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Schärfste Bedingungen

Auch morgens wurde in der Villa Rapp, wenn es das Wetter duldete – und das tat es in diesem Sommer stets –, der Kaffeetisch auf der Terrasse gedeckt, nur daß er an einer andern Stelle stand als nachmittags, weil jetzt der Ahornschatten anders fiel. Aber der war schon ein Stück gewandert, als Centa aus dem Hause trat – die halbe Kaffeedecke lag im Sonnenschein, und grell hob sich von ihrem hellgelben Grund das Lila eines mit grüner Tinte beschriebnen Brief Umschlages ab. Centa faßte darnach und barg ihn im Spenzerausschnitt ihres Dirndlkleides. Viel Neues versprach sie sich ja nicht von ihm, und andre ging er nichts an. – Aber was hieß das: es stand nur ein Gedeck und eine Tasse da? Sie schaute nach der Armbanduhr – halb elf. Sie war wohl später dran als sonst, trotzdem schien ihr das sonderbar. »Haben die Herren schon gefrühstückt?« fragte sie Otto, als der nun Kaffee, Rahm und Butter brachte.

»Jawohl, gnädiges Fräulein: der Herr Müller schon um acht. Er ist gleich nüber ins Labor. Und dem Herrn Doktor hab ich den Kaffee hinauf, vor einer Viertelstund beiläufig. Der Herr Doktor frühstückt heut droben am Balkon.«

»Ich weiß ...« warf Centa hin und spürte dabei das Grinsen hinter der steinern ernsthaften Bedientenmaske. »Mögen S' den Tisch nicht in den Schatten tun?« befahl sie schärfer, als er es von ihr gewohnt war. Und weil sie das fühlte, fuhr sie fort: »Halt, ich faß mit an! No, Obacht mit der Kanne! Noch ein bissel! So ist's recht. Die Stühle, ja!« – Ein Blick schräg von der Seite sagte Otto, daß er entlassen war.

Centa nahm Platz und goß sich Kaffee ein. – Also der Ferdl spielte die gekränkte Leberwurst. Na, wenn's ihn freute – immer zu! Würde sich dann schon zeigen, wer am längsten bocken konnte. Bestimmt er nicht! Kam er nicht selber zur Vernunft, dann sollte er nur warten, bis er schwarz war – sie tat auf keinen Fall den ersten Schritt! War sogar recht, daß er ihr heute morgen nicht mit seinem hängenden Geletsch den Appetit verdarb? Grad extra schmecken ließ sie sich's! Hatte sie auch nicht viel und reichlich unruhig geschlafen – Gott sei Dank, bei Tag und Sonnenschein sah sich gleich alles anders an!

Als sie die letzte Semmel drunten hatte, zog sie den lila Brief hervor und eine Haarnadel aus ihrem Zopf. Sie machte das Schreiben auf, las es nachdenklich durch, schob es wieder in seine Hülle und steckte es weg. »Ja, dauern tut er mich«, sprach sie zu sich. »Er schreibt schon wirklich lieb, und kann ihm doch nix nutzen! No, wenn er morgen heim nach Lübeck fährt, ist es endgültig Schluß. – Da zeigt sich's aber: mach dich rar, na steigst im Wert!« Sie starrte nachdenklich den Hang hinunter.

Plötzlich warf sie das Kinn empor. Wer kam denn da aus dem Gebüsch? Dem Hinken nach war es der Henne, aber irgendwie sah er doch anders als gewöhnlich aus. Erst langsam wurde ihr klar, woran das lag: er hatte zu seiner Pepitahose, der Brokatweste und dem verknüllten Leinenhut einen schwarzen Gehrock an, der nicht für ihn gemacht schien – er war ihm viel zu lang, und aus den Ärmeln ragten kaum die Fingerspitzen. »Herrschaft, wie schaun Sie aus?« rief Centa, als er sie begrüßte.

»Der Bratenrock von Onkel Woldemar ist mir etwas vollkommen«, räumte er ein. »Merkt man es sehr?«

»In dem Verzug läßt Sie Ihr Onkel auf die Straße gehn?«

»O nein, er selbst war noch im Bett. Ich ließ mir dieses von Karline jeben.«

»Und zu was denn? Soll das vielleicht gar die offizielle Abschiedsvisite sein?«

»Nu ja, teils, teils ...« In seinen Zügen malte sich eine gewisse Verlegenheit. »Sie lächeln? Wirk ich hierin nichts als belustijend? So war es eijentlich wohl nicht jedacht.«

Sie musterte ihn vergnügt und stellte fest: »Im Gegenteil! Bei näherer Betrachtung schaun Sie runtergerissen wie das Leiden Christi aus. Grün im Gesicht! Was haben Sie? Und setzen Sie sich doch!«

»Nein, danke! Nämlich, ich muß ... Was werd ich denn nu haben! Ordinären Katzenjammer.«

»Ach Sie Armer! Bloß: gestern sind Sie doch gar nicht so spät ins Bett gekommen?«

»Glauben Sie? Wenn man bis vier Uhr Schwarzen Tod in sich hereinjeflößt hat!«

»Schwarzen Tod?«

»Ja, kennen Sie das nicht? Porter mit Pommery. Schmeckt köstlich wie die Sünde, aber rächt sich mit viel mehr Sicherheit als sie.«

»Was, bis vier Uhr? Und wo denn? Alte Post? Mit Ihrem Vetter?«

»Nu, der wird bei so was nicht dabei sein! Gräßlicher Kujohn! Entschuldijen Sie, aber er ist ein gräßlicher Kujohn! Mich heute früh um neun Uhr aus dem Bett zu jagen! Rohe Mordjier schon das allein! Ich hab ein Liespfund Antipyrin in mich einschaufeln müssen, bis ich nur wieder Lebenszeichen von mir gab.«

»Ja, aber setzen Sie sich doch! Mögen S' nicht was zum essen oder trinken – sauren Hering, oder so? – Halt, Otto, bleiben S' da!« sagte sie zum Diener, der in der Tür erschienen war und sich lautlos wieder entfernen wollte.

»Heißen Dank für diese Mitleidsrejung!« entgegnete der Balte.

