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Die Konvertitin

»Müde bin ich, geh' zur Ruh' ...« »Kranken Herzen sende Ruh', / Nasse Augen schließe zu! / Laß den Mond am Himmel stehn / Und die stille Welt besehn.« – Was will das besagen? »Laß den Mond am Himmel stehn / Und die stille Welt besehn.« Ist das als Bild erfaßt und wenden sich die Augen der Dorfstraße zu, deren Hütten unter dem Strohdach im Mondlicht heimischer werden? Oder ist es Symbol für eine befriedete Welt? Warum die ausdrückliche Bitte an Gott um etwas, das doch auch ohnedies in der Weltordnung vorgesehen ist? Schrieb ein Mensch diese Verse, der ein kindliches Empfinden bewußt stilisierte, oder war die Achtzehnjährige – Luise Hensel –, die sie dichtete, Kind geblieben?

Luise Hensel ist am 30. März 1798 geboren worden, ihr Vater war protestantischer Pfarrer zu Linum im Havelland, sie selbst das fünfte Kind inmitten siebenköpfiger Geschwisterschar, von denen einzelne allerdings jung gestorben sind. Sie war ein wildes Mädchen, das es den Buben zuvortat, aber es zeigte sich auch sehr früh bei ihr die Neigung, Gräberstätten aufzusuchen und dort zu weilen. Die dichterische Beanlagung war ihr von der Mutter überkommen. In dieser Familie dichtete eigentlich alles, man schrieb sich Briefe in durchaus klingenden Versen, Mutter und Tochter gewannen sogar in Liedern Aussprachemöglichkeiten, die ihnen das Schreiben sonst versagte, und Bruder Wilhelm, der sinnige Maler, stand darin hinter ihnen nicht zurück.

Sorge und Not hat sie früh kennengelernt, der Vater kränkelte, Geschwister starben, ein Prozeß hatte Armut im Gefolge; dann starb der Vater. Luise Hensel war zwölf Jahre alt, als sie mit der Mutter und den überlebenden Geschwistern nach Berlin übersiedelte.

Sie wohnte in dem Hause Markgrafen- und Lindenstraßen-Ecke und besuchte die Realschule in der Hochstraße. In der nahegelegenen Sternwarte fand sie mancherlei Anregung. In diese Schuljahre, in ihr zwölftes bis vierzehntes Jahr also, fielen ihrer eigenen Angabe nach ernste religiöse Kämpfe; man möchte das in so jugendlichem Alter belächeln; doch hat Kindheit ihren stummen Ernst.

Trotz der bedrängten Verhältnisse, in denen die vaterlose Familie lebte, war Luise Hensel in den schöngeistigen Kreisen dieses Berlins, das nach der eben überstandenen schweren Arbeit der Kriegsjahre Erholung suchte, ein gern gesehener Gast. Sie verkehrte im Hause des Kriminalrats Eduard Hitzig und hat dort aller Wahrscheinlichkeit nach mit E. T. A. Hoffmann, Houwald, Contessa, Chamisso um einen Tisch herum gesessen. Mit der Tochter des Staatsrats und Dichters Friedrich August von Stägemann verband sie innige Freundschaft. Bei Stägemanns geschah's, daß Gneisenau dem Mädchen von seiner bittern Kindheit – sonst streng gehütetes Geheimnis – erzählte. Im Hause Stägemanns lernte sie Brentano kennen.

Diesem sehr bescheidenen Berliner Dasein wurden dennoch – das lag nun einmal im Zug der Zeit – die Freuden einer Sommerwohnung zuteil. Im Jahre 1816 zog die verwitwete Pastorin Hensel mit ihren Kindern nach Schöneberg hinaus, und eben dies Haus »ganz im Grünen« in Schöneberg ist Luise Hensel zu einem Arkadien der Erinnerung geworden. Die Freunde und Freundinnen kamen tagtäglich hinaus, man erging sich bei den Vergißmeinnicht am Bach, man spielte, man tanzte. Von Schöneberg aus kam Luise Hensel an jenem Nachmittag nach Berlin und in die »gute Stube« des Staatsrats von Stägemann, wo es ihr bestimmt war, Clemens Brentano kennenzulernen.

