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Durch drei Abende mußte Lucia Impaggi mehr oder weniger anzügliche Lieder hören, die hinter dem Garten beim Klang der Zampogna gesungen wurden. Ihre Nerven gerieten in Unruhe, ihr Herz sehnte Ascanio herbei, damit er sie vor dem beleidigenden Tonschwall schütze. Endlich hörte am vierten Tag die Serenata auf.
Am nächsten Tag regnete es heftig. Ghitta war in die Banken gegangen, Gianpietro über Land. Da klopfte es. Als Lucia öffnete, sah sie eine einfach gekleidete, gar nicht unsaubere Frau von hoher Gestalt draußen stehen, ein schlichtes Häubchen auf dem dünnen, etwas ergrauten Haar, eine mantiglia über die Schultern geworfen, mit Augen, die beinahe verlegen und scheu zu Boden blickten. Es lag eine Art Hilflosigkeit und Einfalt in dem nicht unschönen Gesicht. Die Fremde stammelte einige Entschuldigungen und 29 schob sich dann unaufgefordert ins Zimmer und blieb bei der Tür stehen.
»Was wollt Ihr, Gevatterin?« Lucia, deren gutes Herz leicht überfloß, glaubte in der Besucherin eine verschämte Bettlerin vor sich zu haben und ging nun zur Truhe, um ein paar Münzen herauszuholen.
Da warf sich ihr das schweigsame Weib zu Füßen und rief ganz verzückt: »O wie Ihr schön seid, Monna Lucia!« Die Augen des Weibes kosten das Gewand der bestürzten Donzella von allen Seiten ab.
Lucia trug das gefaltete Hemd und den brennend roten, gelbgesäumten Rock der Frauen von Sora, Korallenschnüre um den Hals, und auf dem Haar, das tief herabgeknotet und von einem silbernen Pfeil durchsteckt war, das schwarze Kopftuch.
Das fremde Weib konnte sich nicht sattsehen. »Ihr wißt Euch zu tragen, Monna Lucia!« schwärmte sie mit einer gewissen Aufdringlichkeit und gab ihr noch schöne, schmückende Namen wie Rondinella di Roma, fiore del paradiso, biondina grilletta und anderes mehr.
»Ich versteh Euch nicht, Frau. Ich will Gianpietro rufen –«
»Nein, nein, nein!« übersprudelte sich die Gevatterin und holte aus ihrer Tasche ein verknülltes Zettelchen hervor, das sie sorgsam 30 auseinanderfaltete und nun dem verdutzten Mädchen hinreichte. »Da – es ist ein gesegneter Augenblick, und nie habe ich mit größerer Freude einen Brief überreicht. Lest, hochschätzenswerte Monna Lucia.«
Und die Impaggi las mit immer bänglicher klopfendem Herzen: »Venus Cytheria! Im Namen dieser Göttlichkeit liegt die Huldigung verschlossen, die ich Euch, dem schönsten Mädchen Roms darbringe. Es drängt mich, Euch mein Herz zu öffnen und darum bitte ich Euch, am kommenden Donnerstag zur Zeit des Angelusläutens in der Kirche Santa Cecilia zu sein, dort vor dem Marmortabernakel des Arnolfo di Cambio am Hochaltar Euer Gebet zu verrichten und dann in die Sakristei zu kommen, wo Euch mein Diener abholen wird, um Euch an eine Stätte zu führen, die einer freien Aussprache sehr günstig ist. Die Frau, die Euch das Briefchen überbringt, kennt mich nicht, Ihr werdet daher nichts über mich erfahren. Aber das eine wißt: In Eurer Einwilligung liegt Euer Glück beschlossen. Mögen Eure Schutzgeister Euch davor bewahren, daß Ihr es leichtfertig behandelt. Seid gegrüßt, Venus Cytheria!«
Lucia preßt verärgert die Lippen zusammen. Die Worte klingen aus derselben Richtung wie die abendlichen Serenatentöne; das fühlte ihr Herz. Petrucci versuchte nun, sich auf eine andere 31 Weise ihr zu nähern, aber sie zögerte nicht einen Augenblick, wie sie die liebende Attacke abzuwehren hatte. Mit verschattetem Antlitz gab sie den Zettel der Überbringerin zurück. »Nein, das Ding nehme ich nicht an.«
