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Aber warum müssen Völker auf Völker wirken, um einander die Ruhe zu stören? Man sagt, der fortgehend wachsenden Cultur wegen; wie gar etwas Anders sagt das Buch der Geschichte!
Hatten jene Berg- und Steppenvölker aus Nordasien, die ewigen Beunruhiger der Welt, es je zur Absicht, oder waren sie je im Stande, Cultur zu verbreiten? Machten die Chaldäer nicht einem großen Theil der alten Herrlichkeit des Vorderasiens eben ein Ende? Attila, so viele Völker, die ihm vorgingen und nachfolgten, wollten sie die Fortbildung des Menschengeschlechts befördern? Haben sie sie befördert?
Ja, die Phönizier, die Karthager mit ihren gerühmten Colonien, die Griechen selbst mit ihren Pflanzstädten, die Römer mit ihren Eroberungen, hatten sie diesen Zweck? Und wenn sich durch das Reiben der Völker an einander hier etwa diese Kunst, dort jene Bequemlichkeit verbreitete, leisten diese wol Ersatz für die Uebel, die das Drängen der Nationen auf einander dem Siegenden und dem Besiegten gaben? Wer vermag das Elend zu schildern, das die griechischen und römischen Eroberungen dem Erdkreise, den sie umfaßten, mittelbar und unmittelbar brachten?Die französische Schrift: »De la, félicité publique ou considérations sur le sort des hommes dans les différentes époques de l'histoire.« Amsterd. 1772, behandelt ein Thema, dem nicht gnug Aufmerksamkeit gewidmet werden kann. Wozu die Geschichte, wenn sie uns nicht das Bild der glücklichen oder unglücklichen, der verfallenden oder sich aufrichtenden Menschheit zeigt? – H.
Selbst das Christentum, sobald es als Staatsmaschine auf fremde Völker wirkte, drückte sie schrecklich; bei einigen verstümmelte es dergestalt ihren eigenthümlichen Charakter, daß keine anderthalb tausend Jahre ihn haben zurechtbringen mögen. Wünschten wir nicht, daß z. B. der Geist der nordischen Völker, der Deutschen, der Galen, Slaven u. s. w., ungestört und rein aus sich selber hätte hervorgehen mögen?
Und was nutzten die Kreuzzüge dem Orient? Welches Glück haben sie den Küsten der Ostsee gebracht? Die alten Preußen sind vertilgt; Liven, Esthen und Letten im ärmsten Zustande fluchen im Herzen noch jetzt ihren Unterjochern, den Deutschen.
Was endlich ist von der Cultur zu sagen, die von Spaniern, Portugiesen, Engländern und Holländern nach Ost- und Westindien, unter die Neger nach Africa, in die friedlichen Inseln der Südwelt gebracht ist? Schreien nicht alle diese Länder mehr oder weniger um Rache? Um so mehr um Rache, da sie auf eine unübersehliche Zeit in ein fortgehend wachsendes Verderben gestürzt sind. Alle diese Geschichten liegen in Reisebeschreibungen zu Tage; sie sind bei Gelegenheit des Negerhandels zum Theil auch laut zur Sprache gekommen. Von den spanischen Grausamkeiten, vom Geiz der Engländer, von der kalten Frechheit der Holländer, von denen man im Taumel des Eroberungswahnes Heldengedichte schrieb, sind in unsrer Zeit Bücher geschrieben, die ihnen so wenig Ehre bringen, daß vielmehr, wenn ein europäischer Gesammtgeist anderswo als in Büchern lebte, wir uns des Verbrechens beleidigter Menschheit fast vor allen Völkern der Erde schämen müßten. Nenne man das Land, wohin Europäer kamen und sich nicht durch Beeinträchtigungen, durch ungerechte Kriege, Geiz, Betrug, Unterdrückung, durch Krankheiten und schädliche Gaben an der unbewehrten, zutrauenden Menschheit, vielleicht auf alle Aeonen hinab, versündigt haben! Nicht der weise, sondern der anmaßende, zudringliche, übervortheilende Theil der Erde muß unser Welttheil heißen; er hat nicht cultivirt, sondern die Keime eigner Cultur der Völker, wo und wie er nur konnte, zerstört.S. unter hundert andern des menschlichen Le Vaillant's »Neuere Reisen ins Innere von Africa«, Berlin 1796, mit Reinhold Forster's Anmerkungen. »Nicht nur am Vorgebirge der guten Hoffnung,« sagt dieser schätzbare Gelehrte (Th. 1. S. 69), »sondern auch in Nordamerika, an der Hudsonsbay, in Senegal, am Gambia, in Indien, kurz, allenthalben, wohin Europäer kommen, betrügen sie die armen Eingebornen im Handel. Besonders macht England, das neue Karthago, den Namen der Europäer in allen andern Welttheilen verabscheuet.« – So Forster. Und wäre es mit dem Betrügen allein ausgerichtet! Der Hefen von Europa hat Gährungen gemacht und erhält Gährungen in allen Welttheilen. – H. [Vgl. auch Herder's »Ideen«, VII, 2. (Werke, X. S. 47 f.). – D.]
Was ist überhaupt eine aufgedrungene, fremde Cultur? eine Bildung, die nicht aus eignen Anlagen und Bedürfnissen hervorgeht? Sie unterdrückt und mißgestaltet oder sie stürzt gerade in den Abgrund. Ihr armen Schlachtopfer, die Ihr von den Südseeinseln nach England gebracht wurdet, um Cultur zu empfangen, Ihr seid Sinnbilder des Guten, das die Europäer überhaupt andern Völkern mittheilen!Unparteiische und unübertriebene Bemerkungen darüber findet man in Reinhold Forster's Anmerkungen wie zu mehreren [in seiner Sammlung von Reisebeschreibungen – D.], so zu Hamilton's Reise um die Welt. Berlin 1794. – H. Nicht anders also als gerecht und weise handelte der gute Kien-Long, da er dem fremden Vicekönig schnell und höflich mit tausend Freudenfeuern den Weg aus seinem Reich zeigen ließ. Möchte jede Nation klug und stark gnug gewesen sein, den Europäern diesen Weg zu zeigen!
Wenn wir nun sogar lästernd vorgeben, daß durch diese Beeinträchtigungen der Welt der Zweck der Vorsehung erfüllt werde, die uns ja eben dazu Macht und List und Werkzeuge gegeben habe, die Räuber, Störer, Aufwiegler und Verwüster aller Welt zu werden: wer schauderte nicht vor dieser menschenfeindlichen Frechheit? Freilich sind wir, auch mit Thorheiten und Lasterthaten, Werkzeuge in den Händen der Vorsehung; aber nicht zu unserm Verdienst, sondern vielleicht eben dazu, daß wir durch eine rastlose höllische Thätigkeit, im größten Reichthum arm, von Begierden gefoltert, von üppiger Trägheit entnervt, am geraubten Gift ekel und langweilig sterben.
Und wenn einige Neulinge mit Anmaßungen solcher Art alle Wissenschaften beflecken; wenn sie die gesammte Geschichte der Menschheit dahin abzweckend finden, daß auf keinem andern als diesem Wege den Nationen Heil und Trost widerfahren könne: sollte man da unser ganzes Geschlecht nicht aufs Empfindlichste bedauern?
Ein Mensch, sagt das Sprichwort, ist dem andern ein Wolf, ein Gott, ein Engel, ein Teufel; was sind die auf einander wirkenden Menschenvölker einander? Der Neger malt den Teufel weiß, und der Lette will nicht in den Himmel, sobald Deutsche da sind. »Warum gießest Du mir Wasser auf den Kopf?« sagte jener sterbende Sclave zum Missionar. »Daß Du in den Himmel kommest.« – »Ich mag in keinen Himmel, wo Weiße sind,« sprach er, kehrte das Gesicht ab und starb. Traurige Geschichte der Menschheit!
Neger-Idyllen.
Die Frucht am Baume.
Ich ging im schönsten Cedernhain
Und hörete der Vögel Lied,
Bewundernd ihrer Farben Glanz,
Bewundernd ihrer Bäume Pracht,
Als plötzlich aus der Höhe mich
Ein Aechzen weckte. Welch Gesicht!
Ein Käfig hing am hohen Baum,
Umlagert von Raubvögeln, schwarz
Umwölket von Insecten. Als
Die Kugel meines Rohres sie
Verscheucht, sprach eine Stimme: »Gieb
Mir Wasser, Mensch! Es dürstet mich.«
Ich sah den menschenwidrigsten
Anblick. Ein Neger, halb zerfleischt,
Zerbissen; schon ein Auge war
Ihm ausgehackt. Ein Wespenschwarm
An offnen Wunden sog aus ihm
Den letzten Saft. Ich schauderte
Und sah umher. Da stand ein Rohr
Mit einem Kürbis, womit ihn
Barmherzig schon sein Freund gelabt.
Ich füllete den Kürbis. »Ach!«
Rief jenes Aechzen wieder, »Gift
Darein thun, Gift! Du weißer Mann,
Ich kann nicht sterben.« Zitternd reicht'
Ich ihm den Wassertrank: »Wie lang',
O Unglücksel'ger, bist Du hier?«
»Zwei Tage, und nicht sterben! Ach,
Die Vögel! Wespen! Schmerz! o Weh!«
Ich eilte fort und fand das Haus
Des Herrn im Tanz, in heller Lust.
Und als ich nach dem Aechzenden
Behutsam fragte, höret' ich,
Daß man dem Jünglinge die Braut
Verführen wollen, und wie er,
Das nicht ertragend, sich gerächt.
Dafür dann büße nun sein Stolz
Die Keckheit und den Uebermuth.
»Und der Verführer?« fragt' ich. »Trinkt
Dort an der Tafel.« Schaudernd floh
Ich aus dem Saal zum Sterbenden.
Er war gestorben. Hatte Dich,
Unglücklicher, mein Trank zum Tode
Gestärket, o so gab ich Dir
Das reichste, süßeste Geschenk.
Die rechte Hand.
Ein edler Neger, seinem Lande frech
Entraubet, blieb auch in der Sclaverei
Ein Königssohn, that edel seinen Dienst
Und ward der Mitgefangnen Trost und Rath.
Einst als sein Herr, der weiße Teufel, wüthend
Im Zorn der Sclaven einem schnellen Tod
Aussprach, trat Fetu bittend vor ihn hin
Und zeigte seine Unschuld. »Widersprichst
Du mir? Du selbst, Du sollst sein Henker sein!«
»Sogleich!« antwortet Fetu. »Nur noch einen,
Noch einen Augenblick!« Er flog hinweg
Und kam zurück, in seiner linken Hand
Die abgehau'ne Rechte haltend, die
Den Henkersdienst vollführen sollte. Tief
Gebückt legt' er sie vor den Herren: »Fordre,
Gebieter, von mir, was Du willst, nur nichts
Unwürdiges!« Er starb an seiner Wunde,
Und seine Hand ward auf sein Grab gepflanzt.
———
»Wie manche Arme lägen« – Nein doch, nein!
Gar viele lägen nicht; die Willkür wird
Ohnmächtig, wenn es ihr am Werkzeug fehlt.
Sprichst Du hingegen: »Wie der Herr gebeut!«
Und: »Thu' ich's nicht, so thut's ein Anderer;
Lieb ist ja Jedem seine rechte Hand!«
So henken Sclaven, das Gefühl des Unrechts
In ihrem Herzen, andre Sclaven frech
Und scheu und stolz, bis sie ein Dritter henkt.Mit Recht nennen die französischen Geschichtschreiber die Namen Derer, die 1572 zum Bartholomäusfest ihre Hände nicht bieten wollten. »La cour ordonna dans toutes les provinces les mêmes massacres qu'à Paris; mais plusieurs commandans refusèrent d'obéir. Un Sr. Herem en Auvergne, un la Guiche à Macon, un Vicomte d'Orte à Bayonne et plusieurs autres écrivirent à Charles IX. la substance de ces paroles: qu'ils périroient pour son service, mais qu'ils n'assassineroient personne pour lui obéir.« Was diese Männer mit gesunder Hand schrieben, zeigte der Neger. – H.
Die Brüder.
Mit seinem Herren war ein Negerjüngling
Von Kindheit an erzogen; eine Brust
Hatt' sie genährt. Aus seiner Mutter Brust
Hatt' african'sche Bruderliebe Quassi
Zu seinem Herrn gesogen, hütete
Sein Haus und lebte, lebte nur in ihm.
Der Neger glaubte sich von seinem Herrn,
Einst seinem Spielgesellen, auch geliebt,
That, was er konnte, lebend nur für ihn.
Und (bittre Täuschung!) einst um ein Vergessen,
Das auch dem Göttersohn begegnen kann,
Ergrimmete sein Herr und sprach zu ihm
Von Karrenstäupe.Die entehrendste Negerstrafe. – H. Wie vom Blitz gerührt,
Stand Quassi da, der treue Freund, der Bruder,
Der liebende Anbeter seines Herrn.
Das Wort im Herzen, deckte schwarzer Gram
Die ganze Schöpfung ihm. Verstummt entzog
Er sich des Herren Anblick. Meinet Ihr,
Er floh? Mit nichten! Sicher hoffend noch,
Daß ihn ein Freund, daß die Erinnerung
Der Jugend ihn versöhne, rettet' er
Sich in der niedern Sclaven Hütte, die
Ihn hoch verehreten. Da wartet' er
Ein nahes Fest ab, das sein Herr dem Neffen
Bereitet' und ein Tag der Freude war.
»Dann,« sprach er bei sich selbst, »wird ihm die Zeit
Der Jugend wiederkehren. Billigkeit
Und meine Unschuld, meine Lieb' und Treu'
Wird für mich sprechen. Er vergaß sich; doch
Er wird sich wiederfinden.« Jetzt erschien
Der Tag; das Fest ging an, und Quassi wagte
Sich auf den Hof. Doch als sein Herr ihn sah,
Ergrimmet wie ein Leu, der Blut geleckt,
Sprang er auf ihn. Der Arme floh. Der Tiger
Erjagt ihn; Beide stürzen; stampfend kniet
Sein Herr auf ihm, ihm jede Marter drohend.
Da hub mit aller seiner Negerkraft
Der Jüngling sich empor und hielt ihn fest
Danieder, zog ein Messer aus dem Gurt
Und sprach: »Von Kindheit an mit Euch erzogen,
In Knabenjahren Euer Spielgesell,
Liebt' ich Euch wie mich selbst und glaubte mich
Von Euch geliebet. Ich war Eure Hand,
Eu'r Auge. Euer kleinster Vortheil war
Mein eifrigster Gedanke Tag und Nacht;
Denn das Vertrau'n auf Eure Liebe war
Mein größter Schatz auf dieser Welt. Ihr wißt,
Ich bin unschuldig; jene Kleinigkeit,
Die Euch aufbrachte, ist ein Nichts. Und Ihr,
Ihr drohtet mir mit Schändung meiner Haut.
Das Wort kann Quassi nicht ertragen; denn
Es zeigt mir Euer Herz.« Er zog das Messer
Und stieß es – meint Ihr in des Tigers Brust?
Nein! selbst sich in die Kehle. Blutend stürzt
Er auf den Herren nieder, ihn umfassend,
Beströmend ihn mit warmem Bruderblut.
———
Wie manche Kugel in Europa fuhr
In des Beleidigten gekränktes Hirn,
Die den Beleid'ger fromm verschonete!
Wie manches »Ich der König« fraß das Herz
Des Dieners auf mit langsam-schnellem Gift!C'est à même Cardinal Espinosa que Philippe II. donna le coup de la mort par un mot de réprimande: Cardinal, lui dit-il, souvenez-vous que je suis le Président! Espinosa en mourut de douleur quelques jours après. Dans une syncope qui lui prit, on se pressa tant de l'ouvrir pour l'embaumer, qu'il porta la main au rasoir du Chirurgien, et que son coeur palpita encore après l'ouverture de l'estomac. La crainte qu'on avoit que ce Cardinal ne revint en santé, fit hâter sa mort, pour contenter le Prince, les Grands etc. Mémoires historiques politiques par Amelot de la Houssaye, T. I. P. 210. – H.
O, wenn Gerechtigkeit vom Himmel sieht,
Sie sah den Neger auf dem Weißen ruhn!
Zimeo.
Ein Lärm erscholl; die weite Ebne stand
In Flammen; zwei-, dreihundert Wirbelsäulen
Von rothem, grünem, gelbem Feuer stiegen
Zum Himmel auf, und vom Gebirge drückt'
Ein langer schwarzer Rauch sich schwer herab,
Durch den die Morgensonne ängstlich drang,
Kaum seinen Saum vergüldend. Traurig blickten
Der Berge Spitzen aus dem Rauch hervor,
Und fern am Horizont das helle Meer.
Die heerdenvolle Ebne war voll Angst-
Geschrei der Fliehenden, verfolgt von Schwarzen,
Die unter blüh'nden Pflanzungen Kaffee,
Cacao, Zuckerrohr und Indigo
Und Ruku, in Pom'ranzenlauben sie
Erwürgten. In der Vögel Lied ergoß
Sich Weh und Ach der Sterbenden. Da trat
Ein Mann vor uns, mit Blute nicht befleckt,
Und Güte sprach in seinen Zügen, die
Im Augenblick mit Zorn und Trauer, Wuth
Und Wehmuth wechselten. Gebietend stand
Er wie ein Halbgott da, geboren, zu befehlen.
Und milde sprach er: »Höret, hört mich an,
Ihr Friedensmänner, wendet Eure Herzen
Zum unglücksel'gen Zimeo! Er ist
Mit Blute nicht befleckt; zwar wär' es nur
Gottloser Blut; denn meiner Brüder Qual
Rief vom GebirgeIn Jamaica ist eine freie Negerrepublik, deren Unabhängigkeit im Jahr 1738 von den Engländern anerkannt und bestätigt werden mußte. – H. mein Geschlecht herab,
An Tigern sie zu rächen. Aber ich
Begleitet' sie, sie einzuhalten; wo
Ich irgend Milde fand, verschont' ich. Ich
Verschmähte, selbst mit schuld'ger Weißen Blut
Mich zu beflecken. Sclaven, tretet her,
Wie lebt Ihr hier? O wendet Eure Herzen,
Ihr Friedensmänner, nicht vom Zimeo!«
Er rief die Sclaven unsers Hauses, sie
Befragend um ihr Schicksal. Alle traten
Mit Freude vor ihn hin, erzählend ihm
Ihr Leben. »Komm, o Edler,« sprachen sie,
»Sieh unsre Kleider, unsre Wohnungen!«
Sie zeigten ihm ihr Geld; die Freigelassnen
Umringten uns und küßten unser Knie
Und schwuren, nie uns zu verlassen. Tief
Gerührt stand Zimeo, die Augen jetzt
Auf uns, dann auf die Sclaven wendend, dann
Zum Himmel: »Mächtiger Orissa, der
Die Schwarzen und die Weißen schuf, o sieh,
Sieh auf die wahren Menschen; dann bestrafe
Die Frevler! Reicht mir Eure Hand! Von nun an
Will ich zwei Weiße lieben.« Nieder warf er
Auf eine Matte sich im Schatten. »Hört
Den unglücksel'gen Zimeo! Er ist
Nicht grausam! beim Orissa! nicht; nur tief
Unglücklich.« Laut aufschluchzend hielt er ein.
Da stürzten zu ihm zwei von unsern Sclaven:
»Wir kennen Dich, Sohn unsers Königes,
Des mächt'gen Daniel's. Ich sah Dich oft
Zu Benin.« »Ich zu Onebo.« Sie traten
Zurück. Er rief sie freundlich zu sich: »Bleibt,
Ihr meine Landesleute, bleibt mir nah!
Zum ersten Male wird Jamaica's Luft
Mir angenehm, da ich mit Euch sie athme.«
Er faßte sich und sprach: »Ihr Friedensmänner,
Hört meine Qual! Mein Vater sandte mich,
Daß mich des Hofes Schmeicheleien nicht
Verderbeten, zum Dorfe Onebo,
Ein fleißig Dorf von Ackerleuten. Da
Erzog Matomba mich, der weiseste
Der Menschen. Ach, verloren ist er mir
Und seine Tochter, meine Elavo,
Mein Weib.« Er weinete; dann fuhr er fort:
»Ihr Weiße habt nur eine halbe Seele,
Die nicht zu lieben, nicht zu hassen weiß.
Nur Gold ist Eure Leidenschaft. Doch höret!
