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An einem prachtvollen Abend war der große luftige Speisesaal des Hotel »Transvaal« in Pretoria, des vornehmsten und bestgeleitetsten der südafrikanischen Burenrepublik, dicht besetzt. Fremde und Einheimische saßen in bunter Reihe an den vielen Tischen, aufmerksam von den schwarzen Kellnern bedient, die in schneeiges Weiß gekleidet waren. Deutsche, Engländer, Franzosen, und Portugiesen unterhielten sich in ihren Muttersprachen. Auch holländisch wurde hörbar, das von einigen anwesenden Buren gesprochen wurde. Über Politik, das Wetter, Ernteaussichten, Geschäfte, über Spiel und Vergnügungen hörte man lebhafte Debatten. Alles genoß in vollen Zügen die angenehm kühle Temperatur, die einem außergewöhnlich heißen Tage gefolgt war. Trotz des Stimmgewirres lag es wie Ruhe und Frieden über dem weiten Raum, zu dessen Decke zahllose Tabakwölkchen emporstiegen, die, sich langsam verteilend, ihren Abzug in den großen weitgeöffneten Fenstern fanden, durch welche die Palmen des gutgehaltenen Gartens hereinblickten. In der Nähe eines solchen Fensters, etwas abseits von den zechenden und plaudernden Gästen hatte eine Gruppe von drei Personen Platz genommen. Es waren zwei Männer, von denen der eine die Mittagshöhe des Lebens schon überschritten hatte, während der andere, in kleidsamer Seeoffizier-Uniform anfangs der dreißiger Jahre sein mochte. Der dritte war ein Jüngling, dessen sonnverbranntes Gesicht von längerem Aufenthalt unter der Tropensonne zeugte.
Der ältere von ihnen, in dem unsere Leser wohl schon Kapitän Parr erkannt haben werden, nahm ein eben abgebrochenes Gespräch wieder auf, sich an seinen Gefährten wendend: »Es bleibt also dabei, Mister Fogger. Sie halten sich vorläufig mit der »Königin Mab« in Port Natal auf, bis Ihnen telegraphischer Bescheid zugeht. Es ist nicht unmöglich, wenn ich es auch kaum glaube, daß ich Sie nach der Delagoa-Bai beordern muß, die uns von hier aus näher liegt, als das sonnverbrannte Durban, in dem wir nun nichts mehr zu suchen haben.«
»Das freut mich, Onkel,« mischte sich der Jüngling, unser Freund George, ins Gespräch, »denn die Reise von Durban bis hierher war weder interessant noch angenehm, sondern nur zeitraubend. Wären nicht die fremdklingenden Namen der Stationen gewesen, so hätte ich denken müssen, mit der Eisenbahn irgend einen Staat der Union, statt Natal, der englisch-afrikanischen Kolonie, zu durchfahren!«
»Haben Sie auch die Waggons Ihren Aufenthalt in Afrika vergessen lassen?« fragte Fogger lächelnd.
»Leider nicht! Diese engen, sonnendurchglühten staubigen Kasten, diese unbequemen Bänke – brrr! Da lob ich mir doch die Pullman-Cars meiner Heimat!«
»Dann, liebes Kind, hättest du in deiner Heimat bleiben müssen,« antwortete Kapitän Parr verweisend.
»Sprich davon lieber nicht, liebster, bester Onkel. Wie glücklich bin ich doch, die Welt sehen zu können, an deiner Seite Gegenden kennen zu lernen, deren Namen ich bis jetzt kaum gehört hatte. Dann die herrliche Seereise auf der kleinen, entzückenden »Königin Mab«. Mein Onkel, um alles in der Welt möchte ich nicht zu Hause geblieben sein.«
»Sehen Sie doch den kleinen Enthusiasten an,« meinte Parr lächelnd zu Fogger.
»Und wie innig freue ich mich der Erfolge, die wir schon errungen!« fuhr George leuchtenden Auges fort.
