse im Hagens Junge, küßte die schönen, feinen Mädchen, Emmy auf den Mund, die andern auf die Wangen, die Stirn und wohin es grade kam. Das Bauernblut in mir war auf dem Siedepunkte, meine Pulse klopften und ich preßte die feinen Gestalten fest an mich.

Der Vormittag verging, war aber merkwürdiger Weise lange nicht so angenehm wie der vorhergehende Tag. Es wurde Mittag und die Gäste erschienen, Gutsbesitzer Trolling mit Frau und Töchtern und seinen Söhnen, Assessor Trolling und cand. med. Trolling, Präpositus Lundin mit Frau, Tochter und Sohn, einem neugebackenen Lieutenant, der stellvertretende Amtsrichter Assessor Karell mit Mutter und Schwester, ein Referendar und zwei junge Rechtsanwälte.

Da das große Ereigniß des Tages vorläufig noch tiefes Geheimniß bleiben sollte und also keiner der Gäste die leiseste Ahnung davon haben konnte, werden sie sich natürlich alle gewundert haben, was ich eigentlich in diesem feingebildeten Kreise sollte. Ich saß freilich neben Emmy, doch ich muß eine sehr alberne, um nicht zu sagen, lächerliche Figur abgegeben haben. Ich wußte garnicht, was ich eigentlich mit ihr reden sollte, während die andern jungen Herren ihr mit glühenden Blicken zutranken und sie mit mir unverständlichen Anspielungen und Artigkeiten überhäuften!

Doch das Diner sollte nicht ohne Unglücksfall vorübergehen. Kein Verschlucken, keine Ohnmacht, nein etwas für mich viel Schlimmeres!

In unserer Stadt ging es, wie ich schon erwähnt habe, einfach und kleinbürgerlich her, und etwas so Modernes, wie Spülnäpfe beim Mittagessen, war mir dort bisher noch nicht vorgekommen. Ja, wohl große Wannen, um die Gläser zu spülen, wenn an kleinen Tischen gegessen wurde, aber nicht kleine blaue Glasnäpfe, in denen Zitronenscheiben schwimmen. Als nun das Stubenmädchen jedem ein solches kleines, blaues Ding hingesetzt hatte, nahm ich, der ich sonst gar nicht für berauschende Getränke war, es zwischen beide (!) Hände und leerte es bis auf den letzten Tropfen, worauf ich mich zu meiner Emmy wandte und mit liebevollem Lächeln zärtlich flüsterte:

»Schön! sagte Gustava vom Küssen!!«

Meine Liebste wurde leichenblaß und biß sich wortlos auf die Lippen, doch die jungen Herren sahen mich freundlich lächelnd an.

Nach dem Kaffee spielten wir »Eins, zwei, drei! das letzte Paar herbei!« im Garten. Nachdem ich mir Emmy einmal eingefangen hatte, gelang es natürlich keinem der andern Herren sie mir wieder abzujagen, dazu war ich zu oft mit Stier-Olle um die Wette gelaufen. Doch ich muß wohl mehr hurtig als graciös gewesen sein, denn wenn ich mit Emmy nach einer solchen Jagd zurückkehrte, so sah ich jedesmal, daß alle Gesichter, die meiner Braut und meiner Schwägerinnen ausgenommen, vor Vergnügen strahlten.

Als die Dämmerung einbrach, sollte im Saale getanzt werden. Taktfest war ich, das weiß ich, und einen sicheren Tänzer hat eine Dame wohl selten gefunden. Doch auch damit war es wie verhext, denn als wir einmal den Saal rund getanzt hatten, sah Emmy mit feuchtem Blick zu mir auf und flüsterte:

»Laß uns lieber ein bischen in den Garten gehen!«

Was war ihr nur, warum hatte sie Thränen in den Augen? Ich sah mich um, konnte aber keinen Grund dafür entdecken, denn alle die Uebrigen sahen zufrieden und vergnügt aus. Emmy war wie ausgetauscht, wenn sie mit den andern jungen Herren sprach! Die ruhige, beinahe herablassende Freundlichkeit, mit der sie mich behandelte, verschwand, sie wechselte unaufhörlich die Farbe, die schwarzen Augen blitzten und in dem hellen Lachen war ein Ton heimlichen Einverständnisses!