»Als ich in Onebo (o schönes Land
Voll süßester Erinn'rung!) mit Matomba
Ein Ackersmann und froh und glücklich war
Mit meiner Elavo im ersten Traum
Der Liebe, sieh, da kam ein schwarzes Schiff
Der Portugiesen an die Küste. O,
Hätt' ich es nie gesehn! Zu Benin werden
Verbrecher nur verkauft. Zu Onebo
War kein Verbrecher. Also luden uns
Die Räuber auf ihr Schiff. Ein Fest begann;
Musik erklang, ein Tanz. Noch hör' ich ihn,
Den fürchterlichen Schuß der Abfahrt, mitten
In der Musik. Man lichtete die Anker;
Die Küste floh, sie floh. Da half kein Flehn,
Kein Bitten, Rufen! Ach, verschone mich,
Du Angedenken! Hart gefesselt lagen
In tiefem Gram, in schwarzer Trauer wir.
Drei Jünglinge von Benin nahmen sich
Das Leben; ich nahm mir es nicht, um meiner
Geliebten Elavo, um meines guten
Matomba willen. »Ihnen kannst Du doch
Vielleicht noch helfen,« dacht' ich; »sie verlassen,
Das kannst Du nicht.« Ihr Anblick gab mir Trost.
»So kamen wir nach vielen Leiden in
Den Hafen. Und, o bittrer Augenblick!
Da wurden wir getrennt. Vergebens warf
Mein Weib, ihr Vater sich dem Ungeheu'r
Zu Füßen, ich mit ihnen. Wilden Blicks
Stürzt' Elavo auf mich; ich faßte sie
Mit eiserm Arm. Umsonst! Man riß sie los.
Noch hör' ich ihr Geschrei! ich seh' ihr Bild!
Sie trug ein Kind von mir in ihrem Schooß. –
Ich seh' Matomba!« – Plötzlich stürzte Franz,
Mein guter Franz, den von den Spaniern
Aus Mitleid über seine Qualen ich
Mit seiner schönen Tochter losgekauft
Und mit mir hergeführt (er war bisher
Im Innersten des Hauses zur Bedeckung
Der Frau'n gewesen), plötzlich stürzet Franz
Mit Mariannen hin auf Zimeo.
»Matomba! Elavo!« »Mein Zimeo!
Sieh Deinen Sohn! Um seinetwillen nur
Ertrugen wir das Leben, bis wir hier
Die Guten fanden. Zimeo! Dein Sohn!«
Er nahm das Kind in seinen Arm. »Er soll
Kein Sclave eines Weißen werden, er,
Der Sohn, den Elavo gebar!« »Ohn' ihn
Hätt' ich die Welt schon längst verlassen,« sprach
Die Weinende, »jetzt hab' ich Dich und ihn!«
Wer spricht das Wiedersehn der Liebenden,
Die kaum einander mehr zu sehen hofften,
Mit Worten aus? des Vaters Auge, das
Vom Säugling auf die Mutter, auf Matomba
Und dann zum Himmel flog und wieder dann
Sanft auf dem Kinde ruhte? Herzensdank,
Wie nie ein Weißer ihn ausdrücken mag,
Wahnsinn des Dankes sageten sie uns
Und schieden zum Gebirg'. O führete
Ein freundlich Schiff sie bald zum Vater, der
Den Sohn beweinet, hin gen Onebo,
Den Ort der ersten Liebe, in die Luft
Des süßen Vaterlandes Benin!
Der Geburtstag.
Am Delaware feierte ein Freund,Delaware, ein Fluß in Nordamerika. Die Quacker nennen sich Freunde. – H.
Ein Quacker, Walter Miflin, seinen Tag
Des Lebens so. »Wie alt bist Du, mein Freund?«
»Fast dreißig Jahre,« sprach der Neger. »Nun,
So bin ich Dir neun Jahre schuldig; denn
Im einundzwanzigsten spricht das Gesetz
Dich mündig. Menschheit und Religion
Spricht Dich gleich allen weißen Menschen frei.
In jenem Zimmer schreibet Dir mein Sohn
Den Freiheitbrief; und ich vergüte Dir
Das Capital, das in neun Jahren Du
Verdienetest, landüblich, acht pro Cent.
Du bist so frei als ich; nur unter Gott
Und unter dem Gesetz. Sei fromm und fleißig!
Im Unglück oder Armuth findest Du
An Walter Miflin immer Deinen Freund.«
»Herr! lieber Herr!« antwortet Jakob; »was
Soll ich mit meiner Freiheit thun? Ich bin
Bei Euch geboren, ward von Euch erzogen,
Arbeitete mit Euch und aß wie Ihr.
Mir mangelt nichts. In Krankheit pflegete
Mich Eure Frau als Mutter, tröstete
Mich liebreich. Wenn ich denn nun krank bin« – »Jakob,
Du bist ein freier Mann, arbeite jetzt
Um höhern Lohn; dann kaufe Dir ein Land,
Nimm eine Negerin, die Dir gefällt,
Die fleißig und verständig ist wie Du,
Zur Frau und lebe mit ihr glücklich! Wie
Ich Dich erzogen, zieh auch Deine Kinder
Zum Guten auf und stirb in Friede! Frei
Bist Du und mußt es sein. Die Freiheit ist
Das höchste Gut. Gott ist der Menschen, nicht
Allein der Weißen Vater. Gäb' er doch
In aller meiner Brüder Sinn und Herz,
Nach Africa zu handeln, nicht daraus
Euch zu entwenden, Euch zu kaufen und
Zu quälen!« »Guter Herr, ich kann Euch nicht
Verlassen; denn nie war ich Euer Sclav'.
Ihr fordertet nicht mehr von mir, als Andre
Für sich arbeiten. Ich war glücklicher
Und reicher als so viele Weiße. Laßt
Mich bei Euch, lieber Herr!« »So bleibe denn
In meinem Dienst, Du guter Jakob, doch
Als freier Mann! Du feierst diese Woche
Dein Freiheitfest, und dann arbeitest Du,
So lange Dir's gefällt, um guten Lohn
Bei mir, bis ich Dich treu versorge. Sei
Mein Freund, Jakob!« Der Schwarze drückt' die Hand
Des guten Walter Miflin's an sein Herz:
»So lange dieses schläget, schlägt's für Euch!
Nur heute feiern wir, und morgen frisch
Zur Arbeit! Freud' und Fleiß ist unser Fest.«
———
Ging schöner je die Sonne nieder als
Denselben Tag am Delawarestrom?
Jedoch ihr schönster Glanz war in der Brust
Des guten Mannes, der für kein Geschenk,
Der nur für Pflicht hielt seine gute That.Zu diesen sarkastisch als »Neger-Idyllen« bezeichneten Gedichten gehört auch: »Der Gastfreund« (Werke, I. S. 154 f.) Vgl. auch die Gedichte »Guatimozin«, »Die beiden Mexicaner«, »Magellan«, »Der Krieger und die Pelzhändler«, »Das gegebene Wort« (Werke, I. 82–84). Es liegen bei ihnen wol zum Theil Missionsberichte zu Grunde. – D.
Allerdings eine gefährliche Gabe, Macht ohne Güte, erfindungsreiche Schlauigkeit ohne Verstand. Nur können, haben, herrschen, genießen will der verdorben cultivirte Mensch, ohne zu überlegen, wozu er könne, was er habe, und ob, was er Genuß nenne, nicht zuletzt eine Ertödtung alles Genusses werde. Welche Philosophie wird die Nationen Europa's von dem Stein des Sisyphus, vom Rade Ixion's erlösen, dazu sie eine lüsterne Politik verdammt hat?
In Romanen beweinen wir den Schmetterling, dem der Regen die Flügel netzt, in Gesprächen kochen wir von großen Gesinnungen über, und für jene moralische Verfallenheit unsers Geschlechts, aus der alles Uebel entspringt, haben wir kein Auge. Dem Geiz, dem Stolz, unsrer trägen Langenweile schlachten wir tausend Opfer, die uns keine Thräne kosten. Man hört von dreißigtausend um nichts auf dem Platz gebliebenen Menschen, wie man von herabgeschüttelten Maikäfern, von einem verhagelten Fruchtfelde hört, und wird den letzten Unfall vielleicht mehr als jene bedauern. Oder man tadelt, was in Peru, Ismail, Warschau geschah, indem man, sobald unser Vorurtheil, unsre Habsucht dabei ins Spiel kommt, ein Gleiches und ein Aergeres mit verbissenem Zorn wünscht.
So ist's freilich. Es ist ein bekannter und trauriger Spruch, daß das menschliche Geschlecht nie weniger liebenswerth erscheine, als wenn es nationenweise auf einander wirkt. Sind aber auch die Maschinen, die so auf einander wirken, Nationen, oder mißbraucht man ihren Namen?
Die Natur geht von Familien aus. Familien schließen sich an einander; sie bilden einen Baum mit Zweigen, Stamm und Wurzeln. Jede Wurzel gräbt sich in den Boden und sucht ihre Nahrung in der Erde, wie jeder Zweig bis zum Gipfel sie in der Luft sucht. Sie laufen nicht aus einander, sie stürzen nicht über einander.
Die Natur hat Völker durch Sprache, Sitten, Gebräuche, oft durch Berge, Meere, Ströme und Wüsten getrennt; sie that gleichsam Alles, damit sie lange von einander gesondert blieben und in sich selbst bekleidten. Eben jenes Nimrod's weltvereinigendem Entwurf zuwider wurden (wie die alte Sage sagt) die Sprachen verwirrt; es trennten sich die Völker. Die Verschiedenheit der Sprachen, Sitten, Neigungen und Lebensweisen sollte ein Riegel gegen die anmaßende Verkettung der Völker, ein Damm gegen fremde Ueberschwemmungen werden; denn dem Haushalter der Welt war daran gelegen, daß, zur Sicherheit des Ganzen, jedes Volk und Geschlecht sein Gepräge, seinen Charakter erhielt. Völker sollten neben einander, nicht durch und über einander drückend wohnen.
Keine Leidenschaften wirken daher in allem Lebendigen so mächtig, als die auf Selbstvertheidigung hinausgehn. Mit Lebensgefahr, mit vielfach verdoppelten Kräften schützt eine Henne ihre Jungen gegen Geier und Habicht; sie hat sich selbst, sie hat ihre Schwäche vergessen und fühlt sich nur als Mutter ihres Geschlechts, eines jungen Volkes. So alle Nationen, die man Wilde nennt, mögen sie sich gegen fremde Besucher mit List oder mit Gewalt vertheidigen. Armselige Denkart, die ihnen dies verübelt, ja gar die Völker nach der Sanftmuth, mit der sie sich betrügen und fangen lassen, classificirt.Mich dünkt, der Brief ziele hier auf eine Stelle in Home's »Geschichte der Menschheit«, der es bei großem Reichtum der Materialien in mehreren Stücken an festen Grundsätzen mangeln dürfte. In den meisten Commerz- und Eroberungsreisen werden die Völker auf gleiche Weise geschichtet. – H. Gehörte ihnen nicht ihr Land, und ist's nicht die größte Ehre, die sie dem Europäer gönnen können, wenn sie ihn bei ihrem Mahl verzehren? Um in Büsching's »Geographie« genauer aufgezeichnet zu stehn, um in gestochenen Kupfern den müssigen Europäer zu ergetzen und mit den Producten ihres Landes den Geiz einer Handelsgesellschaft zu bereichern: ich weiß nicht, warum sie sich dazu sollten geschaffen glauben?
Leider ist's also wahr, daß eine Reihe Schriften, englisch, französisch, spanisch und deutsch, in diesem anmaßenden, habsüchtigen Eigendünkel verfaßt, zwar europäisch, aber gewiß nicht menschlich geschrieben seien; die Nation ist bekannt, die sich hierin ganz zweifellos äußert. »Rule, Britannia, rule the waves«, mit diesem Wahlspruch, glaubt Mancher, seien ihnen die Küsten, die Länder, die Nationen und Reichthümer der Welt gegeben. Der Capitän und sein Matrose seien die Haupträder der Schöpfung, durch welche die Vorsehung ihr ewiges Werk ausschließend zur Ehre der britischen Nation und zum Vortheil der indischen Compagnie bewirke. Politisch und fürs Parlament mögen solche Berechnungen und Selbstschätzungen gelten; dem Sinn und Gefühl der Menschheit sind sie unerträglich.Als Dunbar, von dem einige Beiträge zur Geschichte der Menschheit auch unter uns bekannt sind, des D. Tucker's, eines eifrigen Staatsschriftstellers, »True basis of civil government las, sagte er: »When the benevolence of this writer is exalted into charity, when the spirit of his religion (er war ein Geistlicher, Dechant von Bristol) corrects the rancour of his philosphy, he will aknowledge in the most intutored tribes some glimmerings of humanity, and some decisive indications of a moral nature.« Manchem Schriftsteller möchte man diesen Geist der Anerkennung der Menschheit im Menschen wünschen. – H. Vollends wenn wir arme, schuldlose Deutsche hierin den Briten nachsprechen – Jammer und Elend!
Was soll überhaupt eine Messung aller Völker nach uns Europäern? Wo ist das Mittel der Vergleichung? Jene Nation, die Ihr wild oder barbarisch nennt, ist im Wesentlichen viel menschlicher als Ihr; und wo sie unter dem Druck des Klima erlag, wo eine eigne Organisation oder besondre Umstände im Lauf ihrer Geschichte ihr die Sinne verrückten, da schlage sich doch Jeder an die Brust und suche den Querbalken seines eignen Gehirnes. Alle Schriften, die den an sich schon unerträglichen Stolz der Europäer durch schiefe, unerwiesene oder offenbar unerweisbare Behauptungen nähren, verachtend wirft sie der Genius der Menschheit zurück und spricht: »Ein Unmensch hat sie geschrieben!«
Ihr edleren Menschen, von welchem Volk Ihr seid, Las Casas, Fénélon, Ihr beiden guten St. Pierre,Vgl. Brief 57. – D. so mancher ehrliche Quacker, Montesquieu, Filangieri, deren Grundsätze nicht auf Verachtung, sondern auf Schätzung und Glückseligkeit aller Menschen-Nationen hinausgehn; Ihr Reisenden, die Ihr Euch, wie Pages und Andre, in die Sitten und Lebensart mehrerer, ja aller Nationen zu setzen wußtet und es nicht unwerth fandet, unsre Erde wie eine Kugel zu betrachten, auf der mit allen Klimaten und Erzeugnissen der Klimate auch mancherlei Völker in jedem Zustande sein müssen und sein werden; Vertreter und Schutzengel der Menschheit, wer aus Eurer Mitte, von Eurer heilbringenden Denkart giebt uns eine Geschichte derselben, wie wir sie bedürfen?
Nachschrift des Herausgebers.
Da es verschiedenen Lesern angenehm sein möchte, etwas mehr von den ebengenannten Vorsprechern der Menschheit zu wissen als ihre Namen, so füge ich zu Erläuterung des Briefes dies Wenige bei.
De Las Casas (Fray Bartolomé), Bischof von Chiapa, war der edle Mann, der nicht nur in seiner kurzen Erzählung von der Zerstörung von Indien, sondern auch in Schriften an die höchsten Gerichte und an den König selbst die Gräuel ans Licht stellte, die seine Spanier gegen die Eingebornen Indiens verübten. Man warf ihm Uebertreibung und eine glühende Einbildungskraft vor; der Lüge aber hat ihn Niemand überwiesen. Und warum sollte das, was man glühende Einbildungskraft nennt, nicht lieber ein edles Feuer des Mitgefühls mit den Unglücklichen gewesen sein, ohne welches er freilich nicht, auch nicht also geschrieben hätte? Die Zeit hat ihn gerechtfertigt und seinen Gegner Sepulveda mehr als ihn der Unwahrheit überwiesen. Daß er mit seinen Vorstellungen nicht viel ausgerichtet hat, vermindert sein Verdienst nicht. Friede sei mit seiner Asche!
Fénélon's billige und liebreiche Denkart ist allbekannt. So eifrig er an seiner Kirche hing und deshalb über die Protestanten hart urtheilte,Theils in seinen Pastoralschriften, theils in den Aufsätzen seines Zöglings, des Herzogs von Bourgogne, ist dieses ersichtlich. – H. [Vgl. oben Brief 49. – D.] weiter sie nicht kannte, so sehr verabscheute er, selbst als Missionar zu Bekehrung derselben, ihre Verfolgung. »Vor allen Dingen,« sagt er zum Ritter St. Georg, »zwingt Eure Unterthanen nie, ihre Weise des Gottesdienstes zu ändern. Eine menschliche Macht ist nicht im Stande, die undurchdringliche Brustwehr, Freiheit des Herzens, zu überwältigen. Sie macht nur Heuchler. Wenn Könige, statt sie zu beschützen, sich in die Gottesverehrung gebietend mengen, so bringen sie dieselbe in Knechtschaft.«
In seiner »Anweisung, das Gewissen eines Königes zu leiten«,Directions pour la Conscience d'un Roi. Nachgedruckt à la Haye 1747. – H. giebt er Nachschläge, die, wenn sie befolgt würden, jeder Revolution zuvorkämen. Ich führe von ihnen nur einige an, blos wie sie der vorstehende Brief fordert.
»Habt Ihr das wahre Bedürfniß Eures Staats gründlich untersucht und mit dem Unangenehmen der Auflagen zusammengehalten, ehe Ihr Euer Volk damit beschwertet? Habt Ihr nicht Nothdurft des Staats genannt, was nur Eurer Ehrsucht zu schmeicheln diente, Staatsbedürfniß, was blos Eure persönliche Anmaßung war? Persönliche Prätensionen habt Ihr blos auf Eure Privatkosten geltend zu machen und höchstens das zu erwarten, was die reine Liebe Eures Volks freiwillig dazu beiträgt. Als Karl VIII. nach Neapel ging, um sich die Succession des Hauses Anjou zu vindiciren, unternahm er den Krieg auf seine Kosten; der Staat glaubte sich zu Unternehmung derselben nicht verbunden.
»Habt Ihr auswärtigen Nationen kein Unrecht zugefügt? Ein armer Unglücklicher kommt an den Galgen, weil er in höchster Noth auf der Landstraße einige Thaler raubte, und ein Eroberer, das ist ein Mann, der ungerechterweise dem Nachbar Länder wegnimmt, wird als ein Held gepriesen. Eine Wiese oder einen Weinberg unbefugt zu nutzen, wird als eine unerläßliche Sünde angesehen, im Fall man den Schaden nicht ersetzt; Städte und Provinzen zu usurpiren, rechnet man für nichts. Dem einzelnen Nachbar ein Feld wegnehmen, ist ein Verbrechen; einer Nation ein Land wegnehmen, ist eine unschuldige, Ruhm bringende Handlung. Wo ist hier Gerechtigkeit? Wird Gott so richten? »Glaubst Du, daß ich sein werde wie Du?« Muß man nur im Kleinen, nicht im Großen gerecht sein? Millionen Menschen, die eine Nation ausmachen, sind sie weniger unsre Brüder als ein Mensch? Darf man Millionen ein Unrecht über Provinzen thun, das man einem Einzelnen über eine Wiese nicht thun dürfte? Zwingt Ihr, weil Ihr der Stärkere seid, einen Nachbar, den von Euch vorgeschriebenen Frieden zu unterzeichnen, damit er größeren Uebeln aus dem Wege gehe, so unterzeichnet er, wie der Reisende dem Straßenräuber den Beutel reicht, weil ihm das Pistol vor der Brust steht.
»Friedensschlüsse sind nichtig, nicht nur wenn in ihnen die Uebermacht Ungerechtigkeiten erpreßt hat, sondern auch wenn sie mit Hinterlist zweideutig abgefaßt werden, um eine günstige Zweideutigkeit gelegentlich geltend zu machen. Euer Feind ist Euer Bruder; das könnt Ihr nicht vergessen, ohne auf die Menschheit selbst Verzicht zu thun. Bei Friedensschlüssen ist nicht mehr von Waffen und Krieg, sondern von Friede, von Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Treu' und Glauben die Rede. Im Friedensschluß ein nachbarliches Volk zu betrügen, ist ehrloser und strafbarer, als im Contract eine Privatperson zu hintergehen. Mit Zweideutigkeiten und verfänglichen Ausdrücken im Friedensschluß bereitet man schon den Samen zu künftigen Kriegen, d. i. man bringt Pulverfässer unter Häuser, die man bewohnt.