Versunken scheinen die Eindrücke der märkischen Heidelandschaft; diese geistig angeregte kleine Stadt, die damals Preußens Hauptstadt war, bestimmt, umrahmend, diese Jungmädchenbilder. Gewiß, das Leben hat seine Sorgen, aber sie wiegen doch nicht allzu schwer; man weiß eines Wintertages nicht, woher das Holz zum Heizen nehmen, aber noch zur rechten Zeit wird es einem auf Borg geliefert; man findet sich in gutem geistigen Verkehr; zu innerer Erregung, zu seelischem Kampf scheint kein Anlaß vorhanden.

Wendet man der heranwachsenden Luise Hensel schärferes Augenmerk zu, so sind es drei Äußerungen, die zunächst zum mindesten merkwürdig erscheinen. Als Kind sagt sie einmal auf die Frage, ob sie nicht auch Pastorenfrau werden möchte: »Nein, nein! Geistliche brauchen gar keine Frau zu haben.« (Merkwürdigerweise nimmt etwa zu nämlicher Zeit auch Rahel, durchaus nicht Kind mehr, daran Anstoß, daß evangelische Geistliche sich vermählen.) Bei ihrer Einsegnung durch einen gut protestantischen Berliner Pfarrer macht sie eine Art Pakt mit Gott: daß sie sich durch diese Handlung zum Christentum bekenne, sich aber die Freiheit wahren wolle, die rechte Kirche unter den Konfessionen zu suchen. Und endlich findet sich in ihren Aufzeichnungen der Satz: »Meine Eltern liebten einander sehr. Doch habe ich gottlob! nie eine Tändelei oder sonst etwas Kindisches zwischen ihnen erlebt, ebensowenig einen Streit.«

Man weiß zunächst nicht, was man von alledem zu halten hat. Es ist auch nur, als nähme ein liebliches Jungmädchenantlitz für ein paar Augenblicke befremdenden Ausdruck an.

 

Am 7. und 8. Dezember 1818 vollzog Luise Hensel, Tochter des weiland protestantischen Pfarrers Johann Jakob Ludwig Hensel, ihren Übertritt zur katholischen Kirche. Sie tat den Schritt zunächst ohne Wissen ihrer Mutter. Sie beging ihn aus reiflicher Überlegung heraus und nachdem sie fleißige Besucherin protestantischer Kirchen gewesen war. Es geschah das aber zu der nämlichen Zeit, in der ein Schleiermacher auf der Kanzel der Dreifaltigkeitskirche stand.

 

Luise Hensel ist ausnehmend anmutig gewesen, das wird allseitig bezeugt. Ihre Gestalt war schlank und zart. »Einen Teint wie Lilien und Rosen«, rühmt ihr Frau v. Olfers nach. Den blauen Augen war tiefer Blick gegeben. Auf dem lieblichen Köpfchen lag schweres, anscheinend braunes Haar. Es war ihr in solcher Fülle gegeben, daß sie, bereits gealtert, ihrer Mutter ein Fußkissen daraus fertigen konnte, wie »des Seidenhäsleins Mutter«.

Als Brentano ihr an jenem Septemberabend des Jahres 1816 zum erstenmal entgegentrat, sagte er: »Mein Gott, wie gleichen Sie meiner verstorbenen Schwester Sophie!« Sie selbst aber hatte noch eben, bevor er eingetreten war und bereits von ihm gesprochen wurde, gemeint: »Wenn er weiter nichts ist als geistreich, so kann er dabei noch ein sehr unglücklicher und erbärmlicher Mensch sein!«

Brentano hatte in seinem Liebesleben bereits Schiffbruch erlitten, als er Luise Hensel kennenlernte. Seine erste Frau, die er geliebt hatte, Sophie Mereau, war, man kann wohl sagen, an ihm und für ihn gestorben: dieser krankhafte Drang in ihm, die zu quälen, die er liebte, hatte sich an ihr ausgetobt. Mit seiner zweiten Frau, die er nie geliebt und nur aus einem Dummenjungenstreich heraus geheiratet hatte, Auguste Busmann, lebte er in Scheidung, nachdem sie einander das Leben vergällt hatten.

