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(1894.)
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Es ging stark auf Mitternacht.
In der Weinstube am Markt der fürstlichen Residenzstadt dachten die letzten Gäste an den Aufbruch, berichtigten ihre Zeche und ließen sich von dem schlaftrunkenen Kellner an die Treppe hinausbegleiten.
Nur zwei junge Männer, die an einem kleinen Tisch in der Nähe des Fensters saßen, blieben noch zurück, obwohl der Kellner, während er die überflüssigen Gasflammen auslöschte, ihnen unwillige Blicke zuwarf.
Der Eine, eine schlanke Gestalt mit unstäten, nervösen Bewegungen, erhob sich, sobald der letzte Gast das Zimmer verlassen hatte, eilte zum Fenster und riß beide Flügel weit auf. Die Wolke des blauen Tabaksqualms, die träge an der Decke gelagert hatte, strömte langsam in dichten Streifen der Oeffnung zu und floß in die laue Sommernacht hinaus, die mit ihrer Sternenpracht hereinfunkelte.
Nun wird man doch athmen können! sagte er mit kurzem Lachen, zu seinem Gefährten zurückgewendet. Hätt' ich früher Luft geschafft, so wäre ich von all diesen Biedermännern als ein Feind der Menschheit gebrandmarkt worden. Ich kenne sie dafür. Höre, Roderich, all eure schönen Kirchen, Theater und Museen in Ehren – ehe ihr nicht dafür sorgt, daß jedes deutsche Trinkstübchen eine menschenwürdige Luft bekommt, seid ihr Architekten armselige Stümper.
Du solltest mitrauchen, Eduard, erwiderte der Andere gelassen. Ein Uebel, an dem man mitschuldig ist, scheint einem erträglich.
Nicht mitzurauchen, mitzutrinken bin ich da! parodirte Jener und lachte von Neuem. Nein, Liebster, ich habe mir's abgewöhnt. Wann hätte ich auch die Zeit dazu? In den heiligen Hallen des Schlosses, wo das fürstliche Landesmuseum provisorisch untergebracht ist, steht das Rauchverbot in großen Buchstaben angeschlagen, und Leonore – nicht daß sie mir's verboten hätte – doch weiß ich, ich thu' ihr einen Gefallen, wenn ich die Blumen in ihrem Zimmer nicht mit Nicotindünsten vergifte. Aber zur Hauptsache zu kommen: was trinken wir jetzt?
Ich dächte, wir hätten genug. Du einmal gewiß. Du bist sehr erhitzt, und es ist spät.
Possen! Die paar Flaschen Rauenthaler? Der Alte hat freilich mehr in sich, als so ein junges Fiasco von den Castelli Romani, wie wir's in der Kneipe am Marcellustheater auszustechen pflegten. Aber ich weiß schon, wie man ihn unterkriegt. Der Wirth hat einen famosen alten Burgunder im Keller, einen wahren Menschenfreund, der alle gefährlichen Geister vom Rhein niederschlägt. Jean, eine Flasche von dem Bewußten! Jetzt nach Hause gehen? Ein so lahmer Philister ist man doch noch nicht geworden, wenn man auch wohlbestallter fürstlicher Museumsdirector ist. Und überdies, Leonore liegt längst zu Bett und schläft hoffentlich ihr Kopfweh aus, so daß auch keine höhere Pflicht mich nach Hause ruft.
Er hatte sich – doch schon etwas unsicher schreitend – wieder an den Tisch gesetzt, trank den Rest in seinem Glase aus und lockerte sein Halstuch. Sein hübsches, nur etwas zu flaches Gesicht glühte bis in die Stirn hinauf, über die ein weiches, üppiges Blondhaar hereinfiel. Der Freund ihm gegenüber, den er auf den ersten Blick durch seine elegante Erscheinung überglänzen mochte, gewann bei näherer Betrachtung, nicht nur durch die überlegene Ruhe, die der Wein nicht hatte erschüttern können. In den kräftig ausgeprägten Zügen des Gesichts und den ernsten Augen lag eine männliche Würde, die dem Andern gebrach. Das über der festen Stirn aufstrebende kurzgehaltene Haar hatte schon einen leichten grauen Schimmer, der ungepflegte Bart hing über die breite Brust herab, die Hand, mit der er ihn zu zausen pflegte, war groß und leicht gebräunt, während der blonde Freund an auffallend zarten weißen Händen schöne Ringe trug, die er auf- und abzuschieben liebte.
Dies ungleiche Paar hatte sich vor einem Halbdutzend Jahre auf einer Studienreise in Italien eng aneinander angeschlossen. Da der Blonde einige Jahre jünger war, nahm der Andere Manches in seinem Wesen, was ihm mißfallen mußte, wie die Unarten eines jüngeren Bruders hin, zumal die gutmüthige Schwärmerei, mit der Jener um seine Freundschaft warb, ihn milder stimmte. Kam es einmal zu einem schärferen Hervorbrechen der Gegensätze, so ließ er sich durch die ungeheuchelte Reue des leichtherzigen Gefährten bald wieder versöhnen.
Er hatte sein Examen als Baumeister absolvirt und traf in Verona den jungen Kunstgelehrten, der nach Rom wollte, um dort im archäologischen Institut auf dem Capitol ein paar Jahre zu arbeiten. Roderich war im nächsten Sommer nach Deutschland zurückgekehrt, doch ein ziemlich lebhafter Briefwechsel hatte den Faden zwischen ihnen fortgesponnen. Dann war auch Eduard über die Alpen zurückgegangen, hatte in seiner Vaterstadt still gesessen, um ein Buch zu schreiben, und sich durch diese erste ansehnliche Arbeit dergestalt empfohlen, daß sein kunstliebender Landesherr die Augen auf ihn warf, als es sich darum handelte, die fürstlichen Privatsammlungen von Gemälden und Bildwerken in einem Landesmuseum zu vereinigen.
Nicht lange nach seiner Ernennung zum Director hatte er dann ein schönes Mädchen aus einer aristokratischen Familie heimgeführt und seit zwei Jahren im ruhigsten Glücke mit ihr gelebt, im Uebrigen bemüht, aus der Sinecure, die sein Amt vorläufig noch war, sich einen ernstlichen Wirkungskreis zu schaffen, indem er die Sammlungen aus alle Weise zu erweitern und die Opferwilligkeit der Landeskinder herbeizuziehen suchte. Als dann der Fürst den Gedanken faßte, seinen Schätzen ein würdigeres Gebäude zu errichten, lenkte der junge Director die Augen seines gnädigsten Herrn auf den Freund, der eben bei einem Wettbewerb in der Reichshauptstadt den ersten Preis davongetragen hatte.
Damals war Roderich wiederum im Süden, diesmal in Griechenland. Die Aufforderung, bei der Rückkehr den Weg über jene fürstliche Residenzstadt zu nehmen, erreichte ihn, da er eben in Olympia die ausgegrabenen Tempelstätten studirte. Es handelte sich nicht sogleich um einen Auftrag, zunächst nur um eine vorläufige Besprechung über den passendsten Platz und die glücklichste und wohlfeilste Lösung der Ausgabe. Denn die andere Verpflichtung, den Concurrenzbau in Berlin zu übernehmen, ließ ihn nicht daran denken, in nächster Zeit sich noch einem zweiten größeren Werke zu widmen.
Seinem Freunde war vor Allem daran gelegen, einmal wieder einige Tage seines Umgangs froh zu werden. Es fehlte ihm in der kleinen Stadt an jedem Verkehr mit Männern, die seine Interessen getheilt hätten. Und überdies war die alte Neigung zu dem künstlerischen Gefährten, dessen Entwicklung er bewundernd verfolgt hatte, durch die glückliche Ehe nicht verdrängt worden. Sie leuchtete auch jetzt in dem fröhlichen Blick, mit dem er an Roderich's Augen und Lippen hing, und manchmal, während er selber sprach, legte er die Hand zutraulich auf den Arm des so lang Entbehrten, ohne zu bemerken, daß der Andere diese zärtliche Hingebung wenig zu beachten schien.
Der Kellner hatte den Wein gebracht und sich mit mürrischer, fast feindseliger Miene in seine Schlummerecke zurückgezogen.
Eduard füllte die Gläser und hob das seine gegen das des Freundes. Endlich unter vier Augen, Rodrigo! sagte er. Ich habe es kaum abwarten können, bis die Anderen gingen. Der kleine Sanitätsrath dort am Tische spitzte die ganze Zeit die Ohren wie ein Detective. Na, deine griechischen Reiseabenteuer und der Sturm am Cap Sunium sind ja keine Geheimnisse, aber ich stehe dir dafür, morgen weiß die halbe Stadt, daß du die Parthenonsäulen neu vermessen hast. Ich wußte freilich, daß die Spelunke hier überfüllt zu sein pflegt, aber das Getränk in der anderen Restauration und auch in deinem Hôtel steht in üblem Ruf. Schade, daß wir nicht bei mir zu Hause bleiben konnten! Ich habe einen ganz trinkbaren Rüdesheimer im Keller. Da aber Leonore nicht wohl war – und sie hat ein so feines Hausfrauengewissen, es hätte sie nicht einschlafen lassen, wenn sie sich auch zurückgezogen und gewußt hätte, wir säßen auch ohne sie ganz wohlversorgt in meinem Zimmer. Fandest du nicht auch, daß sie angegriffen aussah?
Sie war ein wenig blaß.
Nicht wahr? Und gestern, als du zum erstenmal bei uns eintratest, blühte sie in schönster Frische. Es wäre so schön gewesen, wenn du uns gleich den Tag hättest schenken können. Aber Herrendienst geht natürlich vor Frauendienst, und Serenissimus hat dich ja ganz in Beschlag genommen. Weißt du, daß du seine Eroberung gemacht hast? Er kam heut einen Augenblick in die Galerie, eigens um mir zu danken, daß ich ihn auf dich aufmerksam gemacht hatte. Du wirst sehen, er läßt nicht locker, du mußt den Bau übernehmen, und dann habe ich dich hier, und die guten alten, das heißt jungen Zeiten leben wieder aus.
Du weißt, daß das nicht von meinem Willen abhängt; ich bin auf Jahre gebunden.
Natürlich! Die Reichshauptstadt geht vor. Aber man hat ja Eisenbahnen, und in sechs Stunden kannst du hier sein und nach dem Rechten sehen, wenn auch nur alle drei, vier Wochen. Teufel auch, das Leben ist kein Spaß, und wenn man nicht Liebe und Freundschaft hätte, sich's zu verschönern, wär's ein leidiger Geschäftskram. Einstweilen also: wir wollen leben – und was wir lieben, daneben!
