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Noch war alles still im Missionshause, deshalb kleidete sich Parr rasch an, um vor dem Frühstücke nach dem Wagen zu sehen. Auch George schlief noch fest und ruhig in dem guten Bette, das der junge Mann lange genug entbehrt hatte. Parr störte ihn auch nicht und verließ leise das Haus.
Ebenso frühzeitig wie sein Herr, war Pieter auf dem Posten und eben daran, den Thee für das Frühstück zu bereiten.
Parr winkte ihn zu sich: »Wir werden etwa vierzehn Tage bis drei Wochen hier bleiben, Pieter, und dann erst unsere Fahrt aufs neue wieder antreten. Wir werden während unserer Anwesenheit jeden Tag auf die Jagd gehen, bringe deshalb unsere Flinten und Revolver in Ordnung.«
»Zu Befehl, Herr Kommandant.«
»Für dich setze ein Repetiergewehr in stand, damit wir gerüstet sind, wenn uns ein größeres Tier entgegentreten sollte. Hole uns gegen elf Uhr von der Mission ab.«
»Ich werde zur Stelle sein.«
Parr trank eine Tasse Thee, die ihm Pieter reichte, zündete seine Pfeife an und kehrte nach der Mission zurück. Wie fühlte er sich heute ganz anders als gestern abend noch. Neue Hoffnung belebte ihn, eine Zuversicht, die jener nichts nachgab, welche er bei seinem Neffen als Übereifer der Jugend gekennzeichnet hatte. Frantzens Zusage hatte diesen Umschwung der Stimmung herbeigeführt und Parr glaubte fester denn je, den Erben finden und in seine Rechte einsetzen zu können.
An der Brücke, die zu der kleinen Eingangspforte führte, traf er mit George zusammen, den der schöne Morgen aus den Federn gescheucht hatte.
»Ich wollte eben zu dem Wagen, zu Pieter und Frantz, Onkel,« rief ihm George mit einem Gruße entgegen.
»Wie hast du geschlafen. Junge?«
»Danke, so vortrefflich, daß ich heute einen Marsch antreten könnte, der ohne Unterbrechung zehn Stunden dauert.«
»Ich will dich nicht auf die Probe stellen, du Held; im Gegenteil. Ich will dir Gelegenheit geben, diesen Schlaf im Bette noch recht oft zu wiederholen.«
»Wie meinst du das, Onkel?«
»Wir werden zwei, vielleicht drei Wochen lang die Gastfreundschaft von Frau und Herrn Borgfield in Anspruch nehmen, ehe wir weiter reisen.«
George schien diese Botschaft mit gemischten Gefühlen aufzunehmen, doch erhellten sich seine Mienen wieder, als der Oheim fortfuhr:
»Wir werden alltäglich auf die Jagd gehen, die Umgebung durch Ausflüge kennen lernen, kurz, möglichst viel von diesem interessanten Lande zu sehen suchen, damit wir unsere Reise nicht ganz umsonst gemacht haben.«
»Welches Glück, Jagen!« rief George ganz begeistert aus. »Aber sage mir, Onkel,« fragte er plötzlich mit ganz ernstem Gesichte, »gestern abend noch wolltest du sofort wieder nach der Küste aufbrechen und heute sprichst du von einem längeren Aufenthalt. Hast du irgend eine erfreuliche Nachricht erhalten?«
»Ja und nein. Wir bleiben hier. Weiteres kann ich dir erst in einigen Tagen mitteilen. So, jetzt wollen wir Herrn Borgfield aufsuchen.«
Herr Borgfield stand bei der Meierei in lebhafter Unterhaltung mit einem Weißen und zwei Negern. Er schwieg sofort, als er die Herankommenden sah und rief ihnen schon von weitem zu:
»Guten Morgen, Herr Kapitän! Sie kommen gerade recht, den jungen Mann zu sehen, den wir einst hilflos aufgefunden hatten. Er ist soeben von einer Reise zurückgekehrt und stattet mir seinen Bericht ab.«
Kapitän Parr betrachtete neugierig den jungen Mann, in dem er Paul Werner zu finden geglaubt hatte.
Es war ein kräftiger, mittelgroßer Mann mit einem sehr gewöhnlichen, mit Sommersprossen übersäetem Gesichte, das einen durchaus unangenehmen Eindruck auf den Beschauer hervorrief, besonders des heimtückischen Blickes wegen. Seine Kleidung war die landesübliche Burentracht, und über und über mit Staub bedeckt. Parr beglückwünschte sich im stillen, nicht Paul Werner vor sich zu haben, da ihm der Pflegesohn des Missionars entschiedene Abneigung einflößte.