Mit all dem leidenschaftlichen Ungestüm, das in ihm tobte, umwarb nunmehr der Achtunddreißigjährige die achtzehnjährige Luise Hensel. Von allem Anfang an wehrte sie ab, denn sie hat ihn in Wahrheit nie geliebt. Ihm aber war es gegeben, auch da, wo man ihn abwies, seelisch einzuwurzeln. Und so geschah das Seltsame: dies Herzensverhältnis, das doch nun so oder so bestand, auch wenn Gequältsein und Mitleid in ihr die Liebe zu ersetzen hatten, führte zu einer religiösen Gemeinschaft hinüber. Tatsache ist, daß Luise Hensels Einfluß mitwirkte, Brentano seiner katholischen Mutterkirche wiederzugeben; sie war's gewissermaßen, die ihn zur Beichte führte; und Tatsache ist es auch, obwohl Luise Hensel es in Abrede gestellt hat, daß er seinen Anteil an ihrem Übertritt zum Katholizismus hatte.

Luise Hensel hat ihn nie geliebt. Aus jenem Opferdrange aber, der jungen Mädchen vielfach eigen, hatte sie, bevor sie wußte, daß er in Scheidung lebte, mit der Möglichkeit, ihn zu heiraten, durchaus gerechnet. Wie nun hatte sie sich die Ehe mit ihm vorgestellt?

Ihr eigenes Tagebuch gibt darauf Antwort: »Ich glaubte, du würdest sonst gut, aber ungeduldig sein, und würdest mich vielleicht oft quälen oder schlagen; ich würde darin meine Buße und Beruhigung finden, mich in Geduld und Entsagung zu üben; denn ein weltliches Interesse hatte ich damals nicht für dich.« Und weiterhin: »Auch glaubte ich, unsere Ehe würde kinderlos und keusch sein.«

Im ersten dieser Sätze ist tiefster Ausdruck des Frauenideals der Zeit. Der zweite gibt den bestimmenden Zug aus dem Bildnis der »Dame«.

Wieder aber fragt man sich, was ist da seelisch und sinnlich vor sich gegangen?

Es gibt Jungmädchennaturen, und Luise Hensel scheint zu ihnen gehört zu haben, die, ohne darum unsinnlich zu sein, mimosenhafte Scheu vor jeder körperlichen Annäherung hegen; in denen gleichsam die Furcht vor jeder Berührung zittert. Man erzählt von einer Braut, die ihren Verlobten zärtlich liebte, ihm, sobald sie von ihm getrennt war, denkbar hingebungsvolle Briefe schrieb. Nahte er sich ihr aber persönlich, so wich sie ihm aus; war kaum imstande, mit ihm allein zu sein; führte heftige Auftritte herbei, gleichsam, um sich vor ihm zu schützen – um wiederum, sobald er sie verlassen hatte, in ihren Briefen ganz Hingebung und Liebe zu sein. Ein Spiel der Qual, das sich die langen Jahre hindurch fortspann, bis in dem Mann die Kraft, um sie zu werben, erlahmte, er die Verlobung löste – und sie in Jammers-Ohnmacht zusammenbrach. Wahrscheinlich hat man in Luise Hensel eine nicht unähnliche Natur zu sehen. Ihr nun trat in Brentano die nicht sowohl starke als vielmehr verderbte und krankhafte Sinnlichkeit entgegen. Es ist, als wäre sie in tiefster Seele darüber erschrocken. Als wäre alles um sie herum und in ihr beängstigender Unsicherheit verfallen. Als hätte sie sich in ihrem Innersten verfänglich angetastet gefühlt. Brentano hat in Luise Hensel das sinnliche Empfinden geweckt, getötet – und hat es zugleich gespenstern lassen.

