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Von der Kochfrau selbst erzählt
Oft, wenn ich in knickerigen Häusern bin, wo die Herrschaft nichts drauf gehen lassen will, oder wenn ich in einem Hause bin, wo kleine Verhältnisse sind und doch alles »großartig« sein soll, oder wenn ich bei solchen Leuten Diners bereite, die niemals wissen, was sie wollen, muß ich immer an Direktor Brandbergs Diners denken, besonders aber an das letzte, das ich dort bereitete.
Die Frau war eine geborene von Silberssporn, und man gab in diesem Hause mehr für die Blumen auf der Tafel aus, als andere Leute für den Braten. Ihr Vater und ihre Mutter hatten kaum das tägliche Brot gehabt in ihrer letzten Lebenszeit; aber Fräulein Jeannette entschädigte sich wahrlich dafür, als sie später den Direktor heiratete.
»Wenn man Brandberg heißen soll, will man wenigstens wissen, daß man lebt,« sagte sie einmal, als die Kammerjungfer sich darüber entsetzte, was der Konditor für zwei Schweizerhäuschen und sechs Herden aus Eis nahm, denn sie war sehr adelsstolz, und es fiel ihr schwer, daß sie nicht die Freiherrnkrone auf dem Tischzeug haben konnte.
Der Direktor gab ihr alles, was sie wünschte, einmal, weil er sie liebte, und dann auch, weil er selbst gern leuchten und großthun wollte, und einmal kam es vor, daß er noch ein Zwischengericht hinzufügte, als die Frau ihm das Menü zeigte, wie wir es zusammengestellt hatten.
Da lachte sie, aber es flammte etwas wie Hohn in ihren großen, klaren, grauen Augen, und einmal, als der Direktor gesagt hatte: »Liebe Frau Holm, nehmen Sie, um Gotteswillen etwas Neues, was die Leute weder gesehen noch gegessen haben, etwas, was sie begaffen können, bevor sie es in den Mund stecken!« da hörte ich deutlich, wie sie murmelte: »Ja, nun denkt Nachtwächter Brandbergs Sohn, er sei zu Macht und Ansehen gekommen!«
Das ließ sich nämlich nicht leugnen, daß sein Vater diesen Staatsrock getragen und um die üblichen Zeiten in den Nächten die Stunden abgerufen hatte.
Wie es da herging! Ja, Herr Gott, wenn ich nur an eines denke: süßer Champagner auf der einen Seite des Tisches oben am Fenster, trockener Champagner unten am Büffet, Burgunder auf der einen Seite und Bordeaux auf der andern, und dann all das, was gar nicht aus der Jahreszeit war, und so zwölf Gerichte und am Schluß ein ganzer Kübel zerbrochener Gläser.
Vor Brandbergs Zeit kannte man keine Spültassen und Mundwasser an gedeckter Tafel in unserer Stadt. Einige hatten ja so etwas auswärts, an größeren Orten, gesehen, und die andern paßten auf, wie der Direktor es vormachte, denn ihm hatte die Frau es am Tage vorher eine halbe Stunde lang im Servierraum einstudiert.
Und es gelang allen ganz gut, nur Brandbergs Schwager, der Lehnsmann in Haberberg war, sah weder rechts noch links, sondern trank, sobald er die Geräte bekam, zuerst die Flüssigkeit aus dem Glase herunter und dann alles, was in der Spültasse war, und dann schmatzte er und sagte: »Na ja, das war ja recht erfrischend!« –
Überfluß war immer bei Brandbergs, aber niemals schlimmer, als wenn die »Revisoren« kamen. Er war nämlich Bankdirektor, und einmal im Jahr kamen immer die Herren, die nachsehen sollten, daß nichts um die Ecke ging und alles wäre, wie es sein sollte. Und wenn sie unten in der Bank alles geprüft hatten, kamen sie immer hinauf in die Wohnung des Direktors zum Diner, und das waren dann solche Diners, daß die Leute sich totessen konnten, nachdem sie schon vorher halbtot waren.
So war es viele Jahre gegangen, ihre Kinder waren halberwachsen, der Direktor hatte den Wasaorden auf die Brust und die Gicht in die Beine bekommen, und selbst der schönen Frau sah man an, daß die Zeit mitnimmt, denn mitten auf dem Scheitel begann es in dem Braun grau zu glänzen.
Also es war wieder ein Revisionsdiner.
Dem Direktor war am Tage vorher nicht ganz wohl, als ich kam, um alles vorzubereiten. Er lief aus und ein und wollte zum Abendbrot Morcheln haben, aß sie dann aber nicht. Die Frau fragte ihn dies und jenes über das Menü, aber er sagte nur: »Wie gewöhnlich, Liebste, wie gewöhnlich, Liebste!«
Aber die Frau war ganz wie sonst, und die Kinder waren lustig, und was die Haselhühner, anbetrifft, so glaube ich, es kann schon dem König passiert sein, schlechtere gegessen zu haben, und zum Zwischengericht hatten wir einen zarten, schönen Schinken, der in Wein gelegen hatte, so daß er wie nach »Odecologne« roch!
Um halb fünf sollte gegessen werden, und das ist spät und fein in unserer Stadt, obgleich ich wohl weiß, daß es draußen in großen Städten Leute giebt, die alle Tage um fünf Uhr essen; aber ich glaube nicht, daß das für den Magen gut ist.