In jener Nacht that ich kaum ein Auge zu, sah aber doch klarer, als am hellen Tage. Ich sah ein armes, schönes, feines Mädchen, das sich für einen Spottpreis an einen Bauernjungen verkaufte, einen Preis, der für sie viel zu gering war, mir aber schließlich zu theuer werden konnte. Liebte ich sie überhaupt wirklich? Nein, ich hatte mich an schönen Augen und schwarzen Flechten berauscht; doch nur der Zufall hatte mich mit Emmy zusammengeführt, es hätte ebensogut Julie oder Anna sein können. Wie würde unsere Ehe wohl ausfallen?

Nein, nein; dies war, wie Händler-Lars zu sagen pflegte, ein »unsicheres Geschäft«; ich mußte ein ernstes Wort mit dem alten Bramberg reden.

Um acht Uhr stand ich auf und ging ins Freie. Als ich über den Hof ging, sah ich, daß in Herrn Brambergs Schlafzimmer die Rouleaux schon aufgezogen waren. Er mußte also schon auf sein, obgleich wir erst spät ins Bett gekommen waren. Ich trat an das offene Fenster, um ihm guten Morgen zu sagen. Das Zimmer war leer. Ich ging weiter, ohne ein bestimmtes Ziel im Auge zu haben und plötzlich tauchte Brambergs helle Sommerjoppe vor mir auf.

»Guten Morgen, mein Junge! – »Oh wie schön ist's im Schooße der Natur!« summte der gute Patron.

»Ich ... ich ... ich möchte ein paar Worte mit Dir sprechen, Onkel ...«

»Schieß los, mein Sohn!«

»Ich weiß nicht recht, wie ich anfangen soll ...«

»Ja so, auf die Art! Für solche Fälle will ich Dir ein gutes Recept geben, lieber Nils, fange beim Ende an, mein Junge! Oder mit anderen Worten: Zur Sache! Dadurch erspart man sich Zeit, Athem und Verlegenheit.«

»Nun, dann in Gottes Namen. Ich glaube nicht, daß Emmy und ich für einander passen und ...«

»Hoho! Drückt der Schuh da! Schon beim ersten Zwist, was? Ein wenig Eifersucht am Ende? Sei kein Narr, Nils; Emmy kennt die jungen Herren schon jahrelang; und überdies (hier legte er mir die Hände auf die Schultern und sah mich fest an), wenn auch vieles in meinem Hause anders ist, als es eigentlich sein müßte, so sind doch die Töchter des alten Bramberg ohne Falsch. Ihre Erziehung ist vielleicht das Einzige, was mir hier auf Erden gelungen ist, doch in Folge derselben haben sie auch solche Grundsätze, daß ihnen ihr Wort heilig ist. Verstehst Du mich?«

Der alte Fuchs, der verkommene Geschäftsmann, der prahlende und lügende Schwindler war wie fortgeweht, ein liebender, stolzer Vater stand vor mir; auch sein Charakter hatte also eine reine, gute Seite.

Sobald ich mich aber davon überzeugt hatte, verschwand auch meine Verlegenheit; ich redete frisch von der Leber weg und sagte ihm offen, daß ich seine Tochter weder durch Mißtrauen, noch durch Vorwürfe beleidigen wollte, aber fürchten müßte, daß unsere Herkunft, Erziehung und Lebensanschauung zu verschieden sei, als daß wir je vollständig mit einander harmoniren könnten.