»Aber nein, verschmaddern Sie Ihre Jüte nicht! Denn mein Moralischer wird durch pikante Frühstücke wohl schwerlich zu beheben sein ...«

»A? Fehlt es denn auch da?« lächelte sie verschmitzt.

»Aber bedeutend«, gab er wehmütig zu. »Wie anjenehm wär Alkohol, wenn man nie wieder nüchtern würd!«

Sie sagte munter: »Also, ich steh für eine Notbeicht zur Verfügung. Darum dreht sich's wohl?«

»Um Gottes willen, nein!« wehrte er lebhaft ab. »So orientiert bin ich auf diesem mir sonst fernliejenden Jebiete immerhin! – Ach, lieber Mann«, wendete er sich plötzlich an den Diener, der mit gespitzten Ohren in der Tür stand, »ist Herr Rapp zu Hause, und wird man ihn sprechen können?«

»Droben ist er«, sagte Centa. »Wollen Sie bei ihm zum Beichten gehn?«

»Vielleicht ... Mehr oder wenijer, ja. Wenn ich Sie also um noch etwas bitten dürfte: könnt ich allein zu ihm herauf?»

»A was, Geheimnisse mit ihm?«

»Nein, es dürfte Sie nur nicht interessieren. Langweilije Männersache!«

»So?« Sie suchte mißtrauisch in seinem Blick zu lesen, er aber war in die stumme Betrachtung seiner linken Handfläche vertieft. »Otto«, befahl sie also, »tun S' den Herrn Henne zum Herrn Doktor naufführen; gel?«

»Wie jerne blieb ich im Bezirk des Weiblichen«, sagte der Balte. »Aber hoffentlich bin ich bald um ein Pud Steine auf dem Herzen leichter wieder zurück und wirk dann bißchen unterhaltender. Auf Wiedersehn!« Er hinkte schnell die Freitreppe hinan.

Sie starrte zweifelnd in die Luft. Ja, konnte es denn sein, daß er im Auftrag des wildgewordenen Nilpferds da war, wie sie ihren neuesten Verehrer wenig zartfühlend bei sich nannte?

Ach nein! Sie schlug wegwerfend mit der Hand aus. Henne als Sekundant – war ja ein Witz!

 

Rapp schien schlecht aufgelegt zu sein, denn sein Gesicht war gleichsam eine einzige Falte.

»Hotz«, sagte Henne, als er ihm die Hand gegeben hatte, »ist was mit Ihnen? Sie sehn janz unjewohnt blaßnasig aus?«

»Sie auch nicht so besonders blühend!« knurrte Rapp. »Da setzen S' Ihnen nieder! Was verschafft mir schon in aller Früh die Ehr? Und warum haben Sie sich heut so schön gemacht?«

»Schönheit war wenijer der Zweck«, erklärte Henne, ließ sich in einen Sessel sinken und tastete mit den Fingerspitzen über die etwas speckigen Rabatten seines schwarzen Rockes.

»Ich glaubte, das ist de rigueur für so eine doch bißchen – peinliche Mission.«

»Aha!« Rapp schien auf einmal zu erwachen. »Dann ist's schon recht! Mission? Schießen Sie los!«

» A propos: schießen!« Henne faßte einen Entschluß. »Ich sollte Ihnen eine Pistolenforderung von meinem Vetter Goswin überbringen und fühle mich in dieser Rolle – etwas deplaziert, weil ich nur dunkel ahne, wie man sich dabei benimmt.«

»Will mich bemühn, Ihnen im Notfall – einzusagen.« Der Doktor grinste ohne richtigen Humor. »Bloß – warum kommen denn dann ausgerechnet Sie?«

»Nu, weil ich fürchtete, daß ein auf diese Chosen einjefuchster Sekundant vor lauter Fachsimpelei das dümmste Zeug ausbrüten würde. Schießjewehr ist nicht zum Spielen da!«

»Weiß ich schon selber! Und von Spielen – keine Red!« grollte der Doktor. »So? Sie sehn die Aufgabe eines Sekundanten darin, Zweikämpfe zu verhindern

»Wie denn nu nicht! Wenn Goswin nicht so dammlig wär! Von uns, das ist doch klar, war es als Volksbelustijung und weiter nichts jedacht.«

Rapp hob den Kopf. »Wie? Volksbelustigung? Ja, und von ›uns‹? Von wem? Ich hör wohl schlecht?«

Der Balte wand sich verlegen auf dem Stuhl und wollte anscheinend erst Zeit gewinnen. »Da werd ich's Ihnen chronolojisch schildern müssen, wie es dazu kam. Als ich jestern abend Goswin glücklich auf die Chaussee bekommen hatte, fiel er von neuem wilder Raserei anheim und wollte noch mal zurück und Onkel Woldemar jewaltsam aus dem Haus wegholen, wo seinem Adel Unbill widerfuhr. Und während wir uns noch deswejen kabbelten, strömte Ihr ganzer Freundeskreis heran.«

»... der mir gestohlen bleiben darf!« ergänzte Rapp.

»Ich zweifle, ob er Diebe reizen wird«, bemerkte Henne, »aber jestern hab ich das Erscheinen dieser Leute warm begrüßt, weil sie meinen rabiaten Vetter momentan auf andere Jedanken brachten. Nu, er lud sie ein, den anjebrochenen Abend alkoholisch fortzusetzen. Man begrüßte das mit fröhlichem Jekreisch, und wir verfügten uns in die Alte Post. Fern lieje mir ein Zweifel daran, daß dabei allerseits der Plan bestand, den dolljewordenen Berserker durch Jetränkeinflößung fügsamer zu machen. Leider aber hatte dieser dwatsche Bachhuber, der anfangs mit mir jing, eine Idee, die mich, muß ich zu meiner Schande einjestehn, so faszinierte, daß ich Idiot ihm auf die Seele band, sie auch den anderen als süßes Jift ins Ohr zu träufeln.«

»So, der Bachhuber?« murmelte Rapp. »Auf die Idee bin ich gespannt!«

»Ja, wissen Sie, um dieses zu begreifen, muß man die wohl in hohem Maß vorhandene Besäuftheit mit in Rechnung ziehen. Wir versprachen uns ein großes Amüsement davon, hier, statt vernünftig abzudämpfen, noch klein bißchen scharfzumachen. Kurz, wir malten uns ein fingiertes Duell feenhaft aus.«