Etwas von dem allen muß freilich schon vorher in ihr geschlummert haben. Denn es war doch merkwürdig, daß ein Kind Betrachtungen darüber anstellte, daß Geistliche nicht verheiratet sein sollten und sich dessen dankbar bewußt wurde, nie einem Zärtlichkeitsaustausch der Eltern beigewohnt zu haben! Wo es gespenstert, war schon zuvor Neigung zu Geisterseherei vorhanden. Am 6. Mai 1820 legte Luise Hensel ihr Keuschheitsgelübde ab.

In Brentanos Art blieb, auch nachdem er auf alles Liebeswerben Verzicht geleistet hatte und etwas wie eine seelische und religiöse Arbeitsgemeinschaft zwischen ihnen erstanden war, dies sinnlich Aufreizende, krankhaft Quälende, eine empfindsame Seele Verletzende, geradezu Verscheuchende. Töne, wie das »Fahr hin in Deiner Heiligkeit, Du Törin, Du Wahnsinnige«, verloren sich freilich bald aus den Briefen, die er an sie richtete. Um so unsauberer mochte es eine Luise Hensel berühren, wenn der lüsterne Büßer schrieb, ihm sei's, »als wäre meine Brust ein Badezuber und Deine Füße ständen badend und plätschernd in meinem Herzen und Du sagst: endlich krieg' ich warme Füße«. Oder wenn er ihr schildert, daß er wie ein Schatten mit dem Mondlicht in ihre Kammer gleite, den Kamm greife, den sie aus dem Haar geschüttelt habe. Sie schlafe darüber ein. »Und ich krieche heran und fasse Deine Hand, die ist nicht kalt; ich falte meine arme Hand hinein und bete, Gott möge mir helfen, lieben und sterben, Dir, Dir und dem, der uns liebet.« Das wird dann weiter ausgesponnen, und am andern Morgen fehlt dem Kamm ein Zahn – »Such' ihn nur in der ganzen Kammer, Du findest ihn nicht, er ist in einer anderen Kammer, wo Du viel schöner drin wohnst, in meiner Herzkammer, da steckt er mittendurch und ist ganz vergoldet. Gute Nacht.« Gewiß; das ist echt Brentanosches Märchen; hier aber griff es doch mit plumpvertraulichen Händen nach einer, die vor jeder Berührung zurückschreckte; und die – das bleibt das Entscheidende – den Zudringlichen durchaus nicht liebte.

Es ist von Luise Hensel zweifellos als Erlösung empfunden worden, als Brentano in den Septembertagen 1818 Berlin und seiner Wohnung in der Mauerstraße den Rücken zuwandte, um sich auf Reisen zu begeben. Auch hatte sie das ihrige dazu beigetragen, ihn dazu zu bewegen.

Diese Reise aber hatte ein Ziel, das ihnen beiden gleichmäßig am Herzen lag und das kein geringeres war als – das Wunder.

In Dülmen lebte damals Katharina Emmerich – und damit steht man wieder am Siechbett der von Krankheit Geschlagenen, Verzückungen Anheimgegebnen, Gesichte Schauenden; dieses Kindes aus dem niederen Volk, von geringer Bildung, das die Male des Herrn an seinem Leibe trug; und diese Male bluteten an jedem Freitag.

Zu Katharina Emmerich begab sich Clemens Brentano, um Jahre bei ihr zu weilen und ihre Eingebungen aufzuzeichnen. Zu Füßen ihrer dürftigen Lagerstätte wird später auch Luise Hensel sitzen, recht innige Freundschaft gebend und nehmend, den Worten der Erweckten lauschend. Und es mutet wie eine grellfarbige Illustration zu dem seelischen Abenteurertum der Epoche an, wenn sich Luise Hensel, wieder ein paar Jahre später, nachdem die Emmerich gestorben war, nachts, vom Totengräber begleitet, auf den Friedhof begibt (es hieß, der Leib der Emmerich sei – wie es vom Leibe Jesu verlautbart hatte – gestohlen worden), das Grab öffnen läßt und der Toten ins Angesicht schaut.