Ich weiß nicht mehr, was ich noch weiter alles vorbrachte. Ich erinnere mich nur, daß ich sagte, ich hätte mich lümmelhaft betragen, und daß Bramberg, der mit gesenktem Haupte neben mir ging, so rücksichtsvoll war, mir nicht zu widersprechen. Schließlich erhob er den Kopf, sah mich ein bischen von der Seite an und murmelte:

»Glaubst Du nicht, daß ich mir das alles selbst gesagt habe? Doch ich hoffte, Ihr beiden Jungen würdet es Euch nicht klar machen. Da Du mir jedoch reinen Wein eingeschenkt hast, so will ich auch aufrichtig sein und Dir sagen, daß wenn Eure – die Sache hiermit zu Ende ist, Emmy nicht das Herz darüber brechen wird. Doch Du mußt nicht schlecht von mir denken! Ich bin alt und sorge mich um die Zukunft meiner Töchter, und ich glaubte fest, daß alles gut werden würde.«

Wir waren wieder vor dem Hause angelangt. Mit Ausnahme der Küchenregion war es noch überall still. Vor den vier Schlafzimmerfenstern der Töchter hingen noch die Rouleaux. Ich blickte zu den vier Fenstern hinauf, auf die Chaussee hinaus und dann Onkel Bramberg bittend an. Ich muß unbeschreiblich albern ausgesehen haben, denn seine Augen blitzten schalkhaft auf und er sagte in einem Tone, als beantwortete er eine Frage:

»Ja, das geht an, wenn Du willst! Ich werde Emmy grüßen und sie von der veränderten Sachlage unterrichten.«

Eine Stunde später fuhr ich wieder in die Stadt ein. Nie in meinem Leben bin ich so verlegen gewesen! Ausgerissen wie ein Dieb, ohne Abschied zu nehmen. Braut, Schwägerin und Frühstück im Stiche gelassen!

Und doch war mir zu Muthe, als wäre ich einer großen Gefahr glücklich entronnen.

Emmy habe ich später nur noch ein einziges Mal wiedergesehen, meine im Contobuch stehenden 1278 Kronen 96 Oere dagegen niemals. Doch da das Glück zweier Menschen damit erkauft ist, tröste ich mich gern darüber.

Ja, zweier, denn auch Emmy ist glücklich geworden. Fünf Jahre später sah ich sie auf einer Eisenbahnreise in Katrineholm am Kaffeetische im Speisesaale mit einem entzückenden, zweijährigen Knaben auf dem Schooße. Sie war noch schöner geworden und ihre Augen strahlten froh und lebensmuthig.

Ein schlanker, stattlicher, junger Herr suchte den Beiden Kuchen aus und sah sie mit Blicken an, die keinen Zweifel darüber ließen, in welchem Verhältnisse er zu ihnen stand.

Ich schämte mich wie ein fortgejagter Hund, konnte es aber doch nicht lassen, mich der Gruppe zu nähern und mich dem Mann meiner ehemaligen Braut vorstellen zu lassen.

Und als er sich nach seinem Plaid umsah, nahm ich die Gelegenheit wahr und flüsterte verlegen, dumm und kindisch:

»Verzeihen Sie mir!«

Emmy warf einen sonnigen, liebevollen Blick auf ihren Mann, drückte mir innig die Hand und erwiederte:

»Ich danke Ihnen!«

Sie hätte mich mit Recht für dumm halten und ich ihre Antwort für Hohn auffassen können, doch das fiel uns Beiden nicht ein, und haben wir je mit einander harmonirt, so muß es in diesem Augenblick gewesen sein.