»Als die Frage vom Kriege war, habt Ihr untersucht und untersuchen lassen, was Ihr für Recht dazu hattet, und dies zwar von den Verständigsten, die Euch am Wenigsten schmeicheln. Oder hattet Ihr nicht Eure persönliche Ehre dabei im Auge, doch etwas unternommen zu haben, was Euch von andern Fürsten unterschiede? Als ob es Fürsten eine Ehre wäre, das Glück der Völker zu stören, deren Väter sie sein sollen! Als ob ein Hausvater durch Handlungen, die seine Kinder unglücklich machen, sich Achtung erwürbe! Als ob ein König anderswoher Ruhm zu hoffen hätte als von der Tugend, d. i. von der Gerechtigkeit und von einer guten Regierung seines Volks!«
Dies sind einige der sechsunddreißig Artikel Fénélon's, die allen Vätern des Volks Morgen- und Abendlection sein sollten. Zu gleichem Zweck sind seine »Gespräche«, sein »Telemach«, ja alle seine Schriften geschrieben; der Genius der Menschlichkeit spricht in ihnen ohne Künstelei und Zierrath. »Ich liebe meine Familie,« sagt der edle Mann, »mehr als mich, mehr als meine Familie mein Vaterland, mehr als mein Vaterland die Menschheit.«
Der Abt St. PierreVgl. oben Brief 57, S. 244 ff. – D. ist ungerechterweise fast durch nichts als durch sein Project zum ewigen Frieden bekannt; eine sehr gutmüthige, ja edle Schwachheit, die doch so ganz Schwachheit nicht ist, als man meint. In diesem Vorschlage sowol als in manchen andern war er mit Fleiß etwas pedantisch; er wiederholte sich, damit, wie er sagte, wenn man ihn zehnmal überhört hätte, man ihn das elfte Mal anhöre; er schrieb trocken und wollte nicht vergnügen.Ueberhaupt hielt er von bloßen Ergetzungsschriften nicht viel; bei unsern Urenkeln, glaubte er, würden sie ganz außer Mode sein. Als unter lautem Beifall ein dergleichen Gedicht vorgelesen ward und man ihn fragte, was er von diesem Kunstwerk denke, »Eh mais, cela est encore fort beau,« antwortete er und meinte, dies encore werde nicht ewig dauern. S. Eloge de St. Pierre von d'Alembert. – H.
Schwerlich giebt's eine honnetere Denkart, als die der Abt St. Pierre in allen Schriften äußert. Allgemeine Vernunft und Gerechtigkeit, Tugend und Wohlthätigkeit waren ihm die Regel, die Tendenz unsers Geschlechts, und dessen Wahlspruch: donner et pardonner, geben und vergeben. Dazu las, dazu sah und hörte er ohne Anmaßung. »Eine Eintrittsrede in die Akademie,« sagte er, »verdient höchstens zwei Stunden, die man darauf wendet; ich habe vier darauf gewandt und denke, das sei honnet gnug; unsre Zeit gehört dem Nutzen des Staates.«
Ueber den körperlichen Schmerz dachte er nicht wie ein Stoiker, sondern hielt ihn für ein wahres, ja vielleicht für das einzige Uebel, das die Vernunft weder abwenden, noch schwächen könne; die meisten andern Uebel, meinte er, seien abwendbar oder nur von einem eingebildeten Werthe. Seine Mitmenschen des Schmerzes zu überheben, sei die reichste Wohlthat.
»Man ist nicht verbunden, Andre zu amüsiren, wohl aber Niemand zu betrügen.« Und so befliß er sich aufs Strengste der Wahrheit.
Einzig beschäftigt, das hinwegzubringen, was dem gemeinen Wohl schadete, war er ein Feind der Kriege, des Kriegesruhms und jeder Bedrückung des Volkes; dennoch aber glaubte er, daß die Welt durch die schrecklichen Kriege der Römer weniger gelitten habe als durch die Tibere, die Neronen. »Ich weiß nicht,« sagt er, »ob Caligula, Domitian und Ihresgleichen Götter waren; das nur weiß ich, Menschen waren sie nicht. Ich glaube wol, daß man sie bei ihren Lebzeiten über das Gute, das sie stifteten, gnug mag gepriesen haben; einzig Schade nur, daß ihre Völker von diesem Guten nichts gewahr wurden.« Er hatte oft die schöne Maxime Franz' I. im Munde: »Regenten gebieten den Völkern, die Gesetze den Regenten.«
Da er nicht heirathen durfte, so erzog er Kinder, ohne alle Eitelkeit, nur zum Nützlichen, zum Besten. Er freute sich auf eine Zeit, da, von Vorurtheilen frei, der einfältigste Kapuziner so viel wissen würde als der geschickteste Jesuit, und hielt diese Zeit, so lange man sie auch verspätete, für unhintertreiblich. Trägheit und böse Gewohnheiten der Menschen, vorzüglich aber den Despotismus, klagte er als muthwillige Ursachen dieses Aufhaltens an; denn auch die Wissenschaften, meinte er, liebe man nur unter der Bedingung, daß sie dem Volk nicht zu gut kämen. So sagte jener Karthäuser, als ein Fremder seine Karthause, wie schön sie sei, lobte: »Für die Vorbeigehenden ist sie allerdings schön.«
Eine andre Ursache der Verspätung des Guten in der Welt fand St. Pierre darin, daß sowenig Menschen wüßten, was sie wollten, und unter diesen noch weniger das Herz hätten, zu wissen, daß sie es wissen, zu wollen, was sie wollen. Selbst über die gleichgiltigsten Dinge der Literatur folge man angenommenen fremden Meinungen und habe nicht das Herz, zu sagen, was man selbst denkt; hingegen, meint er, sei nur ein Mittel, daß jeder Mann von Wissenschaft ein Testament mache und sich wenigstens nach seinem Tode wahr zu sein getraue.
Er schrieb eine Abhandlung, wie »auch Predigten nützlich werden könnten«, und war insonderheit der mahomedanischen Religion feind, weil sie die Unwissenheit aus Grundsätzen begünstigt und die Völker thierisch macht (abrutirt). Christliche Verfolger, meinte er, müsse man als Narren aufs Theater bringen, wenn man sie nicht als Unsinnige einsperren wollte.
Hinter seine Abhandlungen setzte er oft die Devise: »Paradis aux Bienfaisans!« Und gewiß genoß dieser bis an seinen letzten Augenblick gleich- und wohldenkende Mann dieses innern Paradieses. Als man ihn in den letzten Zügen fragte, ob er nicht noch etwas zu sagen habe, sagte er: »Ein Sterbender hat wenig zu sagen, wenn er nicht aus Eitelkeit oder aus Schwäche redet.« Lebend sprach er nie aus diesen Gründen; und o möchte einst jeder Buchstab von dem, das er damals in einem engen Nationalgesichtskreise schrieb, im weitesten Umfange erfüllt werden! Nach seiner Ueberzeugung wird er's werden.Oeuvres de Morale et de Politique de l'Abbé de St. Pierre (Charles Irenée Castel) T. 1–16. Rotterd. 1741. – H.
Sein Namensgenannter, Bernardin de St. Pierre, ein ächter Schüler Fénélon's, hat jede seiner Schriften bis zur kleinsten Erzählung im Geist der Menschenliebe und Einfalt des Herzens geschrieben. Gern verbindet er die Natur mit der Geschichte der Menschen, deren Gutes er so froh, deren Böses er allenthalben mit Milde erzählt. »Ich werde glauben,« sagt er,Reise nach den Inseln Frankreich und Bourbon, Altenb. 1774. Vorrede, S. 3. – H. »dem menschlichen Geschlecht genutzt zu haben, wenn das schwache Gemälde vom Zustande der unglücklichen Schwarzen ihnen einen einzigen Peitschenschlag ersparen kann und die Europäer (sie, die in Europa wider die Tyrannei eifern und so schöne moralische Abhandlungen ausarbeiten) aufhören, in Indien die grausamsten Tyrannen zu sein.« In gleich edelm Sinn sind sein »Paul und Virginie«, »Das Kaffeehaus von Surate«, »Die indische Strohhütte« und die »Studien der Natur« geschrieben.Etudes de la Nature, Par. 1776. Man erwartet jetzt von ihm ein Werk: Harmonie de la Nature pour servir aux élémens de la Morale, das nicht anders als in einem guten Geist abgefaßt sein kann. Während der Revolution hat er sich weise betragen – H. [Seine Harmonies de la Nature erschienen 1815. – D.] Mit Seelen dieser Art lebt man so gern und freut sich, daß ihrer noch einige da sind.
Die Quacker, an welche der Brief denkt, bringen, von Penn an, eine Reihe der verdienstvollsten Männer in Erinnerung, die zum Besten unsers Geschlechts mehr gethan haben als tausend Helden und pomphafte Weltverbesserer. Die thätigsten Bemühungen zu Abschaffung des schändlichen Negerhandels und Sclavendienstes sind ihr Werk; wobei indeß überhaupt auch Methodisten und Presbyterianern, jeder schwachen oder starken Stimme jedes Landes ihr Verdienst bleibt, wenn sie taubsten Ohren und härtesten Menschenherzen, geizigen Handelsleuten, hierüber etwas zurief. Eine Geschichte des aufgehobenen Negerhandels und der abgestellten Sclaverei in allen Welttheilen wird einst ein schönes Denkmal im Vorhofe des Tempels allgemeiner Menschlichkeit sein, dessen Bau künftigen Zeiten bevorsteht; mehrere Quackernamen werden an den Pfeilern dieses Vorhofes mit stillem Ruhm glänzen. In unserm Jahrhundert scheint's die erste Pflicht zu sein, den Geist der Frivolität zu verbannen, der alles wahrhaft Gute und Große vernichtet. Dies thaten die Quacker.
Montesquieu verdiente unter den Beförderern des Wohls der Menschen genannt zu werden; denn seine Grundsätze haben über die Mode hinaus Gutes verbreitet, gesetzt, daß er auch den ganzen Lobspruch, den ihm Voltaire gab,Der Lobspruch ist bekannt: »L'humanité avoit perdu ses titres; Montesquieu les a retrouvé« Voltairen selbst ist, was man auch dagegen sage, die Menschheit viel schuldig. Eine Reihe von Aufsätzen zur Geschichte, zur Philosophie und Gesetzgebung, zur Aufklärung des Verstandes u. s. w., bald in spottendem, bald in lehrendem Ton, sind ihr geschrieben, seine »Alzire«, »Zaïre« u. s. w. desgleichen. – H. nicht hätte erreichen mögen. Am Willen des edeln Mannes lag es nicht; viele Capitel seines Werks sind, wie die Aufschrift desselben sagt, flores sine semine natiVgl. Herder's Werke, II. S. 294. – D. Blumen, denen es an einem Boden und an ächten Samenkörnern gebrach; eine Menge derselben aber sind heilbringende Blumen und Früchte. Auch seinen »Persischen Briefen«, seiner Schrift »Ueber die Größe und den Verfall der Römer«, ja seinen kleinsten Aufsätzen fehlt es daran nicht; mehrere Capitel seines Werks »Vom Geist der Gesetze« sind in Aller Gedächtniß. Montesquieu hat viele und große Schüler gehabt; auch der gute Filangieri ist in der Zahl.System der Gesetzgebung [übersetzt von Link], Ansbach 1781-1793. – H. [Filangieri's Werk »La scienza della legislazione« erschien in acht Bänden 1788-1793. – D.]
Da der vorstehende Brief der Schotten und Engländer, eines Bacon, Harrington, Milton, Sidney, Locke, Ferguson, Smith, Millar und Anderer nicht erwähnt, ohne Zweifel, weil er einen vielgepriesenen Ruhm nicht wiederholen wollte, dagegen aber einige Neapolitanische Schriftsteller nennt, so sei es erlaubt, das ziemlich vergessene Andenken eines Mannes zu erneuern, der zu einer Schule menschlicher Wissenschaft im ächten Sinne des Worts an seinem Ort vor Andern den Grund legte, Giambattista Vico. Ein Kenner und Bewunderer der Alten, ging er ihren Fußtapfen nach, indem er in der Physik, Moral, im Recht und im Recht der Völker gemeinschaftliche Grundsätze suchte. Plato, Tacitus, unter den Neuen Bacon und Grotius waren, wie er selbst sagt, seine Lieblingsautoren; in seiner »Neuen Wissenschaft«Principi di una scienza nuova, zuerst herausgegeben 1725. – H. [Vgl. Goethe's Brief aus Neapel vom 5. März 1787; Fr. Aug. Wolf im »Museum der Alterthumswissenschaft«, I. 561 ff. – D.] suchte er das Principium der Humanität der Völker (dell' umanità delle nazioni) und fand dies in der Voraussicht (provedenza) und Weisheit. Alle Elemente der Wissenschaft göttlicher und menschlicher Dinge setzte er in Kennen, Wollen, Vermögen (nosse, velle, posse), deren einziges Principium der Verstand, dessen Auge die Vernunft sei, vom Lichte der ewigen Wahrheit erleuchtet. Er gründete den Katheder dieser Wissenschaften in Neapel, den nachher Genovesi, Galanti betraten;Antonio Genovesi's »Politische Oekonomie« ist im Deutschen durch eine Uebersetzung bekannt, Galanti's »Beschreibung beider Sicilien« desgleichen. Des Ersten »Storia del Commercio della gran Bretagna« von Cary [wörtlich: »scritta da John Cary, tradotta da Pietro Genovesi, con un ragionamento sul Commercio universale di Antonio Genovesi, Napoli 1757«, 3 Bände – D.], und seine Lehrbücher zeigen ebenso viel Kenntnisse als philosophischen und bürgerlich thätigen Geist. Auch Montesquieu hat er mit Anmerkungen herausgegeben, – H. über die Philosophie der Menschheit, über die Haushaltung der Völker haben wir treffliche Werke aus jener Gegend erhalten, da Freiheit im Denken vor allen Ländern in Italien die Küste von Neapel beglückt und werth hält.
Sie wünschen eine Naturgeschichte der Menschheit in rein menschlichem Sinne geschrieben: ich wünsche sie auch; denn darüber sind wir einig, daß eine zusammengelesene Beschreibung der Völker nach sogenannten Racen, Varietäten, Spielarten, Begattungsweisen u. s. w. diesen Namen noch nicht verdiene. Lassen Sie mich den Traum einer solchen Geschichte verfolgen.
1. Vor Allem sei man unparteiisch, wie der Genius der Menschheit selbst; man habe keinen Lieblingsstamm, kein Favoritvolk auf der Erde. Leicht verführt eine solche Vorliebe, daß man der begünstigten Nation zu viel Gutes, andern zu viel Böses zuschreibe. Wäre vollends das geliebte Volk blos ein collectiver Name (Celten, Semiten, ChuschitenDer von Chusch, dem Vater Nimrod's, benannte äthiopische Stamm. – D. u. s. w.), der vielleicht nirgend existirt hat, dessen Abstammung und Fortpflanzung man nicht erweisen kann, so hätte man ins Blaue des Himmels geschrieben.
2. Noch minder beleidige man verachtend irgend eine Völkerschaft, die uns nie beleidigt hat. Wenn Schriftsteller auch nicht hoffen dürften, daß die guten Grundsätze, die sie verbreiten, überall schnellen Eingang finden, so ist die Hut, gefährliche Grundsätze zu veranlassen, ihnen die größte Pflicht. Um schwarze Thaten, wilde Neigungen zu rechtfertigen, stützt man sich gern auf verachtende Urtheile über andre Völker. Papst Nicolas V. hat (es ist schon lange) die unbekannte Welt verschenkt; den weißen und edleren Menschen hat er, alle Ungläubige zu Sclaven zu machen, pontificalisch erlaubt. Mit unsern Bullen kommen wir zu spät. Der Kakistokratismus behauptet praktisch seine Rechte, ohne daß wir ihn dazu theoretisch bevollmächtigen und deshalb die Geschichte der Menschheit umkehren müßten. Aeußerte z. B. Jemand die Meinung, daß, »wenn erwiesen werden kann, daß ohne Neger keine Kaffee-, Zucker-, Reis- und Tabakspflanzungen bestehen können, so sei zugleich die Rechtmäßigkeit des Negerhandels bewiesen, indem dieser Handel dem ganzen menschlichen Geschlecht, d. i. den weißen, edleren Menschen, mehr zum Vortheil als zum Nachtheil gereicht,« so zerstörte ein Grundsatz der Art sofort die ganze Geschichte der Menschheit. Ad majorem Dei gloriam privilegirte er die frechsten Anmaßungen, die grausamsten Usurpationen. Gebe man doch keinem Volk der Erde den Scepter über andre Völker wegen »angeborner Vornehmigkeit« in die Hände, viel weniger das Schwert und die Sclavenpeitsche.
3. Der Naturforscher setzt keine Rangordnung unter den Geschöpfen voraus, die er betrachtet; alle sind ihm gleich lieb und werth. So auch der Naturforscher der Menschheit. Der Neger hat so viel Recht, den Weißen für eine Abart, einen gebornen Kakerlaken zu halten, als wenn der Weiße ihn für eine Bestie, für ein schwarzes Thier hält. So der Amerikaner, so der Mongole. In jener Periode, da sich Alles bildete, hat die Natur den Menschentypus so vielfach ausgebildet, als ihre Werkstatt es erforderte und zuließ. Nicht verschiedne Keime (ein leeres und der Menschenbildung widersprechendes Wort)Hierüber hat der Verfasser dieses Briefes eine besondre Abhandlung entworfen, die aber hieher nicht gehört. – H., aber verschiedne Kräfte hat sie in verschiedner Proportion ausgebildet, so viel deren in ihrem Typus lagen und die verschiednen Klimate der Erde ausbilden konnten. Der Neger, der Amerikaner, der Mongole hat Gaben, Geschicklichkeiten, präformirte Anlagen, die der Europäer nicht hat. Vielleicht ist die Summe gleich, nur in verschiednen Verhältnissen und Compensationen. Wir können gewiß sein, daß, was sich im Menschentypus auf unsrer runden Erde entwickeln konnte, entwickelt hat oder entwickeln werde; denn wer könnte es daran verhindern? Das Urbild, der Prototyp der Menschheit, liegt also nicht in einer Nation eines Erdstriches; er ist der abgezogne Begriff von allen Exemplaren der Menschennatur in beiden Hemisphären. Der Cherokese und Huswana, der Mongole und Gonaqua ist sowol ein Buchstab im großen Wort unsers Geschlechts als der gebildetste Engländer und Franzose.
4. Jede Nation muß also einzig auf ihrer Stelle, mit Allem, was sie ist und hat, betrachtet werden; willkürliche Sonderungen, Verwerfungen einzelner Züge und Gebräuche durch einander geben keine Geschichte. Bei solchen Sammlungen tritt man in ein Beinhaus, in eine Geräth- und Kleiderkammer der Völker, nicht aber in die lebendige Schöpfung, in jenen großen Garten, in dem Völker wie Gewächse erwuchsen, zu dem sie gehören, in dem Alles, Luft, Erde, Wasser, Sonne, Licht, selbst die Raupe, die auf ihnen kriecht, und der Wurm, der sie verzehrt, zu ihnen gehört.Daß Sammlungen von Besonderheiten des Menschengeschlechts hie und da, hierin und darin als Register, als Repertorien zu gebrauchen sind, wollte der Verfasser dieses Briefes nicht leugnen; nur sie sind als solche noch keine Geschichte. – H. Lebendige Haushaltung ist der Begriff der Natur, wie bei allen Organisationen, so bei der vielgestaltigen Menschheit. Leid und Freude, Mangel und Habe, Unwissenheit und Bewußtsein stehen im Buch der großen Haushälterin neben einander und sind gegen einander berechnet.
5. Am Wenigsten kann also unsre europäische Cultur das Maaß allgemeiner Menschengüte und Menschenwerthes sein; sie ist kein oder ein falscher Maaßstab. Europäische Cultur ist ein abgezogner Begriff, ein Name. Wo existirt sie ganz? bei welchem Volk? in welchen Zeiten? Ueberdem sind mit ihr (wer darf es leugnen?) so viele Mängel und Schwächen, so viel Verzuckungen und Abscheulichkeiten verbunden, daß nur ein ungütiges Wesen diese Veranlassungen höherer Cultur zu einem Gesammtzustande unsers ganzen Geschlechts machen könnte. Die Cultur der Menschheit ist eine andre Sache; ort- und zeitmäßig sprießt sie allenthalben hervor, hier reicher und üppiger, dort ärmer und kärger. Der Genius der Menschennaturgeschichte lebt in und mit jedem Volk, als ob dies das einzige auf Erden wäre.
6. Und er lebt in ihm menschlich. Alle Absonderungen und Zergliederungen, durch die der Charakter unsers Geschlechts zerstört wird, geben halbe oder Wahnbegriffe, Speculationen. Auch der Pescheräh ist ein Mensch, auch der Albinos. Lebensweise (habitus) ist's, was eine Gattung bestimmt; in unsrer vielartigen Menschheit ist sie äußerst verschieden. Und doch ist zuletzt Alles an wenige Punkte geknüpft, in der größten Verschiedenheit zeigt sich die einfachste Ordnung. Der Neger offenbart sich in seinem Fußtritt, wie der Hindu in seiner Fingerspitze; so Beide in Liebe und Haß, im kleinsten und größten Geschäfte. Ein durchschauendes Wesen, das jede mögliche Abänderung des Menschentypus nach Situationen unsers Erdballs genetisch erkennte, würde aus wenig gegebnen Merkmalen die Summe der ganzen Conformation und des ganzen Habitus eines Volks, eines Stammes, eines Individuums leicht finden.