Diesem war jedenfalls die Beobachtung Parrs und Georges unangenehm, denn er drehte beiden absichtlich brüsk den Rücken zu und ging nach dem Hause, dem Missionar noch zurufend: »Auf später!«
Borgfield wandte sich darauf wieder zu seinen Gästen.
»Wie ist Ihnen der Schlaf bekommen, Herr Kapitän?« fragte er freundlich.
»Ich danke, vortrefflich.«
»Hoffentlich werden Sie uns nicht so bald des Vergnügens Ihrer Gegenwart berauben!«
»Ich komme Sie bitten, uns für einige Wochen Gastfreundschaft zu gewähren!«
»Ihr Wunsch macht mich glücklich, Herr Kapitän, und auch meiner Frau wird er eine freudige Überraschung sein. Sie wollen jedenfalls die Rückkunft Ihres Führers hier abwarten?« fragte der Missionar, den Kapitän scharf lauernd beobachtend.
»Meines Führers?« wiederholte Parr.
»Er hat Sie doch heute früh verlassen.«
»Allerdings, da er seine Pflicht erfüllt und sein Kontrakt mit mir, mich hierher zu geleiten, abgelaufen war.«
»Ach so! Wenn Sie nach Pretoria zurückzukehren wünschen, werde ich Ihnen meinen Pflegesohn, Josua Lewis mitgeben; er ist ein trefflicher, zuverlässiger Mensch, dessen Führung Sie sich ruhig anvertrauen können.«
»Herzlichen Dank für Ihre Fürsorge, Ich hoffe aber, mit meinen beiden Zulukaffern den Weg allein machen zu können.« Parr leitete das Gespräch, das ihm unbehaglich wurde, auf ein anderes Thema über.
»Werden wir hier wohl erfolgreich jagen können? Mein Neffe brennt darauf, sein Glück als Jäger zu versuchen,« fragte er Borgfield.
»Das will ich meinen,« entgegnete dieser. »Weiter oben, am Fuße des Gebirges, finden Sie Antilopen, Hasen, Rebhühner und anderes Wild in Menge, auch kleine Raubtiere. Außerdem befindet sich, wenige Stunden Weges von hier in den Mural-Bergen ein merkwürdiger See, der einen gewaltigen Fischreichtum in sich birgt.«
»Das freut mich, da ich ein leidenschaftlicher Angler bin. Doch Sie nannten den See merkwürdig, aus welchem Grunde?«
»Weil er weder einen Zu- noch einen Abfluß zu haben scheint und doch sein Niveau in gewissen Jahreszeiten um viele Meter sinkt. Eine stichhaltige Erklärung hierfür ist noch nicht gefunden, trotzdem sich schon Gelehrte mit dem Probleme beschäftigt haben. Gestatten Sie mir nun, Herr Kapitän, dafür Sorge zu tragen, daß Ihr Wagen und Ihre Tiere innerhalb der Mission untergebracht werden. Auch Ihren Dienern lasse ich Schlafplätze anweisen.«
Der Kapitän erhob anstandshalber einige Einwendungen, nahm aber schließlich gerne das Anerbieten Borgfields an, auf das er bestimmt gerechnet hatte.
Borgfield erteilte die nötigen Befehle, ließ auch seiner Gemahlin Bescheid zukommen.
»Nun wollen wir mein Luginsland in Augenschein nehmen,« schlug er vor. »Sie werden eine lohnende Fernsicht genießen und auch Ihre demnächstigen Jagdgründe betrachten können.«
Ohne Parrs Antwort abzuwarten, stieg er eine enge bis unter das Dach führende Wendeltreppe hinan bis zu einem kleinen Vorplatze, auf welchen die Eingangsthüre zum Aussichtsturm mündete. Dieser selbst, ein quadratischer Raum von höchstens zwei Meter Länge, hatte statt der Wände vier große Fenster, die durch dicht geflochtene Matten vor den glühenden Sonnenstrahlen geschützt waren.
In der Mitte des Zimmerchens ruhte auf einem Gestelle ein nach allen Richtungen hin drehbares Fernrohr, das nur wenig kürzer war, als der Durchmesser des Aussichtsturmes.
