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Dem sonnigen Tag war eine samtig tiefe Neumondnacht gefolgt. Um neun schon funkelte der Himmel von Myriaden Sternen, deren Glanz das Auge Unendlichkeiten ahnen ließ wie sonst nur in den Perseïdennächten des Augusts.
»Nu war doch kaum Johanni, und schon diese Dunkelheit! Ja, ja, die Zeit verjeht. Gar nicht so lange, bis es wieder Winter wird«, sagte Graf Brokkenhuus; es klang, als kehre er aus Weltenfernen in seinen gedämpft über den Makadam der Straße knirschenden Rollstuhl zurück.
»No, Winter?« meinte Sepp, der dieses Fahrzeug schob.
»Grad frieren tut's mich net. Ich schwitz!«
Sein Herr ließ ein gedämpftes Lachen hören. Dann wies seine Hand zum Himmel: »Kuck, eine Sternschnuppe! Sepp, wünsch dir was!«
»Jawohl, Herr Graf, hab mir schon was gewunschen. – Und Herr Graf?«
»Der hat sich das Was-Wünschen schön bei langsam abjewöhnt.«
»Weil der Herr Graf so alles hat.«
»Du hast's erfaßt, mein lieber Sepp!«
Der Diener schob den Rollstuhl vor das Gittertor der Villa Rapp und drückte auf den Klingelknopf.
Nach kurzer Zeit erschien Gestettner, ein vielseitiger Mann, des Doktors Gärtner und Chauffeur, der nebenbei das Pförtneramt versah.
»Grüß Gott, Herr Graf!« rief er, warf einen Torflügel zurück und trat hinter den Stuhl.
»Ich kann schon selber!« wehrte ihm Sepp.
»Krischperl du! Geht fei bergauf.« Gestettner grinste mitleidig.
»Hab öfters schon wie Sie ...« widersetzte sich der Bursch.
»Laß den Jestettner machen!« entschied sein Herr. »Mit dir die Steijung – fühlt man sich stellenweise doch zu sehr in Gottes Hand.«
»Ja, das sind andre Pratzen!« Der Chauffeur wies stolz die seinen vor, drängte Sepp kurzerhand beiseite und fuhr los.
»Aber schön langsam! Ich hab Zeit«, mahnte der Graf.
»Ist recht, Herr Graf, fahrn wir im ersten Gang! Ist mir selbst lieber: kühlt sich heuer bei der Nacht auch nimmer ab. – Obzwar: fürs Auto wär das Wetter wie bestellt. Bis auf den Staub. – Schenkt mir Herr Graf auch wieder einmal die Ehr?«
»Wenn es sich treffen sollte, daß ich mal nach München muß ... Nur aus Jenußsucht durch die Jejend karriolen – nein, warum!«
»Mit mir passiert fei dem Herrn Grafen nix! Denn wer wie ich erst einmal seine hundertfuchzigtausend Kilometer hat ...«
»So war es nicht jemeint. Ich zweifle nicht, daß Sie ein sichrer Fahrer sind.«
»Ich hoff, daß ich es dem Herrn Grafen öfters noch beweisen darf. Heißt das: wenn nicht am End ... Was sagen Sie, Herr Graf: kommt's nun zum Krieg?«
»Hoffentlich nicht! Gott schütz!«
»Das geb ich zu. Wenn man es von der Seiten her betrachtet, bin ich ja Familienvater und hab Frau und Kind; und als gedienter Mann, Gefreiter bei die Leiber, müßt ich gleich mit. Aber wenn die Franzosen ... Daß die mit mir im Feld draußd nix zum Lachen hätten, darf ich schon sagen! Ich mag mich nicht selber loben, aber – alles, was recht ist!«
»Erbarmung, lieber Freund, warum plötzlich so blutdürstig?« fragte der Graf. »Und übrijens: wenn Rußland schon mit seiner Rüstung fertig wär – wer weiß! Aber wie nu die Dinge liejen, glaub ich, rutschen wir diesmal noch zur Not daran vorbei.«
»Wär einesteils ja gut«, gab der Chauffeur zurück. »Ob man sich aber drüber freuen darf? So, wie es ist – lang kann das nimmer gehn. Die Zuständ, na!«
»Jestettner, ich bin starr. Grad Sie hätt ich für beinah restlos glücklich anjesehn.«
»Von mir sag ich ja nichts, Herr Graf. Man lebt so halbwegs. Ich mein: überhaupts. Da könnt ein Krieg schon manches anders machen.«
»Zweifellos«, bestätigte der Graf. »Nur ... glauben Sie: auch besser?«
»Schlechter kanns nicht werden. Da verwett ich meinen Kopf!«
»Jestettner, scheint mir fast, wir sind bißchen verwöhnt. Wenn's Krieg jibt, ist die Ursache der Neid der andern jejen uns. Und daß die uns beneiden, weil es uns so schlecht jeht, kommt mir nicht wahrscheinlich vor.«
»Mit dem Herrn Grafen diskurieren – muß ich freilich den Kürzern ziehn, als unstudierter Mann. – Es ist halt mein Gefühl ...« erwiderte Gestettner.
Sie hatten das Buschwerk durchquert, das den unteren Teil des Weges säumte, nun lag das Wohnhaus frei vor ihrem Blick.
»Die Helligkeit schon in der Diele!« rief der Graf. »Sie werden doch noch nicht mit Essen fertig sein?«
»Woher, Herr Graf! Brennt nebendran auch noch das ganze Licht. Da, horchen S'!« Ein vielstimmiges Lachen klang durch die offenen Eßzimmerfenster hervor.
»Die Lustbarkeit schlägt scheinbar hohe Wellen«, sagte der Graf, als nun der Stuhl auf die Terrasse rollte und vor der Freitreppe hielt. Gestettner wollte ihm auch aus dem Sessel helfen.
»Nein, lieber Freund«, wehrte ihm Brokkenhuus, »herauf war ich bei Ihnen in den besseren Händen. Jetzt kommt das andere, wo Sepp mehr Übung hat und – nicht soviel soldatischen Elan.«
Der kleine Diener warf sich schmunzelnd in die Brust, und es begann die mühevolle Arbeit des Aussteigens.
»Also!« sagte der Graf atemlos, als er endlich auf den Füßen war. »Meinen Stuhl, den fahren Sie einfach da an den Ahornbaum! In diesem Sommer regnet es ja nicht. Dank schön, Jestettner!« Er drückte ihm ein Markstück in die Hand. » Andiamo, Sepp!« Er stützte sich schwer auf den Arm des Burschen. – »Bißchen verpusten!« keuchte er, als er die Freitreppe hinaufgestolpert war, und blieb ein Weilchen in der Türe stehn. Gottlob, hier war es noch ganz menschenleer – er konnte sich ungesehn auf seinen angestammten Platz verfügen. – »So, nun jeht's wieder. Dahin!« Er zeigte nach einem Tischchen in der Nähe der Eßzimmertür.
»Das weiß ich doch, Herr Graf!« betonte Sepp und unterstützte seinen Herrn, bis der in dem bequemsten Sessel lehnte, den es hier gab.
»Sepp, meinen Hut hängst du nun an die Knagge auf dem Gang und siehst gleich Otto aufzutreiben. Er bringt mich schon nach Hause, aber fragen muß man schließlich doch. Und dann, carissimo, verschwindest du und kriechst gleich in dein Bett! Wer noch im Wachsen ist, braucht seinen Schlaf. – Nein, auch kein halbes Stündchen! Denn das kenn ich schon. Gut Nacht, und mach dich dünn!«
»Jawohl, Herr Graf!« Sepp trollte sich, starken Verdruß in seiner Rückenlinie andeutend, zur Gangtür hinaus.
Brokkenhuus holte sich eine Zigarette aus der Silberdose auf dem Tisch, entzündete sie nicht ohne Schwierigkeit, blies ihren Rauch behaglich von sich, horchte auf das Stimmengewirr im Nebenzimmer und musterte zufrieden diesen Raum, der seine frohesten Stunden sah.
Weshalb er »Diele« hieß, schien rätselhaft. Hier gab es keine Treppenanlage – die hatte der Baumeister in den Gang verbannt, der rückwärts zu den Wirtschaftsräumen führte. Dies war also kein Vorplatz, sondern ein Saal, fast doppelt so breit als tief und seiner ganzen Anlage nach recht zum Verweilen angetan. Decke und Wände glänzten in reinem Weiß; sparsame Stuckornamente im Stil Ludwigs des Sechzehnten teilten die großen Flächen auf. Der Zeit des gleichen Königs entstammte die Überzahl der Möbel: bürgerliches Louis-Seize aus dunkelbraun gebeizter Eiche. Manches ebenso prunklos geformte Stück aus anderen Perioden reihte sich an: Barocksessel und -tischchen, Empirekommoden und Rokokoschränke, ein paar Ohrenstühle aus dem Biedermeier; auch ein moderner Flügel fehlte nicht – Nußbaum- und Mahagoni-, Palisander-, Birkenmaser-, Kirsch- und Rosenholz, ohne viel Rücksicht auf Zusammenpassen hingestellt. Das grade gab dem Raum trotz seiner Größe Wohnlichkeit.
Für Unbekümmertheit um Regeln zeugte auch die Wahl der Polsterüberzüge: Gelb, Rot und Orange, hier und da auch ein starkes Blau, ein sattes Grün, hoben sich voneinander ab, ohne daß sich die Farben prügelten. In den Perserteppichen, die fast den ganzen Boden überdeckten, kehrten all diese Töne wieder und verschwammen zu einem tiefen Akkord. Grellbunte Sommerblumensträuße aber, die, wo irgend Platz war, in bauchigen Gefäßen prangten, schmetterten lustige Fanfaren darüber hin. Alle Gemälde an den Wänden waren alt, doch von verschiednem Alter: holländische Stillleben des siebzehnten Jahrhunderts, weibliche Bildnisse vom Anfang des achtzehnten bis in das zweite Drittel des neunzehnten herein. Kunstwerke hohen Ranges gab es darunter nicht, doch wirkte ihr durch das Nachdunkeln verschönter Farbenklang auf der hellen Wand schmuckhaft und still zugleich.