Zu dieser Anerkennung der Menschheit im Menschen führen treue Reisebeschreibungen viel sicherer als Systeme. Mich freute es, daß Ihr BriefBrief 115. – H. unter Denen, die sich in die Sitten fremder Völkerschaften innig versetzt, auch Pages nannte.De Pages, Voyage autour du monde, Berne 1783. – H. Man lese seine Gemälde vom Charakter mehrerer Nationen in Amerika,S. 17. 18–62. – H. der Völker auf den Philippinen,S. 137–148, 155–195. – H. und was er vom Betragen der Europäer gegen sie hie und da urtheilt; wie er sich der Denkart der Hindu's, der Araber, der Drusen u. s. w. auch durch Theilnahme an ihrer Lebensweise gleichsam einzuverleiben suchte.Band 2. – H. Reisebeschreibungen solcher Art, deren wir (Dank sei es der Menschheit!) viele haben,Unter vielen andern nenne ich G. Forster's und Le Vaillant's, vom Letzten insonderheit seine neuern Reisen. Die Grundsätze, die in ihnen herrschen, wie Menschen und Thiere zu betrachten und zu behandeln sind, geben eine Hodopädie, die insonderheit den Engländern zu mangeln scheint. Ihre Urtheile über fremde Nationen verrathen immer den »divisum toto orbe Britannum,« [nach Virgil's Buc., 1. 67. – D.], wo nicht gar den monarchischen Kaufmann, da ein Reisebeschreiber eigentlich kein ausschließendes Vaterland haben müßte. – H. erweitern den Gesichtskreis und vervielfältigen die Empfindung für jede Situation unsrer Brüder. Ohne darüber ein Wort zu verlieren, predigen sie Mitgefühl, Duldung, Entschuldigung, Lob, Bedauern, vielseitige Cultur des Gemüths, Zufriedenheit, Weisheit. Freilich sucht auch in Reisebeschreibungen, wie auf Reisen, Jeder das Seine. Der Niedrige sucht schlechte Gesellschaft, und da wird sich ja unter hundert Nationen eine finden, die sein Vorurtheil begünstige, die seinen Wahn nähre. Der edle Mensch sucht allenthalben das Bessere, das Beste, wie der Zeichner malerische Gegenden auswählt. Auch hinter dem Schleier böser Gewohnheiten wird Jener ursprünglich gute, aber mißgebrauchte Grundsätze bemerken und auch aus dem Abgrunde des Meers nicht Schlamm, sondern Perlen holen. Eine Classification der Reisebeschreibungen, nicht etwa nur nach Merkwürdigkeiten der Naturgeschichte, sondern auch nach dem innern Gehalt der Reisebeschreiber selbst, wiefern sie ein reines Auge und in ihrer Brust allgemeinen Natur- und Menschensinn hatten – ein solches Werk wäre für die zerstreute Heerde von Lesern, die nicht wissen, was rechts und links ist, sehr nützlich.Wer könnte es besser als Reinhold Forster geben? auch nur, wenn er ein schon gedrucktes Verzeichniß von Reisebeschreibungen mit seinen Urtheilen begleiten wollte. – H.
Die Waldhütte.
Eine Missionserzählung aus Paraguay.Vom ehrlichen Dobritzhofer erzählt in seiner »Geschichte der Abiponer,« Th. I. S. 113 ff. Wien 1783. Eine ähnliche erzählt er S. 83 ff., die eine gleiche Darstellung verdiente. – H. [Vgl. Herder's Werke. X. S. 35. – D]
Um Paraguayer-Thee und wilde Völker
Für unsre Colonieen aufzusuchen,
Durchgingen wir jenseit des Empalado
Die tiefsten Wälder. Nirgend eine Spur
Von Menschen! Alles, Alles war geflohn
Und aufgerieben von den Blattern. Bis uns
Fußtapfen in ein armes Hüttchen führten.
Ein Mütterchen, ihr zwanzigjähriger Sohn
Und eine funfzehnjähr'ge Tochter hatten
Hier lang' und still gewohnt. Der Vater war
Vom Tiger aufgefressen, als die Mutter
Mit ihrer Tochter schwanger ging. Der Sohn
Hatt' allenthalben sich ein Weib gesucht
Und keins gefunden. Außer ihrem Bruder
Hatt' Arapotija, des Tages BlütheSo heißt bei den Paraguayern die Morgenröthe. – H.
(So hieß das Mädchen), keinen Mann gesehn.
Hier wohnten sie am Monda-Miri-Ufer
In einer Palmenhütte. Wasser war
Ihr Trank; Baumfrüchte mancher Art,
Die Wurzel des Mandijobaums, Geflügel,
Das Aba schoß (so hieß der Jüngling), Korn,
Das seine Schwester säte, Ananas
Und Honig, der aus Bäumen reichlich floß,
Genossen sie. Von Caraquatablättern
War ihr Gewand gewebet und ihr Bett
Bereitet. Eine scharfe Muschel war
Ihr Messer. Seine Pfeile schnitzte sich
Der Jüngling mit zerbrochnem Eisen aus
Dem härtsten Holz; er stellte Fallen auf
Den Elennthieren; reichlich nährte er
Sein kleines Haus. Ihr Teller war ein Blatt,
Der Kürbis ihre Flasche. Feuer schafften
Sie sich aus Bäumen. Also lebten sie
Zufrieden und gesund; sie liebten sich
Wie Mutter, Bruder, Schwester, die einander
Die ganze Welt sind. Unschuld kleidete
Das Mädchen ohne Scham. Sie wand das Tuch,
Das wir ihr schenkten, zierend um ihr Haupt;
Ihr flatternd Baumgewand war ihr genug,
Kein fremder Schmuck entstellte ihr Gesicht;
Ein Papagei auf ihrer Schulter war
Ihr Freund, mit dem sie scherzte, wenn sie Hecken
Und Hain wie eine Cynthia durchstrich,
An Frohsinn und Gestalt ihr ähnlich. Scherzend
Empfing sie uns und unbetroffen. So
Die Mutter, so der Sohn. Ich sprach zu ihnen
Guaranisch, ob sie mit uns ziehen wollten
Aus dieser Wüstenei, und schildert' ihnen
Die glücklichen, die frohen Tage, die
Sie mit uns leben würden. »Gerne,« sprach
Die Mutter, uns vertrauend, »kämen wir.
Auch fürchten wir den Weg nicht; aber sieh,
Dort hab' ich drei Wildschweinchen aufgezogen,
Seit ihre Mutter sie gebar. Die müßten
Umkommen, wenn wir sie verlassen, oder
(Sie werden uns gewiß als Hündchen folgen)
Verschmachten auf dem Wege, wenn sie sehn
Das ausgebrannte Feld, darauf die Gluth
Der Sonne liegt.« »Darüber fürchte nichts,«
Sprach ich; »wir wollen uns im Schatten lagern,
An Bächen sie erfrischen. Kommet nur!«
So kamen sie mit uns. Wir duldeten
Viel auf dem langen Wege, watend jetzt
Durch wilde Ströme, jetzt in Ungewittern
Von Güssen überströmt. Es lauerten
Auf uns die Tiger. Endlich kamen wir
In unserm Flecken an. Dem Jüngling war
Beschwerlich unsre Kleidung; eingepreßt,
Konnt' er in ihr nicht schreiten, klettern nicht
Auf Bäume, die hier fehlten. Er vermißte
Das schöne Grün, den dunkeln kühlen Wald.
Und ob wir dann und wann mitleidig auch
Sie in entlegne Schatten führten, ach,
Es war nicht ihr geliebter Schatte. Brennend,
Verzehrend lag auf ihnen hier die Gluth
Der Sonne. Fieber, Kopf- und Augenweh
Und tiefe Schwermuth, Ekel aller Speisen,
Kraftlosigkeit, Auszehrung folgeten.
Am ersten schwand die Mutter hin; sie ward
Getauft und starb mit christlicher Ergebung.
Die Tochter, Arapotija, die Blüthe
Des Tages sonst, man kannte sie nicht mehr.
Verblühet war sie und verdorrt; sie folgte
Der Mutter bald ins Grab. Ihr folgeten
Viel Thränen; denn sie war die Unschuld selbst.
Der tapfre Bruder überstand die Reihe
Der Uebel, überstand sogar zuletzt
Der Uebel schrecklichstes, die Blattern. Er
War folgsam, fleißig und gefällig, fand
Sich ein zum Unterricht, doch immer still.
Ich ahnte nichts. Da kam ein Indianer
Und sprach geheim: »Mein Pater, unser Waldmann
(Ich fürcht' es) ist dem Wahnsinn nah. Er klagt
Zwar keine Schmerzen; aber »Jede Nacht,«
Spricht er, »erscheint mir wachend meine Mutter
Und meine Schwester. Immer sprechen sie:
Ich bitte, laß Dich taufen; denn wir holen
Dich bald und unvermuthet ab, o Sohn,
O Bruder, in die grünen Schatten.« Also
Spricht täglich er und kennt den Schlaf nicht mehr.«
Ich eilte zu ihm, sprach ihm Muth zu. Heiter
Erwidert' er: »Mir fehlt, o Vater, nichts.
Ich kenne keine Schmerzen, aber schlafen
Kann ich nicht mehr; denn alle Nächte sind
Die Meinigen um mich und sprechen flehend:
»Ich bitte, laß Dich taufen; denn wir holen
Dich bald und unvermuthet ab, o Sohn,
O Bruder, in die grünen Schatten.« »Freund,
Die Deinigen sind jetzt im Himmel,« sprach ich;
»Jedoch die Taufe soll Dir werden.« Sehnlich
Erfreut' er sich; es ward der Tag bestimmt,
Johannis Tag. Zehn Uhr am Morgen ward er
Getauft; er war so heiter, war so froh!
Am Abend, ohne Krankheit, ohne Schmerzen
War er entschlafen.
So erzählt der Priester
Und lässet Jeden denken, was er mag.
Ich denke: »Guter Vater, warum ließest
Du nicht die Blumen, wo sie standen, und
Erquicktest sie? Du hörtest, was die Mutter
Für ihre Thierchen fürchtete: »Sie werden
Verschmachten in der Sonne Gluth!« O lasset
Doch jede Pflanze blühen, wo sie blüht!
Die Schattenblume zehrt der Mittag auf.«
Gewiß, es ist nicht gleichgiltig, nach welchen Grundsätzen Völker auf einander wirken; und doch giebt es nicht eine Geschichte der Völker, der alle Grundsätze über das Verhalten der Nationen gegen einander fehlen? Giebt es nicht eine andre, in der die verderblichsten Grundsätze als billige und preiswürdige Maaßregeln aufgestellt sind? Eben deshalb wissen Manche nicht, warum sie nur das Betragen der Europäer gegen die Neger und die Wilden verdammen sollen, da ja ähnliche Grundsätze in der gesammten Völkergeschichte mit mehr oder minder Modifikationen zu herrschen scheinen.
Die meisten Kriege und Eroberungen aller Welttheile, auf welchen Gründen beruhten sie? welche Grundsätze haben sie geleitet? Nicht etwa nur jene Streifereien der asiatischen Horden, auch die meisten Kriege der Griechen und Römer, der Araber, der Barbaren. Vollends die Ketzer- und Kreuzzüge, das Verhalten der Europäer gegen Zauberer und Juden, ihre Unternehmungen in beiden Indien. Wie bedauert man in Allem diesem manchen großen Mann, der fast übermenschliche Thaten als ein Betrogner, als ein Verrückter that! Mit der edelsten Seele ward er ein Bestürmer und Räuber der Welt, der für seine Thaten von Höfen, die so undankbar gegen ihn als barbarisch gegen die Völker waren, meistens auch bösen Lohn erntete. Man erstaunt über die Gegenwart des Geistes, die Vasco di Gama, Albuquerque, Cortez, Pizarro und Viele unter ihnen in Umständen der größten Gefahr zeigten; See- und Straßenräuber zeigten oft ein Gleiches. Wer aber, der kein Spanier und Portugiese ist, wird sich getrauen, die Thaten dieser Helden, Cortez', Pizarro's oder des großen Albuquerque, vor Suez, Ormuz, Kalekut, Goa, Malakka zum Gegenstande eines Heldengedichts zumachen und die damals geltenden Grundsätze noch jetzt zu preisen?Einer unsrer Dichter versuchte es mit Cortez; er hörte aber weislich auf. – H. [Von Zachariä's »Cortez, ein Heldengedicht« erschien nur der erste Band im Jahre 1766. – D.] Die Lobredner der Bartholomäusnacht, der Judenermordungen sind mit Schimpf und Schande bedeckt; zu hoffen ist's, daß auch die Räuber und Mörder der Völker, trotz aller erwiesenen Heldenthaten, blos und allein den Grundsätzen einer reinen Menschengeschichte nach, einst damit bedeckt stehen werden.
Ein Gleiches gilt von den Grundsätzen über das, was man sich im Kriege erlaubt hält. Erkennt man Plündern, Verstümmeln, Schänden, Vergiften der Brunnen und der Waffen für ehrlose Mittel des Krieges: sind es inwärtige Aufhetzungen der Unterthanen, die nicht zum Heer gehören, Vendéekriege, Entwürfe zur Aushungerung der Nationen, treulose Vorspiegelungen nicht ebensowol? Jedermann verabscheut Albuquerque's Entwürfe, der ganz Aegypten in eine Wüste verwandeln wollte, indem man ihm den Nil nähme, der Mekka und Medina, Länder, die in keinem Kriege mit den Portugiesen begriffen waren, plündern wollte. Dergleichen Gewaltsamkeiten gegen fremde, ruhige Völker, Anstiftungen von Treulosigkeit im Herzen des Feindes u. s. w. strafen am Ende sich selbst. Wer einen offnen und geheimen Krieg zugleich führt, verläßt sich meistens auf die Wirkung seiner geheimen Mittel so sehr, daß auch die offnen ihm mißrathen. Aufwiegelung und Verrath lohnten selten ihre Urheber anders als mit Verlust und Schande. Wer Grundsätze wegdrängt, auf denen einzig noch der Rest von Ehre und gutem Namen der Völker im Kriege beruht, vergiftet die Quellen der Geschichte und des Rechts der Völker bis auf den letzten Tropfen.
Eine traurige Uebersicht gäbe es, wenn man jede geschriebene Geschichte der Völker in ihren Kriegen und Eroberungen, in ihren Unterhandlungen, in ihren Handelsentwürfen nach den Grundsätzen durchginge, in welchen gehandelt und geschrieben wurde. Wie ehrlicher waren unsre Väter, die alten Barbaren, die bei ihren Zweikämpfen nicht nur auf Gleichheit der Waffen sahen, sondern Platz, Licht und Sonne unparteiisch theilten! Wie ehrlicher sind die Wilden in ihren Unterhandlungen und Friedensschlüssen, in ihrem Tausch und Handel! Gewalt und Willkür mögen gebieten, worüber sie Macht haben, nur nicht über Grundsätze des Rechts und Unrechts in der Menschengeschichte.Von der Denkart der Römer hierüber in ihren besten Zeiten lese man den Lipsius (Doctrina politica mit ihrem Commentar), den Grotius (De jure belli et pacis), oder auch den guten Montaigne (B. I C. 5, 6). Sie ist für unsre Zeiten sehr beschämend. – H.
Der Hunnenfürst.
Ein Hunnenfürst ward von raubgierigen
Tataren oft befehdet. Jetzo fordern
Sie zum Geschenk von ihm sein bestes Pferd.
Die Feldherrn rufen: »Krieg!« »Wie?« sprach er; »Krieg
Um eines Pferdes willen? Gebets hin'.«
Bald kamen wieder die Tataren, fordernd
Sein schönstes Weib. Die Feldherrn rufen: »Krieg!«
»Wie?« sprach er; »Krieg um einer Sclavin willen,
Die mir gehört, um ein Vergnügen Krieg?
Gebt hin die Sclavin!« Und sie kamen wieder,
Land fordernd. »Was sie fordern, hat so viel
Nicht zu bedeuten,« sprach der Feldherrn Zelt.
»Nein!« sprach der Fürst; »so lang' es mich nur galt,
Mein Pferd, die Sclavin, gerne gab ich's hin,
Des Volkes Blut zu schonen; doch mein Land,
Des Staates Eigenthum, muß ich als Fürst
Verwalten, nicht verschenken. Auf! zur Schlacht!«
Sie stritten, siegten, schützeten ihr Land,
Und im Triumph zurück kam Roß und Weib.
Das Kriegsgebet.
Zum Kriege zog ein Schach und sein Vezir,
Zum Kriege mit dem Bruder. Eben ging
Die Straße eines Heil'gen Grab vorüber;
Sie stiegen ab und beteten am Grabe.
»Was betetest Du?« sprach der König zum
Vezir. »Daß Gott Dir Sieg verleihe.« »Ich,«
Erwiderte der König, »betete,
Daß Gott ihn meinem Bruder gebe, wenn
Er ihn des Thrones Werther hält als mich.«
Kahira.
Kahira, Königin der Berbern, ahnend
Des Reiches Untergang, versammelte
Das Volk und sprach also:
»Was sollen uns die Schätze?
Was soll uns Gold und Silber,
Das uns die gier'gen Räuber
Mit neuen Kräften anzieht?
Ich that, was ich vermochte;
Ich handelte großmüthig,
Gab frei die Kriegsgefangnen,
Und ihrem tapfern Feldherrn,
Dem Letztgefangnen, sehet,
Begegn' ich noch als Schwester!
Auf, meine guten Berbern,
Vielleicht verschafft uns Armuth,
Was Großmuth nicht verschaffte.
In edler Freiheit Ruh'.
Laßt uns das Gold im Schutte
Der Wohnungen begraben;
Uns gnüget die Natur!«
Sie sprach's, und Jedermann gehorchte. Schnell
Verwandelte sich die zerstörte Stadt
In eine frohe Zeltenwüstenei.
Jedoch umsonst. Die Räuber
Erscheinen mächt'ger wieder.
»Geh,« sprach sie zu dem Feldherrn,
»Geh zu dem Heer der Deinen,
Und wie ich Dir begegnet,
Begegne meinen Söhnen!
Ich kann sie nicht beschützen.
Nun, Brüder, auf zur Schlacht!«
Die Schlacht begann; Kahira stritt voran
Und sank. Mit ihr ersank der Berbern Reich,
Nicht ihre Großmuth. Die der Königspflicht
Nicht Schätze nur, nicht nur Bequemlichkeit
Aufopferte, die selbst ihr Mutterherz
Dem Feind hingab, sie gab's dem edeln Mann.
In ihren Söhnen ehrete der Feldherr
Kahira, die großmüth'ge Königin.
Das Kriegsrecht.
MahmudDer Ghasnevide. der im Jahre 1030 starb. Die Liebe zur Gerechtigkeit und Wahrheit dieses fanatisch grausamen Eroberers wird sehr gerühmt. – D. beherrschte Indien. Da trat
Ein armer Inder vor ihn: »Herr, es kommt
Aus Eurem Heer ein Mächtiger zu mir,
Der fordert, daß ich ihm das Meinige,
Mein Haus und Weib, abtrete. Ungestüm
Ist seine Fordrung.« »Wenn er wiederkommt,
So sage mir's.« In dreien Tagen kam
Der Inder nicht zum Sultan. Endlich schlich
Er scheu heran, und Mahmud eilt' ins Haus
Mit seiner Leibwach'. Es war Nacht. »Hinweg
Die Lichter!« rief er; »tödtet ihn!«
Gesagt, gethan. »Jetzt bringet Licht herbei!«
Der Sultan sah den Leichnam und fiel betend
Zur Erde nieder. »Gebt mir Speise jetzt!«
Er hielt vergnügt ein armes Mahl und sprach:
»Hört, was ich that! In meinem Heere, glaubt' ich,
Kann Niemand die Gerechtigkeit so frech
Verletzen, solche Forderung zu thun,
Als meiner Liebling' oder Söhne einer.
Drum ward das Licht hinweggeschafft, daß dies
Des Richters Auge nicht verblendete.
Ich sah den Leichnam an mit Furcht, und Allah
Sei Dank! es ist nicht meiner Lieben einer.
Ich kenne diesen todten Frevler nicht.
