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Siebentes Kapitel.
In den Tagen der Prüfung.

Jeder Stand hat seine Vorzüge, und ich beneide keinen. Ein Geschäftsmann, mit dem es vorwärts geht, braucht selbst im Anfange nicht so ängstlich auf den Schilling zu sehen und kann seiner Frau viel eher ein Seidenkleid oder neue Möbelbezüge für die gute Stube, wie es damals hieß, oder den Salon, wie man nun sagt, kaufen, als ein Beamter im Anfange seiner Laufbahn. Doch ich möchte den Beamten und den Handwerker mit dem Hausbesitzer in einer stillen Hafenstraße vergleichen, während der Geschäftsmann dem Schiffer auf dem falschen Meere gleicht, dessen Schiff den einen Augenblick stattlich auf sonnenbeglänzten Wogen schaukelt und im nächsten vielleicht als Wrack an eine unwirthliche Küste treibt.

Nålköping ist kein Handelscentrum und kein Spekulationsherd und ich will mich nicht für ein großes, modernes Handelsgenie ausgeben, doch es ist eine Thatsache, daß ich mich im Frühlinge 1881 so in der Klemme befand, wie ich es nie gewesen. Ich hatte mich nicht mit dem sicheren Ladenverdienste begnügt, sondern Wälder gekauft, und die Holzpreise sanken; ich hatte Hafer gekauft und der Markt flaute ab. Außerdem machten ein paar Geschäftsfreunde das Buch zu, und Nils Jönsson büßte dadurch nicht wenig ein.

Bei mir zu Hause war es sonnig und friedlich wie gewöhnlich; Hanna und die Kinder kamen mir des Mittags entgegen und begrüßten mich herzlich. Vor den Fenstern blühten Blumen und die Dielen waren blendendweiß. Des Mittags bekam ich stets etwas »Besonderes«, und des Abends war mir ein Lehnstuhl vor der summenden Theemaschine hingesetzt.

Auf dem Comptoire dagegen Unruhe und Sorgen, Grau in Grau; für jede Widerwärtigkeit, die ich besiegte, mindestens drei neue. Ich fing an zu glauben, daß es mit meinen Angelegenheiten ernstlich schief gehen würde, und wenn ich des Abends in das Licht unserer hübschen Lampe starrte, ertappte ich mich auf dem Gedanken, was unsere Einrichtung wohl auf der Conkursauktion einbringen würde. Ich ließ den Blick durch unsere sechs hübschen Zimmer gleiten und sah sie im Geiste schon mit Menschen aus allen Gesellschaftsklassen angefüllt, die über die Witze des Gerichtsvollziehers über alle unsere lieben, schönen Sachen lachten.

Ihr könnt es mir glauben, ich kenne Hanna nicht ganz, obgleich wir schon so lange verheirathet sind. Ich glaube, daß sie mir in unserer Ehe immer nur ihre Sonnenseite gezeigt hat. Manchmal, wenn ich die Treppe hinaufsteige höre ich ihre Stimme mit einem mir fremden Klang, scharf und vorwurfsvoll, recht kalt und hart, und wenn ich unvermuthet ins Zimmer trete, bemerke ich zuweilen auf ihrem Gesichte einen verdrießlichen Zug, den ich gar nicht an ihr kenne und der auch sofort verschwindet, sowie sie mich erblickt. Ja, mein Herzensschatz, alles Licht, alle Freude, alle Frühlingsgefühle im Herbste des Lebens sparst Du für Deinen alten Nils auf und alle Wehmuth, üble Laune und Verdrießlichkeiten verbirgst Du ihm sorgfältig. Ich fühle, daß jede edle, feine Frau so handeln muß, wer aber hat es Dich gelehrt, Du einfaches, kleines Bauernmädchen? – Nun, ich wollte mich auch als Mann zeigen und meinen Kummer allein tragen; Hanna sollte nichts von der drohenden Gefahr wissen, als bis es mir entweder gelungen war, sie abzuwenden oder – das Unglück seinen Lauf haben mußte.

Letzteres war das Wahrscheinlichere, und ich begann meine Geschäftsführung strenge zu prüfen. Welches Urtheil würden die Conkursrichter wohl fällen? Würde ich mehr als mein Vermögen, würde ich auch meine kaufmännische Ehre verlieren? Nein; wie streng ich auch mit mir ins Gericht ging, das brauchte ich nicht zu befürchten. Nils Jönsson hatte die Beine etwas länger ausgestreckt, als die Decke reichte; aber er war ein ehrlicher Mann geblieben! Kein Schwindel! Keine Gaunerei!

