Arno Holz
Sozialaristokraten
Arno Holz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Akt

(Gute Stube des Amtsvorstehers von Friedrichshagen. Ganz kleinbürgerlich eingerichtet. Sehr gemütlich. Jagdbilder und Geweihe, Gewehrschrank, Pianino, Fenster mit Blumenstöcken. Im Hintergrund Tür)

Amtsvorsteher: (lange Pfeife. Im Lehnstuhl vor dem runden Kaffeetisch. Langsam paffend) Ja, Herr Doktor, das muß ich ja sagen, (paff) da ist ja das erste Mal in meinem Leben, (paff) daß ich Gefangenwärter gespielt habe. (paff, paff) Wir sind ja auch hier eigentlich gar nicht auf sowas eingerichtet. (paff) Im Winter können wir doch keinen ins Spritzenhaus sperren. Ich habe ja immer schon berichtet. No, (Handbewegung) aber wenn's Ihnen nicht langweilig gewesen is, (behaglich einen Schluck Kaffee) mir ist es sehr angenehm gewesen. Wann kann sich unsereins mal mit 'nem gebildeten Mann aussprechen. (paff) Na, un das müssen Se doch nu auch sagen, so schlimm sind wir nicht, wie Se uns machen.

Gehrke: (der auf dem Sofa sitzt. Streicht die Zigarre ab) Ja, Herr Amtsvorsteher, ich kämpfe ja auch durchaus nicht gegen Personen. Sie mißverstehen mich. Mein Wirken gilt lediglich den gesellschaftlichen Einrichtungen als solchen.

Amtsvorsteher: Ja, ich bin ja n alter Mann, (paff) das geb' ich ja zu, müßte manches anders sein. (paff) Was ich schon mit den Herren Geistlichen durchgemacht habe, (paff, paff, paff) darin haben Sie ja nicht so unrecht. (zeigt auf eine Zeitung, die auf dem Tisch liegt) No, (paff) das habn Se doch gelesen, was de »Post« über Sie bringt?

Gehrke: Nun ja, daß meine Sache in der Öffentlichkeit einiges Aufsehen erregen würde, Herr Amtsvorsteher, war ja wohl nur vorauszusehen. Ich fürchte, der Herr Landrat hat gegen seinen Willen die beste Propaganda für meine Ideen gemacht.

Amtsvorsteher: (ablenkend) Hm . . . No, warum haben Sie denn eigentlich noch nicht die Lampe angesteckt? (paff) Mehr Licht, sagen die Gelehrten.

Gehrke: O, Herr Amtsvorsteher, ich wollte Ihnen Ihr trautes Dämmerstündchen nicht zerreißen. Aber, wenn Sie gestatten, es ist allerdings heute bereits merkwürdig früh dunkel. (steckt die Lampe an. Lampenschirm mit transparenten Schweizerhäuschen)

Amtsvorsteher: Nun ja, wir haben ja auch bald den kürzesten Tag im Jahr. (beginnt die Pfeife sehr langsam auszuklopfen. Stochert mit einem Draht im Pfeifenkopf) No . . . das Feifchen wär ja denn auch leer. Aber das müssen Sie meiner Alten doch lassen, der Hase war doch ein Prachtkerl heute mittag.

Gehrke: In der Tat, Herr Amtsvorsteher, um mich so auszudrücken, dieses edle Tier war kein übles Surrogat für Wasser und Brot.

Amtsvorsteher: Und, nich wahr, Herr Dokter, die schöne Sauce, die sie immer macht . . . (Gehrke beifällig lächelnd) Ach ja! (mit der Pfeife ziemlich fertig. Pustet durch) Das bischen Weidwerk hält mich frisch und jung. Sie sind wohl kein Jäger?

Gehrke: (Räuspern) Bei meiner anstrengenden Geistesarbeit, Herr Amtsvorsteher, fühle ich leider die Verpflichtung, mir derartige starknervige Vergnügungen zu versagen.

