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»Fräulein, fahren wir morgen mit unserm Ponywagen zur Stadt? Besuchen wir dann Ihre Freundin? Sind auch kleine Mädchen da zum Spielen? Kommen wir alle mit?«
So fragten vier kleine Mädchen, die mit ihrer Erzieherin im Park zu Grünbach spazieren gingen. Spazierengehen konnte man eigentlich nicht sagen, weil die Kinder um das Fräulein herumzappelten und -sprangen, dabei überstürzten sie sich im Reden, aber auch im Laufen und Springen, es waren überaus lebhafte Kinder. Die Frische und geistige Regsamkeit war an und für sich etwas ganz Schönes, aber oft mußte das Fräulein der Lebendigkeit Einhalt gebieten, wenn sie die Grenzen überschritt. Im ganzen aber freute sie sich über den Frohsinn ihrer Zöglinge, und namentlich außerhalb des Unterrichts ließ sie ihnen gern so viel wie möglich ihre Freiheit. Sie wußte aus eigener Erfahrung, wie weh es tut, wenn man, durch äußere Verhältnisse gezwungen, eingeengt und eingeschüchtert war und sich seines Lebens nicht mehr freuen konnte.
Frieda Senker faßte ihren Beruf als Erzieherin ernst auf. Sie betrachtete sich nicht nur als Lehrerin, die die Kinder in allen Dingen fördern sollte, sondern auch dazu berufen, die Seelen der Kinder dem Herrn zuzuführen. Dazu war ein guter Religionsunterricht erforderlich, in dem die Kinder durch Auslegung von Bibel und Katechismus mit Gottes Wort bekannt wurden, und es ihnen lieb und wert gemacht wurde. Leider fand sie gänzlich unvorbereitete Herzen vor. Die Eltern lebten ganz mit der Welt und glaubten, sie täten ihr Bestes, wenn sie den Kindern tüchtige Lehrerinnen hielten, die sich mitder Erziehung befassen mochten, wozu ihnen selbst wenig Zeit blieb. So hatte Frieda wenigstens freie Hand und fand bei ihren Zöglingen willige Herzen. Die Mama lächelte mitunter spöttisch, wenn die Kinder erzählten, was ihr Fräulein sie gelehrt hatte, sie äußerte einmal gegen ihren Mann: »Laß sie ruhig, Edmund; wenn sie größer sind, vergessen und verlieren sie es doch wieder. Fräulein Senker versteht es so gut, sie zu führen, das ist die Hauptsache. Ich finde, sie sind seitdem gehorsamer und nicht mehr so frech.«
So erkannte die Mutter stillschweigend an, daß die Religion eine Macht auf die Kinderherzen ausübte, und ließ die Erzieherin ruhig gewähren.
Aber traurig war es für diese doch, so allein mit ihren Ansichten zu stehen, dabei keine Unterstützung von den Eltern und kein christliches Familienleben, wie sie es gehofft hatte, zu haben. Aber um so treuer wollte sie ihre Aufgabe erfüllen; die Liebe zu den Kindern füllte ihr Herz aus, und da auch diese sehr bald große Anhänglichkeit zeigten, fühlte sie sich befriedigt.