Wäre ich allein gewesen, so hätte ich mich wohl bald wieder von diesem Schlage erheben können, doch mit einer Familie ist das Vonvorneanfangen nicht so leicht.

Und als ich eines Abends länger als sonst bei Tisch saß, und die Kinder dem Papa den Gutenachtkuß gegeben und uns allein gelassen hatten, da verließen mich alle meine stolzen Vorsätze, ich schloß Hanna in die Arme und schluchzte:

»Ich habe Sorgen, Hanna. Unglück, vielleicht Noth, lauert auf unserer Schwelle.«

Sie schmiegte sich nur fester an mich und sagte leise:

»Ich dachte es mir, Nils. Kann ich Dir denn garnicht helfen?« Ja, das konnte sie. Eine Frau hilft ihrem Mann schon dadurch, daß sie nicht aufschreit, nicht weint, nicht ohnmächtig wird und sich nicht in Krämpfen auf der Chaiselongue windet! Seit jener Zeit sprachen wir uns des Abends immer rückhaltlos aus, wenn die Kinder zu Bette gegangen waren. Hanna war guten Muthes, tröstete mich und machte allerlei Vorschläge zur Verbesserung meiner Lage, die natürlich unausführbar waren, aber doch meinen Muth stärkten.

Da trat eines Tages ein seltener Gast in mein Comptoir. Es war der alte, geizige, hochmüthige Hofmarschall, der auf Lindarås wohnte und alle Materialwaaren von mir bezog, mich aber trotz meines Consultitels so von oben herab behandelte, als wäre ich mein eigener Laufbursche.

»Sie sind aber schrecklich mager geworden, mein Bester! Sind Sie krank? fragte der Hofmarschall.

»Ein wenig. Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Ich möchte gern ungestört mit Ihnen sprechen.«

Ich nöthigte ihn in die gute Stube, und dort setzte er sich mit einer Miene in den besten Lehnstuhl, als hätte er die Gnade sich bei einem seiner Tagelöhner auf einen Holzschemel niederzulassen. Der hochnäsige Patron!

»Ja, sehen Sie, mein Bester,« begann er, »ich habe durch den Tod eines Verwandten ganz unvermuthet 50 000 Thaler auf den Hals bekommen. Verwünscht unangenehm! Ich weiß es nicht, was ich mit so vielem baaren Gelde anfangen soll, denn die Depositionsrente der Banken paßt mir nicht.«

»Das kann ich mir denken.« (Du möchtest wohl am liebsten Wucher damit treiben, alter Geizhals).

»Deshalb wollte ich Sie fragen – Sie verkehren ja – oder sind wenigstens mit verschiedenen Landleuten bekannt – wo ich das Geld am besten unterbringe. Unter 6 Prozent natürlich nicht. Hören Sie, von weniger als 6 Prozent darf nicht die Rede sein!«

Ich sprang vom Stuhle auf. Fünfzigtausend Thaler! Damit wäre ich gerettet! Doch, du lieber Gott, welche Sicherheit konnte ich geben! Meine Hypotheken waren schon lange engagirt. – Ich nannte die Namen verschiedener Bauern aus der Nachbarschaft, die wie ich wußte kleiner Anleihen von zwei- bis dreitausend Kronen gegen sichere Eintragung bedurften. Der Hofmarschall zog einen zierlichen Bleistift hervor und schrieb mit seiner mageren, schmalen, weißen Hand die Namen in sein Notizbuch.

»Mein Bester, das macht im ganzen nur 27 000, und ich habe es dabei mit 14 verschiedenen Personen zu thun ... Wissen Sie keinen Geschäftsmann, der gegen gute Sicherheit, sehr gute Sicherheit und natürlich nicht unter 6 Procent, das ganze Kapital übernehmen könnte?«

Mit glühenden Wangen und unsicherer Stimme rief ich aus:

»Ja, ich kenne einen, der das Geld sehr gut brauchen kann, der ohne dasselbe vielleicht bald mit Frau und Kindern obdachslos sein wird, der auch keine Sicherheit mehr zu bieten hat, der aber durch die Summe gerettet sein und sie sicher zurückbezahlen würde.«

»Hm, hm, hm! Auf so etwas, mein Bester, läßt sich kein vernünftiger Mensch ein. Entschuldigen Sie, daß ich Ihre Zeit in Anspruch genommen habe. Empfehle mich!«

»Gehorsamer Diener!«

In der Thür wandte er mir noch einmal sein altes Raubvogelgesicht zu und fragte mit häßlichem Lächeln:

»Hören Sie, können Sie mir nicht sagen, wer derjenige ist, der in diesem Loche so gründlich in der Tinte sitzt?«

Ich war erregt, verzweifelt und schrie beinahe, alle Vorsicht über Bord werfend:

»Ich selbst, Herr Hofmarschall! Bitte, sehen Sie sich an einem armen, gebrochenen Mitmenschen recht satt, wenn Sie, wie es scheint, Vergnügen daran finden?«

Der Alte richtete sich höher auf.