Amtsvorsteher: Ach, da sind Sie recht zu bedauern, Herr Doktor. Sowie heute der Mond da ist, stehe ich wieder auf dem Anstand. (stellt die Pfeife auf ein Regal)

Gehrke: Ja, Herr Amtsvorsteher, ich hatte eigentlich gehofft . . . Sie waren so entgegenkommend, mich diesen letzten Abend einige Freunde laden zu lassen . . . und da hatte ich eigentlich angenommen, Sie würden es nicht verschmähen, bei der kleinen Feier, wenn ich mich so ausdrücken darf, uns ein lieber Gast zu sein.

Amtsvorsteher: (sich die Joppe zuknöpfend) Das würde mir ja eine große Freude sein, Herr Doktor, wenn ich den gelehrten Herren zuhören dürfte. Aber Sie wissen ja, wie ich hier stehe. Dann schreibt der Herr Pastor morgen gleich einen langen Bericht an den Herrn Landrat. Man muß sich ja zu sehr in acht nehmen.

Gehrke: Meine Freunde würden sich gewiß sehr gefreut haben. (Verbeugung) Sie schätzen auch bereits meinen freundlichen Kerkermeister.

Amtsvorsteher: Na, Herr Doktor, dann wird mir ja wohl nichts anderes übrig bleiben. Auf ein Augenblickchen werde ich denn schon reinkommen müssen. (es klopft)

Amtsvorsteher: (macht die Tür auf. Draußen Schwabe) No, was bringen Se denn, Schwabe?

Schwabe: Is'n Herr draußen. Möcht jern Herrn Dokter sprechen. (hat die Tür geschlossen und bleibt vorschriftsmäßig an ihr stehn, nachdem er eine Visitenkarte abgegeben hat)

Amtsvorsteher: (geht mit der Karte zur Lampe und versucht zu lesen) Wenn se doch bloß nich immer son Augenpulver drucken wollten. Das müssen Sie schon emal lesen, Herr Doktor.

Gehrke: Doktor Moritz Naphtali, Mitarbeiter am Berliner Lokal-Anzeiger.

Amtsvorsteher: Ja, lieber Schwabe, hat denn der Herr nicht gesagt, was er will?

Schwabe: E saacht, e will über ihn was schreibn.

Amtsvorsteher: Na, sehn Se, Herr Doktor! Was son alter Knasterbart auf seine alten Tage noch fürn berühmten Mann in sein Haus gekriegt hat. (zu Schwabe) No, ich habe nichts gegen. Lassen Sie den Herrn nur eintreten. Das Kaffeegeschirr können Se gleich mitnehmen. (zu Gehrke) Ich will nicht stören, Herr Doktor.

Gehrke: Meinen herzlichsten Dank, Herr Amtsvorsteher! Also nicht wahr, Sie machen uns dann die Freude?

Schwabe: (hat unterdessen abgeräumt. Ab)

Amtsvorsteher: (im Hinausgehen) Na, weils denn schon der letzte Abend ist . . . Vor Neun kommt der Mond ja doch nicht.

Gehrke: Meine Freunde werden ja auch selbstverständlich nicht länger bleiben.

Amtsvorsteher: Ach ja! Und so viel Ehre schon in so jungen Jahren. Wenn man das so sieht. Ja, ja, Bildung macht frei. (ab)

Gehrke: (allein. Spuckt sich in die Hände, reibt die Ärmel ab, knöpft das Jackett nochmal nach, tritt vor den Spiegel, zieht die Hosen runter, stellt den Rohrstuhl schräg vor die Mitte des Tisches, rückt den Lehnstuhl zurecht, setzt sich auf ihn, langt ein Buch, das er aufschlägt, und tut, als ob er eifrig läse. Blei in der Hand. Hustet)

Naphtali: (Chapeau claque zugeklappt, tiefer Bückling) Doktor Naphtali.

Gehrke: (ist wie überrascht aufgestanden, geht ihm entgegen) Wollen Sie gefälligst Platz nehmen, Herr Doktor?

