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Wir brauchten nicht zu warten. Mutter Lena hatte mit der Aussteuer begonnen, als Hanna lesen lernte, und hatte nun schon beinahe einen Schrank mit Leinen für Elin fertig gesponnen, gewebt und genäht. »Putz und Staat, und Hemden wie Spinnengeweben und Laken, die man durch einen Fingerring ziehen kann, müßt Ihr Euch allein anschaffen, wenn Ihr sie haben wollt. Dies hier hält, das weiß ich, denn ich habe das Meiste selbst gesponnen,« sagte sie mit berechtigtem Stolze, als sie uns zeigte, was sie für ihre Hanna zurückgelegt hatte.
Im September hielten wir Hochzeit, ein freudenreicher Tag in jeder Hinsicht. Meine Geschwister waren ebenfalls da und amüsirten sich herrlich. Bruder Johannes mußte leider schon vor dem Abendbrod zu Bett gebracht werden, da er sich am Seitentische, wo die Flaschenbatterie stand, zu oft eingeschenkt hatte.
Doch noch besser als das lustige, ländliche Hochzeitsfest in dem schön gelegenen Bolsåkra, steht mir die Heimreise, die Hochzeitsreise, in Erinnerung.
Heutzutage muß man eine Hochzeitsreise ins Ausland, an den Rheinstrom, ans Mittelmeer und an die Riviera machen. Die schönen Erinnerungen bleiben in den Gasthäusern liegen oder fahren mit den Eisenbahnwagen in der Welt umher. Dazumal begnügten sich sogar Leute, die viel mehr hatten und viel mehr waren, als Hanna und ich, damit, gleich vom Hochzeitshause aus in ihr neues Heim zu reisen. Ich habe schon 4000 Kronen für die Hochzeitsreise meines Albert zurückgelegt; er soll neumodisch reisen, ich bezweifle aber, daß er und seine junge Frau sich so schön dabei amüsiren werden, wie Mama und ich auf unserer Hochzeitsreise, als wir mit eigenem Fuhrwerk und den uns von Mutter Lena mitgegebenem Korbe mit Lebensmitteln von Bolsåkra abfuhren und unterwegs nur 37 Oere für drei Flaschen Bier, die Lars Petter uns noch aus dem Kruge holte, ausgaben.
Ich kannte jede Krümmung der Landstraße, jedes Häuschen am Wege. Hier hatte ich mich, klein, mager und blaugefroren, auf dem Packwagen zusammengekauert, mich mit der Pferdedecke zugedeckt und hinter dem breiten Rücken des guten Lars vor dem Schneesturme Schutz gesucht. Hier hatte ich als Herr des Packwagens hoch oben auf dem Theertuche in dem geerbten Wolfspelze gethront, und hier fuhr ich nun in meinem frischlackirten Stuhlwagen mit zwei kräftigen Braunen, mit meiner Hanna neben mir und blickte ihr in die blauen Augen, bis ich beinahe Zügel und Weg vergaß.
Am dritten Tage nach der Hochzeit waren wir gleich nach dem Frühstücke von Bolsåkra abgefahren. Das Wetter ließ nichts zu wünschen übrig und das gelbe Birkenlaub glänzte wie Gold in der Septembersonne. Prr! Hier war meine alte Raststelle.
»Beeile Dich, Lars Petter, und mache meiner Frau das Wagenleder los!«
Jedesmal, wenn ich »Frau« sagte, wurde Hanna dunkelroth. Ob sie sich noch nicht an ihre neue Würde gewöhnt hatte oder ob sie den Frauentitel für ein Bauernmädchen zu fein fand, weiß ich nicht, ich mochte sie nicht danach fragen.
Wir gingen an den Seestrand, benutzten das Wagenkissen als Tisch und den Wagenkasten als Buffet, und nahmen unser »erstes Mittagessen« zu Zweien ein. Die Sonne schien und die Vögel sangen. Das Wasser war klar und durchsichtig und zeigte die ungleiche Färbung, die es im Herbst annimmt, wenn die Nächte kalt werden und ein scharfer Wind bisweilen weht. Leichte Wellen schlugen ans Ufer und sprühten Funken in den lothrechtfallenden Strahlen der Sonne. Ich kann mir nicht denken, daß es am Mittelmeer schöner sein kann.