»Sie befinden sich auf meinem Wartturm, Aussichtsposten und Sternwarte. Hier im Norden,« fing Borgfield an, die Landschaft zu erklären, die sich herrlich vor den Beschauern ausbreitete: »sehen Sie das Muralgebirge, das sich über zweihundert englische Meilen, die Ausläufer mitgerechnet, hinzieht. In ihnen entspringen zahlreiche Bäche, die ihre Wasser dem Limpopo zuführen, dessen Lauf, ohne die Fluten selbst sehen zu können, wir bis zu dem Wald verfolgen können, durch den Ihre Straße führte.«
»Wir haben im Walde nichts vom Limpopo gemerkt,« sagte George.
»Sie konnten dies auch nicht, da Sie ein dichtbewaldetes Hügelland von dem im großen Bogen dahinfließenden Strome trennte.«
»Es ist eine stattliche Bergkette, dies Muralgebirge,« meinte Parr.
»Das ist sie, mit ihren wildromantischen, zerklüfteten Felsen, Schluchten und Höhlen, die noch manches dunkle Geheimnis in sich bergen. Trotz der Länge des Bergzuges aber ist die höchste Erhebung, nicht über fünfzehnhundert Meter, die größte Breite nur zwanzig Gehstunden.«
»Die klare Luft läßt die Entfernungen schlecht schätzen, sie viel näher scheinen, als sie wirklich sind, darum bitte ich, mir zu sagen, wie lange wir brauchen, diesen stattlichen, gerade in der Mitte liegenden Felsen zu erreichen?« wollte Parr wissen.
»Sie werden acht bis zehn Stunden zu marschieren haben, um zur Gabel, so nennt man den in drei Zacken auslaufenden Felsen, zu gelangen, an deren Rückwand der fischreiche See liegt, den ich Ihnen als Angelrevier empfahl,« entgegnete Borgfield.
»Dann ist es heute für den Aufbruch zu spät,« sagte George bedauernd.
»Allerdings, umsomehr, als Sie sich mit Proviant versehen müssen. Für heute rate ich Ihnen, die Steppe im Osten aufzusuchen. Sie haben nur zwei bis zweieinhalb Stunden Ritt dahin. An Wild werden Sie nur Hasen und Rebhühner vorfinden, vielleicht auch, wenn Ihnen das Glück hold ist, Gnus, welche Josua gesehen haben will, ohne sie anpirschen zu können.«
»Strauße und Giraffen giebt es hier herum nicht, Herr Borgfield?« fragte George.
»Nein, Herr Morton, das Hochwild ist selbst in den fast menschenleeren Gegenden des Innern nicht mehr allzu häufig, da es in den letzten Jahren geradezu sinnlos gejagt wurde.«
»Sehen Sie doch, Herr Borgfield, was dort aus dem Walde hervorkommt,« sagte Parr plötzlich, in die angegebene Richtung weisend.
»Ich sehe nichts, als eine, allerdings ungewöhnliche Staubwolke,« sagte der Missionar, das Fernrohr richtend.
»Nein, nein, Onkel hat recht, das ist etwas anderes und bewegt sich nach der Ruine hin.«
Borgfield hatte endlich das Fernrohr auf dem Punkt, der seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und sagte nach einiger Zeit: »Es ist ein Wagen.«
Der Kapitän benutzte ebenfalls das Fernrohr: »Ein langer Wagen, wie der unsere, mit mehreren Paaren Ochsen bespannt. Ein Reisender oder ein Jäger.«
»Beide sind selten in unserer Abgeschiedenheit, aber in einer Stunde werden wir wissen, wen das Gefährt beherbergt.«
Nachdem auch noch George durch das Glas geblickt, wurde dies wieder in die richtige Lage gebracht, und das Observatorium verlassen.
»Lassen Sie uns noch einen Spaziergang durch den Garten machen, dort werden wir meine Frau antreffen, die uns einen kleinen Imbiß besorgen soll.«
Schon während desselben konnte der Missionar seine Neugierde nicht zügeln, zu erfahren, wer der neue Ankömmling sei und ehe noch eine Stunde verflossen, bat er seine Frau, dem Wagen entgegen zu gehen. Sie zu begleiten, fand er seiner Würde als Geistlicher nicht angemessen, weshalb Parr und George sich sofort hierzu anboten, was dankend angenommen wurde.
Der Hausherr hielt sich an der Eingangspforte auf, bereit, den Gast, den ein Zufall in die Einöde geführt, zu begrüßen.
Frau Borgfield schritt mit ihren Begleitern rasch aus, so daß sie bald in die Nähe des langsam vorrückenden Wagens gelangten.