Das alles lag strahlend beleuchtet da: der mächtige venezianische Kristallkronleuchter inmitten des Zimmers brannte, dazu ein Dutzend Wandlampetten vor blanken Messingspiegeln und ein paar hohe Stehlampen mit Seidenschirmen von gebrochnem Weiß.
»Für mich allein reichlich verschwenderisch, dies Licht!« dachte der Graf. Als aber das Lachen und Geschnatter im Eßzimmer für einen Augenblick verstummte, da spürte er, daß er gar nicht allein war. Das Summen von zahllosen Nachtfaltern füllte die Luft, und ihre Köpfe klopften beinah im Takt gegen das heiße Glas der Glühbirnen. »Natur, die unter unserer Zivilisation zu leiden hat!« dachte der stumme Gast bei sich, und seine Augen starrten nachdenklich in die Luft.
Da ging die Gangtür, und Centa Hollerieth trat ein, jetzt in einem reich mit der Hand bestickten hellblauen Voilekleid – ein Stück Natur, dem die Zivilisation wie angegossen saß, fand ihr getreuester Verehrer, als er sie sah. »Ich mußt in der Küche wegen was schaun und treff draußen den Sepp. Recht, Brokkenhuus, daß du so zeitig kommst! – A geh, nicht aufstehn! Grüß dich Gott!« Sie reichte ihm die Hand, an der jetzt ein paar alte Ringe blitzten.
Er drückte einen Kuß darauf, blieb aber sitzen. »Ah, ein neues Kleid! Wie Blaßblau dir gut steht!«
»Ja, ist auch ein Modell.« Sie sah an sich herunter. »Das hat uns am Montag noch die tüchtige Geßler Mena aufgeschwätzt. Glaub selber: es ist schick? Das kann man freilich auch verlangen um dies Geld. – Was trinkst denn, Brokkenhuus? Halt Sherry wieder, so wie ich dich kenn?« Sie näherte sich einem mit dem Wappen der Medici geschmückten großen Bronzekessel, darin eisgekühlt ein kleines Dutzend Flaschen stand.
»Liebe Centa, ich hab Zeit. Entzieh dich deinen andern Jästen nicht!«
»Hörst nicht, wie munter daß auch ohne mich die Mäuler gehn?« Sie wies nach der Eßzimmertür. »Wir zwei essen unsern Pariser Igel hier. Die Rasselbande sieht mich nachher noch genug. – Gel, also Sherry?«
»Ich bin ja bejeistert, Centa, wenn dein Glanz auf meine alte Hütte fällt ...«
»Ach, alte Hütte ... Kokettier nicht, Brokkenhuus!« Sie holte eine Flasche aus dem Kessel und zwei Glasbecher von einem Tischchen an der Wand. »Zum drittenmal frag ich jetzt nimmer. Weil ich so weiß, was du trinkst.« Sie schenkte ein.
Er fing sein Glas ein, und sie stießen an. »Ja, so ein trockner alter Sherry!« sagte er dann. »Und mein jestrenger Hofrat sieht es ja fürs erste nicht. Ist er denn nu jekommen?«
»Freilich, mit avec. – Aber was glaubst, wer noch ganz eiskalt drinnen hockt? – Der Bachhuber!«
»Ach? Ferdinand sagte mir doch ...?«
»Ja, der sagt viel! Ich hab es aber gleich gewußt! Grad, wie wir uns zum Essen niedersetzen, spaziert der Bazi auch schon bei der Tür herein: Fleischpflanzerl hätt's in der Pension gegeben, und für den Schlangenfraß bedankt er sich. Der Alisi, kannst du dir denken, hat sich sofort die Ärmel aufgestreift. No aber, weißt ja, wie der Ferdl ist: ich wenn was möcht, spreizt er sich ein dagegen; und so einer springt mit ihm um, wie er grad mag!«
»Ach, Centa, und du nicht? Das ist mir neu.«
»Brokkenhuus, laß es nur gehn: von dieser Seite kennst ihn du halt nicht. Übrigens: zum lachen hat der Bachhuber heut abend nix. Weißt, da ist dein Neveu der Richtige: wenn er die Leut so sachlich, möcht ich sagen, derbleckt und dazu unschuldig wie ein Schwaiberl schaut. Schönheit drückt ihn ja weniger; macht aber nix: ein ganz famoser Mensch! Was haben wir gelacht!«
»Ja, er besticht wohl sehr«, bestätigte der Graf. »Und dabei hat er eijentlich zum Lachen wenig Grund. Seine Kindheit war unerfreulich, und auch jetzt hat er's nicht leicht. Wie er das tapfer hinnimmt – ja, das hat schon was.«
»No?« meinte Centa zweifelnd. »Tapfer ist zwar etwas viel behauptet. Denn unsern Bürschei beispielsweise fürcht er doch, als wenn der alte Bettvorleger eine neumodische Art von Lindwurm wär.«
»Ja, Centa. Hunde, nu und Tiere überhaupt ... Er ist ja körperlich nicht stark und von klein auf bißchen verschreckt. Seine Mutter, die jüngste meiner Schwestern, starb an seiner Jeburt. Sein Vater aber war von der unduldsamsten Härte jejen den sehr zarten Jungen, wie jejen jeden, abjesehen von sich selbst.«
»So Leut lieb ich!« Centa zog den rechten Mundwinkel spöttisch hoch. »Und was ist er denn von Beruf gewesen, dieser Kinderschreck? Ich stell mir so was wie 'nen Gymnasialprofessor vor.«
»Nein, er war Jeistlicher; und als Kanzelredner lebhaft umschwärmt, vielleicht jerade wejen seiner verrannten Rechtgläubigkeit. Leider erwies es sich bei seinem plötzlich im Hause einer zweifelhaften Dame erfolgten Tod, daß diese Glaubensunerbittlichkeit in einem schwer belasteten Jewissen ihren Ursprung hatte. Wie er, und noch dazu in Riga, unbemerkt ein solches Doppelleben führen konnte, weiß der liebe Gott! Weiberjeschichten von der trübsten Art und Jeldjeschichten von noch trüberer enthüllten sich, bevor er noch im Grabe lag – Riga stand Kopf. Mein Neffe Manny hatte seinen Vater nie jeliebt; trotzdem sprang er für seine Rehabilitierung wenigstens im Jeldpunkt in die Bresche und sargte damit seine eijenen Zukunftspläne ein.«
»Ja, hat er das denn müssen?« fragte Centa erstaunt. »Und Pläne?«
»Musik studieren wollte er. Statt dessen kroch er auf einem kleineren Beamtenposten unter, der ihn zur Not vor dem Verhungern schützt. Und müssen? Nein, er mußte nicht und tat es doch. Das ist es eben. Allerdings versteht man bei uns in solchen Dingen wenig Spaß.«
»Ich nenn das Krampf!« rief Centa fast erregt. »Und ich wenn er gewesen wär, ich hätt mich von da droben verrollt und hätt die Spießer schwätzen lassen! Ja, oder ist bei euch denn das Gesetz nicht so, daß man Erbschaften ablehnen kann, die einen bloß belasten? Hier weiß ich selber einen Fall ...«
»Ach, Centa, davor, daß wir alle Erben sind, und meistens leider mehr im negativen Sinn – davor schützt kein Jesetz. Es liegt schließlich im Blut. Und das ist von unsrer Seite her bei Manny wohl bißchen dünn. Wer mal zum Kämpfen nicht jemacht ist, läßt es besser. Denn er fällt dabei doch nur herein.«
»Sich sagen müssen: Kämpfen hat so keinen Zweck; nimms, wie es trifft!« Sie schüttelte sich förmlich.
»Was brauchst nu du zu kämpfen, Centa! Du siegst ja auch so.«
»Von wegen!« lachte sie ein wenig bitter. »Nein, tut schon not, daß man ...« Sie schielte mißtrauisch nach der Eßzimmertür und wisperte hastig: »Du, vor die andern kommen, hätt ich gern ... Ich hab's heut mit mir ausgemacht, daß ich dem Ferdl pfeilgrad ein Ultimatum stell.«
»Was? – Nu, ich hatte doch schon ersten das Jefühl, daß was nicht stimmt. Was ist passiert?«
»Passiert ist nix. Bei mir hat es jetzt halt geschnappt. Und ewig sein Verhältnis bleiben – ist das für mich das Richtige?«
»Aber bist du nicht seine Frau? Was da noch fehlt, ist lediglich Formalität. Und wenn ein Apfel reif ist, fällt er ganz von selbst herunter.«
»Reif dürft er langsam sein mit achtunddreißig! Und ich werd auch schon gräuslich alt.«
»Wenn das die größte Sorje ist, die dich bedrückt ...«
»Was meinst du: siebenundzwanzig, Brokkenhuus! Hauptsache aber, daß ich Kinder möcht! Und zwar nicht als verkalkte Urschel erst! Zu was ist man sonst auf der Welt!«
»Erlaub mir, deine Hand zu küssen!« lachte er und ließ die Tat dem Wunsche folgen. »Ja, da hast du recht! Auf deine Kinder freu ich mich.«
»Dann, Brokkenhuus, hilf auch zu mir!«
»Tu ich's denn nicht die ganze Zeit, soweit du Hilfe brauchst?«
»So leis, wie du es machst – das greift bei seinem Fell nicht an.«
»Oh, überschätze seine Epidermis nicht! Das Borstije daran ist eher Schreckstellung aus Angst.«
»Angst? Wie? Vor mir?«
»Sagen wir: vor irgend etwas in ihm selbst. Das bayrisch Viereckije, was hierzulande ja nicht selten ist, scheint mir ein Lederpanzer, hinter dem sich häufig eine solide Portion Sentimentalität versteckt. Vielleicht ist auch die so beliebte Lederhose ein Symbol dafür.«
»Gefühlvoll findst du ihn?«
»Wieweit Sentimentalität Jemütstiefe bezeugt, steht hier nicht zur Debatte. – Angst? Nu: grade Angst ...? Dumpf aber spürt er sicherlich, daß du die Stärkere bist. Das seid ihr Frauen überhaupt.«
»Ja, gar so schwach komm ich mir auch nicht vor. Aber er ist trotzdem zu ... viereckig, als daß man ihn so einfach ... rollen könnt. Angst, aber keine Besserung!«
»Abwarten, Centa! Den Moment ergreifen! Merkt er, daß du ihn rollen willst, dann macht er sich viereckig. Vorsichtig unter ihm den Boden höhlen, bis er von selbst ins Kullern kommt! Pistole auf der Brust weckt Widerspruch.«
»Und seine alte Dame fürcht er besser wie mich – das hat der Teufel gesehn!«
»Kann ich ihm nachfühlen«, nickte der Graf.
