Georg Heim
Heitere Geschichten
Georg Heim

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1 »'s Wärmche«

Im blühenden bayerischen Gelände meiner Jugend habe ich nichts anderes gewußt, als daß der reiche Obstsegen, den das ganze Land hat, auch für uns Buben da sei. Äpfel und Birnen, Zwetschgen und Nüsse waren in der Sommer- und Herbstzeit begehrte Artikel, und wir haben daran keinen Mangel gehabt. Man ist durch Feld und Flur gestreift und hat sich zunächst mit Fallobst begnügt. Wenn aber dieses nicht in ausreichendem Maße vorhanden war, hat man auch einmal einen Apfel oder einige Birnen oder Zwetschgen vom Baum geworfen oder geschüttelt. Recht ist es ja nicht gewesen, aber es ist doch ein großer Unterschied: wo in einer Gegend Obst eine Seltenheit ist, dort gilt ein solcher Raub als ein großes »Verbrechen«.

Aber diese schönen Tage waren bald vorüber. Mit dem Spätherbst und Winter bis Weihnachten gab es zu Hause in der Familie noch Äpfel von der eigenen Obsternte oder gekauftes Obst. Aber anders wurde die Sache »mit dem Langen der Tage«. Da ging auch das Obst bald aus. Aber so ein Schulbube, so ein richtiges Luder, weiß sich zu helfen.

2 Ein Nachbar meines Elternhauses hatte ein sogenanntes Apfelbett. Überall versteht man diesen Ausdruck nicht. Ich will ihn daher erklären. Es werden in die vier Ecken des Kellers Haken eingeschlagen und an diese werden die vier Zipfel eines großen, starken Tuches aufgehängt. Das ist das Apfelbett. Es wird alsdann Stroh darauf gelegt und auf dieses Stroh werden die Äpfel gelagert, so daß das Ganze etwas über dem Boden schwebt. Gerade zu der Zeit, als bei uns zu Hause das Obst ausging, entdeckte ich bei unserem Nachbarn durch ein Kellerfenster das Apfellager. Einsteigen war unmöglich, hinunterlangen ebenso, dazu haben meine Arme dortmals noch nicht gereicht. Es würde auch kaum heute gehen. Nun habe ich mein Schmetterlingsnetz benutzt, um mir einige Äpfel herauszufischen, aber mein Jagdgeräte ist mir abgebrochen. Jedoch trotz der »Überbürdung« der Jugend hatte ich noch Zeit genug, um mir einen Patentapparat auszudenken, indem ich an der Spitze einer Stange einen Nagel einklemmte, und – es war erreicht – der Apparat arbeitete vorzüglich. Allerdings hie und da passierte es mir, daß ein angestochener Apfel entwischte und wieder zurückkollerte.

3 Eines Tages erzählte mein guter Vater selig beim Abendtisch von einem merkwürdigen Apfelwurme, von dem unser Nachbar gesagt hatte. »Karl,« so hieß mein Vater, »gehe einmal mit in meinen Keller und sieh dir meine Äpfel an; so etwas hast du noch nicht gesehen. Da findest du angefressene Äpfel, du siehst ganz genau den Gang des Tieres, aber wenn du aufschneidest, findest du das ›Wärmche‹ nicht.« (Wärmche – im Untermaintaldialekt für Würmchen.)

Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß mir bei dieser Erörterung am Elterntische nicht ganz wohl zumute war. Der Schrecken machte mich aber nicht lange vorsichtig, denn die Sehnsucht nach den Äpfeln war größer als aller Schrecken. Eines Tages stehe ich wieder mit meinem Patentapparat am Kellerfenster und habe mir meine Äpfel zum Vespern herausgefischt. Au weh! Ein eiserner Griff am Kragen. Erst glaubte ich, es wäre ein Schulkamerad, der mich necke. Wie war ich aber erschrocken, als ich mich umsah und in das Gesicht unseres wutentbrannten Herrn Nachbars blickte. Ich hatte die Sprache verloren. Ehe ich aber noch zu Wort gekommen war – die Geschwindigkeit ist mir heute noch unbegreiflich – war ich auch schon 4 in den Hausplatz meines Elternhauses geschleppt wie ein Schwerverbrecher; von unserem Herrn Nachbarn wurde ich unter dem Triumphgeschrei »Karl, ich hab' das Wärmche!« meinem guten Vater vorgeführt.

Doch ich will meine Geschichte nicht so traurig schließen, denn ich bin kein Freund von Geschichten, die traurig ausgehen, aber das muß ich doch sagen: der Urteilsspruch, der nun erfolgte und die Ausführung des Urteilsspruches und die zudiktierte Strafe gehörten gerade nicht zu den angenehmen Jugenderinnerungen.


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