Es war ein gewöhnlicher Reisewagen mit zwölf Paar Ochsen bespannt, die von zwei Zulukaffern regiert wurden. An der Spitze des Zuges ritt ein junger Mann auf einem einheimischen, in Wackerstrom gezogenen Pferde.
Als derselbe die Dame bemerkte, sprengte er im Galopp an sie heran. Einige Schritte vor ihr zügelte er das Tier, sprang elegant aus dem Sattel und trat mit weltmännischer Verbeugung auf die kleine Gesellschaft zu.
»Habe ich die Ehre, die Besitzerin jener Niederlassung vor mir zu sehen?« fragte der Fremde nach höflichem Gruße.
»Allerdings, mein Herr. Mit wem habe ich die Ehre?« gegenfragte Frau Borgfield.
»Louis Durand aus Paris.«
Kapitän Parr stellte vor: »Frau Missionar Borgfield, George Morton, mein Neffe, Alphons Parr, Kommandant außer Dienst.«
»Unsere lieben Gäste,« schloß Frau Borgfield.
»Ich glaube Herrn Durand schon gesehen zu haben,« nahm George das Wort.
»Ganz recht. War's nicht in Pretoria?« antwortete dieser.
»Im Hotel Transvaal.«
»Ich erinnere mich lebhaft, und doppelt angenehm ist es für mich, sozusagen alte Bekannte an der Grenze der Civilisation vorzufinden.«
Der Empfang des neuen Ankömmlings, der sich von Frau Borgfield nicht lange nötigen ließ, ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, war seitens des Hausherrn eine aufrichtig herzliche. Freute sich dieser doch über jeden gebildeten Menschen, der seine Weltabgeschiedenheit durch seine Anwesenheit belebte, was nur höchst selten geschah. Kapitän Parr zeigte sich zurückhaltend, wie er es bei jeder neuen Bekanntschaft that, so lange er sich nicht klar über den Charakter der Betreffenden war.
In diesem Augenblick erschien Pieter mit den Gewehren.
»Sie sind auch Jäger, Herr Kommandant? Das freut mich, da ich nur des Jagens wegen die Reise unternommen habe,« sagte Durand, der in ein elegantes Jagdkostüm gekleidet war, das ebenso die Hand des Pariser Schneiders verriet, wie der Anzug, den er in Pretoria getragen.
Des Ankömmlings wegen verschob Parr den projektierten Jagdausflug auf Nachmittag, wo sich der Franzose anschließen wollte.
Beim gemeinsamen Mittagessen konnte es sich der Geistliche nicht versagen, seinen neuen Gast eingehender über den Zweck seiner Anwesenheit in Souls-Port auszufragen.
Louis Durand lehnte sich in seinen Stuhl zurück, nahm eine blasierte Miene an, die zu seinem Gesichte vorzüglich paßte, und erzählte, wie er sich, der Erbe eines großen Vermögens, in Paris, seiner Heimat, gelangweilt habe, weshalb er sich entschloß, zu reisen. In Rußland, wo er bei dem Fürsten Krotoschin auf dessen Gütern als Gast geweilt, sei seine Jagdlust geweckt worden, als er Elentiere, Wölfe und Bären erlegt. Jagdreisen nach Nordamerika seien gefolgt, auf denen er dem Wapiti-Hirsch nachgestellt und den Bison in den Prairien des wilden Westens in Gemeinschaft mit Trappern und Indianern bis an die Felsengebirge verfolgte. So habe er Amerika durchstreift, sei in Europa gewesen, in den Alpen der Gemse und dem Steinbock nachgestiegen, bis in ihm der Wunsch rege geworden, das gewaltigste Tier der Gegenwart, den Elefanten, in seiner Heimat auszusuchen und aus den unerschöpflichen Jagdgründen des centralen Afrikas zu birschen. So sei er denn nach einer kurzen Erholungspause von Paris aufgebrochen, habe sich in Havre nach Kapstadt eingeschifft, von dort sei er nach mehrtägigem Aufenthalt per Dampfer nach Port Elisabeth und von da auf endlos langer Eisenbahnfahrt durch die Kap-Kolonien, den Orange-Freistaat über Colesberg, Bloemfonteine, Winburg, Heilbron, Johannesburg nach Pretoria gekommen. Der Burenwagen, der ihn hierhergebracht, sei bestimmt, ihn nun in die Regionen zu bringen, wo er Löwen und Elefanten als Beute einheimsen könne.