Eins läßt sich in dem allen mit Sicherheit sagen: durch Katharina Emmerich wurde Brentano einem Jesus zugeführt, der nicht der Heiland seiner Seele sein konnte. Dies die letzte Tragik seines Lebens, an der sein Dichten vollends verdorrte.

Nun aber saß Clemens Brentano neben dem Bett der Emmerich und schrieb an Luise Hensel die langen Briefe, die zu ausführlichen Berichten wurden. Alles Sinnliche scheint nun wirklich von ihm abgefallen zu sein, Schwester ist sie ihm und »kluges, klares, klangvolles Kleinod«. Etwas altklug tönt es hinein: »Meine liebe Schwester, meide allen Umgang, wo Du gefällst; das ist gefährlicher als Lob.« Die Warnung kehrt wieder und klingt bestimmter: »Es wird eine Zeit kommen, da Du zwischen dem himmlischen und einem irdischen Bräutigam stehen wirst. Gott erbarme sich dann Deiner!« Die Sprache wird abermals dringlicher: »So lasse uns denn das Fleisch dem Herrn opfern, auch er hat das seine für uns geopfert.« Und in der Nachschrift desselben Briefes: »Du willst dem Leben seine Sinnlichkeit nicht gönnen: – versage sie Dir, dann hast Du mehr getan, als alle Goethes geschadet haben.«

Das klingt nun freilich etwas seltsam, blickt man dem Brentano in die Augen, der er noch eben gewesen war. Man fürchtet, unter dem seraphischen Kleid könnte einem eine von sehr irdischen Nöten bewegte Brust entgegenklopfen, und wirklich, aus Brentanos seraphischen Worten spricht eine neue, nicht sonderlich überirdische Leidenschaft, die – Eifersucht.

Luise Hensel war dem Jüngling begegnet, nach dem ihr Herz Verlangen trug: Ludwig von Gerlach.

Wirklich hebt in ihrem Innern damit der Kampf an, dies peinvolle Sichentscheiden zwischen dem himmlischen und dem irdischen Bräutigam. Wie sie nun einmal war und empfand, bestand für sie dies gebieterische Entweder-Oder, ein Sichdarumherumlügen gab es nicht. Mit tiefer Rührung liest man in ihren Tagebüchern, daß es vielleicht besser sei, zu zweit zu gehen, als allein, weil eins dem andern auf dem Weg zu Gott doch forthelfen könne – aber die innere Stimme gibt's nicht zu –: »Oh, um Gottes willen werde du nicht so mein Peiniger, sieh mich nicht wieder so an, wie du mich einmal angesehen – wenn mich noch einmal die Welt so begehrend und so verheißend aus deinen Augen ansieht, so muß ich dich verlassen, mich ganz von dir wenden, da ich doch so gerne deine Schwester sein möchte.« Sie trägt danach Verlangen, einen Lieblingsspaziergang mit ihm zu machen – »aber wir müßten beide nichts verlangen und nicht sehnen und von dem lieben Gott reden.«

Sich dieses Liebesweben in Luise Hensel vergegenwärtigen, heißt nun wirklich an Zartestes rühren; es ist, als öffnete sich hier eine Blüte, eine jener seltsamen, die in einer Nacht erstehen und vergehen und die sich unter jedem Blick schließen müssen.

So zart war dieses Liebessehnen in Luise Hensel, daß der Mann, dem es galt, es nicht einmal gewahr geworden ist. Der Zufall oder ein freundliches Geschick sollte es fügen, daß Ludwig von Gerlach, als Greis, an das letzte Siechenlager von Luise Hensel, die er seit Jahrzehnten nicht gesehen hatte, trat. Er plauderte mit ihr von der alten Zeit und von gemeinsamen Bekannten. Was er selbst für dies Leben, das da im Erlöschen war, bedeutet hatte, ahnte er nicht.