Dafür dann dankt' ich Gott und esse jetzt;
Denn seit ich auf den Ausgang wartete,
Aß ich bekümmert keinen Bissen Brod.«
Des Brutus That war strenge und gerecht,
Des Sultans strenge, menschlich, fromm und zart.
Das Seerecht.
Die See war wild, das Schiff dem Sinken nah,
Und alles Schiffvolk sah den Abgrund vor sich;
Da wagt der edle Hauptmann in den Hafen
Des Feindes sich: »Ich übergebe Dir
Mich und mein Volk; ich rettete ihr Leben.«
»Bei Gott!« sprach der Gebieter, »keine Schmach
Werd' ich an Dir auf meinen Namen laden.
Auf freier See, hätt' ich Dich da ertappt,
So wärst Du mein Gefangner, und Dein Schiff,
Dein Schiffvolk wäre mein; doch jetzo, da
Der Sturm Dich in den Hafen wirft, so seid
Ihr mir nicht Feinde, seid Unglückliche,
Seid Menschen. Ladet aus, um Euer Schiff
Zu bessern; handelt in dem Hafen, frei
Wie wir. Dann segelt fort mit gutem Glück!
Erst wenn Ihr über die Bermudas seid
Auf hohem Meer, dann seid Ihr Feinde mir;
Jetzt seid Ihr mir vom Unglück und dem Sturm
In meinen Schutz empfohlen. Ladet aus!«
Der betrogne Unterhändler.
Als Irokesen und Franzosen sich
In Canada bekriegten, lud der Feldherr
Der Gallier die Irokesenhäupter
Zur Friedensunterredung. Ein beglaubter
Missionar bewegte sie dazu
In guter Meinung; doch der Feldherr fand
Es rühmlicher, die Irokesenhäupter
In Ketten der Galeere zuzusenden.
Betäubet von der unerhörten Schmach,
Entflammete die Nation. Da schlich
Der Aelteste der Wilden eilig zum
Missionar: »Wir haben Dir vertraut
Und sind mit unerhörtem Schimpf betrogen.
Ich weiß, Du bist nicht Schuld daran; Du meintest
Es redlich; doch nicht jeder Jüngling denkt
In unsrer Nation wie ich. Drum flieh!
Flieh, Fremder! Eher lass' ich nicht von Dir,
Bis ich Dich sicher weiß.« Er ließ ihn über
Die Grenze hin geleiten. Edler Mann!
Da jetzt im unseligsten Kriege, in dem ein zeitiger Friede so schwer wird, von Entwürfen zum ewigen Frieden viel gesprochen wird, so theile ich Ihnen einen zu diesem Zweck gemachten wirklichen Versuch in den Worten Dessen mit, der ihn berichtet.
Zum ewigen Frieden.
Eine irokesische Anstalt.
Die Delawaren wohnten ehedem in der Gegend von Philadelphia und weiterhin nach der See zu. Von da aus thaten sie oftmals Einfälle in die Dörfer der Cherokesen, mischten sich unerkannt in ihre nächtlichen Tänze und ermordeten während derselben plötzlich Viele. Noch heftiger und älter waren die Kriege der Delawaren mit den Irokesen. Nach dem Vorgeben der Delawaren waren sie den Irokesen immer überlegen, so daß diese endlich einsahen, daß bei längerer Fortsetzung des Krieges ihr völliger Untergang die unausbleibliche Folge sein müßte.
Sie sandten also Gesandte an die Delawaren mit folgender Botschaft: »Es ist nicht gut, daß alle Nationen Krieg führen; denn das wird endlich den Untergang der Indianer nach sich ziehen. Darum haben wir auf ein Mittel gedacht, diesem Uebel vorzubeugen; es soll nämlich eine Nation die Frau sein. Die wollen wir in die Mitte nehmen; die andern kriegführenden Nationen aber sollen die Männer sein und um die Frau herum wohnen. Niemand soll die Frau antasten, noch ihr etwas zu Leide thun; und wenn es Jemand thäte, so wollen wir ihn gleich anreden und zu ihm sagen: »Warum schlägst Du die Frau?« Dann sollen alle Männer über Den herfallen, der die Frau geschlagen hat. Die Frau soll nicht in den Krieg ziehen, sondern so viel möglich den Frieden zu erhalten suchen. Wenn also die Männer um sie herum sich einmal mit einander schlagen und der Krieg heftig werden will, so soll die Frau Macht haben, selbige anzureden und zu ihnen zu sagen: »Ihr Männer, was macht Ihr, daß Ihr Euch so herumschlagt? Bedenkt doch, daß Eure Weiber und Kinder umkommen müssen, wo Ihr nicht aufhört. Wollt Ihr Euch denn selbst vom Erdboden vertilgen?« Und die Männer sollen alsdann auf die Frau hören und ihr gehorchen.«
Die Delawaren ließen sich's gefallen, die Frau zu werden. Nun stellten die Irokesen eine große Feierlichkeit an, luden die Delawar-Nation dazu ein und hielten an die Bevollmächtigten derselben eine nachdrückliche Rede, die aus drei Hauptsätzen bestand. In dem ersten erklärten sie die Delawar-Nation für die Frau, welches sie durch die Redensarten: »Wir ziehen Euch einen langen Weiberrock an, der bis auf die Füße reicht, und schmücken Euch mit Ohrgehängen,« ausdrückten und ihnen damit zu verstehen gaben, daß sie von nun an mit den Waffen sich nicht weiter abgeben sollten. Der zweite Satz war so gefaßt: »Wir hängen Euch einen Kalabasch mit Oel und mit Arznei an den Arm. Mit dem Oel sollt Ihr die Ohren der übrigen Nationen reinigen, damit sie aufs Gute und nicht aufs Böse hören; die Arznei aber sollt Ihr bei solchen Völkern brauchen, die schon auf thörichte Wege gerathen sind, damit sie wieder zu sich selbst kommen und ihr Herz zum Frieden wenden.« Der dritte Satz, darin sie den Delawaren den Ackerbau zu ihrer künftigen Beschäftigung anwiesen, war so ausgedrückt: »Wir geben Euch hiemit einen Wälschkornstengel und eine Hacke in die Hand.« Jeder Satz wurde mit einem Belt of Wampon (Gürtel von Muschelschalen) bekräftigt. Diese Belte sind bis daher sorgfältig aufgehoben und ihre Bedeutung von Zeit zu Zeit wiederholt worden.
Seit diesem sonderbaren Friedensschluß sind die Delawaren von den Irokesen Schwesterkinder benannt worden; die drei Delawar-Stämme heißen einander Mitgespielinnen. Diese Titel aber werden nur in ihren Rathsversammlungen, und wenn sie einander etwas Erhebliches zu sagen haben, gebraucht. Von besagter Zeit ist die Delawar-Nation die Friedensbewahrerin gewesen, der der große Friedensbelt in Verwahrung gegeben und die Kette der Freundschaft anvertraut ist. Sie hat darüber zu wachen, daß dieselbe unverletzt erhalten werde. Nach der Vorstellung der Indianer liegt die Mitte der Kette auf ihrer Schulter und wird von ihr festgehalten, die übrigen Indianer-Nationen fassen das eine Ende und die Europäer das andre an.Loskiel's Missionsgeschichte in Nordamerika, S. 160. – H.
So die Irokesen. Es waren Zeiten in Europa, da die Hierarchie die Stelle dieser Frau vertreten sollte. Auch sie trug das lange Kleid; Oel und Arznei waren in ihrer Hand. Man giebt ihr Schuld, daß sie, statt ihr Friedensamt zu verwalten, oft selbst Kriege zwischen den Männern erregt und angefacht habe; wenigstens hat ihr Oel die Ohren der Völker noch nicht gereinigt, ihre Arznei die Kranken noch nicht geheilt.
Sollen wir statt ihrer in der Mitte Europa's einer wirklichen Nation Weibskleider anziehen und ihr das Friedensrichteramt auftragen? Welcher?
Wie könnte sie's aber verwalten, da oft über einige Pelze an der Hudsonsbai, über einige Flecken am Paraguaystrom, in deren Lage bisweilen die Kriegführenden selbst sich geirrt haben, über einen Hafenplatz im Stillen Meer, über Neckereien der Gouverneurs gegeneinander weltverwüstende Kriege geführt werden? Ja, wie oft entsprangen diese aus einer Grille des Monarchen, aus einer niedrigen Cabale des Ministers! Eine Geschichte vom wahren Ursprunge der Kriege in Europa seit den Kreuzzügen wäre ein siebenfacher Hudibras, das niedrigste Spottgedicht, das geschrieben werden könnte. In einer Welt, in der dunkle Cabinette Kriege anspinnen und fortleiten, wäre alle Mühe der Friedensfrau verloren.
Leider auch bei den Wilden selbst erreichte diese Anstalt ihren Zweck nicht lange. Als die Europäer näher drangen, sollte auf Erfordern der Männer selbst die Frau an der Gegenwehr mit Antheil nehmen. Man wollte, wie man sich ausdrückte, zuerst ihr den Rock kürzen, sodann gar wegnehmen und ihr das Kriegsbeil in die Hand geben. Eine fremde, unvorhergesehene Uebergewalt störte das schöne Project der Wilden zum Frieden unter einander; und dies wird jedesmal der Fall sein, so lange der Baum des Friedens nicht mit festen, unausreißbaren Wurzeln von Innen heraus den Nationen blüht.
Wie manche andre Mittel haben die Menschen schon versucht, streitsüchtigen Nationen Einhalt zu thun und ihnen die Wege zu sperren. Zwischen Gebirgen wurden ungeheure Mauern errichtet, Zwischenländer zur Wüste gemacht, abschreckende Fabeln ersonnen und in diese Wüste gepflanzt. In Asien sollte ein heiliges Reich den Streifereien der Mongolen ein Ziel setzen; der große Lama sollte die Friedensfrau sein. In Africa wurden Obelisken und Tempel die Freistätten des Handels, die Mutter von Gesetzgebungen und Colonien. In Griechenland sollten Orakel, Amphiktyonen, das Panionium, Panätolium, der Achäerbund u. s. w. wo nicht einen ewigen, so doch einen langen Frieden bewirken; mit welchem Erfolg, hat die Zeit gelehrt. Am Besten wäre es, wenn, wie bei jenem Handel im innern Africa, die Nationen einander selbst gar nicht sehen dürften. Sie legen die Waaren hin und entfernen sich, bieten und tauschen. Einander erblickend, ist Betrug und Zank unvermeidlich. Meine große Friedensfrau hat einen andern Namen. Ihre Arznei wirkt spät, aber unfehlbar; vergönnen Sie mir dazu einen andern Brief.
Al Hallil's Rede an seinen Schuh.Diese und einige der folgenden Beilagen sind aus einer kleinen Schrift von vier Bogen gezogen, »Reden al Halill's«, Stendal 1781. Der Verfasser, den ich zu kennen wünschte, verzeiht gewiß, daß sie hier in einer veränderten Gestalt erscheinen. – H. [Der Verfasser nennt sich »Mathias Raufrost, Canonicus zu St. Gertrud, Catholischer Pfarrherr, auch Seelsorger der Gemeine zu St. Damian in Schleestadt« (französische Namensform für Schlettstadt), und eignet die »Reden« seinen »lieben Pfarrkindern« zu. Herder ließ sich hier durch eine ziemlich offen vorliegende Mystifikation täuschen. Vgl. Herder's Werke. VI. S. 129, 132 ff., 257 ff., 261 f. – D.]
Mit Tausenden von meinem Volke zog
Ich auch einher am Tage jenes Zorns,
Der alle Ebnen Ubeda's mit Blut
Und Rach' erfüllte. Rosse wieherten
Beim Schalle der Drommeten; Staub erhob
Zum Himmel sich. Die Mächt'gen jubelten;
Die Ketten klirrten, die vor Abend noch
Der Ueberwundnen Thräne netzen sollte.
Einmüthig reichten Untergang und Tod
Die Hände sich und schritten vor dem Heer.
Da schlug in mir das Herz noch eins so stark:
»O Rüstung zum Verderben!« sprach ich tief
Im Winkel meiner Brust. »Allmächtiger'.
Wir können keinen Floh erschaffen, und
Wir tödten Menschen. Blut vergießen wir,
Und loben Dich.« Mein Herz schlug stärker; ich
Trat in den Sumpf. Vergeblich mühte sich
Mein Fuß, den Schuh hinauszuziehen; fest
War er. Die tapfern Heere schritten fort;
Die Lanzen blinkten; Schwerter funkelten;
Ein Feldgeschrei, ein wüstes Sausen füllte
Mein Ohr; ich stand betäubt und sprach also
Zu meinem Schuh: »Wie, mein Begleiter, jetzt
Verlässest Du mich und erwartest lieber
Den Moder hier? Und soll ich Dich denn auch
Verlassen, wie in dieser Welt zuletzt
Sich Alles flieht? Du Guter, gingest freilich
Nie mit mir böse Wege; keinem Pfade
Der Frevler drücketest Du je Dich ein.
Die Augen, die von Blute strömen, blieben
Uns fremd; dem zügellosen Sieger eiltest
Du nimmer nach. Wir gingen sanfte Wege,
Jetzt, wenn die Sonn' im Abendmeer ersank,
Jetzt in den Schatten der friedsel'gen Nacht,
Der Ruhegeberin, der Reichen, die
Uns ihre Schätz' am weiten Himmel zeigt
Und nieden uns der Freuden schönste schenket.
Dann sagte leise mir der Mond ins Ohr:
»Sohn der Aëscha, geh zu Deiner Treuen!
Sie wartet Deiner, lieblicher als ich.«
Die Wege gingen wir, nicht jene, denen
Du strenge jetzt unwillig Dich entziehst.
Ich folge Deinem Rath. Gehabt Euch wohl,
Ihr Helden, jetzt durch Mord und Todtschlag! Mögen
Die Löwen Eure Siege brüllen; wetze
Der Tiger seine Klau'n dazu; es singen
Erschlagne Heere drein, und Drachen zischen
Aus Wüstenei'n zerstörter Wohnungen!
Du stiller Mond, den sie mit Mordgeschrei
Erschrecken, scheine nicht auf sie, und nie
Umfange sie mit Deinem sanften Arm,
Die sie verscheuchen, Du friedsel'ge Nacht!
Meine große Friedensfrau hat nur einen Namen: sie heißt allgemeine Billigkeit, Menschlichkeit, thätige Vernunft.
Ich habe ein sehr sinnreiches Manuscript gelesen, in dem der Menschengeschichte folgende Sätze zum Grunde lagen: »1. Menschen sterben, um Menschen Platz zu machen. 2. Und da ihrer weniger sterben, als geboren werden, so macht die Natur durch gewaltsame Mittel Raum. 3. Dahin gehören nicht nur Pest, Mißwachs, Erdbeben, Erdrevolutionen, sondern auch Völkerrevolutionen, Verwüstungen, Kriege. 4. Wie eine Thierart die andre vermindert, so setzt das Menschengeschlecht sich selbst in Proportion und wehrt der Ueberzahl. 5. Es giebt in ihm also erhaltende und zerstörende Charaktere.«
Schreckliches System, das uns vor unserm eignen Geschlecht Schauder und Furcht einjagt, indem wir nach ihm Jedem ins Angesicht, auf seinen Gang und auf seine Hände sehen müssen, ob er ein fleisch- oder grasfressendes Thier sei, ob er einen erhaltenden oder zerstörenden Charakter an sich trage. Gewiß hat uns die Natur an Mitteln nicht entblößt, uns vor dieser zerstörenden Gattung unseres eignen Geschlechts zu sichern; nur sie gab uns diese Mittel als Waffen nicht in die Hände, sondern in Kopf und Herz. Die allgemeine Menschenvernunft und Billigkeit ist die Matrone, die Oel und Arznei am Arm, die einen Fruchtstengel in der Hand trägt, nicht etwa nur als Symbole, sondern als die still wirkenden Mittel, wo nicht zu einem ewigen Frieden, so gewiß doch zu einer allmähligen Verminderung der Kriege. Lassen SieHier steht noch »mich« im ersten Drucke. – D., da wir hier auf des ehrlichen St. Pierre Wege gerathen, auch seiner Methode uns nicht schämen und die große Friedensfrau (pax sempiterna) mit festen Grundsätzen in ihr Amt weisen. Sie ist dazu da, ihrem Namen und ihrer Natur nach Friedensgesinnungen einzuflößen.
Erste Gesinnung
Abscheu gegen den Krieg
Der Krieg, wo er nicht erzwungene Selbstvertheidigung, sondern ein toller Angriff auf eine ruhige, benachbarte Nation ist, ist ein unmenschliches, ärger als thierisches Beginnen, indem er nicht nur der Nation, die er angreift, unschuldigerweise Mord und Verwüstung droht, sondern auch die Nation, die ihn führt, ebenso unverdient als schrecklich hinopfert. Kann es einen abscheulichern Anblick für ein höheres Wesen geben als zwei einander gegenüberstehende Menschenheere, die unbeleidigt einander morden? Und das Gefolge des Krieges, schrecklicher als er selbst, sind Krankheiten, Lazarethe, Hunger, Pest, Raub, Gewaltthat, Verödung der Länder, Verwilderung der Gemüther, Zerstörung der Familien, Verderb der Sitten auf lange Geschlechter. Alle edle Menschen sollten diese Gesinnung mit warmem Menschengefühl ausbreiten, Väter und Mütter ihre Erfahrungen darüber den Kindern einflößen, damit das fürchterliche Wort Krieg, das man so leicht ausspricht, den Menschen nicht nur verhaßt werde, sondern daß man es mit gleichem Schauder als den St. Veitstanz, Pest, Hungersnoth, Erdbeben, den schwarzen Tod zu nennen oder zu schreiben kaum wage.
Zweite Gesinnung
Verminderte Achtung gegen den Heldenruhm
Immer mehr muß sich die Gesinnung verbreiten, daß der ländererobernde Heldengeist nicht nur ein Würgengel der Menschheit sei, sondern auch in seinen Talenten lange nicht die Achtung und den Ruhm verdiene, die man ihm aus Tradition von Griechen, Römern und Barbaren her zollt. So viel Gegenwart des Geistes, so viel zusammenfassende Vorsicht und Voraussicht und schnellen Blick er fordern möge, so wird der edelste Held vor und nach der Schlacht nicht nur das Geschäft beweinen, dem er seine Gaben aufopfert, sondern auch gern gestehen, daß, um Vater eines Volks zu sein, wenn nicht mehr, so doch edlere Gaben in fortgehender Bemühung und ein Charakter erfordert werde, ein Charakter, der seinen Kampfpreis weder einem Tage zu verdanken hat, noch ihn mit dem Zufall oder dem blinden Glück theilt. Alle Verständige sollten sich vereinigen, durch ächte Kenntniß alter und neuer Zeiten den falschen Schimmer wegzublasen, der um einen Marius, Sulla, Attila, Dschingis-Khan, Tamerlan gaukelt, bis endlich jeder gebildeten Seele Gesänge auf sie und auf Lips Tullian gleich heroisch erschienen.
Dritte Gesinnung
Abscheu der falschen Staatskunst
Immer mehr muß sich die falsche Staatskunst entlarven, die den Ruhm eines Regenten und das Glück seiner Regierung in Erweiterung der Grenzen, in Erjagung oder Erhaschung fremder Provinzen, in vermehrte Einkünfte, schlaue Unterhandlungen, in willkürliche Macht, List und Betrug setzt. Die Mazarins, Louvois, Du Terrais und Ihresgleichen müssen nicht nur im Angesicht des ehrlichen Volks, sondern der Weichlinge selbst, wie sie sind, erscheinen, so daß es wie das Einmaleins klar wird, daß jeder Betrug einer falschen Staatskunst am Ende sich selbst betrüge. Die allgemeine Stimme muß über den Werth des bloßen Staatsranges und seiner Zeichen, selbst über die aufdringendsten Gaukeleien der Eitelkeit, selbst über früh eingesogene Vorurtheile siegen. Mich dünkt, man sei im Verachten einiger dieser Dinge jetzt schon weit und vielleicht zu weit fortgeschritten; es kommt darauf an, daß man das Schätzenswerthe bei Allem, was uns der Staat auflegt, auch redlich und um so höher achte, je mehr es die Menschheit der Menschen fördert.