»Dann müssen Sie bis in die endlosen Waldungen des Sambesi zu gelangen suchen, denn hier, oder in unserer Umgebung wird Ihnen keiner der Dickhäuter vor die Büchse kommen,« erklärte Borgfield.
»Dann werde ich eben dahin reisen,« antwortete Durand ruhig.
Parr gefiel der prahlerische Ton, das Hervorheben des Reichtums in des Franzosen Erzählung nicht, auch George stieß es ab. Der alte Pieter, der auf des Kapitäns besonderen Wunsch an der Tafel speiste, blickte fortwährend mit seinem einzigen aber scharfen Auge auf den Pariser und ehe derselbe geendet, hatte er sein Urteil fertig, das in einem einzigen Worte bestand: »Windhund!«…
Nachmittags wurde der kurze Ausflug unternommen und mit mehreren Hasen und Rebhühnern beladen, trat die Jagdgesellschaft, der neben Durand auch Josua Lewis angehörte, der sich stets in ein mürrisches Schweigen gehüllt hatte, den Heimweg nach der Missionsniederlassung an.
»Ein besonderer Schütze scheint Herr Durand nicht zu sein,« sagte George leise zu Pieter.
»Finden Sie?«
»Er hat, wie ich sah, mehrere Hasen verfehlt,« entgegnete George.
»Macht nichts. Man kann Hasen fehlen und Elefanten treffen. Die sind dicker, größer und nicht so schnell, wie so ein lütger Hase,« erwiderte Pieter trocken. »An dem Herrn Franzosen scheint mir das Mundwerk das einzig tüchtige zu sein, alles andere ist Wind.«
»Du urteilst zu scharf, Pieter,« verwies George.
»Soll mich freuen, wenn ich unrecht habe,« brummte dieser.
Durand mochte sein was er wolle, jedenfalls war er ein angenehmer, lustiger Gesellschafter, dessen gute Laune die Zeit verkürzte, die Parr und die Seinen in Souls-Port verbringen mußten. Schon breitete nämlich die Langeweile ihre bleiernen Schwingen aus über den an regelmäßige Thätigkeit gewöhnten Kapitän. Die Erzählungen des Missionars wurden eintönig und hatten längst den Reiz der Neuheit eingebüßt. Die Jagdpartien, welche zuerst einige Zerstreuung geboten hatten, fingen an, ihre Wirkung zu verfehlen, da ihnen Aufregungen und Zerstreuung fehlten. So verging die Zeit des Wartens auf die Rückkunft des Führers recht langsam und wenn nicht der Franzose für Heiterkeit gesorgt hätte, wäre sie Parr unerträglich vorgekommen.
Deshalb nahm der Kapitän den Vorschlag Durands freudig auf, einen gemeinsamen Ausflug nach dem Bergsee zu veranstalten, in dem man nach Herzenslust fischen wollte.
»Ich kann den Ausflug bestens empfehlen, da er nicht zu anstrengend ist und sich jedenfalls Ihre Mühe, in Bezug auf Beute, lohnen wird,« erklärte Herr Borgfield. »Wenn Sie rechtzeitig am Tage, etwa bei Sonnenaufgang, aufbrechen und eine Nacht im Zelte verbringen wollen, können Sie die Berge nach anderem selteneren Wilde absuchen, als Ihnen Ihre bisherigen Jagdzüge geboten haben.«
Parr war mit allem einverstanden und auf seine Bitte machte sich Frau Borgfield daran, aus alter Wagenleinwand ein Zelt zu fertigen. Pieter brachte die Angelgeräte in Ordnung, fabrizierte aus Bindfaden kleine Netze, und untersuchte alle Gewehre auf ihre Tauglichkeit. Frau Borgfield versprach den nötigen Proviant beizustellen, welches Versprechen sie auch pünktlich einlöste. Am Abend desselben Tages war alles bereit und ungleich froher, als die ganze letzte Zeit über, suchte jeder der Teilnehmer sein Lager auf; versprachen doch die nächsten Tage das vorläufig am meisten ersehnte Labsal: »Abwechselung« zu bringen.
Am Morgen, als die Hähne der Mission krähten, die Sterne am Himmelszelt noch nicht erloschen waren, standen schon die Teilnehmer der Expedition wohlgerüstet im Garten, die drei Schwarzen erwartend, welche ihnen den Proviant, die Munition, das Zelt, Decken für die Nacht und die Angelgeräte tragen sollten. Der Missionar hatte sie bereitwilligst zur Verfügung gestellt.