»Was, kennst du denn die Mutter?«
»Ja; als ich noch in München in Jesellschaft jing ... Zwei-, dreimal bei den Teekonfluxen der alten Fürstin Dettingen. – Ja, sie führt ihren Königstitel schon mit Recht.«
»Mei! Königin – Gambrina!«
»Nu, wenn man sie so mit einem königlichen Prinzen konversieren sieht, möcht man sich manchmal fragen, wer da wem Audienz erteilt.«
»Weiß nicht, auf was sie sich so viel einbilden braucht!« rief Centa. »Meinen Onkel Max, den Forstmeister, weißt, hat sie häufig bedient, wie sie als junges Mädel noch bei ihrem Vater hinter der Ladenbudel gestanden ist. Und der wär ich zu wenig für ihren Sohn!«
»Nein?« staunte Brokkenhuus. »Hat Ferdinand sie denn jefragt?«
»Enterben tät sie ihn! Was sagst du da dazu?«
Er lächelte. »Nu, kannst du ja froh sein! Was heißt das anderes, als letzte Zuflucht vor der Waffenstreckung? Er verkriecht sich hinter Mutters Rock. Denn daß sie nicht so ohne weiteres ihren Sejen jibt, wußte er doch vorher. Der Könijin Gambrina dies plausibel machen kann nur das fait accompli.«
»Grad, was ich ihm gesagt hab, Brokkenhuus! – Aber mir wird's zu dumm! Jetzt noch einmal fünf Jahr lang warten – ging mir ab!«
»Das kommt doch nicht in Frage, Centa.«
»Täusch dich über eins nicht, Brokkenhuus: passive Resistenz – in dem ist er fei tüchtig, glaub mir! Ich werd ihm aber zeigen, wie aktiv daß ich sein kann, wenn ich will.«
»Centa, was ist plötzlich in dich jefahren? So richtig hast du's doch bis jetzt jemacht! Das Leben zwingen ... Glück kann man sich nicht schaffen – haben muß man es. Glück ist viel mehr Veranlagung als Schicksal.«
»Wüßt nicht, daß ich so glücklich war! Auch darin tust mich überschätzen, Brokkenhuus. Ein armes Mädel, so wie ich – die darf dazuschaun, daß sie mit halbwegs heiler Haut durchs Leben kommt.«
»Oh, Centa, da hab ich gar keine Sorje. Denn du hast Instinkt.«
»So? Meinst? Und wohin hat er mich schon bracht – der Leichtsinn, den ich sicher hab? Mit siebenundzwanzig ist die Jugend bald herum. Und das Bohemige hängt mir beim Hals heraus. Soll's noch was Rechtes mit mir werden, so wird's langsam Zeit.«
»Centa, es ist doch irjend was passiert?«
»Woher! – Weil er grad heut von seiner Mutter ... Und überhaupt ... Ich hab gespürt, es wird nie was, wenn ich mich jetzt nicht rühr. Entweder – oder! Zieht er nicht, na laßt er's gehn! Gibt andere: brauch ich bloß winken – und die freuen sich!«
»Aber Centa ... Versteh ich dich denn recht? Ist da ein anderer ...?« Der Graf war starr.
»Wer weiß! Kann sein,« warf sie nachlässig hin. Lebhafter fuhr sie fort: »Warum soll ich's dir denn nicht sagen! Bleibt ja unter uns. Also, es gibt vielleicht schon einen, der es ernsthafter meint als wie gewisse Leut.«
»Herrje, und einer, den du scheinbar wenigstens von fern in Frage ziehst? Kenn ich ihn überhaupt?«
»No, einen Deuter hab ich dir schon einmal geben. Kannst du dir's gar nicht denken, Brokkenhuus?«
»Einer, von dem du mir erzählt hast? Nein.«
»Hab ich dir von so vielen denn erzählt? War vor dem Ferdl doch bloß einer da.«
»Ach, ist es dieser ... Erste, der ...?«
»Ja, freilich, der Oggetti Karl.«
»Oggetti? Du hast mir was anjedeutet ... Dein Kollege von der Bank, nicht wahr?«
»Nein, beim Versicherungskonzern ›Verdandi‹ in der Mahnabteilung hab ich für ihn getippt.«
»Richtig: Junger Mann aus dem Kontor. Sag, wie bist du denn zu dem jekommen?«
»Wie man zu so was kommt,« erwiderte sie leicht verlegen, schlug aber dann den Blick voll zu ihm auf: »Hab ihn halt liebgehabt.«
Er starrte vor sich hin. »Und doch ...?«
»Mein Gott ... Weil er von München fort ist. Denn er ist ein Tüchtiger gewesen. Da haben sie ihn berufen in die Bremer Zentrale. Zum Heiraten hat's vorn und hint noch nicht gelangt. Und er hat wollen, ich soll mit nach Bremen und dort erst in Stellung gehen für eine Zeit. Kann sein, es wär das Bessere gewesen. Weiß man es denn? No, aber ich ... Von München fortziehn und ... Das hab ich halt nicht mögen. Und da hat's schon Verdruß deswegen geben. Aber was wollt er tun! Und dann ... Die Woch zweimal hätt ich ihm schreiben sollen. Weißt, und mit dem Schreiben hab ich's nicht. Und was in Gottes Namen auch so oft? Die gschmerzten Brief von ihm, die haben mich auch nicht weiter dazu animiert. Und ... wie's halt geht! Ein junges Ding mag doch nicht alleweil hinterm Ofen hocken. Und wenn ich im Fasching einmal fort bin – schon hat's ihm einer von seine Freunderln, oder was weiß ich, gesteckt. Und wieder hat es Divergenzen geben. Und es hat sich dann so troffen, daß ich einmal am Bal paré den Ferdinand hab kennen lernen, no, und der ist a tempo wie verrückt in mich gewesen. Gar nix Unrechts natürlich, bloß lustig unterhalten haben wir uns. Aber das hat der andere in Bremen auch sofort gewußt, und ist ein Brief von ihm gekommen – der hat mich aber schon fuchsteufelswild gemacht: als ob ich mich verkaufen würd an einen reichen Protzen ... No, diesmal hat er meine Antwort nicht lang zum derwarten brauchen. Und die ist so gut deutsch ausgefallen, daß er mir gleich den Ring zurückgeschickt hat, ohne einen Ton. Und ich, kannst du dir denken, ihm postwendend den seinigen auch; und bin den nächsten Mittwoch wieder prompt zum Bal paré. Erst recht jetzt! Und grad ihm zum Trotz!«
»Trotz?« Der Graf hob aufhorchend den Kopf.
»Hab ich was Dummes gesagt?« Sie lachte stark befangen. »Du meinst, ich hätt dann mit dem Ferdl bloß aus Trotz ...? Nein, hat sich schon etwas gerührt für ihn da drinnen – sonst war ich dem Oggetti Karl vielleicht nicht gleich gar so energisch auf die Zehen treten. Ja schau, der Ferdl ... Anfangs wird's wohl mehr gewesen sein, weil ich mich gar so gut hab mit ihm unterhalten können. Dann aber hat's mich auch erwischt, weil er ... Und grad aus diesem Grund tut es mich kränken, daß er so anders worden ist, wenn ich zurückdenk, wie er gewesen ist die erste Zeit. Und hat vor dem Oggetti Karl manches vorausgehabt und einem manches geben können, was ...«
»Centa, sei nu nicht unjerecht! Das kann er sicher eben noch. Und wenn er dir jetzt wenijer zu jeben scheint, liegt das am Ende daran, daß du selbst mehr hast.«
»Ach! Ich versteh dich schon! Bin aber auch nicht im Zigeunerwagen groß geworden, Brokkenhuus!«
»Centa, wär nicht hier das Milieu das Richtije für dich, dann hättest du dich niemals so drin einjelebt. Das solltest du trotz dieser Rasselbande, wie du sie nennst, nicht unterschätzen. Und ob der Herr Oggetti dir das ersetzen könnte – ich weiß nicht. Wie ist er denn aber so plötzlich wieder aufjetaucht? Von Bremen her?«
»Nein, er ist schon seit einem Jahr in Lübeck Generalagent von der ›Verdandi‹.«
»Näher ist das aber auch nicht?«
»Er ist auf Sommerurlaub da, bei seine Leut. Am Montag sind wir, weil glücklich die beiden Wägen nicht in Ordnung gewesen sind, per Bahn zur Stadt, ich und der Ferdinand, no, und der Hofrat mit der Seinigen noch. In Sankt Quirin – wer steigt da in den gleichen Wagen ein? Kein andrer wie der Oggetti Karl. Mich hat's gerissen, weißt! Ihn aber auch! Und hat, scheint es, gefunden, daß ich derweil nicht wüschter worden bin.«
»Kunststück! Blind wird er ja wohl nicht sein.«
»Und hat aus seinem Eck alleweil so rüberspitzt, und ... da hat's ihn wieder erwischt.«
»Und du?« rief er.