Er näherte, schon mit etwas unsicherer Hand, sein Glas dem des Freundes, um anzustoßen. Es gab nur einen dumpf klirrenden Ton. Auch das Gesicht Roderich's blieb unfroh, seine Augen blickten starr in den dunklen Hintergrund des Zimmers, irgend ein Gedanke schien ihn zu beschäftigen, so daß er dem Geschwätz seines Gefährten nur zerstreut zuhörte.
A proposito! sagte dieser jetzt wieder mit seinem leichtherzigen Lachen, »was wir lieben!« Ja, was lieben wir denn eigentlich? Was mich betrifft, so kann die Antwort auf diese Gewissensfrage nicht zweifelhaft sein. Aber Ew. Liebden, denen alle germanischen und romanischen Weiber nachlaufen: welche von ihnen kann sich rühmen, im gegenwärtigen Augenblick die beneidete Inhaberin Eurer vier Herzkammern oder wenigstens der bestmöblirten zu sein, wenn auch nur auf monatliche Kündigung? Verzeih, fuhr er fort, da er sah, daß die dunklen Brauen des Freundes sich zusammenzogen, ich weiß ja, du denkst von den Weibern nicht zum besten, und ein altgriechisches Capitäl ist dir interessanter als der jüngste Lockenkopf auf einem weißen Nacken. Aber Jedem schlägt einmal seine Stunde, und einem alten Freunde kannst du's nicht verdenken, wenn er eine schadenfrohe Neugier fühlt, zu erfahren, ob auch dich endlich dein Schicksal ereilt hat.
Lassen wir das! murrte der Andere. Du hast sehr Unrecht, zu glauben, ich hätte eine schlechte Meinung von den Frauen. Eher von den Männern. Die wenigsten von ihnen sind es werth, von einem edlen Weibe geliebt zu werden, vollends, wenn sie damit prahlen. Und die Narren, die sich mit wohlfeilen oder gelegentlich recht theuer bezahlten Siegen brüsten, sind mir vollends verächtlich.
Eduard stürzte ein volles Glas hinunter und schenkte sich von Neuem ein. Ich bin ganz deiner Meinung, sagte er und fuhr sich durchs Haar. Wahres Glück findet man nur in der Ehe, und daß es so selten darin gefunden wird, macht es eben doppelt zum Glück. Ich wünsche dir von Herzen, daß auch dir ein solches blühen möge, wie mir's zu Theil geworden. Ein bischen guter Wille, es zu suchen, gehört freilich dazu. Siehst du, auch mir ist's nicht so ohne Weiteres in den Schooß gefallen, ich habe mich redlich darum bemühen müssen, wenn auch nicht sieben Jahre lang, wie Jakob um Rahel, oder gar vierzehn; denn nach den ersten sieben bekam er ja erst die Lea. Ich kam mir noch ein bischen jung zum Ehemann vor, als ich hier mein Amt antrat, kaum dreißig. Aber mein Gott, in dieser Taschenausgabe einer Landeshauptstadt, was sollte ich anfangen? Ich war meines Lebens nicht sicher, da sämmtliche Mütter mannbarer Töchter nach der Ehre trachteten, meine Schwiegermutter zu werden. Ueberdies war ich, wie es in Heirathsannoncen heißt, von ziemlich »angenehmem Aeußeren« und »wohlsituiert«. Und am Ende, da mein Herz mir Nichts soufflierte, wäre ich eines schönen Tages contre-coeur geheirathet worden von irgend einer unternehmenden Virago, hätte sich nicht der Zufall, oder besser der Himmel meiner erbarmt.
Du weißt noch gar nicht genauer, wie das Alles kam. Bei meiner berufsmäßigen Suche nach verborgenen Kunstschätzen gerieth ich einmal in ein Dorf, zwei Stunden von hier gelegen. In der dortigen alten Kirche sollte sich eine in Holz geschnitzte Madonna befinden, die patriotisch gesinnte Kunstfreunde dem Veit Stoß zuschrieben. Nun, das war freilich ein schöner Wahn, der, bei Licht besehen, sich in eine plumpe hölzerne Wirklichkeit auflös'te. Mir aber ging es wie dem Sohn des Kis, der auszog, seines Vaters Eselin zu suchen, und eine Krone fand.
Krone des Lebens,
Glück ohne Ruh,
Liebe, bist du –
summte er in der Schubert'schen Melodie, nickte mit weinfeuchten Augen vor sich hin und schien ganz in die Erinnerung an jene glückliche Zeit des ersten Findens zu versinken.
Roderich rückte unruhig auf seinem Stuhl und sah nach der Uhr. Das riß den Anderen aus seinem traumseligen Verstummen.
Fürchte nicht, sagte er, daß ich dir die ganze lange Geschichte meines Verliebens und Verlobens zum Besten geben möchte. Ich weiß ja, du hast keinen Sinn für das Lyrische. Die Architektur ist eine viel zu thatsächliche Kunst, mit dem bloßen Gefühl kommt man ihr nicht bei. Aber bei allen Göttern, auch ein baumeisterliches Auge konnte bei diesem Mädchen seine Rechnung finden. Wie sie mir das erste Mal entgegentrat, ein wenig kleiner als die Frau Mama, die in ihrem silbernen Haar wie die Verkörperung einer ergreis'ten Juno erschien – nein, ich erspare dir die Schilderung meines ersten Eindrucks. Die beiden Frauen lebten auf ihrem Gut, das zehn Minuten abseits von jenem Dorf gelegen war, in der anmuthigsten Gegend. Ich hatte eine Empfehlung an sie und wurde gastfreundlich, doch nicht übermäßig empressiert aufgenommen. Schon das that mir wohl. Die erste Mutter, die nicht die Eidamsangel nach mir auswarf. Und nun erst die Tochter – wie eine Vestalin, oder besser eine Amazone, nur ohne die männische Wildheit. Der Papa war vor etlichen Jahren gestorben, er hatte eine Hofstellung bekleidet, doch mit den wachsenden Altersbeschwerden sich zurückgezogen. Reich waren sie nicht, aber auf dem Gut konnten sie anständig leben und entbehrten die Stadtluft nicht. Um es kurz zu machen, ich war nach dem ersten Abend an ihrem Theetisch sterblich in das holde Wesen verliebt, und daß sie mir nicht die geringste Aussicht aus Gegenliebe eröffnet hatte, goß natürlich Oel in die Flammen.
Leider mußte ich am nächsten Tag wieder fort – ich hatte in dem »Schlößchen« übernachtet, da der Dorfkrug kein menschliches Unterkommen gewährte. Aus Höflichkeit lud die Mutter mich ein, wiederzukommen, die Tochter schwieg. Aber auch ein offenes Verbot, ihre Schwelle je wieder zu betreten, hätte mich nicht fernhalten können. Und nach und nach – ich kann ja ziemlich liebenswürdig sein, wenn ich mir Mühe gebe – im Verlauf der Wochen und Monate gelang mir's wirklich, das Eis zu schmelzen. Bei der Mama hatte ich leichtes Spiel. Die Tochter aber hatte gleich in der ersten Zeit, da das Gespräch einmal aufs Heirathen kam, geäußert, sie habe einen zu hohen Begriff von der Ehe, um zu glauben, daß er sich je im Leben für sie verwirklichen könne.
Nun, manches stolze Jungfräulein, wenn es die Sechsundzwanzig erreicht hat, kommt von seinem phantastischen Idealismus zurück. Das Freifräulein Leonore hatte überdies ein zu gutes Herz, um meine leidenschaftliche Qual auf die Länge ungerührt mit anzusehen. Ich war nicht eitel genug, mir einzubilden, sie sei in mich verliebt, damals, als sie mir ihr Jawort gab. Das bloße himmlische Erbarmen ist ja schon bei einem Engel die Triebfeder zu einem guten Werk. Aber klug genug war ich, auch damit vorlieb zu nehmen, vorläufig wenigstens; denn das Beste, die richtige Zärtlichkeit – nun, die soll ja so vielfach erst in der Ehe nachkommen, und that's auch in der unseren. Ich frage sie manchmal, ob es jetzt noch das pure Mitleiden sei; dann schlägt sie die Augen nieder, und ich küsse ihr die Antwort vom Munde.
Wir sollten nun wirklich aufbrechen, unterbrach ihn der stille Zuhörer. Ich fürchte, du wirst morgen spüren, daß der Burgunder doch –
Unsinn! Wir kommen so jung nicht wieder zusammen. Ich finde Nichts gemüthlicher als so ein trauliches Duett um Mitternacht, zu dem das Schnarchen eines Kellners den obligaten Baß abgiebt. Was? die Flasche sollten wir nicht einmal bezwingen? Trink aus, daß ich dir wieder einschenke. Der glücklichste junge Ehemann fühlt gelegentlich einmal wieder ein Junggesellengelüst, über die Stränge zu schlagen. Ja, wenn ich eine Frau hätte, die mich mit einer Gardinenpredigt empfinge, wenn ich etwas schwankenden Fußes in ihr Schlafgemach käme! Aber dieser Engel! Das Einzige, was sie mir im Stillen noch immer nicht verziehen hat, ist die Trennung von der Mama, an der ich wahrhaftig unschuldig bin. Diese dummen, ganz sinnlosen Vorurtheile gegen Schwiegermütter – ich habe sie stets verachtet. Aber die meine – um keinen Preis wollte sie in unser junges Haus mit uns einziehen. Lieber, da es ihr jetzt auf dem Gute doch zu einsam geworden wäre, lieber ist sie zu einer auch verwittweten Schwester in der Nähe von Berlin gezogen. Im Augenblick der Trennung – zum Glück nach der Hochzeit – ich glaube, es hätte nur eines Seufzers der Alten bedurft, und ihr Kind wäre von mir weggelaufen und hätte sich an das Kleid der Mutter geklammert. Die aber blieb standhaft, die Augen wurden feucht, aber eine Thräne durfte nicht fließen. Ich dagegen hatte keine kleine Mühe, die Ströme von kindlichen Thränen zu trocknen, die aus den schönen Augen meines jungen Weibes stürzten.
Er lächelte vor sich hin, fuhr sich nervös durch die Haare und rückte dann dem Freunde noch etwas näher. Der saß wie ein Steinbild, die rechte Hand fest um das halbgeleerte Glas gekrampft, sein finsteres Gesicht von dem dichten Rauch der Cigarre wie in eine blaue Wolke gehüllt, aus der nur das Weiß der Augen vorglänzte.