In freudigster Stimmung, die bei George und Durand bisweilen in Übermut ausartete, wurde der Marsch angetreten und fortgesetzt bis zehn Uhr, um welche Zeit die Jäger Halt machten, um zu frühstücken und sich ein wenig auszuruhen. Dann wurde den ganzen Nachmittag marschiert, meist bergauf, so daß sich Müdigkeit bei allen Teilnehmern geltend machte, über die aber keiner klagte als Louis Durand, was Pieter Veranlassung zu lustigen Bemerkungen gab. Einer der Schwarzen der Mission schritt als Führer voraus und geleitete die Reisenden eine Art Pfad hinan, den sich die wilden Tiere durch das dichte Gestrüpp gebahnt hatten.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erblickten die erschöpften Wanderer von einem einzeln stehenden Felskegel, den sie erklommen hatten, tief unten zu ihren Füßen den tiefblauen Wasserspiegel des Sees, den kein Lufthauch bewegte. Es war ein tiefer, von steilen Wänden eingefaßter Kessel in der Form eines langgezogenen Viereckes, der sich durch irgend ein Naturereignis mit Wasser gefüllt hatte, das der Regen immer wieder ergänzte. Mit Ausnahme der Stelle, welche die Jagdgesellschaft zum Abstieg benutzte, war der See unzugänglich, da seine Ufer aus Felspartien bestanden, die direkt aus dem Wasser drei- bis vierhundert Fuß in die Höhe wuchsen, kahl, ohne Pflanzenwuchs, nur totes Gestein in den groteskesten Formen. Der erste Eindruck, den der Anblick des Sees machte, war herzbeklemmend, furchterregend durch die Öde, die über seiner Fläche gebreitet lag.
»Nun, wie gefällt dir unser Ziel?« fragte Parr George, der neben ihm schritt und seine müden Füße kaum mehr weiterbringen konnte. Seine leichte Jagdflinte mußte als Wanderstab dienen.
»Gar nicht, Onkel. Ich freue mich, daß wir bald an seinen Ufern angelangt sein werden und ruhen und essen können. Aber der See, ich will es gestehen, flößt mir eine gewisse Scheu ein, die ich mir nicht, erklären kann. So stelle ich mir das Tote Meer oder die Seen vor, in denen der Sage nach Wassermann und Neck ihr Wesen trieben, armen Sterblichen auflauerten, um sie jählings zu verderben.«
»So arg. wird es wohl mit unserem Muralsee nicht sein, obgleich er unheimlich genug aussieht. Die Schätze an Fischen, die er bergen soll, werden uns sein boshaftes Gesicht hoffentlich vergessen machen.«
Nach einem beschwerlichen, durch das leicht in Bewegung zu setzende Gerölle zeitweilig sogar gefährlichen Abstieg, gelangte die Gesellschaft auf ein kleines Plateau, welches ungefähr zwanzig Meter über der einzig zugänglichen Uferstelle des Sees lag. Ohne Sonnenschein ausgewachsenes, verkrüppeltes Buschwerk wucherte allenthalben aus dem zerrissenen Gesteine empor, neben Flechten und Moosen, die das ganze Plateau mit einem dichten, feuchten Teppich überzogen. Die Schwarzen säuberten einen kleinen Raum von dem Pflanzenwuchs und schufen einen Lagerplatz, der in Ermangelung eines besseren genügen mußte.
Aus umherliegenden Steinen fügte Pieter einen Kochherd zusammen, unter dem bald ein Feuer lustig prasselte, das mit Mastixsträuchern unterhalten wurde. Ein verlockender Duft entstieg gar bald dem Kochtopfe und lockte alle Ausflügler zusammen, die jeder auf eigene Faust auf Entdeckungsreisen ausgezogen waren. Wie sie alle Pieters Kochkunst lobten! Louis Durand erklärte, noch, niemals ein besseres Beefsteak gegessen zu haben, als das eben von Pieter bereitete, welche Schmeichelei Pieter mit einer Grimasse quittierte.
Nach der Mahlzeit wurde beschlossen, daß ein Teil der Gesellschaft ruhen, während der andere auf dem Anstand bleiben sollte, um dem Wild, das den von den Reisenden begangenen Weg als Abstieg benutzen wollte, um im See den Durst zu löschen, aufzulauern.