»Ich hab natürlich gar nicht hingeschaut und so getan, wie wenn ich ihn überhaupt nicht seh.«
»Und dann?«
»Ja weiter nix. – Ach so? Und heut ist dann ein Brief von ihm gekommen.«
»Mit ... einem Heiratsantrag?«
»Ja. Daß, wie er mich gesehn hat, und was man so schreibt ... Und daß er alles das vergessen will von dazumal und auch, was diese Jahre her gewesen ist, wenn ich ... No, du verstehst mich schon.«
»Dann war sein Brief der Grund, daß du mit Ferdinand ...?«
»Da hatt ich ihn noch gar nicht aufgemacht.«
»Ihn aber schon jehabt? Ich sag es ja: du hast Instinkt. – Darf ich dir noch was sagen, Centa? Überleg dir reiflich, was du tust! Er will verjessen, schreibt er. Aber kann er es auch? Centa, lies diesen Brief noch einmal und zehnmal jenau, ob nicht schon da zwischen den Zeilen steht, daß er's nicht können wird!«
»Was du dir vorstellst!« rief sie fast gequält, sah ein Weilchen unschlüssig vor sich hin und gab sich dann einen Ruck: »Lies ihn doch selber!« Ihre Hand glitt in den Halsausschnitt, kam aber gleich in großer Eile und – leer zurück; denn hinter der Eßzimmertür erklang ein Tellerklirren, der Diener Otto trat ein und wiegte zierlich eine silberne Platte auf der Hand. »Da kommt ja der Pariser Igel«, sagte Centa. »Tun S' ihn nur her! – Ich hoff bloß, er ist so gut wie der an Pfingsten; weißt du noch?«
Sie legte Brokkenhuus und sich je eine tüchtige Scheibe von der mandelgespickten süßen Speise vor.
Als der Diener gegangen war, begann der Graf: »Wolltest du mir denn nicht den Brief ...?«
»Erst aber tust jetzt essen, Brokkenhuus!«
»Der Ijel läuft uns ja nicht weg. Gleich kommen auch die andern ...«
»Also, in Gottes Namen: da!«
Er nahm den Brief, klemmte sich den Kneifer vor die Augen und las Zeile für Zeile aufmerksam. – »Tja ...« begann er endlich zögernd und gab ihr den Bogen zurück.
Sie legte ihn in seine Falten und steckte ihn an den alten Platz.
»Brauchst gar nix reden! Kann mir so schon alles denken.«
»Nu, wie denn nicht! Warum fragt man denn andre um Rat! Du fühlst ja selbst, daß dies Niveau jetzt ziemlich unter deinem liegt.«
»Bloß auf die Feinheit geht's auch nicht zusammen.«
»Ja, und fühlst du nicht, daß die – wie sagt man gleich? – aufdringliche Jüte dieses Briefes keine Jüte ist, daß hinter diesem embarras von Edelmut ein kleiner Pharisäer rauskuckt?«
»Herrschaft, du verstehst dich drauf, einem was zu verekeln! Und grad das hab ich nun hübsch von ihm gefunden. Aber kann sein, daß du's am richtigeren Zipfel packst.«
»Nu Gott sei Dank! Dann also schreib dem Menschen ab, wirf diesen duftijen Brief ins Feuer und ...!«
»Ins Feuer werfen? Wär noch schöner! Gut sogar wird er aufgehoben! – Ja, man könnt schon einschüren damit – dem Ferdinand! Daß er es spannt: sind andre auch noch da!«
»Centa, das machst du nicht, wie ich dich kenn! Einer, um den herum so heftig spekuliert wird ...! Soll er denn glauben, daß du auch ...?«
»Auf was ich spekulier, könnt er bald wissen: bloß auf das, was sich gehört. Geld? Hätt er weniger, dann tät er mehr und machet es sich nimmer gar so leicht. Sein Geld kann mir gestohlen bleiben! Und wenn er sich traut, mir da was Unrechts in die Schuh zu schieben, dann soll er sein blaues Wunder sehn!«
»Centa, das ist es ja: bei so was jibt ein Wort das andre; und wohin man kommt, weiß man im Anfang nie. Jeh deinen Weg nur weiter, wie du ihn bis jetzt jingst! Das war sicherlich das Richtije.«
»Hat sich gezeigt!« Sie lachte auf. »Und schau, ich kenn mich selber: der Gaul wenn mir durchbrennen will, bleibt so nix, wie ihn laufen lassen – solls grad gehn oder schief!«
»Aber ihn mit dem da eifersüchtig machen – lieber Gott!«
»Ja, weißt du mir was Besseres, Brokkenhuus? Meinst, ich sollt seiner Mutter das Haus einrennen und mich mit ihr um ihren Segen raufen?«
»Erbarmung!« rief der Graf.
»Da sixt es selber! Gibt ja keinen andern Weg!«
Er schaute abwägend vor sich hin. Dann sagte er: »Wenn du doch zu ihr jingst?«
»Auf einmal? Brokkenhuus, ich hab dich im Verdacht, es ist dir bloß ums Zeitgewinnen; und heimlich hoffst du, daß mir derweil der ernsthafte Bewerber abschwimmt?«
»Centa, nein, im Ernst: ich seh die Jeheimrätin leibhaftig vor mir! Klein bißchen unheimlich ist sie ja wohl ... Aber sie hat doch Stil und, das möcht ich beschwören, Sinn für Stil. Das jibt mir eine leise Hoffnung, daß du sie erobern kannst.«
»Und glaubst vielleicht, es wär für mich ein Zuckerschlecken, zu der zu gehn?«
»Nu? Interessant auf jeden Fall!»
»Da hab ich keinen Zweifel: sie schmeißt mich vierkantig beim Tempel naus.«
»Dazu ist sie zu neujierig und auch – zu klug.«
»Das ist ja – wie hast du gesagt? – das ›Unheimliche‹, was sie für mich hat. Ich bin nicht mehr wie dumm. Was hab ich schon gelernt!«
»Ach, glaubst du, Klugheit läßt sich lernen?«
»So dumm, wie mich der Ferdl hält«, rief Centa, »bin ich zwar nicht. Und du glaubst in allem Ernst, ich krieg die rum?«
»Leicht wird es wohl nicht sein. Nur ... ja, ich stell mir vor, daß dich grade das Schwere reizen muß.«
»No, du verstehsts, die Leut zu nehmen, Brokkenhuus! Du brauchst bei andre viel von Schlauheit reden! Weißt: kitzeln könnt es mich ja schon! Bloß diesen dummen Kopf zu sehn, den wo der Ferdl aufsetzen tat, wenn ich ihm den Muttersegen schriftlich brächt!«
»Was? Schriftlich? – Ach, das ist nur Spaß! Und diesem Herrn Oggetti schreibst du ab?«
»Pressiert das so?«
»Ich finde schon. Ein Feldherr, der die Brücken hinter sich verbrannt hat, jeht in der Schlacht ganz anders drauf. Und Draufjehn ist der halbe Sieg.«
»Wenn ich bloß nicht diesen Mordsbammel vor der Alten hätt!« Sie unterbrach sich und stieß ihn warnend an den Arm.
»Du: drinnen stehn sie auf! Ich überschlaf mir's noch. Jetzt mach dich schleunigst über den Pariser Igel her! Sonst meinen die ...«
Schnell steckte sie sich selber einen viel zu großen Brocken von der süßen Speise in den Mund.
Die Eßzimmertür glitt in die Wand, und zehn schon etwas weinselige Leute traten ein – außer Rapp die drei Junggesellen Henne, Bachhuber und Alois Müller, dazu drei Paare, darunter sogar ein richtiges Ehepaar: der aus der deutschen Schweiz stammende Dichter Lothar Paechtli und die ihm seit kurzem vermählte Salondame der bayrischen Hoftheater Gwendolin Conradi, eine Dame von Gardemaß, der ihr ziemlich beleibter Gemahl kaum über die Schulter sehen konnte.
Seit einem halben Menschenalter schon und fraglos stärker als durch Ehefesseln verbunden war das zweite Paar: der in ganz München wie ein bunter Hund bekannte, viel zu Rat gezogne und als Arzt doch nicht recht ernst genommene Hofrat Egidius Astaller, ein Mann Mitte der Fünfziger mit roten Backen, und seine vermutlich noch etwas ältere »Freundin« Mena Geßler, die sich die erste Damenschneiderin von München nannte und auch einem ansehnlichen Kundinnenstamm um ihrer gesalznen Preise willen dafür galt.
Während nun das Verhältnis dieser beiden stark ins Bürgerliche ausgeblichen schien, sorgte das dritte Paar dafür, daß auch das echteste Schwabing heute vertreten war. Dies Zeugnis durfte man ihnen wohl geben – dem seit seiner Studienzeit auf der Münchner Akademie nicht mehr von Bayern losgekommenen schwedischen Kunstmaler Ivar Evander und seiner »Schülerin« Lydia Platonowna Arbusow aus Nishni Nowgorod. Von diesem Künstler-Zweigespann hatte er sich in letzter Zeit der neuen Richtung des »Blauen Reiters« zugeschworen; sie aber sah aus durchsichtigen Gründen jede Art Malerei als etwas Überwundenes an und war deshalb nicht ohne Erfolg bestrebt, Aufsehen und Geschäfte mit schlampig modellierten Kleinplastiken aus farbigem Wachs und mannigfachem Stoff- und Flitterwerk zu machen – spinnengliedrigen Nippfigürchen von kränklichem Reiz, bei deren Anblick gesunde Menschen fast einen Verwesungshauch zu spüren meinten.