»Nur nicht so stürmisch, mein Junge. Auf die Erfolge können wir so besonders stolz nicht sein!« beschwichtigte Parr.
»Wie, Onkel, bist du noch immer sorgenvoll? Ich dächte doch, daß uns das, was wir bis jetzt erreicht haben, mit froher Zuversicht erfüllen muß.«
»Ja, aber liebes Kind, was haben wir denn Besonderes erreicht, daß es dich so rosig stimmt?«
»Haben wir nicht nach einer Seefahrt von vier Wochen, die das herrlichste Wetter begünstigte, Durban glücklich erreicht?«
» All right!«
»In Durban thatest du sofort die nötigen Schritte, Paul Werner zu finden und warst dank der Bemühungen unseres Konsuls so glücklich, zu erfahren, daß ein in der Nähe Durbans lebender Missionar dir nähere Erklärungen geben könne, die dich dein Ziel rascher, als du es für möglich hieltst, erreichen lassen. Stimmt dies?«
»Richtig, mit einiger Einschränkung!«
»Die Aufschlüsse Mister Browens, des Missionars, brachten dir die Gewißheit, daß einer seiner Amtsbrüder vor siebenundzwanzig Jahren einen Knaben in Durban aufgenommen und mit sich nach seiner Station am Fuße der Muralberge an der Grenze von Betschuana-Land geführt habe. Also gerade zur selben Zeit, als Paul Werner auf so rätselhafte Weise verschwand.«
»Auch dies muß ich zugeben!«
»Ein Brief dieses Geistlichen, Mister Borgfields, der uns noch in Durban erreichte, bestätigte Mister Browens Angaben und lud uns ein, den Findling, der nun zum Manne herangereift ist und sich noch immer bei ihm befindet, in Augenschein zu nehmen. Dann haben wir den Weg von Port Natal nach hier in der Eisenbahn, im Wagen oder Kahn zurückgelegt. Gefahren oder Reiseabenteuer gab es für mich leider nur zu wenig. Die Beschwerden, das bißchen Hitze abgerechnet, waren kaum nennenswert und wurden spielend überwunden.«
»Gewiß.«
»Und trotzdem bist du verstimmt und sorgenvoll und nichts ist imstande, dich aufzuheitern. Du konntest es ja gar nicht besser wünschen, als wie bis jetzt alles eingetroffen ist. Die gewaltigen Hindernisse, die wir vor uns aufgetürmt glaubten, ebnen sich von selbst und wir haben eigentlich nichts mehr zu thun, als den glatten Weg, der sich vor uns dahinschlängelt, zu beschreiten, bis wir am Endpunkte, bei Paul Werner, angelangt sind.«
»Deine Logik, mein Junge, scheint unanfechtbar, doch scheint sie es nur. Wenn man aber so alt geworden wie ich, dann glaubt man, gewitzigt von tausenden Enttäuschungen, nur dann an den Erfolg einer Unternehmung, wenn man das Endresultat eisenfest, nicht mehr entwindbar, in den Händen hält. Wenn ich auch gleich dir glaube, unser Ziel zu erreichen, umsomehr, als uns zu Anfang alles so wohl gelungen ist, so kann ich doch niemals die Furcht los werden, im letzten Momente statt des Sieges eine Enttäuschung zu erleben.«
»Der Brief Alister Borgfields war doch so klar, daß ein Zweifel über seinen Inhalt vollständig ausgeschlossen erscheint.«
»Ich bestreite dies keineswegs. Aber ist dir niemals in den Sinn gekommen, welch breiter Raum zwischen uns und dem Gesuchten noch liegt?«
»Das bißchen Weg von hier nach den Muralbergen,« sagte George wegwerfend.
»Bin ich nach deiner Meinung anspruchsvoll, lieber George, dann bist du hochgradig bescheiden. Achtzehn bis zwanzig Tage unterwegs, neben Ochsenkarren hergehend, nennst du ein bißchen Weg,« lachte Parr und auch Fogger stimmte mit ein.