Aber man begreift, daß eine Natur, wie Luise Hensel, diese Zarteste und Allzuzarte, sich von einer Erscheinung wie der Luthers abgestoßen fühlte. Der mannhaft sinnliche Zug in dem deutschen Reformator scheuchte die Mimosenhafte tief in ihr Inneres zurück. Sie wohnte hinter zugezogenen Gardinen.

Wie ein Symbol mutet es an: die verstorbene Schwester hatte Brentano in Luise Hensel wiederzuerkennen geglaubt, als sie ihm das erstemal entgegengetreten war; in Ludwig von Gerlach suchte Luise Hensel für ihren gestorbenen Bruder Ersatz. In ihren Tagebüchern heißt es: »Lieber Freund, bist du denn auch so. Ich habe einen Bruder Ludwig verloren; verloren habe ich ihn nicht, aber er ist gestorben, willst du nicht mein Bruder Ludwig sein? ... Ich habe mich gewundert, daß du nicht im September gestorben bist; mein Bruder starb in demselben Monat, an derselben Krankheit, die du hattest.«

Dies Lieben blickt aus toten Augen.

 

Ohne je in ein Kloster einzutreten, hat Luise Hensel ihr Keuschheitsgelübde abgelegt. Der Bräutigam, dem sie sich anverlobt hat, ist Gottes Sohn gewesen, der für die sündige Menschheit den Kreuzestod erlitten hat.

Mit solchem Verlöbnis rührt man an älteste Mystik. Jesus selbst hat ihr das Wort gegeben, als er das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen sprach. Es ist aber auch alle Glut der Verzückten darin gewesen und die milde Wehmut der in stille Schau Versenkten. Und gerade dieser Generation der mit Luise Hensel Aufgewachsenen irrlichtelierte das Wort des Novalis: »Hinunter zu der süßen Braut, zu Jesus, dem Geliebten« –:

Bei Luise Hensel ist von alledem nicht die Rede. Und es ist wichtig, darin klar zu sehen, um so mehr, als von mancher Seite das Gegenteil behauptet worden ist. Nein; von dem Mysterium der Brautschaft ist nichts in Luise Hensels Gedichten und nichts in ihren umfangreichen Tagebüchern. Es wäre auch ihrer Art fremd gewesen.

Vielmehr gewahrt man ein ganz anderes, Gegensätzliches. Ein Prinz hat ihr einmal einen Heiratsantrag gemacht, sie zählte damals 23 Jahre, und es scheint ihr nicht ganz leicht geworden zu sein, dem hochgestellten Freier die Absage zuteil werden zu lassen. Doch tut sie es, und nun schreibt sie in ihr Tagebuch: »Nun weiß ich, wie ein Prinz so gar nichts ist gegen dich, du hoher Zimmermann! – Nimm mich nun und halte mich auf ewig, damit alle Prinzen der Welt nicht einen meiner Gedanken mehr von dir abwenden können.« Wessen Sprache ist das? Die eines Kindes.

Ein Kind, redet sie ihren Herrn Jesus immer als den Allerschönsten an, wenn sich Menschen zwischen sie und ihren himmlischen Bräutigam drängen.

Luise Hensel ist zeit ihres Lebens Kind geblieben. Das ist das Große in ihr oder das Kleine: wie man will. Das eben ist es, was sie selber zu einem schwer deutbaren Rätsel macht: man muß viel, nahezu alles vergessen haben, um sie zu begreifen.

Aus ihr blickt diese Zeit mit Kinderaugen.

»So oft ich einem Erdensohne, in Liebe wollt' entgegengehn, da sah ich in der Dornenkrone den Liebsten traurig seitwärts stehn« –: Sprache und Empfindung sind die eines Kindes. Selbst wo Luise Hensel davon spricht, daß Gott sich den Gläubigen als Speise darbietet, tun sich nirgends die dunklen Tore auf, bricht aus Erdinnern kein Feuer. Statt dessen stellt sich die kindliche Betrachtung ein, daß es Gott leichter fallen müsse, die Gestalt des reinen Brotes als die des sündigen Fleisches anzunehmen.