Naphtali: (setzt sich auf den Rohrstuhl, Gehrke Lehnstuhl) Wenn Se jestatten, Herr Doktor, zunächst mal in medias res. Aus meiner Karte werden Sie bereits mit Recht vermutet haben, daß ich Sie um ein Interview bitten möchte. Nicht allein die Blätter am Platz, sondern auch die größeren auswärtigen Journale . . . ich nenne nur die Frankfurter Zeitung . . . haben sich bereits Ihrer Angelegenheit bemächtigt. In einer so sensationellen Sache darf ich unmöglich mein Blatt unbedient lassen.

Gehrke: Ja, Herr Doktor, eigentlich bin ich ja gegen Interviews.

Naphtali: (schreibend) Ausgezeichnet! Bringen wir. Und, verzeihn Se, Herr Doktor, in diesem behaglichen Raum hier interniert Friedrichshagen seine Herren Verbrecher?

Gehrke: Ja, wie Sie sehn. In unserm idyllischen Örtchen geht es noch einigermaßen patriarchalisch her. Der Raum, in welchem Sie weilen, ist ein geweihter. Sie befinden sich in der guten Stube des Herrn Amtsvorstehers.

Naphtali: O, ausgezeichnet! Selbstverständlich! Bringen wir!

Gehrke: Ja, um aber auf den Zweck Ihrer Anwesenheit zurückzukommen. Ich muß gestehn, ich stehe ja nicht auf dem Boden Ihrer Zeitung.

Naphtali: (nachdem er sich nach allen Seiten mißtrauisch umgesehn; etwas näher rückend) Wenn Sie mir n Wort . . . hier unter uns erlauben . . . (die gespreizte Rechte vertrauensvoll vorm Mund) ich auch nicht!

Gehrke: (nachdem er sich von seiner ersten Überraschung erholt; hoheitsvoll; unnahbar) Ich stehe, wie Sie wissen, überhaupt nicht auf dem Boden irgendeines Parteigezänks.

Naphtali: Oh!

Gehrke: Aber ich gebe gern zu, daß die Aufklärung, die Sie in die Massen streuen, mir sehr sympathisch ist. Wirklich, aufrichtig sympathisch. Sie können das Ihren Lesern ruhig mitteilen.

Naphtali: Vorzüglich. Ja, die Macht der Presse. Ausgezeichnet! Bringen wir.

Gehrke: Den Hauptwert, Herr Doktor, werden Sie vermutlich auf die Darstellung meiner Ideen legen. Mein individuelles Schicksal, so typisch es für das des modernen Freiheitskämpfers auch ist, kann doch kaum das allgemeine Interesse so beanspruchen. Sie wissen von der brutalen Vergewaltigung, die ich gerade dieser meiner Ideen wegen unlängst von unserer sogenannt freiheitlichsten Partei zu erdulden hatte, die die Ideale ihrer Jugend, wie es leider immer mehr und mehr scheint, längst vergessen hat.

Naphtali: Gewiß, Herr Doktor. Das Blatt hat ja damals von Ihren Einsendungen fast alles sorgfältig gebracht.

Gehrke: (darüber hinweggleitend) Ja, ganz recht. Ich entsinne mich. Nun, jedenfalls der Versuch, mich als Politiker mundtot zu machen, dürfte jetzt wohl als endgültig gescheitert zu betrachten sein.

Naphtali: Hand aufs Herz, Herr Doktor, säß ich sonst hier? Meine Zeit wäre mir zu kostbar! . . . Wenn Se gestatten, ich hätte n Anliegen.

Gehrke: Nun ja, davon vielleicht später. Um aber, wie gesagt, nun endlich auf das für mich Eigentliche zu kommen. Ich gehöre nicht zu den verworrenen Jüngern eines Nietzsche. Leutchen, die ihre zufällige Individualität in Gänsefüßchen mit einer gewissen Naivität heute in den Vordergrund zu stellen belieben. Mein Ideal ist nicht, wie das jener Pseudogröße einer überwundenen Epoche, der bloße sogenannte Übermensch, sondern, wohlgemerkt, die Übermenschheit! Ein Ideal, dessen erstmalige Schöpfung mein geistiges Eigentum ist. Die gegenwärtige Gesellschaft bietet nicht das nötige Material für diesen Zweck. Es sind neue Menschen, welche die Zukunft braucht. Diese aber können nur durch die Erziehung geliefert werden. Daher die ausschlaggebende Stellung der Pädagogik in meinem System.