Pieter und George hatten die erste Wache, während sich Parr und Durand ins Zelt zurückzogen. Die drei Neger hatten sich in Decken gehüllt und schlummerten auf dem feuchten Moose unter freiem Himmel, jeder mit einem Steine unter dem Kopfe als Kopfkissen.
Die Nacht zog herauf. Das Wasser des Sees nahm eine tiefdunkle Färbung an, die Felsen seiner Ufer sahen immer dräuender, gespenstischer aus, tiefer wurden die Schatten, die sie warfen und bald schien sich an Stelle des Wassers eine gähnende Tiefe zu befinden. Das Geschrei der Vögel, deren Nester sich in den Felsen befanden, war verstummt; statt seiner erklang zuweilen das durchdringende Geheule der Hyänen und der scharfe Schrei des Schakals. Sonst umgab feierliche Ruhe den Lagerplatz in der Wildnis. Am wunderbar klaren Himmel tauchten nach und nach tausend und abertausend funkelnde Sterne auf und verbreiteten einen zarten Lichtschein.
Ohne Bewegung, auf ihre Flinten gelehnt, standen die beiden Jäger und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Plötzlich erschreckte George ein Geräusch neben sich und pfeilschnell schoß ein Tier an ihm vorüber, dessen Gestalt er nicht ordentlich erkennen konnte. Nicht höher als eine Eidechse, war es zu groß für eine solche, zu breit, um eine Schlange zu sein. Schon wollte er schießen, als ihm ein Zeichen von Pieter davon abhielt. Mit einer Leichtigkeit, die man dem schweren Körper gar nicht zugetraut hätte, schlich Pieter dem Tiere zu, das wenige Schritte von ihm regungslos in das Dunkel eines Mastixgebüsches spähte. Ein Schlag mit dem Kolben seines schweren Repetiergewehres und das Tier war tot. Ein Fußtritt Pieters schleuderte es in eine Ecke, aus welcher es am Morgen hervorgeholt und untersucht werden sollte.
Da ließ sich ein Geräusch hören, wie es eine trabende Herde hervorbringt. Steine rollten, ein Scharren wurde hörbar und ab und zu ein Schnauben. Die Hand am Drücker, lauschten George und Pieter. Da tauchte, wenige Schritte vor ihnen, ein zottiger Kopf auf, wild aussehend, mit kleinen glänzenden Augen und zwei gewaltigen Hörnern, die sich nach unten bogen, um dann wieder zurückzustreben. »Gnus« flüsterte George. Ein Exemplar dieser Tiergattung, jenes seltsame Gemisch zwischen Antilope und Esel, Pferd und Rind, war es, das sich ihnen näherte. Fast gleichzeitig knallten zwei Schüsse durch die Nacht, ein hundertfältiges Echo weckend, das sich unaufhörlich wiederholte. Kapitän Parr, von den Schüssen geweckt, war rasch zur Stelle, während Durand es anscheinend nicht der Mühe wert erachtete, seinen Schlummer zu unterbrechen. Pieter ergriff einen brennenden Mastixstrauch und begann, gefolgt von Parr und George nach dem Wilde zu suchen, was bei dem herrschenden zittrigen Sternenlichte und dem Scheine der primitiven Fackel auf dem steilen holprigen Wege mit Gefahren verbunden war. Doch da trat, als Helfer in der Not, der Mond aus den Wolken und überzog die Scenerie mit seinem Silberlichte, die Fackel entbehrlich machend. Eine breite Blutspur deutete an, daß die Kugeln getroffen. Bald stießen die Jäger auch auf den dunklen Körper des Gnus, das sich mit den tödlichen Kopfwunden nur wenige Schritte zu schleppen vermocht hatte, während die Herde, dem es angehörte, mit Windeseile dem Thale zuraste. Sofort machte sich Pieter an das Aufbrechen des Wildes. Die Hörner und das Fell reklamierte George für seine Sammlung, die seinen Wohnraum in Canorsie nach der glücklichen Heimkehr schmücken sollte. Die Untersuchung Parrs ergab, daß beide Schüsse getroffen und beide in das Gehirn des Gnus gedrungen waren. Fell, Hörner, die Lenden, die Leber und einige Rückenstücke wurden von Pieter auf den Rat eines der Zulus, der herangetreten war, ausgelöst, der Rest den Schakalen, Hyänen und Geiern überlassen. Trotz der vorgerückten Stunde machte sich Pieter sofort daran, das Feuer neu zu beleben und eine Keule des Gnus zu schmoren, die als Frühstück am nächsten Morgen dienen sollte. Als dies Geschäft beendet, weckte Pieter Durand, seine Wache zu beziehen, nachdem Parr George bereits abgelöst hatte, nicht ohne das Versprechen an George geben müssen, ihn recht früh wecken zu lassen. Brummend und widerwillig erhob sich der Franzose, der sich von dem harten Lager wie zerschlagen fühlte und Pieter kroch vergnügt in die Decken.