»Ihr braucht nicht zu lachen, es ist wirklich gar nicht so schlimm. Ein paar Reisetage mehr oder weniger spielen weiter keine Rolle. Übrigens könnten wir nicht auf dem Krokodilfluß nach den Muralbergen gelangen? Wie mir eine Karte von Transvaal zeigte, führt dieser aus unmittelbarer Nähe von Pretoria, direkt nach den Muralbergen, die er durchströmt.«
»Allerdings, Herr George,« nahm Fogger das Wort. »Leider ist nur ein kleiner Übelstand vorhanden.«
»Und der wäre?« fragte George.
»Daß der Krokodilfluß, oder wie ihn die Eingeborenen nennen, der Mimpopo, erst etwa achthundert bis tausend Kilometer hinter den Muralbergen schiffbar wird, nachdem er längst aus Transvaal auf portugiesisches Gebiet übergetreten ist.«
Während der Unterhaltung unserer Freunde hatte sich ein junger Mann von seinem Platz am entgegengesetzten Ende des Speisesaales erhoben und an einem Tische niedergelassen, der sich in unmittelbarster Nähe desjenigen befand, an dem Parr, George und Mister Fogger saßen. Mit vielem Behagen schien er den eisgekühlten Kapwein durch einen Strohhalm zu schlürfen, dabei in einer englischen Zeitung blätternd. Sein Gesicht mit dem abgespannten Ausdruck, den müden, kleinen Augen, die aber durchdringend blicken konnten, machte trotz der hübschen Züge, dem zierlichen, wohlgepflegten Schnurrbart und den herrlichen Zähnen, die aus den vollen Lippen hervorschimmerten, keinen gewinnenden Eindruck auf den Menschenkenner. Sein Anzug, einfach aber hochelegant, verriet die Hand eines ersten Kleiderkünstlers. Von Zeit zu Zeit betrachtete er verstohlen seine Tischnachbarn, von deren Gespräch nur einzelne Worte zu ihm herüber klangen.
Nachdem die Unterhaltung in Parrs Gesellschaft eine Zeit lang geruht hatte, nahm dieser wieder den Faden auf:
»Was nützen übrigens Betrachtungen. Wir haben A gesagt und dürfen vor dem B nicht zurückschrecken, auch wenn noch weitere Buchstaben des Alphabetes nachfolgen sollten. Vorwürfe und Gewissensbisse helfen nichts. ›Vorwärts‹ ist die Losung. Sobald sich daher ein zuverlässiger Führer und ein brauchbarer Wagen samt Zubehör gefunden hat, brechen wir nach dem Innern der südafrikanischen Republik ungesäumt auf.«
»Das wird auch kaum lange auf sich warten lassen. Hat man dir doch einen Mann versprochen, der das Führeramt übernehmen und gleich für alle anderen Bedürfnisse sorgen soll,« warf George ein.
»Er müßte längst hier sein. Ich fürchte sehr, daß man uns genarrt hat, wir daher vergebens warten!«
»Warum quälst du dich mit dieser unwahrscheinlichen Annahme, Onkel?«
»Ja, liebes Kind, ich bin nun schon mal so und muß so verbraucht werden,« antwortete Parr, indem er nach einer Zeitung griff, die aber leider in holländischer Sprache geschrieben war. Nichtsdestoweniger suchte er den Sinn zu enträtseln, was ihm aber trotz aller Mühe nur höchst mangelhaft gelang. So verging eine gute halbe Stunde, während welcher sich George mit Fogger unterhielt, als Pieter Koopmann erschien und strammen Schrittes auf seinen Kommandanten zutrat. Er meldete, daß ein Mann da sei, der sofort den Kapitän zu sprechen begehre.