»Ja, wie denn? Ein fingiertes Duell? Was meinen Sie damit?«

»Nu, so wie Keilerei mit Tanzvergnüjen: ein Duell, das keiner ernst nimmt als – die Duellanten selbst.«

Rapp schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß Henne fast vom Stuhle fiel vor Schreck. »Ja, Herrgottsakrament, wie stellen Sie sich das denn vor?«

»Jetzt, wo ich nüchtern bin, wohl überhaupt nicht mehr«, entschuldigte sich Henne. »Sonst würde ich es Ihnen nicht erzählen.«

»Und gestern? Vorwärts! Das muß ich schon wissen!«

»Hätt ich nur gar nicht davon anjefangen!«

»Also, weiter, weiter!«

»Meinetwejen! Nu, wir hatten es uns in der Trunkenheit so ausjedacht: wir wollten die Jeschichte mit allen Schikanen feierlich betreiben, bis sich die beiderseitigen Paukanten auf zehn Schritt Distanz jejenüberstanden, Schießjewehre in der Hand ... Selbst dafür war nämlich jesorgt. Herr Astaller besitzt ein paar jezogene Mensurpistolen – weiß nicht, wozu. Ich dachte, Internisten töten für jewöhnlich nur mit Jift ...«

»Jetzt bloß nicht abschweifen! Sie halten das wohl immer noch für witzig? – Zur Sache! Weiter, weiter! Los!«

»Was denn nu noch? Ja, also: wenn Sie sich so mit jemachten Testamenten todbereit ins Auge starrten, dann sollte einer von uns in die Mitte treten und freundlich lächelnd mitteilen, daß die Jeschichte nur ein Spaß war und die praemissis praemittendis Duellanten nu jebeten würden, sich die Hand zu jeben und ein solennes Versöhnungsfrühstück in der Waldrast, heißt es, glaub ich – jedenfalls gleich da bei Enterrottach – in den Mund zu nehmen.«

»Reizende Leute!« fauchte Rapp. »Vergessen tu ich's der Gesellschaft aber nicht!«

»Nu, nu«, beruhigte ihn Henne, »so braucht man das auch nicht gleich aufzufassen. Das Entscheidende bleibt doch, wer das Objekt solch eines Scherzes ist. Ich wär in solcher Lage sicher wegjestorben vor lauter Angst. Aber heldische Naturen, wie Sie und mein jeliebter Vetter Goswin ...«

»Sparen Sie sich die Ironie, Herr Henne! Ach, und tun Sie doch nicht so, als könnten Sie kein Wasserl trüben. Ist grad bei Ihnen schon ein bißl Rache für Sadowa mit im Spiel. Ich geb ja zu, ich hab Sie hie und da derbleckt mit Ihrer, no ja, negativen Tapferkeit. Darum hat Sie's gekitzelt, sich zu überzeugen, ob nicht auch mir gegebnenfalls die Schneid ausbleiben tät. Aber bedaure sehr: das täuscht! Wie konnten Sie denn glauben: ich als alter Korpsstudent ...?«

»Auch das noch!« seufzte Henne.

»Haben Sie denn meine Schmisse nie bemerkt?«

»Natürlich, hier im Ausland wird mit dem Kopf pariert statt mit der Plempe! Und dabei haben Sie sich diese Todesverachtung einjeübt? Sie sind ja beinah wie mein Vetter!«

»Richtig, der ist auch noch da! Die Hauptperson!« Der Doktor lachte grimmig auf. »Er weiß wohl nichts von Ihrem feinen Plan?«

»Doch! Leider! Denn er watete gleich so jenußsüchtig in Ihrem Blut, daß unsere Damen vor Entsetzen fast ohnmächtig wurden und Herr Astaller a tempo einen ›Moralischen‹ bekam. Und stellen Sie sich vor, was tut der Dohjan? Er klärt Goswin darüber auf, wie es jedacht ist, und wiegt sich, naiv wie ein jelernter Diplomat, im Glauben, nu ist alles gut. Und schon war das Malheur jeschehn, und Goswin hatte auf sein Ehrenwort erklärt, daß er sich im Ernst mit Ihnen duelliert – und nicht nur so ›auf drei Schritt Zunge zeijen‹, betonte er; nein: auf jezogene Pistolen und zu den schärfsten Bedingungen.«

»No und? Wo steckt da das Malheur?«

»Wei, lieber Herr, ich glaub, Sie sind, was Ehrenworte anbetrifft, durch Bachhuber etwas verwöhnt. Bei Goswin ...! Sein Sie überzeugt: wenn er mal aus Versehn sein Ehrenwort dafür verpfändet, daß er sich morjen am Tag erschießt, dann ist der Dämlack morjen abend tot. Nein, er will Sie à tout prix vor der Pistole sehn!«

»Sieht er sich dann ja vor der meinen auch!«

»Kann Ihnen dieser Unsinn denn Vergnüjen machen?« drängte Henne.

»No, vielleicht tu ich's aus heiligem Respekt vor seinem Ehrenwort«, höhnte der Doktor.

»Nu, Herr Rapp, dies Ehrenwort ist doch sofort nur ein Flick Wischpapier, wenn Sie ... Der Klüjere jibt nach. Sie nehmen zurück, was ihn beleidigte ... Wer wird dann der Blamierte sein?«

»Sie sind wohl nicht gesund im Kopf?« schrie Rapp. »Jetzt sag ich Ihnen was, damit Sie's wissen: hätt er nicht Sie zu mir geschickt, dann wär auf jeden Fall mein Zeuge bei ihm angetreten. War grad dabei, es mir zu überlegen, wem ich den Auftrag geben könnt; und hätt ich auf den Sturz einen gewußt, kann sein, Sie wären ihm schon unterwegs begegnet.«

»Wie furchtbar! Hätt ich nie jedacht, daß Sie darin noch rabiater als mein Vetter sind!«

»Lieber noch holt ich mir die ganze Blase ran!« Rapp zielte mit der Rechten, als säße ihm darin schon die Pistole.