Vierte Gesinnung
Geläuterter Patriotismus
Der Patriotismus muß sich nothwendig immer mehr von Schlacken reinigen und läutern. Jede Nation muß es fühlen lernen, daß sie nicht im Auge Andrer, nicht im Munde der Nachwelt, sondern nur in sich, in sich selbst groß, schön, edel, reich, wohlgeordnet, thätig und glücklich werde, und daß sodann die fremde wie die späte Achtung ihr wie der Schatte dem Körper folge. Mit diesem Gefühl muß sich nothwendig Abscheu und Verachtung gegen jedes leere Auslaufen der Ihrigen in fremde Länder, gegen das nutzlose Einmischen in ausländische Händel, gegen jede leere Nachäffung und Theilnehmung verbinden, die unser Geschäft, unsre Pflicht, unsre Ruhe und Wohlfahrt stören. Lächerlich und verächtlich muß es werden, wenn Einheimische sich über ausländische Angelegenheiten, die sie weder kennen noch verstehen, in denen sie nichts ändern können, und die sie gar nicht angehn, sich entzweien, hassen, verfolgen, verschwärzen und verleumden. Wie fremde Banditen und Meuchelmörder müssen Die erscheinen, die aus toller Brunst für oder gegen ein fremdes Volk die Ruhe ihrer Mitbrüder untergraben. Man muß lernen, daß man nur auf dem Platz Etwas sein kann, auf dem man steht, wo man Etwas sein soll.
Fünfte Gesinnung.
Gefühl der Billigkeit gegen andre Nationen.
Dagegen muß jede Nation allgemach es unangenehm empfinden, wenn eine andre Nation beschimpft und beleidigt wird; es muß allmählig ein gemeines Gefühl erwachen, daß jede sich an die Stelle jeder andern fühle. Hassen wird man den frechen Uebertreter fremder Rechte, den Zerstörer fremder Wohlfahrt, den kecken Beleidiger fremder Sitten und Meinungen, den prahlenden Aufdringer seiner eignen Vorzüge an Völker, die diese nicht begehren. Unter welchem Vorwande Jemand über die Grenze tritt, dem Nachbar als einem Sclaven das Haar abzuscheren, ihm seine Götter aufzuzwingen und ihm dafür seine Nationalheiligthümer in Religion, Kunst, Vorstellungsart und Lebensweise zu entwenden; im Herzen jeder Nation wird er einen Feind finden, der in seinen eignen Busen blickt und sagt: »Wie, wenn das mir geschähe?« Wächst dies Gefühl, so wird unvermerkt eine Allianz aller gebildeten Nationen gegen jede einzelne anmaßende Macht. Auf diesen stillen Bund ist gewiß früher zu rechnen, als nach St. Pierre auf ein förmliches Einverständniß der Cabinette und Höfe. Von diesen darf man keine Vorschritte erwarten; aber auch sie müssen endlich ohne Wissen und wider Willen der Stimme der Nationen folgen.
Sechste Gesinnung
Ueber Handelsanmaßungen
Laut empört sich das menschliche Gefühl gegen freche Anmaßungen im Handel, sobald ihm unschuldige fröhnende Nationen um einen Gewinn, der ihnen nicht einmal zu Theil wird, aufgeopfert werden. Handel soll, wenn auch nicht aus den edelsten Trieben, die Menschen vereinigen, nicht trennen; er soll sie, wenngleich nicht im edelsten Gewinn, ihr gemeinschaftliches und eigenes Interesse wenigstens als Kinder kennen lehren. Dazu ist das Weltmeer da, dazu wehen die Winde, dazu fließen die Ströme. Sobald eine Nation allen andern das Meer verschließen, den Wind nehmen will, ihrer stolzen Habsucht wegen, so muß, je mehr die Einsicht ins Verhältniß der Völker gegen einander zunimmt, der Unmuth aller Nationen gegen eine Unterjocherin des freiesten Elements, gegen die Räuberin jedes höchsten Gewinnes, die anmaßende Besitzerin aller Schätze und Früchte der Erde erwachen. Ihrem Stolz, ihrer Habsucht zu dienen, wird kein fremder Blutstropfe willig fließen, je mehr der wahre Satz eines vortrefflichen Mannes anerkannt wird, »daß die Vortheile der handelnden Mächte einander nicht durchkreuzen, und daß diese Mächte von einem gegenseitigen allgemeinen Wohlstande und von der Erhaltung eines ununterbrochenen Friedens vielmehr den größten Nutzen haben würden.«Pinto, »Ueber die Handelseifersucht«; übersetzt in der »Sammlung von Aufsätzen, die größtentheils wichtige Punkte der Staatswissenschaft betreffen«, Liegnitz 1776. Der Verfasser erstgenannter Abhandlung hat ihr folgende Stelle aus Büffon vorgesetzt: »Diese Zeiten, wo der Mensch sein Erbtheil verliert, diese barbarischen Jahrhunderte, wo Alles umkommt, haben jederzeit den Krieg zu ihrem Vorläufer und fangen mit Hungersnoth und Entvölkerung an. Der Mensch, der nur durch die Menge etwas vermag, der blos in der Vereinigung und Verbindung mit Seinesgleichen stark ist, der nicht anders als durch den Frieden glücklich ist, hat die Wuth, sich zu seinem Unglück zu bewaffnen und zu seinem Untergange zu streiten. Gereizt durch einen unersättlichen Geiz, verblendet durch eine noch unersättlichere Ehrsucht, entsagt er den Empfindungen der Menschlichkeit, wendet alle seine Kräfte gegen sich selbst an, bemüht sich, Einer den Andern zu Grunde zu richten, und verursacht endlich seinen wirklichen Untergang. Und nach diesen Blut- und Mordtagen, wenn der Nebel des Ruhms verschwunden ist, so sieht er mit einem traurigen Auge die Erde verwüstet, die Künste begraben, die Nationen geschwächt, sein eigen Glück zu Grunde und seine wahre Macht vernichtet.« – H.
Siebente Gesinnung.
Thätigkeit.
Endlich der Kornstengel in der Hand der indischen Frau ist selbst eine Waffe gegen das Schwert. Je mehr die Menschen Früchte einer nützlichen Thätigkeit kennen und einsehen lernen, daß durchs Kriegsbeil nichts gewonnen, aber viel verheert wird; je mehr die schmähenden Vorurtheile von einer mit göttlichem Beruf zum Kriege gebornen Kaste, in der von Vater Kain, Nimrod und Og zu Basan an Heldenblut fließe, verächtlich und lächerlich werden: desto mehr Ansehen wird der Aehrenkranz, der Apfel- und Palmzweig vor dem traurigen Lorbeer erhalten, der neben dunkeln Cypressen wächst und sammt Nesseln und Dornen nur Lacerten und Bubonen unter sich liebt.
Die sanfte Verbreitung dieser Grundsätze sind das Oel und die Arznei der großen Friedensgöttin Vernunft, deren Sprache sich endlich Niemand entziehen kann. Unvermerkt wirkt die Arznei, sanft fließt das Oel hinunter. Leise tritt sie zu diesem und jenem Volk und spricht in der Sprache der Indianer: »Bruder, Enkel, Vater, hier bringe ich Dir ein Bundeszeichen und Oel und Arznei. Damit will ich Deine Augen reinigen, daß sie scharf sehen; ich will damit Deine Ohren säubern, daß sie recht hören; ich will Deinen Hals glätten, daß meine Worte geschmeidig hinuntergehen; denn ich komme nicht umsonst, ich bringe Worte des Friedens.«
Und der Angeredete wird antworten: »Schwester, dieser String of WampumOben Brief 118 (S. 596) steht »Belt of Wampon«. – D. soll Dich willkommen heißen. Ich will die Dornen aus Deinen Füßen ziehen, die Dir etwa möchten hineingefahren sein. Ich will die Müdigkeit, die Dich auf der Reise befallen hat, wegschaffen, daß Deine Knie wieder stark und muthig werden. Das rothe Kriegsbeil und die Keule sollen in die Erde verscharrt sein, und über sie wollen wir einen Baum pflanzen, der bis in den Himmel wachse. So lange Sonne und Mond scheinen und auf- und niedergehen, so lange die Sterne am Himmel stehen und die Flüsse mit Wasser fließen, soll unsre Freundschaft dauern.Lauter Ausdrücke der Amerikaner bei ihren Friedensschlüssen und bei der Einweihung ihrer Friedensfrau. – H.
Wenn, wie ich fast glaube, ein ewiger Friede förmlich erst zum jüngsten Tags geschlossen werden wird, so ist dennoch kein Grundsatz, kein Tropfe Oel vergebens, der dazu auch nur in der weitsten Ferne vorbereitet.
Jede Aufmunterung zu guten Gesinnungen, ohne auf die Förmlichkeit ihrer Ausführung ängstliche Rücksicht zu nehmen, ist eine Trostpredigt. Oft sagt der Blöde: »Wann wird, wann kann dies geschehen?« und thut darüber gar nichts. Oft hält er sich zu früh und zu genau an die Bestimmung der Förmlichkeiten des Ausgangs und vergißt darüber das Wesentliche der Hilfsmittel, diesen Ausgang zu fördern. Viele Beispiels der Geschichte legen dies klar an den Tag.
In den alten Schriften der ebräischen Nation z. B. waren schöne Wünsche und Entwürfe für die Zukunft gepflanzt. Hoffnungen eines großen Lichts, das allen Völkern aufgehen, eines Bandes der Freundschaft, das alle Nationen umfassen sollte, einer Religion, die ins Herz geschrieben, eines goldnen Friedens, an dem Alles teilnehmen würde, glänzten wie eine Morgenröthe. Sobald man in diesen Entwürfen und Ahnungen den Geist des Weissagenden, seinen Zweck und die herrschende Gesinnung der Rede verkannte, als man sich an den Buchstaben hing und die Erfüllung förmlich bestimmte, da kamen Thorheiten ans Licht – Träumereien, mit deren jeder man um so weiter vom Sinn der Weissagung abwich, je förmlicher man bestimmte.
Nicht anders war's im Christenthum, als man auf die sichtbare Ankunft des Herren hoffte. In allen Schwärmersecten. die das tausendjährige Reich zu Stande bringen wollten, war's nicht anders. Mit mancher neuen Philosophie, fürchte ich, ist's eben also. Wie nahe der Erfüllung hat man sich bei manchen Systemen geglaubt, und wie schrecklich ward man betrogen! Die glänzende Höhe, die man dicht vor sich sah, rückte weiter und weiter. Da giebt der Getäuschte dann alle Hoffnung auf und läßt die Hände sinken.
Verbreiter guter Gesinnungen, schadet ihnen, schadet Euch selbst nicht durch Bezeichnung eines Aeußern, das blos von der Zeit und von Umständen bestimmt werden kann! Pflanzt den Baum! er wird von selbst wachsen; Erde, Luft, Sonne werden ihm Gedeihen geben. Sichert gute Grundsätze! durch eigne Kraft werden sie wirken – nicht anders aber als mit Modificationen, die Zeit und Ort ihnen allein geben können und geben werden.
Der Fürst
Zertheile Dich, trübes Gewölk!
Denn unter Dir wandelt der Edle,
Auf dessen Scheitel ein Strahl
Göttliches Glanzes traf.
Es leuchtet Segen durch Länder und Reiche,
Die seinem Winke gehorchen,
Die an den Stufen seines Throns
Suchen und finden ihr Glück.
Lob dem Erbarmenden, der ihn zum Pfleger
Der Menschheit setzte! Heil der Stunde, da
Sein großes Herz zum ersten Male schlug!
Edler! siebenmal edler als Tages Licht,
Was soll Dir Glanz des Goldes?
Was soll Dir Schimmer des Lobes?
Größe, die Du willst, ist Glückseligkeit der Völker,
Name, den Du suchst, ist der Name Vater.
Führ ihn! denn Dein heilig Herz
Ist Wohnung väterlicher Huld,
Und jedes Blut der Deinen ist das Deine,
Und jedes Leben Deiner Kinder Deins.
Der Fürsten Feinde, das scheue Gevögel der Nacht,
Heuchler und Schmeichler scheuen das Licht,
Welches der Himmel Dir gab,
Die Demuth, womit er Dich hoch belieh;
Sie nahen nicht dem Thron, worauf der Herr der Welt
Dir gab zu sitzen; fern ihm schwärmen sie.
Weisheit und Menschenliebe treten,
Du winkest sie herbei, vor Deinen Stuhl;
Du hörest ihre Rede, die Dir sagt:
»Du bist ein Mensch! Auch Du, o Fürst, bist Staub!
Sei Deines Thrones werth, sei groß und gut!
Sei gut! dann bist Du groß.«
Ruhm und Verachtung.
Du Thal des Irrthums, dahinab nur selten
Der Wahrheit Sonne scheinet, soll ich mich
Verwundern, wenn, erhitzt von Phantasie,
Die Dich bewohnen, schneller noch erkalten
Als glühend Eisen unter Schmiedes Hand?
Du mit dem Fluch von Täuschereien schwer-
Beladne Erde, soll ich staunen, wenn
Auf Dir Bewundrung bald Verachtung wird,
Da Zufall, Glück und Gunst und eitler Schimmer
Zu Deiner Achtung gnug ist? Jenem, der,
Den Donner in der Hand, auf Nationen
Verderben schleudert und der Völker Glück
Zerschmettert, Jenem knieest Du und rufst:
»Hier Arm der Gottheit!« Und wenn ihn das Glück,
Die falsche Braut, verließ, wenn ihn der Sieg
Nicht seinen Liebling nennet, kehrest Du
Dein Antlitz von ihm weg. Oft führet Wahn
Zum Altar eines Götzen, den auch Wahn
Und Trug erschufen; Schwärmerei und Wahn
Streun ihren Weihrauch ihm; da rufest Du
Entzückt: »Hier ist der Weisheit letzter Spruch!«
Weh ihm, dem Götzen! weh dem Altar! Bald
Wird über ihn die Maus hinlaufen, bald
Der Sperling auf ihm hüpfen. Tolles Ding
Um Ehr' und Schand', um Ruhm und um Verachtung
Des Menschenvolks! Mit beiden Händen theilt
Der Thor sie Thoren aus. Du fromm Geschlecht!
O suche Ruhm und Achtung nur bei Dem,
Der nicht wie Menschen nur Gebräuchen fröhnt,
Bei dem der Werth des Guten ewig gilt.
Wer bei dem Ewigen den Wechsel sucht,
Wer bei dem Höchsten Ungerechtigkeit
Erwartet, der verleugnet ihn. Bewahre
Mich, Herr! bewahre mein Geschlecht für Ruhm
Bei Thoren! Schand' und Spott ist er vor Dir.
Al Hallil's Klagegesang.Vgl. oben S. 599, Anm., und Werke, VI. S. 129 f. u. 264. – D.
Laßt mich weinen! das Weinen bringt nicht Schande.
Laßt mich klagen! denn klagen soll der Betrübte.
O Humane!Al Hallil nennt ihn Houmana. – H. wie soll ich Dich jetzt nennen?
Himmlische Namen hast Du; wer kann sie sprechen?
Schaut, o schauet den Schmerz in meiner Seele,
Engel, die ihn ins Thal des Todes führten!
Gottesboten, Ihr führtet ihn als Brüder,
Euren Bruder. Ich seh' ihn freundlich lächeln
Mitten im Todesthal. Er warf die Hülle
Leicht von sich und ersah den offnen Himmel.
Laßt uns folgen, Ihr Brüder! Beider Welten
Vater wird uns auch dort die Hütte bauen.
O Humane, wie soll ich Dich jetzt nennen?
Himmlische Namen hast Du; wer mag sie sprechen?
Heil der keuschen Mutter, die Dich geboren!
Denn sie mehrte die Zahl der Engel mit Dir.
Wie der Bach, der das Paradies durchschlängelt,
War Dein Herz, wie der Morgenstern Dein Innres.
Sanft wohlthätiges Licht der Sonne, freundlich
Wie die Sommernacht, wie der Silbermondstrahl!
Auge warst Du dem Fürsten wie dem Armen;
Eins nur kanntest Du nicht, das Gift der Schlangen.
Worte des Trostes gabst Du uns, nicht Wermuth,
Heucheltest nie uns Demuth, nie uns Freundschaft.
Ungesehen auch warst Du edel, übtest
Im Verborgenen Guts, wie Gott, Dein Vater.
Nie erwartetest Du, was Du nicht selber
Leisten konntest, o Du der Menschheit Zierde!
Und gewelket so bald sind Deine Blüthen!
Deine Zweige, wie sinken sie zur Erde!
Klagt mit mir, Jungfrauen! o klagt, Ihr Knaben!
Seine schöne Gestalt ist uns entnommen!
Nie eröffnet sich uns sein holder Mund mehr.
Wenn in einem Felde der Wissenschaft menschliche Gesinnungen herrschen sollten, so ist's im Felde der Geschichte; denn erzählt diese nicht menschliche Handlungen? und entscheiden diese nicht über den Werth des Menschen? bauen diese nicht unsers Geschlechts Glück und Unglück?
Man sagt, die Geschichte erzähle Begebenheiten, und ist beinah geneigt, diese für so unwillkürlich, ja für so unerklärbar anzusehen, wie man in den dunkelsten Jahrhunderten die Naturbegebenheiten nicht ansah, sondern anstaunte. Ein erregter Krieg oder Aufruhr gilt der gemeinen Geschichte wie ein Ungewitter, wie ein Erdbeben; die ihn erregten, werden als Geißel der Gottheit, als mächtige Zauberer betrachtet, und damit gnug!
Eine Geschichte dieser Art kann die klügste oder die stupideste werden, nachdem der Sinn ihres Verfassers war.
Die stupideste wird sie, wenn sie in einem sogenannt großen und göttlichen Mann Alles bewundert und keine seiner Unternehmungen an ein Richtmaaß menschlicher Vernunft zu bringen sich erkühnt. Manche morgenländische Geschichte von Nadir-Schah, Timur-Leng u. s. w. sind so geschrieben; wir lesen eine lobjauchzende Epopöe, mit einer dürren oder abscheulichen Thatenreihe fröhlich durchwebt.
Europa hat an diesem morgenländischen Geschmack vielen Antheil genommen, nicht etwa nur in den Zeiten der Kreuzzüge, sondern auch in den meisten Lebensbeschreibungen einzelner Helden, in der Geschichte ganzer Secten, Familien und Familienkriege. Man staunt, wenn man die Andacht und Anhänglichkeit des Schriftstellers an seinen verehrten Gegenstand wahrnimmt, und kann nichts Anders sagen, als: »Er hat aus dem Becher der Betäubung getrunken; Wein der Dämonen hat ihm die Sinne benebelt.«
Die klügste Geschichte dieser Art ist die kälteste, etwa wie Macchiavell sie trieb und ansah. Auch sie vergißt Recht und Unrecht, Laster und Tugend, indem sie, rein wie ein Geometer, den Erfolg gegebener Kräfte ausmißt und fortgehend einen Plan berechnet. Daß aus dieser Macchiavellischen Geschichte, wenn sie scharf sieht und richtig rechnet, viel zu lernen sei, ist keine Frage. Beschäftigt sie sich nicht mit dem verflochtensten, wichtigsten Problem, das unserm Geschlechte vorliegt? Menschenkräfte im Verhältniß ihrer Wirkungen und Folgen.
Wäre nur dies Problem auch rein aufzulösen! Auf dem Schauplatz der Erde, selbst in ihren engsten Winkeln, läuft so Vieles durch einander; gegenseitige Kräfte stören einander, und in Alles mischen sich Umstände, Zeit, Glück, der tausendarmige Zufall. Der Klügste ward hintergangen; der Besonnenste verfehlte seinen Zweck. Also wird diese Schule des Unterrichts oft eine Romanschule, da man dem glücklichen Helden Klugheit leiht, die er nicht hatte, und von schimmernden Erfolgen nach einem falschen Calcül rückwärts rechnet, oder sie wird, wenn die besten Kräfte durch einen Zufall mißrathen, eine niederschlagende Lection, eine Schule der Verzweiflung. Ueberhaupt aber macht dieser Wetzstein der Klugheit das Gemüth leicht zu scharf, zu schartig.
Wer kann Macchiavell's »Prinzen« ohne Schauder lesen? Wenn ihm auch Alles gelänge, wäre er ein würdiger Fürst? wäre er in seinem Busen glücklich? Entsetzlich ist's, die Menschheit nur als eine Linie zu betrachten, die man nach Gefallen zu seinem Zweck krümmen, schneiden, verlängern und verkürzen darf, damit ein Plan erreicht, damit die Aufgabe nur gelöst werde.
Also können wir uns vom Menschengefühl nicht trennen, indem wir die Geschichte schreiben oder lesen; ihr höchstes Interesse, ihr Werth beruht auf dieser Menschenempfindung, der Regel des Rechts und Unrechts. Wer blos für Klugheit schreibt, geräth leicht in Dünkel; wer nur für die Neugierde schreibt, schreibt für Kinder. Was bestimmt aber diese Regel des Rechts? Auch hier giebt's eine zu warme und zu kalte Geschichte.