Es war ein herrliches Mahl, und nachher streckte ich mich behaglich auf dem weichen Moose aus und freute mich über Hannas abgerundete Bewegungen, als sie das Geschirr im See wusch und alles wieder in den Wagenkasten packte! Ich sprang auf und wollte ihr dabei helfen, unsere Hände berührten sich, elektrische Funken sprangen von Hand zu Hand, und wir gaben uns einen Kuß!
Zweimal bereits hatte Lars Petter gemeldet, daß die Pferde schon lange ihren Hafer gefressen hätten, ehe wir ans Aufbrechen dachten.
Als wir aber unsere kleine Stadt, die damals 4000 Einwohner, eine Thranlaterne in jeder Straße und keine Spur von Trottoir hatte, vor uns sahen, war Hanna so von der Größe, Pracht und Eleganz dieses Anblicks überwältigt, daß sie sich dicht und ängstlich an mich schmiegte.
»Oh, wie schrecklich groß und fein und vornehm, Nils! Mir wird so bange! Hier darfst Du mich nie, nie allein lassen, Nils!«
Wir fuhren über den großen Markt, die Strandstraße hinunter und in den Hof hinter meinem Laden ein. Unsere kleine Wohnung – drei Zimmer und Küche – im zweiten Stock wurde erst zum ersten Oktober frei, bis dahin waren wir also auf mein Comptoir hinter dem Laden und mein kleines Schlafzimmer hinter dem Comptoir angewiesen. Das Schlafsopha ließ sich der Breite nach ausziehen und ich hatte einen feinen Spiegel für 15 Thaler gekauft – das war alles.
Ich schloß die Thür nach dem Vorplatze ab, schickte meine alte Aufwärterin, die uns empfangen hatte, nach Hause, zündete die Wandlampe über meinem Stehpulte an und holte Portwein und ein Kistchen meiner besten Smyrnafeigen aus dem Laden. Und da ich damals noch kein so guter Redner war, wie ich es später geworden bin, sagte ich nur:
»Gott segne Dich, mein liebes, theures Weib!«
*
Jetzt hatte ich ein glückliches Heim, lebte in gesicherten Verhältnissen und hätte vollständig zufrieden sein können, wenn der Mensch nicht so veranlagt wäre, daß er stets das haben will, was er nicht hat.
Als zum zweiten Male nach der Einrichtung der Stadtverordneten-Institution die Hälfte der Väter der Stadt ausschied und Nachfolger für dieselben gewählt werden sollten, fuhr der Teufel des Ehrgeizes in mich. Mitglied des Schulrathes war ich schon. Doch der Eisenhändler Westergren, der mir schräg gegenüber wohnte, war Stadtverordneter und Schneider Lündell, in dessen Werkstatt nur zwei Gesellen arbeiteten, war es auch, und ich sah nicht ein – finde es auch heute noch nicht – daß sie klüger waren als ich.
Ich schäme mich beinahe, es einzugestehen. Ich, dem bisher weder Zahnweh, noch Gicht, noch ein böses Gewissen den Schlaf geraubt hatte, konnte jetzt des Nachts nicht schlafen und grübelte darüber, wie ich nur meine Hand in die städtischen Angelegenheiten bekommen könnte.
»Du mußt krank sein, Nils!« erklärte Hanna, wenn sie von meinem Hinundherwerfen im Bette geweckt wurde.
»Oh nein! Ich schlafe ja schon wieder, liebe Frau!« antwortete ich.
Heutzutage ist es leicht, eine politische Rolle zu spielen, man braucht sich nur mit einem der Steckenpferde, Nüchternheit, Kirchenreform oder wirklichem Freisinn eingehend zu beschäftigen. Doch dazumal wußten wir Schweden von Freisinn und Nüchternheit noch garnichts. Nach reiflichem Ueberlegen beschloß ich daher, mir auf dem Wege der Sparsamkeit Unsterblichkeit zu erringen. Nicht, daß ich für eigene Rechnung sparsam wurde, im Gegentheil, ich traktirte alle Bekannten, und alle einflußreichen Personen konnten in meinem Laden so sehr feilschen, wie sie wollten. Und ich bat Hanna, alles Fleisch bei Schlachter Månsson zu kaufen und jeden geforderten Preis ohne Feilschen zu bezahlen; denn Månsson hatte großen Einfluß in der Südvorstadt.