Die Frau tat erschrocken. »Um Eurer Seligkeit willen, überlegt doch, was Ihr tut, fiore del paradiso. Vor Euch steht kein bettelnder Pfifferaro, sondern die ehrenwerte Leonarda Bellincona.«
»O nun kenne ich Euch hinlänglich, Gevatterin. Ihr seid eine der Kupplerinnen aus der Subura. Gesteht nur, das seid Ihr wahrhaftig.«
Die Fremde tat entrüstet. »In der Subura haust liederliches Volk, das keinen Florentiner wert ist. Ich habe eine vornehme Klause, das müßt Ihr schon an meinem Kleid sehen.«
»Will Euch nicht unrecht tun,« lenkte die gutherzige Lucia ein. »Am Ende habt Ihr nichts anderes getan, als mir einen Brief überbracht. Sagt, kennt Ihr den Schreiber?«
»Der gute Herr meint, daß ich ihn nicht kenne.« Sie lächelt arglistig. »Aber die Gevatterin Leonarda Bellincona kennt ihre Puppen. Sie weiß, wer der Schreiber ist –«
»So nennt ihn.«
Die Kupplerin tat beleidigt. »Wir haben doch unsere Sauberkeit, Monna. Ich beuge in aller schuldigen Ehrfurcht das Knie vor dem Schreiber, ja, das sollt Ihr mir glauben. Und wenn er, 32 der Schreiber, den Segen spendet, läuft es unsereinem heiß über den Rücken.«
»Ich weiß genug,« sagte Lucia mit gepreßtem Atem.
»Gott strafe meine Geschwätzigkeit!« ereiferte sich die Bellincona und schlug ein Kreuz über ihre Brust. »Und nun – Ihr bleibt bei Eurem Nein? Bedenkt doch, Monna, diese Ehre, diese Auszeichnung!«
»Ihr könnt gehen.«
Aber die Gevatterin hatte geduldige Sohlen. Sie sah sauer drein. »Kann ich Euch nicht anders dienen? Ihr seid die Tochter der berühmten Impaggi – Gott gebe ihr ein Engelslager im Himmel! – Es ist in ganz Rom kein schöneres Kind geboren worden als Ihr. Ihr habt recht getan, nein zu sagen, wenngleich Euer Ja meinen Lohn verdoppelt hätte. Der purpurne Herr Ehrenwert weiß zu zahlen, aber dennoch gönne ich ihm Euch nicht. Solche Schätze an Leibes- und Seelenherrlichkeit gehören einem, der sie würdig zu genießen weiß.« Die Kupplerin redete sich mit jedem Wort heißer. Sie wurde beweglich, gestikulierte, und ihr Gesicht bekam den Ausdruck innerer Anteilnahme. »O Gott! Sich so einfach mit einem Briefchen abfangen zu lassen! Nein, nein – da seid Ihr mir zu wertvoll. Die herrliche Tochter der herrlichen Impaggi! Die ihre Herzenshändel zu vergolden verstand 33 mit der anbetungswürdigen Laune einer Königin!«
»Schweigt mir von meiner Mutter!« unterbrach sie Lucia heftig.
»Freilich schweige ich von ihr, um desto mehr von Euch zu reden. Ja, Eure Herrlichkeit ist keine Redensart, denn meine Art zu reden ist nun einmal, die Wahrheit über alles zu stellen. Und wenn ich Euch, allerschönste Priesterin der Vesta, so ansehe, da wird mir wahrhaftig weh ums Herz, daß Ihr Eure Tage vergeudet und diese Schönheit unbenutzt laßt. Was würde eine andere aus so vielen Gottesgeschenken machen! Mit diesen Augen, beseelt, als hätte sich der Himmel in ihnen widerspiegeln wollen, hätte sich eine andere den liebefreudigen König von Frankreich ins Garn gezogen, mit diesem Junohaupt, dessen Weizengold mit dem Glanz der Sonne wetteifert, hätte sich eine andere schon längst den grimmen Sultan ins Bett gelockt, und diese leicht geschwellten und doch so zarten Glieder hätten bei einer andern den kaltblütigsten Papst in Verzückung geworfen und er hätte seine Messen an diesem Altar statt in der Sixtina lesen müssen. Sah man je einen so wohlgeformten Fuß, je so feingegliederte, bis in die kleinsten Knöchel vollendete Fingerlein, je so weichgeschwungene Hüften, die Euch eine fürstliche Hoheit geben, um die Euch eine Königin von 34 Saba beneiden könnte. Und das Schreiten Eurer wohlgemeißelten Beine erinnert an den Gang des Rehs, wenn es zur Quelle drängt.«