Die erhitzte will zur Ehre Gottes Alles bewirken und erlaubt sich zu diesem vermeinten Zweck Frevel und Unsinn. So unterjochte Timur eine halbe Welt, den Mohammedanischen Glauben auszubreiten, und wollte im höchsten Alter noch das ruhige China bekriegen; so zogen die Nationen Europa's zum heiligen Grabe; so würgten die Spanier in Amerika; so marterte und verfolgte die Inquisition. Schreckliche Leidenschaften der Menschen umhüllten sich mit dem Mantel Gottes und zerstörten und quälten.
Die kalte Geschichte rechnet unter der Regel eines angeblichen positiven Rechts nach Staatsplanen, und auch sie wird in Befolgung dieser oft sehr warm. Wohl des Vaterlandes, Ehre der Nation wird in ihr das Feldgeschrei und bei trüglichen Unterhandlungen die Staatslosung. Die Athener, die Römer – was rechneten sie nicht zum Wohl ihres Vaterlandes, zu ihrem Ruhm, mithin zu ihrem Recht? Was erlaubten sich der Papst, die Klerisei, die christlichen Könige nicht zum angeblichen Wohl ihrer Reiche? Erzählt die Geschichte dies Alles gleichgiltig oder gar zutrauend, glaubend, so geräth man mit ihr in ein Labyrinth der verflochtensten, widrigsten Staatsinteresse, persönlicher Anmaßungen und Staatslisten. Ein großer Theil der Begebenheiten unsrer zwei letzten Jahrhunderte, die sogenannten Denkwürdigkeiten (mémoires), Lebensbeschreibungen, politische Testamente sind in diesem Sinn, dem Geist Richelieu's, Mazarin's und früher noch Karl's V., Philipp's II., Philipp's des Schönen, Ludwig's XI., XIII., XIV., kurz, im Geist der spanisch-französischen Staatspolitik geschrieben. Ein fürchterlicher Geist, der sich zum Wohl des Staats, d. i. zum Ruhm und zur größeren Macht der Könige, zur Sicherheit und Größe ihrer Minister Alles erlaubt hielt! In welcher Geschichte er durchblickt, schwärzt er das Glänzendste mit dem Schatten der Eitelkeit, der Truglist, der Anmaßung, der Verschwendung. Vergessen ist in ihm die Menschheit, die nach ihm blos für den Staat, d. i. für Könige und Minister, lebt.
Allgemach sind wir auch diesem Nebel entkommen; aber ein anderes Glanzphantom steigt in der Geschichte auf, nämlich die Berechnung der Unternehmungen zu einer künftigen bessern Republik, zur besten Form des Staats, ja aller Staaten. Dies Phantom täuscht ungemein, indem es offenbar einen edleren Maaßstab des Verdienstes in die Geschichte bringt, als den jene willkürliche Staatsplane enthielten, ja gar mit den Namen Freiheit, Aufklärung, höchste Glückseligkeit der Völker blendet. Wollte Gott, daß es nie täuschte! Die Glückseligkeit eines Volks läßt sich dem andern und jedem andern nicht aufdringen, aufschwätzen, aufbürden. Die Rosen zum Kranze der Freiheit müssen von eignen Händen gepflückt werden und aus eignen Bedürfnissen, aus eigner Lust und Liebe froh erwachsen. Die sogenannt beste Regierungsform, die unglücklicherweise noch nicht gefunden ist, taugt gewiß nicht für alle Völker auf einmal, in derselben Weise; mit dem Joch ausländischer, übel eingeführter Freiheit würde ein fremdes Volk aufs Aergste belästigt. Eine Geschichte also, die bei allen Ländern auf diesen utopischen Plan nach unbewiesenen Grundsätzen Alles berechnet, ist die glänzendste Truggeschichte. Ein fremder Firniß, der den Gestalten unsrer und der vorigen Welt ihre wahre Haltung, selbst ihre Umrisse raubt. Viele Schriften unsrer Zeit wird man zwanzig Jahr später als wohl- oder übelgemeinte Fieberphantasien lesen; reifere Gemüther lesen sie jetzt schon also.
Also bleibt der Geschichte einzig und ewig nichts als der Geist ihres ältesten Schreibers, Herodot's, der unangestrengte, milde Sinn der Menschheit. Unbefangen sieht dieser alle Völker und zeichnet jedes auf seiner Stelle, nach seinen Sitten und Gebräuchen. Unbefangen erzählt er die Begebenheiten und bemerkt, wie allenthalben nur Mäßigung die Völker glücklich mache und jeder Uebermuth seine Nemesis hinter sich habe. Dies Maaß der Nemesis, nach feineren oder größeren Verhältnissen angewandt, ist der einzige und ewige Maaßstab aller Menschengeschichte.
»Was Du nicht willst, daß Dir geschehe, das thue keinem Andern!« Die Rache kommt, ja, sie ist da, bei jeder Verirrung, bei jedem Frevel. Alle Mißverhältnisse und Unbilligkeiten, jede stolze Anmaßung, jede feindselige Verhetzung, jede Treulosigkeit hat ihre Strafe mit oder hinter sich; je später, desto schrecklicher und ernster. Die Schuld der Väter häuft sich mit zerschmetterndem Gewicht auf Kinder und Enkel. Gott hat den Menschen nicht erlaubt, lasterhaft zu sein, als unter dem harten Gesetz der Strafe.
Wiederum belohnt sich auch in der Geschichte das kleinste Gute. Kein vernünftiges Wort, was je ein Weiser sprach, kein gutes Beispiel, kein Strahl auch in der dunkelsten Nacht war je verloren. Unbemerkt wirkte es fort und that Gutes. Kein Blut des Unschuldigen ward fruchtlos vergossen; jeder Seufzer des Unterdrückten stieg gen Himmel und fand zu seiner Zeit einen Helfer. Auch Thränen sind in der Saat der Zeit Samenkörner der glücklichsten Ernte. Das Menschengeschlecht ist ein Ganzes; wir arbeiten und dulden, säen und ernten für einander.
Wie milde, wie sanft aufmunternd, aber auch wie ernst und zusammenhaltend ist dieser Geist der Menschengeschichte! Er läßt jedes Volk an Stelle und Ort; denn jedes hat seine Regel des Rechts, sein Maaß der Glückseligkeit in sich. Er schont alle und verzärtelt keines. Sündigen die Völker, so büßen sie, und büßen so lange und schwer, bis sie nicht mehr sündigen. Wollen sie nicht Kinder sein, so erzieht die Natur sie als Sclaven.
Keiner politischen Verfassung tritt dieser Geist der Geschichte zerstörend in den Weg. Er wirft nicht das Haus dem Ruhigen über den Kopf zusammen, ehe ein anderes besseres da ist, zeigt aber dem zu Sichern mit freundlicher Hand Fehler und Mängel des Hauses und führt mit stillem Fleiß Materialien herbei zur Stützung des alten oder zum Bau eines bessern.
Nationalvorurtheile tastet er nicht an; denn in ihnen als Hülsen oder harten Schalen muß manche gute Gesinnung wachsen. Er läßt sie wachsen; wenn die Frucht reif ist, verdorrt die Hülse, die Schale zerspringt. Ihm ist's recht, wenn der Franzmann und der Engländer sich ihre humanité und humanity englisch und französisch malen; desto weniger wird der Ausländer um sie zu seinem Verderb buhlen. Aus seinem Herzen muß eine Geliebte hervorgehn, die für ihn gehört.
Am Heiligsten sind dem Geist der Menschengeschichte gutmüthige Thoren und Schwärmer; sie sind ihm unter der besondersten göttlichen Obhut. Ohne Begeisterung geschah nichts Großes und Gutes auf der Erde; die man für Schwärmer hielt, haben dem menschlichen Geschlecht die nützlichsten Dienste geleistet. Trotz alles Spottes, trotz jeder Verfolgung und Verachtung drangen sie durch; und wenn sie nicht zum Ziel kamen, so kamen sie doch weiter und brachten weiter. Lebendige Winde waren sie über dem abgestandenen Sumpf, oder sie dämmten ihn und machten ihn fruchtbar. Leeren Spott über sie erlaubt sich nie der Geist der Geschichte; höchstens bedauern wird er sie, nicht brandmalen.
Alle überfeinen Eintheilungen der Menschen nach Principien, aus denen sie ausschließend handeln sollen, sind dem Geist der Geschichte ganz fremde. Er weiß, daß in der Menschennatur das Principium der Sinnlichkeit, der Einbildungskraft, des Eigennutzes, der Ehre, des Mitgefühls mit Andern, der Gottseligkeit, des moralischen Sinnes, des Glaubens u. s. w. nicht in abgetrennten Kammern wohnen, sondern daß in einer lebendigen Organisation, die von mehreren Seiten geregt wird, viele von ihnen, oft alle lebendig zusammenwirken. Jedem von ihnen läßt er seinen Werth, seinen Rang, seinen Ort, seine Zeit der Entwicklung, überzeugt, daß alle, auch unbewußt, zu einem Zweck, dem großen Principium der Menschlichkeit, wirken. Alle also läßt er zu ihrer Zeit an Stelle und Ort blühn, Sinnlichkeit und die Künste der Phantasie, Verstand und Sympathie, Ehre, moralischen Sinn und heilige Andacht. Er zwingt so wenig den Magen, zu denken, als den Kopf, zu verdauen, und quält Niemand mit der Zergliederung, ob auch jeder Bissen Brod, den er in den Mund steckt, ein allgemeines moralisches Grundgesetz aller vernünftigen Wesen im Kauen und Verdauen gebe. Kaue Jeder, wie er kann; die Geschichte behandelt die Menschen nicht als Wortfinder und Kritiker, sondern als Thäter eines moralischen Naturgesetzes, das in ihnen Allen spricht, das zuerst linde warnt, dann härter straft und jede gute Gesinnung durch sich und ihre Folgen reich belohnt. Reizt Sie nicht dieser Geist der Menschengeschichte?
Sie scheinen zu glauben, daß eine Geschichte der Menschheit nicht statthabe, so lange man den Ausgang der Dinge nicht weiß oder, wie man zu sagen pflegt, den jüngsten Tag noch nicht erlebt hat. Ich bin nicht dieser Meinung. Möge sich das Menschengeschlecht verbessern oder verschlimmern; möge es einst zu Engeln oder Dämonen, zu Sylphen oder zu Gnomen werden: wir wissen, was wir zu thun haben. Nach festen Grundsätzen unsrer Ueberzeugung von Recht und Unrecht betrachten wir die Geschichte unsers Geschlechts, möge sein letzter Act ausgehn, wie er wolle.
Monboddo z. B. sieht in seiner Geschichte und Philosophie des MenschenAncient Metaphysics, Vol. III. London 1784. Dieser Theil des großen Werks wäre wegen der gesammelten Thatsachen eines deutschen Auszuges gewiß werth. – H. ihn als ein System lebendiger Kräfte an, in welchem sich das Elementarische, das Pflanzen-, Thier- und Verstandesleben unterscheide. Das animalische Leben, meint er, sei im besten Zustande gewesen, da die Menschen thierähnlich lebten. Er findet hievon noch Aehnlichkeit bei den Kindern. Die Alter, die der Mensch als Individuum durchgehe, hält er auch für die Laufbahn des ganzen Geschlechtes. Dies führt er also in seinen ersten nackten Zustand in freier Luft, in Regen, in Kälte zurück und zeigt, was die Bekleidung, das Wohnen in Häusern, der Gebrauch des Feuers, die Sprache auf das Menschengeschöpf gewirkt haben. Er zeigt die Fähigkeiten, die es hatte, zu schwimmen, aufrecht zu gehen, Uebungen anzustellen, und findet in diesem Zustande den Grund jenes längeren Lebens, jener größeren Gestalt und Stärke, von der uns die Sage der Urwelt erzählt. Aus Beispielen und Nachrichten erweist er, wie durch Veränderung der Lebensweise, durchs Fleischessen und den Trank geistiger Getränke, durch die sitzende Lebensart bei Künsten, Gewerben, Spielen, durch feinere Nahrungsmittel, Wollüste und Zeitvertreibe der Körper des Menschen geschwächt, verkleinert, sein Leben verkürzt worden. Dagegen zeigt er, wie der Verstand des Menschen durch Gesellschaft und Künste zugenommen, wie die Sagacität eines Naturmenschen von der Klugheit des civilisirten Mannes sich unterscheide, wie alle Künste aus Nachahmung entsprungen und die Idee des Schönen blos dem civilisirten Zustande eigen sei. In beiden Altern der Menschheit findet er Nationen, Familien, Individuen unterschieden, unser Geschlecht aber überhaupt in Abnahme animalischer Kräfte und hat hierüber Erinnerungen gegeben, die Jeder anwende, wie er mag und kann.
Gehen wir in dies Alles ein (wie denn Monboddo's System einiger Eigenheiten des Verfassers wegen gewiß nicht lächerlich gemacht zu werden verdient), nehmen wir an, was auch die Geschichte lehrt, daß fast alle Völker der Erde einmal in einem roheren Zustande gelebt und nur von wenigen die Cultur auf andre gebracht sei, was folgt daraus?
1. Daß auf unsrer runden Erde noch alle Zeitalter der Menschheit leben und weben. Da giebt's Völkerschaften im Kindes-, Jünglings-, Mannesalter, und wird deren wahrscheinlich noch lange geben, ehe es den seefahrenden Greisen Europa's gelingt, durch gebrannte Wasser, Krankheiten und Sclavenkünste sie zum Greisesalter zu befördern. Wie uns nun jede Pflicht der Menschlichkeit gebeut, einem Kinde, einem Jünglinge sein Lebensalter, das System seiner Kräfte und Vergnügen nicht zu stören, so gebietet sie solches auch Nationen gegen Nationen. Sehr angenehm sind mir in diesem Betracht mehrere Unterredungen der Europäer, insonderheit der Missionare mit ausländischen Völkern, z. B. Indiern, Amerikanern; die naivsten Antworten voll guten Herzens und gesunden Verstandes waren fast immer auf Seite der Ausländer. Sie antworteten kindisch treffend und richtig, dagegen die Europäer mit Aufdringung ihrer Künste, Sitten und Lehren meistens die Rolle abgelebter Alten spielten, die völlig vergessen hatten, was einem Kinde gehörte.
2. Da die Unterscheidung elementarischer, animalischer, vegetativer und Verstandeskräfte nur ein Gedanke ist, in dem jeder Mensch aus allen diesen, wenngleich in verschiedenem Verhältniß, besteht, so hüte man sich, diese und jene Nation ganz für animalisch zu halten, um sie als Lastthiere zu gebrauchen. Der reine Intellectus bedarf keines Lastthiers, und so wenig also der intellectuellste Europäer der Pflanzen- und Thierkräfte in seinem Lebenssystem entbehren kann, so wenig ermangelt irgend eine Nation ganz des Verstandes. Vielgestaltig ist dieser allerdings in Ansehung der ihn regenden Sinnlichkeit nach der verschiedenen Organisation der Völker, indessen ist und bleibt er in allen Menschengestalten nur ein und derselbe. Das Gesetz der Billigkeit ist keiner Nation fremd; die Uebertretung desselben haben alle gebüßt, jede in ihrer Weise.
3. Wenn intellectuelle Kräfte in mehrerer Ausbildung der Vorzug der Europäer sind, so können sie diesen Vorzug nicht anders als durch Verstand und Güte (beide sind im Grunde nur eins) beweisen. Handeln sie impotent, in wüthenden Leidenschaften, aus kaltem Geiz, in niedrig vermessenem Stolze, so sind sie die Thiere, die Dämonen gegen ihre Mitmenschen. Und wer leistet den Europäern Bürgschaft, daß es ihnen nicht an mehreren Enden der Erde wie in Abessinien, China, Japan ergehen könne und ergehen werde? Je mehr ihre Kräfte und Staaten in Europa altern, je mehr unglückliche Europäer einst diesen Welttheil verlassen, um dort und hier mit den Unterdrückten gemeinschaftliche Sache zu machen, so können intellectuelle und animalische Kräfte sich in einer Weise verbinden, die wir jetzt kaum vermuthen. Wer sieht in die vielleicht schon gepflanzte Saat der Zukunft? Cultivirte Staaten können entstehen, wo wir sie kaum möglich glauben; cultivirte Staaten können verdorren, die wir für unsterblich hielten.
4. Sollte in Europa auf Wegen, die wir zu bestimmen nicht vermögen, die Vernunft einmal so viel Werth gewinnen, daß sie sich mit Menschengüte vereinigte: welch eine schöne Jahrszeit für die Glieder der Gesellschaft unsers ganzen Geschlechtes! Alle Nationen würden daran Theil nehmen und sich dieses Herbstes der Besonnenheit freuen. Sobald im Handel und Wandel das Gesetz der Billigkeit allenthalben auf Erden herrscht, sind alle Nationen Brüder; der Jüngere wird dem Aelteren, das Kind dem verständigen Greise mit dem, was es hat und kann, willig dienen.Unter vielen Andern erinnere ich hier abermals an Le Vaillant's neuere Reise. Der Unterschied, den er zwischen Nationen, die von Europäern verderbt sind oder mißhandelt werden, und zwischen autonomischen Völkern bemerkt, ist schneidend. Seine Grundsätze, wie mit diesen umzugehen sei, sind auf der ganzen Erde anwendbar. – H.
5. Und wäre diese Zeit undenkbar? Mich dünkt, sie müsse selbst auf dem Wege der Noth und des Calcüls erscheinen. Selbst unsre Ausschweifungen und Lasterthaten müssen sie fördern. In Verhältnissen des Menschengeschlechts müßte keine Regel, in seiner Natur keine Natur herrschen, wenn nicht durch innere Gesetze dieses Geschlechts selbst und den Antagonismus seiner Kräfte diese Periode herbeigebracht würde. Gewisse Fieber und Thorheiten der Menschheit müssen mit Fortrückung der Jahrhunderte und Lebensalter abbrausen. Europa muß ersetzen, was es verschuldet, gutmachen, was es verbrochen hat, nicht aus Belieben, sondern nach der Natur der Dinge selbst; denn übel wäre es mit der Vernunft bestellt, wenn sie nicht allenthalben Vernunft und das Allgemeingute nicht auch das Allgemeinnützlichste wäre. Die Magnetnadel unsrer Bestrebungen sucht diesen Pol; nach allen Irren und Schwankungen wird und muß sie ihn finden.
6. Daß also Niemand aus dem Ergrauen Europa's den Verfall und Tod unsers ganzen Geschlechts augurire! Was schadete es diesem, wenn ein ausgearteter Theil von ihm unterginge? wenn einige verdorrte Zweige und Blätter des saftreichen Baumes abfielen? Andre treten in der verdorrten Stelle und blühen frischer empor. Warum sollte der westliche Winkel unsers Nordhemisphärs die Cultur allein besitzen? Und besitzt er sie allein?
7. Die größten Revolutionen des Menschengeschlechts hingen bisher von Erfindungen oder von Revolutionen der Erde ab; wer kennt diese in der unabsehlichen Folge der Zeiten? Klimate können sich ändern; aus mehreren Ursachen kann manches bewohnte Land unbewohnbar, manche Colonie zum Mutterlande werden. Wenige neue Erfindungen können viele ältere aufheben, und da überhaupt die höchste Anstrengung (unleugbar der Charakter fast aller europäischen Staatskunst) nothwendig nachlassen oder überstürzen muß, wer vermag die Folgen hievon zu berechnen? Wahrscheinlich ist unsre Erde ein organisches Wesen; wir kriechen auf dieser Pomeranze wie kleine, kaum merkbare Insecten umher, quälen einander und bauen uns hie und da an. Wenn der Himmel fällt, sagt das Sprichwort, wo bleiben die Sperlinge? Wenn hier oder dort die Pomeranze modert, tritt vielleicht eine andre Generation auf, ohne daß deshalb die erste eben am intellektuellen Theil ihres Systems, am Verstande, untergegangen wäre. Was sie eher hinrichten konnte, war Ausschweifung, Laster, Mißbrauch ihres Verstandes. Gewiß sind die Perioden der Natur in Ansehung aller Geschlechter auf einander calculirt, daß, wenn die Erde Menschen nicht mehr wärmen und nähren kann, Menschen ihre Bestimmung auf ihr auch erfüllt haben werden. Die Blüthe welkt, sobald sie ausgeblüht hat, sie läßt aber auch Frucht nach. Wäre also die höchste Aeußerung intellectueller Kraft unsre Bestimmung, so forderte eben diese von uns, dem künftigen, uns unbekannten Aeon einen guten Samen nachzulassen, damit wir nicht als weichliche Mörder sterben.