»Was? Wie beliebt? Sie selbst? Und das sagen Sie mir ganz offen? Denken Sie nur, wenn ich es weiter erzählte?«

»Oh nein, davor bin ich nicht bange. Sie sind wohl herzlos und geizig, Herr Hofmarschall, aber viel zu sehr Gentleman, um dazu im Stande zu sein,« antwortete ich rücksichtslos, beim Anblicke seines höhnischen Lächelns alle Besinnung verlierend.

Der Alte schloß die Thür, setzte sich wieder n den Lehnstuhl und drehte seine goldene Schnupftabacksdose zwischen den Fingern.

»Sieh, sieh! Wie war es doch noch? Ich bin also geizig? Und herzlos? War es nicht so? Aber Sie geruhen den alten Hofmarschall doch für einen Gentleman zu halten? Wirklich zu freundlich!«

Ich fühlte mich beschämt und bat um Entschuldigung.

»So, so! Sieh, sieh! Geizig und herzlos! Hat man je so etwas gehört! – Nun, wann wollen Sie die 50,000 Thaler haben?«

»Ha–a–aben? Sie haben gewiß nicht gehört, Herr Hofmarschall, daß ich – –«

»– Daß Sie keine Hypothek geben wollten. Oh ja, das habe ich gehört; aber wir begnügen uns mit einem kleinen Revers? Paßt es Ihnen um vier Tage? Dann erhalte ich das Geld.«

Ich war wie aus den Wolken gefallen und konnte kaum ein Dankeswort hervorbringen.

Vier Tage darauf brachte er mir das Geld selbst. Mit zitternder Hand unterschrieb ich den auf ein Jahr lautenden Revers und wollte ins Comptoir eilen, um ihn bescheinigen zu lassen.

»Wohin, mein Bester?«

»Zeugen, Herr Hofm...«

»Wie ich sehe, haben Sie Ihr Siegel darauf gedrückt, und das genügt mir.«

Er nahm den Revers in die Hand, besah das Siegel und lächelte spöttisch:

»N. J. in einer Ranke. Sieh, sieh! Einfach und geschmack-voll! Sauber, aber verteufelt einfach. Ein Wappenschild, das sich leicht nachmachen und verwechseln läßt. Guten Morgen, mein Bester!«

Ich wußte nicht, ob ich ihn für seine Unverschämtheit züchtigen oder seine rettende Hand küssen sollte. Ich wühlte den Mittelweg, begleitete ihn unter tiefen Verbeugungen bis an die Thür und wünschte Gottes Segen auf ihn herab.

Jubel und Freude! Die Krisis war vorüber, die Firma gesicherter als je, und nach einem Jahre bekam der Hofmarschall sein Geld zurück. Ich brachte es nach seinem Wunsche sicher auf dem Lande unter, gegen 6 Prozent, kein Oere darunter. Nur die Jahreszinsen bezahlte ich ihm baar aus. 3000 Kronen zu 6 Prozent, kein Oere darunter.

Die Liquidation fand bei nur zu Hause statt, und wir waren grade fertig, als ein piependes Geschrei sich hören ließ.

»Kleiner Nachwuchs, was?« fragte der Hofmarschall.

»Ja, ein kleines Mädchen; acht Tage alt.«

»Sieh, sieh! So! hm ... hm ... Hören Sie, mein Bester, in Ihren Kreisen werden solche kleine Gäste wohl bald getauft, früher als es bei uns Sitte ist, nicht wahr?«

»Ja–a–a. Wir wollten eigentlich schon nächsten Donnerstag ...«

»Jaso, also richtig! Donnerstag! Komme da grade zur Stadt. Verzeihen Sie, alte Leute haben bisweilen sonderbare Einfälle. Bin lange auf keiner Taufe mehr gewesen. Wir sind ja nun alte Bekannte. Es geht wohl nicht an, daß ich mich selbst einlade? Was meinen Sie?«

»Herr Hofmarschall ... wie kann ich Ihnen je ... allzugroße Ehre für uns ... unendlich schmeichelhaft ...«

Ich bin sonst kein Kriecher, aber damals habe ich mich wohl mehr als nöthig verbeugt. Doch ich bereue es nicht. Ich bückte mich nicht vor ihm, weil er Hofmarschall war, sondern weil ich durch seine Hülfe mein glückliches Heim hatte retten können!