Wieder ein Schuß weckte George und Pieter, nachdem sie einige Stunden geschlafen.
»Das war des Herrn Kommandanten Büchse,« rief Pieter George zu, als sie sich rasch Rock und Stiefel anzogen, das einzige, dessen sie sich vor dem Schlafengehen entledigt hatten, »die erkenne ich am kurzen, scharfen Knall aus hunderten heraus.«
Sie trafen nur Louis Durand an, der seine Büchse an den Felsen lehnte.
»Nun hab ich's aber satt,« meinte der mißgelaunt.
»Alle Knochen thun mir im Leibe weh, dabei nicht einen Schuß angebracht. Das leidige Echo, den der Schuß des Kommandanten hervorrief, hat natürlich alles Wild verjagt und ich kann stundenlang auf dem Anstand stehen, außer etwas anderes vor das Rohr zu bekommen, als die Aasgeier, die sich vor dem Kadaver des Gnus herumbalgen.«
»Hat der Onkel etwas geschossen?« fragte George.
»Ich glaube, eine Antilope; gewiß weiß ich es nicht, denn ich bin sofort, nachdem der Schuß gefallen, aufgebrochen,« entgegnete der Franzose.
»Sonst haben eifrige Jäger gewöhnlich mehr Geduld,« meinte Pieter, was ihm einen verächtlichen Seitenblick Durands einbrachte, den er aber mit stoischem Gleichmute ertrug.
Der Tag war angebrochen und das Sonnenlicht vertrieb rasch die letzten Schatten und Nebel der Nacht und wenn das Tagesgestirn auch nicht den Gesamteindruck des Sees und seiner Umgebung zerstören konnte, so nahm es ihm doch das öde, gespensterhafte Aussehen, das ihm der Abend und die Nacht verliehen hatte. Der Tag hatte vielerlei Getier geweckt und mit lautem Flügelschlage zogen Vogelschwärme aus ihren Nestern und Schlupfwinkeln in den Uferfelsen ihrem Geschäfte, dem Nahrungsuchen nach.
Während Pieter mit den Zulus die Antilope suchen ging, schritt Parr dem Plateau zu, gefolgt von George. Plötzlich stieß der Kommandant einen Ruf des Staunens aus und winkte George herbei, ins Gebüsch deutend. Da lag, noch unangetastet von den animalischen Räubern, das von Pieter heute nacht durch einen Kolbenschlag erlegte Tier. Es war eine mehr als fünf Fuß lange gewaltige Eidechse, ein Nilwaran (Polydaedalus). Der Kopf des Tieres trug keine sichtbaren Spuren des Kolbenschlags, nur das Maul war etwas aufgesperrt und ließ die spitzen Zähnchen sehen, die den Säugetieren bis zur Größe einer Ratte, den Vögeln, bis zur Größe eines Huhnes so gefährlich werden konnten. Aus dem dunkelbraunen Tiere, dessen Schuppenleib zahlreiche grüne und gelbliche Querstreifen bedeckten, war das Leben längst entschwunden und der lange Ruderschwanz hatte seine gewaltige Kraft verloren. Parr wandte den Waran mit dem Flintenlaufe um und störte dadurch eine Menge von Käfern aller Farben und Ameisen in ihrem Mahle. Die Schnecken hatten bereits den Unterleib des Waran zernagt, ihn daher als naturgeschichtliches Präparat unbrauchbar gemacht. Ein Fußtritt Georges schleuderte deshalb den Körper der Rieseneidechse über das Plateau hinaus in die See, als willkommene Beute für die Raubfische des Gewässers.
Zum Frühstücke, das Pieter nun rasch bereitete, das aus Thee, Zwieback und Gnufleisch bestand, fand sich auch Durand pünktlich ein. Die Zulus, denen eine reiche Portion zu teil wurde, waren emsig mit der herbeigeschleppten Antilope beschäftigt, die sie mit einer Geschicklichkeit zerteilten, der man die Übung in derlei Sachen anmerkte, zu der sich noch die Freude gesellte, das von ihnen sehr geschätzte Fleisch bald genießen zu können.