Monboddo sieht unsere Erde als eine Erziehungsanstalt an, aus der unsre Seelen gerettet werden. Der einzelne Mensch kann und darf sie nicht anders ansehen; denn er kommt und geht vorüber. Auf der Stelle, auf welcher er ohne sein Wollen erscheint, muß er sich helfen, so gut er kann, und das System seiner elementaren und vegetativen, seiner animalischen und intellectuellen Kräfte ordnen lernen. Allmählig sterben sie ihm ab, bis der ausgebildete Geist verfliegt. Auch hier ist Monboddo's System consequent, das ich, unvollendet wie es ist, mancher andern kaufmännisch-politischen Geschichte der Menschheit vorziehe. Zu einer Geschichte unsers Geschlechts gehören kaufmännisch-politische Considerationen nur als ein Bruchstück; ihr Geist ist sensus humanitatis, Sinn und Mitgefühl für die gesammte Menschheit.
Der Geist der Schöpfung
Auch ich war Pilgrim in der Wüstenei,
Und matt vom Wege, sprach ich: »Herr der Welt!
Ein Blick von Dir verjüngt die Schöpfung. Sieh!
Die Sonne brennt auf mich; im Sande glüht
Mein nackter Fuß, und meine Zunge lechzt.
Ich wanke. Herr, mein Licht erlischt.« Da sah
Ich vor mir einen schmalen Rasen, rings
Umflochten von Gebüsch. Ein Palmbaum stand
An einer Quelle, und auf Baum und Büschen
Hing unter Blüthen manche schöne Frucht.
Ich kostete, ich trank, ich dankte Gott
Und legte mich zur Ruhe nieder. Sanft
Umhüllete der Schlaf mein Auge, bis
Ein Wundertraum mich schnell erweckete.
Der Geist der Schöpfung stand vor mir und sprach:
»Steh auf, o Mensch! Du hast genug geruht
Auf diesem Beet von zehentausend Pflanzen
Und Kräutern meines Herrn. Du bist gestärkt.
Die Hindin dort will auch verschmachten. Scheu
Erwartet sie, daß Du aufstehest.« Auf
Sprang ich und sah die Hindin mir zu Füßen,
Die Mutter war. Sie blickte froh mich an
Und sprang zu ihrer Weide. »Guter Gott,«
Rief ich, »der Du für Alles sorgest! Wenn
Dein Wink dort Sonnen lenkt, so denkst Du auch
Des Wandrers in der Wüste, daß sein Stab
Nicht breche, daß die Hindin nicht verschmachte«
Die Zeitenfolge
Komm, Unzufriedner, näher! Tritt herzu,
An dessen Herzen Mißvergnügen nagt!
Schuf Irgendwen der Allmacht Hand zur Qual?
Er, der nur Huld ist, schuf er je zum Unglück?
Es sprach der Mächtige (die Wahrheit spricht
In allen seinen Werken): »Euer Tagwerk
Sei Seligkeit! Mit diesem Segen lass ich,
Geschöpfe, Euch aus meiner Hand.« Und sieh!
Da standen sie, die Lebenden, unwissend,
Was Leben war. Sie schöpften Othem wie
Nach einem schweren Traum; sie sahn die Welt!
Und Engel ließen sich auf Wolken nieder,
Bewundernd dieser Schöpfung neuen Raum,
Die Wohnung süßer Freuden, sahn im Geist
Glückselige zukünft'ger Zeiten wallen
Und riefen, voll von himmlischem Gefühl:
»Du hast hier reiche Saaten ausgestreut.
Allgütiger! Wer kann die Ernte fassen
In diesen Segensgründen? Trauen wird
Der Gute Dir! Gelingen wird sein Werk.«
So sangen sie. Hebt Eure Augen auf,
Ihr Menschen, sehet Eures Vaters Schöpfung
Und hofft auf ihn! Auch in der Menschheit kann
Sein Werk nicht fehlen. Du der Welten Vater!
Ich weiß es, Worte thun es nicht vor Dir;
Beredsamkeit verstummet. Wie sich Kinder
Der Blumen freun, freun wir uns Deiner Schöpfung.
Wie ihrer zeitlichen Versorger sie
Zutrauend harren, hoffen wir auf Dich
Und üben froh Dein Werk. Die schönste Gabe
Des Sterblichen ist ein zufriednes Herz.
Das Gegengift
Preis sei dem Geber! jede seiner Gaben
Ist huld- und weisheitvoll. Er theilte sie,
Er wog sie ab zur langen Dauer und
Vollkommenheit der Schöpfung. Seine Erde
Gab er nicht Engeln, Menschen gab er sie.
Der Menschen Bester ist, wer selten strauchelt,
Ihr Edelster, wer bald vom Fall aufsteht.
Tief keimete das Laster in der neu-
Geschaffnen Erde; wild schoß es empor,
Gift seine Blüthe, seine Früchte Tod.
Da schuf er ihm ein mächtig Gegengift,
Für Thorheit ein Verwahrungsmittel, Arbeit.
Sie macht' er uns zum heiligsten Gesetz,
Den Fleiß zur Pflicht. Arbeitsamkeit verriegelt
Die Thür dem Laster, das dem Müssigen
Zur Seite schleicht, und hinter ihm das Unglück.
Willst Du dem Feinde fluchen, wünsch ihm Muße;
Auf Muße folgt viel Böses, und des Kummers
Gar viel. Arbeitsam, wirkt die Seele froh;
Langweil'ger Müssiggang beschäftigt sie
Zur Reue, zum Verderben. Thorheit leitet
Den Müssigen; Muthwill' und Vorwitz führen
Ins Dunkel ihn, wo Gott nicht ist. Arbeitet,
Ihr Weisen in dem Volk, befördert Euer
Und Vieler Glück! Wo wohnt Beruhigung?
Wo Segen der liebreichen Gottheit? wo
Genuß der Tage? wo das edelste
Vergnügen? Nur in Arbeit! – – –
Von frühen Jahren habe ich mich auch in die fremdesten Hypothesen zu setzen gesucht, und ich kam fast von allen mit dem Gewinn einer neuen Seite der Wahrheit oder ihrer Bestärkung zurück; darf ich aber bekennen, daß ich der Hypothese von einer radicalen bösen Grundkraft im menschlichen Gemüth und Willen durchaus nichts Gutes abgewinnen kann?Von der sogenannten Erbsünde ist hier nicht die Rede; denn diese ist Krankheit. – H. [Herder wollte sich hier, freilich auf etwas sonderbare Weise, gegen die Theologen den Rücken freihalten. – D.] Ich lasse sie jedem Liebhaber; meinem Verstande bringt sie kein Licht, meinem Herzen keine freudige Regung.
Gewöhnlich leitet man die Hypothese von zweien einander feindseligen Grundursachen der Dinge von den Persern her; ihre böse Anwendung aber sollte man nicht daher leiten. In der Physik war's offenbar Kindheit der Wissenschaft, wenn man die Nacht für böse, den Tag für gut erklärte; die Gesetze, die beide hervorbringen, sind gut und höchst einfach. In der Moral sind sie es ebenso sehr, und die Philosophie der Perser ging gerade darauf hin, dies auszuführen. Die Finsterniß, sagte sie, sei Unform, das Licht, seiner Natur nach, bilde, leuchte und erwärme. Trotz aller Widerstrebungen sei Ahriman schwach, Ormuzd werde und müsse ihn überwinden. Ihre Religion forderte also in Gedanken, Worten, Handlungen zu diesem Siegeskampf als zum eigentlichen Geschäft des menschlichen Lebens auf. Licht zu schaffen und fortzubreiten, wirksam zu sein in jedem Guten, zu reinigen, zu erfreuen, sei unser Geschäft. Ebendeshalb stehen wir zwischen Licht und Dunkel.
Das Christenthum ging mit tiefergreifenden Regungen auf diesem Wege fort. Kein sclavisches Volk, das sich ewig unter dem Joch krümmt und an Ketten windet, sollte nach ihm das Menschengeschlecht sein, sondern ein freies, fröhliches Geschlecht, das, ohne Furcht eines machthabenden Henkergeistes, das Gute des Guten wegen, aus innrer Lust, aus angeborner Art und höherer Natur thue, dessen Gesetz ein königliches Gesetz der Freiheit, ja dem eigentlich kein Gesetz gegeben sei, weil die Gottesnatur in uns, die reine Menschheit, des Gesetzes nicht bedürfe.
Unverkennbar ist dies der Geist des Christenthums, seine native Gestalt und Art. Nur dunkle barbarische Zeiten haben den großen Lehnsherren des Bösen, dessen angebornes Erbvolk wir seien, von dem uns Gebräuche, Büßungen und Geschenke zwar nicht wirklich, aber gewandsweise befreien könnten, der Stupidität und Brutalität antichristlich wiedergegeben. Wer wollte in diese Milton'sche Hölle greifbarer Nacht und solider Finsterniß zurückkehren?
Ueber der Erde sehen wir von dieser massiven Urhölle nichts. Wo Böses ist, ist die Ursache des Bösen Unart unsers Geschlechts, nicht seine Natur und Art. Trägheit, Vermessenheit, Stolz, Irrthum, Hartsinn, Leichtsinn, Vorurtheile, böse Erziehung, böse Gewohnheit, lauter Uebel, die vermeidlich oder heilbar sind, wenn neues Leben, Munterkeit zum Guten, Vernunft, Bescheidenheit, Billigkeit, Wahrheit, eine bessere Erziehung, bessere Gewohnheiten von Jugend auf, einzeln und allgemein, einkehren. Die Menschheit ruft und seufzt, daß dieses geschehe, da offenbar jede Untugend und Untauglichkeit sich selbst straft, indem sie keinen wahren Genuß gewährt und eine Menge Uebel auf sich und auf Andre häuft. Offenbar sehen wir, daß wir dazu da sind, dies Reich der Nacht zu zerstören, indem Niemand es für uns thun kann und soll. Nicht nur tragen wir die Last unsers Unglücks, sondern unsre Natur ist zu diesem und zu keinem andern Werk eingerichtet; es ist Zweck unsers Geschlechts, der Endpunkt unsrer Bestimmung, uns dieser Unart zu entladen. Das ganze Universum treibt, wenn uns die Früchte des Werks nicht locken, mit Nesseln und Dornen. Was soll also Verzweiflung als unter einem nie abzuwerfenden Joch? Wozu der Traum einer von der Wurzel aus unwiederbringlichen Menschheit?
Keine Hypothese kann uns werth sein, die unser Geschlecht aus seinem Standort rückt, die es bald an die Stelle der gefallenen Engel stellt, bald unter ihre Vormundschaft und Oberherrschaft erniedrigt. Die gefallenen Engel kennen wir nicht, aber uns kennen wir und wissen, wann und warum wir gefallen sind, fallen und fallen werden.
Das Dasein jedes Menschen ist mit seinem ganzen Geschlecht verwebt. Sind unsre Begriffe über unsre Bestimmung nicht rein, was soll diese und jene kleine Verbesserung? Seht Ihr nicht, daß dieser Kranke in verpesteter Luft liegt? Rettet ihn aus derselben, und er wird von selbst genesen. Beim Radicalübel greift die Wurzeln an; sie tragen den Baum mit Gipfel und Zweigen. Das Werk ist groß, es soll aber auch so lange fortgesetzt werden, als die Menschheit dauert; es ist das eigenste und einzige, das belohnendste und fröhlichste Geschäft unsers Geschlechtes.
Und wie wird dies Geschäft betrieben? Blos durch Erweiterung und Verfeinerung der Verstandeskräfte? Intelligenz ist des Menschen edler Vorzug, das unentbehrliche Werkzeug seiner Bestimmung. Wissenschaft alles Wissenswürdigen, Verstand alles Brauchbaren, Schönen und Edeln ist erleuchtender Sonnenglanz in der dunkeln Dunstkugel der Erde; er darf und muß sich so weit erstrecken, als er sich erstrecken kann, vom letzten Nebelstern über die gesammte Natur an die Grenzen der werdenden Schöpfung. Verstand ist der Gemeinschatz des menschlichen Geschlechts; wir Alle haben daraus empfangen, wir Alle sollen unsre besten Gedanken und Gesinnungen hineintragen. Wir rechnen mit Kombinationen der Vorzeit; die Nachwelt soll mit unsern Kombinationen rechnen, und allerdings geht dieser Calcül ins Große, Weite, Unendliche hinaus. Wer unternimmt's zu sagen, wohin das Menschengeschlecht in seinen fortgesetzten, auf einander gebauten Bemühungen gelangen könne und vielleicht gelangen werde? Jede neu erlangte Potenz ist die Wurzel zu einer zahllosen Reihe neuer Potenzen.
Verstand indessen thut's nicht allein; auch den Dämonen schreiben wir einen dämonischen Verstand zu; der unsre sei menschlich von thätiger Güte begleitet. Blicke umher! Wie viel wahre und ächte Wissenschaft ist ungebraucht in der Welt! wie viel Verstand liegt unterdrückt und begraben! wie viel andrer wird mißgebraucht! Scheinwahrheit, starres Vorurtheil, heuchelnde Lüge, träge Lust, vernunftlose Willkür verwirren unser Geschlecht. Ein gestärkter großer und guter Wille also, Uebungen von Jugend auf, Kampfpreise und Gewöhnung, daß uns das Schwerste zum Leichtesten werde, und vor Allem jenes unerläßliche Bestreben nach dem Nothwendigen, was unser Geschlecht fordert, mit Vorbeilassung alles Entbehrlichen und Schlechten, sie allein können den Verstand zum Guten geltend machen, ihm aufhelfen und das Werk fördern. Wie lange haben wir uns mit dem Unnützen beschäftigt! Zeigen uns nicht Jahrtausende der Menschengeschichte unsern Unverstand, unsre kindische Trivialität und Feigheit?
Einheit unsrer Kräfte also, Vereinigung der Kräfte Mehrerer zu Beförderung eines Ganzen im Wohl Aller – mich dünkt, dies ist das Problem, das uns am Herzen liegen sollte, weil Jedem es sein innerstes Bewußtsein wie sein Bedürfniß stille und laut sagt.
»Gesetzgeber, Erzieher, Freunde der Menschheit,« sagt ein edler Mann unsrer Nation,Essai sur la Science, [Erfurt] 1796, vom Herrn Coadjutor von Dalberg. In diesem Entwurf sowol als in der Schrift »Vom Bewußtsein, als allgemeinem Grunde der Weltweisheit« (Erfurt 1793), in den »Betrachtungen über das Universum« (Erfurt 1777) und in jedem kleinsten Aufsatz ist das Thema dieser Schrift, »l'unité composée de l'infini« Inhalt und Sinnbild und »le caractère vrai, pur, énergique et moral« Charakter. – H. »laßt uns unsre Kräfte vereinigen, um dem Menschen zu beweisen, dahin den unendlich verschiedenen Lagen des Lebens er das innere Glück nirgend finde als in der wirksamen und thätigen Einheit seines Charakters. Strebend nach eigner Vollkommenheit, die Vorschriften einer allgemeinen und wohlthätigen Vernunft frei und standhaft befolgend, wird er Verirrungen, Verbrechen, inneren Vorwürfen entgegen. Als Mensch und Bürger wird er die Glückseligkeit im Zeugniß seines Gewissens finden. So bringt der Mensch die unendliche Verschiedenheit seiner Empfindungen, Gedanken, Bestrebungen zur Einheit eines wahren, reinen, wirksamen moralischen Charakters.«
Und darf ich dies edle Bild weiter hinausprägen, so liegt im Menschengeschlecht eine unendliche Verschiedenheit von Empfindungen, Gedanken, Bestrebungen zur Einheit eines wahren, wirksamen, rein moralischen Charakters, der dem ganzen Geschlecht gehört. Wie jede Classe von Naturgeschöpfen ein eignes Reich ausmacht, auf andre Reiche bauend, in andre hineingreifend, so das Menschengeschlecht mit dem besondern und höchsten Abzeichen, daß die Glückseligkeit Aller von den Bestrebungen Aller abhängt und in ihm bei der größten Verschiedenheit in dieser sehr erhabnen Einheit allein stattfinde. Wir können nicht glücklich oder ganz würdig und moralisch gut sein, so lange z. B. ein Sclave durch Schuld der Menschen unglücklich ist; denn die Laster und böse Gewohnheiten, die ihn unglücklich machen, wirken auch auf uns oder kommen von uns her. Die Anmaßung, der Geiz, die Weichlichkeit, die alle Welttheile betrügt und verwüstet, haben ihren Sitz bei und in uns; es ist dieselbe Herzlosigkeit, die Europa wie Amerika unter dem Joch hält. Dagegen auch jede gute Empfindung und Uebung eines Menschen auf alle Welttheile wirkt. Die Tendenz der Menschennatur faßt ein Universum in sich, dessen Aufschrift ist: »Keiner für sich allein, Jeder für Alle, so seid Ihr alle Euch einander werth und glücklich!« Eine unendliche Verschiedenheit, zu einer Einheit strebend, die in Allen liegt, die Alle fördert. Sie heißt, ich will's immer wiederholen, Verstand, Billigkeit, Güte, Gefühl der Menschheit.
Freude.
Freue Dich, edles Herz, das hold der Freude ist!
Schuf nicht der Schöpfer der Welt
Alles zur Freude?
Wer sich freuet, erfüllt der Schöpfung Zweck.
Süße Gabe des Gebers, gieße Dich ganz in mich!
Noch ist mein Herz von Tücke nicht befleckt.
So hüpfe denn das vergängliche Paradies hindurch,
Du nicht mit drückenden Lasten beschwertes Herz!
Sei froh des Vergangenen!
Jeglicher Labung froh, die Du dem müden Pilger
Darreichen konntest, danke dem Herrn der Welt,
Der Dir zu reichen sie gab.
Häuser, die Deine Hände gestützt,
Hütten, die Deine Hände befestigten,
Siehe sie froh! Besuche des Greises Grab,
Der sich an Deinen Troststab lehnete!
Komme der große Tag, an welchem der Schöpfung Herr
Gericht hält! wenn die Schaaren um ihn stehn,
Voll heiliger Erwartung. Sanfte Stille
Verbreitet sich die sieben Himmel hindurch.
Du trittst, ein Jüngling, mit tausendmal Tausend hervor,
Anzubeten. Der Spruch des Richters ist:
»Was Ihr der Menschheit thatet, thatet Ihr
Mir selbst. Geht ein zu Eures Herren Freude!«
Und warum verhehlen wir eine Norm der Ausbreitung des moralischen Gesetzes der Menschheit, die uns so nahe liegt? Das Christentum gebietet die reinste Humanität auf dem reinsten Wege. Menschlich und für Jedermann faßlich, demüthig, nicht stolz autonomisch, selbst nicht als Gesetz, sondern als Evangelium zur Glückseligkeit Aller gebietet und giebt es verzeihende Duldung, eine das Böse mit Gutem überwindende thätige Liebe. Es gebietet solche nicht als einen Gegenstand der Speculation, sondern giebt sie als Licht und Leben der Menschheit, durch Vorbild und liebende That, durch fortwirkende Gemeinschaft. Es dient allen Classen und Ständen der Menschheit, bis in jeder jedes Widrige zu seiner Zeit von selbst verdorrt und abfällt. Der Mißbrauch des Christenthums hat zahlloses Böse in der Welt verursacht – ein Erweis, was sein rechter Gebrauch vermöge. Eben daß, wie es gediehen ist, es so viel gutzumachen, zu ersetzen, zu entschädigen hat, zeigt nach der Regel, die in ihm liegt, daß es dies thun müsse und thun werde. Der Labyrinth seiner Mißbräuche und Irrwege ist nicht unendlich; auf seine reine Bahn zurückgeführt, kann es nicht anders als zu dem Ziel streben, das sein Stifter schon in dem von ihm gewählten Namen »Menschensohn« (d. i. Mensch) und im Gerichtsspruch des letzten Tages ausdrückte. Wenn die schlechte Moral sich an dem Satz begnügt: »Jeder für sich, Niemand für Alle!« so ist der Spruch: »Niemand für sich allein, Jeder für Alle!« des Christenthums Losung.
Der Himmlische.
Heil und Gebet dem Mann in Himmelsglanz,
Zu dessen Füßen jetzt die Sterne wallen!
Wie Mond und Sonne glänzt sein Angesicht.
Er denke unser, wenn wir beten, wenn
Sich unser Herz zum Armen freundlich neigt,
Und lasse jeden Wandrer Schatten finden,
Und jedem Durstenden zeig' er den Quell.
Er war es selber einst, der Menschlichkeit
Die Menschen lehrte, der Erbarmen, Sanftmuth
Und Milde zur Religion uns gab.
Heil und Gebet dem Mann, der Menschlichkeit
Die Menschen lehrte, der Erbarmen, Sanftmuth
Und Milde zur Religion uns gab!