Buschrode, das vier Jahre ihre Heimat gewesen und es auch jetzt noch war, weckte vorderhand trübe Erinnerungen. Die letzte Zeit dort hatte manches gebracht, das die Entfremdung zwischen ihr und Martha größer werden ließ. Martha, die in regem Briefwechsel mit Herrn Riedeck stand, schenkte ihr kein Vertrauen mehr. Während sie sich früher alle Briefe, die sie bekamen, gegenseitig mitgeteilt hatten, war Martha ganz verschlossen, ging mit Briefen, die an sie kamen, in ein anderes Zimmer und verbarg sie vor Frieda. Diese würde ja nie verlangt haben, Briefe von Riedeck zu lesen, aber sie erwartete doch, daß sie etwas daraus erzählte oder sonst vertraulich und schwesterlich wie früher mit ihr verkehrte. Aber sie sah in Frieda nur den Menschen, der sich zwischen sie und ihr Glück stellte, während Frieda doch nur offen ihre Meinung über den jungen Mann gesagt hatte, von dem sie manches gesehen und gehört hatte, das Zweifel an seiner aufrichtigen Gesinnung aufkommen ließ. Pfarrers waren beide bis zuletzt freundlich und gütig gegen die Pflegetochter und merkten kaum, daß es zwischen beiden Mädchen nicht mehr wie sonst war. Daß Martha ihrer Pflegeschwester Neid vorgeworfen hatte, konnte Frieda schwer verwinden, sie hatte kein Verständnis für eine so niedrige Denkungsart. Das nagte an ihrem Herzen. Deshalb sehnte sie die Zeit herbei, in ihren Beruf einzutreten. Es fanden sich auf ihr Gesuch mehrere Stellen, unter denen sie sich für die Grünbacher entschied, weil sie nicht allzufern von Buschrode lag, und sie zunächst lieber in einer Familie als als selbständige Lehrerin an einer Schule sein wollte.
Herr Mehnert, der Vater ihrer Schülerinnen, war ein reicher Großgrundbesitzer in der Nähe einer kleinen Stadt, wo das Dorf Grünbach eingepfarrt war. Die Stadt hieß Holtenow und hatte Bahnverbindung mit der Hauptstadt, wo Frieda in Pension gewesen war und ihr Examen gemacht hatte. Wenn sie nun die Ferien in Buschrode zubrachte, mußte sie künftig immer durch die Hauptstadt fahren, in der sie viele Bekannte hatte, besonders Herrn und Frau Meiler, Frau Zeller und Marthas Tanten. In Holtenow aber wohnten die Eltern von Lina Bohner, der früheren Pensionärin von Meilers. Mit großer Freude hatte sie vernommen, daß Frieda in ihrer Nähe war. Da jüngere Geschwister da waren, hatte sie Frieda dringend eingeladen, sie zu besuchen und ihre vier Zöglinge mitzubringen. Darauf bezog sich das Fragen der Kinder bei dem heutigen Spaziergang. Etwas Neues war für die Kinder immer etwas Schönes, so ergingen sie sich beim Spaziergang in Mutmaßungen der verschiedensten Art, während Frieda ihren Gedanken nachhing oder die zahlreichen Fragen der Kinder freundlich beantwortete.
Jetzt waren sie im Wald, dem gewöhnlichen Ziel ihrer Wanderschaft. Die Bäume trugen schon herbstliches Gepräge. Noch ein tüchtiger Sturm und der Wald würde ohne seinen Blätterschmuck kahl und öde dastehen. Im Winter würden wahrscheinlich die Herrschaften viel Geselligkeit haben, da mit den Nachbarsgütern reger gesellschaftlicher Verkehr herrschte. Sie würde voraussichtlich viel mit den Kindern allein sein. Sie wollte die Zeit benutzen, um an und mit den Kindern zu arbeiten, so viel es ihre Kräfte erlaubten.
Als sie nach Hause kamen, gingen die Kinder ins Schulzimmer, wo sie unter Friedas Aufsicht ihre Arbeiten für den folgenden Tag machten. Namentlich die beiden ältesten Mädchen waren sehr begabt, das Lernen machte ihnen Freude, wodurch Friedas Aufgabe sehr erleichtert wurde. Die Lampe war eben angezündet, als der Diener erschien und Fräulein Senker bat, zur gnädigen Frau zu kommen.
Sie empfing Frieda sehr freundlich und teilte ihr mit, daß sie mit ihrem Mann auf sechs Wochen nach Berlin gehen würde. Sie wisse ja die Kinder in guter Obhut bei ihr und könne deswegen ruhig sein. »Vergnügen Sie sich, so gut sie können, liebes Fräulein, haben Sie acht auf die Leute, nehmen Sie meine Schlüssel in Verwahrung und geben Sie heraus, was die Leute gebrauchen, das ist das einzige, was ich verlange.«
Frieda machte ein etwas erschrockenes Gesicht, es schien ihr eine große Verantwortung, die sie auf sich nehmen sollte. Für die Kinder wollte sie allenfalls einstehen, aber die vielen Leute, die sie alle nicht genau kannte, zu beaufsichtigen, das schien ihr zuviel verlangt.