»Führe ihn auf mein Zimmer und bleibe bei ihm,« befahl Kapitän Parr, »ich komme sogleich nach!«
Unmittelbar nachdem Pieter den Saal verlassen, verabschiedete sich Parr von Fogger, der noch am selben Abend seine Rückfahrt nach Durban antreten wollte, zu welcher sich gerade gute Gelegenheit bot. Er schärfte dem Offizier nochmals in kurzen Worten seine Befehle ein, die der junge Seemann mit achtungsvollem Schweigen entgegennahm; ein kurzer, aber herzlicher Gruß und Händedruck und Parr folgte Pieter.
Als Parr den kleinen, nett eingerichteten Salon betrat, der vor seinem Schlafraume lag, fand er sich einem Manne von etwa dreißig Jahren gegenüber. Er war in jene Burentracht gekleidet, welche von allen männlichen Einwohnern der südafrikanischen Republik getragen wird. Ein kurzer Rock aus starkem lodenartig rauhem Tuche ließ das farbige wollene Hemd sehen, das im Bausch über den breiten Gürtel fiel, in dem der Revolver und ein starkes Jagdmesser steckten. Ein breiter lederner Riemen, voll Patronenhülsen umspannte die Brust. Die bequemen Beinkleider, aus ungebleichter Leinwand verloren sich in mächtige, bis an die Knie reichende Schaftstiefel. Der graue Filzhut, mit einem Rande, fast so groß, wie ein Wagenrad, war mit einigen bunten Bändern geziert. Einen zweiläufigen Karabiner schwersten Kalibers, hatte er an seinen Stuhl gelehnt.
Beim Eintritte Parrs nahm der Mann den Hut ab.
Einen Moment lang betrachtete der Kommandant den Fremden scharf und durchdringend und war sichtlich angenehm berührt von dessen offenem Gesichts-Ausdruck. Das ganze Wesen des Mannes zeugte von Biederkeit, gepaart mit kraftvoller Entschlossenheit. Ein stattlicher, dunkelblonder Vollbart umrahmte den Kopf, aus dem zwei tiefblaue Augen kühn und frei in die Welt sahen. Gesicht und Hände waren von der Tropensonne gebräunt.
Kapitän Parr trat auf den Mann zu, ihm die Hand reichend.
»Ich brachte in Erfahrung, daß Sie im Begriffe stehen, ins Innere Transvaals aufzubrechen und vielleicht bereit wären, mir als Führer zur Seite zu stehen.«
»Wohin wollen Sie?« fragte der Fremde in mangelhaftem Englisch, das er mit dem Dialekte der Holländer sprach.
»Nach einer Missionsniederlassung, Souls-Port genannt, am Fuße der Muralberge.«
»Das ist auch mein Weg.«
»Wollen Sie mich dahin bringen?« fragte Parr.
»Pardon. Sind Sie Engländer?«
»Nein, ich bin freier Amerikaner,« antwortete stolz der Kapitän.
»Dann stehe ich zu Ihren Diensten!«
»Und wäre ich Engländer gewesen?«
»Dann hätten Sie sich einen anderen Führer suchen müssen. Ich will mit Engländern nichts zu thun haben,« erwiderte der Bure kurz und bestimmt.
Kapitän Parr blickte betroffen auf bei dem sonderbaren Ausdruck des Gesichtes, der diese Worte begleitete.
»Ich freue mich, in Ihnen den rechten Mann gefunden zu haben, wodurch mir eine Sorge genommen ist.«
»Woher wissen Sie, Herr Kommandant, daß ich der richtige Mann bin.«
»Sie wurden mir auf das Wärmste empfohlen, außerdem gefallen Sie mir und ich hoffe, wir werden uns verstehen. Wie ist Ihr Name?«
»Mein Name thut nichts zur Sache. Er wäre zu lang und klingt für Sie zu fremdländisch, als daß er von Ihnen im Umgange gebraucht werden sollte. Nennen Sie mich daher nur kurzweg Frantz.«
»Was ist Ihre Beschäftigung?«
»Ich bin Jäger, vornehmlich Elefantenjäger.«
»Ein schwerer, gefahrvoller Beruf, Herr Frantz.«
»Aber ein freier, daher schöner,« entgegnete dieser selbstbewußt.
