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Auf einmal bemerkte Galeide Gaspards Augen. Ich könnte zwar keinen bestimmten Augenblick nennen, wo ich wahrgenommen hätte, daß das geschah, aber es fiel mir auf, daß sich ihrer, was früher nicht der Fall gewesen war, eine Unruhe bemächtigte, wenn sie seinen rätselhaften, steten Blick auf sich ruhen fühlte, noch mehr aber, daß sie aufhörte, von ihm zu sprechen und über ihn zu lachen. Weil sie es nun, wie ich schon einmal sagte, gern hatte, wenn man Liebe für sie zeigte, nicht ungleich einem Kätzchen, das zu schnurren pflegt, wenn man es auf die beliebte Art und mit dem richtigen Griffe streichelt, verbreitete sich jetzt ein großes Behagen über sie, und sie sonnte sich recht in der schönen Flamme, die in diesen schwarzen Augen für sie zu lodern schien. Mir gefiel das nicht übel, denn ich versprach mir eine rechte Genugtuung von den Niederlagen, die Gaspard aus dieser Sache erwachsen mußten, denn ich wußte ja so sicher, wie ich von der Kugelgestalt der Erde überzeugt war, daß Galeide niemals an eine Verbindung mit ihm im Ernste denken würde.
Obwohl es also so gut wie abgemacht in meinem Sinne war, daß Gaspard eine Neigung für meine Schwester gefaßt hatte, war ich doch nicht wenig überrascht, als seine Mutter mir eines Tages das folgende Geständnis machte: sie habe uns neulich auf Veranlassung ihres Sohnes so dringend zum Bleiben aufgefordert. Derselbe habe ihr nämlich rundweg erklärt, daß er Galeide liebe und heiraten wolle. Er habe zwar im Anfang das allerärgste Mißtrauen gegen sie gehabt, aber davon sei er bald zurückgekommen; er habe sie beobachtet, sie passe für ihn, sie liebe ihn noch nicht, aber sie würde ihn lieben, und haben wolle er sie, wenn er sie auch aus dem Mittelpunkt der Erde herausgraben müsse. Ich wußte nicht, was ich hierzu sagen sollte, denn meine Entrüstung über dies rasende Unterfangen konnte ich seiner Mutter gegenüber doch nicht geradezu aussprechen. Also entgegnete ich nur, Galeide sei, soviel ich wisse, mehrere Jahre älter als Gaspard, was doch als ein Hindernis zu betrachten sei; davon abgesehen, hätte ich auch noch keinerlei Anzeichen einer Zuneigung für den jungen Mann an ihr wahrgenommen. Die Frau sagte, das erstere habe sie weniger erschreckt, denn die Jugend sei eine so flüchtige Zierde, daß sie gar nicht in Betracht zu ziehen sei, aber allerdings halte sie dafür, daß Galeide nicht die passende Frau für ihren Sohn sei. Denn sie sei in ganz anderen Kreisen und Verhältnissen aufgewachsen, sie scheine zwar, was höchst rühmlich sei, sehr bescheiden zu sein, aber das helfe nichts, die Natur sei zu verschwenderisch für sie gewesen und stehe gleichsam hinter ihr wie eine stolze Mutter, die ihrem Liebling um jeden Preis ein hohes und glänzendes Geschick verschaffen will. Diese feine Bemerkung erfreute mich an der sonst wortkargen Frau. Ich wurde nun auch eingehender und sagte, meine Schwester sei unberechenbar und könne, soweit es äußere Dinge angehe, recht wohl entbehren, wenn das nämlich mit ihren Wünschen übereinstimme, immerhin aber glaubte ich, daß Gaspards Einfall nicht praktikabel sei; vielleicht sei es deshalb das beste, wenn wir uns kurz entschlössen, aufzupacken und wieder heimzureisen. Hierüber erschrak die Mutter sichtlich und bat mich mit einer bei ihrem sonst trockenen Wesen auffallenden Inständigkeit, das nicht zu tun, da ihr Sohn daraus schließen würde, daß sie das angezettelt hätte, um seinen Plan zu hintertreiben. Sieh da, dachte ich empört, die Frau hat Angst vor ihrem eigenen Sohne! und ich freute mich wahrhaft, daß Galeide ihm eine Demütigung antun konnte, die seinem Hochmute so überaus zuträglich war. Die Abreise, fuhr Madame Leroy fort, würde übrigens gar nichts nützen, denn wenn in den Kopf ihres Sohnes einmal ein Einfall hineingeraten sei, so sitze er darin fest wie der Teufel im hohlen Baume, aus dem er nicht wieder herauskonnte, bis der ganze Stamm zerschlagen wurde.