Nach lebhafter Begrüßung des Grafen Brokkenhuus rückte der Schwarm zwei Tischchen neben den seinen hin und reihte sich darum zum Kreis. Der Diener schleppte eine riesige Pfirsichbowle herbei, schenkte ein und bot die Gläser herum. Alle bedienten sich, vom Grafen nur bekam er einen Korb; ihm goß statt dessen Centa wieder Sherry ein.
Der Hofrat Astaller verzog sein glattrasiertes Bonvivantgesicht zu deutlicher Verwunderung, hob neckisch drohend seinen dicken Zeigefinger und rief in dem Ton, wie ein Erwachsener zu Kindern und etwa ein Arzt zu seinen Pflegebefohlenen bis ins tiefste Greisenalter spricht: »Ei, ei, was trinken wir denn da, Graf Brokkenhuus?«
»Köstlichen alten Sherry, lieber Hofrat, den ich Ihnen auch empfehlen kann. Praesente medico wird er mir wohl nichts schaden. Oder glauben Sie – Gott schütz! –, daß Bowle besser für mich wär?«
»Nein, aber haben wir nicht ausgemacht: ein Glaserl leichten Mosel, oder höchstens zwei?«
»Diese Verabredung war einseitig. Sie haben es verordnet, und ich ... Übrijens hab ich es vorijen Tag folgsam ausprobiert – nicht Ferdinand? –, aber zu meinem Leidwesen konstatieren müssen, daß ›sauer‹ mich nicht lustig, sondern schlankomeerisch macht. Und das ist nicht der Zweck der Übung, kommt mir vor.«
»Ich finde auch: wir pfeifen auf Hygiene und verjiften uns zielbewußt mit Alkohol!« schlug Henne vor. »Prost, Onkel Woldemar!«
Der Dichter Paechtli grinste, wie er es für teuflisch hielt, und sagte in dem sorgsam gefeilten Hochdeutsch, das seinen Schwyzer Gutturalton doch nicht ganz verbarg: »Die Mediziner meinen nur, daß man ihnen ins Handwerk pfuscht, wenn man sich selbst vergiften will.«
»Ich laß nichts auf den Hofrat kommen!« fiel mit ihrer klangvollen Theaterstimme Gwendolin ein, die sich als erfahrne Schauspielerin nur ungern Feinde machte und außerdem bei Mena Geßler heftig in der Kreide stand. »Wenn ich acht Tage Urlaub will, ruf ich ihn nur ans Telephon: er schreibt mir unbesehn ein Zeugnis, wie ich's brauch.«
»Ja, Gwen, daß er Gesunde zu behandeln weiß, ist ja notorisch«, höhnte Paechtli. »In Krankheitsfällen dürfte aber doch ein richtiger Doktor vorzuziehen sein.«
»Depp!« murmelte der Hofrat.
Ivar Evander, ein derber Bursch von mächtiger Gestalt, strich sich die eigensinnige blonde Haarsträhne, die ihm ewig über das linke Auge fiel, mit einer schnellen Handbewegung hinters Ohr und stellte fest: »Hofrat, wann ich dir holen laß, brauchst du deine Hörröhre nicht mit dir zu nehmen; denn dann bin ich sicher tot.«
Jetzt wurde es dem gleich von zwei Ausländern Überfallenen doch zu dumm, und er erwiderte: »Tot? Wird es also dein Geist sein, der mich holen laßt? Wo willst den aber bloß nach dem letalen exitus auf einmal herbringen? – Als ein Lebendiger hast nie viel davon merken lassen.«
»Lieber Gott, was braucht denn Ivar Geist!« sagte Lydia Arbusow und schüttelte den weißblonden Pagenkopf. »Hauptsache, wenn er andre Qualitäten hat!« Dann aber fuhr sie, während ihre Augen gleichsam verloren durch das Zimmer schweiften, bewundernd fort: »Olala, wie er niedlich ist!«
»Wen meinen Sie denn?« staunte Henne.
»Nu, den kleinen schiefen Globus!« Die Russin deutete mit dem Daumen auf den Diener Otto; und selbst wer ihre Eigentümlichkeiten schon seit Jahren kannte, war verblüfft.
»Geh, laß mein Personal in Frieden!« mahnte Rapp, der als erster die Sprache wiederfand.
Otto jedoch, der eben eine Platte vom Wandtisch hatte holen wollen, ließ sie stehn und zeigte – zu stark verdeutlicht freilich – ein Gesicht, als hätte er den Ausspruch Lydias nicht gehört; nur trug er plötzlich seinen Kopf lotrecht auf dem Hals. Dann schlug er sich unhörbaren Schrittes wie ziellos nach der Gangtür hin und war auch schon hinaus.
»Schau, er versteht sich zu benehmen.« Rapp unterdrückte den Rest seines Gedankengangs.
»Wott, ja, das ist es!« stimmte Lydia zu. »Bemerktet ihr es nicht an seine Rückenlinie, wie er mich tief verachtet? – Könnt ihr ihm mir nicht für ein paar Stunden pumpen, Centa? Ich muß ihm modellieren, wie mit Teebrett geht.«
»Nein?» staunte Brokkenhuus. »Sie schaffen Ihre Kunstwerke vor der Natur? Was man auf seine alten Tage noch erlebt!«
»Probieren Sie doch, Graf! Sitzen Sie mir Modell, in Klubsessel versunken, so wie jetzt! Welches Symbol für heutige Gesellschaft ich von Ihnen mach, das werden Sie dann sehn!«
»Ich muß nicht alles sehen!« Unwillkürlich richtete sich der Graf zu etwas strammerer Haltung auf.
»Ly, da wird dir der Schnabel sauber bleiben«, stellte Rapp gemächlich fest. »Und unser Otto dürfte, wie ich ihn beurteil, gleichfalls passen.«
»Lieber Gott! Wenn mir drauf ankommt, krieg ich in fünf Minuten jeden Mann so weit, daß er Galoppom bei mir rennt.«
»Gnädigste, so blond und doch so ... Nu, wie sagt man?« bemerkte Henne sehr vergnügt.
»Meiner Blondheit verdankt Ihr Onkel wenigstens eine Pointe. So ist sie nicht ganz für umsonst.«
»Wie?« rief der Graf.
»Haben Sie nicht ›ausgeblichne Salome‹ auf mir gesagt?«
»Wei, welches Unjeheuer hat das wieder ausjeklatscht?«
»Da hat der Graf Sie aber glänzend troffen, Ly«, mischte sich Bachhuber ein.
»Ly heiß ich nur für meine Freunde«, gab sie eisig zurück. »Wenn für Ihnen ›gnädiges Fräulein‹ zu schwer auszusprechen scheint, dann doch mit Vor- und Vatername: Lydia Platonowna.«
»Den Vaternamen liebt sie heiß und unglücklich«, erklärte Ivar Evander. »Ly, die Platonikerin.«
»Erblich belastet durch den Vatersnamen«, grinste Paechtli. »Der Apfel fällt zumeist nicht weit vom Stamm.«
»Ich hoffe ganz in Gegenteil, daß ich drei Werst weit weg von diesen Stamm gefallen bin«, wehrte sich Ly. »Mein Vater, dieser alter Idiot ...«
»Weißt, meinen Vater ließ ich lieber doch im Grabe ruhn«, fiel Centa ihr ins Wort.
»Ich auch. Leider nur schwer zu machen!« sagte die Russin. »Der Tschinownik lebt ja noch und wütet seit sieben Jahre in Asow als Gouverneur. Uns, seine zwei einzige Kinder, hat er rausgeschmissen und verflucht, wo doch mein Bruder, dummer Kerl, nicht mehr ist wie labbriger Menschewik!«
»Wie heißt das? Was ist das?« erkundigte sich Gwendolin.
»Nu ja, Halbreaktionär; dreiviertel, kann man sagen. Da ist, bei Gott, ein baltischer Baron mir lieber, so wie Sie!« Ly schaute kampflustig den Grafen an.
»Oh, das beruhigt mich!« lächelte der.
»Pardon«, wendete sich Henne an die Russin, »Onkel Woldemar hat mir dann also nicht zu viel versprochen, und ich steh einer Nihilistin jejenüber? Feenhaft!«
»Was Nihilistin! Jeder anständige Mensch ist heute Bolschewik.«
»Den Ausdruck habe ich ja noch nie gehört«, erklärte Rapp.
»Wir werden dich schon lernen, Doktor, was Bolschewiki für Leute sind«, erwiderte Lydia. »Fangt ihr nur Krieg an; dann – paßt auf!«
»Der Krieg ist ja schon wieder abgeblasen«, sagte der Hofrat überlegen.
»Da möcht ich nicht drauf schwören«, gab der Müller Alois zu bedenken. »Mir hat erst gestern noch der Bahnverwalter Riedmeier erzählt, es wären im Laimer Bahnhof schon alle Güterwagen für die Mobilmachung angesammelt.«
»Gewesen!« widersprach ihm Astaller. »Ich werd's doch wissen. Ist ja der Verkehrsminister ein Patient von mir.«
»Ich hab Information aus Petersburg«, erklärte Ly. »Die Großfürstengesellschaft stachelt den Nikolaschka wie verrückt. Aber auskommen wird ihnen nicht. Machen sie Krieg, nu wott, dann machen wir Revolution pa russki, und – Schluß mit Bourgeoisie!«
»Hörts auf mit eurer Politik!« warf Centa verdrossen hin und holte vom Nebentisch das Brett mit salzigem und süßem Knabberwerk.