Doch ich greife ja den Ereignissen vorweg. – Noch mehrere Tage nach meiner Rückkehr von Björka ging ich mit einem moralischen Katzenjammer im Hause umher. In den stillen einsamen Nächten sah ich das schöne, dunkle Antlitz vor mir. Doch (ich begreife noch heute nicht, wie es zuging) es wurde immer heller, die schweren, dunklen Flechten verwandelten sich in blonde Zöpfe, und die schwarzen, blitzenden Augen wurden milde und blau. Alte Erinnerungen tauchten auf und verschwanden wieder, und obgleich ich mich fünf Wochen lang bei keinem Menschen blicken ließ, habe ich in meinem ganzen Leben nicht mit so vielen Frauen verkehrt, wie damals in meinem einsamen Zimmer, in dem sich außer mir und den Fliegen kein lebendes Wesen befand.

Ich sah schließlich selbst ein, daß mir Zerstreuung Noth that. Ich hätte mir wohl eine Badereise erlauben können, war aber nicht reich genug, außerdem noch den Schaden zu tragen, den meine lange Abwesenheit dem Geschäfte bringen konnte. So wollte ich denn nur ein paar Tage aufs Land, und an einem Sonnabendabende im Hochsommer hielt ich mit meinem Fuhrwerke auf dem sauberen Hofe in Bolsåkra.

Seit sechs Jahren hatte ich meine alten Freunde nicht gesehen, doch ihr Händedruck war noch ebenso warm und ihr Blick ebenso freundlich wie in den alten Zeiten, wenn sie auch beide recht grau geworden waren.

»Das ist einmal ein lieber Besuch! Nur herein – Patron!«

»Wollt Ihr mich nicht mehr Nils nennen?«

Neugierige Augen guckten in die Thür; ich sah größere und kleinere Köpfe, die den seltenen Gast sehen wollten. Natürlich waren alle blond, und beim Anblick des einen zuckte ich unwillkürlich zusammen.

»Das ist Elin. Sie ist jetzt siebzehn. Komm herein, Elin, und sage Nils guten Tag,« sagte der Gerichtsbauer.

Das war also die jetzt erwachsene jüngste Schwester. Ich setzte mich wieder nieder und wartete, ohne zu wissen, worauf ich wartete. Zuletzt fragte ich:

»Wo ist denn Hanna?«

»Kreuz, das ist ja wahr! Mutter, Hanna muß geholt werden. Sie ist auf dem Erntefest im Südhofe, wo um den Maibaum getanzt wird. Lars kann hinlaufen und sie holen.«

»Nein, es wäre unrecht, ihr das Vergnügen zu verderben. Wollen wir nicht lieber hingehen und zusehen?« meinte ich.

Ja, diesem Vorhaben stand nichts im Wege.

Wir gingen durch das Thor, erstiegen den Hügel im Ochsenhagen, und hörten dort schon die Violinen vom Flußthale, in dem der Südhof lag, herauf. Dort war um die Maistange herum ein richtiger Tanzboden gezimmert worden, und das Polkatanzen, das um jene Zeit den Weg von den Salons in die Dorfschenken gefunden hatte, war gerade im besten Gange. Ich entdeckte Hanna sofort unter den Tanzenden. Hochgewachsen, blond, schlank und kräftig bewegte sie sich mit natürlicher Anmuth und trug das schöne Haupt keck aufrecht. Sie sah roth und erhitzt aus, die großen, blauen Augen waren ruhig, und man konnte deutlich sehen, daß sie trotz ihrer 22 Jahre, nur um des Tanzes willen tanzte.

Als die Polka zu Ende war, wollte der Vater sie rufen. Ich hielt ihn jedoch davon ab und zog ihn hinter die Bäume, wo wir Posto faßten. Ich wollte gern wissen, wie das schöne junge Mädchen sich benahm, wenn sie sich unbeobachtet glaubte.

Weshalb freute ich mich so, als sie nach Beendigung des Tanzes erst Arm in Arm mit einem jungen Mädchen am Ufer auf und ab ging und sich dann unter die älteren Frauen mischte. Weshalb lächelte ich, als mir der Vater bedauernd zuflüsterte: »Alle Burschen halten Hanna für hochnäsig! Sie will am liebsten allein sein!«

Dann wurde ein Walzer angestimmt. Ach, ich kannte ihn sofort wieder, den lieben, alten Knickswalzer!