»Nun gut. Lassen Sie uns jetzt die Bedingungen durchsprechen, um möglichst rasch zum Ziele zu kommen.«
Der Kapitän war mit dem Führer bald einig, da er sich schon vorher über die gebräuchlichen Preise unterrichtet hatte und ohne Mäkeln die billigen Forderungen des Buren anerkannte. Frantz erbot sich, für den Morgen des zweitnächsten Tages einen guten, zweckmäßigen Wagen zu besorgen, ebenso das nötige Gespann von vierundzwanzig Zugochsen mit zwei Treibern.
Als dieses alles schriftlich abgemacht, fragte Frantz, ehe er sich verabschiedete, ob Kapitän Parr nur bis zu den Muralbergen, oder von dort aus noch weiter ins Innere Südafrikas vordringen wollte.
»Nein, nur bis zur genannten Missionsstation. Warum fragen Sie?«
»Weil in diesem Falle gewöhnliche Ochsen ausreichen, während sonst geimpfte Tiere genommen werden müßten.«
»Geimpfte Ochsen? Davon habe ich nie etwas gehört.«
»Es sind dies Ochsen, die im Zululande gezogen werden, von kleiner Gestalt, aber zäh, ausdauernd, widerstandsfähig und sehr wenig anspruchsvoll in Bezug auf Nahrung. Es müssen von Tieren dieser Art solche gewählt werden, die schon einmal im Innern Transvaals gewesen, und die daher an das Wasser gewöhnt sind, das anderen Tieren leicht verderblich werden kann. Außerdem sind sie noch geimpft gegen die Rinderpest, der Zuchtrute Südafrikas, der so viele Tiere erliegen.«
»Geimpft? Das ist mir neu. Wie wird diese Operation vorgenommen?«
»Von der brandigen Lunge, einem an der Seuche gefallenen Tiere entnommen, wird dem Ochsen ein Stückchen an einem Einschnitt am Schwanze eingeimpft. Sofort nach der Prozedur bekommt das Tier einen leichten Krankheitsanfall, der aber ungefährlich ist und bald vorüber geht. Sein Schwanz fällt bis auf einen kleinen Stummel ab, aber gegen Ansteckung ist es für alle Zeit gefeit.«
»Das ähnelt unserer Kuhpockenimpfung. Bei dem Viehreichtum Ihres Vaterlandes ist ein Schutzmittel, wie das geschilderte, eine nicht genug zu schätzende Wohlthat.«
»Für die wir einem deutschen Gelehrten, dem berühmten Professor Robert Koch in Berlin, von ganzem Herzen Dank wissen.«
»Das arme Tier muß aber den Verlust des Schwanzes schwer empfinden, in einem Lande, wo die Fliegen zahlreich und arge Quälgeister sind.«
»Wenn auch! Besser den Schwanz geopfert, als das ganze, immerhin wertvolle Tier.«
Behufs Besorgung des Proviantes hatte sich Frantz freie Hand bei Kapitän Parr vorbehalten, was dieser gerne einging, da ihm die Erfahrung des Buren fehlte. Auf dessen Ehrlichkeit fest vertrauend, eröffnete er ihm unbeschränkten Kredit.
Frantz entfernte sich nun mit dem Versprechen, am Abend des folgenden Tages nochmals bei Parr vorzukommen, um seine Befehle für die Abreise entgegenzunehmen, worauf Parr zu seinem Neffen zurückkehrte.