Ich habe einmal irgendwo gelesen, fuhr Eduard mit gedämpfter Stimme fort, die größte Wonne sei, aus einem Engel ein Weib zu machen. Den Engel hatte ich nun wohl, aber mein Weib verharrte in seiner Engelhaftigkeit. Es ist merkwürdig, wie langsam bei gewissen Frauen die Sinne aufwachen. Na, es ist am Ende ganz gut. Wenn aus so einem kostbaren Becher einem gleich ein Feuertrank entgegensprühte, es wäre rein um verrückt zu werden. So trinkt man sich langsam in den Rausch hinein. Ich kann dir sagen, Roderich, um so ein legitimes Bacchanal ist's ein eigen Ding. Und nun gar in meinem Fall. Ich habe wohl gemerkt, was du für Augen machtest, als Leonore gestern dir entgegentrat. Auf eine solche Figur warst du nicht gefaßt, hier in unserer gemäßigten Zone, wo Mutter Natur meist schon das Mögliche gethan hat, wenn sie ihren Kindern gerade Glieder mit auf die Welt giebt. Aber solche Glieder! Weißt du noch, wie wir in Rom im Atelier des französischen Bildhauers die Chiaruccia sahen und du noch sagtest: wie ein Abguß der Venus von Milo, bloß aus einem gröberen Material? Ich kann dir sagen, an meiner melischen Venus ist auch das Material so vornehm wie die Form. Wie der Hals aus dem Nacken hervorwächs't und dann die Linie des Rückens – geradezu griechische Formen aus der besten Zeit. Und über der ganzen Herrlichkeit ein Hauch von Unberührtheit, ein Glanz von Unschuld wie über Eva's Erscheinung am Tag ihrer Geburt. Dann aber vollends das Aufglühen ihrer Wangen, wie wenn man einer Vestalin ihr heiliges Feuer auszulöschen drohte, und endlich doch –
Basta! entfuhr es überlaut den bisher festgeschlossenen Lippen des Baumeisters. In demselben Augenblick hob er das Glas und stieß es so heftig gegen den Tisch, daß der Fuß zerbrach, während der Wein hoch aufspritzte und das weiße Tischtuch mit rothen Flecken übersprühte.
Der Andere fuhr erschrocken zurück, das häßliche aufgeregte Lächeln schwand von seinem erhitzten Gesicht, seine gläsernen blauen Augen starrten den Freund an, als habe sich das bekannte Gesicht plötzlich in eine Gespensterlarve verwandelt. Wa – was – was hast du? stammelte er. Ich wüßte doch nicht –
Was ich habe? Satt hab' ich's, dein wahnsinniges Geschwätz mit anzuhören, das mir nur bestätigt, was ich gestern auf den ersten Blick geahnt hatte, daß wieder einmal ein edles, hochsinniges Weib an einen Narren und Gecken gerathen ist, der nicht werth wäre, ihren kleinen Finger zu berühren. Was? Das dumme blinde Schicksal wirft dir eine solche Perle in den Schooß, und du entblödest dich nicht, sie zu einer Cravattennadel zu machen und dich im Weinhause damit zu putzen wie ein Musterreiter? Ich habe dich immer für einen Thoren gehalten, der den wahren Werth der Dinge nicht erkannte und den man sich nur gefallen lassen konnte, weil er harmlos war und sich anständig betrug. Jetzt aber – da du's übers Herz und über die Zunge gebracht hast, die heiligsten Geheimnisse einer edlen Frau zwischen zwei Gläsern preiszugeben, jetzt – o, genug! Von heute an sind wir geschiedene Leute!
Er warf das zerbrochene Glas in den Winkel und machte Miene, sich zu erheben.
Eduard legte ihm die Hand auf den Arm. Sein Gesicht war todtenblaß geworden, nur in seinen Augen flackerte noch die unstäte Glut des Weines. Ein Wort noch! sagte er kaum hörbar, nach dem Kellner hinschielend, den das Klirren des Glases aufgeschreckt hatte. Was du mir eben gesagt hast, Roderich – der Wein hat es aus dir gesprochen, ich weiß, es wird dir morgen leid thun. Ich entsinne mich von Rom her – du hast zu Zeiten, wenn Alle glaubten, du seiest ganz nüchtern, solche plötzlichen Wuthanfälle, wo du Freund und Feind nicht schonst. Was dich heute in eine solche Berserkerlaune gebracht hat – du wirst morgen selbst einsehen, daß ich dir keinen Anlaß dazu gegeben habe, daß du mir Unrecht gethan hast mit deinen Sottisen. Wie? einem so alten vertrauten Freunde sollte man nicht einmal in einer Stunde, wo das Herz überfließt und überhaupt, wie konnte ich denken, daß auch du, wenn ich dir gestände, wie glücklich mich diese Frau macht, dir die Ohren zuhalten würdest aus elendem Neide? Ja, aus Neid! Oder gestehe selbst, was hat dich sonst in meinen Worten so verletzen können – unter uns Männern – zwei Künstlernaturen, die doch sonst immer über philisterhafte Prüderie erhaben waren?
Der Andere hatte sich inzwischen so weit gefaßt, daß er ebenfalls seine Stimme zu einem Ton dämpfen konnte, der dem wieder eingeschlummerten Dritten im Zimmer nicht vernehmbar wurde. Du hast Recht, murrte er zwischen den Zähnen, der Neid spricht aus mir. Ich leugne es gar nicht, wie ich euch Beide gestern nebeneinander sah – dich in deinem aufgeregten Bestreben, den Liebenswürdigen zu spielen und mit deiner Hausfrau vor mir schön zu thun, und sie in ihrer stillen Hoheit, dabei so sanft und gütig gegen den Fremden – nun ja, es ist wahr, ein bitteres Gefühl stieg in mir aus, daß ich zu spät kam. Da stand es leibhaftig vor mir, was mir immer als das Ideal eines Weibes vorgeschwebt hatte, auf Erden nicht zu finden, hatte ich gemeint, und ein Anderer hatte es nun doch gefunden, der es nicht werth war. Daß ich würdig gewesen wäre, eine solche Frau zu besitzen – nein, mir das einzubilden, bin ich nicht verblendet genug. Aber wenn sie denn doch mein geworden wäre, – daß ich mich anders betragen hätte, um ein solches Glück zu verdienen, nicht wie ein eitler Geck damit geprahlt hätte, das weiß ich. Und nun hören zu müssen, wie Der, dem ein blinder Zufall sie in die Arme geworfen hat, sie vor den Ohren eines Dritten prostituirt, die zartesten Geheimnisse, die selbst ein grober Bauer in der Schenke für sich behält – aber freilich, so ein ästhetischer Gourmand, was ist dem heilig!
Er stand auf und stieß den Stuhl zurück. Es ist aus, sagte er. Ich bin fertig mit dir, für immer. Entschuldige mich bei ihr, wenn ich nicht mehr komme; um einen plausiblen Vorwand wirst du nicht verlegen sein. Ich könnte ihr nicht mehr gegenübertreten, ohne roth zu werden, in ihre reine Seele hinein, wenn mir deine schamlosen Confessionen wieder einfielen. Und am Ende könnte ich mir einfallen lassen, noch jetzt den Kampf mit dir aufzunehmen und sie dir abzugewinnen. Denn daß sie fühlt oder doch ahnt, sie sei an den Unrechten gekommen, das hab' ich ihr an der Stirn gelesen. Aber ich verzichte darauf. Es würde ihr Leben verstören, und vielleicht ist die heutige Lection nicht ganz umsonst gewesen und du bemühst dich wenigstens in Zukunft, die Höhe, auf der sie steht, zu respectieren. Adieu!
Er warf Geld auf den Tisch, nahm seinen Hut und ging, ohne den Andern noch eines Blickes zu würdigen, zur Thür hinaus.
*
Erst eine Stunde später kam Eduard nach Hause.
Er war in der peinlichsten Stimmung, unter Gedanken, die ihn rastlos anklagten und entschuldigten, in der dunklen Stadt herumgestrichen. Es schlug Ein Uhr, als er, auf den Zehen schleichend, sein Schlafzimmer betrat.
Die Frau wachte aber noch. Sie lag, die Lampe neben sich, in den Kissen halb aufgestützt im Bette, ein Buch auf der Decke vor sich, in dem sie schon eine Weile nicht gelesen zu haben schien. Ihr weiches, blondes Haar floß aufgelös't über ihre Schultern herab, das schöne, ernste Gesicht lag im Schatten, die Augen, die dunkel daraus hervorglänzten, sahen dem Eintretenden gespannt entgegen. Sogleich erkannte sie, trotz seines aufgeregt munteren Grußes, daß er nicht wie sonst nach einer Abendgesellschaft unter Männern in gehobener Stimmung heimkam. Was ist vorgefallen? fragte sie. Ihr scheint nicht sehr heiter beisammen gewesen zu sein.
O, sagte er, gezwungen lachend, es war ganz lustig. Ein sonderbarer Kauz, dieser Roderich – haha! Ja, man lernt die Menschen nie aus. Aber hast du wirklich die ganze Zeit gewacht? Und dein Kopfweh –
Es ließ mich nicht einschlafen, da zog ich vor zu lesen. Aber sage mir, was du gehabt hast. Du bist so anders als sonst.
O nichts; es war wirklich nichts. Wir haben uns eben gründlich ausgesprochen und auf einmal entdeckt, daß wir uns geirrt hatten, wenn wir meinten, wir taugten für einander. Ich erzähle dir's morgen – schlaf jetzt nur! Ich will mir die Stirn ein bischen waschen, der Tabaksqualm, den ich nie vertrage, und dazu der Weindunst – Er goß Wasser in das Waschbecken und tauchte den Kopf hinein. Ah! das thut gut! Ich denke jetzt einen langen Schlaf zu thun. Wenn es dunkel im Zimmer ist, wirst auch du hoffentlich schlafen. – Er näherte sich ihr wieder. Nur deine Fingerspitzen laß mich noch küssen, Lora. Im Uebrigen – so mit dem Parfüm der Weinstube darf ich mich dir nicht nähern, ich kenne deinen Abscheu gegen die Kneipen-Atmosphäre – hinter dir in wesenlosem Scheine – und jetzt hätte Roderich Recht, wenn er fände, ich sei deiner nicht werth.
Er beugte sich zu ihrem Bett hinab und ergriff eine ihrer schönen schlanken Hände, die sie ihm zögernd überließ.
Das hat dir dein Freund gesagt? Und darüber bist du böse geworden?