» Mich aber doch wohl nicht?« Und Henne machte Augen wie ein gescheuchtes Reh.

Der Doktor grinste kannibalisch. «Weiß nicht: Ihr Gestell einmal so richtig scheppern hören – interessant wär's schon! Und sind der einzige nicht, der kneifen tät.«

»Herr Rapp, sein Sie ein bißchen überlejen: Kneifen Sie doch auch! Ich fänd es mutijer!«

»So schaun wir aus!« Der Doktor warf. sich in die Brust. »Nein, nein, wir stehn schon unsern Mann!«

»Bis Sie auf einmal nicht mehr stehn! Goswin schießt ja so gut!«

»Ich werd auch nicht grad mit Kartoffeln schießen!«

»Fragt sich nur, ob Sie trotz dreimaligem Kugelwechsel, den er vorschlägt, überhaupt noch dazu kommen«, warnte Henne. »Denn als Beleidigter hat er den ersten Schuß.«

»Tät ihm so passen!« lachte Rapp. »Auf solche Scherze laß ich mich nicht ein. Bei drei tut's schnackein – wer zuerst kommt, knallt zuerst.«

»Sind Sie nu das, was man einen Kunstschützen nennt?« erkundigte sich Henne.

»Nein, wir schaffen's schon auch ohne dem! Und warum fragen Sie? Befürchten Sie, ich pudle gleich so weit vorbei, daß ich – seinen Sekundanten treff?«

»Ich mein: weil er bei uns zu Hause für so etwas jilt. Pistolenschießen ist das einzije, was er meisterhaft versteht. Er schießt auf fünfzehn Schritt aus einer Spielkarte das As heraus. Ich hab dem allerdings nicht beijewohnt, weil ich das Knallen nicht vertragen kann. Aber die durchgeschossenen Asse sah ich selbst.«

»Das Knallen nicht vertragen? Und wollen bei 'ner Pistolenkiste sekundieren?«

»Das werd ich wohl nicht!« wehrte Henne mit Entrüstung ab. »Kommt es im Ernst zu diesem Unfug, so kann sich Goswin einen andern suchen – Bachhuber vielleicht. Der ist am Ausgang des Duells ja sowieso interessiert.«

»Bachhuber interessiert?«

»Wejen der Wette.«

»Wette?«

»Goswin hat mit ihm jewettet auf fünfhundert Mark ...«

»So ein Geschäft wünscht ich mir täglich!« spöttelte Rapp. »No, und die Wette?«

»Ganz frivole Sache! Goswin schwor, daß er Sie in die rechte Kniescheibe trifft. Bachhuber zweifelte das an, und da ... Sollte der Blödsinn doch vonstatten jehn, dann jeb ich Ihnen einen Rat: nehmen Sie dieses Bein, wenn Goswin abschießen will, schnell aus dem Weg. Denn dauernd mit dem rechten Fuß zu hinken, ist beschwerlich – wie ich aus Erfahrung weiß!«

»Wär bloß der Bachhuber satisfaktionsfähig!« wünschte sich Rapp. »Dem pelzt ich ja mit Wonne eins hinauf! No aber: Zeit lassen! Er kriegt sein Fett!«

»Sie waren nun wohl beide recht besoffen«, sagte Henne tröstend. »Und wenn ich mit Goswin recht eindringlich sprech, kann sein, daß er vielleicht in weichere Teile schießt. Allerdings weiß man bei Kindern und bei Narren nie ...«

Rapp sprang plötzlich auf: »Sie möchten mich, scheint mir, das Gruseln lehren? Leider zieht das nicht!«

»Das Gruseln lehren? Nein, wieso? Ist das nicht völlig aussichtslos?« Henne erhob sich notgedrungen auch.

»Was wollen S' außerdem mit diesen Räubersgeschichten, die Sie mir erzählen?«

»Räuberjeschichten? Jedes Wort ist wahr!«

»Ja, ich kenn Ihre schlitzohrige Art von Wahrheit! Jetzt aber Schluß! Das weitere besprechen Sie mit meinem Zeugen, gel?«

»Da ich ja weiß, daß Sie noch keinen haben, hoff ich weiter.« Henne kniff sein größeres Auge zu.

»Die Hoffnung täuscht. Ich hab mir's überlegt und nehm den Doktor Mosler zwei: mein Rechtsanwalt und nebenbei ein Korpsbruder von mir. Sie kriegen bis am Nachmittag um drei Uhr spätestens Bescheid. Sie wohnen in der Alten Post? Jawohl – und die Geschichte selber – sechs Uhr morgen in der Früh. Sagten Sie: Enterrottach? Bleiben wir dabei! Von dort die erste Schneise links vom Weg in die Valepp – da sind wir um die Zeit ganz ungestört.«

»Mein Gott, jetzt nimmt der helle Wahnsinn schon bestimmte Formen an!« wehklagte Henne und fügte zaghaft verschmitzt hinzu: »Und wenn ich doch ein Frühstück in der Waldrast vorbereiten laß?«

»Bereiten Sie gescheiter etwas andres vor!« polterte Rapp.

»Ach, meinen Sie, man sollte zur Sicherheit gleich einen Leichenwagen ...?« fragte Henne unschuldig. »Ich fürchte nur, daß das auffallen könnte.«

»Herr Henne, geben Sie sich keine Müh! Und wenn Sie mit all diesem Schmarrn zum Frieden reden wollten, haben Sie das Gegenteil erreicht. Angst machen laß ich mir nicht!«

»Weil das gar nicht mehr nötig ist«, erwiderte der Balte fast elegisch.

»Was sagen Sie? Ich? Angst?« Mit drohender Gebärde trat Rapp auf Henne zu.

»Ich jeh schon!« wehrte der erschrocken ab und rettete sich auf den Gang hinaus.

»Mein Zeuge kommt bestimmt vor eins!« schrie Rapp und schlug die Tür zu.