Gelangweilt lehnte dieser am Fenster des Speisesaales und sah auf die enge geradlinige, sehr staubige Straße hinaus. Schon hatten alle die Negervölker, welche in den Straßen Pretorias zu sehen waren, den Reiz der Neuheit für George verloren und teilnahmslos blickte er auf die Kaffern, Hottentotten, Basutos, Buschmänner und Zulus, die, zum Teil in halbeuropäischer Kleidung, zum Teil nur mit Lendenschurz bekleidet, die Straßen Pretorias durchzogen. Wie mochten die armen Teufel frieren in dem für sie kalten Klima der südafrikanischen Hauptstadt, die durch ihre Lage, 4400 englische Fuß über dem Meeresspiegel, niemals abnorme Hitze, wohl aber sehr kühle Nächte zu verzeichnen hat. Auch ein Laden, der dem Hotel gegenüber lag, vermochte Georges Aufmerksamkeit nicht lange zu fesseln. Es war einer jener der Transvaal-Republik eigentümlichen Stores, in dem man rein alles erhielt: Schießpulver, Seidenhüte, Nähnadeln, Pianos und Harmoniums, Stiefelwichse, Waffen, Hosenträger, Konserven, französische Parfümerien, böhmische Glasperlen, schottischen Whisky und tausend andere Dinge mehr, die aus aller Herren Länder stammten. Der Jüngling gähnte leise in die vorgehaltene Hand, was den Herrn am Nebentische, der schon die zweite Flasche Wein in Angriff genommen hatte, anzustecken schien. Wie eine Erlösung kam George die Rückkehr des Oheims vor, dem er sich freudig zuwandte.
»Übermorgen, Montag, reisen wir, George,« sagte Parr, als er an den Jüngling herangekommen war.
Mit Mühe unterdrückte George einen Freudenruf.
»Welches Glück, dieses Nest zu verlassen, in dem ich mich schon gewaltig gelangweilt habe. Schließlich sind wir doch nicht nach Afrika gekommen, um im Hotel zu sitzen, zu tafeln, dann und wann spazieren zu gehen und bestmöglichst die Zeit tot zu schlagen.«
»Dieser edlen Beschäftigung wirst du morgen noch obliegen müssen; übermorgen geht's dann hinaus in die Ferne, ins blaue Ungewisse, dem Ziele nach, das uns leuchtend vorschwebt. Gebe der Herr im Himmel, daß wir es glücklich erreichen.«
»Amen,« sprachen George und Pieter, der, um eine Meldung zu machen, leise an den Tisch herangekommen war.
Am nächsten Morgen, einem Sonntag, beschloß Kapitän Parr mit George und Pieter die Kirche zu besuchen.
Der große Platz vor der holländisch-reformierten Kirche war bedeckt mit Burenwagen, von denen viele aus weiter Ferne herbeigekommen waren, um dem berühmten Gottesdienst in Pretoria beizuwohnen.
Die von großen Leinwanddecken überspannten Wagen, meist sieben Meter lang und zwei Meter breit, hatten ihre Besitzer und deren Eigentum auf der zurückgelegten Reise treu behütet, waren ihnen Geschäftslokal, Wirtshaus, Wohnhaus, Schlafgemach, vielleicht sogar bei einem räuberischen Überfalle Eingeborener Festung gewesen, aus denen sie die nie fehlenden Kugeln den Angreifenden entgegensandten. So ist der ungeschlachte, schwerfällige Ochsenwagen ein unentbehrliches Reisemittel in Süd-Afrika, an das man sich gewöhnt, das man lieb gewinnt, und dem man auch dann treu bleibt, wenn die Notwendigkeit hierzu nicht mehr vorhanden ist; dies zeigte sich eben wieder. Die Wagen waren in langen Reihen aufgefahren, die sich bis zum ebenerdigen unansehnlichen Postgebäude erstreckten. Breite Querstraßen waren zwischen den einzelnen Reihen freigelassen. Den Raum zwischen je zwei Wagen nahm fast immer ein Zelt ein, das von dem Besitzer als Wohn- und Ankleideraum benutzt wurde, während sich das Schlafgemach in einem Abteil des Wagens befand. Mit großem Interesse durchwanderten die Reisegefährten diese eigenartige Leinwandstadt, die mitunter an einen europäischen Jahrmarkt mit seinen Schaubuden, Verkaufszeiten und Künstlerwagen erinnerte. Nur das bewegte Jahrmarkts-Treiben fehlte, da die Bewohner mit Frau und Kindern eben in der Kirche in tiefer Andacht dem Gottesdienste folgten.