Lucia, die belustigt zugehorcht, unterbrach nun den preisenden Wortschwall und schlug der Bellincona mit dem Fächer auf den Nacken. »Das für Eure übelriechende Wohlredenheit! Und nun geht.«
Aber die Gevatterin Leonarda ist standhaft. Die Lucia Impaggi paßt wunderbar in ihren persönlichen Kram, das hat sie gleich weggehabt, als sie ins Zimmer getreten war. »Eiâ schönes Augenseelchen!« Sie nähert sich ihr wieder und flüstert heiß: »Wenn nun der richtige Mann käme, das Fleischchen da hinter dem Hemdchen richtig einzuschätzen. Und wenn ich Euch nun dazu verhelfen wollte?«
Lucia zuckt ungeduldig mit der Schulter. »Der richtige Mann ist auch ohne Eure Hilfe längst schon da.«
Ein spitzes Gekicher dankt ihr für die Auskunft. »Dacht ich's doch! So was Feines bleibt nicht lange ungeliebt. Also schon in Hecken und Winkeln gekost? Bei der Madonna und Sankt Aristoteles! Da sollte man freilich rechtzeitig dazuschauen, daß das Männchen nicht zu früh addio sagt. Denn mit der Liebe allein ist's nicht getan, sie muß mehr sein als bloßer Efeu, der sich um den geliebten Stamm schlingt. Wer sagt 35 Euch, daß dieser Euer Liebster nicht eines Tages Schmetterlingsmanieren bekommt und nach einer andern Blume lechzt?«
Jäh wendet sich Lucia um. »Daß dich die Kröte anblase! Mit welchen Möglichkeiten willst du mich schrecken? In den Wind mit dem Gerede!«
Die Kupplerin zieht die Brauen hoch. »Die Sicherheit einer Verliebten gilt bei keinem Wechsler. Ihr müßt nüchtern denken. Mann bleibt Mann, und der Rosen wachsen gar viele. Glaubt mir, Graziella, man muß alle Mittelchen durchsinnen, um den Faden recht fest zu machen, an dem der Liebste hängt. Es gibt da allerlei Dinge und Zufälle.« Die Frau machte eine geheimnisvolle Pause.
Lucia bekommt wirklich eine leise Anwandlung von Schwäche. Sie denkt daran, daß nun Ascanio Aleandi bei der schönen Arlesa Dolti in Trastevere sitzt und ihren Leib für die heilige Margareta zurechtrichtet. Die unheilige Nähe kann ihm gefährlich werden, er ist leidenschaftlich, sinnlich, und wer weiß, welche unsaubere Mittel das unsaubere Weib besitzt, um ihn stolpern zu lassen. Ihr Inneres beginnt zwischen Vertrauen und Mißtrauen zu schwanken, und sie will versuchen, bloß ein wenig tastend, spielend und unverbindlich nach den Mitteln der Bellincona zu forschen, die ihren in Unruhe geratenen 36 Liebespendel wieder in gleichmäßigen Gang bringen soll.
»Gevatterin, sagt doch mehr als Ihr andeutet. Man wird nicht klug aus Euren Reden.« Sie schiebt ihr mit einemmal den kleinen Schemel unter die Knie.
Die Bellincona tut hochgeehrt. Ihre Aussicht bekommt rosenrote Farben. Wie schnell so ein Püppchen umschlägt, wenn man nur die richtigen Worte setzt. »Ja – hm – daß ich sage! Wenn man nur so reden könnte, wie man wollte. Ihr wißt, Monna Lucia, es gibt da so irdisch-unirdische Dinge, die man nicht leicht beim Namen nennen darf, weil man bei ihrem Ertönen geheimnisvolle Mächte anzieht oder abstößt.«
»Ich verstehe Euch nicht ganz,« erschauert Lucia ganz leicht.
»Ihr werdet mich schon verstehen. Es sind da gewisse Bindungen nötig, ich will sie nicht gerade Verschreibungen nennen, aber so ähnlich läßt es sich doch ansprechen. Die Hauptsache bleibt die Frage an Euch: Ha fede? Habt Ihr Glauben?«
»Hm – was meine Liebe betrifft – ich will's nur gestehen – keinen rückhaltlosen.« Sie nestelt verlegen an ihrer Brustagraffe.
»Eben den solltet Ihr erlangen. Ich meine nicht einen Glauben schlechtweg, sondern den Glauben an etwas ganz Bestimmtes.« In ihrem verzwickten Gesicht lauern allerlei Heimlichkeiten.