»Wenn ich noch länger bleib, erscheint der Zeuje jestern abend schon«, sprach Henne im Hinuntergehn zu sich. »Verfahrne Sache! Ach ja! Was nun? Es muß doch was jeschehn!« Dann plötzlich ging ein Lächeln über sein Gesicht, er stellte bei sich fest: »Aber ein unbehagliches Jefühl im rechten Knie hat er jetzt doch!«

Als er auf die Terrasse kam, sah er Lydia Arbusow und Gwendolin Conradi lebhaft auf Centa einreden und wußte gleich, wovon die Rede war. Bei seinem Anblick stürzten sie ihm neugierig entgegen.

»So feierlich?« rief Gwendolin. »Was ist denn nun?«

»Soll's wirklich ernst mit diesem Unsinn werden?« forschte Lydia.

»Nu, langsam über die Brücke!« mahnte Henne. »Sind wir glücklich schon Stadtjespräch? – Wenn es die Damen so interessiert, dann kann man ihnen eventuell eine Tribüne für das Kampfspiel aufbaun. Operngucker haben Sie wohl mit?«

Da trat Centa heran. »Jetzt will ich endlich wissen, was ernstlich hinter diesem Unsinn steckt! Und Sie, Herr Henne, tun da mit? Hätt ich von Ihnen ganz zuletzt gedacht!«

»Liebes Fräulein Hollerieth, ich darf nichts sagen. So viel sag ich aber doch: ich jeh sofort zu Onkel Woldemar. Res venit ad triarios. Schon bei Homer war doch der weise Nestor der Mann, der den Achilleus und, wie hieß der andere noch, davon abbrachte, jejenseitig Flickerklops aus sich zu machen.«

»Nein, erst erzählen Sie! Will Rapp denn auch ...?« erkundigte sich Lydia neugierig.

»Verehrte Damen, heute nachmittag bin ich erbötig, Ihnen vorzulüjen, was Ihr Herz bejehrt. Nur eben muß ich jehn! Empfehle mich!« Er schwang den Hut im Halbkreis gegen die drei und hinkte schnell bergab.

»Ja, reden S' gleich mit Brokkenhuus!» rief Centa ihm noch nach.

»Bei dem weiß man auch nie, wo man ihn hat«, bemerkte Lydia.

»Ach, wenn er beteiligt ist, wird's ja nicht gleich um Kopf und Kragen gehen!« meinte Gwendolin.

Centa hob den Kopf. »War lieb von euch, daß ihr gekommen seids. Aber bemüht euch weiter nicht! Jetzt kenn ich mich aus und ... hab was andres zu tun.«

»So? Dann können wir wohl wieder gehn!« antwortete die Russin spitz.

»Jawohl. Also, behüt Gott!« Centa nickte den beiden herablassend zu und stieg die Freitreppe hinauf. Ihr war es, als sei eine Feder in ihr gespannt und treibe sie nun an. Es drehte sich nicht mehr darum, sich aus dieser Komödie von gestern halbwegs anständig herauszuwinden; und wer länger bocken könnte, darauf pfiff sie, mit Respekt gesagt. Jetzt wurde einmal deutsch geredet mit dem Ferdinand!

»Großartig!« empörte sich Gwendolin. »Da kommt man und will nur das Beste; aber nein! Heut nacht hat er uns vor die Tür gesetzt, und nun macht sie's uns so!«

»Ich finde, Künstler sollten überhaupt mit solchen Leuten nicht verkehren«, stimmte Lydia ein, »weil's einfach unter ihrer Würde ist. Abkaufen wird er uns ja doch nichts mehr. Wott, und wozu dann noch! Statt daß die Spießer froh sind! Ich kann ja nur lachen! Komm!« Klack, spannte sie den Sonnenschirm auf, klack, tat es ihr die andre nach; mit heftigem Jupongeraschel verließen sie den ungastlich gewordnen Ort.

 

In seinem Arbeitszimmer fand Centa den Doktor nicht. Sie wendete sich zur Balkontür – richtig, draußen stand er, die Hände auf die Brüstung gestützt, und starrte in die Luft hinaus, als ob droben über dem Wallberggipfel etwas Besondres zu erspähen wäre.

»No, wie haben wir's?« begann sie spöttisch.

»Du?« Er fuhr herum. »Und womit kann ich dienen?»

»Möcht wissen, was der Henne von dir wollen hat.«

»Das wird wohl meine Sach sein! Oder hat er geratscht bei dir? Es säh ihm gleich!«

»Braucht's noch viel ratschen, wo ganz Tegernsee schon seine Gaudi daran hat! Mensch, glaubst du denn, die Rasselbande trägt das nicht herum! Zwei von die Weiber hab ich grad erst nausgefeuert – das vergessen die mir nicht! – Aber tu du nur recht geheimnisvoll!«

»Also«, wetterte er los, «dann merkst am End allmählich, was du angerichtest hast?«

»A geh, die Spielerei!«

»Bloß: aus dem Spiel wird manchmal Ernst!« entgegnete er in einem an ihm ungewohnten Ton gefaßter Männlichkeit.

»Heißt das ...?« Sie stockte, brach dann aber los: »Und ausgerechnet du hast es im Ernst vor, dich zu schießen mit dem Blödian, der mir gestohlen bleiben darf?«

»Kenn mich schon aus, weshalb du auf einmal so tust!« Er musterte sie mißtrauisch. »Du meinst, ich schieß auf das hin in die Luft, daß deinem Schwarm bloß nichts geschieht? – Jawohl, ich werd mich freundlichst über den Haufen knallen lassen von dem Kerl!« rief er, sichtlich gekränkt durch diese Zumutung.