Ich begab mich mit meiner Nachricht vergnüglich zu Galeiden, willens, ohne Rücksicht auf Gaspard und seine Mutter unsere Abreise vorzubereiten, wenn sie damit einverstanden wäre. Ich hatte erwartet, daß sie zunächst in ein helles Gelächter ausbrechen würde. Anstatt dessen öffnete sie ihre träumerischen Augen neugierig, lauschte meiner Rede, als spielte ich die süßeste Flötenmusik, kurz, glich völlig einem Kinde, das man mit einem überprächtigen Geschenke überrascht. »Darum,« sagte sie langsam aufatmend, »hat er mich immer so wunderbar angesehen. Der merkwürdige Junge! O Ludolf, ich will mich einmal verlieben! Nur auf acht Tage, nur solange die Sonne so göttlich scheint wie heute. Es ist wie ein Traum, so verliebt zu sein, so bescheiden wie das, was im Vorfrühling blüht, Kätzchen und Schäfchen, was noch keine buntfarbigen Blumen hat. So war ich noch nie.« Ich fand zwar diese Rede verwunderlich, aber ich sagte mir, daß ich mit meinen zahlreichen Herzenslenzen, die nicht einmal alle so lieblicher Art gewesen waren, wie es Galeide eben beschrieben hatte, kaum berechtigt sei, ihr diese Anwandlung übel auszulegen, und im Grunde war es ja ein unschuldiges Abenteuer für ein so seltenes Mädchen wie Galeide. Unterdessen träumte sie mit seligem Lächeln in die Welt hinein, als ob sie schon mitten in dem Zustande wäre, auf den sie sich freute. Plötzlich schüttelte sie ihre Haare, lachte hell auf und rief: »Wie wird das Ezard belustigen! Ich muß ihm gleich schreiben, daß ich mich verlieben will.« Da wir aber an einem schönen Platz im Garten saßen, war es ihr zuwider aufzustehen und sich Schreibzeug zu holen, und sie bat mich mit zutraulicher Anmut, daß ich ihr ein Blatt Papier und einen Bleistift geben möchte, worauf sie wirklich zu schreiben anfing, schnell, mit hastiger Feder, ein so glückliches Lächeln auf den Lippen, als wäre dies der erste Liebesbrief, den sie in ihrem Leben verfaßte.
In diesem Augenblicke kam Gaspard, welcher alles dies veranlaßt hatte, des Weges daher. Galeide wurde rot wie eine Pfirsichblüte und rief ihm freundlicher, als sie bisher mit ihm verkehrt hatte, zu, ob er nicht mit uns spazierengehen wolle, da so schönes Wetter sei. Weil ich ihn genau beobachtete, sah ich auf seinem dunklen Gesichte eine weiche Regung von Glück, die, wie ich gestehen muß, an dieser Stelle etwas ungewöhnlich Schönes hatte, wie ein Strahl himmlischen Lichtes, der durch eine Spalte in das trübe Gemach der Hölle fällt. Ob er aus Stolz oder irgendwelcher Berechnung nicht zeigen wollte, wie diese Huld ihn beseligte, oder ob in seinem Charakter eine unmenschliche, denn ich will nicht sagen übermenschliche, Besonnenheit lag, kurz, der schöne Schimmer entschwand augenblicklich wieder aus seinem Gesichte, und er sagte, daß er eben jetzt beschäftigt sei, daß er aber am Nachmittage zu Galeidens Diensten stehe. Da ich mich selbst nicht wenig über dies Betragen ärgerte, konnte ich Galeidens Empfindungen danach ermessen; immerhin war ich erstaunt, wie sie sichtbar gekränkt und schnippisch wie ein ungebärdiges Kind, nicht anders, sich von ihm abkehrte und kurz sagte: »ich danke,« worauf er sich verbeugte und weiterging. Über dies Auftreten Galeidens wußte ich anfänglich nicht, was ich zu ihr sagen sollte; denn es schien mir ihrer ganz unwürdig, gerade weil es den Kasper anging, der meiner Meinung nach eines solchen Aufwandes nicht im mindesten wert war. Ehe ich aber noch eine Bemerkung darüber machen konnte, hatte sie schon ein paar Schritte gegen den Weiterschreitenden gemacht und rief ihn bei Namen. Er drehte sich im selben Augenblick um und stand wieder vor ihr, als ob er es erwartet hätte; sie sagte, daß sie doch zu einem Ausfluge am Nachmittag bereit sei, wenn er Zeit und