O, er hat noch mehr gesagt. Aber morgen alles Weitere! Ich würde mir überhaupt von der ganzen Geschichte Nichts haben merken lassen, aber da er mir erklärt hat, er werde meine Schwelle nicht mehr betreten –
Sie richtete sich höher in den Kissen auf und sah ihn mit einem ernsten, prüfenden Blicke an. Nun mußt du mir doch gleich Alles sagen. Wie kannst du denken, ich würde jetzt einschlafen, ohne erfahren zu haben, wie es gekommen ist, daß du dich mit deinem intimsten Freunde überworfen hast?
Nun, wenn du daraus bestehst – aber ich versichere dich, es war eine Dummheit, gar nicht der Rede werth, und ich bin auch schon fertig damit. Wer mir wegen so etwas die Freundschaft kündigen kann, der war nie so recht mein Freund, an dem verliere ich nicht viel. Aber erlaube, daß ich mich setze. Wie er mich so plötzlich mit seiner pedantischen Standrede überfiel – eine wahre Eruption – es fuhr mir denn doch ein bischen in die Glieder.
Er ließ sich auf den Stuhl am Bette sinken, strich sich durch das Haar und stierte mit einem unsicheren Lächeln vor sich hin. Lächerlich! murmelte er. Er bildet sich wahrhaftig ein, er könne mir gefährlich werden. Ich habe gewiß manche Schwächen, aber daß ich's Jemand übelnehmen könnte, wenn er sich in dich verliebt –
Das – das hätte er – dir gesagt?
Sei ruhig, Liebste, es geschieht dir Nichts. Er wird dir nicht zu Füßen fallen und dir die Frage stellen, ob du ihn nicht deiner würdiger findest als mich. Es wäre ja auch verlorene Liebesmüh. Denn, nicht wahr, Herz, so sauer dir's auch geworden ist, deinen Herrn und Gemahl liebenswürdig zu finden, am Ende hast du es übers Herz gebracht, und so der Erste, Beste, der dir über den Weg läuft – ich würde ja eine geringe Meinung von dir haben, wenn ich glaubte, du könntest von heute aus morgen deinen Sinn ändern. Nein, hätte ich Anlage zur Eifersucht, wär's eine Tollheit gewesen, dich zu heirathen. Mögen sie sich doch schaarenweise in dich vergaffen – spero invidiam, ich hoffe, man soll mich beneiden. Soll ich das Licht, das mein Leben erleuchtet, unter den Scheffel stellen, weil die armen Motten – nein, und tausendmal nein! Und es ist nur dumm, daß ich mich davon aufregen lassen konnte, und noch dummer, daß ich in meiner grenzenlosen Gutmüthigkeit – aber wie konnte ich denken, daß gerade er – ein Künstler – wir hatten ja so oft von unserm Schönheitsideal geschwatzt; und wenn ich ihm nun sage, ich hätte es in Fleisch und Bein erobert, muß der verrückte Kerl darüber wild werden, als hätte ich ihm den Ring des Gyges angeboten, um mit eigenen Augen sich zu überzeugen, daß ich die leibhaftige Venus von Milo in meinem Weibe umarme?
Er war aufgesprungen, es hatte ihn aus dem Sitz ihr so nah nicht länger geduldet, da ihre Augen fest auf ihn gerichtet blieben. Nun ging er mit großen Schritten das Zimmer auf und nieder, faßte gedankenlos nach diesem und jenem Geräth, ließ es wieder fahren und stammelte unverständliche heftige Worte.
Da hörte er sie sagen: Ist das wahr? Du hast ihm so von mir gesprochen? Wie von einem Bild, einer Statue hast du von deiner Frau zu ihm geredet?
Er wandte sich wieder zu ihr um und blieb am Fußende des Bettes stehen. Ich bitte dich um Gottes willen, Herz, fang nun nicht auch du an, mir Vorwürfe zu machen. Nun ja, es war unbedacht, daß ich ihm mein Glück rühmte. Ich that's aus Mitleiden mit dem in seine Junggesellenschaft verrannten alten Freunde, um ihm Lust zu machen, auch endlich sich eine Frau zu suchen. Daß ich dabei ein bischen warm wurde, von dir und deiner Schönheit und wie selig du mich machst, ihm vorschwärmte – das wäre ein Verbrechen gewesen? Der alberne Mensch aber thut, als ob ich dich in deiner Frauenehre beleidigt, dir den Schleier von Kopf bis zu Fuß abgerissen hätte, bloß weil ich an ein römisches Modell erinnerte.
Auch das hast du gethan?
Er starrte sie erschrocken an. Der Ton, in dem sie das sagte, klang ihm so wunderlich, wie aus einem ganz fremden Munde.
Ich glaube gar, stammelte er, auch du – obwohl du weißt, wie hoch du in meinen Augen stehst – und wenn du nur Alles mit angehört hättest! Kannst du mir einen Augenblick zutrauen, ich hätte mir eine frivole Bemerkung erlaubt über meine angebetete Frau, wie ein Roué zu einem anderen beim Wein über eine seiner Liebschaften schwatzt? Im Gegentheil, ich sagte ihm, wie alles Gemeine hinter dir liege, wie züchtig du selbst mir gegenüber – ich weiß die genauen Worte nicht mehr, aber du kannst glauben, es war eine Art Hymnus auf deine weibliche Tugend, und nur, daß ich ihn diesem unbegreiflichen Menschen vorsang, der obenein schon lichterloh brannte und mich beneidete –
Von einem römischen Modell hast du ihm gesprochen? in Einem Athem mit mir? Und das – das hat er dir verdacht, so schwer, daß er Nichts mehr mit dir zu thun haben will? Was hast du ihm gesagt? Ich will es wissen, ich muß es wissen, Alles, hörst du?
Aber liebste, geliebteste Frau, wie kannst du verlangen –
Du hast Recht. Ich weiß genug, sagte sie plötzlich, und ihre Stimme klang noch rauher und dumpfer. Ich brauche Nichts mehr zu hören. Gute Nacht!
Sie kehrte sich ab und drückte ihr Gesicht in das Kissen. So lag sie regungslos, wie erstarrt, die Augen geschlossen, die Haare über Stirn und Wangen gehüllt, so daß nur ein schmaler Streif der bleichen Haut durchschimmerte. Leonore! rief er, da jetzt denn doch die Ahnung in ihm aufdämmerte, wie kopflos er sein eigenes Verderben herbeigeführt hatte, willst du mir nicht noch ein Wort, einen Blick gönnen? Was hab' ich denn verbrochen? Es mag sein – es war unvorsichtig – unrecht, wenn du willst – ich büße es ja auch – die alte Freundschaft ist zerrissen, sollen nun auch wir Beide – nein, nein! Du mußt ja einsehen, daß nur meine rasende Liebe zu dir, meine Vergötterung – Leonore!
Kein Laut kam unter der dichten Lockenflut hervor. Nur ein convulsivisches Beben der Arme, welche die seidene Decke fest über Schultern und Hals zusammenhielten, verrieth, daß seine Worte nicht ungehört geblieben waren. In diesem Augenblick loderte das Flämmchen in der Lampe hoch auf. Dann erlosch es nach einem letzten glimmenden Zucken. Durch die weißen Vorhänge des Zimmers drang nur ein schwacher Schimmer der Sternennacht. Kein Laut regte sich draußen und drinnen als das Ticken einer kleinen Standuhr aus dem Zimmer nebenan.
Mit einem Seufzer trat Eduard vom Fußende des Bettes zurück. Der Wein spukte nicht mehr in seinem Hirn, statt dessen hatte sich eine klare Trostlosigkeit seines Gemüths bemächtigt, ein Gefühl der Verdammniß, das in der Dunkelheit wie ein physischer Druck sich über ihn niedersenkte. Er tastete sich nach seinem Bette hin und taumelte darauf nieder. Aber so viel er sich bemühte, die Flucht seiner Gedanken zum Stillstand zu bringen, es gelang ihm nicht. Zuletzt erbarmte sich seines verworrenen Zustandes die schwerfällige Müdigkeit. Hastig ausgekleidet kroch er auf das Lager und zog die Decke über den Kopf.
Die Frau aber schlief nicht. Sobald sie an seinen gleichmäßigen Athemzügen merkte, daß er nicht mehr hörte, was neben ihm geschah, richtete sie sich sacht im Bette auf und sah im dunklen Zimmer umher, wie um eine Zuflucht zu suchen. Sie tastete nach dem Wasserglase auf dem Nachttischchen neben ihrem Bett und that einen tiefen Zug, als spüre sie einen physischen Ekel, den sie von der Zunge spülen wollte. Es glückte ihr nicht, sich zu erfrischen, das Wasser war lau geworden in der schwülen Nachtluft. Ihre Brust arbeitete schwer, sie konnte es nicht länger in dieser Nähe aushalten, glitt endlich unter der Decke hervor und ergriff die Kleider, die auf einem niederen Stuhl lagen. Dann, die Decke um ihre schlanke Gestalt hüllend, ging sie auf nackten Füßen lautlos am Bett ihres Mannes vorüber, öffnete behutsam die Thür zu ihrem eigenen Zimmer und trat über die Schwelle.
Das Fenster stand offen, die Zugluft strömte herein. Mit einem Schauer schob sie hinter sich den Riegel vor, streckte sich auf dem Sopha lang aus und zog die leichte Decke über sich. Dann lag sie mit weit offenen Augen und dachte – dachte – dachte, finstere, traurige, bittere Gedanken – bis gegen Morgen ihr rastloses Denken in eine helldunkle Bewußtlosigkeit untertauchte.
*
Erst spät am anderen Morgen erwachte Eduard. Als er seinen schweren Kopf aufrichtete und das Bett seiner Frau leer fand, kam ihm noch nicht sogleich das klare Bewußtsein, was gestern sich zugetragen hatte. Erst da er sah, daß die Decke fehlte, fuhr es ihm durch den Sinn: er habe sie gekränkt, wenn er auch nicht begriff, daß sie es so schwer nehmen konnte, um sich von seiner Seite wegzustehlen. Langsam kleidete er sich an, beständig grübelnd, wie sie ihm entgegentreten würde und was er ihr sagen sollte.
Sie frühstückten sonst in Leonorens Zimmer. Als er dort eintreten wollte, fand er die Thür verschlossen. Er pochte leise an. Bist du drin, Liebste? Warum hast du dich eingeschlossen?
Erst nach einer Weile kam die Antwort: Ich konnte drinnen nicht schlafen. Ich mußte allein sein. Ueberlaß mich mir selbst. Du findest das Frühstück im Eßzimmer.
Sie schmollt noch immer, sagte er vor sich hin. Das ist ja ganz was Neues. Hm! Ich habe sie doch noch nicht gekannt. Um eine solche Bagatelle! Es ist aber wohl das Beste, ich warte ruhig ab, bis sie wieder zur Vernunft kommt.