Nein, Sparsamkeit im öffentlichen Leben, Sparsamkeit mit städtischen Mitteln mußte ich befürworten, um mich bemerkbar zu machen.
Deshalb stimmte ich im Schulrathe gegen das Anstreichen des großen Schulsaals, wofür 57 Kronen 75 Oere veranschlagt werden sollten, und als die Sache vor den Kirchenrath kam, äußerte ich mich folgendermaßen:
»Meine Herren!
Ich habe mir die Freiheit genommen, mich im Schulrathe gegen diese theure, unnütze Reparatur zu reserviren, weil meiner Meinung nach endlich einmal der Verschwendung, die bisher mit städtischen Mitteln getrieben worden ist, ein Ende gemacht werden muß. (»Gut.«) Ja, Verschwendung, meine Herren. Ich will nur an die neuen Polizeimützen zu sieben Thaler das Stück erinnern; an die neue Ringmauer um den Kirchhof – die Ruhestätte der Todten, wie der Dichter so schön sagt – die gut anderthalb Fuß hätte schmäler sein können; an die viel zu großartig renovirte Pumpe auf dem Markte und an unsere Promenadenbänke, die der erste Farbenkünstler unserer Stadt mit feinster Oelfarbe anstreichen mußte, obwohl es vollkommen ausreichend gewesen wäre, wenn man sie vom Armenhaus-Kalle hätte mit Leimfarbe überstreichen lassen. (»Sehr wahr!«)
Ich liebe die Kinder des Volkes, meine Herren, ich will, daß auch ihnen Aufklärung zutheil werde, und daß sie nicht mit leerem Magen in der Schule sitzen. Wenn der Herr meine eigenen Kinder das schulpflichtige Alter erreichen laßt, so sollen sie den ersten Unterricht in der Volksschule genießen und neben den lieben Kleinen aus den ärmsten Häusern auf der Schulbank sitzen. (Langanhaltendes Beifallsmurmeln unter den Vertretern der südlichen Vorstadt.)
Doch – ist es recht, durch luxuriöse Einrichtung des Schulzimmers, durch bunte Farben für mehr als ein halbes Hundert Thaler die leichtempfänglichen Kindergemüther von der so nothwendigen Aufmerksamkeit während des Unterrichtes abzulenken? Ist es wohl recht, die Schule schöner als das arme Heim, aus dem die meisten Volksschulkinder hervorgehen, auszustatten? Liegt nicht die Gefahr nahe, daß die Kinder sich in diesem Falle zu Hause nicht mehr wohl fühlen und auf die armen, aber ehrlichen und achtungswerthen Menschen, denen sie das Leben verdanken, herabsehen werden?
Als das nunmehrige Schulhaus noch Privateigenthum war, ist der jetzige Schulsaal der Speisesaal eines reichen, angesehenen Mannes gewesen. Ich finde ihn noch heute recht hübsch. »Doch die Farben sind verblichen,« behauptet man. Meine Antwort darauf sei der Wunsch: »Möchten die Lehren und Wahrheiten, welche kundige und gewissenhafte Lehrer in diesem Raume in die jungen Herzen niederlegen, nur nicht ebenso in einem Leben verbleichen, in dem wir schon so viel Aeußerlichkeit und Schein haben, daß es unverantwortlich wäre, den Hang dazu der künftigen Generation schon in der Volksschule einzuimpfen!« (»Sehr gut!«)
Der Schulrath, mit dem Pastor an der Spitze, mußte seinen Antrag zurückziehen; meine Reservation wurde gebilligt, und der Schulsaal wurde noch acht Jahre lang so verräuchert und häßlich, wie er war, benutzt, bis ich ihn einmal an meinem Geburtstage für die doppelte Summe neu herrichten ließ und dafür als »Freund und Beförderer der Aufklärung« im Wochenblatte gepriesen wurde.
Doch als ich an jenem Abende von der Sitzung nach Hause ging und auf der Straße im Dunkeln »die Volksmeinung« über mein Auftreten hörte, genoß ich zum ersten Male den berauschenden Trunk der Popularität.