»Schauts bloß, wie ihr das Kleidl steht!« rief Mena schwärmerisch. »Paris bleibt doch Paris! Ist freilich ein Genuß, solch ein Figürl anzuziehn.«
»Könnts mich bewundern, wenn ich nicht anwesend bin!« erklärte Centa und nahm wieder Platz.
»Erst reden sie von Politik eine geschlagne Stund! Und kaum ist's damit gar, dann fangt die Mena mit ihren Geschäften an!« beschwerte sich Rapp.
»A du!« schmollte die Schneiderin. »Wenn man sich freut, daß man was Schönes und was Schickes sieht!«
»... wofür man die Verpackung selbst geliefert hat«, ergänzte Rapp. » Die Rechnung aber zahl ich dir noch lang nicht, daß du's weißt! Bescheiden ist sie ja nicht grad, und darnach mußt du bald die teuerste Schneiderin von München sein.«
»Bitte sehr, von ganz Süddeutschland!« betonte Mena stolz.
»Na wird's ja Gott sei Dank kein Kunststück sein, 'ne billigere aufzutreiben.« Centa lachte vergnügt.
»A geh!« mischte sich nun der Hofrat ein. »Probier's nicht lang! Denn schließlich kommst du doch zu uns! Dann ist aber das Schönste fort, und du ...«
»Hast du die Praxis jetzt ganz aufgesteckt und machst nur mehr den Reklamechef für Mena?« fragte Rapp. »Oder muß man dir auch noch immer was zu verdienen geben? Tat es ja gern! Fehlt mir nur leider gar nix, und den Blinddarm hat mir der Krecke schon vor drei Jahr weggemacht.«
»Was ihr bloß mit die Blinddärm habts!« rief Mena. »Wo er als praktischer Arzt doch gar nicht operiert!«
»No, fertig bringen tat ich's leicht! Im Grund ist ein Chirurg nix wie ein besserer Handwerker«, sagte der Hofrat stolz.
»Handwerker müssen eben etwas können!« stichelte Paechtli.
»Wenn ich als Internist nicht mehr könnt wie ein Chirurg, dann hätten meine Patienten nix zu lachen!« gab der Hofrat zurück.
»So? Und über dich – da lachen sie?« erkundigte sich Ivar teilnahmsvoll.
»Was ihr euch immer am Egidi reiben müßts!« rief Mena ärgerlich.
»Das trifft mich doch nicht«, rühmte sich Astaller. »Deswegen hab ich immer noch den schönsten und interessantesten Beruf. Ich wenn erzählen wollt ...! Ich könnt auch Bücher schreiben, lieber Graf.«
»Eine Idee!« stimmte Brokkenhuus ihm zu. »Sie schreiben künftig meine Bücher und treten mir Ihre Praxis ab. In die Leute hereinsehn kann ich auch nicht. Also bin ich der jeborne Internist.«
»Ein Diagnostiker von Rang scheint mir Herr Astaller trotzdem zu sein«, erkannte Henne freundlich an. »Er hat mein hinkendes Jebein sofort bemerkt.«
»Welch reine Freude, wenn auch mal ein Doktor in Behandlung ist!« stichelte Paechtli.
»So? Und letztes Jahr, wie du die Gelbsucht kriegtest, hast aber prompt nach mir geschickt!« trumpfte Astaller auf.
»Donnerwetter, Hofrat, und die hast du gleich erkannt?« fiel hier der Schwede ein. »Farbenblind bist du also wenigstens nicht?«
»Was man von dir, mein lieber Ivar, freilich schwer behaupten kann«, sagte der Hausherr. »Deine Bilder ...«
»Himmel – grün, und Wiese – gelb, und Kühe – blau!« rief Mena hocherfreut, weil endlich ein andrer an die Reihe kam. Dies törichte Gerede strafte Ivar mit Verachtung, auf den Angriff des Doktors aber gab er kühl zurück: »Sprich nicht, von was du nichts verstehst! Und warum hast du mir dann Bilder abgekauft? Wo bist du übrigens mit ihnen hin?«
»Ins Fremdenzimmer«, lachte Rapp. »Denn schau: da bleiben die Logiergäst nicht so lang.«
»Wenn du das möchtest«, nahm nun Ly das Wort, »so hab ich paar Figuren – da fürchten sie sich sogar in der Nacht. Ich geb dir billig, weil sonst nicht leicht verkäuflich sind.«
»Dank schön: mir graust genug vor denen, die ich hab«, erklärte Rapp.
»Und kaufst dann schließlich doch», seufzte der Schweizer neidisch.
»Bildende Künstler können lachen!«
»Was willst denn du!« wehrte der Doktor ab. »Bin ich vielleicht nicht der einzigste Mensch auf dieser Welt, der jeden Schmöker von dir bar in der Buchhandlung erstanden hat? Soll ich sie wohl am End auch lesen?«
»Das kannst du halten, wie du Lust hast«, erwiderte der Dichter. »Aber daß du mir für den Sommer nicht das Künstlertheater pachten wolltest, war schundig von dir! Und noch dazu saudumm! Du hättest klotzig dran verdient!«
»Lothar, brauch nicht so starke Worte!« flötete Gwendolin. »Paß auf, der liebe Ferdinand tut es schon nächstes Jahr, wenn ich ihn richtig bitt.«
»Wahrscheinlich!« höhnte Paechtli. »Der wird für gute Kunst was von dem Mammon übrig haben, den er mit seinem miserabeln Bier verdient!«
»Das erste Wort fei vom Herrn Paechtli, was ich unterschreiben muß!« meldete sich plötzlich Alois Müller, der bis dahin stillvergnügt dem Wortgeplänkel gelauscht und sich an die Virginia und sein Bowlenglas gehalten hatte. »Ich hab erst gestern in der ›Seelust‹ eine Halbe Rappenbräu getrunken. Saxendi, kein Wunder, daß die Münchener ›Dividendenplempl‹ dazu sagen!«
»Seht nur den Ferdinand, wie der noch lacht!« rief Ivar. »Ist dir scheinbar egal?«
»Vollständig«, gab Rapp ruhig zu. »Kommt ja bei mir von Bier bloß Weihenstephan ins Haus.«
»Ach, glaubt ihm nicht!« rief Centa. »Das soll bloß geistreich sein. Und bei der nächsten Sitzung schlagt er den Brüdern in der Brauerei den größten Krach.«
»Ich?« widersprach der Doktor. »Dem Geheimrat Heflfinger? Nein! Der ist doch recht. Mit gutem Bier Geschäfte machen kann jeder Hanswurscht. Mit schlechter Ware gutes Geld verdienen – ist die Kunst.«
»Geh, Ferdl, hör doch auf!« ereiferte sich Centa.
»Ach, Fräulein Hollerieth«, beruhigte sie Henne, »so naiv sind wir nu nicht, daß wir den negativen Renommisten nicht durchschaun. – Lieber Herr Rapp, wenn Sie nicht neue Weje zur Verbesserung des Bieres suchten, hätten Sie sicher nicht Chemie studiert.«
»Chemie? Beim Bier!« Der Müller Alois stand starr vor solcher Ahnungslosigkeit. »Mein Lieber, das wird fei in Bayern schwer bestraft. Bei uns kommt in den Sud nur, was von Natur hineingehört.«
»Nicht gleich so böse!« entschuldigte sich Henne. »Ich nehm alles zurück. – Wozu benötijen Sie die Chemie denn sonst, Herr Rapp?«
»Ja, wissen Sie gar nichts von Ferdinands Erfindung?« fragte Gwendolin erstaunt.
»Onkel Woldemar, du hast so was erwähnt. Nur, was es ist ...?« Henne schaute den Grafen fragend an.
Rapp sagte: «Ja, die Sache ist, daß ich dem Umfang des Sterbens endlich Grenzen setzen will.«
»Unsterblichkeit aus der Retorte? Weiter nichts?«
»Unsterblichkeit? Verdopplung der Lebensdauer ist ja schon allerhand.«
»Und chemisch? Wie denn das?«
»Sie wissen wohl, Herr Henne, daß wir Tiere haben, die länger leben als wir: Schildkröten, Papageien, Raben, Elefanten ... Die Viecher bringen's auf zweihundert Jahr und mehr. Da hab ich mich gefragt, wovon das kommt. – Herr Henne, wissen Sie beiläufig, was Hormone sind?«
»Hormone? Ja, jelesen hab ich den Ausdruck wohl.«
»Hormone sind Abscheidungen der Drüsen, über die die Wissenschaft bisher nicht recht viel mehr gewußt hat als Sie auch. Nun hab ich durch, darf ich behaupten, recht zeitraubende Experimente an langlebigen Tieren festgestellt, daß ihre Drüsen einen Stoff erzeugen, der den Abbau der Zellsubstanz gewissermaßen bremst und die verbrauchten Körperzellen wieder ergänzt. Der Einfluß davon auf die Lebensdauer ist wohl auch für den Laien klar?«
»Ja, ich versteh: man muß recht viel Schildkrötensuppe, Elefantenkarbonaden und jestowten Raben oder Papagei mit Reis verzehren – dann wird man uralt?«
Der Doktor lächelte. »Wenn man sich's leisten kann und's einem schmeckt. Ich glaub ja nicht, daß die Gastronomie das schaffen wird. Da muß denn die Chemie heran und erstens die Zusammensetzung des Hormons ergründen und es dann zweitens, damit es den Menschen wirklich Nutzen bringen kann, synthetisch, also künstlich, herzustellen suchen.«
»Ja: wie man Chinin nicht mehr aus Chinarinde macht und Indigo, soviel ich weiß, aus Teer. Synthese heißt also Verfälschung; nicht?«
»Wieso Verfälschung? Ganz im Gegenteil: Verbesserung!« behauptete der Doktor. »Synthetisch kann man die Stoffe viel reiner herstellen, weil die Natur in solchen Sachen glattweg schlampig ist.«
»Ja, reiner ...« warf der Graf dazwischen. »Ob aber nicht doch in der Schlamperei, wie du es ausdrückst, der Natur, die mit der Sonne statt mit dem Bunsenbrenner kocht, jerade das Jeheimnis steckt, das die Wirkung bedingt?«
»Ah, Aberglauben!« Der Müller Alois nahm vor lauter Eifer sogar die Virginia aus dem Mund. »Beim Bier, da geb ich's zu, no, und bei Nahrungsmitteln überhaupts! Ein guter Butter ist mir selber lieber als wie Margarine. Medikamente und dergleichen aber macht man gescheiter im Labor.«
»Da die Chemie so fortjeschritten ist, kann es für Sie doch wohl nicht schwierig sein, herauszukriejen, woraus Ihr Hormon besteht?« fand Henne.