Das Vorherengagiren war damals und ist vielfach noch heute auf dem Lande unbekannt. Das Mädchen, das beim Stimmen der Instrumente nicht »geholt« wird, bleibt unfehlbar sitzen. Deshalb eilte ich zu Hanna hin, legte den Arm um ihre Taille und flüsterte:

»Darf ich, Hanna!«

Sie zuckte tief erröthend zusammen, schien mich aber sofort zu erkennen, und so tanzten wir.

Einige Studenten, mehrere Inspektoren und ein Amtsschreiber hatten sich schon vorher am Tanze betheiligt, und deshalb erregte ich als Stadtherr kein Aufsehen, umsomehr, da meine Tanzkunst hier vollständig am Platze war.

Ich tanzte viele Tänze mit Hanna, und je dunkler der Abend wurde, desto klarer wurde es mir, welches blonde Haupt durch die Macht der Jugenderinnerungen das dunkle Köpfchen mit den blitzenden Augen verdrängt hatte. Wie gut sie sich meiner und jedes Wortes, das wir Ostern vor sechs Jahren gewechselt hatten, erinnerte. Bei ihrem ruhigen Leben, das nur wenig Abwechselung brachte, konnte das Bild des Jugendfreundes ja auch nicht so schnell verbleichen.

Dem Gerichtsbauern wurde das Zusehen über, und er ging nach Hause. Wir legten erst spät Abends den Heimweg zurück. Es war eine klare Sommernacht, der Mühlenfall brauste in der Ferne und die Wiesen dufteten nach Heu. Wir gingen, dicht aneinander geschmiegt. »Weißt Du noch, wie Du mir die Jacke trocknetest und Milch wärmtest, wenn ich im Winter mit Reise-Lars zu Euch kam?«

»Ja, Nils.«

»Weißt Du noch, wie ich Dich, als Du noch ganz klein warst, auf Pålle setzte und Dich bis zur Mühle reiten ließ?«

Sie erinnerte sich dessen noch ganz genau.

»Weißt Du noch, wie wir den letzten Ostern hier über den Hügel gingen?«

»Ja, Nils, aber ... das ist sehr, sehr lange her ...«

Ihre Stimme bebte wie von unterdrücktem Schluchzen, und als ich aufblickte und sie ansah, waren ihre Wangen so weiß wie ihre Halskrause. Mein Herz klopfte laut vor Seligkeit. Seit sechs Jahren hatte ich den kostbaren Schatz besessen, ohne daß ich es verstanden hatte, das Schloß, hinter welchem er aufbewahrt wurde, zu öffnen.

»Doch nun bin ich wiedergekommen! Nun bin ich hier, mein liebes, süßes Mädchen!« flüsterte ich ihr ins Ohr, drückte den ersten Kuß auf ihren kleinen bebenden Mund und schloß sie in meine Arme. Wir saßen lange so, dicht aneinandergeschmiegt auf einem Steine am Wegrande.

»Würde es Dir sehr schwer werden, Deine Eltern und Dein Elternhaus zu verlassen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Würde es Dir in der Stadt und in den neuen Verhältnissen gefallen?«

»Ich weiß es nicht, Nils!«

»Aber meine kleine Frau willst Du doch werden, mir folgen und mich lieb haben?«

»Ja, Gott segne Dich, Nils, das will ich.«

Auf diese Weise ist es gekommen, daß ich, der so stolz und froh darüber war, mein eigener Herr zu sein, es nur einige Jahre blieb, um dann ihr ganz und gar zu gehören, ihr, die mir das ganze Leben verschönt und mir die aufrichtige Überzeugung beigebracht hat, das in dem Sprüchworte »Gleich und Gleich gesellt sich gern«, eine tiefe Wahrheit liegt.


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