»Patron Jönsson ist ein Freund der Sparsamkeit und ein Mann des Volkes!« sagten die Vorstädter.
»Wer, zum Kuckuck, hätte sich denken können, daß Jönsson so das Maul aufreißen kann!« hörte ich einen unserer Préférencespieler vom Rathskeller auf der Treppe zu einem Bekannten sagen.
Oh, wie ich mich freute!
»Er redete wirklich gut. Jönsson versteht's. Klar und deutlich, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. So muß es sein, damit man die greuliche Verschwendung einsieht. Hast Du schon gehört, daß die Stadtverordneten am Strande ein Waschhaus bauen lassen wollen, damit die Mägde sich beim Wäschespülen nicht mehr die Zehen naßzumachen brauchen?« sagte Drechsler Nilsson zu Schneider Aslund.
Ich richtete mich höher auf und ging elastischen Schrittes heim.
»Was mag in den netten, bescheidenen Mann gefahren sein?«
»Das war doch der ärgste Quatsch, den ich je gehört habe!«
Es war der alte Pastor, der sich so mit dem Rathsherrn Ström über mich aussprach. Doch das schlug meinen Muth nicht nieder, es war ja nichts weiter als der Neid und die Bitterkeit der Besiegten!
Das neue Jahr 1865 brachte uns die große Repräsentationsreform. Schon lange vorher waren Petterson & Co., Fernlünd und Sohn, ich selbst und einige andere übereingekommen, daß wir illuminiren wollten, sobald wir die telegraphische Nachricht von der Annahme des De Geerskschen Antrages erhielten. Wer hätte da denken können, daß sich das neue Gesetz auf so viele Arten ausdeuten ließe und den Gouverneuren sowohl wie den Privatleuten viel Aerger verursachen sollte!
Das Telegramm kam, der Antrag war angenommen. Hurrah!
»Seid Ihr denn verrückt, daß Ihr für einen solchen Skandal noch illuminiren wollt?« fragte Rathsherr Ström. »Sollen die Bürger jubiliren, weil die Bürgerschaft politischen Selbstmord begangen hat?«
Pettersson & Co. machte ein bedenkliches Gesicht, kratzte sich den Kopf und flüsterte mir zu:
»Du, Jönsson, was ist das eigentlich für ein Antrag, der angenommen ist?«
»Kümmere Dich nicht darum, was der Bureaukrat redet, geh nach Hause und laß gleich die Lichter anzünden,« antwortete ich.
Als ich selbst die Treppe zu meiner Wohnung hinaufeilte, kam mir Hanna ganz erhitzt entgegen.
»Ich habe alle unsere Leuchter in Ordnung, sie reichten aber nicht, und so habe ich die übrigen Lichter auf leere Bierflaschen gesteckt und die Flaschen mit Seidenpapier umwickelt.«
Ich gab meinem praktischen Weibchen einen Kuß und begann die Lichter anzuzünden. Wir hatten noch ein Fenster vergessen! Schnell noch zwei Lichter auf Bierflaschen gesteckt! Seidenpapier war nicht mehr da. Da streifte ich, mit der Geistesgegenwart, die große Männer in entscheidenden Augenblicken besitzen, meine Manschetten ab und zog sie über die Flaschen. Es sah wirklich recht nett aus.
Hanna stand grübelnd in unserer kleinen guten Stube.
»Dies kostet uns über drei Thaler, Nils!«
»Ja, Hanna, aber es geschieht fürs Vaterland. Das Vaterland ist gerettet, mußt Du wissen.«
»Wovon denn?« fragte Hanna; doch ich hatte keine Zeit, mich auf Erklärungen einzulassen, ich mußte auf die Straße.
Dort sagten alle, daß ich, Nils Jönsson, am großartigsten illuminirt hätte und ein Mann des Volkes sei; und das »gerettete« Volk schlug an jenem Abende dem alten Baron Drakenkamp und Rathsherrn Ström, bei denen alles dunkel geblieben war, die Fenster ein.
Doch die Stadtverordnetenwahl stand vor der Thür, und man kann nie sicher sein, daß man genug für die Unsterblichkeit gethan hat. Ich schickte deßhalb folgendes communalpolitische, streng anonyme Inserat an die Redaction des Nålköpingblattes:
»Was hat das zu bedeuten?