Naphtali: Sehr wohl, Herr Doktor. Ein Augenblick. Effektuierung des neuen Menschen . . . durch die Zukunft. Erledigung der Rassenfrage. Ausgezaichnet!

Gehrke: (der so lange innegehalten hat) Ich bin mir bewußt, daß ich, wie jeder Reformator, zunächst auf den Fluch der Lächerlichkeit gefaßt sein muß. Dieser wird natürlich auch meine grundlegende Differenzierung der Pädagogik treffen. Ich teile dieselbe, wie Sie wissen, ein in die Pädagogik vor der Zeugung und nach der Zeugung. Das Hauptgewicht lege ich selbstverständlich auf die erste. (es klopft) Entschuldigen Sie einen Augenblick, Herr Doktor. Herein!

Schwabe: (tritt ein mit Briefen) Hier, Herr Doktor. Der Briefträger is dajewesen.

Gehrke: Danke Ihnen, Herr Schwabe.

Schwabe: Det Bier wärm wir wohl erst n bißkn an?

Gehrke: Nun, das darf ich Ihnen wohl ganz überlassen, lieber Schwabe. Sie werden ja darin die beste Praxis haben.

Schwabe: No ja, ick denk ooch. Wollent schon machn, Herr Dokter. (ab)

Naphtali: (erstaunt)

Gehrke: Sie gestatten, Herr Doktor. (sieht die Post durch) Es ist wohl nichts Dringliches. (hat einen Brief geöffnet)

Naphtali: O bitte, bitte. Ich komplettiere unterdessen meine Notizen.

Gehrke: Ja, sehn Sie, Herr Doktor. Um meine Ideen hat sich niemand gekümmert. Jetzt aber, wo es sich nur um meine, Fernstehenden doch immerhin relativ gleichgültige Persönlichkeit handelt, drängt sich alles an mich. Da, hier die Wiener Neue Freie Presse. Gleichgültig was. Einzige Bedingung: umgehend! Fünfundsiebzig Mark pro Spalte. Sie werden zugeben, Herr Doktor, daß ein solcher Umschlag eines gewissen schmerzlichen Humors für mich kaum entbehren kann.

Naphtali: O gewiß, Herr Doktor! Als ich noch in der Branche war, hab ich auch nicht gedacht, daß ich mal in der Literatur Karriere machen würde.

Gehrke: (der drüber weggehört hat) Ja, und dann, Herr Doktor, möchte ich Sie noch bitten, doch zum Schluß die Analyse des Wortes nicht zu vergessen, welches meine Freunde und ich als Symbol unserer in gewissem Sinne doch vorbildlichen Tätigkeit gewählt haben. Wir fühlen uns als Sozialaristokraten. Sie finden die letzte Definition in unserer zweiten Nummer hier. (gibt sie ihm) »Der Instinkt des Einzelnen als Wille zur Elite.« Ein Bekenntnis, das ich Sie bitte, als mein allerpersönlichstes zu betrachten.

Naphtali: (das Blatt einsteckend) Herr Doktor. Vertrauen gegen Vertrauen. (ihm eine zweite Visitenkarte überreichend) Wollen Se mer das Vergnügen machen?

Gehrke: (lesend; etwas erstaunt) Dr. Moritz Wahrmann, Begründer der Antisemitischen Zentralkorrespondenz. (ihn zweifelnd anblickend)

Naphtali: (die Hand wieder auf dem Herzen; verbindlich) Mein zukünftges Pseudonym, mein zukünftges . . . Organ!

Gehrke: Ja, ich . . . begreife nicht.

Naphtali: Herr Doktor, ein Mann wie Sie, ein öffentlicher Charakter? . . .

Gehrke: Allerdings. Nur . . .

Naphtali: Also kommen mer ßur Sache. Wenn Sie die Chance, die ich Ihnen biete, ergreifen wollen: das Kapital ist geßaichnet, uns fehlt nur noch der leuchtende Name!