»Bumm bautsch, schon liegt er da!« rief sie erheitert. »No, erstens seh ich dies Duell noch nicht; und wenn – so furchtbar blutig wird es kaum. Dem Sekundanten nach zu schließen, schau ich's nicht so tragisch an.«

»Du, das kann täuschen!« sagte er bedeutungsvoll und ließ sie hören, was ihm Henne von Goswins Schießgewandtheit, seinem Ehrenwort und seiner Wette mit dem Musiker berichtet hatte. Centa hörte ihm lächelnd zu und warf dann hin: »Der Henne! Schau, da hast die Quittung für dein ewiges Gefrozzel mit seiner Ängstlichkeit. Hat ihn ja kitzeln müssen, einem auf den Zahn zu fühlen, der so was wie Furcht gar nicht begreift.«

»Der Zahn war aber recht gesund!« Rapp warf sich in die Brust. »Er fürchtet sich vor dem Duell – nicht ich! Und wird es schon erleben, daß mich der neunzinkige Depp nicht schreckt, und soll er schießen wie der Buffalo Bill!«

»No und: bloß, daß der Henne deinen Mut bewundert, willst dich als Zielscheib aufbaun für so einen, der grad die Ass' aus die Spielkarten fetzt?«

»Fangst jetzt du auch mit den Geschichten an? Beruhige dich: dem Zahn fehlt wirklich nichts! – Der Henne – pö! Aber ganz Tegernsee ist außerdem noch da!«

»Immer die Kirch beim Dorfe lassen, Ferdl; gel? Das sagt man halt so hin und – übertreibt. Was sich schon Tegernsee drum scheren wird! Und die Rasselbande kann sich von uns aus denken, was sie mag! Denn ein zerschossenes Knie sind ja die Köpf von dem Geschwerl mitsammen gar nicht wert!«

Er stampfte heftig auf. »Laß jetzt den Schmarrn und scher dich nicht um Männersachen, die du nicht verstehst! Und soll es gehn, wie's will – ich mach mich nicht lächerlich vor alle Leut!«

»Ja, das ist dir die Hauptsach!« klang es erbost zurück. »Du mußt dich duellieren, und ob folgedessen ich wie solch ein Mistviech von Theaterprimadonna oder Zirkushupferl dasteh, um das sich die spinnet gewordenen Verehrer Löcher in den Bauch oder von mir aus in die Haxen schießen, das ist dir egal!«

»Und grad durch das Duell wasch ich dich davon rein!« verkündete er stolz.

»Mit deinem Blute?« fragte sie in einem Hochdeutsch, das die Zweckmäßigkeit solch einer Säuberung spöttisch anzweifelte.

»Ja, liebe Centa, wenn du das nicht wolltest ...«

»Nein, ich will's und will's und will's nun einmal nicht, daß wegen einem dummen Witz von mir ein Menschenleben in Gefahr kommt. Gewiß weiß man das bei so Sachen nie!«

Er zuckte mit den Achseln. »Hättest du dir früher sagen sollen! Wars vielleicht ich, der diese Komödi angezettelt hat!« Sie drehte ihm den Rücken zu und überlegte. In einem plötzlichen Entschluß fuhr sie herum und sah ihm gerade ins Gesicht.

»Gut, spielen wir mit offne Karten, Ferdl! Ja, ich geb dir's zu, daß das saublöd von mir gewesen ist, und daß man draus zur Not selbst einen Grund für dies Duell herleiten könnt. Den Grund nehm ich dir aber weg, und ich verlang, daß du mir glaubst: ist mir dabei doch gar nicht um den Stiesel da mit seinem Schaukelpferdprofil gegangen, sondern ausschließlich bloß um dich! Hochtreiben wollen hab ich dich, jawohl, und weiter nix!«

»Und – ich hab's doch gewußt!« rief er in einem völlig neuen Ton und fügte, als sie ihn spöttisch musterte, hinzu: »Frag bloß den Brokkenhuus, der kann's bezeugen!«

»Was hat der damit zu tun?«

»Ich hab es ihm heut nacht sofort gesagt, es könnt auch so was sein.«

Sie schlug sich plötzlich mit der Faust in ihre offne andre Hand.

»Da hab ich ja den besten Zeugen, wenn du's mir nicht glaubst! Frag du den Brokkenhuus! Er hat's am Dienstag schon gewußt, zu was ich die zwei Meter gräflichen Idiot verwenden wollt.«

»Das ist ja ein Komplott!«

»Woher doch! Abgeredet hat er mir wie einem lahmen Gaul. Hätt ich ihm bloß gefolgt!«

»Brauchts keinen Zeugen weiter – ich glaub dir auch so!« erklärte Rapp großzügig. Und man hörte ordentlich, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel.

»Nein«, widersprach sie ihm, »geh nur zum Brokkenhuus – der Henne ist schon hin – und red auch gleich wegen dem damischen Duell! Weißt, dafür kenn ich ihn, daß er auf das hin seinem Herrn Neveu ein Machtwort sagt, das sich gewaschen hat.«

»Hat keinen Zweck mehr! Machtwort reimt sich schlecht auf Ehrenwort.«

»Ah, ihr mit eurem wepsigen Ehrenwort!«

» Er hat es doch gegeben und hat mich gefordert. Cenzerl, hättst diesen Unsinn unterwegs gelassen. Mich hochtreiben! Wenn ich bloß wüßt, warum?«

»Das könntst leicht raten! Bist du denn nicht schon die ganze Zeit verdächtig abgekühlt gewesen und gar nimmer eifersüchtig? Wenn ich an früher denk!«

»O Weiber! So also! Eine – no, wie sagt man? – Liebesprob hätt das vorstellen sollen? – Sag ehrlich, Cenzerl, tat das not? Gibt's nicht genug Beweise ohne dem?«

»Ja, ich versteh!« erwiderte sie spitz. «Ein Mädel rumkriegen – schon eine Leistung, die sich sehen lassen darf! Ich könnt mir Sachen vorstellen, die mir um einiges mehr bewiesen hätten! Du vielleicht nicht?«

»Oha! Jetzt wird es Tag! Zum Heiraten hättst du mich triezen mögen durch das Gespeanzl mit dem Kerl! Das war dann allerdings der richtige Weg!«

Als er ihr dies so auf den Kopf zusagte, schämte sie sich plötzlich dessen, was die letzten Wochen her ihre Gedanken ausgefüllt und sie zu mancher Dummheit angetrieben hatte! Stand ihr dies Spekulieren an? Und dann noch elend ausrutschen dabei, und gar dem Brokkenhuus davon erzählen, an dessen guter Meinung ihr doch so viel lag. Sie kriegte eine ehrliche Wut gegen sich selbst und – ließ sie folgerichtig an Rapp aus: »Jawohl! Ich geb es zu! Ob gern, ob ungern, ist ja einerlei. Weiß selber nicht, weshalb ich das getan hab. So ein Wundertier bist schließlich nicht, daß man sich reißen müßt darum! Brauchst mich nicht heiraten und kannst beruhigt sein: ich red zukünftig keinen Ton nimmer von dem!«

