Georg Heim
Heitere Geschichten
Georg Heim

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57 Der erste Presseangriff

Wenn es wirklich eine üble Angewohnheit ist, während des Essens zu lesen, so war mein guter Vater wenigstens teilweise von diesem Fehler nicht ganz frei. Punkt 12 Uhr geht es nach früherem bürgerlichen Brauche zu Tisch. Kurz vor 12 Uhr erschien auch der Moniteur meiner Heimatstadt, und der langjährige Redakteur war der beste Freund meines Vaters.

So saßen wir wieder einmal bei Tisch. Der Vater las seine Zeitung zwischen Suppe und Hauptgericht. Das vollzog sich sonst sehr ruhig. Heute aber mußte was ganz Besonderes vorliegen. Denn die Bemerkung »Unerhört, unglaublich, Lausbubereien, denen wollen wir kommen!« waren die Kommentare zu seiner heutigen Lektüre, so daß meine Mutter den Vater fragte, was denn los sei. So erfuhren wir es alle.

Meine Heimatstadt, die an einer sehr belebten Verkehrsstraße von Bayern nach Frankfurt und dem Westen liegt, hat zu jener Zeit viel unter der Handwerksburschenplage gelitten. Es wurde deswegen ein Verein zur Unterstützung der Wandergesellen gegründet, andererseits aber, um den 58 Hausbettel zu bekämpfen, an jeder Haustüre ein Schildchen angebracht: »Verein gegen Hausbettel; Bettlern wird nichts gegeben.«

Es war ein wunderschöner Sommermonat und ein noch schönerer Sommerabend, an dem auf einem Bierkeller neben der Stadt ein Dutzend junger Studenten sich ein Stelldichein gegeben hatten. Ruhig hinter dem Maßkrug zu sitzen, ist gerade nicht der Studenten Art. Die Jugend will sich betätigen. Und wie es mal so gegen die Mitternachtsstunde ging und der Keller sich leerte, wurden die Köpfe zusammengesteckt und beraten, was man denn noch an diesem Abend zum Wohl der Menschheit und zum Ärgernis gewisser Mitmenschen unternehmen könne. Verschiedene Vorschläge wurden gemacht. Auch einer von mir war dabei. Ich blieb Sieger mit meinem Vorschlag. Die Türschilder des Vereins gegen den Hausbettel sollten zum Opfer fallen.

Wir verteilten uns in verschiedene Kolonnen zu je zwei Mann, einer, der das Schild abmachte, und einer, der Schmiere stand, und so gingen wir ans Werk. Jede Kolonne hatte ihre bestimmte Straße, und am Ende trafen wir uns verabredungsgemäß an einem entlegenen Ort, um den 59 Erfolg der Expedition festzustellen. Die Sache klappte vorzüglich. Früh morgens um 2 Uhr wurden über 400 Schilder als Beute eingeliefert.

Und nunmehr zurück an den Familientisch. Die entrüsteten Ausrufe meines Vaters veranlaßten meine Mutter zu der Frage: »Was gibt's denn?« »Denk' dir, was heute nacht passiert ist! Die Schilder vom Verein gegen Hausbettel wurden heute nacht von fast allen Haustüren heruntergerissen! Denk' dir diese Lausbuberei!« Der Vater las den Artikel vor, der mit dem Satze schloß, daß dieser Lausbuberei eine exemplarische Strafe auf dem Fuße folgen müsse; man sei den Tätern bereits auf der Spur.

Jetzt wurde es mir doch etwas schwummerig. In diesem Augenblick öffnete sich unsere Stubentür und ein Kopf mit einer Dienstmütze streckte sich herein und verkündete: »Herr Rat (Stadtrat), heute mittag 3 Uhr ist auf dem Rathaus eine Besprechung wegen der Vorkommnisse dieser Nacht. Maßnahmen sollen ergriffen werden, ein Preis für Ergreifung der Täter soll beschlossen werden.«

Mein Herz sank tiefer und tiefer. Der dieses zur Stube hereingerufen hatte, Herr Ratsdiener Igel, 60 war ein Altbayer von Geburt und hatte, trotz der Jahrzehnte, die er in meiner fränkischen Heimatstadt verbrachte, noch den unverfälschten Heimatdialekt.

Die Einladung zu der Sitzung fand die volle Zustimmung meines Vaters und brachte neuerdings den Stein seiner Entrüstung ins Rollen. »Da fehlt es weniger bei den Buben als bei den Eltern; da gehören die Eltern mehr gestraft als die Buben!« Armer Vater!

Nunmehr war mein Herz aber endgültig auf dem tiefsten Punkte seiner sprichwörtlichen Senkungsfähigkeit angelangt. Aber der dornenvolle Weg war noch nicht zu Ende gegangen. Nach Tisch sagte mein Vater, du gehst gleich mit mir, ich werde dir einen Artikel diktieren, man muß einmal den Eltern zu Gemüte reden. Und da diktierte mir mein Vater für die heimatliche Zeitung eine Epistel an die Eltern dieser Taugenichtse. Mir wurde es angst und bange, mein Herz ging der Auflösung entgegen. Ich schrieb den Artikel, mein Vater steckte ihn in die Tasche, um zu seinem Freunde, dem Redakteur, zu gehen, und zu der auf 3 Uhr angesagten Sitzung.

Kaum war der Vater aus dem Hause, verschwand 61 ich ebenfalls und suchte möglichst unauffällig einige meiner Spießgesellen der heutigen Nacht zu treffen. Es war ihnen allen nicht einerlei. Wir hatten dortmals einen jovialen, trinkfesten, burschikosen Bürgermeister; er mußte uns helfen. In nicht gewohnter Besuchsstunde, noch abends nach 6 Uhr, suchten wir ihn in seiner Wohnung auf, drei Mann hoch.

»Aha, hab' ich es mir doch gedacht, da sind sie ja« – eine merkwürdige Begrüßung. Ehe wir ein Wort sprechen konnten, war er sich über die Lage auf dem Kriegsschauplatze vollständig klar, und er hatte ein Einsehen . . .

Fünfzehn Jahre später, als junger Landtagsabgeordneter, saß ich mit ihm und einigen Landsleuten im Ratskeller in München um die gleiche verhängnisvolle Stunde beisammen, in der seinerzeit das Verbrechen ausgeübt wurde. Ich hatte die Sache vergessen, aber der Bürgermeister (Dr. Medikus), ein gut geeichter Herr, um so weniger, und erzählte meine Schandtat, und wie ich zum erstenmal Gegenstand von Presseangriffen war. Es waren feuchtfröhliche, unvergeßliche Stunden, um so mehr, als dann auch er von seinen Jugendstreichen erzählte. Am andern Tag nach diesem bösen Streich erschien 62 in meiner heimatlichen Zeitung ein Eingesandt, nicht das meines Vaters, aber ein anderes. Man sollte doch solche Dinge nicht gleich so aufbauschen, das sei halt ein Studentenstreich gewesen, im übrigen wäre der Hauptschaden schon abgewendet, die Schildchen hätten sich wieder gefunden. Das war das erste Mal, daß ich Gegenstand einer Pressekampagne war . . . aber nicht das letzte Mal!


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