Gehrke: Ich kann Ihnen eine gewisse, erste Überraschung nicht verhehlen. So sehr mein Empfinden, soweit ich mich kontrollieren kann, bisher stets ein ausgeprägt arisches gewesen ist, so kann ich mich doch nicht entsinnen, meine israelitischen Mitbürger je auch nur im geringsten mit meiner Antipathie behelligt zu haben.

Naphtali: (aalglatt) Herr Doktor, Se kennen se nich!

Gehrke: Sie erschrecken mich!

Naphtali: Erschrecken? Wie haißts? . . . Und wenn wir Ihn nu offerierten n goldsichren Wahlkreis? (beide blicken sich einen Moment lang in die Augen)

Gehrke: Sind Sie Ihrer Sache . . . so sicher? . . . Glauben Sie wirklich, . . . daß man mich . . . aufstellen würde?

Naphtali: Wenn ich Sie männädschre? Mit apodiktischer Gewißheit, Herr Doktor! . . . Mit apodiktischer Gewißheit! (es bummert gegen die Tür. Naphtali springt auf. Es bummert nochmal)

Gehrke: (ist zur Tür gegangen und reißt diese groß auf) Ich verstehe nicht? Ah, Herr Fiebig.

Fiebig: (im Arm eine in buntgestreiftes Seidenpapier gewickelte Flasche. In der Hand schwenkt er seinen Stock, auf den er seinen Zylinder gestülpt hat. Ungeheuer vergnügt. Hinter ihm Herr Hahn mit einem Paket) Könn ruh'ch rinkommn, Ha Hahn! Der Enthauptete lebt noch. (beide treten ein) Hoch lebe die allgemeine internationale Sozialaristokratie! Nanu? Ick dacht, dets hier allns mit Jirlandn? Un keene Lampinjongs seh'k ooch nich. (entdeckt plötzlich Naphtali. Entzückt) Herr Löbndhal! Wo komm Sie dn hierher?

Naphtali: Verzaihn Sie! Doktor Naphtali.

Fiebig: Nanu? Se wern mir doch nich vormachn, det Sie uf eenmal Ihr eijner Milchbruder geworn sind?

Naphtali: (Augenbrauen hoch, Achselzucken, etwa wie: Bedaure, ham wer nich auf Lager)

Fiebig: Na, wohn Se denn nich in den Jollnostraße?

Naphtali: Verzaihn Se, Holzmarktstraße Zwaiundzwanzig.

Fiebig: Na, oder denn ham Se mal in de Jollnostraße jewohnt!

Naphtali: Bedaure unendlich.

Fiebig: Nee, nee! Verlassn sich druff. Se sehn so aus, als ob Se in de Jollnostraße jewohnt ham.

Gehrke: Herr Fiebig, Sie befinden sich augenscheinlich in einem Irrtum. Die Herren gestatten. Herr Schriftsteller Fiebig, Chefredakteur des »Herzblättchens«, Herr Doktor Moritz Wahr . . . Pardon! Herr Doktor Moritz Naphtali, Mitarbeiter am Lokal-Anzeiger, Herr Hahn.

Fiebig: Nu, denn ham Se n Doppeljänger. Mir hat mal eener in de Stadtbahn anjesprochn. Na, un nachher wah ick't ooch nich.

Naphtali: (verbeugt sich. Schlau) Na vielleicht, Herr Doktor, wenn Se sich würdn besonnen habn?

Fiebig: Nee, nee! So wat ähnlichet hat ja schon mal in Ihre Beilage jestandn. Der Mann mitte eiserne Maske. Wah Ludwich der Firrzehnte.

Naphtali: Ah so! Vermutlich mein Kollege, Herr Doktor Adolf Kohut?

Fiebig: Ja, det kann schon stimmn. Von Kohutn lißt man ja öfter war.

Gehrke: (hat unterdessen Fiebig Hut, Stock und Flasche abgenommen. Herr Hahn hat gleichzeitig seinen Paletot hingelegt und seinen Zylinder in Sicherheit gebracht, beim Ausziehen hilft er Fiebig. Dann in gespannt-würdevoller Neugier zur Lampe, bei deren Schein er nicht ohne ein gewisses Schmunzeln das Etikett liest) Ah, Allasch, Herr Fiebig. Ihr Lieblingsgetränk. Nun, dann sind wir ja geborgen. Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Hahn?