Alle Mystik war und ist aus Sinnlichkeit geboren: Luise Hensels sinnliches Empfinden ist nie erwacht, nachdem es einmal von Brentano so tief in Verschämung hineingescheucht worden war. Schildert sie in ihren Tagebüchern das eine oder das andere Mal, wie der himmlische Bräutigam die Arme weit ausbreitet, sie zu umfassen, da er sie unter Lilien küßt, so ist das nicht viel mehr als ein Sichergehen in bekannten Bildern, es ist ein gemalter Heiland, der die Arme ausstreckt, es sind stilisierte Lilien, zwischen denen die Lippen sich begegnen. Und eingeleitet werden die Betrachtungen mit den Worten: »Mein Führer – das ist ihr Beichtvater – hat mir befohlen, vertraulich mit dir umzugehen und kindlich zu spielen; und wenn ich nicht kindlich sein könnte, so sollte ich kindisch sein, bis ich wahrhaft Kind werde.« So schrieb sie, und wußte selbst nicht, wie sehr sie Kind war.

Es ist ohne alle Einschränkung zuzugestehen, daß Luise Hensel, als sie zum Katholizismus übertrat, den ihrer Seele vorbestimmten Weg gegangen ist.

Es ist für dies jugendliche Seelenleben bezeichnend, daß Luise Hensel, auch als sie noch Protestantin war, eine tiefe Sehnsucht, mehr als das, ein unabweisbares Bedürfnis nach der Beichte empfunden hat. »Sie sind so glücklich, die Beichte zu haben«, war eins der ersten Worte, das sie an Brentano richtete. Bereits eingesegnet, suchte sie eines Tages den protestantischen Geistlichen, der sie konfirmiert hatte, auf und bat ihn, ihm beichten zu dürfen – eine Bitte, die selbstverständlich abgeschlagen werden mußte; sie »beichtete« daraufhin einer Freundin. Im Grunde ist in diesem einen Zuge alles gegeben, worauf es ankommt. Sie bedurfte innerlich der Führung. Nicht anders als ein Kind, das nach der Hand des Begleiters greift, da es nun den Straßendamm mit seinen Fährlichkeiten zu überschreiten hat.

Es ist wahr: Ein Schleiermacher stand auf der protestantischen Kanzel, als Luise Hensel zum Katholizismus übertrat. Eifrige Kirchgängerin, die sie war, scheint sie ihn dennoch niemals gehört zu haben, jedenfalls war es ihr wohl nicht vergönnt, ihm menschlich nahezutreten. Aber selbst wenn das der Fall gewesen wäre – schwerlich hätte er es vermocht, ihr viel zu geben. Denn sie hätte es nie verstanden, wenn er sie bedeutet hätte: Finde du kraft der in dir wirkenden Gnade aus dir selber deinen Weg.

Sie war ein Kind und bedurfte der Führung. Innerhalb der katholischen Kirche wurde ihr die zuteil. Man liest in ihren Tagebüchern und meint zwischen den Zeilen zu erkennen, daß auch ihren katholischen Beichtvätern der kleinen und quälerischen Anliegen manchmal etwas viel wurde, wie Ärzten, die, von ernstlich Kranken in Anspruch genommen, ungern ihre Zeit an die kleinen Leiden einer eigentlich recht Gesunden verschwenden; aber sie verloren niemals die Geduld. Und sie verstanden es in bewunderungswürdiger Weise, dieser Kindseele das zu geben, dessen sie bedurfte. »Mein Führer hat mir befohlen (welche Gnade für eine Natur, wie sie es war, in dem einen Wort: befohlen), kindlich zu spielen.«