»Sie dürfen sich das nicht zu schwer vorstellen, liebes Fräulein«, sagte die Frau. »Unser alter Inspektor ist ein zuverlässiger Mann; wenn Sie etwas beunruhigt sind, gehen Sie zu ihm. Schneider, der ältere Diener, ist auch treu und ehrlich, schon zehn Jahre in unserm Dienst. Beide schlafen im Erdgeschoß. Die Wirtschafterin ist jung, der müssen Sie etwas auf die Finger sehen. Im übrigen wird Ihr Gefühl Sie schon richtig leiten, ich habe großes Vertrauen zu Ihnen.«
Frieda dankte, daß ihr schon im ersten Vierteljahr so viel Vertrauen geschenkt wurde, fragte jedoch, ob nicht vielleicht eine Schwester oder Verwandte da sei, die solange die Oberaufsicht führen könnte; aber das verneinte Frau Mehnert.
»Meine Schwestern! Die wollen sich selber vergnügen und gehen im Winter nicht aufs Land, das ist ihnen viel zu langweilig.«
Schließlich fand Frieda sich in die neue Aufgabe, es blieb ihr nichts anderes übrig. Ende der Woche sollte die Reise vor sich gehen.
Die Kinder waren am Abend, als ihnen von der längeren Reise der Eltern gesagt wurde, sehr betrübt, aber die Mama tröstete sie mit den Worten:
»Wenn ihr erwachsen seid, was gar nicht so lange dauert, dann kommt ihr alle mit nach Berlin, da wird hübsch getanzt und sich vergnügt, das sollt ihr einmal sehen!« Damit gaben sich die Mädchen einstweilen zufrieden, jetzt interessierte sie ihre Ausfahrt zu Doktor Bohners mehr als die Aussicht auf Berlin.
Am nächsten Tage nach der Schule war der Nachmittag freigegeben. So konnte der Ausflug stattfinden; das hübsche Ponyfuhrwerk hielt vor der Tür, und mit Jubeln, Lachen und Zappeln fuhr die kleine Gesellschaft ab. Fräulein Senker mußte ernstlich zur Ruhe mahnen, sonst wären sie allesamt zum Wagen heraus gepurzelt.
Es war ein hübscher nur halbstündiger Weg. Man sah das Städtchen schon vor sich liegen, sobald man zum Dorf hinaus war.
In einem der ersten Häuser sollte der Doktor wohnen. Als der Wagen das Steinpflaster erreicht hatte, und das Rasseln begann, wurde die Haustüre eines der hübschesten Häuser aufgerissen. Drei kleine Mädchen, etwa im Alter der Mehnertschen Kinder, stürzten heraus und schrien mit mächtigen Stimmen: »Sie kommen! sie kommen!« worauf ein junges Mädchen in weißer Bluse aus dem Hause stolperte und sich dabei eine Küchenschürze losband, die natürlich zur Erde fiel. Man trat darüber weg, wie konnte man jetzt an Aufheben oder dergleichen unwichtige Dinge denken, wenn Frieda Senker in Sicht war!
Die mußte herzlich lachen. An dem ganzen Gebaren erkannte sie sofort die Lina, die mit ihren kleinen Schwestern dem Wagen entgegenkam, rufend, schreiend, stolpernd. Die vier Mädchen im Wagen sahen jugendfroh auf die ebenbürtige Schar da unten und nickten ihnen so vertraulich zu, als wollten sie sagen: »Wir kennen uns zwar nicht, aber wir passen zusammen.«
Es war für Frieda schwer, in diesem Wirrwarr die Würde und Ruhe zu behaupten. Es war alles so urkomisch, daß sie am liebsten selber mitgelacht hätte. Lina hing an ihrem Halse und küßte sie. Das sehen und sich auch umarmen und küssen war für die sieben Mädchen eins. Und als nun die Mutter in der offenen Tür erschien und fröhlich über diesen Austausch von Zärtlichkeiten lachte, bedurfte es keiner umständlichen Vorstellung mehr. Man war bekannt miteinander, bevor man zur Haustür hinein war.