Sehr verstimmt ging er in das Eßzimmer, wo das Mädchen bereits das Frühstück hergerichtet hatte, nur für Einen. Die gnädige Frau habe nur ein Glas frisches Wasser verlangt, ihr sei nicht wohl. Sie habe befohlen, für die nächste Nacht ihr das Bett auf dem Sopha in ihrem Zimmer zu machen, das leiseste Geräusch störe sie im Schlaf, sie müsse ganz allein sein.
Er nickte dazu, wie wenn er es schon wüßte und einverstanden wäre. Aber jetzt erst ging ihm die Ahnung auf, daß hier Etwas verschüttet sei, was er nicht mit einer flüchtigen Laune, einer überreizten Empfindsamkeit erklären konnte. Noch immer freilich sah er sein eigenes Verschulden im mildesten Licht. Und zum erstenmal glaubte er diese Frau, die ihm bisher über alle weiblichen Schwächen erhaben erschienen war, auf einer kleinlichen Regung zu ertappen, die er ihr, wenn sie selbst zur Erkenntniß ihres Fehlers gekommen wäre, großmüthig zu verzeihen haben würde.
Er leerte hastig seine Tasse, ohne einen Blick in die Zeitung zu werfen, und ging wieder in sein Zimmer. Auch dort konnte er die Gedanken zu keiner Arbeit sammeln und schob es auf den Wein, der ihm den Kopf noch verstöre. Endlich nahm er seinen Hut und verließ das Haus, um nach dem fürstlichen Schlosse zu gehen, wo in einigen weiten, ziemlich verwahrlos'ten Räumen des Erdgeschosses die Kunstsammlung einstweilen untergebracht war.
Er wollte in der Arbeit fortfahren, die ihn hier täglich einige Stunden beschäftigte, der Anfertigung eines sorgfältigen Katalogs. Doch auch dazu konnte er sich nicht aufraffen. Er gab nur dem Diener Anweisung, verschiedene alte Bilder zu reinigen, und sah ihm bei dieser Thätigkeit zu, wie wenn sich's um eine wichtige Sache handelte. So traf ihn gegen Mittag der Fürst, der mit Roderich hereintrat, um dem Baumeister seine Wünsche für die künftige Anordnung der Sammlung ausführlich vorzutragen, da hiernach der Umfang und die Eintheilung des neuen Baues bemessen werden mußte. Der hohe Herr war sehr gut aufgelegt, begrüßte seinen Galeriedirector mit gnädigster Vertraulichkeit und hatte kein Arg dabei, daß die beiden Männer, die er befreundet wußte, kein Wort miteinander tauschten. Als er den Rundgang beendet hatte, führte er Roderich wieder mit sich fort, ihm noch einmal den vorläufig gewählten Bauplatz und einige andere Plätze zu zeigen, die noch in Frage kommen konnten.
Eduard blieb in dumpfer Niedergeschlagenheit zurück. Er hatte immer noch im Stillen gehofft, beim ersten Wiederbegegnen werde der Freund ihm lachend die Hand bieten und bedauern, daß sie gestern Abend Beide solche Thoren gewesen seien. Dann werde er ihn zum Verbündeten haben, um den Groll der Frau zu verscheuchen. Aus der kalten, fremden Miene des alten Freundes erkannte er, daß Alles unwiederbringlich verloren sei.
Nun denn! knirschte er vor sich hin, so mögen sie's haben! Wenn ich meiner eigenen Frau und einem Jugendfreunde gegenüber meine Worte auf die Goldwage legen und für die unschuldigsten Herzensergießungen büßen soll, als hätte ich eine Tempelschändung oder Majestätsbeleidigung begangen – so – so hab' ich mich eben in Beiden geirrt und muß sehen, wie ich ohne ihre Gnade fertig werde. Am Ende verlieren sie dabei ebenso viel wie ich.
Er rief sich alles Schmeichelhafte zurück, was ihm in seinem Leben von Männern und Frauen gesagt und erwiesen worden war, und wie beglückt so Manche an Leonorens Stelle sein würde, auch wenn sie erführe, er habe ihre Schönheit ein wenig indiscret gepriesen. War es zu glauben, daß ein Mann ihm das übelnahm und ein Weib so mimosenhaft sich von jetzt an vor jeder Berührung zurückzog?
Nach seiner leichtherzigen Art gelang es ihm auch endlich, das heimliche Mißgefühl zu betäuben. Er machte sich kaltblütig darauf gefaßt, daß Eleonore ein paar Tage lang ihm vollständig fern bleiben und vor den beiden Dienerinnen Krankheit vorschützen würde. Zuletzt werde sie's doch in ihrem Schmollwinkel nicht aushalten und einsehen, daß sie die Sache zu schwer genommen habe.
Bei Alledem fiel ihm ein Stein vom Herzen, als er, zu Mittag heimkehrend und nicht erwartend, mit ihr zusammenzutreffen, sie im Eßzimmer fand.
Ihr Gesicht freilich war so still und starr, ihr Blick so verschleiert, daß die heitere Geberde, mit der er auf sie zuging, sofort eingeschüchtert wurde.
Geht es dir wieder besser, Herz? stammelte er und wollte ihre Hand fassen, sie an seine Lippen zu ziehen.
Ich danke, sagte sie und ging, ihm nur die kalten Fingerspitzen lassend, rasch zu ihrem Sitz am Tische. Es muß wohl gehen. Da bringt Marie die Suppe. Wollen wir uns nicht setzen?
Er begriff, daß er noch um keinen Schritt zum Frieden vorwärts gekommen sei. Sie saßen sich einsilbig gegenüber, er sprach vom Wetter und ein paar gleichgültigen Stadtneuigkeiten, sie gab nur dann und wann ein halbes Wort dazu, aß nur ein paar Bissen und stand auf, als das Mädchen die Schale mit Früchten auftrug.
Entschuldige mich, sagte sie. Ich ziehe mich wieder zurück, mein Kopf ist wie zerstückt; ich muß mich hinlegen und bin eine schlechte Gesellschaft in dieser Stimmung.
Pflege dich nur! sagte er. Oder soll ich nicht lieber nach dem Doctor schicken?
Ein traurig bitterer Zug ging über ihren schönen Mund. Ich kenne mein Leiden, sagte sie leise, und helfe mir schon selbst.
Damit ging sie aus dem Zimmer.
*
Er verbrachte den Nachmittag in der kläglichsten Stimmung. Ihr Anblick hatte Alles, was er je für diese holde Frau gefühlt, wieder aufgeregt und seine verblendete Selbstgerechtigkeit auf einen Schlag zu Schanden gemacht. Er sah nur, daß sie litt, und mußte sich sagen, daß er allein die Schuld daran trug, wenn er auch etwas ganz Unschuldiges zu thun geglaubt hatte. Nie war sie ihm schöner erschienen, nie so sehr als die Krone ihres Geschlechts, und daß sie es vermied, auf die Kränkung zurückzukommen und ihm jeden Vorwurf ersparte, drückte ihn vollends zu Boden. Er war entschlossen, sich jeder neuen Rechtfertigung zu entschlagen und sich ihr aus Gnade und Ungnade zu ergeben.
Für den Abend hatte ein befreundetes älteres Ehepaar sie in einen öffentlichen Garten eingeladen, wo die Honoratioren der Residenz an warmen Sommerabenden sich zusammenfanden, um beim Glase Bier der Musik einer Militärkapelle zu lauschen und in den Pausen miteinander zu plaudern. Sie hatten vorgehabt, auch Freund Roderich dazu aufzufordern. Das war nun freilich unmöglich geworden.
Als aber die Stunde herankam, ging er nach ihrem Zimmer hinüber und klopfte gegen seine Gewohnheit erst an, eh' er bei seinem Weibe eintrat.
Sie saß an ihrem Schreibtisch am Fenster und schien allerlei Briefe geordnet und werthlose vernichtet zu haben.
Ich wollte nur fragen, Herz, sagte er, wie du dich jetzt befindest. Wenn dir wohler geworden ist, müßten wir uns wohl zum Ausgehen rüsten. Du erinnerst dich, daß wir Professors zugesagt haben, mit ihnen im Schützengarten den Abend zuzubringen.
Sie wandte den Kopf ruhig nach ihm um, und ihre Augen trafen sich zum erstenmal wieder. Ich habe mich körperlich erholt, aber zum Gespräch mit fremden Menschen und zum Anhören von Musik bin ich nicht fähig. Geh du allein und entschuldige mich.
Leonore, rief er leise und trat nahe an sie heran, ist es denn möglich? Du zürnst mir noch immer? Hab' ich denn wirklich Etwas gethan, was nicht verziehen werden kann? Nein, ich will mich nicht mit der Weinlaune entschuldigen; ich war ja auch bei voller Klarheit und Besinnung – mein Gott, wir hatten ja keine Orgie gehalten. Aber was ich auch gesagt haben mag, was dein weibliches Zartgefühl verletzen mußte – kam's nicht von einem Uebermaß der Liebe zu dir, und wenn du mich nur ein wenig liebst, kannst du mich so grausam entgelten lassen, was ich aus Liebe gefehlt habe?
Aus Liebe? versetzte sie, und wieder erschien der schmerzlich bittere Zug an ihrem Munde. Nun ja, was du unter Liebe verstehst. Wir denken darüber verschieden, wir Frauen vielleicht nicht alle, aber ich, wie ich nun einmal bin – genug, ich habe mir's überlegt, daß du nicht wußtest, was du mir damit anthatst, es nicht wissen konntest – wie du nun einmal bist – und somit – laß uns nicht weiter davon reden.
Ist das dein Ernst, Leonore? Du begreifst, wie mir – gerade Roderich gegenüber – das Herz über die Zunge springen konnte? So hast du mir meine unbedachtsame Kränkung verziehen?
Verziehen? Warum nicht? Ob ich sie vergessen kann – das muß ich abwarten, und dazu muß ich für mich bleiben. Es wird mir noch schwer, deinen Anblick zu ertragen, immer denken zu müssen, was du preisgegeben hast – vielleicht aber lerne ich, darüber hinwegzukommen. Nur erschwere mir's nicht und – laß mich allein!
Sie wandte sich wieder von ihm ab und fuhr fort, sich mit den Papieren zu beschäftigen.
Er sah, daß jeder weitere Versuch, sie umzustimmen, sie ihm nur noch mehr entfremden würde. Gute Nacht, Leonore! sagte er mit einem schmerzlichen Seufzer.
Gute Nacht! erwiderte sie.
Es gab ihm einen Stich ins Herz, daß sie seinen Namen nicht mehr über die Lippen brachte.