Unter den Revisoren der städtischen Rechnungen befindet sich der Bruder des Schwagers des zweiten Kämmereiberechners. Wird er bei der Revision der Kämmereiangelegenheiten wohl mit der nöthigen Umsicht und Schärfe vorgehen? Soll hier in Nålköping alle Macht in die Hand einer Familie gelegt werden, so daß diese zuletzt die ganze Stadt regirt? Sind öffentliche Vertrauensposten in dieser Stadt gewissen Familien vorbehalten? Was hat das zu bedeuten?
Nls. J–ss–n.«
– – »Gratulire! Das war ein richtig scharf und gut geschriebener Artikel,« sagt Pettersson & Co. als wir uns am nächsten Abende im Rathskeller trafen.
»Welcher?« fragte ich erstaunt.
»Glaubst Du nicht, daß wir begreifen, daß Du Nls. J–ss–n bist,« riefen die Uebrigen.
Ueberall hieß ich jetzt ein verständiger, scharfsichtiger Mann, aber ich wäre vielleicht doch noch nicht Stadtverordneter geworden, wenn nicht Eisenhändler Westergrens Frau mit ihrer Hauswirthin an demselben Tage hätte waschen wollen. Die Mägde geriethen beim Einweichen in Streit über das große Küben, und Goldschmied Valgrens Frau wurde so wüthend auf Frau Westergren, daß ihr Mann, der Ceremonienmeister in der Loge war, alle »Sonnenbrüder« bereden mußte, den »Stiftkrämer« bei der Wahl im Stiche zu lassen.
Am Nachmittage des Wahltages ging ich vor dem Rathhause auf und ab. Da kamen Pettersson und Ström und redeten mich freundlich grinsend an:
»Gratulire gehorsamst!«
»Wozu?«
»Zum Stadtverordneten. Westergren erhielt nur 2312 Stimmen, Du hast mit 2514 gesiegt!«
»Das ist mir etwas ganz Neues! Daß man doch nie in Ruhe gelassen wird!« sagte ich scheinbar verstimmt und eilte nach Hause.
Welche Erleichterung für den Politiker, daß er den Zwang, den er sich im öffentlichen Leben aus Klugheitsgründen auferlegen muß, im Schooße seiner Familie abstreifen kann.
Hanna sah mir meine Freude gleich an und kam mir mit liebevoller Theilnahme entgegen.
»Ist der Hering in den K. K. Tonnen nicht so schlecht ausgefallen wie Du es fürchtetest?« fragte sie.
»Etwas viel Besseres, Hanna! Ich bin Stadtverordneter geworden!«
Ihr einfacher Sinn vermochte die Bedeutung dieses Faktums nicht ganz zu erfassen, doch meine Freude machte auch sie froh; sie lehnte sich liebevoll an meine Brust und fragte:
»Wieviel Gehalt bekommt ein Stadtverordneter, Nils?«
»Hm ... davon ist nicht weiter die Rede, mein Liebling; aber man hat das Bewußtsein das allgemeine Beste zu fördern, und wenn man stirbt, wird die Rathhausflagge auf Halbmast gezogen und man bekommt einen Nachruf im Nålköpingsblatte.«
Jetzt war ich lange glücklich und zufrieden. Das Geschäft ging gut und zu Hause wartete meiner nur Glück und Freude. Die Kinder kamen, eines nach dem andern; sie machten uns viele Freude und entwickelten sich naturgemäß. Im Sommer waren wir öfter in Bolsåkra. Kleine Sorgen bleiben ja nie ganz aus. Die Kinder kränkelten bisweilen, doch wir haben keines von unsern Sieben verloren; nur Mutter Lena starb, als wir vier Jahre verheirathet waren.
Als Stadtverordneter that ich alles, was in meinen Kräften stand, um das Vertrauen meiner Mitbürger zu rechtfertigen, und bei jeder Neujahrssitzung, wenn ein neuer Ausschuß gewählt wurde, erhielt ich auch drei bis vier Stimmen. Ich kann aufrichtig sagen, daß ich weder an politischen Fortschritt, noch an weitere Ehrenposten dachte, bis ich an einem Abende während des Wintermarktes mit Consul Landelin aus Gothenburg zusammentraf.