»Nun, Lina hat die Nacht nicht mehr vor Freude geschlafen, so hat sie den heutigen Tag herbeigesehnt«, sagte die Doktorin. »Und die Kinder! Nichts haben sie gestern gelernt, weil sie ihre Puppen für die kleinen Schloßfräulein neu anziehen und die Puppenstuben in Ordnung bringen mußten. Sie haben ein wenig in der Schule nachsitzen müssen, aber die Freude auf den Nachmittag war größer als die Trauer. Geh einmal eine hinaus und heb die blaue Schürze auf, die Lina verloren hat. Sie sehen, Fräulein Frieda, sie ist noch in mancher Beziehung wie damals.«
Alle sieben stürzten hinaus und kamen im Triumph mit der Schürze, an der mindestens vier trugen, herein. »Die Lina hat noch Schmalzkuchen gebacken, sonst geht sie am Nachmittag nicht mit solcher Schürze«, entschuldigte die Mutter, »aber nun bitte ich schön Platz zu nehmen.« Es sah einladend in der großen freundlichen Wohnstube aus. Am runden Sofatisch nahmen die Erwachsenen Platz, für die Kinder war in einer Ecke des Zimmers ein Tisch mit ausgiebigen Kuchenvorräten gedeckt. Der Nachmittag verlief sehr unterhaltsam. Die Kinder eilten aus dem Zimmer, sobald sie genug gegessen hatten, und vergnügten sich herrlich, wie man am Lachen und Schwatzen wahrnehmen konnte.
Die Mutter aber rühmte gegen Frieda: »Meiner Lina sind die Pensionsjahre sehr gut bekommen, mein Mann findet es auch. Sie hilft mir gut im Haushalt, ist nie verdrossen, immer fröhlich. Ja, liebes Fräulein, munter sind wir alle, ausgenommen mein Mann, der schaut immer ernst drein, wie Sie sich jetzt selber überzeugen können, da ist er.«
Der Doktor war eben eingetreten und hatte die letzte Äußerung gehört; ein feines Lächeln spielte um seinen Mund. Er ließ sich Fräulein Senker vorstellen und unterhielt sich mit Frieda in ruhiger, gemessener Weise.
»Er ist ganz anders als wir alle, sprechen tut er nicht viel«, entschuldigte ihn die Gattin.
»Weil mir nicht viel Gelegenheit dazu gelassen wird, das besorgt meine Frau und auch die Lina in ausgiebiger Weise.«
»Aber denken tut er desto mehr, er ist ein feiner und geschickter Arzt, das wissen die Mehnerts auch zu rühmen.«
Der Doktor lächelte wieder und wollte eben etwas darauf erwidern, da meldete das Mädchen eine fremde Dame, die Frau Doktor zu sprechen wünsche.