Er hörte, praktisch, wie er war, von ihrer Rede nur, was ihm gefiel, und stimmte zu: »Das ist gescheit! Dann bleibt's beim alten mit uns zwei; gel, Cenzerl?» Und er griff nach ihrem Arm. Sie riß sich zornig los. »Geh! Finger weg! Mag nicht – daß du's weißt!«

»Cenzerl, sei doch nicht so! Und kann sich ganz von selber richten, daß es später einmal doch ...«

»Weiß schon: wenn deine alte Dame nimmer unsern Stern bevölkert – so hat's doch geheißen; oder nicht? Natürlich: ich wart gern auch bis an meinen eignen Tod!«

»Hast du nicht grad gesagt, daß es dir nicht pressiert?«

»Das hab ich nicht gesagt. Ich hab gesagt: ich pfeif dir drauf!«

»No, wenn ich aber einmal ansprech, gibst du mir schon keinen Korb!«

»Tät es mir zehnmal überlegen, glaub mir!«

»Ja, überlegen ist was Gutes, Cenzerl. Hättst du's gestern abend nur getan! Und alles, was dich heut so fuchst, das überleg und – überschlaf es dir! Denn über Nacht kommt guter Rat und zieht sich jeder Schmerz zurecht.«

»Ja, das ist deine Art«, warf sie verächtlich hin. »Du bleibst dir treu, du ... du geborner und gebliebner – Privatier!«

»Auf einmal?« sagte nun auch er gereizt. »Hat dir doch sonst nicht so vor meinem Geld gegraust!«

Wild fuhr sie auf. »Aber vor dem, was dieser Haufen Geld aus dir gemacht hat, graust mir's bald! Du bist ein Feiner, ja! Halbseidne Kavalierskrämpf von Duell und Ehrenwort – jawohl! Mir aber kommt er so!« Sie brach in Schluchzen aus.

»Geh, Cenzerl, doch nicht weinen! War nicht bös gemeint!« entschuldigte er sich.

»Ach, mein du, was du willst! Ich heul ja bloß aus Wut!« Centa mißhandelte ihre Augen mit dem Taschentuch, aber es half ihr nichts – das Wasser rann.

Und Weibertränen haben ihre Kraft. Zum erstenmal, solange er nun Centa kannte, sah Rapp sie weinen, und das plagte ihn doch sehr – ganz abgesehen davon, daß er schon aus Bequemlichkeit immer für Frieden war. Natürlich hatte sie ihm diese ganze Suppe eingebrockt; lag aber, wenn man es bei Licht besah, in dem kindlich-diplomatischen Versuch, seinen Gefühlen wieder einmal Dampf zu machen – lag darin nicht auch etwas Rührendes? Und trug, wenn man nach Centas tieferen Gründen forschte, nicht von früher her er selbst sein Teilchen Schuld? Die Weiber haben es halt irgendwie mit der Romantik und mögen einen hie und da ein bißchen festlicher daherspazieren sehn als alleweil nur in der Joppe scherzhafter Rauhbauzigkeit, die für ein gesundes Mannsbild zum häuslichen Behagen unentbehrlich ist. So dachte Rapp, und unter diesem härenen Vließ rührte sich auf einmal die ihm vom Vater überkommene Weichmütigkeit, und seine Neigung, nichts im Leben schwerzunehmen, schob unwillkürlich nach. Er hob den Kopf, ein Lächeln ging in seinen Augen auf, und ein ihn selber überraschender Entschluß stieg ihm beglückend warm zu Kopf. »Du Cenzerl«, tastete er sich, zunächst noch schüchtern, vor, »bist mir denn echt und ernsthaft bös?«

»Jawohl!« fauchte sie hinter dem Taschentuch heraus.

»Ich dir aber kein bißl mehr!«

»Grad gnädig!« Und ein neues Schluchzen schüttelte sie.

»Cenzerl, schau, dein Wunsch, daß ich vor diesem Stiesel kneifen soll, laßt sich halt nicht erfüllen, mußt du doch verstehn! – Aber wie wär's, wenn dies Duell, das dir gar so zuwider ist, für dich doch etwas – Gutes nach sich zög?«

»Wüßt nicht, wieso?«

»No, aber das wirst wissen, das man vor so Affären – bloß wegen der Ordnung, nicht? – sein Testament macht und, no ja, sein Haus bestellt ...«

»So, Testament?« lachte sie auf. »Und überhaupt – ich möcht gar nix von deinem dreckigen Geld!« Sie wischte sich erbost die Tränen ab und barg das Taschentuch im Halsausschnitt.

»Und ebenso«, fuhr er, noch immer leicht befangen, fort, »gehört es sich, daß man – sonst alles klar und sauber werden laßt. Das will in diesem Fall besagen, daß ...« Er zauderte, erklärte dann aber flott: »Gesetzt den Fall, ich ging gesund und mit geraden Gliedern draus hervor – denn einen Krumpen wirst ja so nicht mögen –, wenn ich dir nun versprech, daß wir dann heiraten?«

»Ha?« fragte sie erstaunt.

»Gel?« nickte er. »Da schaust? Für den Fall hast mein Wort! No, und das gilt! Sieht sich nun die Geschicht nicht schon ein bißl anders an?«

Sie musterte ihn stumm vom Kopf bis zu den Füßen. Er war starr. Was hieß denn das? Nicht der erhoffte Strahl der Freude brach aus ihren Augen – der Spott in ihnen wurde vielmehr zu offenem Hohn. »Das hat grad noch gefehlt, mein Lieber!« Ihre Stimme zitterte vor Zorn. »Sag nix – ich seh dich durch und durch! Was ich auf die Art kriegen soll, bloß von der Angst erpreßt – das anzunehmen bin ich mir zu gut! Ich laß mich nicht so als geweichte Kerzen vor den Altar stecken von einem, der aus Todesnot errettet ist. Verlob du dich in deinen Ängsten nach Altötting oder Andechs – aber nicht mit mir!«

»No aber, Cenzerl, geh!« stammelte er. »Daß du das so auslegen magst! Was ich dir da geboten hab – es ließ sich, mein ich, spüren –, kam aus dem Gefühl!«