*
Die Tage, die nun folgten, vergingen trübselig und stumm.
So beharrlich Eduard sich vorsagte, daß er das Seinige gethan, sein Verschulden – wenn es eins war – zu sühnen, indem er um Verzeihung gebeten hatte, – am innersten Herzen nagte ihm die Sorge, daß es nie wieder werden möchte, wie es gewesen war, daß er etwas verscherzt habe, was aller gute Wille nicht zurückzubringen vermöchte.
Er sah sein Weib nur bei den Mahlzeiten; in Gegenwart des Mädchens wechselten sie gleichgültige Reden, um unter vier Augen sogleich wieder zu verstummen. Er zog sich dann eilig zurück, und nach dem Nachtessen ging er gegen seine Gewohnheit noch aus, ziellos in den Anlagen bei der Stadt herumzuwandern oder in einem Wirthsgarten bei einem Glase Bier die Stunde heranzuwarten, wo in Leonorens Zimmer die Lampe erloschen wäre und er in sein einsames Schlafzimmer treten könnte, ohne auch nur ein »Gute Nacht« durch die verschlossene Thür hineinzurufen.
Als die Woche zu Ende ging, saß er eines Nachmittags in seinem Zimmer, ein Heft vor sich, in das er allerlei Verse geschrieben hatte, die alle von seiner Liebe sprachen. Die ersten stammten aus der Zeit, wo er noch in Zweifel und Bangen um sie geworben hatte, dann eine Reihe glückseliger Herzensergüsse aus der Brautzeit. Von diesen hatte er dem geliebten Mädchen einige gebracht, die er für die gelungensten hielt. Sie hatte sie ihm dankend zurückgegeben, ohne weiter darüber zu sprechen. So unterließ er es, sich ihr noch ferner als Dichter zu zeigen, da es doch sein heimlicher Ehrgeiz war, eines Tages mit einem Bändchen Lyrik hervorzutreten und seinen erhofften Lorbeer der Frau zu Füßen zu legen. Aus diesem Grunde hatte er auch in den zwei Jahren seiner Ehe nicht davon abgelassen, im Stillen fortzudichten; ja, er that sich besonders darauf Etwas zu gute, daß er nicht wie andere Singvögel verstummt war, seitdem er sein Nest gebaut, sondern nun erst recht die Saiten gerührt und eine neue Art Lyrik, eine Art leidenschaftlicher Hauspoesie betrieben hatte.
Der Gedanke kam ihm, diese Zeugnisse zärtlichster Liebe, die der Besitz nur noch gesteigert hatte, vor die so schwer zu Versöhnende hinzulegen. Wenn irgend Etwas, dachte er, so müßte diese Enthüllung seines ganzen Inneren ihr Herz rühren und ihm wieder zuwenden. Schon erhob er sich, mit dem Heft zu ihr hinüberzugehen, als das Mädchen ihm ein Billet des Theater-Intendanten brachte, der das Ehepaar auf den nächsten Abend zu einer kleinen Gesellschaft einlud.
Er werde die Antwort schicken, ließ er dem Boten sagen. Dann ging er zu Leonore.
Er fand sie am offenen Fenster sitzend, eine Handarbeit im Schooß. Sie sah müde und zerstreut zu ihm aus. Eine Einladung zu morgen Abend, sagte er. Ich weiß nicht, wie du darüber denkst. Jedenfalls werden wir Jemand dort finden, dem zu begegnen vielleicht dir wie mir peinlich sein würde. Aber wie du willst. Am Ende ist es ganz gut, am dritten Ort wieder mit ihm zusammenzutreffen und zu zeigen, daß wir die unselige Entfremdung nicht verewigen wollen.
Sie überflog das Blatt und gab es ihm zurück. Thu, was du für gut findest. Mich magst du entschuldigen. Ich fühle mich nicht gestimmt, in Gesellschaft zu gehen.
So will ich für uns Beide ablehnen. Am Ende – es könnte so aussehen, als ob ich ihm nachliefe, während es an ihm wäre, den ersten Schritt zu thun.
Er sah das leise Achselzucken nicht, mit dem sie sich abwandte und ihre Handarbeit wieder aufnahm.
Wenn du gerade nichts Besseres zu thun hast, fuhr er fort – ich möchte wohl, daß du einen Blick in diese Blätter würfest. Du findest eine Beichte darin, die dich gegen einen großen Sünder doch vielleicht milder stimmt.
Er legte das Heft aus den Fenstersims und ließ sie allein.
In sein Zimmer zurückgekehrt, setzte er sich an den Schreibtisch, das Billet zu verfassen, das sie Beide für morgen Abend entschuldigen sollte. Zwei-, dreimal versuchte er es, der Absage eine einfache Begründung zu geben, und fand immer die Worte nicht, die ihm genügten. Da schob er die Mappe fort und versank wieder in sein rathloses Grübeln.
Auf einmal hörte er seine Thür gehen und sah Leonore eintreten. Zwischen Furcht und Hoffnung, ob sie gelesen haben und ihm nun seine Begnadigung bringen möchte, spähte er nach ihrem Gesicht. Es war noch bleicher und düsterer als all diese Tage.
Ich habe es mir anders überlegt, sagte sie mit einer tonlosen Stimme. Ich will morgen doch hingehen. Antworte also, daß wir die Ehre haben würden – falls du selbst nicht darauf bestehst, zu Hause zu bleiben. Ich gehe auf jeden Fall.
Er sah in höchstem Erstaunen zu ihr aus. Hast du es auch wohl überlegt?
Alles. Es ist besser so. Ich bin nun entschieden.
Damit wandte sie sich ab und ging langsam aus dem Zimmer.
Er mußte es wohl aufgeben, unnahbar, wie sie ihm geworden war, zu erforschen, was diese räthselhafte plötzliche Wandlung in ihr bewirkt hatte. Er tröstete sich aber mit der leisen Hoffnung, die Gedichte, die sie inzwischen gelesen, möchten sie ihm wieder zugeneigt haben, so daß sie sich entschlossen habe, das alte Leben an seiner Seite neu zu beginnen, wenn auch zunächst nur in einem fremden Hause.
*
Als sie am anderen Abend das Haus, in das sie geladen waren, betraten, fanden sie statt der kleinen Gesellschaft fast Alle versammelt, die in der streng auf das Herkommen haltenden fürstlichen Residenzstadt »dazu gehörten«. In mehreren Räumen des oberen Stockwerks schwirrte und summte das Gespräch der Herren und Damen, die sämmtlich einander kannten, nur von Zeit zu Zeit verstummend, wenn am Flügel einer der aristokratischen Dilettanten sich vernehmen ließ oder die Hausfrau selbst, eine ehemals gefeierte Sängerin, ein Lied oder eine Opernarie zum Besten gab.
Sie eilte, als Leonore an Eduard's Arm eintrat, mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln auf sie zu, umarmte sie und sagte: Ich danke Ihnen, daß Sie kommen, liebe Theuerste. Es ging ein Gerücht, Sie seien diese ganze Woche unsichtbar geblieben, weil Sie leidend seien. Nun, ein wenig blasser als sonst sind Sie ja. Es macht Sie womöglich nur noch reizender. Aber haben Sie Trauer bekommen? Dies schwarze Spitzenkleid – und keine einzige Blume im Haar – kein Schmuck – oder wollen Sie beweisen, daß Schönheit ungeschmückt am schönsten sei?
Der Hausherr, der eben hinzutrat, überhob Eleonore, deren Gesicht eine leichte Röthe überflog, einer Erwiderung. Wie spät Sie erscheinen, verehrte Freunde! sagte er. Und doch noch nicht die Letzten. Wir warten noch auf Ihren Freund, lieber Herr Doctor. Wenn er nur nicht gar im letzten Augenblick sich entschuldigen läßt. Es wäre eine große Enttäuschung, da die Gesellschaft gerade auf ihn eingeladen ist. Oder sollte er sich schon die Unart großer Künstler angeeignet haben, sich an keine Stunde zu binden, da dem Genie Alles erlaubt sein soll? Doch nein – ich habe ihm Unrecht gethan – da kommt er eben, und ein wenig außer Athem. Seien Sie herzlich gegrüßt, Verehrtester! Sie sehen, Sie befinden sich hier en pays de connaisance.
Er schüttelte dem eben Eintretenden lebhaft die Hand und führte ihn zu den beiden Frauen. Roderich war auffallend ernst und bleich. Gegen die Hausfrau entschuldigte er seine Verspätung, Serenissimus habe ihn nicht früher losgelassen. Gegen Leonore verneigte er sich in sichtbarer Beklommenheit. Eduard schien er nicht zu bemerken.
Sie haben bisher Nichts versäumt, sagte die Intendantin, als einige zweifelhafte musikalische Genüsse, und mit dem Abendessen haben wir auf Sie gewartet. Damit Sie aber sehen, daß Sie für Ihr Spätkommen nicht bestraft werden sollen, habe ich Ihnen bei Tische den Platz nicht neben mir, sondern neben der schönsten Frau unserer Stadt bestimmt. Loben Sie mich für meine Selbstlosigkeit und bieten Sie Frau Leonore den Arm, sie in den Speisesaal hinunterzuführen. Wir schließen uns Ihnen an.
Er verneigte sich wieder und brachte ein paar mühsame Worte hervor, während die Hausfrau sich zu den anderen Gästen wandte. Dann näherte er sich Leonore, deren ruhiger Blick ihn noch mehr verwirrte, und sagte: Ich weiß nicht, gnädige Frau, ob Ihnen nicht eine andere Nachbarschaft erwünschter gewesen wäre. Da Sie sich aber dem Spruch des Schicksals fügen müssen, den ich als einen Vorzug erkenne –
Auch ich bin ihm dankbar, erwiderte sie mit einem leisen Neigen des schönen Hauptes. Ich hätte Ihnen ohnedies Manches zu sagen. So lassen Sie uns vorangehen.
Sie blieb dann aber völlig schweigsam, während sie die hell erleuchtete Treppe an seinem Arm hinabging. Und auch unten im Gartensaal, wo die Tafel sie erwartete, schien sie das erste Wort immer noch nicht finden zu können. Er selbst, nachdem er ein paar Bemerkungen hingeworfen hatte über den schönen lustigen Raum, in welchem sie speis'ten, die zierlichen venetianischen Kronleuchter zu Häupten und den Blumenschmuck zwischen dem blinkenden Silber und Krystall, ließ die Unterhaltung fallen, da sie nur einsilbig darauf einging. So sprach er bald nur mit seiner Nachbarin zur Linken, während Leonore einer alten Excellenz an ihrer anderen Seite, die sie mit Jagdgeschichten unterhielt, andächtig zuzuhören schien.