Da erhob sich der Doktor schleunigst und verschwand im Kinderzimmer. Seine Zeit war sehr besetzt. Seine Frau ging hinaus, kam aber bald mit dem Besuch zurück und rief erfreut:
»Denken Sie sich, Fräulein Senker, die Dame kennt Sie. Sie ist die Schwester von unserem jungen Pfarrer, der vor acht Tagen hier eingezogen ist!«
Frieda hatte Frau Zeller sofort erkannt. »Das ist ja ein wunderbares Zusammentreffen«, rief sie erstaunt. »Ich ahnte ja nicht, daß Ihr Herr Bruder –«
»Mein Bruder ist auch erst ganz kürzlich zum Pfarrer von Holtenow berufen worden. Er hat mich sehr gebeten, ihm bei der Einrichtung des Hauses zu helfen, ich freute mich zu hören, daß Fräulein Linas Eltern hier wohnen und wollte mir«, hier wandte sie sich zu Linas Mutter, »bei Ihnen, Frau Doktor, etwas Rat und Auskunft über verschiedene Dinge holen.«
Das war etwas für die Arztfrau. Guten Rat erteilen und selbsttätig Hand anlegen, das lag ihr. »Wir wollen den jungen Herrn Pfarrer schon beraten und nach allen Seiten hin stützen. Da seien Sie ganz ruhig. Und wird er krank, so ist mein Mann da.«
Frau Zeller lächelte. »Er ist gottlob gesund und kräftig und bleibt es hoffentlich auch.«
»Hat er denn noch keine Frau, oder wird er bald heiraten? Es pflegt doch so zu sein?«
Auf Frau Zellers Gesicht trat ein schmerzlicher Zug. »Er denkt nicht an so etwas«, sagte sie ruhig. »Vielleicht entschließe ich mich, ganz zu ihm zu ziehen, wenn es mit den Kindern und der Schule geht.«
»Das wäre ja wunderschön«, rief Frieda. »Dann wären wir einander so nahe und könnten in alter Weise verkehren wie früher.« Sie bat Frau Zeller, sie doch bald in Grünbach zu besuchen und die Kinder mitzubringen.
»Zunächst bin ich noch allein hier. Annchen ist so verständig, daß ich ihr die Kinder überlassen konnte. Aber ich komme gern einmal allein zu Ihnen, Fräulein Frieda.«
Frau Zeller verabschiedete sich bald. Die Arztfrau ging mit ihr hinaus, um ihr verschiedene nötige Wirtschaftsgegenstände zu geben, und nannte ihr Handwerker, deren Hilfe sie gebrauche, so daß Frau Zeller mit den Worten dankte: »Ich gehe um vieles erleichtert, Frau Doktor, da ich hier ein Haus gefunden habe, wo ich Rat und Auskunft über alles finde.«
Lina hatte unterdes ihre Freundin ganz in Beschlag genommen und ihr erzählt, daß sie noch mit Karla und Klotilde in Verbindung stehe, und daß Karla sie im nächsten Sommer besuchen wolle. »Von Veronika weiß ich nichts«, fügte sie hinzu, »die konnte mich nicht so leiden«.
Frieda lächelte. Seit sie in Schloß Grünbach lebte, fand sie, daß die Schloßbewohner und die des Doktorhauses, den Hausherrn ausgenommen, viel Ähnlichkeit miteinander hatten. Die beiden Damen und auch die Kinder waren leichtlebig, gutherzig, wohlwollend gegen ihre Mitmenschen, aber es war keine Tiefe des Gemütes vorhanden. Jedenfalls aber hatte ein Besuch bei Doktors etwas Erfrischendes, Belebendes. Die Arztfrau suchte mehr im Hause zu schaffen, während Frau Mehnert viele Leute hielt, die für sie arbeiteten, und viel auswärts war. Das war der Unterschied. –
Nur die Jungfer war mit nach Berlin gefahren, das übrige Personal blieb im Schloß und hielt sich meist in den unteren Räumen auf, während Frieda mit den Kindern oben wohnte, wo ihr eine Reihe von Zimmern zur Verfügung stand. Sie benützte aber nur das Eßzimmer und ihre eigenen und schloß die Salons und Gesellschaftsräume ab.
Nach einigen Tagen kam wirklich Frau Zeller zu Besuch. Das war für Frieda eine herzliche Freude. War es doch jemand, mit dem sie in Buschrode schöne Wochen zusammen verlebt hatte, mit dem sie von dem, was das Herz bewegte, reden konnte.
Sie gingen miteinander in dem Park auf und ab, während die Kinder um sie herum spielten.