»Gefühl? Fragt sich nur, was für eins! Muß ich bald an die hartgesottnen Sünder denken, die, wenn's aufs Letzte geht, den Pfarrer rufen. Ich hab schon längst mehr wie ein Haar in dir gefunden, dich aber wenigstens noch immer für ein Mannsbild angeschaut. Auch das ist nix wie äußerlich! Die Angst von dir möcht ich ja sehn, wenn du vor dem seinem Schießeisen stehst!«

»Das geht na doch zu weit!« schrie er. »So wenn es wär, brauchet ich doch bloß deinen Rat befolgen!«

»Wenn deine Angst vor dem Geschwätz der Leut nicht noch um ein Trumm größer war!« sagte sie kühl. »Lassen wir's gehn und red nicht erst noch lang! Weiß schon, daß du dich anders siehst! Gehört auch dazu Schneid, sich selber richtig sehn!«

»Und hast mich nicht du auch – anders gesehn?« mahnte er sie gekränkt.

»Ja, und ich hoff zu meiner Ehr, daß du da sogar anders warst! Wird halt das faule Leben sein, wie du es führst ... Und das verfluchte Geld ... Will's auch nicht ableugnen: ich selber hab's wohl dir – und vielleicht mir – gar zu bequem gemacht ... Und alleweil, wenn man den einen Brokkenhuus nicht rechnen will, nix wie Geschwerl als einzigen Verkehr!«

»Das könnt man sich doch leicht vom Halse schaffen!« schlug er vor, die neue Wendung des Gesprächs begrüßend. »Hab die Gesellschaft selber dick; und kann schon stimmen: wo ein Geld ist, sammeln sich die Lumpen.«

»Darfst sie von mir aus künftig bei dir wohnen lassen«, warf sie gleichgültig ein. »Was frag ich schon danach! Geh du zu dem Duell; ich weiß, wohin ich geh, denn ich mag meine Ruh!«

»Schau, Madel, sei doch bloß gescheit! Siehst es denn nicht, wie raffiniert du mich – natürlich unbewußt – in eine Zwickmühl setzt? Wenn ich auf das hin nun – ich wüßt zwar gar nicht, wie – mich dem Duell entziehen wollt, gäb ich dadurch ja deiner ... irrigen Meinung recht, daß ich mich davor fürchten tät.«

»Wieder schon eine Angst? – Na, tröst dich: mit der Zwickmühl wird sich's bald gehoben haben! Denn mein Feld wird frei!«

»Ja, Kruziteufel?« rief er starr. »Das kann doch nicht dein Ernst sein! – No ja, in der Hitz ... Wenn du ein bißl nachdenken wolltst ...«

»Brauch nix mehr denken!«

»Und du wirst es – trotzdem tun!« erwiderte er zuversichtlich. »Schau, wir reden jetzt doch bloß im Kreis herum. Und ich muß überhaupt ...« Er schaute auf die Uhr. »Gleich zwölf! Na wird es höchste Zeit, daß ich verduft! – Du, essen wir heut lieber später – so um zwei, halb drei! Da man grad erst gefrühstückt hat ... Laßt sich wohl richten?«

»Ja, von mir aus«, murmelte sie wie abwesend und fügte lebhafter hinzu: »Gehst nun zum Brokkenhuus?«

»Im Gegenteil: ich will mich geschwind um einen Sekundanten schaun.«

»Dann viel Vergnügen fürs Duell!«

»Cenzerl, und mittlerweil machen's wir zwei ein jedes ruhig mit sich selber aus! Und paß nur auf, wenn wir uns wiedersehn ...!«

»Jawohl!« Ein Seufzer mischte sich in ihrem Ton mit Spott.

»Also, behüt Gott derweil!« Er winkte ihr und ging.

»Behüt Gott!« Sie hatte das Gefühl, als setze das Einschnappen der Schloßzunge hinter dies Stück Leben einen Punkt.

In einem inneren Zwiespalt ging Rapp durch den sonnigen Tag. Anfangs wog bei ihm der Ärger wegen der Schnödigkeiten vor, die er hatte herunterschlucken müssen, ohne daß ihm gleich die richtige Antwort eingefallen war. Allmählich aber siegte dann doch die Erkenntnis, daß er Centa plötzlich in überraschend neuem Lichte sah. Er hatte sie bis auf diesen Tag nur gern gehabt wie eines von den kleinen Mädeln, die der liebe Gott zum Gernhaben für Junggesellen in seinem Erdengarten wachsen läßt. Und plötzlich zeigte sie ihm hinter dem hübschen auch ein eigenes Gesicht und stand vor ihm als eine, die jeder richtige Mann heiraten durfte, ohne sich ausgeschmiert zu fühlen. Nein, was die zu bestellen hatte – hol's der Fuchs, sie imponierte ihm auf ihre Art! Ob allerdings er selber sich dabei genügend imposant benommen hatte? – »Dumme Frage!« fuhr er sich an und ließ die alte Leichtherzigkeit von neuem Oberwasser kriegen. »Und überhaupt darf man das nicht so tragisch nehmen! Wenn sie sich's erst in Ruhe klar macht, spannt sie schon, was ich ihr da geboten hab! Es ist ihr zu sehr auf einmal gekommen, und sie hat ihr Glück noch gar nicht recht erfaßt.« Er schritt munterer aus und stellte fest: er war im Grunde doch ein netter Kerl! –

Es schien, als könnte Centa über ein paar hundert Meter weg Gedanken lesen – eben in diesem Augenblick sprach sie zu sich: »Ja, der Brokkenhuus sagt alleweil, daß der Instinkt die Hauptsach wär auf dieser Welt. Und da geb ich ihm recht: wo der fehlt, fehlt es weit. Der Ferdinand hat nicht die Spur davon und hat auch keinen Takt, statt dessen aber Geld zuviel! – Hab freilich selber auch wenig genug Instinkt bewiesen, wie ich damals auf ihn geflogen bin ... Ach was! Geschehn ist halt geschehn! Hauptsache, daß ich jetzt weiß, was ich will!« Sie ging entschlossenen Schrittes an die Tür und klingelte.


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