»Wenn's weiter nix wär!« Rapp lächelte. »Das kann ich Ihnen gleich verraten: zwanzig Atome Kohlenstoff, siebzehn Atome Wasserstoff, sieben Atome Sauerstoff, sechs Atome Stickstoff, ein Atom Phosphor, drei Atome Eisen – haben wir's bereits!«
»Also, was brauchen Sie denn noch?«
Alois grinste. »Sie meinen, man nimmt von jedem Stoff die nötige Zahl Atome her und mixt sie dann wie einen Cocktail oder Flip?«
»Nu, irjendwie umrühren muß man es ja doch.«
»Tja«, lachte Rapp, »das Blöde ist bloß, daß diese Bruttoformel, wie man's heißt, uns wohl verrät, wieviel von diesen Körpern in dem Präparat vorhanden ist, aber nichts über die Verbindungen. Also bleibt uns der Hochgenuß, die Konstitution des Moleküls zu klären. Wir arbeiten zu zweit jetzt schon im dritten Jahr daran; und kann leicht sein, daß es in Zukunft noch einmal soviel und länger braucht, bis man's derpackt.«
»Nu, das beruhigt mich«, antwortete der Balte. »Du kannst dir denken, Onkel Woldemar, warum. – Was? Nicht? – Nu: wejen Tante Laurchen. Denn wenn sie dies Medikament erlebt, lebt sie bis an den jüngsten Tag. – Sagen Sie, Herr Rapp, wenn Ihr Produkt dann fertig ist – wie wird es da jeschluckt? Hoffentlicht nicht in Schokolade einjewickelt als Konfekt? Denn Süßigkeiten, Onkel Woldemar, liebt Tante Laurchen heiß.«
»Tja, ich glaub fast: löffelweis, wie Lebertran. Denn es gibt wohl ein Kolloid. Oder noch besser wird man es per Spritze direkt in die Blutbahn bringen«, meinte Rapp.
»Sicher!« pflichtete ihm der Hofrat bei. »Die neuere Medizin ...«
»... macht aus dem armen Patienten eine Art von heilijem Sebastian«, fiel ihm Graf Brokkenhuus ins Wort, »nur daß er statt voll Pfeilen voll von Spritzen steckt.«
»Und spritzt nur ja intravenös!« schlug Paechtli boshaft vor. »Das gibt so schöne Blutgerinnsel, daß jeder mit diesem Unsterblichkeitsfluid Lebensverlängerte prompt in drei Tagen um die Ecke geht.«
»Deine Lungenentzündung damals kam gar nicht vom Spritzen!« rief der Hofrat erbost. »Und dein Mundwerk schon beweist, daß du noch lebst. Fehlt bloß die Unterstellung, daß wir Ärzte alle Mörder sind!«
»Das ist ein starkes Stück«, fauchte Mena kampflustig.
»Herrschaft!« mischte sich Centa ein. »Könnts ihr denn nix wie fachsimpeln und euch hackeln? Wird allmählich fad!«
»Auch ich plädier für Abwechslung«, stimmte der Graf ihr zu.
»Manny, sag mal ...!«
»Wie ist der Namen?« unterbrach ihn Lydia. »Manny? Soll das bedeuten: kleiner Mann?«
»Wei, keine Spur!« erklärte Henne. »Leider muß ich errötend einjestehn, daß es eine Abkürzung vorstellt von Immanuel.«
»Emanuel – der Namen ist doch schön«, rief Mena.
»Ach nein: Immanuel mit I und Doppel-M.«
»Nach Kant?« vermutete der Doktor.
»Keineswegs, mein Vater hat nur an das gleiche Jesangbuchlied jedacht wie Kants Papa: ›Ist euch der Feind zu schnell, hier ist Immanuel. Hosianna! Der Starke fällt durch diesen Held.‹ Ein großer Predijer soll Papa jewesen sein; ein großer Prophet – scheint mir dajejen nicht. Denn mir den Heldenstempel für das Leben aufzubrennen ...!«
Da mußte freilich jeder lachen, und Rapp sprach ihnen allen aus der Seele, als er erwiderte: »Hier hat ja allerdings Ihr alter Herr so weit vorbeigeweissagt, wie sich's irgend machen ließ.«
»Ihre freundliche Zustimmung – in der gleichen Sache heute nicht zum erstenmal – ist mir ein Labsal fürs verdüsterte Jemüt.« Henne neigte dankbar lächelnd den Kopf.
Centa hingegen, der der Unterton in seinen Worten nicht entging, sagte ablenkend: »Auch Immanuel klingt schön.«
»So, finden Sie? Ich weiß nicht, ob Immanuel Henne viel stilvoller wirkt als beispielsweise Iphijenie Putning.«
»Ja, oder Philomena Geßler«, neckte Rapp.
»Sie heißen Philomena, Gnädije – nach der Nachtigall? Wie sinnig?« Henne schmunzelte.
»Dies Federvieh schimpft sich wohl Philomele«, stellte Paechtli fest. »Und Philomena heißt: Geliebte. Also war hier der Taufpate anscheinend ein Prophet. Und du, Hofrat, kannst schon aus ihrem Namen sehn, was dir die Mena zu bedeuten hat.«
»Und deine Frau, die heißt wohl Gwendolin, weil ihr euch habt in England trauen lassen?« stach der Hofrat zurück.
Centa schüttelte den Kopf. »Jetzt schmeißen sie sich auch noch ihre Namen vor!«
»Ach, Manny, ja, ich wurde ersten unterbrochen«, sagte hastig der Graf. »Ich wollte fragen, ob du uns nicht bißchen was vorspielen kannst. Ein Flüjel ist vorhanden, und es sind Ewigkeiten, seit ich dich zuletzt ...«
»Ach, Onkel Woldemar, glaubst du nu wirklich, daß darnach Bedürfnis ist?«
»Freilich!« rief Centa, und die meisten aus dem Kreise stimmten zu.
»Ich anerkannter Feigling habe aber Angst: ein Fachmann sitzt dabei.« Der Balte sah Bachhuber an.
»Fassen Sie Mut! Erwartet so kein Mensch, daß Sie gleich spielen wie der Liszt«, sagte der Musiker herablassend.
»Nu, wenn Sie ein Ohr zudrücken wollen, dann riskier ich es vielleicht.« Henne stand auf. »Was hören die Herrschaften denn jern?«
»Ist das Repertoire, was Sie auswendig können, denn so groß, daß man grad wählen darf?« erkundigte sich Bachhuber mit leichtem Spott.
»Nu, wählen Sie! Dann wird man sehn.« Der Balte hinkte an das Instrument, hob nicht ohne Anstrengung den Deckel hoch und stemmte die Stütze ein.
»Geh, spielen Sie doch, was Sie freut!« schlug Centa vor.
»Ja, Manny, phantasier uns was!« sagte Brokkenhuus.
»Es sei!« Henne setzte sich auf den Drehstuhl, entblößte die Klaviatur und schlug leicht ein paar Töne an. »Nicht mal ganz so verstimmt wie sonst in vornehmen Familien«, stellte er fest.
»Was spielt der Dilettant von Distinktion in einem solchen Fall? – Ich weiß: Variationen über ein Thema von einem unserer sechs großen Bs. Das dürfte der Weihe des Momentes anjemessen sein.«
»Sechs große Bs? Was meint er denn damit?« erkundigte sich Gwendolin.
»Die großen B in der Musik?« Bachhuber zählte es an den Fingern ab. »Bach, Beethoven, Berlioz, Brahms, Bruckner ... Und wer ist der sechste?«
»Immer derjenige, welcher fragt.« Henne verneigte sich gegen den Musiker.
»Ah, lassen S' Ihre blöden Witz!« knurrte der ärgerlich.
»Müßts ihr euch immerzu aufzwicken?« mahnte Centa.
»Fangen S' halt zum spielen an, Herr Henne! Am Klavier kann man ja Gott sei Dank nicht boshaft sein.«
»Meinen Sie das im Ernst?« Der Balte lächelte. Er legte seine Fingerspitzen auf die Tasten, während sich sein Oberkörper sonderbar schieflegte und verkrümmte. Dann lockte seine Linke aus den Baßsaiten eine Art von Donner, dessen Wucht man ihm kaum hätte zutrauen mögen; die Rechte holte mächtig aus und ließ im Niederfallen einzelne hohe Töne Blitzen gleich durch das Gewitter funken.
»Sein Anschlag ist nicht einmal schlecht«, murmelte Bachhuber. Nun aber lösten sich aus dem Getöse des Vorspiels ein paar feierliche Takte, die sich anscheinend doch nicht recht entschließen konnten, Melodien zu werden. Bachhuber riß die Augen auf.