Eduard saß weit von ihnen entfernt. Es entging ihm nicht, daß es zu einem Austausch zwischen den Beiden nicht kam, und er empfand eine heimliche triumphierende Genugthuung darüber. Es war ihm doch nicht ganz wohl dabei gewesen, als er sah, wie die stolze, männliche Erscheinung des Freundes an der Seite der herrlichen Frau sich ausnahm. Aber sie selbst schien ja davon unberührt. Sie bewies ihm sogar eine auffallende Gleichgültigkeit. Und in wenigen Tagen sollte er die Stadt verlassen. Dann werde jede Spur des Geschehenen verwehen und das erschütterte Glück sich wieder befestigen.
Er wurde durch diese Gedanken so froh gestimmt, daß er seine beiden Nachbarinnen mit scherzhaften Reden und Erzählungen unterhielt und von seinem Platz aus die heiterste Stimmung über die Tafel verbreitete.
Ihr Herr Gemahl scheint heute noch liebenswürdiger als sonst zu sein, sagte die alte Excellenz zu Leonore. Wer so glücklich in seinem Hause ist, hat gut liebenswürdig sein und kann die frohe Stimmung leicht auch an andere Orte mitbringen, während ein einsamer alter Wittwer meines Schlages –
Er vertiefte sich so wehmüthig ins Erzählen von seiner lange schon verstorbenen Frau, daß er nicht bemerkte, welch düsterer Schatten das Gesicht seiner Nachbarin überflog. Bald darauf wurde die Tafel aufgehoben. Roderich verneigte sich gegen Leonore und fragte, ob er sie wieder hinaufführen solle.
Ich denke, man bleibt hier unten, sagte sie ruhig. Draußen auf der Terrasse ist es jedenfalls kühler, und man hat Lampions im Garten angezündet. Ich möchte dort einen Augenblick aufathmen.
Er bot ihr den Arm und führte sie nach der Glasthür. Sie kamen an Eduard vorbei, der seine Dame eben in ein Nebenzimmer geleitete, wo Spieltische aufgeschlagen waren.
Wie geht's? rief er Leonore zu. Du willst etwas Luft schöpfen? Ich komme nachher auch hinaus.
Er wartete die Antwort nicht ab, und die Paare kamen sich aus den Augen.
Draußen, als Roderich mit Leonore an die steinerne Brustwehr der Terrasse getreten war, schwiegen sie Beide einige Augenblicke. Dann sagte er: Ich glaube, es wird Ihnen hier doch zu kühl werden. Soll ich Ihnen Etwas zum Umhängen holen.
Sie antwortete nicht. Sie stand, beide Hände auf die Brüstung gestützt, den Blick in die Wipfel hinaufgekehrt, die sich in schwarzer Silhouette gegen das silberne Firmament abhoben. Hinter ihnen auf der Terrasse gingen plaudernde und lachende Paare vorbei, ohne auf sie zu achten. Erst nach einer Weile, als hätte sie seine Frage nicht gehört, sagte sie: Sie haben sich nicht mehr bei uns sehen lassen. Warum haben Sie unser Haus gemieden?
Das Blut schoß ihm ins Gesicht, und das Gefühl überkam ihn, daß jedes Wort verhängnißvoll sein würde.
Ich habe es selbst lebhaft bedauert, sagte er endlich mit stockender Stimme. Sie wissen, gnädige Frau, ich bin in Geschäften hier. Der Fürst hat mich dermaßen in Anspruch genommen –
Da verstummte er, denn er fühlte plötzlich, daß sie ihren Blick fest auf ihn richtete.
Warum sagen Sie mir nicht die Wahrheit? Oder wäre es nicht wahr, was mein Mann mir gestanden hat, daß Sie ihm die Freundschaft aufgekündigt haben, weil er von mir gesprochen hat – wie kein edler Mann von seiner Frau sprechen soll?
Das – das hätte er Ihnen –
Das – und noch mehr: daß Sie meine Schwelle nicht mehr betreten wollten, um – um mich nicht wiederzusehen.
Er senkte das Gesicht tief auf die Brust. Frau Leonore! stammelte er dumpf. Warum – warum quälen Sie mich! Was habe ich Ihnen gethan, daß Sie mir mein innerstes Herz aus der Brust locken wollen, um es mir dann vor die Füße zu werfen!
Was Sie mir gethan haben? Sie haben sich meiner beleidigten Frauenehre ritterlich angenommen, als Der, dessen heiligste Pflicht es gewesen wäre, sie zu hüten, diese Pflicht so schmählich vergaß. Seit ich das weiß, hat es mich gedrängt, Ihnen dafür zu danken, Ihnen zu sagen, daß ich eine Hochachtung für Sie fühle wie für keinen Mann auf der Welt. Und darum that es mir leid, daß Sie fern blieben.
O, wenn Sie wüßten, rief er, immer von ihr abgewendet, welchen Kampf es mich gekostet hat – Aber verzeihen Sie, ich darf nicht weiter sprechen. Gerade, weil Sie Die sind, die ich so hoch verehre, die in der ersten Stunde so viel Macht über mich gewonnen hat – nicht durch Ihr Aeußeres allein – nein, weil ich in Ihnen die Verkörperung meines lebenslangen Traumes vom Weibe gefunden habe, gerade darum dürfen Sie nicht hören, was eine frevelhafte Leidenschaft mir auf die Zunge legen möchte. Ich darf nicht vergessen, was ich der Frau eines Freundes schuldig bin, selbst wenn ich mich von diesem Freunde abgewendet habe.
Sie starrte eine Weile schweigend vor sich hin. Dann sagte sie sehr leise und mit bebender Stimme: Und wenn auch ich mich von ihm abgewendet hätte?
Frau Leonore!
Still! Wir werden beobachtet. Es ist besser, wir sagen uns gute Nacht. Ich werde die nächste Zeit bei meiner Mutter in Berlin zubringen. Vielleicht – begegnen wir uns dort einmal. Was Sie aber auch von mir hören mögen, glauben Sie, daß ich nicht leichtherzig über mein Schicksal entschieden habe. Es giebt moralische Unmöglichkeiten, die für jede Natur verschieden sind. Ich muß der meinen treu bleiben.
Sie reichte ihm rasch die Hand und wandte sich, um ins Haus zu gehen. Er aber hielt sie fest.
Ist es möglich, Frau Leonore? Habe ich mich nicht verhört? Sie wollen sich von Ihrem Manne trennen?
Sie nickte nur.
Und er – er hat eingewilligt?
Er weiß es noch nicht. Er soll es heute erst erfahren.
Er wird nie darein willigen, Sie wissen nicht, wie er Sie liebt.
Ein bitterer Zug vertiefte sich an ihrem Munde. Auf seine Art, warf sie kaum hörbar hin. Sprechen wir nicht mehr davon!
Nein, gnädige Frau, Sie müssen mich noch hören. Ich bin die unschuldige Veranlassung gewesen, daß es dahin kam, ich müßte mir's jetzt zum Vorwurf machen, wenn ich es ruhig geschehen ließe, da ich doch weiß, daß es ihn vernichten würde.
Da sah sie ihn durchdringend an. Sie sagen, was Sie selbst nicht glauben. Auch das macht Ihnen Ehre. Sie machen seinen Anwalt, obwohl Sie ihn nicht mehr lieben. Aber da es an meinem Urtheil nichts ändern kann: halten Sie ihn wirklich für eine so tiefe Natur, daß mein Verlust ihm ans Leben gehen könnte? Er wird sich erst sehr verzweifelt geberden und in Versen seine Kränkung ausströmen. Aber schon nach einem halben Jahr wird er einen Ersatz gefunden haben, wäre es auch nur, um der Welt zu beweisen, daß er nur den Finger auszustrecken habe, um Zehn für Eine zu bekommen, für Eine, die so verblendet gewesen, an seiner Seite sich nicht hochbeglückt zu fühlen.
Und da er hierauf Nichts erwiderte: Auch ich habe ihn überschätzt. Wie wäre ich sonst die Seine geworden? Auch ich glaubte seiner Versicherung, es werde ihn vernichten, wenn ich mich ihm versagte. Aber in diesen zwei langen Jahren habe ich Zeit genug gehabt, meinen Irrthum einzusehen. Wir sind so verschieden, als gehörten wir zwei verschiedenen Nationen an. Was weiß er von meinem innersten Leben? Er hat sich nie darum bekümmert, seine Natur ist ganz auf den Schein gestellt – den schönen Schein, will ich ihm einräumen –; er muß Alles nach außen kehren, ich mein Bestes und Theuerstes in mich verschließen. So sprachen wir immer verschiedene Sprachen, und da ich mich nie völlig aussprach, meinte er wohl, wir verständigten uns. Glauben Sie nicht, daß ich ihm einen Vorwurf daraus machte. Was kann er für seine Natur? Die Schuldigere bin ich, ich hätte meiner inneren Stimme gehorchen und fest bleiben sollen. Jetzt aber schreit diese Stimme, schreit so gebieterisch – ich kann sie nicht zum Schweigen bringen. Es gäbe wohl eine Stimme, die das könnte: die Stimme eines Kindes. Da wir aber kinderlos sind – Und so muß es denn sein, und Sie dürfen sich von jeder Verantwortung freisprechen. Sie haben uns Beiden einen Dienst geleistet.
Er wollte Etwas dagegen sagen. Sie erhob aber die Hand mit einer lebhaften Geberde, wie um ihn zu beschwören, daß er nicht weiter in sie dringen, sie jetzt nicht zurückhalten möchte. Ehe er noch sich fassen konnte, sah er sie mit ruhiger Haltung über die lampenhelle Terrasse nach dem Saale schreiten und vor seinen Augen verschwinden.
*
Eduard kam ihr im Saal entgegen und nickte ihr in aufgeregter Vertraulichkeit zu.
Ich wollte eben hinaus, mich nach dir umzusehen. Es wird doch wohl zu kühl, und du kannst die feuchte Nachtluft nicht vertragen.
Ich will fort, erwiderte sie, an ihm vorbeisehend. Es ist hohe Zeit für mich.
Jetzt schon? Es ist ja noch nicht Elf. Und die Baronin will noch ein paar spanische Lieder singen – du siehst, die Meisten gehen wieder hinaus – man würde es nicht begreifen, wenn wir uns so früh verabschiedeten.
Ich werde auch ohne Abschied gehen. Aber wenn du noch bleiben willst – ich bedarf keiner Begleitung.
Er suchte in ihrem Gesicht zu lesen, warum sie so eilig sei, doch konnt' er's nicht enträthseln.