Er war ein netter, lustiger, witziger Mann, und wir, er, Pettersson, Ström und ich waren viel zusammen. Eines Abends saßen wir auf seinem Zimmer und tranken Grog. Da sagte, er plötzlich zu mir:
»Jönsson, wie kann ein so reicher, feiner Kerl wie Du sich Patron nennen lassen? Jeder Schweineaufkäufer heißt ja heutzutage Patron.«
»Ja, was soll man dabei machen?«
»Nun, es wäre nicht so schwer. Dich zum peruanischen Vice-Consul zu machen,« meinte Landelin.
Ich lachte darüber, aber es ging mir doch die ganze Nacht im Kopfe herum und der Patrontitel, der mich sonst immer so erfreut hatte, wollte mir garnicht mehr gefallen.
Eigentlich sollte man deßhalb nicht schlecht von mir denken. Unzufriedenheit und Streben nach etwas Bessern sind, wenn man es recht bedenkt, die wirklichen Ursachen aller Erfindungen und Fortschritte. Wäre die ganze Menschheit mit der Karre zufrieden gewesen, so hätten wir heute keinen Courirzug; hätten unsere Urahnen sich ruhig in ihr Loos gefunden, so säßen die Darwinisten noch heute im Urwalde, den Schwanz dreimal um einen Ast geschlungen. Unzufriedenheit ist die Quelle der Unternehmungslust, und meine Unzufriedenheit mit dem Patrontitel veranlaßte mich, am nächsten Tage Landelin zu Ehren ein hoch nobles Frühstück zu geben.
Als wir beim gekochten Schinken mit Chambertin waren, stieß ich mit Landelin an und sagte:
»Was Du gestern von einem peruanischen Viceconsulate hier in Nålköping sagtest, war wohl nur Spaß? Ha, ha, ha!«
Er wischte sich hastig den Mund ab, legte sich die Serviette aufs Knie, sah mich mit freundlichem Ernste forschend an und antwortete:
»Durchaus nicht; ich kann Dir dazu verhelfen. Ich bin selbst Generalconsul.«
»Ist es ... wird es ... sehr theuer?«
»Nein, Freundchen! Du wirst doch nicht glauben, daß die hochlöbliche peruanische Regierung Titel verkauft.«
»Aber sieh, ich kann keine einzige fremde Sprache.«
»Lächerlich, denkst Du, daß hier in Eurem Neste Schiffe von Peru angesegelt kommen werden. Du mußt Dir nur eine Fahne anschaffen – ich werde sie Dir übrigens unter Nachnahme schicken – und am Geburtstage des Präsidenten und an Deinem und Deiner Frau Geburtstagen flaggen. Wenn Du willst, kannst Du Dir auch eine Uniform machen lassen.«
Das Ende vom Liede war, daß ich vier Monate später peruanischer Viceconsul wurde und es noch heute bin. Doch so gratis war die Sache nicht, denn ich konnte Landelin die Bitte, ihm einen Wechsel auf 10,000 Kronen zu trassiren, nicht gut abschlagen, und das Jahr darauf schnitt man ihn von einem Balken auf seinem eigenen Trockenboden ab und auf seinen Nachlaß wurde Concurs erklärt. Das war wirklich ein häßlicher Streich von dem Repräsentanten eines so geachteten Landes, das noch obendrein ein Goldland sein soll.
Ich kann nicht behaupten, daß meine Dienste als Consul je wirklich in Anspruch genommen worden sind; nur einmal, als wir an Hannas Geburtstage geflaggt hatten, kam ein Italiener mit einem Affen und einem Leierkasten zu mir und redete ein verwünschtes Rothwälsch, von dem ich jedoch so viel begriff, daß er von mir, dem einzigen Vertreter des Auslandes Hülfe erwartete. Ich bewies ihm mit Hülfe der Flagge, daß ich peruanischer und nicht italienischer Viceconsul sei, aber er ließ sich nicht bedeuten.
Da es der Ehrentag meiner Hanna war und wir ein gutes Mittagessen verzehrt hatten, rührte mich sein elendes Aussehen. Ich gab ihm einen Fünfkronenschein und sagte ihm einige tröstende Worte in seiner eigenen Sprache:
» Maladetto poveretto! Hier haben Sie fünf Kronetto!«