Kopf an Kopf standen sie in dem geräumigen, schmucklosen Gotteshause und mächtig dröhnten ihre Stimmen, Kirchenlieder singend, zum Gewölbe auf.
Unsere Freunde verließen bald wieder den heißen Raum, um sich ins Hotel zurück zu begeben. Sie gingen dabei an dem kleinen Häuschen in gefälligem Stile vorüber, das dem Präsidenten der Südafrikanischen Republik, dem biedern, doch zielbewußten Ohm Krüger als Heim diente. In nichts unterschied es sich von Häusern anderer gutgestellter Buren, als nur durch die lustig flatternde Landesflagge, die vom Dachfirste herniederwehte. Der Rest des Tages ging in Vorbereitungen für die morgen anzutretende Reise hin. Vieles war noch zu beschaffen und Pieter hatte alle Hände voll zu thun, die ihm übertragenen Besorgungen zu erledigen.
Auf die sechste Morgenstunde war die Abreise festgelegt und mit großer Pünktlichkeit fanden sich die Teilnehmer an der verabredeten Abfahrtsstelle, einem tausend Schritte vor der Stadt gelegenen Store, ein.
Frantz war bereits zur Stelle, ebenso der Reisewagen mit seinem endlos langen Ochsengespann. Immer zwei und zwei der Tiere waren in ein Joch gespannt, über das die gewaltigen Hörner emporragten.
Frantz machte den Kapitän mit der Einrichtung des Wagens bekannt und zeigte ihm die Vorrichtungen, die er zur Bequemlichkeit von Onkel und Neffe getroffen. Ein Dritteil des Wagens war durch einige Kissen und Decken in einen Schlafraum umgewandelt, der knapp für zwei Personen ausreichte.
»Und wo werden Sie und mein Diener nächtigen?« fragte Parr den Führer.
»Ich ziehe es vor, im Freien zu schlafen, woran ich seit meiner frühesten Jugend als Kind dieses Landes gewöhnt bin,« antwortete dieser.
»Und ich bleibe bei Ihnen, wenn Sie es gestatten, Herr Frantz,« sagte Pieter. »Ist mir lieber, als in dem langen Kasten zu liegen,« sagte er sich; »die reine Arche Noah auf Rädern, nur die Tiere vorne, statt im Innern.«
»Wenn es Ihnen recht ist, Herr Kommandant, so fahren wir ab, damit wir bis zur Mittagspause schon ein Stück Weg geschafft haben,« mahnte Frantz. Der Kapitän hatte nichts einzuwenden, so bestieg denn der Führer sein Pferd. Einer der beiden als Ochsentreiber bestellten Zulukaffern erkletterte das Vorderteil des Wagens und holte aus der Seitenwand des Wagendaches eine Riesenpeitsche hervor, die er mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit handhabte. Der andere Zulu schlug mit einer langen Stange auf die Zugtiere los, beide aus Leibeskräften brüllend: »Hatt – hatt – pack an – Bleßfoul – Windfoul – Witboois –!« jeden der vielen Ochsen benennend. Ein Anziehen aller Tiere, ein Ruck und der schwere Wagen setzte sich langsam in Bewegung. Die breiten Räder knirschten im Sande der Straße und fort ging es dem Innern der Südafrikanischen Republik zu. Frantz ritt dem Wagen voran, während der Kapitän, George und Pieter hinter ihm herschlenderten. Das herrliche Wetter und die prächtige Gegend machten das Gehen zu einem wahren Genusse.