»Das ist ja das Motiv der ewigen Wiederkehr aus meiner Zarathustra-Symphonie! Ihr musikalisches Gedächtnis – allerhand!«
Der Balte unterbrach sein Spiel. »Was einem durch Kühnheit imponiert, behält sich leicht. Auch kam mir das schon damals, offen jestanden, nicht so furchtbar fremd vor.«
»Soll das heißen, daß ich dies Motiv von irgendwo geklaut hätt?«
»Kunst bedeutet meistens: von einander stehlen.« Henne nickte vergnügt. »Sagen wir höflicher: an etwas schon Vorhandenes anjelehnt.«
»An was denn? Einfach lächerlich!«
»Bewußt – sag ich ja nicht. Aber warten Sie ruhig ab!« Und wieder kam unter Hennes Händen die ewige Wiederkehr wichtig dahergestelzt, kichernde Rhythmen rankten sich um sie, dann wurde Bachhubers Motiv mit keckem Witz variiert. Dabei bekannte es sich immer ehrlicher zu der abgedroschenen Weise, vor der es in der Fassung des Komponisten ängstlich ausgewichen war, und glitt zum Schluß in einen jedem aus der Gesellschaft wohlvertrauten schmelzend süßen Walzer über, hinter dem sich doch noch jenes Pathos des Beginnes in die Brust warf, aber mit seiner Großspurigkeit jetzt überwältigend komisch wirkte. Selbst die Unmusikalischen verspürten das, und immer wieder sprang ein schallendes Gelächter auf.
Bachhuber selber lachte nicht. »Auf die Art kann man sich leicht über alles lustig machen!« grollte er.
»Möglich!« Henne nickte, indessen seine Finger unwillkürlich weiterklimperten. »Warum auch nicht?«
»Wie taktfest daß er Walzer spielt!« rief Centa. »So fein zum Tanzen animierend haben wir nicht einen einzigen auf dem Grammophon. Reißen direkt tut's einen! Geh, Herr Henne, spielen S' uns ein bißl auf!« Die Damen und die meisten von den Herren schlossen sich ihrer Bitte an.
»Zum Tanz? Das hab ich nie jemacht. Nu aber, wenn Sie meinen ... Kann ja sein, ich finde dabei den mir vom lieben Gott verordneten Beruf.« Henne senkte fügsam die Stirn.
»Das laß ich mir gefallen. Ich schell geschwind dem Otto!« Centa rannte zur Tür und drückte auf den Knopf.
»Wenn jedes hilft, ist unser Tanzparkett gleich klar», regte Rapp an. »Hopp, Herrschaften, und keine Müdigkeit jetzt vorgeschützt!«
Der Diener kam und machte sich ans Werk, wobei er Lydia vorsichtig in großem Bogen aus dem Wege ging. Und alle anderen, bis auf Henne und den Grafen, halfen mit. Binnen ein paar Minuten waren in der größeren Zimmerhälfte alle Stühle an die Wand gerückt, die Tische auf die Terrasse hin= ausgeschafft, und die gerollten Teppiche desgleichen. Rapp klatschte in die Hände: »Hauskapelle, ersten Walzer, los!«
Henne ließ die Straußschen »Donauwellen« wogen, und vier Paare folgten dieser Lockung gleich: Ivar Evander hatte sich Centa geholt, der Hausherr Lydia, der Hofrat seine treue Mena und Alois Müller, der von den Männern weitaus am besten tanzte, die bei ihm sonst wenig beliebte Gwendolin. Bachhuber und der dicke Paechtli, die diese körperliche Betätigung verachteten, hatten sich in die offne Gartentür gestellt und belustigten sich mit spöttischen Bemerkungen über das kindische Getu der kleineren Geister.
Graf Brokkenhuus saß noch am alten Platz und folgte mit den Blicken Centa, die der Schwede, wie es ihm schien, beinah zu feurig in die Runde schwenkte. Doch als sie zum dritten- oder viertenmal an ihm vorbeikam, machte sie sich von ihrem Tänzer los und sagte, als der sich dem widersetzte: »Dank dir, Ivar! Ich pausier jetzt ein klein bißl. Weil ich ganz schwindlig bin.« Sie setzte sich neben Brokkenhuus. »Nu!« flehte der Schwede, und seine vorgestreckten Arme unterstrichen die Beschwörung.
»Wenn ich erst wieder schnaufen kann – jetzt nicht!« erklärte sie bestimmt.
»Nett, daß du dir den Ruheplatz in meiner Nähe suchst!« sagte der Graf und schaute ihr vom Tanze glühendes Gesicht mit Freuden an.
»Ich weiß doch, was sich schickt.« Sie nickte ihm übermütig zu.
»Nur in Erfüllung deiner Hausfrauenpflichten? Hab ich mir gleich jedacht!« Er nahm sich eine Zigarette aus dem Kasten.
»Und weiß auch, was mich freut», ergänzte sie, reichte ihm Feuer und goß ihm wieder ein.
»Wohl reichlich heiß zum Tanzen?« fragte er.
»Ja, auch.« Sie wehte sich mit dem Taschentuche Kühlung zu.
»Und wie wild daß einen der spinnete Wikinger dreht! Da muß eins schwindlig werden! Und hat so eine schlampete Art von Tanzerei, die ich gar nicht verknusen kann. Weißt, und der Ferdl macht die Bowle alleweil zu stark. Ich hol mir schnell ein Fachinger!« Sie eilte an den Florentiner Kessel und kehrte gleich zurück.
»Aber jetzt noch nicht trinken! Du bist zu erhitzt!« warnte er sie, als sie den Schlüssel an die Flaschenkapsel setzte.
»Das macht mir nix. No, wenn du meinst ... Rauch ich erst eins.«
»Was? Rauchen? Du?«
»Ja, ausnahmsweise. Zur Beruhigung.« Sie nahm sich Feuer, fing aber nach dem ersten Zug heftig zu husten an.
Er schmunzelte. »Wenn ich dich rauchen seh, muß ich mir immer denken: Katz frißt Heu. – Schmeckt es dir denn?«
»Nein, schmecken ...? Hast auch recht!« Sie drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus. »Jetzt aber trinken! Keine Angst: bloß einen Schluck!« Sie schenkte sich den Becher voll und setzte ihn an den Mund. »Ah, das tut gut!« Sie stellte das geleerte Glas hin. Plötzlich stammte sich ihr Körper in den Hüften, sie saß sehr aufrecht da. »Ich hab mir's über= legt!« erklärte sie.
»Ja und ...?« Er wußte, was sie meinte, und sah etwas besorgt darein.
»Ist mir die ganze Zeit im Kopf umgangen ...«
»Darum warst du heute wohl so stumm?«
»Weißt, Brokkenhuus: die ganze Nacht auch noch drüber sinnieren? Nein! Ich geh zur alten Dame! Und sie muß!«
»Hm«, sagte er und kniff ein Auge zu. »Und wann?«
»Wenn ich das nächste Mal zur Stadt komm. Denn sie bleibt noch länger. Pressiert ja auch nicht so.«
»Bestimmt nicht!« pflichtete er ihr hastig bei. »Inzwischen jibt sich's vielleicht doch noch, daß ... Gleichviel! Und ... dem Herrn – nu, wie heißt er denn? Oggetti?«
»Dem schreib ich ab, jawohl. Gleich morgen in der Früh. Anfangs hab ich mir denkt, ich sollt ihn eine Zeitlang in der Hinterhand behalten. Aber das war zu gemein. Ihn zappeln lassen? Hat er nicht um mich verdient! Es wird auch stimmen, was du sagst: er ist heut nimmer das Richtige für mich. Und bei der andern weiß ich schon, wie ich sie anpacken muß. Was wetten wir, daß ich die rumkrieg? Die wird schaun! Ja, und der Ferdl erst!«
»Nu Gott sei Dank! Das ist jescheit! Prost also!« Der Graf erhaschte schnell sein Glas und trank ihr zu.
»Wär auch dir hart angangen, ohne mich? Gel, Brokkenhuus?« Sie lächelte – er fühlte, daß auch nicht die Spur von Koketterie noch Selbstgefälligkeit in ihrer Frage lag.
»Jewiß! Nicht aber, daß du glaubst ...!« beeilte er sich zu versichern. »Wirklich, ich hab nur das im Auge, was für dich ... Wenn man in meine Jahre kommt, ist man es ja jewohnt, daß schön bei langsam eins nach dem andern abschwimmt und ...«
Sie sagte frisch: »Mich wirst du auf die Art nicht los. Bin keine Schwimmerin!«
Da kam Rapp an den Tisch geschossen und verbeugte sich vor Centa: »Tanzt die Dame auch einmal mit mir, wenn sie sich fünf Minuten vom Herrn Grafen trennen kann? Was, Brokkenhuus, du gönnst mir deinen Schwarm wohl nimmer?«
»O wenn du wüßtest! Ganz im Jejenteil«, schmunzelte Brokkenhuus.
»Im Gegenteil? Du meinst, wenn sie, das arme Hascherl, nicht dich als Trost hätt, brennte sie mir Rauhbein eines Tages durch?«
»Sei nicht so üppig! Kann dir schon noch geschehn!« Centa stand auf und legte die Hand auf seine Schulter.
»Kommt nicht in Frage! Brauchen keine Rückversicherung!« witzelte Rapp und schlang den Arm um sie. »Weil wir selber was Sichres sind!« Er drehte seine Liebste flott linksherum zwischen die andern Tanzpaare hinein.
Der Graf erwiderte das Nicken, das Centa ihm noch aus der Ferne schickte. Nachdenklich leerte er sein Glas und sprach zu sich: »Sie und die Könijin Gambrina ... Ein verzwicktes Schachproblem, höchst spanische Partie! ›Gardez la reine!‹ ist anjesagt. Nu, wird man sehn! Ich bin jespannt.«