Es wurde dreiviertel fünf, und es schlug fünf, aber der Direktor, der Bankkassierer und die Revisoren kamen nicht. Es waren auch einige andere Leute geladen, und sie hatten seit halb fünf gewartet. Die Direktorin war ja eine feine Dame, die sich nichts merken ließ; aber sie war zweimal bei mir draußen, und ich verstand wohl, das erste Mal beunruhigte sie sich um den Fisch, das zweite Mal aber mehr um den Bankdirektor.
Schließlich kommt Sjöberg, der Bankdiener, und wünscht die Frau zu sprechen; aber bevor sie noch ein Wort gewechselt hatten, kommt Prokurist Markström, der jetzt Bankdirektor ist und damals eine Art Subdirektor war, stößt Sjöberg zur Seite und zieht die Bankdirektorin in die Kinderstube hinein. Während sie noch drinnen sind, kommt Kassierer Esting und flüstert ein wenig mit den Gästen, und, wie die Kammerjungfer erzählte, werden sie dann alle bleich, wie Leichen, eilen in den Flur hinaus, nehmen ihre Überröcke und gehen fort, ohne sich zu verabschieden.
Um halb sechs ist der Fisch ganz zerfallen, und sie telephonieren vom Konditor und wollen bestimmt wissen, wann sie das Eis bringen sollen, und noch hat der Prokurist mit der Frau nicht ausgesprochen.
Da werden die Kinder ganz wild und drängen sich zu ihrer Mama hinein, und dann ertönt erst ein Schrei, als wenn jemand ermordet würde, und hierauf ein Schluchzen, daß ich es durch zwei Thüren hörte und ich auch zu heulen anfing, ohne zu wissen, worum es sich handelte.
Aber daß etwas sehr Schlimmes, etwas unbeschreiblich Trauriges passiert sein mußte, wenn alte, verständige Leute solch ein Mittag stehen und verderben lassen, kann man sich wohl denken.
Nachdem Bankdiener Sjöberg schließlich eine Omelette vertilgt hatte, die für den Vortisch sein sollte, und ein großes Trinkglas Sherry hinuntergetrunken hatte, da er erklärte, so alteriert zu sein, daß ihn seine Füße fast nicht mehr tragen wollten, erbarmte er sich unserer und sagte, es wäre gewiß etwas bei der Bank nicht in Ordnung; denn der Direktor hätte in Gegenwart der Revisoren geweint und gesagt: »Nur einen Monat, und alles soll gedeckt sein. Erbarmen Sie sich meiner armen Frau und meiner unglücklichen Kinder!« Aber dazu waren sie offenbar nicht geneigt, und ein Weilchen später wäre der Staatsfiskal gekommen.
»Dann ist es zu Ende,« sagte ich sogleich, denn ich habe eine tödliche Angel vor Staatsfiskalen und dergleichen seit meiner Kindheit, als es bei Vater brannte, und ein Staatsfiskal kam und ein Gerede machte wegen einer Rußluke und Feuerleiter, die nicht vorhanden waren, und mein Vater beinahe um seine Feuerversicherung gekommen wäre.
Im selben Augenblick hören wir einen Wagen rollen, eine Fensterscheibe im Saal zerbrechen und einen entsetzlichen Schrei, und als wir hinstürzen, sehen wir den Direktor, der ins Gefängnis fortgeführt wird, mit dem Staatsfiskal neben sich – der Fiskal zu seiner Rechten, wer hätte sich das am Morgen gedacht? – Und die Frau ist ans Fenster gestürzt und hat es so heftig aufgerissen, daß es gleich zersprungen ist. Erst fiel sie in Ohnmacht, die arme Frau; als sie aber zu sich kam, warf sie den Kopf zurück und murmelte: »Ein Silbersporn hätte niemals diesen Tag überlebt!«
Du lieber Gott, da stand sie und schalt bei sich den Armen, daß er nicht das Elend noch durch einen Selbstmord vergrößert hatte!
Und als ich eine Weile später zu der Unglücklichen hineinging, um zu sehen, ob sie soweit bei Besinnung wäre, daß sie sagen könnte, was mit dem Essen und allem werden sollte, umfaßte sie den Hals ihres ältesten Knaben mit beiden Armen und schluchzte: »Dankt Gott, Kinder, daß es nicht der alte Ehrenname der Silbersporns ist, der in den Schmutz gezerrt wird!«
Da konnte ich mich nicht mehr halten und sagte: »Liebe, gute Frau Direktorin, es ist ebenso schlimm, daß es der Name der Kinder und ihres Vaters ist; aber was sollen wir nun mit all dem schönen Essen anfangen?«
Aber darauf bekam ich keine Antwort und weiß noch heute nicht, was aus all den guten Sachen geworden ist, denn es war viel dabei, was sich nicht aufbewahren ließ. Wohl brachten Sjöberg und der andere Diener ein gut Teil auf die Seite, und Sjöberg sagte zu mir: »Frau Holm,« sagte er, »nehmen Sie sich Fourage mit nach Hause, denn bezahlt bekommen Sie dies Diner doch niemals!«
Aber ich nahm nur zwei Haselhühner, einiges Backwerk und ein großes Stück vom Weinschinken mit, und damit ging ich direkt zu Frau Svensson, der Frau des Gefängnißaufsehers, und sagte: »Untersuchungsgefangene dürfen sich selbst beköstigen, nicht wahr, Frau Svensson?«
»Ja, das ist richtig, Frau Holm!« erwiderte Frau Svensson.
»Nehmen Sie dies und verwahren Sie es, bis der arme Direktor so weit auf Deck ist, daß er was essen will. Das ist von seinem Revisionsdiner!«