»Nun erzählen Sie mir, Frau Zeller, wie Ihr Bruder so schnell nach hier versetzt wurde«, begann Frieda. »Ich ahnte ja nicht, daß er Pfarrer in Holtenow geworden ist.«
»Es handelte sich um zwei Stellen, eine ganz in der Nähe von Buschrode, die andere hier. Ich war froh, daß es diese wurde, ich hätte es nicht gern gesehen, wenn – wenn er in Marthas Nähe geblieben wäre.« Verwundert sah Frieda sie an.
»Sie wissen doch, Fräulein Frieda, daß mein Bruder um Marthas Hand angehalten hat?«
»Ich weiß nichts davon. Martha ist mir gegenüber jetzt ganz verschlossen. Ich glaubte allerdings früher wahrzunehmen, daß Herr Marbach sich für sie interessierte, aber daß es wirklich zum Antrag gekommen ist, ahnte ich nicht. Wie schade, daß Martha die Hand eines solchen Mannes nicht angenommen hat, wie geborgen und behütet wäre sie unter seinem Schutz gewesen.«
»Mein Bruder leidet sehr darunter. Er schließt sich schwer an, wo aber seine Liebe einmal Wurzel gefaßt hat, vermag er sich kaum loszureißen. Das Alleinsein ist jetzt nichts für ihn. Deshalb hielt ich es auch für meine Pflicht, hierherzukommen und ihm sein Pfarrhaus wohnlich zu machen. Deshalb glaube ich auch, daß ich mich entschließen werde, mit meinen Kindern ganz zu ihm zu ziehen. Es wird ihn beleben und von seinem Kummer abziehen.«
»Wäre doch dieser Riedeck nie mit Martha bekannt geworden«, rief Frieda. »Ich sehe kein Heil in dieser Verbindung.«
»Er hat aber eine liebenswürdige, geschmeidige Außenseite, während mein Bruder mit seiner ernsten, ruhigen Weise nichts Bestechendes hat. Selbst die gute Frau Pfarrer, die ich hochschätze, ist von dem Herrn Riedeck ganz eingenommen. Ihre einzige Tochter muß und wird ihren Willen bekommen.«
»Ich fürchte es auch«, sagte Frieda. »Ich habe getan, was ich konnte, ich habe darüber Marthas Freundschaft und Vertrauen verloren. Und«, fuhr sie mit Tränen in den Augen fort, »sie war mir teuer wie eine Schwester«.
»Mein Bruder hat sich so glücklich im Buschroder Pfarrhaus gefühlt. Er nennt es noch jetzt die Stätte seiner Wiedergeburt. Durch den Pfarrer wurden alle Zweifel zerstreut, er hat ihm geholfen, die Bibel wieder als Gottes Wort anzunehmen. Es war ein Segen, daß er in dies Haus kam, wer weiß, was sonst aus ihm geworden wäre.«
Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Plötzlich sagte Frieda: »Dann werden Sie wohl die Ferien auch nicht mehr, wie bisher, mit den Kindern in Buschrode zubringen?«
»Das ist mir natürlich genommen, da die Sache mit meinem Bruder dazwischen liegt. Wenn ich ganz hierher ziehe, ist es ja auch nicht nötig. Die Kinder haben hier Freiheit und gute Luft genug.«
»Wie wird es aber mit der Schule?«
»Annchen ist seit Ostern aus der Schule. Mariechen, die den Wunsch hat, Lehrerin zu werden, wird wahrscheinlich zu Meilers in Pension kommen, und die Jungen besuchen zunächst hier die Vorbereitungsschule. Später wird Gott weiter sorgen.«
Frieda mußte Frau Zeller recht geben. Sie freute sich natürlich sehr, sie künftig in der Nähe zu haben. Sie konnte ja nun im Pfarrhaus verkehren, das waren für die Zukunft angenehme Aussichten.
Als Frau Zeller gegangen war, gingen Friedas Gedanken immer wieder nach Buschrode, das ihr jahrelang als das idealste Pfarrhaus erschienen war. Sie mußte nun leider sehen, daß es auch hier Trübungen und Unvollkommenheiten gab.