37 »Verstellt Euch doch nicht. Im Hause Eurer Mutter haben doch die weisesten Leute verkehrt, und da muß doch ab und zu ein Wörtlein gefallen sein von – ja, wie soll ich's sagen? – hm – von dem geheimnisvollen Etwas, das den Sinn erhellen oder verwirren kann, je nachdem man sich von diesem Etwas gefangennehmen läßt.«
»Ihr werdet immer dunkler,« sagt Lucia bedrückt.
»Meine Worte werden heller werden, wenn Ihr sie durch Taten bestärkt seht. Wißt Ihr, wo die Schenke der Gevatterin Eubea steht? Auf der Via Flaminia.«
»Ei, gewiß. Es geht dort viel Krämervolk ein und aus.«
»Von dort zweigt ein bebuschter Weg nach Norden ab, und geht Ihr ihn, so kommt Ihr nach einigen hundert Schritten zu einem kleinen Steinhaus, über dessen Tor Ihr eine steinerne Upupa seht – eine Bergeule – dort fragt nach der Bellincona und man wird Euch weisen. Doch ist's gut, am Spätabend ins Haus zu treten und ohne Begleitung, die Euch ja weiter unten beim Tor erwarten kann. Wollt Ihr vielleicht schon morgen kommen?« Die Stimme der Leonarda wurde lockender, leiser, umflort.
Lucia wußte mit ihren Gefühlen nicht aus noch ein. Es zog sie etwas mit unheimlicher Gewalt zu der drängenden Geheimniskrämerin, und 38 dennoch witterte sie eine Art Gefahr hinter der Lockung. Dazu fühlte sie sich ein bißchen schuldbeladen, wenn sie ihr Vorhaben vor Ascanio geheimhalten wollte. Und dennoch war nicht daran zu denken, ihm von der Sache auch nur das geringste anzudeuten, denn er war ein Feind aller Heimlichtuerei, und sein Hirn beschäftigte sich durchaus nur mit irdischen Dingen. Das Geschwätz der Bellincona aber hatte doch schon den Charakter eines heimlichen Unwesens angenommen, das aber für das junge Geschöpf etwas Anziehendes und Verführerisches hatte. Und galt es nicht, irgend eine Gewißheit zu erlangen? War ihr Herz nicht mit im Spiel? Und auch sein Herz? Von einer Sicherheit hatte die seltsame Gevatterin gesprochen, und sie meinte damit doch die innerliche Befestigung der Liebe Ascanios. Ihm dabei zu helfen, konnte doch keine Sünde sein? Und am Ende brauchte man den Weg, den ihr die Bellincona zeigen wollte, noch lange nicht zu gehen. Paßte er ihr nicht, konnte sie doch jederzeit umkehren. Und so entschloß sie sich nach Überlegung für eine zustimmende Antwort. Sie fiel freilich leise und herzbeengt aus. »Ich komme zu Euch, Leonarda.«
»Ihr kommt, fiore del paradiso?« Es klingt ein heimlich Jauchzen in dem Tonfall der Frage.
»Aber ich bin eine fromme Christin.« Eine innere Stimme befahl ihr dieses Wort.
39 »Schon gut,« beruhigte sie die Gevatterin mit süßlicher Miene. »Seid nur einmal bei mir, das andere findet sich.«
»Wenn's dunkelt, im Haus der Bergeule,« nickte Lucia, von einer heimlichen Bängnis durchzittert. »Soll ich nicht doch Ghitta –?«
»Niemand dürft Ihr mitnehmen, ein zweites Wesen stellt sich wie eine Scheidewand zwischen Euch und mich. Die Ströme, die von mir ausgehen, brechen sich an einem zweiten Körper. Und daß Ihr zu niemand ein Sterbenswörtchen von der Sache sprecht, es könnte Euch schaden. Und noch einmal: Abbia fede! Die Götter wollen es.« Sie ging zur Tür. »Und das mit dem Brieflein vergeßt.«
Gleich darauf humpelte die Leonarda Bellincona über die Treppe. Als sie Ghitta begegnete, setzte sie ihr harmlosestes Gesicht auf. Die Camerista blickte sie verwundert an. Es kam allerlei merkwürdiges Volk in das Haus ihrer Herrin.
In der Nacht gab es bei Lucia einen unruhigen Schlaf. Schwere, schreckende Träume wälzten sich hinter ihrer Stirn. 40