Georg Heim
Heitere Geschichten
Georg Heim

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67 Mein erster und letzter Zollschmuggel

Dieses Stück Geschichte aus meinem Leben, das ich jetzt erzähle, ist, wie so manches der vorhergehenden, ein Bekenntnis. Stünde ich noch im politischen Leben, so würde ich es nicht öffentlich ablegen. Denn ein selbstverständlich ganz ehrlich gemeinter und berechtigter Entrüstungssturm würde auf mich niederprasseln, und bei jedem Wahlkampf würde ich als Schmuggler übelster Sorte meinen Wählern vorgestellt werden.

Pharisäer bitte ich daher, diese Geschichte nicht zu lesen, und ich bemerke, daß sie verbrochen wurde in einem Alter, wo ich noch nicht das wahlfähige Alter zum Abgeordneten hatte, und jedenfalls möchte ich bemerken, daß heute schon dreißig Jahre vorüber sind, so daß für alle Fälle Verjährung eingetreten ist. Und schließlich bitte ich jeden Leser, an die eigene Brust zu klopfen, einschließlich der Pharisäer, ob nicht auch sie einmal beim Überschreiten der Grenze den Zollbehörden ein Schnippchen geschlagen haben. Besonders bei meinen Geschlechtsgenossen erinnere ich nur an Rauchwaren, 68 und um viel mehr dem Werte nach hat sich's bei dieser meiner Zolldefraude nicht gedreht.

Wir waren in Salò am Gardasee. Von da geht eine elektrische Bahn in die Berge hinein. Nach kurzer Fahrt landeten wir in einer ganz einsamen Alpenstation, und von da aus ging unsere Wanderung in eines jener engen Täler, wo eben die Elektrizität siegreich eingezogen war. Das Ziel unseres Ausfluges war eine große Seidenfabrik. Nach längerem Verhandeln gelang es uns. Der Eintritt wurde uns nicht leicht gemacht. Da wir aber beide Doktoren waren, also keine Konkurrenten, ließ man uns schließlich den Betrieb besichtigen. Am Ende des Rundgangs stellten wir die bescheidene Frage, ob wir nicht etwas an Fertigfabrikaten bekommen könnten. Dem standen aber die Geschäftsgrundsätze im Wege. An Private wird nichts abgegeben. Schließlich aber war der liebenswürdige Italiener so gütig, uns einige Schnittmuster anzubieten, wie sie zum Versand an ihre Kundschaften für ihre Reisenden von den großen Stücken abgeschnitten werden, gerade hinreichend für eine Bluse. Ich kaufte einfarbige und zwei dortmals gerade modern gewordene Stücke. Im ganzen jeder sechs Stück. Das Ganze gab ein 69 verhältnismäßig kleines Paketchen. Mein Freund warf sofort die Frage auf wegen der Verzollung. Er teilte mir dies sein Bedenken mit. Der nicht deutsch verstehende Italiener begriff unsere Unterhaltung nicht.

Mein Freund kaufte nur zwei Blusen. Wir traten alsdann den Heimweg an. Noch in der Fabrik beschäftigte sich mein sehr sparsamer Freund, heute ein Arzt von Ruf, mit der Frage, was so ein Blusenabschnitt wohl Zoll kosten würde. Die Unterhaltung hierüber war mir sehr unsympathisch. Aber auf seinen Wunsch unterbreitete ich dem Fabrikleiter die Frage wegen der Verzollung. Er erklärte uns die zwei einzig möglichen Wege. Wenn wir ihm die Stücke überließen, würde er sie uns packen und direkt nach Deutschland schicken. Dort würden sie uns durch die Zollbehörde ausgehändigt. Der Zoll würde direkt, und zwar nur einmal, erlegt. Wenn wir aber aus Italien nach Österreich einfahren würden und von da nach Deutschland, würden wir wohl die Seide zweimal verzollen müssen, einmal an Österreich und einmal an Deutschland. Mein guter Freund entschloß sich zu ersterem. Er gab dem Herrn seine Adresse und nach mehreren Wochen erhielt er dann eine 70 Vorladung aufs nächste Zollamt zur Entgegennahme einer zollpflichtigen Sendung.

Ich steckte mein Paket ein. Mehrere Tage später fuhren wir den Gardasee nördlich und gingen in Riga ans Land und durch die österreichische Zollgrenze. Alle Gepäckstücke wurden dort verhältnismäßig streng durchsucht. Unser Reiseziel war Brixen, wo wir im »Elephanten« bei bekannter, vorzüglicher Verpflegung übernachteten. Wir schliefen in einem Zimmer. Er wollte von mir wissen, wo ich denn meine sechs Blusen gehabt hätte, und wie ich es angefangen hätte, sie unbemerkt über die Grenze zu bringen. Ich drehte mich auf die rechte Seite und antwortete ihm mit den bekannten tiefen Tönen, den Zeichen eines tiefen Schlafes. Zwei Tage später passierten wir die Zollgrenze bei Kufstein. Kurz vor München fragte mich mein Freund, wo ich denn diesmal meine Blusen gelassen hätte. Antwort: »Jetzt sind sie hier in meinem Koffer.« Damit zeigte ich ihm die sechs Blusen. Wie ich nochmals bemerke, ein verhältnismäßig kleines Paket. »Merkwürdig, vorhin hat doch in Kufstein der Beamte deinen Koffer sich öffnen lassen. Wo waren denn da die Blusen? Was hätte dir da passieren 71 können, wenn du erwischt worden wärest?« »Wie,« sagte ich voll Erstaunen, »mir wäre überhaupt nichts passiert. Dir wäre etwas passiert, lieber Freund.« Er trug einen sogenannten Bratenrock. Ich griff ihm rückwärts in seinen linken Rockflügel und griff ein kleines Paket heraus. Ich hatte die Blusen geteilt in zwei Pakete zu je drei Stück, und nun erzählte ich ihm, wie ich sowohl vor dem Passieren der österreichischen Zollgrenze in Riva wie der deutschen in Kufstein jedesmal die beiden Pakete ihm in seine zwei Rockflügel praktiziert hätte. »Du wirst einsehen,« sagte ich ihm, »ich wäre nicht erwischt worden, aber du.« Heute kann ja mein Freund über die Geschichte lachen. Ich hab' die Geschichte schon oft in seiner Gegenwart erzählt. Aber Anno dazumal, als ich ihm die Geschichte zum erstenmal entdeckte, waren es keine Liebenswürdigkeiten, die über seine Lippen kamen. Also für die Pharisäer für alle Fälle: ich war unschuldig. Wie so oft im Leben.


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