Was du nur denkst! sagte er, da sie Miene machte, an ihm vorbei nach der Garderobe zu gehen. Wenn du nicht bleiben willst – was soll mich hier halten? Es ist auch vielleicht vernünftiger, da du leidend warst. Ich denke, wir kommen unbemerkt hinaus.
Als sie aus der Straße waren: Willst du mir nicht deinen Arm geben? – Sie lehnte es schweigend ab und zog den leichten dunklen Mantel fester um sich, als ob sie fröstle, so warm die Nacht war. Umsonst suchte er nach gleichgültigen Worten, da das dumpfe Schweigen ihn peinigte. Was mochte sie mit Roderich gesprochen haben draußen auf der Terrasse? Sicher war das der Grund, daß sie so plötzlich aufbrach. Nun, in zwei Tagen sollte er ja die Stadt verlassen. Dann würde Alles nach und nach wieder ins alte Geleise kommen.
Auf einmal stand er still. Wohin verirren wir uns? Das ist ja nicht unser Weg. Hier kommen wir nach dem Bahnhof. Wie wir nur so gedankenlos nach links einbiegen konnten!
Es ist mein Weg, sagte sie, blieb nun aber ebenfalls stehen. – Sie befanden sich aus einem kleinen mit grünen Büschen bepflanzten, mit Bänken versehenen Platz, der den Kindern am Tage zum Spielplatz diente. In der Mitte plätscherte ein Springbrunnen, sonst regte sich weit und breit nichts Lebendiges.
Dein Weg?
Ja, und ich bitte dich, keinen Versuch zu machen, mich zurückzuhalten. Es wäre vergebens. Ich will nach Berlin zu meiner Mutter, in einer halben Stunde mit dem Nachtzug. Das Leben, das ich diese letzten Tage geführt habe, ertrage ich nicht länger, und auch für dich war's eine Pein. Und so ist es besser, ich gehe von dir.
Er starrte sie fassungslos an; dann lachte er krampfhaft auf. Ich merke jetzt: dies ist nur ein böser Traum! Dergleichen Träume – o, nicht zum erstenmal habe ich so geträumt! Aber ich bin immer noch wieder aufgewacht – Und jetzt, Leonore –! Nein, nein, sage mir –
Sie sah ihn kummervoll an. Es ist leider kein Traum, Eduard, nein, traurige wache Wirklichkeit. Ich habe dir gesagt, daß ich mir Mühe geben wolle, das Geschehene zu vergessen. Aber so redlich ich danach gerungen habe – ich kann es nicht! Ich könnte dir nie wieder werden, was ich dir gewesen bin, mit Leib und Seele dein Weib. Du verstehst das vielleicht nicht. Wenn du es verstehen könntest, hättest du mir das nicht angethan. Es war vielleicht kein schweres Verbrechen, in deinem Sinne, aber es steht zwischen uns: bei jedem Versuch, dich mir zu nähern, würde mir's wieder aufs Herz fallen: wer weiß – was ich ihm gebe, in einer unbewachten Stunde würde er es wieder verrathen. Siehst du, darüber könnt' ich nicht hinweg, und so lebtest du neben mir hin, als wärst du an ein Steinbild gefesselt. Lösen wir das Band in Frieden und Freundschaft. Du hast mir viel Liebe gegeben – wie du es verstehst – ich danke dir dafür, und Gott weiß, daß es mir bitter ist, dir wehthun zu müssen. Aber du wirst eine Andere finden, die dir das ist, was ich dir nicht habe sein können, und wirst dereinst fühlen, daß es zu deinem Besten war – dieser Schritt, der uns trennt für immer.
Seine Bestürzung war, während sie dies Alles mit fester, leiser Stimme sagte, einer anderen Stimmung gewichen. Mit flammenden Augen trat er dicht vor sie hin und faßte sie am Arm. Sie hielt seinen Blick ruhig aus und versuchte auch nicht, sich loszumachen.
Weißt du, daß das Wahnsinn ist? rief er, daß ich meine vorm Altar beschworene Pflicht gegen dich gröblich verletzen würde, wenn ich dich jetzt handeln ließe, wie eine überspannte Empfindsamkeit dir's eingiebt? Glaubst du, irgend ein Mensch, ja nur irgend Eine deines Geschlechts würde dir dies nachfühlen, dich nicht auslachen, wenn sie erführen, aus welchem Grunde du dich von einem Manne scheiden willst, der dich auf Händen getragen hat? Du bist krank, Leonore, kränker, als du selber ahnst. Du wirst mir erlauben, die gesunde Vernunft zu brauchen, die dein moralisches hitziges Fieber dir geraubt hat, und dich jetzt nach Hause zu führen. Wenn der Anfall vorüber ist, wirst du mir's danken, daß ich dich gehindert habe, dich und mich lächerlich zu machen.
Sie rührte sich nicht und erhob auch nicht ihre Stimme. Mag sein, sagte sie, daß Andere anders denken und daß selbst Wenige meines Geschlechts mich verstehen würden, wenn ich – was nie geschehen wird – mich herabließe, mein Handeln zu rechtfertigen. Ich aber habe nur zu bedenken, was für mich Gesetz und Pflicht der Selbsterhaltung ist. Und du irrst, wenn du glaubst, die Zeit würde Etwas daran ändern. Darum bitte ich dich, gieb mich frei, gutwillig – daß ich an diese letzte Stunde wenigstens mit keiner häßlichen Empfindung zurückdenken muß.
Und wenn ich dir erkläre, daß ich nicht im Mindesten gesonnen bin, zu diesem unglaublichen Schritt meine Einwilligung zu geben? daß ich abwarten will, ob du, da ein anderer Scheidungsgrund nicht vorliegt, die Stirn haben möchtest, den wahren offen einzugestehen? Was würdest du dann thun?
Was ich dann thun würde? Ich will dir's sagen: ich würde zu deinem ehemaligen Freunde gehen und ihn fragen, ob er mich aufnehmen wolle. Eine Frau, die ihren Mann, wie es heißt, böslich verlassen hat, bedarf keines anderen Scheidungsgrundes – und das Urtheil der Welt kann ihr ja gleichgültig sein.
Seine Hand stieß plötzlich ihren Arm von sich, er trat einen Schritt zurück, ein irres Lachen verzerrte sein Gesicht.
O, sagte er, das ist etwas Anderes! Deine Vestalinnentugend fühlt sich tödtlich verletzt durch ein etwas freies Wort, das deinem Mann entschlüpft ist, aber näher betrachtet, ist Alles nur eine Komödie. Du suchtest nur nach einem Vorwande, frei zu werden, um dich an einen Anderen zu hängen, der dir besser gefällt – und auch er – o, nun wird mir Alles klar!
Ich verzeihe dir auch das, sagte sie, sich mit ruhiger Hoheit aufrichtend. Du bist an deiner besten und schwächsten Stelle verwundet, du sollst Die verlieren, die du immerhin geliebt hast, und zugleich leidet deine Eitelkeit bei dem Gedanken, welches Aufsehen es machen wird, wenn ich nicht zu dir zurückkehre. Darum ist es dir eine traurige Genugthuung, unwürdig von mir zu denken. Ich muß dir aber sagen, daß du mir schweres Unrecht thust. Ja, es ist wahr, er hat Eindruck auf mich gemacht, beim ersten Begegnen, wie er neben dir stand nicht zu deinem Vortheil. Gerade darum wollt' ich's vermeiden, ihm wieder zu begegnen, und an jenem verhängnißvollen Abend schützte ich Kopfweh vor, um ihn nicht bei uns zurückzuhalten. Du selbst thatest eben in deiner Verblendung das Mögliche, daß er in meinen Augen gewann, gerade so viel, wie du verlorst. Und doch bezwang ich mich noch. Ich wollte vergessen, wollte mich zwingen, dir Treue zu halten, wenn auch meine Liebe, die du nicht leichten Kaufs errungen hast, mehr und mehr erkaltete. Da kamst du und gabst mir das Heft mit deinen Gedichten. Als ich die gelesen hatte, war's in mir entschieden. Ich habe die Blätter verbrannt, Niemand soll je erfahren, was du so sorgfältig darin in schöne Reime gebracht hast.
Auch das noch! rief er in aufloderndem Zorn. Aber das ist ja der bare Wahnsinn! Diese Gedichte, aus denen die zärtlichste Leidenschaft sprach –
Im Stil von Goethe's Römischen Elegieen.
Er zuckte zusammen. Mag sein, daß ich das, was mich beseligt hatte, zu offen gebeichtet habe. Aber wer, als ich und du, sollte von dieser Beichte wissen?
Sie rümpfte die Lippe. Dies Heft lag bisher in deinem Pult, zu dem du oft den Schlüssel stecken ließest. Das Mädchen konnte dazu kommen und, wenn sie neugierig war, darin lesen. Ich selbst sah es einmal liegen, als ich einen Brief der Mutter suchte, den ich noch zu beantworten hatte. Ich that keinen Blick hinein, obwohl mein Name darauf stand. Du weißt, deine Poesieen haben mir nie wohlgethan. Das Intimste in schönen Worten zu sagen, mag durch das alte Herkommen den Dichtern vergönnt sein. Wenn sie wahre Dichter sind, kann es auch Andere erfreuen. Doch wenn ein Geringerer als Goethe so von seiner Geliebten gesungen hätte, wär's unerträglich, und du – bist nun doch kein Goethe. Dennoch weiß ich, auch du würdest nicht ewig zu schweigen lieben, und wenn auch erst nach meinem Tode dafür sorgen, die Welt von dem zu unterhalten, was ewig ein zartes Geheimniß bleiben muß, wenn es nicht als ein schamloser Verrath am Heiligsten erscheinen soll. Als ich das erkannt hatte, stand es bei mir fest: wir können nicht beieinander bleiben. Nun weißt du Alles, nun halte mich nicht länger auf. Noch einmal: es schmerzt mich in tiefster Seele, daß dies so kommen mußte. Aber Gott helfe mir, ich kann nicht anders! Lebe wohl!
Sie hüllte sich dichter in ihren Mantel, den er in der Aufregung ihr halb von der Schulter gerissen hatte. Noch einmal streifte ihn ein trauriger Blick. Dann wandte sie sich von ihm ab, den Weg nach dem Bahnhof fortzusetzen. Leonore! hörte sie ihn in der Ferne rufen, als sie schon aus den letzten Büschen heraustrat. Sie antwortete nicht. Sie schritt weiter, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Augen eingedrückt. Nur zwei schwere Tropfen, die ihr über die Wangen rannen, bezeugten es, daß der Schnitt, der sie von ihm lös'te, auch ihr durchs Herz gegangen war.
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