Ich sagte ihm also, daß die Taufe um vier Uhr stattfinden würde, und mit dem Glockenschlage hielt sein Landauer auch vor unserer Hausthür. Hanna freute sich natürlich der andern Frauen wegen sehr auf sein Kommen; war aber sehr verlegen und auch ein wenig ängstlich. Ein Herr, der einen Großhändler und Viceconsul »mein Bester« anredet, konnte im Stande sein, in Jagdstiefeln zur Taufe zu kommen.

Doch nein, er kam in großer Hofgala, begrüßte alle sehr freundlich und nannte Hanna »Frau Consul«. Er konnte also manierlich sein, wenn er nur wollte.

Der Pastor ließ beinahe das Handbuch fallen, als er den alten hochmüthigen Hofmarschall, der mit keinem Menschen, in der ganzen Stadt außer dem Regierungspräsidenten, umging, bei meinem Kinde Gevatter stehen sah, und die übrigen Nålköpinger guckten sich beinahe die Augen aus.

Die Kleine erhielt den Namen Karin, und sie soll nächstes Jahr confirmirt werden.

Der Hofmarschall stieß mit Hanna an und bat, die Kleine noch einmal sehen zu dürfen. Als Hanna mit ihr hereinkam, sah er Klein-Karin lange an, und seine großen Falkenaugen schienen noch größer zu werden.

»Ich bin ein alter, kinderloser Wittwer und verstehe mich eigentlich garnicht auf kleine Kinder; doch erlauben Sie, Frau Consul?«

Hanna begriff nicht, was sie eigentlich erlauben sollte, aber sie wußte, was er für uns gethan hatte, und ihretwegen konnte er in unserm Hause thun, was ihm einfiel.

Da nahm er Karin auf den Arm und küßte sie grade auf den Mund, und ich sah in den Augen des Alten zwei Thränen glänzen, als er sich wieder aufrichtete.

»Merkwürdig, es schmeckt gradeso wie frische Butter!« sagte er.

Die feinen Herren, die meine Schwiegersöhne geworden sind und meine andern Töchter geküßt haben, haben mich versichert, daß ein Kuß »himmlisch« schmeckt. Wem soll man nun glauben? Was mich betrifft, so glaube ich, daß der alte Hofmarschall mehr vom Buttern verstand, als meine Herren Schwiegersöhne vom Himmel.

Der Hofmarschall bat Hanna um eine Unterredung unter vier Augen, und als sie in das blaue Zimmer getreten waren, gab er ihr ein Leibrentenbuch und sagte:

»Liebe Frau Konsul. Das Glück ist veränderlich. Sie haben es noch nicht erfahren, und wir wollen hoffen, daß Sie es auch nicht erfahren werden! Von allen den neumodischen Ideen, die meistens gänzlich unpraktisch sind, halte ich die Leibrentengesellschaft für die am wenigsten verkehrte Einrichtung. Es liegt doch ein vernünftiger Gedanke darin. Darf ich Sie bitten, dieses Buch für Ihre Kleine von einem herzlosen, geizigen Manne anzunehmen! Es ist kein Name hineingeschrieben; wie hätte ich wissen können, daß sie grade Karin heißen sollte. Doch ich habe eine Kleinigkeit darin eintragen lassen. – Sieh, sieh! Noch mehr Wein und Torte? Nein, nein, jetzt danke ich wirklich; es wird hohe Zeit, daß ich mich auf den Weg mache.«

Nils Jönsson will sich bei keinem Menschen einschmeicheln, aber dem alten Hofmarschalle folgte ich doch barhäuptig und in meinem besten Fracke an den Wagen und legte ihm die Reisedecke um die dünnen, alten Beine.

»Danke, danke, mein Bester! Sie gefallen mir! Aufrichtig und galant! Wagen es, einem grade ins Gesicht die Wahrheit zu sagen. Sieh, sieh! Herzlos und geizig! Können Sie wissen, wodurch ich so geworden bin? Sieh, da hat der Schlingel wieder Ajax sich an der Deichsel scheuern lassen! Schweinhund!! Sieh, sieh!«

In Gedanken versunken schaute ich dem davoneilenden Wagen nach. Seinen Besitzer sollte ich nicht wieder sehen. Sechs Wochen darauf schlossen sich die rostigen Thüren der Familiengruft, in ihren Angeln kreischend, hinter dem alten Hofmarschall.

Doch in Karins Buch war eine Leibrente von 3000 Kronen, kein Oere darunter, eingetragen und sie hat einen Hofmarschall zum Pathen. Das hat sie vor meinen andern Kindern voraus, weil sie dem alten Herrn im rechten Augenblick etwas vorgeschrieen hat.


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