Man liest von einer der ihr auferlegten geistlichen Übungen, und man staunt die psychologische Weisheit an, die sich darin kundgibt. Sie soll der heiligen Jungfrau und dem heiligen Joseph auf der Reise begegnen und sie bitten, sie mitzunehmen. Sie soll sich ganz in die Zeit zurückdenken, in der diese zwei heiligsten Personen auf Erden lebten, und soll ihren Gesprächen lauschen. Heut, morgen und übermorgen soll sie mit ihnen auf der Reise sein, am Sonntag mit ihnen in Bethlehem ankommen und von Haus zu Haus mit ihnen gehn und Herberge suchen ... So wird das Kind mit frommem Spiel beschäftigt; so und nicht anders waren die Eingebungen ihrer frommen Freundin, der Katharina Emmerich gewesen; zugleich aber: Ist es nicht, als würde die Dichterin Luise Hensel angeleitet, ihrer Phantasie Stoff und Nahrung zuzuführen? Ist diese geistliche Übung nicht auch gleichzeitig poetisches Seminar?

Das Kind war in den Schoß der Mutterkirche aufgenommen und fand sich da warm und wärmer eingebettet. So verstrich ihr das Leben: Sie wurde geführt. Zwar ihr immer wieder aufsteigender Wunsch, Nonne zu werden, ging nicht in Erfüllung, aber sie lebte in der Welt, als täte sie's nicht. Die Gardinen vor ihrem Fenster blieben zugezogen. Sie fand in adligen Häusern Aufnahme und schuf sich da ihren Wirkungskreis; sie pflegte Kranke; sie erzog junge Mädchen und streute in ihre Herzen den Samen, der in ihrem eigenen Blüte und Frucht getrieben hatte; sie gab und fand Liebe; sie starb mit gefalteten Händen als eine, die den Tod seit Kindestagen herbeigesehnt hat; sie schloß die Augen achtundsiebzigjährig, und es war nicht anders, als wäre nur eine Nacht darüber verstrichen, seit sie, ein Kind, ihr Abendgebet gesprochen hatte.

Der Jungfräulichen war etwas wie Mutterglück beschieden. Sterbend hatte ihre Schwester ihr ihr Söhnchen anvertraut, und die Sorge um dies Kind, dem doch der protestantische Vater lebte, hatte ihr ihren Entschluß, zur katholischen Kirche überzutreten, sehr wesentlich erschwert. Aber die Hindernisse waren beseitigt worden, sie lebte diesem Kinde, erfuhr an ihm Mutterfreude, aber auch sehr herbe Mutternot und sah den längst Herangewachsenen sterben. So glitt und entglitt alles. Vielleicht aber war jeder Verlust auf dieser Erde Gewinn für die Heimat jenseits der Todeswolke?

Sie glich der alternden Braut aus dem Volkslied, deren Bräutigam vor fünfzig oder mehr Jahren in der Schlacht gefallen ist, und die noch Abend für Abend die Lampe an ihr Fenster stellt, ihm den Weg zu weisen, wenn er doch heimkehren sollte – altgewordenes Kind. Aber sie glich auch zugleich der klugen Jungfrau, die die Lampe bereit hält, weil sie weiß, der Bräutigam muß kommen, denn er ist nicht von dieser Welt, und Tod und Sterben haben über ihn nicht Gewalt – Kind Gottes.

 

Luise Hensel ist Kind geblieben, ist es auch in ihrer Dichtung, und damit findet die Frage, was es doch bedeuten wollte, dies: »Laß den Mond am Himmel stehn Und die stille Welt besehn«, ihre Beantwortung. Es ist nicht anders, als streckte ein Kind jubelnd die Arme nach dem Mond aus und faltete alsbald die Hände und bäte den lieben Gott, ihn immer am Himmel zu lassen.

Ein Kind, innerlich ganz aus der Patriarchalität der Periode erwachsen; – und verkörpert doch auch in sich das Frauenideal, selbst Züge aus dem Damenbildnis der Epoche zeichnen sich in ihrem Antlitz –; in kindlicher Selbstverständlichkeit geht sie den Weg, auf den sich damals die vielen Müden und Gebrochenen retteten –: es ist etwas im Wesen dieser Konvertitin, als wäre sie nicht aus der Wirklichkeit, als wäre sie aus den Sehnsuchtswehen der Zeit geboren.


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