Hahn: Oh, danke sehr, Herr Doktor.

Naphtali: (der sich verabschieden will; diskret zu Gehrke) Herr Doktor, wir besprechen das also noch.

Gehrke: (verbindlich) Gewiß, gewiß. Ich rechne darauf. Es wird mir ein außerordentliches Vergnügen sein.

Fiebig: (erstaunt von einem zum andern blickend) Verjnüjen? . . . (zu Gehrke) Wat?!

Gehrke: (vollständig Herr der Situation) Oh, nichts, Herr Fiebig. Oder doch wenigstens nichts, was im Moment für Sie von Belang, Bedeutung oder Interesse wäre.

Naphtali: Empfehle mich.

Fiebig: (zu Naphtali) Nee, nee, bleibn Se doch noch n biskn. (kriegt ihn am Rockkragen) Wissn Se, Se sind doch bein Lokal-Anzeijer? Son Allasch hab'k mal ne jute Idee zu verdankn. Könn Se wat draus machn. Die Ochsen von de Jewerbeausstellung habent mir ja zurückjeschickt. Verstehn Se: stelln sich n Jlobus vor. So jroß wie der Eiffelturm! Innen looft ne Wendeltreppe. Na, un auswendich steht uf jedet Land n Pawiljong. Un in jedn sitzt n scheenet Meechn in Natzjonalkostüm un verkooft n andern Schnaps. In Pariser Pawiljong Benediktiner, in Petersburjer Wuttki, in Schweizer Alpenkräuter, in Belliner Jilka, na, un det so, verstehn Se, so um n janzn Erdball rum. Sein Natzjonalschnaps hat jedet Volk. Obn ufn Nordpol steht ne Sternwarte. De Welt will heute Wissenschaft. Un in de Mitte is de Hölle. Da komm se alle widder zusammn. An de Wände steht Meyers Konversatsjonslexikon, neuste Uflage, un de Kellners sind alle als rote Deibels verkleidt. Na un an Ausjank, wenn se denn so alle scheen dhune sind, denn jippts mein Weltunterjank jratis.

Naphtali: (voll herausplatzend) Ausgeßaichnet!

Gehrke: Sie sehn Herr Doktor, über welch prächtigen Humor unser lieber Freund verfügt.

Fiebig: Nee, nee, Doktor! Sowat meen ick janich humoristisch. Jloobn Se, der Eiffelturm wah humoristisch? (zu Naphtali) Nu, wolln Se't nu, oder nich? Dadruff is noch keener jekommn! (schnupft)

Naphtali: Ja, ich waiß nicht, Herr Doktor. Ich müßte man erst mal mit Herrn Scherl sprechen.

Fiebig: Könn Se. Mit Scherln bin ick mal ne Zeitlang alle Dage zusammnjewesn. (hält ihm die Dose hin) Wolln Se eene?

Naphtali: (ihn ignorierend, tut als ob er seine Uhr sucht. Zu Gehrke) Herr Doktor verßaihn, ich möchte Sie bitten, was wir haben ferre Zeit?

Gehrke: Ach, Herr Hahn, wolln Sie so liebenswürdig sein?

Hahn: O sehr gern. (sieht nach der Uhr) In sieben Minuten dreiviertel Sechs.

Naphtali: Mein herzlichsten Dank! De Herren werden verßaihn? Um Sechse geht der Zuch. (verbeugt sich, klappt dabei den Chapeau claque auf, zur Tür. Gehrke hat sich gleichfalls verbeugt, und gibt ihm die Hand. Hahn ist aufgeschnellt, findet aber keine Gelegenheit zur Verbeugung) Morgen früh, Herr Doktor, wern Se's zun Kaffe lesen.

Gehrke: Meinen verbindlichsten Dank, Herr Doktor. Also es bleibt dabei.

Naphtali: Mit apodiktischer Gewißheit!

Gehrke: (mit Naphtali bereits in der Tür) Es war mir eine Ehre. (Naphtali ab)


 << zurück weiter >>