Lust hätte. Hierüber zeigte er nun, wie ich nicht anstehe zu sagen, keineswegs einen unanständigen Triumph, sondern eine sanfte Freude ging über sein Gesicht, ja, er schien so bestürzt über das Glück, daß es ihm in seinen Worten und seiner Haltung anzumerken war, wie er denn überhaupt oft etwas knabenhaft Ungeschicktes an sich hatte. Nachdem etwas verabredet war, ging er weiter, und Galeide schien nun zufrieden, hielt es aber doch für nötig, sich mir gegenüber gewissermaßen zu entschuldigen, denn sie sagte etwa folgendes: »Du wunderst dich wohl über mich, daß ich seinem Hochmut den Gefallen tat, ihn zurückzurufen? Ich dachte aber, daß es meiner unwürdig sei, mir eine Gekränktheit anmerken zu lassen (ja, sagte ich, dies ist auch meine Meinung, und ebenso unwürdig sie zu empfinden), darum handelte ich mit Absicht so. Es ist ja alles viel zu gleichgültig und scherzhaft, um mit so viel Ernst behandelt zu werden.« Ich war einigermaßen nachdenklich durch alles dieses geworden und fragte mich, ob es möglich sei, daß Galeide doch etwas von Gefallsucht an sich habe, woran mir bisher noch niemals ein Gedanke gekommen war. Allerdings gehörte ich zu den Männern, die die Gefallsucht an den Frauen lieben, sowie sie mit Anmut verbunden ist, wie man etwa an den schmiegsamen Wendungen einer Katze Freude hat; aber da ich dergleichen an meiner Schwester noch nie beobachtet hatte, wollte es mir nicht einleuchten und verdroß mich. Sie nahm zwar, wie ich schon öfters erwähnt habe, geschmackvolle Huldigung gern entgegen und ließ sich freier gehen, wenn sie der Freundschaft ihrer Umgebung sicher war, wodurch die unbeschreibliche Lieblichkeit ihres Wesens sich zutraulicher zu entfalten Gelegenheit bekam; das aber war mir nie in den Sinn gekommen, Gefallsucht zu nennen. Was sollte es nun heißen, wenn sie einem jungen Manne in so kindisch launischer Weise begegnete, für den sie anfänglich nichts als Mißfallen gehabt hatte, und für den sie keinesfalls etwas anderes als teilnahmsvolle Neugier haben konnte, da er den Menschen, die sie am meisten liebte, so ungleich war. Es ergriff mich Groll, wenn ich an Ezard dachte, der diesem Knaben so grenzenlos überlegen war sowohl an äußerlicher Schönheit wie an gediegener Kraft und adliger Gesinnung, und auch nicht einen Augenblick lang und auch nicht im Scherz um eines solchen willen hätte vergessen bleiben sollen.
Ezard zeigte den Stolz und die Güte seines Herzens auch jetzt wieder, indem er im nächsten Briefe Galeiden zuredete, so lange fortzubleiben, wie sie möge, und die herrliche Gegend zu genießen, wobei er aber keineswegs mit erkünsteltem Edelmut von seinem eigenen, wenig beneidenswerten Zustande schwieg, sondern die Pein seiner unaufhörlichen Sehnsucht mit gewaltsamer Beredsamkeit schilderte.
Ich grollte übrigens Galeiden nicht auf die Dauer, denn sie war merkwürdig reizvoll in dem Zustande, in den sie sich hineinphantasiert hatte. Bald mahnte sie mich an einen Schmetterling, der an der Sonne schmorend seine buntgefleckten Flügel langsam auf und zu klappt, bald an einen plätschernden Schuppenfisch im kühlen Wasser, kurz, wenn ich es recht bedenke, immer an etwas der nichtmenschlichen Natur Angehörendes, das bewußtlos und mit sich selber selig sein leichtes Dasein verschwendet. Ihre liebevolle Seele neigte sich auf alles, Lebendiges und Unlebendiges, beglückend und erfreuend; ihr glückliches Lachen flatterte überall in die Luft wie Sommerfäden; Übermut und Siegesfreude leuchteten so prahlerisch auf ihrer Stirne, daß es beleidigend hätte erscheinen können, wenn nicht die gefällige Demut, die sich schon äußerlich in ihrer kindlich klaren Stimme und den Linien ihres biegsamen Körpers ausprägte, wiederum gerührt und versöhnt hätte.
Es war durchaus kein Wunder, daß Gaspard, der etwas Ähnliches noch nie gesehen haben mochte, in meine Schwester verliebt war, und das war er mit dem ganzen barbarischen Eigensinn und der kindischen Habgier seines Wesens, weit mehr, als er zu zeigen für gut fand. Scheinbar nämlich bewahrte er immer eine gleichmäßige Ruhe und verriet sich höchstens durch einen inständigen Blick seiner ausdrucksvollen Augen und durch die Art, wie er nur von Dingen sprach, die auf Galeiden Bezug hatten. Ich beobachtete aber mehrmals, was mit ihm vorging, wenn Galeide ihn unvermutet anredete und ihm, wie es ihre Art war, mit kindlicher, ja, man könnte sagen, grausamer Offenheit zu verstehen gab, wie gut er ihr gefiel; das pflegte ihn bis zu einer blitzartigen Besinnungslosigkeit zu überwältigen, so daß er etwa fallen ließ, was er gerade zwischen den Fingern hatte, und auf Augenblicke völlig unfähig war, nur ein Wort zu sagen.
Zuweilen spielte Galeide auf einer Geige, die Gaspard für sie beschafft hatte (denn die ihrige hatte sie zu Hause gelassen). So hinreißend sie nun auch spielen mochte, sagte er ihr doch niemals ein Wort des Beifalls, obgleich sie, wie ich mit Unwillen bemerkte, meist nur für ihn spielte und auf ein karges Lob von ihm begierig war, während sie doch zu jeder Stunde die Bewunderung der Kenner hätte einernten können, wenn sie gewollt hätte. Ich machte meinem Ingrimm über dies abgeschmackte, ja, mir höchst widerwärtige Benehmen Gaspards zuweilen gegen Galeiden Luft, was sie gern hörte; sie lachte nie herzlicher, als wenn ich anfing, ihn mit einigen derben und saftigen Beiworten zu charakterisieren. »Du hast ganz recht,« sagte sie mir einmal, »ich fand das im Anfang auch, und eigentlich finde ich noch, daß er das Abscheulichste ist, was man sich denken kann. Aber gerade so bin ich selbst; man findet mich zuerst abscheulich, und ich bin es vielleicht auch; aber plötzlich hat mich der eine oder der andere lieb, und zwar dann viel lieber, als man andere Menschen hat, denn es kostet Anstrengung, sich in etwas Abscheuliches zu verlieben, und die soll man nicht umsonst gemacht haben. Und ich habe nicht einmal so schwarze, schwarze, sternige Augen! Sahest du jemals ihresgleichen? Und sahest du jemals eine Nase und einen Mund, die zugleich so häßlich und unvergleichlich reizend waren!« So bildete sie sich alles Ernstes ein, dieser Unhold sei ihr ähnlich (und womöglich noch vorzüglicher); deshalb nämlich, weil sie in Wahrheit nicht gerade schön war, aber doch, was ihr nicht entgehen konnte, auch durch ihr Äußeres eine scheinbar unnatürliche Anziehungskraft auf manche Menschen ausübte. Sagte ich dann: »Aber Galeide, du bist ja in ihn verliebt,« so lachte sie wie eine Bacchantin und rief: »Sagte ich es dir nicht? Das bin ich ja auch! Bin ich nicht echt und recht verliebt wie ein Mädchen von achtzehn Jahren? Was ist es für ein lieblicher Zustand!«
Diese Lebensweise und Auffassung dauerte aber nur wenige Tage, obgleich es in meiner Erinnerung ein langer, sonnenreicher Sommer zu sein scheint. Denn so ist die Freude geartet, daß sie nur minutenlang bei den Menschen verweilt; aber wie sie jede Handvoll Erdenstaub, den ihr seliger Finger berührt, in Gold und Purpur verwandelt, so gibt sie diesen Minuten den Wert und Gehalt von Stunden und Tagen, so daß man oft wähnt, man habe sich jahrelang gefreut und einen Tag lang getrauert, wenn es in Wirklichkeit gerade umgekehrt gewesen ist oder schlimmer.
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